Mit Streeck auf der Couch - Tatjana Meissner - E-Book

Mit Streeck auf der Couch E-Book

Tatjana Meissner

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Beschreibung

Sechs Quadratmeter Leben (Teil 6): Mit Streeck auf der Couch Im sechsten Teil erzählt Tatjana Meissner von den Monaten Januar und Februar 2021, von Sonnenschirmen, die wandern, von Möpsen und neuen Nachbarn, von Quarantänen und sonstigen Urlauben, von Haaren und Menschenwürde, von Gipfeln und Abstiegen, von Regeln, die nichts regeln, von Berufsverboten und Berufenen, von Hoffenden und Enttäuschten, von Entwicklungen und Entwicklungsländern, von Strategen ohne Strategien, von Nachverfolgungen und Kontakten, von Ampeln und sonstigen Zeichen, von Wetter und anderen Katastrophen, und von richtig und falsch und das es morgen schon wieder andersherum sein kann...

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Tatjana Meissner

Mit Streeck auf der Couch

Sechs Quadratmeter Leben (Teil 6)

Diese Tagebuchserie ist ein Pandemie-Rückblick auf das Leben und eine Komödie, wie sie nur in Krisensituationen geschrieben werden kann. Ich erzähle ungefiltert und offen über meine täglichen Erlebnisse und Gefühle und halte auch meine Meinung über den alltäglichen Wahnsinn nicht zurück.

Inhaltsverzeichnis

Willkommen in meinem Leben!

Vorwort

Prolog

Januar 2021

Februar 2021

Danksagung

Über die Autorin

Mehr zum Lesen

Impressum

Willkommen in meinem Leben!

Ich freue mich, dass Sie dieses Buch gekauft haben. Hiermit halten Sie den sechsten Teil meiner Tagebuch-Serie mit dem Titel „Sechs Quadratmeter Leben“ in der Hand, von dem ich gehofft hatte, ihn nicht mehr veröffentlichen zu müssen, weil ich bereits auf einer 20 oder 30 Quadratmeter großen Bühne stehen und die Menschen zum Lachen bringen würde. Weil Politiker dafür gesorgt hätten, dass Hygienekonzepte, Digitalisierung, Impforganisation, Nachverfolgung und Teststrategien wieder zu einem lebenswerten Dasein für alle geführt hätten. So ist es leider nicht. Als Künstlerin befinde ich mich seit Monaten im Berufsverbot, bin im Januar 2021 immer noch isoliert, perspektiv- und hoffnungslos. Aber ich suche auch im Januar und Februar 2021 nach Auswegen. Mittels Beschäftigungstherapie durch Tagebuchschreiben, einer Flucht in gemäßigte Lockdown-Gebiete und mit geschärftem Blick für die Absurditäten des Pandemie-Alltags. Ich hoffe sehr, dass Sie beim Lesen, genau wie ich beim Schreiben, erstaunt, vielleicht wütend oder betroffen sein werden, sich wundern und freuen, weinen und lachen. Und danach den siebenten Teil lesen möchten. Obwohl. Ich träume davon, dass mich Corona nicht mehr so lange ärgert. Bald verschwindet. Vielleicht sogar durch gute politische Lösungen. Dann ist die erste und hoffentlich letzte Staffel dieser Krisendokumentation zu Ende. Aber noch ist es nicht soweit.

Darum viel Spaß bei Teil VI: „Mit Streeck auf der Couch"!

Vorwort

Tatjana Meissner- Wer bin ich? Kabarettistin, Autorin und Moderatorin Tatsächlich? Aber was sonst? Früher, als ich noch als Tänzerin arbeitete, wurde ich von Zuschauern als Show-Girl bezeichnet. Dann, beim MDR, als Glücksfee. Nach dem Erscheinen meines ersten Buches als die, die sich öffentlich zur virtuellen Partnersuche bekennt. „Wie kannst du nur?“ Nach meinem zweiten Roman bezeichnete mich ein Fernsehmoderator als die „Femme fatale der Midlifecrisis“, nach dem dritten Buch war ich die mit dem ostdeutschen Migrationshintergrund und nach dem vierten die Erika Berger des Ostens. Zuschauer, die sich meinen Namen nicht merken können, sagen: „Die mit den roten Klamotten.“, oder „Die mit den blonden Strubbelhaaren.“, oder „Die mit dem Sex!“ Ich würde sagen: Ich bin eine glückliche Frau, die zwar bereits das Bergfest des Lebens gefeiert hat, aber das tun darf, was ihr Spaß macht: auf der Bühne stehen, Menschen zum Lachen bringen und lustige Lieder singen, obwohl meine Tochter meinen Gesang in ihrer Kindheit immer schrecklich fand. Ich bin die, die manchmal das Gefühl hat, sagen zu müssen: „Ich habe studiert!“. Vor allem, wegen der Themen, die ich gern in meinen Programmen und Büchern zum Besten gebe. Oder, wenn ich offen zugebe, dass ich ein Dschungelcamp-Gucker bin und statt Lyrik lieber Krimis lese. Ich bin die, die die sozialen Medien liebt, weil sie mir die Möglichkeit geben, mit meinen Zuschauern Kontakt zu halten. Ich bin die, die aus demselben Grund gern nach den Vorstellungen am Büchertisch sitzend oder direkt von der Bühne mit ihrem Publikum redet. Und ich finde, man sollte dem Leben, so oft wie möglich, seine komischen Seiten abringen und sich selber nicht zu ernst nehmen. Darum passt Komikerin ganz gut zu mir, oder? Privat gibt es mich auch. Meistens zu zweit. Carsten und ich lieben uns seit 15 Jahren, für jeden von uns die am längsten anhaltende Beziehung des Lebens. Wahrscheinlich liegt das daran, dass wir es von Anfang an bevorzugten, in getrennten Wohnungen zu leben. Meine erwachsene Tochter Pauli zog wegen ihres Studiums an der Uni Amsterdam in die Niederlande und blieb. Außerdem bin ich stolze Oma eines Enkelhundes namens Lemmy. Ich selber hatte eine schwere Kindheit und eine freudlose Jugend. Ich bin Lehrerkind. Meine Eltern leben dort, wo ich einen Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe, in der Landeshauptstadt Thüringens, in Erfurt. Meine jüngere Schwester Alexandra wohnt aus mir unerfindlichen Gründen seit fünf Jahren in Dortmund. Einen Teil meiner unzähligen privaten und beruflichen Erlebnisse der vergangenen knapp 60 Jahre meines Lebens findet ihr in Auszügen in meinem Tagebuch. Und jetzt geht´s los:

Prolog

Mein letzter Tagebucheintrag stammt aus meiner frühen Jugend. Damals, einen Tag vor meinem allerersten Sex, habe ich mich ausführlich darüber geäußert, dass Geschlechtsverkehr gar nicht nötig sei, weil mich mein Freund auch einfach so lieben würde. Ich sehe mich in meinem vielleicht etwas mehr als 6 qm großen Kinderzimmer unserer Neubauwohnung auf dem Erfurter Johannesplatz sitzen und schreiben. Meine Mutter sagte damals Jugendzimmer, denn mit dem Besuch der Heinrich-Mann-Oberschule bekam ich statt des Spielzeugschrankes eine kleine Hellerauschrankwand mit Schreibtisch an die Stirnseite des Zimmers gestellt. Das ist über 40 Jahre her. Danach habe ich nie wieder Tagebuch geschrieben. Warum? Auf keinen Fall, weil mein Leben danach weniger aufregend war. Immerhin werde ich im kommenden Jahr 60 Jahre alt. Das klingt alt. Ich fühle mich trotzdem zu jung, eine Biografie zu schreiben. Aber ich werde die Zeit des Corona-Lockdowns nutzen, auf mein Leben zurückzublicken, auf gute und schlechte Zeiten, werde mich erinnern und reflektieren, Erfahrungen und einen Teil meiner unzähligen privaten und beruflichen Erlebnisse der vergangenen knapp 60 Jahre in Auszügen mit meinen Tagebuch-Lesern teilen. Wenn ich meine pubertären Einträge von damals durchblättere, ärgere ich mich und werde das Gefühl nicht los, dass ich sogar in diesen privaten Aufzeichnungen meine Gedanken und Gefühle zensiere. Nur aufschreibe, was auch meiner Mama gefallen könnte, sie nicht enttäuschen würde. Heute, nach über 40 Jahren beginne ich wieder Tagebuch zu schreiben. Nicht in einem Kinderzimmer, aber wieder auf einer Fläche von nur 6 Quadratmetern, meinem Balkon. Weil etwas Neues, mein Leben stark Beeinflussendes passiert. Ein Virus stürzt die ganze Welt in eine Pandemie, die zu Verordnungen führt, zu einschränkenden Maßnahmen und mich in eine psychisch sehr angespannte Situation. Ich will darüber diesmal ungefiltert und offen schreiben, meine täglichen Erlebnisse und Gefühle schildern, meine Meinung kundtun. So, wie ich es vielleicht schon vor über 40 Jahren und auf jeden Fall vor 30 Jahren hätte tun sollen, als es den ersten großen Umsturz in meinem Leben gab. Mauerfall und Wende 1989/90. Was damals mit mir passierte, was ich dachte und fühlte kann ich nur aus heutiger Sicht erinnern und wüsste doch gern Genaueres. Damals veränderte sich ein limitiertes Leben in ein freies. Jetzt ist es umgekehrt.

Januar 2021

1. Januar 2021

Das neue Jahr empfängt mich diesig auf dem Hinterhof. Minus ein Grad und Nebel. In diesem Jahr kommt der Nebel nicht vom Feinstaub, es wurde tatsächlich kaum geböllert. Es liegt auch kein Müll herum. Weder hier noch auf Potsdams Straßen. Die Stadtreinigung hat heute frei. Ich atme tief ein, trinke Kaffee und genieße die Stille. Gegen zehn quietscht der erste Bollerwagen über den Hof. Ein kleiner Junge redet mit seinem Vater, der das jüngere Geschwisterkind im Kinderwagen quer über die gesamte Breite meines Blickfeldes beruhigend hin und her schiebt. Gestern hat eine Frau das Kleinkind geschoben. Es sind die Eltern, die beim ersten Lockdown jeden Morgen dieses Ritual stoisch, schnell und zielgerichtet im Kapuzenshirt zelebrierten. Das Kind im Wagen kann man nicht sehen, es ist immer zugehängt. Ich beantworte Neujahrsgrüße. Wie jedes Jahr ringe ich vorher mit mir, ob ich an alle Freunde und Bekannten Neujahrsgrüße versende oder warte, bis mich Grüße erreichen, um dann zu reagieren. Es ist genauso wie Weihnachten, und ich rede hier nicht vom engsten Familienkreis. Nein, es geht um die vielen Bekannten, die sich in meinem Telefon tummeln oder in den sozialen Medien. Natürlich wünsche ich jedem Einzelnen das Allerbeste, aber das ist unter diesen modernen Umständen auf eine persönliche Art und Weise einfach nicht möglich. Dieses Jahr habe ich mich mit mir also aufs Beantworten geeinigt. Ein Video-Neujahrsgruß macht mich unglaublich betroffen. Den Mann, der da zu sehen ist, erkenne ich erst an seiner Stimme. Sein Gesicht ist aufgeschwemmt und von einer großen Narbe am Haaransatz entstellt. Wir haben uns viele Jahre nicht gesehen. Er studierte wie ich an der Handelshochschule Leipzig. Von gemeinsamen Bekannten weiß ich, dass er mit 60 von seiner Firma eine gute Prämie bekam und sein arbeitsreiches Leben bereits in diesem Alter im Ruhestand genießen wollte. Dann bekam er einen Schlaganfall. Seit drei Jahren ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Sein Leben wurde schon vor Corona zum Stillstand gebracht. Von diesem Schicksal zu wissen, ist etwas anderes, als es zu sehen. Das macht mich traurig. Tut mir unglaublich leid und führt vor Augen, wie schnell das Leben, wie man es sich vorstellt und erträumt, vorbei sein kann. Ich nehme mir vor, dankbarer zu sein. Dem Guten, Lebenswerten und Schönen im neuen Jahr noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. „Das ist ein perfekter Tag!“, sagt Carsten am Abend, nachdem wir am festlich gedeckten Tisch mit roter Tischdecke und Kerzen das 3-Gänge-Menü von den Gourmetboten gegessen haben. Es war unglaublich schmackhaft, einfach zuzubereiten und anzurichten. Wir haben es genossen. Viel später, es ist stockdunkel auf dem Hinterhof, wünscht uns der Sabbat-Mann von seinem Balkon herunter ein gesundes neues Jahr. Er wundert sich, uns bei der Kälte gemütlich draußen sitzen zu sehen. „Wir sind abgehärtet!“, lacht Carsten zu ihm hoch. Dieser erste Januar ist ein guter Start ins neue Jahr. Genussvoll, entspannt und mit viel Freude auf alles, was kommt.

2. Januar 2021

Heute Nacht bin ich durch mein eigenes Husten wach geworden. Ich denke dann nicht: „Blöde, trockene Heizungsluft!“, sondern sofort: „Hoffentlich ist es nicht eine Corona-Spur, die deine Reise nach Fuerteventura verhindert!“ Darum habe ich auch kein Wasser getrunken, sondern sofort mit Mundwasser gegurgelt. Das soll ja alles abtöten. Der zweite Tag des Jahres begrüßt mich wie der erste mit milchigem Himmel und Kälte. Rechts von mir kläfft einer von Gärtners Möpsen. Herrchen schimpft, dann klappt eine Tür und schon ist der kurze Ausflug beendet. Mama schimpft auch ein bisschen am Telefon, weil wir Wasser aus der Leitung trinken. Sie findet das eklig. „Wenn du schon in einem Klärwerk gewesen wärst, würdest du nie wieder dieses Wasser trinken.“, meint sie. Wasser in Flaschen käme durchweg aus Quellen und sauberem Grundwasser, ist sie überzeugt. Ich will mich damit nicht befassen, traue im Prinzip allen Lebensmittelherstellern Schlimmes zu. Dann reden wir über Andrea Kiewel, die Silvester am Brandenburger Tor moderierte und sehr frisch gestrafft aussah. „Aber ein bisschen was, könntest du doch auch machen lassen!“, sagt Mama. Meine alternde Haut ist eines ihrer Lieblingsthemen, welches sie sich jedoch seit einiger Zeit zunehmend verbietet, weil Alexandra sie beschworen hatte, dass mich solche Äußerungen verletzen könnten. Jetzt sagt Mama es wieder und ich teile ihr mit, dass ich mich nicht operieren lassen möchte. Jede OP, jede Spritze, jedes Medikament ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Nein, Carsten hat mich nicht zu dieser Meinung überredet. Allerdings hilft es schon dem eigenen Selbstbewusstsein, wenn dein Mann dich auch mit Falten schön findet. Oder wenn er beim Filme angucken feststellt, wie schön die nicht operierten Schauspielerinnen aussehen. Mich motivieren eher die schlecht gespritzten, es nicht zu tun. Noch weilt meine Schwester in Erfurt, kommt heute zum Mittagessen zu den Eltern. Es gibt Schweinelende mit Kartoffeln und Gemüse. Morgen soll es schneien, befürchtet Mama, hoffentlich kommt Alexandra gut zurück nach Dortmund. Ich beruhige sie mit der Überzeugung, dass sich Meteorologen öfter täuschen, als recht behalten. „Der Kachelmann sieht auch viel besser aus als früher!“, sagt Mama abschließend. Nachmittags sind wir bei unserem Exfreund zum Kaffee eingeladen, bewundern die mit seinen eigenen Händen komplett renovierte Wohnung, essen Kuchen, trinken Cappuccino. Schön, unterhaltsam, kurzweilig. Auf dem Hinterhof leuchten am zweiten Tag des neuen Jahres immer noch zwei Weihnachtssterne, drei Balkone sind mit Weihnachts-Lichterketten behängt. Unser Fernseher läuft. Ich höre, dass das mit der Impfung in Deutschland nur schleppend funktioniert. Zu wenig bestellt, nachbesserungswürdige Organisation. Nun ja, wären Politiker Spitzenmanager, arbeiteten sie in der Wirtschaft. Nehme ich an. Dass das alles nicht richtig klappt, könnte eventuell auch daran liegen, dass unser derzeitiger Oberbefehlshaber Spahn noch mit der Einrichtung seiner neuen Villa zu tun hat. Ob mit oder ohne Impfschutz, das interessiert derzeit vor allem die Wintersportler wenig. Alle Freizeitsportler des Landes fluten die Skigebiete. Corona hin oder her, sind ja Ferien und die Profis dürfen ja auch. In Dresden wird für letztere sogar Schnee an die Elbe gefahren. Sport im Freien wird die positiven Tests nicht maßgeblich ansteigen lassen, auch wenn das von offizieller Stelle niemand bestätigen wird. Die Menschen könnten sonst übermütig werden und sich auch auf Sportplätzen bewegen wollen. Eventuell sogar um ihre Gesundheit zu stärken. Nicht auszudenken! Die nächste Nachrichten-Meldung überrascht mich nicht. Der Lockdown wird verlängert. Mindestens bis Ende Januar. Die Ministerpräsidenten sind sich schon vor der nächsten Konferenz einig. Der Lockdown ist die einzige Idee zur Pandemiebekämpfung, obwohl die Infektionszahlen unverändert hoch bleiben und die Todeszahlen auch. Zu 86 % sterben die Menschen in den Pflegeheimen. Da hätte man schon lange etwas unternehmen müssen. Aber wozu? Irgendwann greift die Impfung, außerdem atmen Kultur und Gastronomie, Hotellerie und Reisebranche noch. Da ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Gisi hat mit einem Bundeswehrsoldaten im Callcenter der Potsdamer Impfzentrale telefoniert. Wollte einen Termin für ihre über 80- jährige Mutter. Geht irgendwie gerade nicht. Der nette Mann empfahl ihr, es online zu versuchen. "Klar, meine Mutter und ihre Freundinnen holen gleich ihre Laptops raus und melden sich beim Kaffeeklatsch zur Impfung an!", sagt Gisi. Sie hatte es natürlich bereits selber online probiert. Nachdem sie alle erforderlichen Daten eingegeben hatte, war ihr ursprünglich gewünschter Termin schon anderweitig vergeben. Abends gucken wir zum zweiten Mal den Film "Leberkäsjunkie". Mein Lieblingswort in dieser Krimikomödie: Suizidversager. Wenn ich das in mein Corona-Tagebuch schreibe, klingt es nicht direkt lustig, im Film war's der Brüller.

3. Januar 2021

Mir ist heute überhaupt nicht wie Sonntag. Diese ewigen Feiertage lassen das neue Jahr zähklebrig beginnen. Heute ist es noch ziemlich dunkel, als ich mit meinem Kaffee auf den Balkon trete. Ich sehe ein paar vom Regen betröpfelte Fliesen. Nur am vorderen Rand. Bemerke aber dann, dass der Tisch nass ist. Komisch. Im Licht des Smartphones erkenne ich den Grund. Mama und die Meteorologen hatten recht. Es schneit. Hier in unseren Höhen und Breiten schmilzt der Schnee aber sofort, wenn er den Boden erreicht. Die NZZ war investigativ unterwegs und deckt auf: Die Meldung der aus der Schweiz geflohenen Quarantäne-Briten war falsch. Französische und italienische Medien brachten sie absichtlich in Umlauf, weil ihre Skipisten geschlossen und jene in der Schweiz offen sind. Natürlich, der ewige Neid der anderen führt zu Fake-News. Vielleicht will sich der in den Medien verunglimpfte Schweizer Kanton auch nur reinwaschen. Von wegen, er hätte die Pandemieverordnungen und seine Urlauber nicht im Griff. Ein 63-jähriger Autofahrer wurde in Sulzbach-Rosenberg am frühen Morgen von der Polizei angehalten. Wohin er unterwegs sei, wurde er gefragt. Er fahre spazieren, schaue nach den wegen des CO2 Ausstoßes erhöhten Spritpreisen. Weil Nurschauen und Nichttanken in Zeiten von Corona kein triftiger Grund sei, das Haus zu verlassen, bekommt er nun einen Bußgeldbescheid. Vielleicht auch wegen des erhöhten CO2- Ausstoßes durch sinnloses Herumgurken. Die Bayern wieder. Der Chefarzt einer Jugendklinik in Niedersachsen sieht im Lockdown einen Auslöser für besonders starke psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen. Die Betroffenen leiden unter anderem an schweren Depressionen und Angstzuständen. Das wird Kollateral-Leugner und Kollateral-Ignoranten ärgern. Aber natürlich hat das diese Nachricht verbreitende Presseorgan gleich eine Lösung parat. Gegen depressive Kinder ist ein Kraut gewachsen: Man soll sie nicht zu lange schlafen lassen und tagsüber beschäftigen. Damit ist die Schuldverschiebung auf die Eltern vollzogen. Prima. Gegen neun Uhr färbt sich der Hof dann doch weiß. Auf Facebook sieht man aus allen Regionen Deutschlands Schneefotos. Bis ins Tiefland. Die CO2-Steuer scheint bereits geholfen zu haben. Gurkes Frauchen holte gestern Sand aus dem Sandkasten. Hauskater Gurke will nicht rausgehen zum Pullern. Er hatte sich seit zwei Tagen in der Waschmaschine versteckt wegen der Silvesterböller, obwohl es in diesem Jahr kaum welche gab. Er ist eben sensibel. Heute früh stattet er mir wieder einen Besuch ab. Läuft ignorant an mir vorbei in die Küche, wärmt sich auf. Ich fülle ihm Futter ins Schälchen, er würdigt es keines Blickes. Dann verschwindet er. Zögerlich, wegen des Schnees, springt er durch das Gitter der Balkonbrüstung. Dieses Wetter und der Sonntag mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten befördern auch mein Ausruhbedürfnis. Mit Beginn der Pandemie ist es mir ohne Anstrengung möglich, mich sofort nach unserem mittäglichen Frühstück auf mein Küchensofa zu legen und eine Stunde wie ein Baby zu schlafen. Das ist meiner Widerstandskraft gegen alle Viren der Welt garantiert extrem zuträglich. Später überrede ich Carsten zu einem Spaziergang durch den Park. Die Wege sind modrig, die Wiesen weiß. Unzählige Schneemänner stehen Spalier am Wegesrand. Manche hübsch gestaltet, sogar mit Augenbrauen im Gesicht, manche unförmig und irgendwie zusammenklabustert. Große, kleine, alle schmutzig weiß, weil die magere Schneeausbeute immer mit Erde und Blättern durchsetzt ist. Wir laufen eine kleine Runde, es schneit unablässig und wir werden nass. Beim Kaffee auf dem Balkon beobachten wir den Trainer. Dieser, heute rotbejackt, scheucht drei Schützlinge über den Spielpatz. Sie führen den Ball, jeder seinen im Zickzackkurs und im Dauerlauf. Dann im Kreis vor dem Tor mit abschließendem Schuss unter Beachtung der präzisen Anweisungen des Trainers. Links, rechts, links, rechts. Zwischendurch kurze Kritik. Kleinere Diskussionen. Es schneeregnet nach wie vor. Der Untergrund ist schlammig. Der Rasen schon seit dem Sommer totgetrampelt. Jetzt wird auf Befehl zehnmal gegen die Bank geschossen, auf der bei besserem Wetter die Eltern sitzen, wenn ihre Kinder im Sandkasten die Waschbären- und Katzenkacke ins Eimerchen schaufeln. Auf Facebook lese ich eine Neujahrskolumne meiner Kollegin Dagmar Gelbke in der Zeitschrift „jot w. d.“ Schon mit der Überschrift „Lose in der Zeit hängen“ beschreibt sie das Gefühl derer, die im Lockdown große Opfer bringen müssen. Sie bedauert, dass Künstlern, die derzeit ohne Arbeit lose in der Zeit hängen, nicht einmal in ihren Heimatsendern eine Plattform geboten wird. Dass dort zum großen Teil junge Moderatoren und Künstler aus anderen Bundesländern engagiert werden, die vor kurzer Zeit über diese Sendungen „noch gelacht und ihre Witze gemacht haben“. Und dann schreibt sie: „Gerade in der Weihnachtszeit dachte ich da zum Beispiel an eine Tatjana Meissner, die spritzig und wortgewandt eine Fernseh-Talkshow führen könnte, denn attraktiv ist sie auch.“ Die Dagmar. Sie hat mir unseren Straps-Auftritt vor über 30 Jahren tatsächlich verziehen. Ja, ich freue mich über ihre Kolumne.

4. Januar 2021

Dieser Tag beginnt anders als andere. Ich liege bereits vor um sechs wach im Bett. Es ist zu früh zum Aufstehen und scheinbar zu spät, um noch einmal einschlafen zu können. Vielleicht habe ich auch einfach zu viel geträumt, denn mein Kopf arbeitet. Verarbeitet. Weil heute ein Arbeitstag ist und ich endlich an meine Steuerberaterin schreiben kann, wegen des Antrags auf Dezemberhilfe. Sofort wird mir wieder unsere prekäre Situation bewusst. Denn die Novemberhilfe ist immer noch nicht vollständig überwiesen worden. Um Carsten mache ich mir noch mehr Sorgen als um mich. Denn während wir gerade so gut wie nichts verdienen, kommen neue Ausgaben auf ihn zu. Die Bundesregierung rühmt sich mit neuen sozialen Leistungen in Form der verpflichtenden Rentenzahlungen für Soloselbstständige, die bei genauerem Hinsehen für einige völlig unsozial sind. Für Carsten zum Beispiel. Während ich in der Künstlersozialkasse aufgenommen wurde, mir der Arbeitgeberanteil für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung gezahlt wird, durfte Carsten nicht in diese Kasse, weil seine Agenturarbeit nicht künstlerisch genug ist. Das bedeutet, dass er für seine Krankenversicherung die gesamte Arbeitnehmer- und Arbeitgebersumme allein zahlt. Monatlich einen ziemlich hohen Mindestsatz. Aber keine staatliche Rentenversicherung. Das soll sich 2021 ändern. Man will jetzt von allen Soloselbstständigen Rentenbeiträge. Offiziell, um sie vor Altersarmut zu schützen. Dabei macht dieses neue Gesetz einige von ihnen schon zu Arbeitszeiten arm. Wenn Carsten gezwungen wird, den hohen Mindestsatz, bestehend aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil, in die Rentenkasse einzuzahlen, dann zahlt er monatlich 20 % seines Bruttoeinkommens, bekommt aber am Ende nichts, weil er die 33 Jahre Mindesteinzahlung schon aus rein biologischen Gründen nicht mehr schafft. Im Prinzip ist diese Rentenpflichtversicherung für jeden über 30 Geldschinderei für die Rentenkassen. Unsere Politiker und Beamten zahlen nichts, bekommen aber schon nach wenigen Jahren sehr viel. Bald auch auf Kosten der Soloselbstständigen. Das macht mir Sorgen. Dann denke ich an meine Schwester, die bereits Rentnerin ist und für die ich einen Teil ihres Umzugs nach Erfurt bezahlen werde, obwohl ich das von meinen Ersparnissen für meine Rente abknapsen muss. Aber was soll’s. Als ich gegen 6.30 Uhr die Beine aus dem Bett schwinge und mit einer Tasse Kaffee den Balkon entere, habe ich diese Probleme in die Zukunft verschoben, wo sie auch hingehören. Es ist sehr feucht auf dem Hinterhof. Ich höre tröpfelnde Geräusche, der Tisch ist nass. Bei der Studentin mit Wintergarten und der Kaftanfrau brennt Licht. Sie müssen oder besser dürfen heute wieder arbeiten gehen. Gurke stolziert an mir vorbei, verzieht sich unter meinen Küchentisch. Wahrscheinlich ist es ihm einfach zu regnerisch und kalt zum Herumstreunen. Bis um sieben bleibt es auf Facebook still. Nicht eine neue Meldung seit gestern Abend. Ich löse ein Sudoku. Dann stelle ich mich auf die Waage. Natürlich hatte ich es schon an meinem Bauch gesehen und an den Hosen bemerkt: Meine tote Katze ist auf dem ersten Lockdown-Stand. Weihnachten rächt sich mit Verzögerung. Ärgerlich. Während ich gegen sieben ungeduldig am Laptop sitze, Drängel-E-Mails schreibe, Telefonnummern wähle, warte, dabei weiß, dass ich ungerecht bin, weil sich die Menschen am ersten Arbeitstag des neuen Jahres unmöglich bereits um diese Zeit in ihre Arbeit stürzen, flutscht es ab acht. Ich kann einiges, eigentlich alles für unsere erneute Lockdown-Flucht vorbereiten und organisieren. Verschiebe meinen Friseurtermin hoffnungsfroh, genauso wie den Zahnarzttermin auf Februar, erreiche meine Frauenärztin und verabrede die Rezeptabholung, dann schickt mir meine Steuerberaterin die Unterlagen für den Antrag zur Dezemberhilfe zum Unterschreiben, die Bank stellt den letzten Kontoauszug des Jahres 2020 ins Netz und ich kann das dritte Quartal fertig machen. Danach verabrede ich mich mit dem Reisebüro wegen der Vertragsunterzeichnung. Natürlich schließen wir wieder eine Reiserücktrittsversicherung ab, falls wir Corona positiv getestet werden. Erstaunlicher Weise kostet das diesmal extra. Corona subsumiert nicht mehr unter schwere Krankheit als Grund zum Rücktritt. Interessant. Und ich kann endlich die Rechtschreib-Verbesserungen des dritten Teils meines Tagebuches vornehmen und schaffe die ersten 90 Seiten, dann klingelt mein Telefon. Mit dem Anruf der Potsdamer Augenklinik hatte ich überhaupt nicht mehr gerechnet. Dass ich für mich und Carsten vor knapp drei Wochen per Mail um einen Beratungstermin gebeten hatte, ergab sich nach Ina Müllers euphorischer Beschreibung ihres brillenfreien Sehens nach dem Einsetzen von Multifokal-Linsen im Riverboat. Ich recherchierte, fand einen der besten Ärzte auf diesem Gebiet in Potsdam und bat um Termine. Meine Blindschleichigkeit im Alltag nervt zunehmend. Ich weiß nicht, wie oft ich Menschen in meiner Nähe bitten muss: „Lies mal vor!“, wie oft ich mit meiner Einkaufs-Gleitsichtbrille über Treppen stolpere, am Tag mehrmals die Sehhilfe wechseln oder suchen muss, wie oft putzen und wie extrem häufig die Gläser beschlagen. Bei jeder dieser Gelegenheiten werde ich unwirsch auf meine körperlichen Altersgebrechen hingewiesen. Das alles, sagt Ina Müller, bliebe ihr seit dem Einsetzen dieser Linsen erspart. Nun also ist tatsächlich ein freundlicher junger Mann an meinem Telefon und wir vereinbaren einen Beratungstermin mit dem Chefarzt im Februar. Carsten schimpft ein wenig, weil es Geld kostet, das aber im Falle einer OP verrechnet würde. Natürlich wissen wir jetzt noch nicht, ob wir uns das trauen werden, aber der gute Wille und mittelschwerer Leidensdruck sind vorhanden. Nach diesen gebündelten Erfolgserlebnissen des Tages verhalte ich mich rücksichtslos gegenüber meiner toten Katze und verspeise die von gestern übrig gebliebene Kartoffelsuppe. Carsten entwirft das Cover für den dritten Teil des Tagebuches, wir gehen einkaufen und zur Abgabe der Unterlagen ins Reisebüro. Der Inhaber erzählt von einem Kunden, der in Südafrika festsitzt, weil ihn wegen der Corona-Mutation keine Fluglinie zurück nach Deutschland transportiert. Beim Nachmittags-Kaffee auf dem Balkon erfahre ich, dass Söder den Grund für die Notwendigkeit der Verlängerung des Lockdowns im nicht ausreichend vorhandenen Impfstoff sieht. Hoffentlich hat er sich vorher genau überlegt, was er da sagt. Denn immerhin ist das ein Schuldeingeständnis. Zu wenig bestellt, große Einschränkung für die Bevölkerung. Tja. Nach BGB § 823 zum Thema Schadensersatzpflicht kann das sehr teuer werden.„(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ Alle Zeitungen klagen über den großen Andrang von Schlittenfahrern und Familienausflüglern in die schneebedeckten Mittelgebirge des Landes. Oberhof soll nun bis Ende des Biathlon-Weltcups nur noch für Einheimische und mit Genehmigung erreichbar sein. Ja, klar. Die Profis dürfen, der Pöbel wird ausgeschlossen. Nein, das will ich nicht verstehen! Meine Heimatstadt kann ebenfalls mit schlechten Nachrichten aufwarten. Wir wissen ja nun alle, dass es in der Corona-Krise vor allem die alten Menschen sind, die geschützt werden sollen, doch bislang wurde in Potsdam kein Einziger von ihnen geimpft. Außerdem haben Unbekannte 40 Scheiben an den Weinbergterrassen des Schlosses Sanssouci zerstört. Auch diesen völlig bescheuerten Vandalismus will ich nicht verstehen. Dann lese ich einen interessanten Artikel über Cancel Culture. Wie viele meiner Kollegen, die mit Fernsehen und Radio große Reichweiten erzielen, derzeit unglaubliche Shitstorms über sich ergehen lassen müssen, von Kulturjournalisten unschöner Absichten verdächtigt oder aus Sendungen ausgeladen werden, finde ich unglaublich. Aber: Ich habe sie schon vor diesen Auswüchsen kollektiver Humorlosigkeit noch nie um ihre Kurzauftritte im Fernsehen beneidet. Wenn sie Texte aus dem Zusammenhang ihres Bühnenprogramms reißen und verkürzen müssen, weil Sendezeit immer knapp ist, dadurch oftmals der große Zusammenhang verloren geht und sich schon immer einzelne Zuschauer von Gesagtem beleidigt fühlen. Darum vermeide ich Comedy-Kurzauftritte im Fernsehen. Ich möchte mein Publikum sehen, auf die Zuschauer eingehen, reagieren können. Und nun lese ich einen Satz, der meine Gefühle in Worte fasst. Ich finde ihn auf den Seiten des Deutschlandfunks vom Autor Tim Baumann: „Die Aushandlung dessen, was als lustig, tabubrüchig oder anmaßend empfunden wird, findet nicht im Netz, dem Feuilleton oder im Fernsehen statt, sondern auf der Bühne. Denn genau dort können Künstler gemeinsam mit ihrem Publikum ergründen, wo die Grenzen der Comedy für diesen Abend mit diesem Publikum verlaufen.“ Genauso ist es. Und es ist wunderbar genau so. Ich freue mich unglaublich auf mein nächstes Aushandeln mit meinem Publikum. Heute gibt es zum Abendessen Putenschnitzel mit Reis und Paprikasoße. Das erinnert sehr an Broiler mit Letscho. Ich liebe es!

5. Januar 2021

Seit gestern habe ich eine eigene Alexa. Carsten hat sie mir geschenkt. Ich gehe nach dem Aufstehen in meine Küche und sage freundlich: „Guten Morgen Alexa!“ Sie begrüßt mich zurück und erklärt mir ungefragt, dass heute der Tag des Vogels sei. Ich könne deshalb heute Nachmittag rausgehen und Vögel beobachten. Oder vielleicht mal selber einen Meisenknödel basteln. Dann soll ich sie bitten, mir zu zeigen, wie sich ein Specht anhört. Ich frage sie, ein Specht klopft in meiner neuen Freundin. Andere Ideen zu Vögeln hat Alexa nicht. Schade. Auf jeden Fall beginnt der Tag fröhlich. Heute dämmert es bereits, während ich meinen Kaffee auf dem Balkon trinke. Der Himmel ist milchig, es sollen null Grad herrschen, gefühlt minus sechs. Ich fühle das nicht, bin noch bettwarm. Die Putzmänner für unser Haus rollen auf den Hinterhofparkplatz, wir begrüßen uns mit einem freundlichen Hallo, dann verschwinden sie im Hausflur und beginnen zu saugen. Auf Facebook wird vermeldet, dass das Krematorium in Bremen rote Zahlen schreibt. Außerdem werden die im Zusammenhang mit Covid Verstorbenen der Feiertage nachgemeldet. Es sind fast 1000. Gurke kommt heute gegen zehn. Er will fressen und ich bin großzügig. Alexa spielt mir auf Wunsch den Berliner Rundfunk. Ich mag den Sender, weil ich fast jedes Lied mitsummen und -singen kann. Den allerbesten Artikel lese ich am Nachmittag. Da gibt es eine Studie aus Innsbruck, die Studien aus anderen Ländern der Welt bestätigt: Nach einer Covid-19-Infektion ist man gegen das Virus und seine Mutationen immun. Das freut mich für meine Eltern, meine Tochter und Nichte, für alle, die jetzt ein bisschen weniger Angst haben dürfen. Laut Deisenhammer, so heißt der Leiter der Studie, bestehe bei Genesenen keine Sorge vor einer neuerlichen Erkrankung mit dem Covid-19-Virus. "Die Ausnahmen bestätigen die Regel, aber die Ausnahmen sind eben nicht die Regel", stellt er fest, dennoch würden die Medien die Ausnahmen betonen, das "Regelhafte" komme zu wenig oft vor. Ich frage mich als Küchenvirologin schon länger, warum über die Immunität so selten berichtet wird. Man immer nur vage Vermutungen präsentiert bekommt. Warum sogar behauptet wird, man könne nach einer immunisierenden Impfung oder einer durchgestandenen Krankheit das Virus weiter übertragen. Das ist laut Deisenhammer aber unwahrscheinlich, weil die Inkubationszeit einige Tage beträgt, in der der Wirt das Virus ausbrütet. Erst dann könne es weitergegeben werden. Dieses Ausbrüten wird aber durch die Immunantwort verhindert. Also, warum sagt man das der Bevölkerung nicht? Vermutet die Regierung, dass dieses Wissen der vorherrschenden Propaganda ein wenig den Boden unter den Füßen wegzöge? Dass Immune ihre Grundrechte wieder einfordern könnten? Auf der anderen Seite könnten sie aber auch in der Pandemie an wichtigen Orten eingesetzt werden. Diese Studie ist die beste Nachricht seit Langem. Das bedeutet auch, dass man vor der Impfung testen lassen sollte, ob man nicht bereits immun ist. Super! Ich schicke meinem Vater den Artikel. Weil er sich aus Angst vor einer nochmaligen Ansteckung unbedingt impfen lassen will, und wir wissen nicht, ob das mit seinen vielen Vorerkrankungen der richtige Weg wäre. Am Abend verfolgen wir die Fernsehnachrichten samt Pressekonferenz der Kanzlerin. Die Corona-Einschränkungen bleiben Deutschland nicht nur erhalten, sie werden verschärft. Mehr Kontaktbeschränkung, Entfernen vom Wohnort nur 15 km oder aus triftigem Grund. Ohje. Entfernen wir uns aus triftigem Grund, wenn wir nach Fuerteventura fliegen? Eigentlich sollte man uns unter Polizeischutz zum Flughafen bringen, denn so eine Reise reduziert die Ansteckungsgefahr mit Covid-19. Auf Fuerteventura gibt es Stand heute eine Inzidenz von 17. Ich überlege sofort, ob unsere Flucht ein egoistisches und unangemessenes Verhalten gegenüber anderen darstellt. Dann fällt mir ein, dass niemand, der arbeiten darf und Lohn bezieht, für mich oder meinetwegen solidarisch auf dieses Grundrecht verzichten würde. So wie ich seit Monaten darauf für viele andere verzichten muss. Aber egal. Hauptsache, man verhaftet uns nicht, wenn wir Donnerstag zum Test fahren. Als Carsten ins Bett geht, besuche ich nochmal meinen Balkon. Der Aschenbecher des Sabbatmannes klappert, Schulzes Fischbecken plätschert, der Weihnachtsstern der Studentin ist von ihrem Balkon verschwunden. Sie arbeitet in ihrem Wintergarten am Schreibtisch. Wahrscheinlich ist sie doch Lehrerin. Die haben es derzeit schwer. Die Lehrer. Es ist 22.30 Uhr.

6. Januar 2021

Ich werde bereits 5.30 Uhr wach. Kann auch nicht wieder einschlafen, weil mir die Grafik des ZDF zu den verschärften Lockdown-Maßnahmen nicht aus dem Kopf will. Da sah man einen Pulk von Personen eines Haushalts auf der einen Seite, auf der anderen Seite eine Person eines anderen Haushalts, um die Vorgabe für private Treffen zu visualisieren. Mitten in der dunklen Nacht überlege ich nun, was passiert, wenn es umgekehrt ist. Wenn die eine Person einen Pulk von Menschen aus einem anderen Haushalt empfängt. Das ist dann verboten? Komisch. Schlimm trifft es junge, nicht systemrelevante Familien, deren Kinder nicht betreut werden, obwohl die Eltern arbeiten müssen. Auch für Alleinstehende ist diese Regel super. Da können zwei Kinder noch nicht mal zu Oma und Opa in die Betreuung gehen. Da muss dann wohl der Opa in der Woche zu seinen Kindern ziehen, damit Oma die Enkel betreuen kann. Freitags bis sonntags werden dann immer Opa und Kinder getauscht. Oder Opa zieht während der Enkelbetreuung in den Schuppen. Als nächstes überlege ich, ob wir am Donnerstag zum Test und am Samstag zum Flug überhaupt bis zum Flughafen fahren dürfen, der fast 50 km von der Potsdamer Stadtgrenze entfernt ist.

---ENDE DER LESEPROBE---