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Tatjana Meissner hat sich ins Männerkaufhaus Internet begeben; hat sich waghalsig, optimistisch und naiv ins virtuelle Single-Plattform-Getümmel gewagt, um unter Millionen von Bindungswilligen den einzig Richtigen zu finden. Während andere zu Recherchezwecken oder zur bloßen Unterhaltung diese moderne und scheinbar schnelle Form der Partnersuche nutzen, stürzte sich die Meissner ehrlichen Herzens, getrieben von Neugier, Hoffnung und Torschlusspanik von einem blind Date ins nächste. In ihrem Buch erzählt sie offen, ehrlich und authentisch, mit jeder Menge Humor und Selbstironie von ihren ganz persönlichen Erfahrungen, über Segen und Fluch der Partnersuche im WWW.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten.
Ohne ausdrückliche Genehmigung von Tatjana Meissner ist es nicht gestattet,
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oder in Datenbanken aufzunehmen.
© Tatjana Meissner, Potsdam,
Büro:
Art-things, Jörg Grimmer
Lennéstraße 43 a, 14469 Potsdam
www.tatjana-meissner.de
Umschlaggestaltung: buchgut, Berlin
unter Verwendung einer Illustration von Lesja Chernish
Die Bücher von Tatjana Meissner erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.
www.eulenspiegel.com
Tatjana Meissner
Liebe Freunde, Bekannte, Leidensgefährten und Interessierte, liebe Betroffene,
vieles, was hier in dem Buch aufgeschrieben wurde, ist so oder fast so passiert. Einige Details sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind trotzdem zufällig.
Mit diesem Buch geht der Dank an all jene, die in den optimistisch-depressiven Single-Zeiten zuhörten, Trost spendeten und gute Ratschläge gaben. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Schwester, Alexandra Winkler, die mir bei der Männersuche Freundin und beim Aufschreiben der Ereignisse Partnerin war.
Inhalt
Blind Dates
Beziehungsweise
Online
Buchhalter
Berlina
Virtuell geht nicht schnell
Querflöte
Bodytalk
Profile und Profilneurosen
Geografische Differenzen
XY-ungelöst
Carsten
Kontrolle
Der Verheiratete
Advocard
Konsequenzen
Kortschagin, Katze und andere Versuche
Vorauswahl und Pheromone
Rosenkavalier
Cybersex
Equivocal
Singleleben
Sex oder Liebe
XY-gelöst
Offline
Blind Dates
Das Thermometer zeigt dreiundzwanzig Grad minus. Potsdam ist kalt. Das Lenkrad ist kalt. Mir ist kalt. Ich habe die Ärmel des Pullovers über die Hände gezogen, so steuere ich meinen Wagen durch die Nacht. Der Luftstrom des Gebläses rauscht auf Hochtouren, warme Luft hüllt mich ein. Die Sitzheizung wärmt meinen Po. Trotzdem friere ich.
Das liegt sicher an dieser verflixten Erkältung, die ich mir aus dem Urlaub mitgebracht habe. Seit gestern fühle ich mich schlapp und müde, meine Lunge brennt und meine Nase läuft. Das alles geht zweifelsohne aufs Konto irgendwelcher karibischer Viren, die sich, der Karibik anscheinend überdrüssig, heimtückisch an mich geheftet haben und so nach Europa ausgewandert sind.
Ich kann nur hoffen, dass meine Immunabwehr inzwischen das Notfallprogramm gestartet hat und alle verfügbaren T-Killerzellen damit beschäftigt sind, den ungebetenen Gästen klar zu machen, dass sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben.
Missmutig schaue ich durch die immer noch nicht ganz aufgetaute Frontscheibe. Mein Weg nach Berlin führt mich über die AVUS. Keine Laterne wirft ihr Licht auf die stockdunkle Stadtautobahn.
Armes Berlin, denke ich, arm aber sexy!
Ich dagegen fühle mich unsexy, einsam und irgendwie falsch. Dabei hätte ich jeden Grund, mit der mir angeborenen optimistischen Grundstimmung ein bisschen aufgeregt und freudig-zuversichtlich durch die eisige Januarnacht zu fahren. Heute treffe ich zum ersten Mal meine neueste Internetbekanntschaft. Carsten. Ich wollte ihn sehen. Unbedingt.
Schon während meiner Urlaubswoche auf dem Clubschiff Aida fühlte ich mich verlassen, trotz des Trubels, der Partys und der vielen Leute um mich herum. Bei strahlend blauem Himmel unter südlicher Sonne sehnte ich mich nach Geborgenheit. Wieder zu Hause in meiner kleinen kuscheligen Zwei-Zimmer-Wohnung angekommen, besserte sich mein Zustand nicht. Das Gefühl der Einsamkeit wurde nur immer unerträglicher.
Mit glasigen Augen starrte ich auf meinen Küchenfernseher, in dem sich die Pärchen reihenweise in die Arme fielen, zerfloss in Selbstmitleid und haderte mit meinem Schicksal als Dauersingle. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und rief Carsten an.
Er nahm nicht ab und rief auch nicht zurück. Wie war das möglich? Ich verstand nichts mehr. Wir hatten uns doch versprochen, uns gleich nach meinem Urlaub richtig zu treffen, nicht nur im Chat oder am Telefon, wie in den vergangenen zehn Wochen.
Warum meldete er sich nicht? Die Frage nagte seit gestern an meinem Selbstbewusstsein.
Heute Nachmittag wählte ich dann zum dritten Mal seine Nummer, und diesmal unterdrückte ich vorsichtshalber meine eigene.
Tuuuut, tuuut! Bitte geh diesmal ran. Bitte!
»Ja, Carsten hier.«
»Hallo? Ich bin’s!«, rief ich erleichtert und setzte ziemlich cool nach: »Du, Carsten, heute Abend ist es soweit. Lass uns essen gehen!«
Eine peinliche Pause entstand. Mist, er hat mich vergessen. Tatsächlich – »Wer ist da?«, fragte er.
»Tatjana!«
»Ach, Tatjana.« Die Erinnerung kam also zurück. Aber klang das jetzt erfreut oder eher neutral? »Na, wie war dein Urlaub?«
»Schön, aber das würde ich dir gern persönlich erzählen. Und ich habe Hunger!«, antwortete ich und ärgerte mich im selben Moment, diese forsche Art nicht lassen zu können.
»Gerne, wann kannst du?«
»Ab 19.00 Uhr.«
»Kennst du das ›12 Apostel‹ am Savignyplatz?«
»Ja«, sagte ich und war zu befangen, einen Gegenvorschlag zu machen. Dabei hatte ich mir doch vorgenommen, mich beim ersten Treffen immer dort zu verabreden, wo ich jemanden kenne, der im Zweifel auf mich aufpasst. Man weiß ja nie …
»Dann warte ich da auf dich. Ich freu mich.«
»Bis gleich!«
Ach ja, Carsten … In knapp vierzig Minuten werde ich beim Italiener sitzen und – wie immer bei solchen Verabredungen – jeden Mann, der allein das Lokal betritt, genau anschauen und hoffen, er möge dem Foto im Internet wenigstens entfernt ähnlich sehen. Nur noch vierzig Minuten! Ein düsterer Gedanke blitzt kurz auf: Ob er da sein wird?
Ich hätte eigentlich auch gemütlich vor dem Fernseher sitzen bleiben und heiße Zitrone trinken können, anstatt mich jetzt mit der Frage rumzuschlagen, ob er vielleicht nur aus Höflichkeit zugesagt hat. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, schalte ich alle gespeicherten Programme meines Autoradios durch, bis ich einen Musiktitel finde, den ich mitsingen kann. »Mambo No. Five«, krächze ich und dichte, »A little bit of Steffen in my live, a little bit of Tino on my side, a little bit of Carsten lalalala, a little bit, tralalalalala!«
»Hatschi!«, ich suche nach einem Taschentuch in meiner Handtasche auf dem Beifahrersitz. Nichts! Meine Nase läuft. Super Voraussetzung fürs erste Date, denke ich und wühle angestrengt mit einer Hand in den engen Hosentaschen meiner Jeans. Heute bin ich anders als sonst bei meinen »first Dates« gekleidet. Berlin ist einfach zu arktisch in diesem Winter. Darum hatte ich keine Lust auf den körperbetonenden roten Pulli und meine Lieblingslackpumps. Ich entschied mich für Jeans, Rollkragenpulli, beige-braun kariertes Jackett mit Kapuze und die braunen Fellstiefel.
Vielleicht ist diese ungewohnte Verhüllung der Grund für die seltsame Stimmung, die gar nicht zu mir passt. Vielleicht habe ich aber auch schon zu viele Männer getroffen und will mir nun bloß nicht eingestehen, dass ich die Hoffnung auf den »einzig Richtigen«, den »Mann fürs Leben«, aufgegeben habe. Mag sein, ich habe so wenig Aufwand betrieben, unbewusst, weil ich nach viel Mühe und Aufhübscherei eine Ablehnung schlechter verkraften würde.
Und doch! Meine Stimmung schwankt zwar in letzter Zeit bedenklich zwischen »Null-Bock« und frivolem Selbstansporn à la »bis der Richtige auftaucht, kann man sich die Zeit auch gut mit vielen Falschen vertreiben«. Trotzdem ist sie immer noch da, auch wenn sie sich inzwischen mehr und mehr zu verflüchtigen droht – die Hoffnung auf den »Traumprinzen«, einen Mann, der kämpfen und lieben, der kochen und Regale aufbauen kann. Der verständnisvoll ist und weiß, was er will. Der mir Aufmerksamkeit schenken und mir ein Leben lang Partner und Geliebter sein möchte.
*schmacht*
Ich vermute, das ist zu viel verlangt.
Und wenn schon, das Singleleben ist auch nicht schlecht! In den vergangenen Monaten begab ich mich im Internet auf die Suche und habe diverse Erfahrungen mit unterschiedlichsten, nicht selten von Midlifecrisis geplagten Männern gemacht. Ich hatte viel Spaß dabei. Zum ersten Mal im Leben habe ich mich so richtig ausgetobt. Besser spät als nie, kann ich nur sagen!
Beziehungsweise
Die erste erwähnenswerte partnerlose Zeit meines Lebens begann vor drei Jahren. Bis dahin versetzte mich die Vorstellung vom Alleinsein immer in Angst und Schrecken. Seit meinem neunzehnten Lebensjahr hatte ich ununterbrochen zwar nicht mit demselben Mann, aber immer in Zweisamkeit gelebt. Jedes andere Lebenskonzept kam mir fremd und unnatürlich vor.
Nach jeder Trennung suchte und fand ich sehr schnell, manchmal sofort oder parallel, einen neuen Willigen, mit dem ich für durchschnittlich vier Jahre das Projekt »Vertrauen und Verständnis« in Angriff nahm. Immer wieder.
Jede Trennung war ein emotionales Desaster, nicht zuletzt für meine Eltern. Sie schämten sich für mein »mangelndes Durchhaltevermögen«.
Ein wenig konnte ich sie verstehen. Noch vor fünfundzwanzig Jahren wurde über alleinerziehende, geschiedene oder bekennende Single-Frauen argwöhnisch und abfällig getuschelt. Daran änderten auch die sozialen Bedingungen in der DDR nichts: die staatliche Unterstützung alleinstehender Mütter, die in ausreichender Menge vorhandenen Krippen- und Arbeitsplätze und die Vielzahl der geschiedenen Paare.
Als ich mich Mitte der achtziger Jahre vom Vater meiner Tochter trennte, stieß ich sogar bei Freunden, Bekannten und bei der Kindergartenerzieherin auf moralisches Unverständnis. Meine Eltern waren entrüstet.
Sie alle unterstellten mir Selbstsucht, weil ich als Tänzerin arbeiten und mein Kind allein großziehen wollte. Sie fanden eine Scheidung moralisch verwerflich und – peinlich!
Ich wurde mit dem Grundsatz erzogen: »Wenn man mit einem Mann ins Bett geht, dann heiratet man und bleibt mit ihm zusammen.«
Schon als ich schwanger war, sagte meine Mutter zu mir: »Das Kind braucht seinen Vater!« Ich wollte meinen Eltern eine gute Tochter, meinem Kind eine gute Mutter sein. Also heiratete ich und zog nach Potsdam zu meinem Mann, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was ich selber wollte. Ich war gut darin, alle aufkeimenden Zweifel einfach zu ignorieren. Ich hinterfragte die Dogmen meines Unterbewusstseins nicht. Ich versuchte, sie zu leben, und wollte es allen recht machen.
Nach der Scheidung war mein eigenes schlechtes Gewissen mein größter Feind. Durch meine Arbeit als Tänzerin im Show-Tanz-Trio »Cora« war ich zwar tagsüber immer zu Hause, abends aber trat ich in Varietés, Bars und bei Betriebsfesten auf. Was musste ich mir für Vorwürfe anhören, dass eine Mutter so etwas ihrem Kind nicht zumuten könne! Heute weiß ich, dass ich es richtig gemacht habe. Damals war ich verzweifelt.
So sehr ich mich auch bemühte, bei mir funktionierte das von meinen Eltern vorgelebte Beziehungsethos »in guten wie in schlechten Zeiten« nicht. Meine Partnerschaften scheiterten alle über kurz oder lang. »Scheitern« ist übrigens auch so ein Wort meiner Eltern. Ich scheiterte, und dabei wollte ich so gern einen Mann an meiner Seite. Ich träumte von lebenslanger Liebe und einer Schar goldiger Kinder.
Dann stieß ich auf einen Artikel, in dem Soziologen das Beziehungskonzept, dem auch mein Liebesleben wohl oder übel zuzuordnen ist, als »serielle Monogamie« bezeichneten. Beim Lesen wurde mir plötzlich klar, dass Omas katholischer Zeigefinger und Mamas Einehenüberzeugung aus Zeiten stammen, die bis Ende der 1950er Jahre sogar gesetzlich untermauert waren – als Frauen kein eigenes Konto haben durften und keinerlei Entscheidungsbefugnis in der Ehe hatten. Die alten Mama-Oma-Rollenbilder hatte ich noch immer verinnerlicht und deshalb Schwierigkeiten, ein neues, passenderes Beziehungskonzept zu finden. Zu diesen soziologischen Gründen steuerten die Anthropologen Erkenntnisse bei, die Wasser auf meine Mühlen waren: Kurzzeitbeziehungen wurden schon von den Nomaden in der urweltlichen Steppe praktiziert … Die seien in überschaubaren Horden unterwegs gewesen, Beute jagend, Früchte sammelnd, Nachkommen aufziehend. Die Paare blieben damals nur etwa vier Jahre zusammen, eben solange, wie sich der Nachwuchs an den Eltern festklammerte. Sobald die Kleinen mit der Horde Schritt halten konnten, hätten sich die Paare umstandslos getrennt.
Die hatten ja auch nur eine überschaubare Lebenserwartung. In der Urzeit haben die Menschen – ob sie wollten oder nicht – im Durchschnitt mit vierzig Jahren das Zeitliche gesegnet. Wahrscheinlich hat sie jeder kleine Schnupfen aus der Bahn geworfen. Einmal geniest, zack, waren sie tot. Auch Kurzsichtigkeit muss zu verkürzter Lebenserwartung geführt haben. Mit minus sechs Dioptrien haben die ein Mammut doch gar nicht sehen können und wurden auf der Jagd ratzfatz totgetrampelt! Das heißt, damals und bis noch vor einhundert Jahren haben Paare, wenn sie Glück hatten, gerade mal die Silberhochzeit erreicht.
Heute werden wir dank Fielmann und Aspirin mehr als doppelt so alt, und ich frage mich, ob es angebracht ist, länger als fünfzig Jahre mit ein und demselben Partner zu verbringen.
Bei der Lektüre der vielen Erklärungen zu dem Thema fiel mir ein riesengroßer Stein vom Herzen. Ich begriff, dass ich nicht der einzige Mensch in Europa war, der sich mit wechselnden Lebensabschnittsgefährten und dem daraus resultierenden Gefühl der Unzulänglichkeit rumquälte. Jetzt hatte ich schwarz auf weiß, was ich schon lange ahnte! Ich scheiterte nicht, nein, ich war eine von vielen, die naturkundliche und soziologische Veränderungen in die Praxis umsetzte und neue Wege erprobte!
Ich war ungemein erleichtert und arrangierte mich mit dieser, meiner Art zu leben: Immer mal wieder die große Liebe treffen und das Rosarote-Brillen-Gefühl spüren! Dafür nahm ich filmreife Auseinandersetzungen in Kauf, die mich zum Psychologen trieben, in tiefe Löcher fallen und um Jahre altern ließen.
Meine letzte Trennung vor drei Jahren allerdings verlief erstmals freundschaftlich, problemlos und befreiend.
Ich war froh, als mein Ex seine Sachen packte und unsere gemeinsame Wohnung verließ. Männer können ja putzige Wesen mit eigenartigen Hobbys sein. Für mich war es, nachdem ich mit diesen Hobbys solange die Wohnung geteilt hatte, eine besondere Freude, seine Münz-, Flaschen- und Briefmarkensammlungen in riesigen Tüten und Kisten vor die Tür zu räumen. Endlich konnte ich meine Ordnung wiederherstellen und danach im schlurzigen Hausanzug auf dem Sofa lümmeln; im Fernsehen GZSZ, schnulzige Liebesfilme und alle Promi-Talkshows rauf und runter angucken; im Bett stundenlang das Licht anlassen, um in Krimis zu schmökern, und meine Abende verplanen, ohne jemanden zu fragen. Es war großartig!
Nach einem halben Jahr Singlespaß voll Lebenslust und Enthusiasmus feierte ich ganz groß meinen vierzigsten Geburtstag.
Meine Schwester Alexandra hatte Freunde und Kollegen aktiviert, die mich mit einer Band und selbst gedichteten Versen und Liedern überraschten. Ich lachte Tränen und war zu Tränen gerührt. Freunde, Bekannte und Ex-Lover waren gekommen, um mit mir zu feiern und mir die Hand zu halten, als ich an diesem Abend die Tür zum fünften Jahrzehnt aufstieß. O Gott!
Mein bester Freund Ronny, der durch seinen Kaiser-Wilhelm Bart immer so aussieht, als ob er grinst, meinte: »Tati, du bist jetzt eine Frau im gewissen Alter. Diese Spezies erkennt man im Allgemeinen daran, dass sie heute deutlich blonder ist, als sie es vor der Pubertät war.«
»www.nicht-witzig.de, mein Zarter. Außerdem hast du gar keine Haare mehr!«
»Keine Sorge«, versuchte er mich zu beruhigen, »es gibt auch ein Leben nach der Vierzig. Ich weiß, wovon ich rede.«
»Darauf trinken wir. Prost, Ronny!«
Nach der ausufernden Party, die für mich mit Migräne endete, genoss ich dieses »gewisse Alter« in vollen Zügen. Wie schon in den Monaten davor amüsierte ich mich ohne nörgelnden Lebensabschnittsgefährten im Rücken, ging mit Freundinnen auf Partys und in Diskotheken, ins Fitnesscenter und ins Spielcasino. In meinem Job als Fernsehmoderatorin lief ich bei Galaveranstaltungen selbstbewusst lächelnd über rote Teppiche und vergnügte mich bei Kino- und Musicalpremieren. Keine Spur von innerlichen und äußerlichen Alterserscheinungen! Ich fühlte mich als Herrin meines eigenen Lebens und war einfach glücklich.
* *
Diese entspannte Fröhlichkeit fehlt mir im Moment. Ich starre in den Schneeflockenwirbel vor meinem Autofenster. Jetzt ist mir schrecklich warm. Statt die Heizung zu drosseln, drücke ich auf den Fensterheberknopf und öffne das Seitenfenster einen kleinen Spalt.
Es ist schon 18.40 Uhr und die Straßen rund ums ICC und den Funkturm sind voll. Alle Ampeln haben sich gegen mich verschworen und zeigen Rot. Ich muss dauernd anhalten und warten und merke, wie ich dabei langsam nervös werde. Zum wievielten Date fahre ich eigentlich? Wie viele paarungs- und partnerschaftswillige Männer habe ich in nun schon getroffen, wie viele Lebensgeschichten gehört? Fünfzehn, zwanzig? Rechnet man die dazu, mit denen ich nur E-Mails tauschte, komme ich mit dem Zählen nicht mehr nach. Einige habe ich vergessen, erinnere mich nicht mal mehr an die Namen. In meinem Handy sind ein paar Nicks – also selbst gewählte Internet-Namen wie Grabenkasper, Saffarie, Smart37 und Collonel – gespeichert, denen ich kein Gesicht mehr zuordnen kann. Nicht einer von den vielen, ebenfalls fieberhaft nach irgendetwas Suchenden, war der Richtige. Dabei fing alles so vielversprechend an.
* *
Die Geschichte begann vor knapp zwei Jahren an einem schönen Frühlingsnachmittag, etliche Wochen nach meinem Geburtstag. Alexandra und ich saßen gemütlich in meiner Wohnküche auf dem weinroten Sofa. Die Sonne schien durch die Balkontür auf den Glastisch, auf dem ein großer Aschenbecher und zwei Kaffeetassen standen. Nach einigem belanglosen Kaffeeklatschgeplauder beschloss ich, meine Schwester in meine neuesten Pläne einzuweihen. Als ich sie unvermittelt darüber in Kenntnis setzte, dass es nun an der Zeit wäre, nach dem nächsten Lebensabschnittsgefährten zu suchen, verschluckte sie sich fast am Rauch ihrer Zigarette.
»Warum?«, fragte sie und schaute mich zweifelnd mit ihren dunkelbraunen Augen an. »Ich denke, du findest das Singleleben so supertoll?«
»Jetzt nicht mehr. Diese absolute Männerabstinenz war eine Weile ganz schön. Viel unternehmen, viel Fernsehen, viel Weibertratsch. Aber es macht schon längst nicht mehr so viel Spaß wie am Anfang …«
»Ja«, Alexandra schaute nachdenklich einer durch die Küche summenden, fetten Fliege hinterher, »ich glaube, da ist was dran. Und die ständigen Nachfragen sämtlicher Freunde und Bekannter gehen mir sowieso auf die Nerven: Warum ist eine Frau wie du immer noch ohne Mann? Das gibt’s doch nicht! Blablabla!«
Wir waren uns einig.
Dass wir uns so gut verstehen, ist durchaus erstaunlich. Es war längst nicht immer so.
Als Alexandra auf die Welt kam, lebte ich bereits zwei Jahre bei meinen Großeltern auf dem Dorf. Unsere Eltern studierten noch. Da sind Bilder in meinem Kopf von dem Besuchszimmer im ehemaligen Stall, in dem meine Eltern wohnten, wenn sie meine Großeltern und mich besuchten, und von einem süßen Baby, welches meine kleine Schwester sein sollte. Bestimmt war ich stolz, anfänglich sicher nicht mal eifersüchtig, denn das Baby war ja nur zu Besuch, und Oma und Opa gehörten mir ganz allein. Ich fühlte mich wohl, und das Leben hätte, trotz der langweiligen Kirchenbesuche mit Oma, ewig so weitergehen können.
Als ich fünf Jahre alt war, beendeten meine Eltern ihr Studium und wurden als Lehrer dort eingesetzt, wo der Staat sie brauchte. Ich zog zu ihnen und meiner Schwester nach Bötzow, einem kleinen Dorf in der Nähe von Oranienburg. Jetzt waren wir eine richtige Familie, nur dass sich diese Familie für mich sehr fremd anfühlte. Das Schönste in dieser Zeit waren folgerichtig für mich die Ferien bei Oma. Natürlich gemeinsam mit meiner Schwester, aber ich war nach wie vor das Lieblingskind und bemüht, mir diese Position mit besonders liebem Verhalten zu bewahren. Gerade dann, wenn Alexandra mit lautem Gebrüll aus der Rolle fiel. »Parfeng will ick haben!«, rief das Berliner Gör unablässig, und ich freute mich, meiner Oma zeigen zu können, wie gut mir ihre Erziehung getan hatte.
Überhaupt fiel Alexandra viel öfter auf als ich. Sie war bockig und warf sich zu Boden, wenn ihr etwas nicht passte. Ich dagegen glänzte mit Anpassung.
Je älter meine kleine Schwester wurde, umso bösartiger ärgerte sie mich. Wegen meiner großen Füße zum Beispiel. Es bereitete ihr enormes Vergnügen, so oft wie möglich das »Große-Füße-Zeichen« zu machen. Dazu zeigte sie mit ihren Händen ungefähr die Länge von sechzig Zentimetern an und freute sich dann, wenn ich heulte. Stritten wir, rief sie solange »Du heulst ja gleich!«, bis es wirklich passierte. Ich habe sie gehasst. Dazu kam das Gefühl, Alexandra würde mir vorgezogen und bekäme mehr Hilfe und Verständnis. Sie durfte schon als Zehnjährige ihren Traum verwirklichen und in Dresden an der Palucca-Schule eine Ausbildung zur Tänzerin beginnen, während ich bei meinen Eltern bleiben musste, dazu verdonnert, Abitur zu machen und etwas »Ordentliches« zu studieren. Viel schwesterliche Liebe kam bei mir nicht auf. Aber schließlich verliefen unsere Lebenswege in großen Teilen getrennt. Das änderte sich erst, als Alexandra Mitte der neunziger Jahre ebenfalls nach Potsdam zog und wir uns im Grunde erst kennenlernten. Seitdem verbindet uns ein inniges schwesterliches Verhältnis, und wir beide – inzwischen ja erwachsen geworden – wissen das Vorhandensein einer besten Freundin zu schätzen. Alle wichtigen und unwichtigen Ereignisse werden bei stundenlangen Telefongesprächen oder beim gemütlichen Kaffeeplausch debattiert. So wie das Problem unserer jetzigen, zunehmend an Reiz verlierenden Männerlosigkeit.
Dagegen wollten wir sofort, unbedingt und effizient etwas unternehmen. Zunächst mit gegenseitiger Aufmunterung. Wir sparten nicht mit optimistischen Thesen wie: »Zu jedem Topf findet sich ein Deckel!« oder »Irgendwann verlieben wir uns auf jeden Fall wieder!« oder »Du siehst aber toll aus!« Das weitere Vorgehen bestand darin, Rosenstolz- und Klaus-Hoffmann-CDs zu hören und die wunderschönen, wahren Texte über die Liebe in uns aufzusaugen, während wir verstohlen die eine oder andere Träne aus dem Augenwinkel tupften. Gnadenloses Selbstmitleid und romantisches Sehnen à la Rosamunde Pilcher drohten uns bald gänzlich zu übermannen.
Schließlich war es Alexandra, die unserer Gefühlsduselei ein jähes Ende setzte: »Aber wo wollen wir einen Mann treffen? Hier in deiner Küche bestimmt nicht!«
Damit hatte sie genau die Frage gestellt, mit der ich mich selbst seit geraumer Zeit beschäftigte. Ich hatte also schon ein wenig gedanklichen Vorlauf und konnte ihr deshalb eine, wie ich fand, perfekte Antwort präsentieren.
»Lass es uns im Internet probieren!«, sagte ich und ließ eine meiner typischen Argumentationsketten folgen. »In Deutschland suchen elf Millionen Singles auf über 2000 speziellen Websites nach einem Traumpartner. Mehr als die Hälfte dieser Singles sind Männer. Beste Aussichten also! Und, stell dir vor, Sabine hat tatsächlich vor drei Wochen im Netz ihre große Liebe kennengelernt!«
Meine Schwester schaute mich ungläubig an: »Das gibt’s doch gar nicht! Sabine, die fünf Jahre auf der Suche war und jetzt … im Internet?«
»Ja! Kaum hatte sie sich angemeldet, erhielt sie die erste Mail von ihm, dann haben sie sich drei Monate lang geschrieben, lernten sich immer besser kennen, tauschten irgendwann ihre Telefonnummern und vor drei Wochen verabredeten sie sich. Auf dem Gendarmenmarkt!«
»Wusste sie denn vorher, wie er aussieht?«
»Nein! Sie hatten sich nie zuvor gesehen, nicht mal Fotos getauscht. Sabine war so aufgeregt. Sie stand da auf dem großen Platz, als ihr Telefon klingelte. Er war dran und sagte: ›Dreh dich um!‹ Und dann sah sie ihn und verliebte sich sofort. Ist das nicht toll?«, sprudelte es aus mir heraus.
»Großartig! Unglaublich! Ein Silberstreif am Horizont.«
Von dieser Erfolgsgeschichte euphorisiert, wollten wir das kühne Projekt der Männer-Suche im Internet angehen, gemeinsam, weil uns das gleich viel mutiger machte. Frauen gehen nicht nur gern gemeinsam auf die Toilette, sie leiden auch zusammen, tauschen Erfahrungen, geben Tipps, diskutieren, trösten, motivieren einander. So wie meine Schwester und ich. Unsere Feindschaft aus Kindertagen lag lange zurück, jetzt waren wir Verbündete.
An diesem Nachmittag in meiner Küche ahnten wir nicht, was uns bevorstand, wie aufregend und abenteuerlich sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln würden. Nie zuvor habe ich so viele interessante, nun ja, auch eigenartige Männer kennengelernt. Da waren der bindungsunwillige Rockmusiker, der literarisch ambitionierte und zugleich brüllkomische Beamte oder der verlogene Spion. Nie zuvor habe ich so viele eindrucksvolle und manchmal höchst befremdliche Lebensgeschichten gehört. Ich erinnere mich an die Geschichte eines Computerfreaks, dessen Vater zu Ostzeiten im sozialistischen Kuba verschwand; an einen Sachsen, der nach der Trennung von seiner Frau weiterhin in Harmonie bei seinen Schwiegereltern lebte; an den Radiomoderator, der sich in Nachtclubs auslebte. Bei meinen ersten zaghaften Schritten im World Wide Web war mir nicht klar, worauf ich mich da einließ.
* *
Konzentriere dich, Tatjana! Du fährst Auto!
Dass mir das alles gerade auf der Fahrt zum Date mit Carsten einfällt, ist schon etwas sonderbar. Haben mich all diese Erlebnisse nicht zum routinierten Dating-Profi gemacht? Keine Ahnung. Besonders sicher fühle ich mich gerade nicht.
Mein Telefon klingelt. Ich schaue aufs Display. Carsten. Oh, bitte nicht absagen! Mein Herz rast plötzlich. In meiner Panik verstöpsele ich nicht erst die Freisprechanlage, sondern gehe gleich ran.
»Ja? Carsten?« Ich versuche, mit fester Stimme zu sprechen.
»Hallo, Tatjana! Sag mal bitte, was du anhast!«
???
Wieso fragt er mich das?
»Ich würde sagen, ich trage heute den klassischen Montagabend-Style«, drücke ich mich vorsichtig aus und habe sofort das Gefühl, falsch gekleidet zu sein. »Ich hoffe, ich gefalle dir trotzdem!« Unsicher lache ich ins Handy.
»Möchtest du mich elegant oder sportlich?«
Wie ich ihn möchte? Ich bin baff. Und erleichtert. Carsten will mir gefallen! Na, wenn das kein Lichtblick ist!
»Ich trage Jeans und Jackett. Bis gleich!« Nun fühle ich mich schon wesentlich sicherer. Ich muss bei der Vorstellung, dass ich bestimmen darf, was er anzieht, grinsen. Komisch, wir kennen uns noch nicht, und ich lege ihm schon seine Sachen zurecht. Oder will er nur charmant erscheinen?
Online
An einem Sonntagnachmittag setzte ich mich voller Eifer und Zuversicht an meinen Computer. Sonntagnachmittage sind für Singles todlangweilig. Von meinem Schreibtisch aus konnte ich direkt auf den Garten hinter unserem Haus hinuntersehen. Dort kreischte die siebenjährige Tochter meiner Nachbarin, weil ihr gleichaltriger Spielkamerad vom Haus gegenüber mit einer toten Maus nach ihr warf. Süß, wie sie miteinander spielen, dachte ich. Ein paar Jahre noch, dann müssen sie sich allerdings ein wenig mehr einfallen lassen, um sich gegenseitig zu imponieren. Als das Kreischen verstummte – weil die beiden nun wieder kichernd die Köpfe zusammensteckten –, drang ein liebliches Vogelgezwitscher durchs geöffnete Fenster an mein Ohr. Ein gewöhnlicher Sonntagnachmittag. Aber ich fühlte mich doch ein wenig kribbelig, als ich mich ins Internet einwählte und die von Sabine empfohlene Seite aufrief. Ich reihte mich also ein in die unüberschaubar große Liste der auf Zweisamkeit Hoffenden und war ab diesem Moment »ganz offiziell« auf der Suche oder besser gesagt, wollte mich ab heute finden lassen.
Diese Seite, so hatte mir meine Freundin gesagt, sei für Frauen kostenlos. Das war mir wichtig, ich wusste ja noch gar nicht, ob mir dieser Weg der Partnerakquise gefallen würde. Überhaupt, was wäre, wenn mich jemand erkannte? Was, wenn mich jemand anschrieb und sich gleich treffen wollte? Oder was, wenn sich niemand für mich interessierte?
Aber vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt, in diesem Fall hieß die Aufgabe: Ich musste ein Profil für mich erstellen. Das ist so etwas wie eine virtuelle Heiratsannonce und damit Marketing in eigener Person. So positiv wie möglich und so ehrlich wie nötig – was damit begann, dass ich beim Alter ein wenig manipulierte, nach unten natürlich, gewissermaßen gab ich mein gefühltes Alter an.
Unter Motto schrieb ich:
Will gefunden werden: von fantasievollem, verrücktem, intelligentem und leidenschaftlichem Mann, gern jünger, high-heel-kompatibel und schlank!
Als nächstes beantwortete ich die vorgegebenen Fragen so, dass sich für potenzielle Interessenten ein möglichst genaues Bild von mir und meinen Wünschen abzeichnete.
Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?
immer wieder …
Hatten Sie bereits richtig Glück in der Liebe?
auch immer wieder …
Wie gehen Sie mit einer Trennung um?
Ich brüte schlimmste Rachegedanken aus und stelle mir glühend ihre Ausführung vor. Ich telefoniere stundenlang mit meiner Schwester. Und pflege mit meinen Exmännern, nachdem das alles überstanden ist, eine gute Freundschaft.
Sind Sie eitel?
Ich brauche im Bad mit Ganzkörperpflege, Salbung und Schminken nur zwanzig Minuten. Ist das eitel?
Wie würden Sie Ihre charakterlichen Vorzüge beschreiben?
Offenheit, ehrliches Interesse, Leidenschaft und Zuverlässigkeit.
Können Sie singen?
Ja, immer wenn ich gute Laune habe oder man mir Geld dafür gibt.
Welche Traditionen pflegen Sie?
Eine alte Familientradition: lange ausschlafen. Und die so oft wie möglich! :-)
Wie würde die Erde aussehen, wenn Sie sie erschaffen hätten?
Dass Adam erst den Apfel aß und dann die nackt vor ihm stehende Eva verführte, hätte ich andersrum geschrieben!
Dann stellte ich eine individuelle Suchmaske ein. Ich sagte per Mausklick zu meinem PC: »Bitte zeige mir alle Männer, die nicht älter als vierzig, mindestens 1,80 Meter groß, intelligent, humorvoll und in der Lage sind, sich selbst zu ernähren« … und zack, schon spuckte der Computer eine Liste toller Männer aus, die sich unbedingt verlieben wollten. In mich! *lach*
Es dauerte nicht lange, bis ich die ultimative Sprache bei virtueller Unterhaltung durchschaut hatte. Glaubte ich anfangs noch, viele Internetbenutzer hätten ein gestörtes Verhältnis zu Rechtschreibung und Grammatik – *guck erstaunt* –, so wurde mir sehr bald klar, dass man beim Chatten – der schriftlichen Unterhaltung im Internet – nur klein schreibt. Und weil man sein Gegenüber nicht sieht und damit die Körpersprache nicht deuten kann, setzt man seine Emotionen in kleine Sternchen und lässt bei den Verben die Endung einfach weg: *schmunzel* *wein* *gähn*. So kann man treffend und knapp wiedergeben, was man sonst ohne Worte ausdrückt.
Ich musste nicht lange warten. Schon nach fünf Minuten chattete mich der Erste an: »Hallo?!«
Bevor ich antwortete, schaute ich mir sein Profil an. Ein Student aus Berlin. Sein Foto ganz nett, ich ganz begeistert. Das klappt, wusste ich es doch!
»Hallo, du! Was machst du gerade?«
Welch blöde Frage, dachte ich eine Sekunde, nachdem ich sie losgeschickt hatte. Hoffentlich würde er jetzt nicht schreiben: »Ich chatte mit dir.«
Aber das tat er nicht. Wir unterhielten uns – ein Satz von ihm, einer von mir, immer fein hin und her geschrieben, tauschten nichts als Belanglosigkeiten aus, und plötzlich lud er mich zum Kaffeetrinken ein.
Das ging schnell! Aber warum nicht? Der bislang gemächliche Sonntagnachmittag versprach also doch noch interessant zu werden. Vielleicht brachte er ja die entscheidende Wende für mein Singledasein. Vielleicht waren das sogar schon die ersten Schritte mitten hinein in ein neues Liebesglück?
Ich schlug das »Café Haider« in Potsdam vor. Er kam aus Berlin, und ich erwartete beinahe ängstlich eine Absage wegen der weiten Fahrt. Aber er war sofort einverstanden.
Eine Stunde später saß ich mit der für mich typischen Strubbelfrisur und dezent geschminkt im Café. Ich bin immer überpünktlich und mag es umgekehrt nicht, wenn andere Leute mich warten lassen. Ich hatte mich so hingesetzt, dass ich die Eingangstür im Blick hatte. Ich war nervös und wollte es mir natürlich nicht anmerken lassen. Um bei den anderen Gästen des Cafés nicht den Eindruck einer Wartenden zu erweckten oder – schlimmer noch – gar einer von einem Mann Versetzten, hatte ich schnell am Kiosk eine Zeitung gekauft. Sie lag vor mir auf dem Tisch und ich tat, als würde ich lesen, ließ die Tür aber nicht aus den Augen. Nach vielleicht fünf Minuten der scheinbar intensiven Lektüre trat ein Mann herein. Das musste er sein! Er ging geradewegs auf mich zu und ich … wollte am liebsten unsichtbar werden. Bitte nicht!
Mein ungläubiger Blick schien ihn nicht zu irritieren. Er blieb vor dem Tisch stehen, nickte, reichte mir eine schlaffe, feuchte Hand und murmelte: »Tachchen!