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Im beschaulichen Big Creek, Mississippi, wird der teilskelettierte und stark verweste Leichnam des Vietnamkrieg-Veteranen Jack Carlton gefunden.
Als einen Tag später die Leichen eines gerade erst angereisten Touristenpärchens in einem ähnlichen Zustand entdeckt werden, wendet sich der zuständige Deputy John Cullen an das FBI. Ist hier vielleicht ein Serienmörder mit Chemikalien am Werk?
Da es Parallelen zu einem bislang noch ungelösten Fall in Russland gibt, werden auch Cliff und Judy von Senator Campbell an den Lake Creek entsandt. Bei ihren Ermittlungen merken die Bundesmarshals schnell, dass hier eine ernsthafte Bedrohung vorliegt. Doch während die örtlichen Polizisten sie tatkräftig unterstützen, sind die Bundesbehörden offenbar an einer Verschleierung interessiert...
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Blinder Passagier
UFO-Archiv
Vorschau
Impressum
Oliver Miller
Blinder Passagier
Jack Carlton reckte sich und legte die Winchester lässig auf der rechten Schulter ab. Sein khakifarbenes Hemd war von Schweiß und Dreck durchzogen. Strähniges grauweißes Haar hing ihm ins Gesicht, in das die Jahre und der Alkohol tiefe Falten gegraben hatten.
Mit wässrigen Augen suchte er den Horizont ab. Es dämmerte bereits, doch das kümmerte Carlton nicht. Er wollte schnell wieder zurück sein, um bei einem Glas Bourbon den Tag vor dem Fernseher ausklingen zu lassen.
Also machte er sich auf den Weg. Die Waffe fest im Griff, ging er zügig über die freie Fläche vor seinem Elternhaus geradewegs auf den Wald zu. Und damit in sein Verderben ...
Carlton-Farm
Big Creek, Mississippi, 07. März 2022, 17:34 Uhr
Seine Nachbarn, die wenigen, die es hier draußen gab, mieden ihn weitestgehend. Dies lag zum einen daran, dass auf seinem Grundstück der Big-Creek-Sumpf lag, der ihnen unheimlich war. Zum anderen hielten sie Carlton selbst für etwas unheimlich.
Jack Carlton war dies nur recht. In den wenigen, wirklich nüchternen Momenten ahnte er, dass die Nachbarn damit ins Schwarze trafen, wenn sie ihn für verrückt hielten.
Seit fast siebzig Jahren lebte er nun schon hier in der Hütte. Sein Vater hatte diese mit eigenen Händen gebaut. Er war Farmer gewesen, zu einer Zeit, in der sich dies noch halbwegs gelohnt hatte. Seine Mutter, an die er sich kaum erinnern konnte, hatte unten im Dorf in einer Wäscherei gearbeitet, war allerdings früh an Krebs gestorben.
Carlton selbst war mit achtzehn zur U.S. Army gegangen, und ehe er es sich versah, war er in Vietnam gelandet. Beim Gedanken daran atmete er tief in das schummrige Abendlicht aus. In Vietnam ..., er hatte dort viele schlimme Dinge gesehen und noch viel schlimmere selbst tun müssen. Als er zurückkam, war er ein anderer gewesen. Seine damaligen Freunde, ja damals hatte er noch welche, sagten, dass der alte Jack dort gestorben sei.
Der vermeintlich neue Jack begann schnell seine Erlebnisse in Alkohol zu ertränken und lebte fortan zurückgezogen auf der Farm seines Vaters. Als diese immer weniger abwarf, ging es auch mit seinem Dad bergab. Jack glaubte, dass sein alter Herr buchstäblich am Kummer eingegangen war. Insgeheim ahnte er, dass auch er ein Teil dieses Kummers gewesen war.
Carlton spuckte aus, um die bösen Gedanken zu vertreiben, und versuchte, sich auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren.
Das alles war nun vor knapp vierzig Jahren gewesen. Seitdem war er sein eigener Herr hier. Die Pension, die ihm die Army zahlte, war zwar wenig, aber sie genügte für das Wichtigste, denn hier draußen brauchte man nicht viel. Ab und an verkaufte er ein paar geschossene Rebhühner und Enten, die er in der Nähe des Sumpfes erwischte, an seine Nachbarn. Das gab ein paar Dollars zusätzlich.
Einmal in der Woche fuhr er nach Big Creek, um dort einzukaufen. Konserven, Kaffee und Bourbon, mehr brauchte er eigentlich nicht zum Leben. In ganz seltenen Fällen ging er sogar zu Teresas Diner und aß dort einen Burger, aber das letzte Mal, dass er dort gewesen war, war sicherlich schon zwei Jahre her.
Mit einem Schnauben warf er einen Blick über seine Schulter auf die in der Dämmerung liegende Farm zurück.
Er wusste, dass er eines Tages hier sterben würde, und man ihn wahrscheinlich erst Monate später finden würde. Wer sollte ihn schon suchen? Sam etwa, der Besitzer des einzigen Drugstores, bei dem er immer einkaufte? Niemals. Vielleicht noch Marian, der die benachbarte Farm gehörte. Mit ihr redete er sogar ab und an, wenn er ihr Fleisch vorbeibrachte. Auf eine väterliche Art mochte er sie und ihren kleinen Sohn. Vielleicht würde sie nach einiger Zeit nach ihm suchen.
Er grinste und ließ die Winchester in seine Hände zurückgleiten. Es war eine fließende, über Jahre eintrainierte Bewegung. Kurz schüttelte er den Kopf, als wolle er die morbiden Gedanken herausschütteln.
Noch bin ich hier, sagte er in Gedanken zu sich, noch bin ich hier.
Das Waldstück lag ungefähr zweihundert Meter hinter seinem Haus und umfasste den Sumpf und den Lake Creek, einen kleinen See, der nur etwa 600 m2 umfasste, aber unglaublich tief war. Sein Vater hatte das Gelände damals in den 1930ern für wenig Geld gekauft, in der Hoffnung, dass der grundwasserreiche Boden, der die gesamte Farm umgab, auch zur Landwirtschaft taugte. Doch wirklich ertragreich war hier nie etwas gewachsen. Der Sumpf sorgte dafür, dass praktisch alle höherwertigen Pflanzen noch im Boden faulten. Der Wald bestand aus billigen Fichten und Kiefern, daher lohnte es sich nicht, hier mit Holzschlag zu beginnen. Von den verdammten Moskitos, die einen hier belagerten, fühlte sich Jack auch genervt.
Der Wald wurde mit jedem Schritt, den er tat, dichter und baute sich wie eine schwarze Wand vor ihm auf.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Den meisten Leuten hier in Creek machte der Sumpf Angst, auch ihm ein wenig. Und bei Gott, Jack hatte schon vieles in seinem Leben gesehen. Damit meinte er nicht die Gräuel des Krieges, nein, eher die seltsamen Dinge, die sich hier in seinem Wald so abspielten. Seltsame Laute, manchmal auch ein seltsames fluoreszierendes Leuchten.
Wenn er ab und an in den frühen Morgenstunden seine lichten Momente hatte, kam es ihm in den Sinn, den Dingen mal auf den Grund zu gehen, vielleicht sogar mal Deputy Cullen darauf anzusetzen. Doch gleichzeitig beschlich ihn das Gefühl, dass das, was er da sah, lediglich seinem versoffenen Gehirn entsprang, und so ließ er es zunächst auf sich beruhen.
In letzter Zeit war Jack allerdings misstrauisch geworden. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass etwas auf seiner Farm nicht stimmte. Nicht der übliche Mist, den er sich eventuell einbildete. Nein, es waren ganz konkrete Dinge, die nicht passten. Das fing damit an, dass es irgendwie weniger Enten gab, die er jagen konnte. Die Zahl hatte kontinuierlich abgenommen, sodass er für die Jagd immer länger brauchte. Zudem hatte er das Gefühl, dass der Geruch des Sumpfes noch modriger war. Es stank nämlich noch mehr nach Fäulnis und Tod als sonst.
Das gravierendste war ihm jedoch erst vor wenigen Tagen aufgefallen: Als er bei Sonnenaufgang eine Tasse Kaffee vor dem Haus trank, hatte er die Stille bemerkt, die seine Farm umgab. Kein Vogelzwitschern, selbst die Insekten schienen leiser geworden zu sein.
Alles sehr seltsam, dachte er bei sich und ging weiter durch das höher werdende Gras. Auch jetzt ragte der Wald stumm vor ihm auf. Lediglich das Ächzen morscher Äste war zu hören.
Ruckartig blieb Jack stehen und machte sein Gewehr schussbereit. Innerlich ermahnte er sich, dass er keine Zeit mehr für trübe Gedanken verschwenden wollte, denn je eher er ein paar Enten schoss, desto schneller war er wieder zu Hause. Erneut lächelte er grimmig und lud das Gewehr durch.
Teresas Diner
Big Creek, Bundesstaat Mississippi,08. März, 10:15 Uhr
Die dickliche Bedienung trat zu ihr heran und schenkte ihr aus einer angeschlagenen Kanne Kaffee nach.
Marian saß an einem kleinen Tisch und starrte durch die Panoramascheibe neben ihr. Nicht, dass sie etwas wirklich Neues oder Überraschendes sehen würde. Vor ihr lag ein schlecht asphaltierter Platz, der zu ihrer Linken auf eine Straße führte, die, wenn man ihr nur lange genug folgte, sogar in einen Highway mündete. Auf der rechten Seite lag die alte Tankstelle von Will Decker, dessen Frau eben jene wohlbeleibte Bedingung war, der das alte Diner in Big Creek gehörte. Neben dem Pub von O'Brien am Ende der Straße war es so ziemlich die einzige Lokalität in diesem Ort.
Und wenn Marian ganz ehrlich war, in O'Briens Spelunke verirrten sich eigentlich nur Leute, denen das Ambiente vollkommen egal war und die keinen Wert auf gutes Essen oder Sauberkeit legten. Teresas Diner war da schon eine Spur besser.
Die Wirtin hatte das Gebäude gemeinsam mit ihrem Mann vor fast dreißig Jahren gekauft, als der alte Besitzer kinderlos verstorben war. Die Deckers kamen ursprünglich aus Virginia, soweit Marian das wusste. Sie mochte das Diner. Das Essen war gut, der Kaffee nicht zu stark, und da hier praktisch nie viel los war, konnte man in Ruhe allein seinen Gedanken nachhängen.
Wenn es doch nur positive Gedanken wären, stöhnte sie innerlich.
Nein, Marian war wieder in einer der Stimmungen, die sie in letzter Zeit häufiger zu überfallen drohten – eine Art Sinnieren über ihr bisheriges Leben ...
Ihr Blick wanderte auf die Kaffeekanne, die vor ihr auf dem abgewetzten Tisch stand. Mit ihren Händen umschloss sie eine Tasse. Ihre beiden Handrücken waren von Flecken und Schrunden gezeichnet. Auch die eine oder andere Narbe war mit dabei, die von ihrem arbeitsreichen Leben zeugte.
Marian dachte häufig darüber nach, was alles schiefgelaufen war in ihrem Leben. Welche Entscheidungen hatte sie falsch getroffen? Wo war sie auf dem Weg nicht richtig abgebogen? Wann hatte sie ihre Träume verloren?
Mein Gott, jetzt klingst du aber kitschig, ermahnte sie sich selbst und musste auch trotz ihrer eigenen Melancholie sogar Schmunzeln.
Eigentlich wollte sie immer von hier weg. Nach der Schule sollte es in die große weite Welt gehen, naja, zumindest nach New Orleans oder Dallas. Keinesfalls wollte sie hierbleiben, in diesem Kaff, wo jeder jeden kannte, wo das Leben vorgezeichnet schien. Doch dann kam alles anders. Ihr Dad wurde krank, und sie musste auf der verdammten Farm mithelfen. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern. Ihr alter Herr hatte immer für sie gesorgt, sie war sein Augapfel, seine Prinzessin. Was hätte sie nach dem Herzinfarkt tun sollen? Also blieb sie und half auf der Farm. Die unendlichen Maisstauden auf den Feldern wurden nun endgültig ihre Welt.
Als der zweite Infarkt ihren Vater schließlich dahingerafft hatte, stand sie erneut vor der Entscheidung. Diesmal blieb sie für ihre Mom in Big Creek. Wohin sollte die alte Frau denn? Allein hätte sie das mit der Farm nie geschafft, und für einen bezahlten Arbeiter reichte das Geld nicht.
Als dann aber auch noch Tom in ihr Leben trat, schien irgendwie alles gut zu werden. Tom war Trucker und hatte mehr Städte gesehen, als sie sich vorstellen konnte. Er sah aus wie einer dieser Footballspieler aus den Liveübertragungen, die sie mit ihrem Dad immer gesehen hatte: groß, breite Schultern, kantiges Gesicht, durchtrainiert, braune kurze Haare – dazu noch dieses verschmitzte Lächeln. Für dieses Kaff war er beinahe weltmännisch. Und sie war so dumm, sich auf ihn einzulassen.
So gingen die Jahre dahin. Sie kümmerte sich um die Farm und um ihre Mutter, während Tom auf seinen Touren war. Schließlich kam vor sieben Jahren ihr Sohn, David, zur Welt – ein Goldjunge. Das war dann auch das Jahr, als Tom sich telefonisch aus Boston meldete, dass er nicht mehr zurückkehren würde, sondern bei seiner neuen Freundin bliebe. Er führte die Beziehung wohl schon mehrere Jahre. Ja, das Leben war nicht gut zu Marian gewesen.
Jetzt war sie allein mit der Farm, ihrer Mutter und ihrem Sohn.
Ihre Mom unterstützte sie, wo sie nur konnte. Sie erzog David praktisch mit. Vor allem nachmittags, wenn ihn der Schulbus nach einer ewig langen Fahrt endlich zu Hause abgesetzt hatte, war sie für ihn da und machte mit ihm Hausaufgaben.
Marian kümmerte sich währenddessen um die verdammte Farm.
Momente wie dieser, in denen sie mal nicht mit dem Broterwerb beschäftigt war, waren in den letzten Jahren selten geworden. Zuerst wollte sie am heutigen Morgen auch nur in Sams Drugstore das Nötigste einkaufen und hatte sich dann spontan dazu entschlossen, im Diner zumindest einen Kaffee zu trinken. Allein und ungestört.
Sie atmete tief aus und nahm einen Schluck aus der Tasse. Sie wusste, dass solche Gedanken ihr nicht guttaten, dass sie das Hadern beenden musste, und sich stattdessen an den positiven Dingen des Lebens, insbesondere David, erfreuen sollte. Doch sie kam jetzt in eine Phase des Lebens, wo dies zunehmend schwerer fiel, da sie die Trennung von ihrem Mann immer noch nicht ganz verwunden hatte. Wo sie sich zu fragen begann, ob die zweite Lebenshälfte genauso beschissen würde, wie die erste. Der vierzigste Geburtstag vor drei Monaten hatte sie hart getroffen. Das Gefühl des ›Alt-Seins‹ und des ›etwas-Verpasst-Habens‹ hatte nahezu unvermittelt eingesetzt.
Marian wollte sich gerade zum Tresen umdrehen, um Teresa Decker zu sich zu winken, als ihr beim Blick aus dem Fenster das riesige Wohnmobil auffiel, das die alte Zufahrt zur Tankstelle hochfuhr. So etwas sah man in Big Creek eher selten. Belustigt sah sie, dass auch Will Decker das Schlachtschiff bemerkt hatte und schon auf den Beinen war – immer darauf aus, ein paar Dollars zu machen.
Teresa trat neben Marian und betrachtete die Szenerie ebenfalls. »Na, willst du zahlen?«, fragte sie beiläufig.
»Weißt du, Teresa, ich denke, ich nehme noch eine Tasse Kaffee. Das da draußen möchte ich keinesfalls verpassen«, sagte sie, als ein älteres Ehepaar aus dem Wohnmobil ausstieg, das problemlos, dem Aussehen nach zu urteilen, auf die Bahamas oder an den Malibu Beach gepasst hätte.
Den Mann schätzte Marian auf Ende sechzig. Sein schreiend buntes Hemd war deutlich unter der geöffneten Jacke zu sehen und spannte sich über dessen Bauch. Die dünnen Beine steckten in einer Art Cargo-Freizeithose mit unzähligen kleinen Taschen. Auf dem spärlich behaarten Kopf des Mannes thronte eine sündhaft teure Sonnenbrille. Auffällig war auch das vom Bluthochdruck gerötete Gesicht, in dessen Mitte eine Knollennase prangte.
Die Frau war eher vom Typ »Muttchen«, trug eine Art Langarmkleid mit floralem Muster, und hatte das ergraute Haar zu einem Zopf gebunden. In einer devoten Haltung trippelte sie hinter dem Mann in Richtung des alten Tankstellengebäudes her, wo Sam schon auf die beiden wartete.
Man sah dem Tankstellenbesitzer deutlich die Freude über neue Kundschaft an. Ihm sprangen die Dollarzeichen förmlich aus den Augen.
»Wo kommen die denn her?«, unterbrach Teresa die neugierige Stille.
Marian sah zu der stehenden Wirtin hoch. »Keine Ahnung, ich kann das Nummernschild nicht erkennen«, erwiderte sie.
Teresa machte eine wegwerfende Handbewegung, wandte sich wieder dem Tresen zu und brummelte in einem betont breiten Südstaatenslang: »Yankees, das rieche ich bis hierher.«
Marian lachte kurz auf und warf der Wirtin einen ›Wie gemein‹-Blick zu. Unterdessen konnte sie im Augenwinkel wahrnehmen, wie das Pärchen von der Tankstelle zurückkehrte und geradewegs auf das Diner zusteuerte, während Sam sich anschickte, das Wohnmonster zu tanken.
Die Tür der Gaststätte schwang kurz darauf auf, und das kleine Glöckchen oberhalb des Holzrahmens schepperte.
Marian sah schnell nach unten auf ihre leere Kaffeetasse. Sie war nämlich die einzige Kundin zurzeit im Diner und wollte die Neuankömmlinge nicht unbedingt mit offenem Mund anstarren.
Mit einem gewinnend arroganten Grinsen ließ sich der Mann an einem der Tische unweit von Marian nieder, ohne seiner Frau beim Hinsetzen behilflich zu sein.
Teresa ging, kaum hatten die beiden Platz genommen, eiligen Schrittes auf den Tisch zu.
»Hallo! Ein schönes Lokal haben Sie hier!«, dröhnte der Alte in einer Lautstärke, die zum Fremdschämen einlud.
Marian erkannte am Wortlaut, dass Teresa recht hatte: Yankees.
Die Wirtin legte zwei laminierte Speisekarten vor das Pärchen und nickte stumm, ohne auf das geheuchelte Lob einzugehen.
»Wirklich nett hier. Meine Frau und ich sind auf der Durchreise. Wir kommen aus Pittsburgh und wollen bis nach New Mexico ...«, begann er.
Teresa, die eigentlich schon wieder auf dem Weg zu ihrem Rückzugsort, dem Tresen war, hielt zwangsläufig inne.
Marian ging in Gedanken durch, wie weit Pittsburgh entfernt lag. Dabei fiel ihr auf, dass sie selbst noch nie auch nur annähernd so weit im Norden gewesen war.
»Ich denke, wir machen hier einen kleinen Stopp für ein paar Tage«, sagte der Mann und die Frau nickte stumm.
»In Big Creek?«, rutschte es Teresa erstaunt heraus.
»Warum denn nicht?«, fragte er.
»Naja, nur selten verirrt sich mal ein Tourist hierhin. Da gibt es schönere Orte ...«
»Hmmm ...«, brummte er, »... ist doch eigentlich ganz nett hier ... so ursprünglich ...«
Marian verdrehte die Augen.
Ist »ursprünglich« ein anderes Wort für »am Arsch der Welt«, schoss es ihr durch den Kopf.
»Wollen Sie schon einmal einen Kaffee haben?«, knurrte Teresa.
»Oh ja gerne!«, erwiderte die Frau zaghaft.
Die Wirtin zog von dannen, und Marian begann wieder ihre Kaffeetasse anzustarren, in der Hoffnung einem peinlichen Gespräch zu entkommen.
»Entschuldigen Sie!«, dröhnte es vom Nachbarstisch. »Können Sie mir vielleicht einen Tipp geben, wo hier ein netter Abstellplatz für unser Wohnmobil ist?«
Marian seufzte kurz und setzte ein freundliches Lächeln auf. »In Big Creek gibt es nicht so viele nette Ecken für Touristen«, sagte sie.
Hier gibt es nicht mal nette Ecken für die Einheimischen, ergänzte sie sarkastisch in Gedanken.
»Wie sieht es mit diesem See aus, der uns auf dem Navigationsgerät angezeigt wurde?«, fragte der Mann und setzte ein schleimiges Lächeln auf.
»Sie meinen den Lake Creek? Nein, da würde ich auf gar keinen Fall hin ...«, gab Teresa zurück.
»Warum nicht? Sieht doch auf der Karte ganz malerisch aus«, rätselte er.
»Das ist Privatgelände, außerdem ...«, mischte sich Will Decker in das Gespräch ein.