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Sechs Quadratmeter Leben (Teil 2): Monatshighlight: Löffelkarussell Im zweiten Teil erzählt Tatjana Meissner von den Monaten Mai und Juni 2020, den ersten Hoffnungen auf ein normales Leben, von Unglauben und Gläubigen, Denunzianten und Anpackern, von guten und schlechten Virologen, von Denunzianten und anderen Hobbys, von Entenjagd bis Lemmy-Kuschel-Attacken, von Erdbeerbespaßung mit Hygienekonzepten, Wissenden und Besserwissenden, von alternativlosen Alternativen, richtigen und falschen Demos, von Spaltung durch Distanz, von Sommertagen an der Ostsee und warum das Löffelkarussell keine Stellung beim GV ist...
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Willkommen in meinem Leben!
Vorwort
Prolog
Mai 2020
Juni 2020
Danksagung
Über die Autorin
Mehr zum Lesen
Impressum
Ich freue mich, dass Sie dieses Buch gekauft haben. Hiermit halten Sie den zweiten Teil einer Serie von „Sechs Quadratmeter Leben“ in der Hand. Ich hoffe sehr, dass Sie beim Lesen, genau wie ich beim Schreiben, erstaunt, vielleicht wütend oder betroffen sein werden, sich wundern und freuen, weinen und lachen. Und danach unbedingt den dritten Teil lesen möchten und dann den vierten und den fünften…
So, und jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß bei Teil 2: „Monatshighlight: Löffelkarussell"!
Tatjana Meissner- Wer bin ich? Kabarettistin, Autorin und Moderatorin Tatsächlich? Aber was sonst? Früher, als ich noch als Tänzerin arbeitete, wurde ich von Zuschauern als Show-Girl bezeichnet. Dann, beim MDR, als Glücksfee. Nach dem Erscheinen meines ersten Buches als die, die sich öffentlich zur virtuellen Partnersuche bekennt. „Wie kannst du nur?“ Nach meinem zweiten Roman bezeichnete mich ein Fernsehmoderator als die „Femme fatale der Midlifecrisis“, nach dem dritten Buch war ich die mit dem ostdeutschen Migrationshintergrund und nach dem vierten die Erika Berger des Ostens. Zuschauer, die sich meinen Namen nicht merken können, sagen: „Die mit den roten Klamotten.“, oder „Die mit den blonden Strubbelhaaren.“, oder „Die mit dem Sex!“ Ich würde sagen: Ich bin eine glückliche Frau, die zwar bereits das Bergfest des Lebens gefeiert hat, aber das tun darf, was ihr Spaß macht: auf der Bühne stehen, Menschen zum Lachen bringen und lustige Lieder singen, obwohl meine Tochter meinen Gesang in ihrer Kindheit immer schrecklich fand. Ich bin die, die manchmal das Gefühl hat, sagen zu müssen: „Ich habe studiert!“. Vor allem, wegen der Themen, die ich gern in meinen Programmen und Büchern zum Besten gebe. Oder, wenn ich offen zugebe, dass ich ein Dschungelcamp-Gucker bin und statt Lyrik lieber Krimis lese. Ich bin die, die die sozialen Medien liebt, weil sie mir die Möglichkeit geben, mit meinen Zuschauern Kontakt zu halten. Ich bin die, die aus demselben Grund gern nach den Vorstellungen am Büchertisch sitzend oder direkt von der Bühne mit ihrem Publikum redet. Und ich finde, man sollte dem Leben, so oft wie möglich, seine komischen Seiten abringen und sich selber nicht zu ernst nehmen. Darum passt Komikerin ganz gut zu mir, oder? Privat gibt es mich auch. Meistens zu zweit. Carsten und ich lieben uns seit 15 Jahren, für jeden von uns die am längsten anhaltende Beziehung des Lebens. Wahrscheinlich liegt das daran, dass wir es von Anfang an bevorzugten, in getrennten Wohnungen zu leben. Meine erwachsene Tochter Pauli zog wegen ihres Studiums an der Uni Amsterdam in die Niederlande und blieb. Außerdem bin ich stolze Oma eines Enkelhundes namens Lemmy. Ich selber hatte eine schwere Kindheit und eine freudlose Jugend. Ich bin Lehrerkind. Meine Eltern leben dort, wo ich einen Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe, in der Landeshauptstadt Thüringens, in Erfurt. Meine jüngere Schwester Alexandra wohnt aus mir unerfindlichen Gründen seit fünf Jahren in Dortmund. Einen Teil meiner unzähligen privaten und beruflichen Erlebnisse der vergangenen knapp 60 Jahre meines Lebens findet ihr in Auszügen in meinem Tagebuch. Und jetzt geht´s los:
Mein letzter Tagebucheintrag stammt aus meiner frühen Jugend. Damals, einen Tag vor meinem allerersten Sex, habe ich mich ausführlich darüber geäußert, dass Geschlechtsverkehr gar nicht nötig sei, weil mich mein Freund auch einfach so lieben würde. Ich sehe mich in meinem vielleicht etwas mehr als 6 qm großen Kinderzimmer unserer Neubauwohnung auf dem Erfurter Johannesplatz sitzen und schreiben. Meine Mutter sagte damals Jugendzimmer, denn mit dem Besuch der Heinrich-Mann-Oberschule bekam ich statt des Spielzeugschrankes eine kleine Hellerauschrankwand mit Schreibtisch an die Stirnseite des Zimmers gestellt. Das ist über 40 Jahre her. Danach habe ich nie wieder Tagebuch geschrieben. Warum? Auf keinen Fall, weil mein Leben danach weniger aufregend war. Immerhin werde ich im kommenden Jahr 60 Jahre alt. Das klingt alt. Ich fühle mich trotzdem zu jung, eine Biografie zu schreiben. Aber ich werde die Zeit des Corona-Lockdowns nutzen, auf mein Leben zurückzublicken, auf gute und schlechte Zeiten, werde mich erinnern und reflektieren, Erfahrungen und einen Teil meiner unzähligen privaten und beruflichen Erlebnisse der vergangenen knapp 60 Jahre in Auszügen mit meinen Tagebuch-Lesern teilen. Wenn ich meine pubertären Einträge von damals durchblättere, ärgere ich mich und werde das Gefühl nicht los, dass ich sogar in diesen privaten Aufzeichnungen meine Gedanken und Gefühle zensiere. Nur aufschreibe, was auch meiner Mama gefallen könnte, sie nicht enttäuschen würde. Heute, nach über 40 Jahren beginne ich wieder Tagebuch zu schreiben. Nicht in einem Kinderzimmer, aber wieder auf einer Fläche von nur 6 Quadratmetern, meinem Balkon. Weil etwas Neues, mein Leben stark Beeinflussendes passiert. Ein Virus stürzt die ganze Welt in eine Pandemie, die zu Verordnungen führt, zu einschränkenden Maßnahmen und mich in eine psychisch sehr angespannte Situation. Ich will darüber diesmal ungefiltert und offen schreiben, meine täglichen Erlebnisse und Gefühle schildern, meine Meinung kundtun. So, wie ich es vielleicht schon vor über 40 Jahren und auf jeden Fall vor 30 Jahren hätte tun sollen, als es den ersten großen Umsturz in meinem Leben gab. Mauerfall und Wende 1989/90. Was damals mit mir passierte, was ich dachte und fühlte kann ich nur aus heutiger Sicht erinnern und wüsste doch gern Genaueres. Damals veränderte sich ein limitiertes Leben in ein freies. Jetzt ist es umgekehrt.
1. Mai 2020
Eigentlich habe ich das Gefühl, dass es mir mit der Krise und dem Berufsverbot mental besser geht. Trotzdem meint Carsten, dass meine Stimme wieder dünn geworden sei, als wir auf dem Weg zur ersten DEMO meines Lebens Theo treffen. Er fragt nämlich sofort, wie es uns gehe. Ich antworte dünnhäutig. Kann nichts dagegen tun. Theo ist vom Alter her Risikogruppe und so früh schon unterwegs, um seinen Körper zu bewegen. Sagt er. Als er noch nicht Rentner war, arbeitete er beim Arbeitsamt und war zu Wendezeiten Ansprechpartner für alle Künstler in Potsdam. Er hat mir damals durch den Dschungel neuer Gesetze, Möglichkeiten und Umbrüche sehr geholfen, vermittelte mir meine erste ABM-Stelle bei Schlösser und Gärten Sanssouci. Dort war ich 1991/ 92 in der Besucherbetreuung verantwortlich für die Einteilung der Park- und Schlossführer, schrieb Rechnungen, erledigte Büroarbeit. Dort habe ich mich wohl gefühlt, inmitten älterer Damen, die mir auch manchmal mütterliche Zuhörerinnen waren. Eines Tages sah ich im Park einen jungen Mann, umringt von Journalisten mit Mikrofonen und Kameraleuten. „Wer ist das?“, fragte ich meine Kolleginnen. Das ist der Pressesprecher der Stiftung. Dieser Beruf, von dem ich bis dahin noch nie gehört hatte, gefiel mir. Im Park stehen und den Presseleuten Wichtigkeiten berichten. Als das Potsdamer Kabarett 20 ABM-Stellen bekommen sollte, bewarb ich mich als Pressesprecher. Wurde aber erstmal abgelehnt. Weswegen mir Theo nach dem Auslaufen der ABM bei Sanssouci eine Weiterbildung zur Tourismus-Kauffrau vermittelte. Nach der ersten Unterrichtsstunde meldete sich das Potsdamer Kabarett doch bei mir. Der neue Chef aus dem Westen mochte mich, hatte sich gegen den amtierenden Geschäftsführer durchgesetzt und ich begann meine Arbeit als erste Pressesprecherin des Potsdamer Kabaretts am Obelisk ohne Kenntnis der Materie. Auf der Betonfläche des Alten Marktes stehen hunderte Stühle direkt vor unserem Disney-Landtagsschloss, dazwischen so viele Menschen, wie ich sie seit Wochen nicht mehr zusammen gesehen habe. Es sind die Gastronomen aus Potsdam und Umgebung. Alle vereint in dem Gedanken, ihre Restaurants, Bars und Clubs zu retten. Das macht mich sofort wieder melancholisch. Wahrscheinlich der Tati-spezifische Weltfestspiele-Effekt. Es wird auf Töpfen getrommelt, gepfiffen, geklatscht und es werden natürlich Reden gehalten. Ein bisschen linkisch. Der Ruf nach 7 %-Umsatzsteuer wird laut. Aber was nutzt eine Steuer auf Umsatz, wenn es keinen Umsatz gibt? Auch der Oberbürgermeister ist da. Er sagt, er könne nur eine Verschärfung der Maßnahmen bestimmen. Keine Lockerung. Lockerungen seien Ländersache. Ich muss sofort an Caputh denken. Dann stimmt meine Vermutung, dass dort tatsächlich der Bürgermeister für die Flatterband-Hysterie verantwortlich ist. Wir treffen alte Bekannte. Alle irgendwie gastronomisch unterwegs und alle – genau wie wir - der Meinung, dass die Maßnahmen überzogen, nicht angemessen und ungerecht sind. Ein Markt voller Gleichgesinnter. Wenig später lese ich auf Facebook einen Artikel über die Assis, die Corona leugnen. Damit sind genau wir gemeint, obwohl wir das Virus gar nicht leugnen, sondern den Umgang damit überdenkenswert finden. Diese Verunglimpfung Andersdenkender und das Denunziantentum sind wirklich das Schlimmste an dieser Pandemie. Dazu die Machtgeilheit einzelner Politiker, das Spiel mit der Angst, Selbstgefälligkeit, Neid und bornierte Bösartigkeit. Eigenschaften, die ohne Pandemie gut verborgen werden, kommen jetzt an die Oberfläche. Das ist traurig und wird manche Menschen kränker zurücklassen, als sie es vor der Krise waren. Nicht durch Covid-19, sondern wegen der Maßnahmen des Lockdowns.
2. Mai 2020
Es klingelt. Durch die Sprechanlage meldet sich eine Frauenstimme. „Hier ist die Polizei Potsdam.“ Sofort überlege ich leicht panisch, ob ich mich nicht regelkonform verhalten haben könnte. Alter Reflex. Aber zum Glück sind wir offensichtlich nicht schuldig. Unser auf der Straße parkendes Auto wurde angefahren. Von einem älteren Herrn, der schrecklich blass ist vor Aufregung. Er hatte schon eine Stunde lang auf die Polizei gewartet. Nicht selbstverständlich. Die Polizisten erklären uns lang und breit, warum sie kein Protokoll schreiben wollen und wir uns selber einigen sollen. Das würde dem Herrn eine Ordnungsstrafe ersparen. Das machen wir dann auch. Bei uns sind der rechte Kotflügel und die Stoßstange geschrammt worden, das Auto des Verursachers sieht schlimmer aus. Die gesamte linke Seite ist auf voller Länge verbeult. Der ältere Herr tut mir leid und ich bin ihm absurder Weise dankbar. Für sein Warten. Langsam bekommt er wieder Farbe ins Gesicht. Seine Direktversicherung ist nicht erreichbar. Warteschleife. Später ruft er uns an und sagt, er habe seine Versicherung erreicht, aber die Dame käme erst Montag wieder ins System, um den Unfall aufzunehmen. Digitales Deutschland. Beim mittäglichen Stadtbummel begreife ich, dass Maske auf- und absetzen ziemlich anstrengend ist. Dazu der beschränkte Zugang zu Geschäften und entsprechende, wenn auch kurze Schlangen davor, das alles schont meinen Geldbeutel enorm. In meinen Lieblingsläden nimmt man es dagegen nicht so genau. Entweder mit der Maske oder mit dem Zutritt. Ich probiere Hosen. Aber jede sitzt anders schlecht. Eine Verkäuferin verblüfft mich, denn sie spricht mich mit Tatjana an. Ich weiß gar nicht, dass ich sie schon kenne. Später kaufe ich im Schuhladen weiße Sneakers. Carsten gefallen sie auch. Am Abend lerne ich bei einer Facebook-Diskussion von einigen meiner Comedy-Kolleginnen, dass man in Kolumnen Menschen mit anderer Meinung als der eigenen diffamieren, pauschal einer Gruppe zuordnen und beleidigen darf. Kolumne sei Meinung und Meinung darf menschenverachtend sein. Das schockiert mich ein wenig. Vielleicht macht es mir sogar Angst. Ich bin nämlich der Meinung, dass man seine Meinung auch sagen kann, ohne sich über andere zu erheben. Und prompt ertappe ich mich selber dabei. Bodo Wartke hat einen neuen Song in den sozialen Medien veröffentlicht. Ein Lied über den Chefvirologen der Bundesregierung Herrn Drosten. Ich warte über drei Minuten darauf, dass es irgendwann in diesem Comedy-Song einen ironischen Dreh gibt, irgend eine kleine Zweideutigkeit. Kommt nicht. Er meint die Lobhudelei auf Drosten bierernst. Ganz eindeutig. Hinterher geht mir ein anderes Lied vergangener Zeiten nicht mehr aus dem Kopf: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“ So entstehen Ohrwürmer. Am späten Abend stellen Carsten und ich fest, dass man bei häufigem Konsum von Filmen und Serien auf Netflix nur noch wenige neue Filme und Serien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen anspruchsvoll finden kann. Sie kommen oft ziemlich plakativ und einfach daher. Man merkt ihnen an, dass gespart wird. Trotz regelmäßiger Gebührenerhöhung.
3. Mai 2020
Dieser Sonntag ist sehr langsam. Beim Spaziergang durch den Park setzen wir uns in einen Pavillon am Schloss Charlottenhof und ich lese das sechste Kapitel aus „Alles außer Sex“ im Livestream für meine FB-Freunde. Unangekündigt. Die Zuschauer, die dabei sind, bedanken sich hinterher. Das macht mich glücklich. Viele Künstler geben ganze Konzerte im Netz, Theater streamen ihre Premieren. Dieter Hallervorden zeigt regelmäßig ganze Theaterstücke und Talkshows aus seinem Schlossparktheater, André Hermlin swingt mit seiner Band fast jeden Abend auf Facebook und ich denke dabei oft an die Kapelle beim Untergang der Titanic. Natürlich vermissen alle Künstler, genau wie ich, die Zusicherung ihres Publikums, dass sie gebraucht werden. Trotzdem finde ich es unmöglich, Kultur zum Nulltarif zu verschleudern. Das entwertet unsere Arbeit. Wie oft haben wir mit Veranstaltern diskutiert, dass man eine Comedy-Vorstellung mit echten Menschen auf der Bühne nicht billiger verkaufen darf als eine Kinokarte. Nicht nur, weil wir von den Einnahmen auch leben und die Kosten für Produktion, Krankenkasse, Urlaub, Anreise usw. bezahlen müssen, sondern vor allem, weil Kultur wertgeschätzt werden muss. Dass das nicht einmal die Politik angemessen einschätzt, zeigt sich in dieser Krise. Freizeitbeschäftigungen, egal ob Restaurant-, Hotel-, Kino- oder Theaterbesuche werden als unwichtige Hobbys wahrgenommen und im Gegensatz zu Profisport, Baumärkten und Kaufhäusern ausschließlich als Möglichkeit der Virenübertragung behandelt. In den letzten Tagen sehe ich immer mehr Videos von Demonstrationen in verschiedenen Städten. Gegen die Corona-Maßnahmen. Ich like sie fast alle. Wie schon vor etwas über 30 Jahren freue ich mich, wenn die Menschen für ihre und meine Rechte auf die Straße gehen. Traue mich aber selber kaum, mich aus dem Fenster zu lehnen. Mein Widerstand erschöpft sich im „Entfreunden“ eines besonders renitenten Corona-Maßnahmen –Befürworters. Seine diffamierenden, anders Denkende verletzenden und pauschal für blöd erklärenden Posts fand ich so widerlich, dass ich diesen Schritt gehen musste. Dieser „Freund“ ist Journalist. Also in meinen Augen ein Mensch mit einer besonderen Verantwortung. Genau solche Menschen fördern meine Angst, meine Meinung zur Corona-Krise öffentlich zu verkünden. Nicht seine Meinung, die Maßnahmen der Politik uneingeschränkt unterstützen zu müssen, sondern sein rigoroses, selbstverliebtes, sich über andere stellendes Vorgehen gegen Andersmeinende lässt mich verwirrt und ängstlich zurück. Aber die Mehrheit meine FB-Freunde sind mitfühlend und empathisch. Natürlich auch die, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, wie Carsten und ich. Zwei bis drei kleine private Theatermacher und Kulturenthusiasten melden sich bei uns. Bieten, selber kurz vor einer Insolvenz stehend, Hilfe an. Die zu Herzen gehenden Mails werden nachts gegen 2.30 Uhr abgeschickt. Schlaflos in KW. Andere schicken uns lustige Filme, selbstproduziert, fast täglich. Und aus dem Theater Döbeln erreicht mich eine Mail der wichtigsten Frau des Hauses. Sie ist verantwortlich für den Kartenverkauf. Gabi schreibt, sie denke an mich, sendet gute Wünsche und fragt, wie es geht. Ich kannte Gabi nicht persönlich, wusste nichts von ihrer Arbeit am wunderschönen Döbelner Theater als ich 2017 zu meinem ersten Engagement dort anreiste. So habe ich das damals erlebt und aufgeschrieben: Wenn ich zum ersten Mal in einer Stadt engagiert werde, bin ich immer besonders aufgeregt. Ich kenne die Örtlichkeiten nicht, weiß nicht, wie gut die Technik im Haus funktioniert, frage mich, ob das Publikum mich mögen wird und weiß, dass ich immer Sorge habe, dass die Zuschauer mit meinem Thema- weil sie mich eben noch nicht kennen- nicht zurechtkommen, vielleicht sogar empört sind. Was mich am meisten verunsichert ist, dass die Häuser beim ersten Mal meist nicht ausverkauft sind. Warum sollten die Menschen auch scharenweise in meine Veranstaltung kommen, wenn sie gar nicht genau wissen, was sie erwartet? All diese Gedanken schwirrten mir auch durch den Kopf, als ich gestern zum ersten Mal mit meiner Comedy „Du willst es doch auch“ nach Döbeln reiste. Das Mittelsächsische Theater Döbeln ist ein wirklich niedliches, kuscheliges und ausgesprochen schönes altes Theater mit einem erst kürzlich fertiggestellten neuen Anbau, der sich trotz seiner Modernität gut in das Ensemble einfügt, gebaut für Garderoben und Lastenaufzug zur Bühne. Wir wurden vom Inspizienten freundlich empfangen. Er erzählte uns gleich, dass das Theater ausverkauft sei und man diese Vorstellung auch zweimal hätte verkaufen können. Ich wunderte und freute mich. Beim Aufbau meiner Requisiten bat mich Bambi, der Lichttechniker, meinen Tisch in der Mitte der Bühne zu platzieren, damit auch die Zuschauer in der zweiten und dritten Reihe des Ranges- die sonst wegen Sichtbehinderungen nie verkauft werden- etwas sehen können. Dann begrüßte mich Myriel, die erste Tontechnikerin meiner dreißigjährigen Bühnenlaufbahn. Die Programmierung der Lichtsequenzen und der Soundcheck verliefen schnell, professionell und unaufgeregt. Das sind immer die besten Voraussetzungen für eine gute Show. Im Wandelgang des Theaters fiel mir ein weiterer Stein vom Herzen, was meine Show-Thematik betraf: Hier hing eine Ausstellung von Karikaturen unter dem Motto: „Lächerlich! Liebe, Lust und andere Katastrophen“ – wie für mich gemacht. Meine Lieblingskarikatur zeigte zwei Pärchen im Theater, einer der Beteiligten sagt: „Wir gehen selten ins Theater. Meist vögeln wir zuhause auf dem Sofa!“ In der mir zugewiesenen geräumigen Garderobe erwartete mich ein Foto von Dirk Michaelis, welches er an den Handtuchhalter neben dem Waschbecken geklebt hatte. Wir bekamen Kaffee, Wiener und belegte Brötchen, die wir uns am Tresen im Foyer aussuchen durften. Ich schminkte mich, blickte dabei in den Spiegel und konnte mein Glück noch gar nicht fassen, als plötzlich eine aufgeregte Frau vor mir stand. Sie nahm mich fest in ihre Arme und freute sich augenscheinlich. Ich war ganz gerührt. Es war Gabi, eine meiner Newsletter - Empfängerinnen, auf deren Bitte hin ich eine Geburtstagsmail zum 30. ihrer Schwiegertochter geschrieben hatte. Gesehen und gesprochen hatten wir uns bisher noch nicht. Gabi ist seit vielen Jahren Angestellte des Theaters, wie sie mir berichtete, und im Kartenverkauf tätig. Sie hatte der Theaterleitung erzählt, wie toll ich sei, woraufhin es nach unserer Bewerbung zu meinem Engagement kam. Natürlich hatte auch Gabi Sorge, dass mein Gastspiel keine Leute ziehen könnte und setzte zusammen mit ihren Kolleginnen alle Hebel in Bewegung, um die Döbelner zu mir ins Theater zu holen. Großartig. Und ich gab alles! Die Zuschauer aber auch. Sie empfingen mich enthusiastisch, spielten mit mir, lachten, klatschten und jubelten. Ich war und bin schockverliebt! In das Theater, seine Gäste und die Mitarbeiter. Danke Döbeln! Und ganz lieben Dank, Gabi!
4. Mai 2020
Für mich ist dieser 4. Mai ein schöner, unaufgeregter Tag. Schön ist er, weil ich normale Dinge erledigen kann: Den Steuermonat abschließen, meine Texte umschreiben, neue Monologe und Lieder von verschiedenen Autoren für Bella lesen. Er ist sicher auch schön, weil ich Facebook heute links liegen lasse und mich kein Sonnenstrahl vom Schreibtisch auf den Balkon lockt. Es regnet den ganzen Tag. Mittags kommt der Gutachter wegen unseres Parkschadens am Auto. Er entdeckt Beulen am Kotflügel und kommt dann in meine Küche wegen der Unterlagen. Er redet und redet und redet. Über Urlaubserlebnisse, was er sonst so macht. Carsten und ich räumen bereits die Kaffeetassen ab, bleiben danach stehen, warten. Erst dann geht er wieder. Am Abend kocht mein Liebster ein sensationelles Menü. Die Vorbereitungen laufen schon seit zwei Tagen. Unsere Gäste haben sich heute vor sieben Jahre zum ersten Mal per E-Mail ausgetauscht. Sie trafen sich auf einer Internet-Single-Plattform. In hohem Alter, fast schon Rentner. Dabei war SIE gar nicht auf der Suche. Ihre Kinder hatten ihr ungefragt und heimlich ein Profil angelegt. ER suchte schon geraume Zeit. Bestimmt seit 1997. Da lernten wir uns nämlich kennen. Ich war Moderatorin einer Telefon-Kuppelshow bei TV-Berlin. Er schickte lustige Fax-Nachrichten in die Sendung. Manchmal las ich sie vor, grüßte ihn. Später schickte er mir redaktionelle Ideen. Manchmal schriftlich, manchmal in Form von Selbstgebasteltem. Bis heute erzählt er gern von seinem schwäbischen Adventskranz, den ich in der Weihnachtszeit auch immer auf meinem Moderationstisch zu stehen hatte. Dieser Sparsamkeitskranz bestand aus einer Kerze und Spiegeln, die daraus 2-4 Kerzen zaubern konnten. Und irgendwann hat er mir gezeigt, dass es Restaurants mit gutem Essen gibt. Uns verbindet eine langjährige Restaurant-Freundschaft. Seit ein paar Jahren treffen wir uns in größerer Gruppe alljährlich zum Spargelessen in Beelitz und zum Gänsebraten in der Weihnachtszeit. Seine Lebensgefährtin lernte ich bei so einer Gelegenheit kennen. Es dauerte einige Zeit, bis wir ausführlicher miteinander sprachen. Heute erfahre ich viel über ihr ganz besonderes Leben, über die verschlungenen Wege der Liebe, ihre Arbeit als Ärztin, Schicksalsschläge. Wir essen, trinken Sprudelwasser und lachen sehr viel.