Die tote Katze schrumpft - Tatjana Meissner - E-Book

Die tote Katze schrumpft E-Book

Tatjana Meissner

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Beschreibung

Sechs Quadratmeter Leben (Teil 3): Die tote Katze schrumpft Im dritten Teil erzählt Tatjana Meissner von den Monaten Juli und August 2020, von Künstlern, die wie Rehe in Scheinwerfer blicken, von Alarmstufen in allen Farben, von Lippenbekenntnissen und coronalem Abwasser, von Veganern, die zerfleischt werden, von Wasserbetten und Löffelchenposition, von Tränen bei den ersten Vorstellungen, von PoC- Innen und Mohren, von Wissen durch Haltung und Erkenntnis durch Betroffenheit, von toten Katzen, die sehr lebendig abhängen, von Amsterdamer Sommern und Gründen für gelockerte Grundrechte...

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Tatjana Meissner

Die tote Katze schrumpft

Sechs Quadratmeter Leben (Teil 3)

Diese Tagebuchserie ist ein Pandemie-Rückblick auf das Leben und eine Komödie, wie sie nur in Krisensituationen geschrieben werden kann. Ich erzähle ungefiltert und offen über meine täglichen Erlebnisse und Gefühle und halte auch meine Meinung über den alltäglichen Wahnsinn nicht zurück.

Inhaltsverzeichnis

Willkommen in meinem Leben!

Vorwort

Prolog

Juli 2020

August 2020

Danksagung

Über die Autorin

Mehr zum Lesen

Impressum

Willkommen in meinem Leben!

Ich freue mich, dass Sie dieses Buch gekauft haben. Hiermit halten Sie den dritten Teil einer Serie mit dem Titel „Sechs Quadratmeter Leben“ in der Hand. Ich hoffe sehr, dass Sie beim Lesen, genau wie ich beim Schreiben, erstaunt, vielleicht wütend oder betroffen sein werden, sich wundern und freuen, weinen und lachen. Und danach unbedingt den vierten Teil lesen möchten und dann den fünften…

So, und jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß bei Teil III: "Die tote Katze schrumpft"!

Vorwort

Tatjana Meissner- Wer bin ich? Kabarettistin, Autorin und Moderatorin Tatsächlich? Aber was sonst? Früher, als ich noch als Tänzerin arbeitete, wurde ich von Zuschauern als Show-Girl bezeichnet. Dann, beim MDR, als Glücksfee. Nach dem Erscheinen meines ersten Buches als die, die sich öffentlich zur virtuellen Partnersuche bekennt. „Wie kannst du nur?“ Nach meinem zweiten Roman bezeichnete mich ein Fernsehmoderator als die „Femme fatale der Midlifecrisis“, nach dem dritten Buch war ich die mit dem ostdeutschen Migrationshintergrund und nach dem vierten die Erika Berger des Ostens. Zuschauer, die sich meinen Namen nicht merken können, sagen: „Die mit den roten Klamotten.“, oder „Die mit den blonden Strubbelhaaren.“, oder „Die mit dem Sex!“ Ich würde sagen: Ich bin eine glückliche Frau, die zwar bereits das Bergfest des Lebens gefeiert hat, aber das tun darf, was ihr Spaß macht: auf der Bühne stehen, Menschen zum Lachen bringen und lustige Lieder singen, obwohl meine Tochter meinen Gesang in ihrer Kindheit immer schrecklich fand. Ich bin die, die manchmal das Gefühl hat, sagen zu müssen: „Ich habe studiert!“. Vor allem, wegen der Themen, die ich gern in meinen Programmen und Büchern zum Besten gebe. Oder, wenn ich offen zugebe, dass ich ein Dschungelcamp-Gucker bin und statt Lyrik lieber Krimis lese. Ich bin die, die die sozialen Medien liebt, weil sie mir die Möglichkeit geben, mit meinen Zuschauern Kontakt zu halten. Ich bin die, die aus demselben Grund gern nach den Vorstellungen am Büchertisch sitzend oder direkt von der Bühne mit ihrem Publikum redet. Und ich finde, man sollte dem Leben, so oft wie möglich, seine komischen Seiten abringen und sich selber nicht zu ernst nehmen. Darum passt Komikerin ganz gut zu mir, oder? Privat gibt es mich auch. Meistens zu zweit. Carsten und ich lieben uns seit 15 Jahren, für jeden von uns die am längsten anhaltende Beziehung des Lebens. Wahrscheinlich liegt das daran, dass wir es von Anfang an bevorzugten, in getrennten Wohnungen zu leben. Meine erwachsene Tochter Pauli zog wegen ihres Studiums an der Uni Amsterdam in die Niederlande und blieb. Außerdem bin ich stolze Oma eines Enkelhundes namens Lemmy. Ich selber hatte eine schwere Kindheit und eine freudlose Jugend. Ich bin Lehrerkind. Meine Eltern leben dort, wo ich einen Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe, in der Landeshauptstadt Thüringens, in Erfurt. Meine jüngere Schwester Alexandra wohnt aus mir unerfindlichen Gründen seit fünf Jahren in Dortmund. Einen Teil meiner unzähligen privaten und beruflichen Erlebnisse der vergangenen knapp 60 Jahre meines Lebens findet ihr in Auszügen in meinem Tagebuch. Und jetzt geht´s los:

Prolog

Mein letzter Tagebucheintrag stammt aus meiner frühen Jugend. Damals, einen Tag vor meinem allerersten Sex, habe ich mich ausführlich darüber geäußert, dass Geschlechtsverkehr gar nicht nötig sei, weil mich mein Freund auch einfach so lieben würde. Ich sehe mich in meinem vielleicht etwas mehr als 6 qm großen Kinderzimmer unserer Neubauwohnung auf dem Erfurter Johannesplatz sitzen und schreiben. Meine Mutter sagte damals Jugendzimmer, denn mit dem Besuch der Heinrich-Mann-Oberschule bekam ich statt des Spielzeugschrankes eine kleine Hellerauschrankwand mit Schreibtisch an die Stirnseite des Zimmers gestellt. Das ist über 40 Jahre her. Danach habe ich nie wieder Tagebuch geschrieben. Warum? Auf keinen Fall, weil mein Leben danach weniger aufregend war. Immerhin werde ich im kommenden Jahr 60 Jahre alt. Das klingt alt. Ich fühle mich trotzdem zu jung, eine Biografie zu schreiben. Aber ich werde die Zeit des Corona-Lockdowns nutzen, auf mein Leben zurückzublicken, auf gute und schlechte Zeiten, werde mich erinnern und reflektieren, Erfahrungen und einen Teil meiner unzähligen privaten und beruflichen Erlebnisse der vergangenen knapp 60 Jahre in Auszügen mit meinen Tagebuch-Lesern teilen. Wenn ich meine pubertären Einträge von damals durchblättere, ärgere ich mich und werde das Gefühl nicht los, dass ich sogar in diesen privaten Aufzeichnungen meine Gedanken und Gefühle zensiere. Nur aufschreibe, was auch meiner Mama gefallen könnte, sie nicht enttäuschen würde. Heute, nach über 40 Jahren beginne ich wieder Tagebuch zu schreiben. Nicht in einem Kinderzimmer, aber wieder auf einer Fläche von nur 6 Quadratmetern, meinem Balkon. Weil etwas Neues, mein Leben stark Beeinflussendes passiert. Ein Virus stürzt die ganze Welt in eine Pandemie, die zu Verordnungen führt, zu einschränkenden Maßnahmen und mich in eine psychisch sehr angespannte Situation. Ich will darüber diesmal ungefiltert und offen schreiben, meine täglichen Erlebnisse und Gefühle schildern, meine Meinung kundtun. So, wie ich es vielleicht schon vor über 40 Jahren und auf jeden Fall vor 30 Jahren hätte tun sollen, als es den ersten großen Umsturz in meinem Leben gab. Mauerfall und Wende 1989/90. Was damals mit mir passierte, was ich dachte und fühlte kann ich nur aus heutiger Sicht erinnern und wüsste doch gern Genaueres. Damals veränderte sich ein limitiertes Leben in ein freies. Jetzt ist es umgekehrt.

Juli 2020

1. Juli 2020

Heute ist regnerisch, aber warm. Es passiert so gar nichts Besonderes und das ist irgendwie wunderbar. Ungezwungen in Familie. Mama, Papa, Kind und Enkelhund lenken von allen Corona-Misslichkeiten ab. Egal, wieviel im Netz gegen die Ungerechtigkeiten der Regierung gejammert und gekämpft wird. Und überhaupt. Ich wasche ein bisschen Wäsche, räume den Kindern hinterher, schließe immer wieder den Toilettendeckel, sauge, arbeite ein wenig und vereinbare den Fototermin mit meinem Fotografen Rob und meiner Maskenbildnerin Isolde in Berlin, gehe mit den Kindern in die Theaterklause Mittag essen. Wir treffen dort Paulis Freundin mit neuem Familienzuwachs namens Gusti, eine französische Baby-Bulldogge. Der Rest des Tages besteht aus Fröhlichsein und Lesen, während Pauli im Homeoffice am PC sitzt und telefoniert. Spektakulär unspektakuläres Familienleben. Es ist wunderbar, eine Familie zu haben, in der es keinen Stress hervorruft, zusammen zu sein, auch über mehrere Tage. Ich beobachte Pauli und erinnere mich an ein Bildtelefonat mit meinem Cousin am Anfang des totalen Lockdowns. Er saß gemeinsam mit seinen drei fast erwachsenen Kindern, der Freundin des Großen und natürlich seiner Frau am großen Küchentisch beim Abendessen. Sie waren wegen „Alles-verboten-kein-Studium-kein-Urlaub-keine-Schule“ wieder als Großfamilie zusammengezogen. Ich sah diese fröhliche Runde und wünschte mir zum ersten Mal im Leben mehr als ein Kind. Ich meine jetzt nicht die anstrengende Zeit des Aufwachsens und erst recht nicht die der Pubertät, aber 2-3 erwachsene Kinder in der Corona–Krise hätten mir viel Melancholie und Weinerlichkeit erspart. Für weiteren Nachwuchs ist es jetzt zu spät. Und weil gerade Pauli an meinem Küchentisch sitzt, küsse ich sie mit der Überzeugung, dass auch zwei weitere, von mir großgezogene Kinder ganz schön toll gelungen wären. Am Abend geht mein Kind aus, trifft sich mit Freundinnen aus der Schulzeit. Carsten und ich sitzen auf dem Balkon. Er suchtet seit Tagen den YouTube-Kanal eines Weltreisenden, der immer an die Orte fährt, die eigentlich keinen Tourismus haben, und sucht auf ungewöhnliche Art und Weise die schmutzigsten Ecken der Welt auf. Deswegen bekommt er Carstens ganze Aufmerksamkeit. Weil uns fehlt, was dieser Reisende zu viel hat: der Mut zu Abenteuern. Ich lese derweil auf der Balkoncouch den Adler-Olsen-Krimi und schaue auf eine Garnitur weiße Bettwäsche beim Gärtner gegenüber. Vielleicht ist ja auch eine der Wohnungen dieses Hauses ein Feriendomizil von AirBnB? Später redet der Gärtner auf den Eingangsstufen des Hintereingangs sitzend mit der vor ihm stehenden Kaftanfrau, die heute Shorts und T-Shirt trägt. Heute kann er quatschen, er muss ja nicht gießen. Der als Unwetter mit Sturmböen und Gewitter angekündigte Landregen, ohne Wind und mit ein wenig Donnergrollen hat das erledigt. Mir fällt auf: Mit den Unwetterwarnungen ist es so ähnlich wie mit dem neuen Corona-Virus. Man weiß nichts Genaues, warnt aber vorsichtshalber vor dem Schlimmsten.

2. Juli 2020

Die weiße Wäsche hängt immer noch auf der Leine. Hat ja geregnet, da dauert das Trocknen länger. Der Gärtner baut seinen Wäscheständer ab, der auf der Terrasse stand. Die roten Rosen, die an seinem Zaun entlang ranken sind provozierend schön. Wogegen die Rose vor meinem Balkon vor sich hinmickert. Die hatte sich Carsten aufschwatzen lassen. Von einem in den höchsten Tönen von dieser mehrmals im Jahr blühenden Lieblingsrose schwärmenden Gärtner des renommierten Foerster-Stauden-Gartens. Drei Jahre neigte sie zu Krankheiten, die nach misslungenen Therapieversuchen immer im Radikalschnitt endeten. Mit dem neuen Standort im Beet VOR meinem Balkon bleibt sie zwar gesund, wächst aber nicht besonders üppig. Sie bleibt ein Sorgenkind. Genau wie die überall, vor allem aber auf den Dünen an der Ostsee, wie Unkraut wuchernde Kartoffelrose, die wir von einer FB -Freundin geschenkt bekamen und direkt aus ihrem Garten in Leest abholten. Seit Jahren versucht Carsten mit ihrer Hilfe seinen Balkon zu verschönern. Jedoch sie will nicht. Vor einigen Tagen wurde sie wieder auf wenige Zentimeter gekürzt. Carsten ist eben kein Gärtner. Im Moment darf man ihn überhaupt nicht mehr auf die unzähligen, derzeit in allen Farben und Formen blühenden Rosen in den Vorgärten unseres Viertels hinweisen. Das frustriert ihn. Pauli trägt ihre hübschen goldenen Ohrringe. Fürs Homeoffice. Hätte sie sich nicht jeden Morgen für ihre Arbeit hübsch gemacht, sagt sie, wäre das mit dem Überleben im Lockdown schwer geworden. Ich packe meine Tasche. Morgen geht es nach Röpersdorf zum Wandern. Ein seit Jahren lieb gewordenes Ritual zusammen mit meiner Wanderfreundin und ihrem Mann. Erstmals streunen wir nicht im Süden Ostdeutschland rum, sondern in der Uckermark. Da gibt es keine Berge. Carsten und ich wollen nur solche Strecken laufen, auf denen wir ausreichend Luft haben, uns unterhalten zu können. Wenn man sich im Jahr schon selten sieht, muss man doch reden, sich austauschen und so. Das haben wir unseren Freunden nach einem Aufstieg in der Sächsischen Schweiz, bei dem Carsten und ich schon unseren nahen Tod vor Augen sahen, keine Luft mehr bekamen und hilflos hechelten, deutlich gemacht. Aber erst, nachdem wir uns erholt hatten. Jetzt klappt es in unserer Wandergemeinschaft viel besser. Carsten und ich brauchen beim Wandern ein Ziel in Form eines Cafés oder Restaurants. Wir verstehen ohnehin nicht, wie Menschen in höherem Alter und oftmals mit dicken Bäuchen bei größter Hitze im Jahresurlaub plötzlich Serpentinen mit dem Fahrrad erklimmen müssen. Die Köpfe hochrot, der Schweiß läuft durchs Gesicht und der Mund ist verkniffen. Das kann auf keinen Fall gesund sein. Unsere Freunde sind durch ihre Urlaube ohne uns, die sie fast ausschließlich in den Bergen oder per Rad durch die Welt verbringen, körperlich viel fitter als wir. Sie lieben es, ununterbrochen zu laufen und an schönen Stellen in der Natur zu picknicken. Trotzdem nehmen sie jetzt Rücksicht auf uns Spaziergänger. Wir freuen uns auf die Uckermark. Nach dem Taschepacken ist das nächste Highlight des heutigen Tages ein gemeinsamer Kauflandbesuch mit Carsten, Lemmy und Pauli. Im Fressnapf kaufen wir für das liebe Tier endlich ein ordentliches Halsband, also ein Geschirr, damit ihm bei seiner Zieherei an der Leine nicht ständig der Hals abgeschnürt wird. Und es geschieht ein Wunder: Mit dem neuen Geschirr- natürlich hat Pauli ein hellblaues ausgesucht, wenn es schon kein rosafarbenes gibt- zerrt Lemmy nicht mehr. Sie läuft ganz manierlich an der Leine. Wir sind erfreut, verwundert, aber noch skeptisch, wie lange das anhalten wird. Den Abend verbringt Pauli nochmal mit ihrer besten Freundin in einer Potsdamer Bar, Carsten und ich bei unseren Musikerfreunden in der Nachbarschaft bei Wasser, Wein, Melonendrink, Gin und Chips mit roter Soße. Haben uns seit dem Eurovision Song Contest nicht mehr gesehen. Es gibt neu produzierte Musik zu hören. Wir diskutieren, überlegen, wie man die Songs vermarktet, spazieren durch den riesigen Garten der Wohngemeinschaft, lästern über schreiende Kinder der an das Grundstück grenzenden Kita. Kürzlich hat ein Kind den ganzen Vormittag mit einem Stein auf Beton geschlagen, bis Steinmehl entstand, ein anderes Mal ununterbrochen den Namen eines anderen Kindes gerufen. Immer im gleichen Duktus, immer gleich laut, immer und immer wieder. „Schlimmer als chinesische Wasserfolter!“, sagt unser Freund und wir glauben es sofort.

3. Juli 2020

Die letzten Stunden mit Pauli brechen an. Sie bleibt zwar noch bis Sonntag, empfängt ihren Freund in Potsdam, aber wir treten unseren alljährlichen Wanderurlaub an. Das war von Anfang an genauso geplant, trotzdem schade. Pauli erzählt beim Frühstück, dass sie so aufgeregt war, dass sie in der Nacht um vier wach wurde und lesen musste. Wahrscheinlich nicht meinetwegen, sondern in froher Erwartung ihres Liebsten am heutigen Tag. Ich habe ganz gut geschlafen, bin aber von einer neuen Alterserscheinung genervt. Seit gestern Abend habe ich schwarze Schlieren vor dem linken Auge. Dr. Google sagt, es geht von allein weg. Oder auch nicht. Dann geht es los. Ruckzuck sind wir in Röpersdorf am Unteruckersee. Das Hotel ist hübscher als erwartet, aber nicht so hübsch, wie der Preis verspricht. Wir nehmen das Zimmer mit dem Wasserbett. Nicht, weil wir wollen, sondern weil wir freundlich sind. Meine Freundin bekommt einen Lachkrampf, als sie sich auf das Bett setzt, es ihr freundlich zugluckst und heftig schaukelt. Nach einem Wiedersehenskaffee sind wir so wandermotiviert, dass wir zum Abendessen am See entlang in die Anglerklause aufbrechen. Die Natur, der Weg, der See, Gespräche von Frau zu Frau und Mann zu Mann: Der 6 km-Hinweg gestaltet sich wunderbar entspannt. Trotz der in mir aufsteigenden Furcht vor dem Rückweg. Wir sind die einzigen Gäste, die von der Terrasse der Anglerklause über den Unteruckersee schauen und das deftige und erstaunlich frische Essen vertilgen. Der Wirt ist fröhlich, wir plaudern. Die Gäste seien wohl sämtlichst beim heute beginnenden Marienfest in Prenzlau, spekuliert er. Das wollen wir uns anschauen. Wir biegen auf dem Rückweg von der wunderbar gestalteten Uferpromenade der Stadt, mit bunten, kreativen Spielplätzen, hübschen Sitzgelegenheiten und kleinen Party-Hütten nach rechts in den Seepark ab. Auch hier überall Schönes. Wirklich auffällig hübsch gestaltete Beete, Rasen, Kunst und Anlagen. Alles gern genutzt von Bewohnern und Besuchern. Kurz vor dem Ausgang eine SB-Gaststätte, viele Menschen an Tischen oder auf dem Rasen. Keine Spur von der Corona-Angst jedes zweiten Deutschen, die heute in der Zeitung heraufbeschworen wurde. Ein paar Jugendliche, die wir fragen, erzählen uns von der LAGA, googeln für uns, dass die 2013 stattfand. Prenzlau wurde im Krieg zu 85 % zerbombt, viele Neubauten rund um die Reste der alten Stadtmauer, ein paar Straßenzüge und Kirchen erzählen von der Zerstörung. Mitten in der Stadt hat ein kleiner Rummel auf dem Marktplatz aufgebaut: Karussells, Schießbuden und Imbissstände. Erstaunlich, da so etwas sonst überall verboten ist. Erst gestern haben Tausende Schausteller Berlins Straßen mit ihren LKWs verstopft, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie aussterben werden, wenn sie nicht arbeiten dürfen. Wir nutzen keins der Angebote, freuen uns aber über so viel amüsante Normalität. Auf dem Rückweg am See entlang hören wir einen Kuckuck, beobachten Rehe. Alle Menschen- meist sehr junge-, die uns zu Fuß oder auf dem Fahrrad entgegenkommen, grüßen freundlich. Was mich freut. Macht mir irgendwie gute Laune. Gegen 21 Uhr sind wir zurück, sitzen auf der Terrasse unseres Hotels, sind erschöpft, die Beine tun weh. Bevor wir ins Bett gehen, verabschiede ich mich von meinen 25 Jahre alten Wanderschuhen, die ich mir für die allererste Wanderung mit meinen Wanderfreunden in der sächsischen Schweiz gekauft hatte und deren Sohlen nun gebrochen sind. Die einzigen Schuhe in meinem Leben, die ich wirklich abgelaufen habe. Eine gute Investition, die nun in Röpersdorf entsorgt wird.

4. Juli 2020

Die Nacht im Wasserbett war ganz gut. Mein Körper fand es etwas kühl. Morgens sitzen wir im Pavillon vorm Haus, trinken den Kaffee aus unserer Maschine. Das Frühstück wird aus Coronagründen zweistufig serviert, sehr freundlich und gut. Rührei sei verboten, sagen sie. So hat jeder eigene Corona-Regeln. Auf dem Schiff, mit dem wir den Unteruckersee, den fünf Kilometer langen Kanal und den Oberuckersee in zwei Stunden durchfahren, war noch bis Freitag Mundschutz auf dem Freiluftdeck Vorschrift. Jetzt nur noch unter Deck, wenn man nichts verzehrt- man könne es aber seeehr langsam tun, sagt der Käpt'n. Die Landschaft ist wunderschön, der See der zweitgrößte Ostdeutschlands, die Schilflandschaft die größte. Beeindruckend. Meine Lieblingsinformation des heutigen Tages kommt vom Käpt'n. Die Uckermark, der fünftgrößte Landkreis Deutschlands ist mit 39 Menschen je Quadratkilometer so dünn besiedelt, dass er als unbewohnt gilt. In Warnitz steigen wir am Panoramahotel aus, welches meine Freundin als kitschig empfindet, mir gefällt es, bis wir lesen, dass eine Nacht 170 € kostet. Es sieht sehr amerikanisch aus, Holzhäuser mit großen Balkons, bequeme Möbel drauf. Von hinten allerdings sieht man, dass es in die Jahre gekommen ist und schon dem Bauministerium der DDR als Urlaubsdomizil diente. Es liegt mitten im Nichts. Dann wandern wir los, wollen den Oberuckersee umrunden, bis Fergitz, wo die Männer am Morgen ein Auto abgestellt hatten. Der von komoot angegebene Weg existiert leider nicht. Statt auf Wanderwegen durch Naturschutzgebiete am See entlang, schleppen wir uns über öde Straßen. Aus acht Kilometern werden 13, aus unzähligen Einkehrmöglichkeiten keine. Die Männer laufen die ganze Zeit unruhig vorneweg, drängeln uns auf der Suche nach dem besten Weg zum Beeilen. Unsere Füße schmerzen, als wir den hübschen Kirchturm des klitzekleinen, von Berlinern annektierten Fergitz erblicken. Meine Freundin und ich reden unterwegs über unsere Eltern, die Macken einiger Freunde, die das Leben bunt machen, staunen, dass unser Abitur bereits über 40 Jahre her ist. Zurück im Hotel gibt es Kaffee und Kuchen, danach eine Dusche und schon sind wir im Auto Richtung Prenzlau unterwegs, um in der gut bewerteten Waldschänke Klöße und Rouladen zu essen. Dort ist außer uns um halb sieben noch kein Mensch, die Frau am Tresen blafft mich unhöflich an. Nur für reservierte Plätze sei geöffnet. Ich ärgere mich. Das hätte sie auf ihrer Internetseite vermerken können, um potentiellen Gästen lange Wege zu ersparen. Aber das hat sie wohl nicht nötig, denn ihre Seite dümpelt seit Jahren ungepflegt im Netz vor sich hin. Also fahren wir in ein gestern beim Vorbeispazieren entdecktes Restaurant im typischen DDR-Plattenbau-Stil mit guter Aussicht direkt am See gelegen. Dort gibt es eine auffällig junge und hübsche Kellnerin mit roten Lippen, die ein wenig an die junge Ingrid Steeger erinnert, und die uns einen Tisch im Inneren des Hauses eindeckt, als es zu regnen beginnt und die Terrasse geräumt werden muss. Wären wir etwas später gekommen, wären auch dort alle Plätze besetzt gewesen. Erstaunlich in einem unbewohnten Landkreis mit einer Handvoll Urlaubern. Wir lassen den Abend vor dem Hotel mit Getränken vom REWE ausklingen

5. Juli 2020

Abreisetag. Der Vorteil von Wasserbetten ist, dass in der Löffelchenposition Carstens Arm unter meinem Kopf nicht einschläft, was beim Schlafen sehr hilfreich ist. Auch wenn es absurd klingt. Die fröhliche Frühstücksfrau bittet uns, die Zimmerschlüssel auf das Tablett am Tresen zu legen, weil sie die coronabedingt erst desinfizieren muss, bevor sie sie anfassen kann. Dabei räumt sie unser benutztes Besteck und die Teller ab. Verrückte Welt. Ich frage mich, wie viele Corona-Tote es bei der Schlüsselübergabe schon gegeben hat. Gegen zehn sind wir am Schloss Boitzenburg. Es wurde früher als Ferienhotel für die Volkspolizei der DDR genutzt, jetzt als Kinder-und Jugendhotel. Es strahlt weiß und hübsch über den kleinen Ort. Rundherum gibt es ein Ziegengehege, grüne Wiesen, eine Badestelle und einen nackten Jungen- eine Statue, Kunst natürlich. Er steht mit abgegriffenem Geschlechtchen und Mundschutz mitten auf der Wiese. Den Rücken zum Schloss, schaut er auf einen in die Jahre gekommenen und als Kreativwerkstatt ausgewiesenen Plattenbau neben einer verkommenen Hütte mit Grillplatz. Läuft man weiter um das Schloss findet man zwei Bolz- und Spielplätze, dazu ein verfallenes Häuschen. „Vorne hui, hinten pfui!

---ENDE DER LESEPROBE---