Die UFO-AKTEN 59 - Oliver Miller - E-Book

Die UFO-AKTEN 59 E-Book

Oliver Miller

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Beschreibung

Senator Campbell lässt Cliff und Judy den Link zum YouTube-Kanal der jungen Journalistin Johanna Chabot zukommen, der sich vor allem an Menschen richtet, die paranormale Themen interessieren. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass er auch im Ruf steht, viele scheinbar geisterhafte Ereignisse zu faken. In der aktuellen Folge geht es um dunkle Reliquien, also Gegenstände, denen eine dämonische Kraft nachgesagt wird. Unter anderem ist die Rede von einem Würfel des Teufels, der aus schwarzem Stein besteht und mit weißen Zeichen beschriftet ist. Letzterer weckt sofort das Interesse der Bundesmarshals, da die Beschreibung zu den ihnen bereits bekannten Kommunikationswürfeln passt. Campbell sieht das ebenso und entsendet die beiden zu der Journalistin ins verschneite Bayfield, wo sie mehr über die Reliquie erfahren und merken, dass sie nicht allein danach suchen ...


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Inhalt

Cover

Die Reliquie

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Oliver Miller

Die Reliquie

Jerusalem

Heiliges Land, ehemals Reich der Seldschuken, 15. Juli 1099, 16:42 Uhr

Mit seiner rechten Hand wischte sich Raimundus einen dünnen Blutfaden aus dem Gesicht. Es war keine allzu schlimme Verletzung, nur ein Splitter hatte ihn über der Augenbraue erwischt.

Doch das Blut rann ihm gemischt mit dem Schweiß und Staub der Schlacht in die Augen und schränkte sein Sehvermögen ein.

Wenn Raimundus ehrlich war, hätte er liebend gern auf diesen Anblick verzichtet. Um ihn herum tobte das Chaos, aber nicht das übliche Getümmel eines Kampfes. Derartiges verabscheute er nicht, denn es war sogar sein Handwerk. Nein, es war die Raserei des Mordens und der Plünderung ...

Jerusalem war gefallen, und tausende Soldaten hatten ihr Leben in den schmalen Gassen der Heiligen Stadt verloren. Doch nach wochenlanger Belagerung und Monaten der Entbehrung hatte dieser Sieg seine heilige Bedeutung verloren.

Die Männer stürzten sich mit roher Gewalt und einem unstillbaren Verlangen nach Rache in die Zerstörung der Stadt.

Es erfüllte Raimundus von Trier mit Ekel, all das mitanzusehen. Obwohl er dem Ritterstand angehörte, täuschte sein Name. Das familiäre Anwesen befand sich nämlich nicht in der Nähe von Trier, sondern lag bei der alten römischen Stadt Colonia Agrippina. Sein Vater hatte aufgrund seiner herausragenden Leistungen in verschiedenen Kriegen dieses Lehen vom deutschen König erhalten. Etwa zwei Dutzend Bauernfamilien standen unter seiner Herrschaft. Sein alter Herr war allerdings bereits seit mehreren Jahren tot, und nun stand er an der Spitze der Familie.

Die beiden jüngeren Brüder hatten sich für eine kirchliche Laufbahn entscheiden müssen, um den Besitz durch Erbteilung nicht zu gefährden.

Raimundus hatte jedoch die Zeichen der Zeit erkannt, dass allein mit Landwirtschaft Reichtum nicht vermehrt werden konnte. Und so hatte er in den letzten Jahren damit begonnen, sich mit Handel zu beschäftigen. Rasch knüpfte er Kontakte nach Venedig und Genua und kaufte erste kostbare Ladungen von Gewürzen, um sie dann in den deutschen Landen weiterzuverkaufen. Es war völliges Neuland und noch nicht wirklich profitabel, aber das könnte sich noch ändern.

Der Aufruf von Papst Urban II. zur Befreiung des Heiligen Landes ereilte ihn dabei allerdings zu einer Unzeit. Zwar hatte er noch die Hoffnung, nicht daran teilnehmen zu müssen, da der derzeitige deutsche König sich dem Appell zunächst verweigerte. Doch schon bald überwand dieser seine Bedenken und entsandte zumindest einige Ritter unter dem Oberbefehl des Franzosen Gottfried von Boullion in den Kampf. Raimundus mobilisierte im Zuge dessen insgesamt dreißig Fußsoldaten unter seinen Untertanen und schloss sich dem Kreuzzug an.

Mit müden Schritten ging er über die staubige Straße, die Dämmerung brach herein und Raimundus hoffte, dass die Nacht bald die um ihn geschehenden Grausamkeiten verdecken würde. Nein, dies war keine Befreiung gewesen, sondern eine glatte Eroberung. Ohne Verstand wurden Muslime, Juden und christliche Bewohner niedergemetzelt.

Voller Abscheu betrachtete er das Treiben um sich herum. Ein Landsknecht, ein einfacher Infanterist, stolperte neben ihm aus einem flachen Haus auf die Straße heraus, dessen Lehmziegeln von der Sonne ausgeblichen waren. Der Mann war offensichtlich betrunken, warf Raimundus einen argwöhnischen Blick zu und trollte sich dann in eine der Nebenstraßen.

Widerlich!, dachte er. Es widert mich einfach nur an, wie schnell doch unsere ehernen christlichen Werte an der Gier der Menschen gescheitert sind.

Plötzlich hielt Raimundus inne. In einem kleinen Haus, das offensichtlich ein Laden für einfache Lebensmittel war, sah er ein vertrautes Gesicht. Er positionierte sich vor dem Eingang, dessen dünne Holztür in Trümmern lag, und schrie: »Einhardt! Komm heraus!«

Der Angesprochene, ein dunkelhaariger Mann mit einer gut sichtbaren, schlecht verheilten Narbe auf der Stirn, trat hervor. Er mochte in den Zwanzigern sein, sah jedoch deutlich älter, ja ausgezehrter aus. Sein Gesicht war eingefallen und wirkte beinahe abgemagert. Die Kleidung war zerlumpt, an seiner Hüfte hing ein einfaches Schwert. In seinen Armen hielt er allerlei Waren aus dem Laden, die er offensichtlich gerade gestohlen hatte.

Raimundus packte ihn grob, da er von der Straße aus erkannt hatte, dass es sich um einen seiner Männer handelte: »Hör gut zu und berichte es den anderen aus unserer Truppe! Ich dulde keine Plünderungen, Mord oder Vergewaltigung. Ihr werdet von mir genug entlohnt ...«

»Aber ...«, setzte der Mann an, in dessen Blick Angst aufloderte, als Raimundus den Griff verstärkte.

»Wage kein Widerwort, du Wurm. Meine Männer haben tapfer gekämpft, also sollen sie sich nach dem Sieg auch ehrenvoll benehmen! Wenn ich einen von euch bei einer Untat erwische, sorge ich für eine angemessene Bestrafung!«

»Eine angemessene Bestrafung ...«, echote der Angesprochene mit zitternder Stimme.

»Ich werde jeden, der sich gegen Unschuldige versündigt, hinrichten lassen ... hast du das verstanden?«, erwiderte er, wobei sich seine Stimme fast überschlug.

Der Mann nickte hastig und ließ sein Diebesgut schlagartig fallen, als ihn sein Herr aus dem Griff entließ. Zitternd stand er nun vor ihm, bis Raimundus ihm mit einem Nicken zu verstehen gab, dass er gehen konnte. Schnell, fast fluchtartig rannte der Mann davon und stürmte zurück in die Raserei der Zerstörung.

Natürlich wird er sich nicht an meinen Appell halten, dachte Raimundus bitter, aber wer sollte es ihm angesichts des Chaos um ihn herum verübeln.

Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg die Straße hinab fort.

Raimundus hatte sich in einem Privathaus einquartiert. Im Unterschied zu den meisten anderen hatte er dafür gesorgt, dass die Besitzer des Hauses, eine jüdische Familie, ihren Besitz und ihr Leben behalten durften. Sie mussten lediglich für sein Essen und seine Unterkunft sorgen.

Gerade stand er im Atrium, einer der Diener hatte ihm Wein gebracht.

Der Herr des Hauses, ein großer Mann mit spärlichem, grauem Haupthaar trat auf ihn zu. Er trug eine schlichte weiße Tunika. In seinem aristokratischen Gesicht konnte man Verachtung gegenüber Raimundus lesen, aber auch Dankbarkeit. Sein Gast war vielleicht ungebeten, doch zugleich war er der Beschützer für ihn und seine Familie in diesen dunklen Tagen.

»Herr, ein Mann möchte zu dir«, sagte der Diener, da sie keine gemeinsame Sprache hatten.

Raimundus sprach vor allem Französisch und Deutsch, daher hatten sie sich auf Latein geeinigt. Sein erzwungener Gastgeber sprach Latein außergewöhnlich gut, wie Raimundus zu seiner Überraschung feststellen musste. Die wenigen Gespräche mit ihm hatten bereits angedeutet, dass er weitaus besser gebildet war als er selbst.

Welche Ausbildung habe ich als Ritter auch schon genossen, dachte er nicht ohne ein gewisses Bedauern. Lesen, Schreiben, ein wenig Rechnen und im Unterricht eines Priesters Religion und eben Latein. Er mochte zwar dem Ritterstand angehören, das war aber nicht gleichbedeutend mit einer umfangreichen Bildung. Seine Brüder hatten darauf eine größere Chance gehabt, seit sie in die Laufbahn der katholischen Kirche getreten waren.

Sein Gut verwaltete Raimundus zwar selbst, doch dabei standen ihm zwei Angestellte zur Seite, denen er lediglich regelmäßig auf die Finger schaute.

»Herr!«, ertönte im nächsten Moment die aufgeregte, aber ihm sehr wohl bekannte Stimme von Einhardt. Der zerlumpte Infanterist trat in den großen Innenraum des Hauses und zerrte einen offensichtlich gefesselten Mann hinter sich her.

Mit einem Wink entließ Raimundus den Hausbesitzer, der sich mit grimmigem Gesicht in die beiden kleineren Räume der Dienerschaft zurückzog, in denen er jetzt mit seiner Familie zumindest vorübergehend lebte.

»Einhardt, wer ist das?«, fragte er und zeigte auf den Mann, der offensichtlich ein Seldschuke war, den er an einem Seil hinter sich herzog. Er schien kein Soldat zu sein – seine Kleidung war zu wenig militärisch und vor allem zu kostbar.

Raimundus erkannte Samt und hervorragend gegerbtes Leder unter der Fesselung. Der Mann hatte lange Haare, die ihm ins geschundene Gesicht hingen – es war offensichtlich, dass er geschlagen worden war.

»Er ist Zauberer!«, gab Einhardt zurück, der wie ein nervöses Kleinkind von einem Bein auf das andere hüpfte. »Ich habe ihn auf der Flucht mit seinem Karren gefangen genommen!«

Raimundus ging auf den Neuankömmling zu und hob dessen Kinn an, um die Verletzungen in seinem Gesicht zu begutachten.

»Und du hast ihn geschlagen!«, sagte er missbilligend, da der Mann offensichtlich keine größere Gefahr für Einhardt dargestellt hatte. Jetzt erst erkannte er, dass der Seldschuke das fünfzigste Lebensjahr schon überschritten haben musste, die Falten in seinem Gesicht zeugten zumindest davon.

Verwirrt erwiderte Einhardt: »Sagen wir: Leicht touchiert. Er hat sich gewehrt!«

»Wie kommst du darauf, dass er Zauberer ist?«, wollte Raimundus nun wissen, immer noch in das Gesicht des Gefangenen starrend. Letzterer blickte demonstrativ nach unten.

»Er ... er hat allerlei seltsame Dinge auf dem Karren. Gegenstände, mit denen ich nichts anzufangen weiß!«

Was auch auf Messer und Gabel zutrifft, ergänzte Raimundus im Geiste und musste grinsen.

»Vielleicht ... sollten wir ihn einfach verbrennen? Er ist sicherlich mit dem Teufel im Bunde!«, schlug Einhardt als einfache Lösung vor.

»Du bringst ihn also zu mir, damit ich ihn verbrenne?«

»Nein, Herr! Ich dachte, er hat wertvolle Dinge bei sich, die ich nicht verstehe, die aber dir von Nutzen sein könnten.«

Er will seinen Fehler von vorhin wiedergutmachen, konstatierte Raimundus.

»Ein Zauberer also ...«, brummte er und schrak zurück, als der Gefesselte in perfektem Französisch antwortete: »Für den Unwissenden ist Bildung immer Zauberei, oh Herr!«

Raimundus trat daraufhin einen Schritt zurück und fixierte das Gesicht des Mannes, der ihn nun offen, aber ohne Hass ansah.

»Wer seid Ihr?«, fragte er dann und versuchte, seine Überraschung zu unterdrücken.

»Ich bin oder besser ich war ein Gelehrter ...«

»Im Dienste des Sultans?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf: »Meine Dienste waren nicht an eine Person gebunden. Sagen wir, dass ich mit meinem Wissen und Können Geschäfte machte.«

»Gute, wie ich sehe!«, erwiderte Raimundus, während er auf die teure Kleidung seines Gegenübers deutete.

»Auch mit Wissen kann man ein Vermögen machen, nicht nur mit sinnlosem Mord!«

In Raimundus Augen glitzerte es: »Und nun seid Ihr auf der Flucht?«

»Seht Ihr in dieser Stadt noch jemanden, der an Wissen interessiert ist, Herr?«, fragte der Gelehrte und schenkte ihm ein schiefes Lächeln.

»Einhardt, führe uns zu seiner Karre!«, wies Raimundus kurz darauf seinen Untergebenen an, ohne den Gefangenen aus den Augen zu lassen.

Wenig später verließen sie das Atrium durch den Haupteingang und traten auf die staubige Straße hinaus. Eine einfache Karre mit einem Maultier stand vor dem Haus.

»Kein edles Gefährt, trotz Eures Reichtums?«

»Ein weiser Mann versteht es, seinen Reichtum zu verbergen, besonders in diesen Zeiten ...«

»Nicht vollkommen gelungen, oder?«, bemerkte Raimundus sarkastisch und zeigte erneut auf die Kleidung des Mannes. Dann warf er einen Blick unter das schmutzige Tuch, das die Ladefläche des Karrens bedeckte. Hatte er Gold oder Silber erwartet? Stattdessen sah er seltsame Apparaturen: Kupferkessel, Röhren, Holzkisten voller Essenzen, Pulver und anderer Dinge, die er nicht sofort erkennen konnte.

»Seid Ihr ein Alchemist?«, fragte er leise.

»Das auch, oh Herr!«

»Ein Hexer!«, warf Einhardt mit zitternder Stimme ein. »Lasst ihn uns verbrennen!«

»Und warum sollte ich Euch nun laufen lassen?«, wandte sich Raimundus wieder dem Gefangenen zu. »Ich könnte Euch verbrennen und Euren Besitz einfach an mich nehmen.«

»Weil ich lebendig für die Menschheit wertvoller bin, als diese Gegenstände in Ihrer Hand, wenn ich tot bin!«

»... für die Menschheit«, wiederholte Raimundus und ertappte sich selbst, dass er dem Mann irgendwie glaubte.

»Seht Ihr die Holzkiste rechts vor Euch? Öffnet sie!«

Raimundus tat wie ihm geheißen, zog die Kiste von der Karre herunter, öffnete das einfache Schloss und schlug das Tuch, das den Inhalt schützte, zurück. Ein schwarzer Würfel lag darunter. Weiße Zeichen leuchteten auf dessen Oberfläche.

»Was ... ist das?«, hakte er nach, berührte vorsichtig den mysteriösen Gegenstand und zog die Hand schnell zurück. »Der würfelartige Stein ist warm!«

»Es ist ein heiliger Stein! Wenn Ihr mich freilasst, gehört er Euch!«

»Woher habt Ihr ihn?«, wollte Raimundus nun wissen und betrachtete das Artefakt fasziniert.

»Von den Göttern selbst, oh Herr!«

»Er ist des Teufels!«, erwiderte Einhardt. Seine Stimme quiekte. Was hier geschah, und was er sah, ging offensichtlich über seinen Verstand. »Was bedeuten die Zeichen auf der Oberfläche?« Dann fuhr er mit dem rechten Zeigefinger darüber, in der Hoffnung, eine Meißelrinne zu ertasten.

»Es ist die Sprache der alten Ägypter und der Sumerer, sie erzählen von den alten Göttern.«

»Es sind die Zeichen des Satans! Herr, lass davon ab!«

Raimundus warf Einhardt einen vernichtenden Blick zu. »Ich könnte Euch töten und hätte den Stein trotzdem!«, murmelte er und sah im nächsten Augenblick den Zauberer an. »Seid Ihr ein Mann, der so etwas zu tun vermag?«

Raimundus lächelte. »Binde ihn los!«

Einhardt wollte aufbegehren.

»Binde ihn los und geleite ihn zum Rande der Stadt!«

»Herr, das ist ein Verbrechen ...«

»Ich werde dich dafür extra entlohnen, Einhardt!«

Erst die Aussicht auf Belohnung brachte den Untergebenen zum Schweigen und er löste die Fesseln. Der vermeintliche Zauberer setzte sich im nächsten Moment auf die Karre, und Einhardt nahm widerwillig neben ihm Platz.

Raimundus hatte derweil die Kiste genauer in Augenschein genommen und meinte: »Ich habe Ihren Namen noch nicht erfahren ...«

»Ich heiße Salem Al-Ibn. Aber diesen Namen wird man vergessen. Ihren kenne ich auch nicht, aber ich weiß, dass er den Leuten noch in Jahrhunderten in Erinnerung bleiben wird. Allein wegen des Würfels, den Ihr tragt. Seid Euch dessen sicher!«

Mit einem Schlag der Zügel setzte sich wenig später die Karre in Bewegung und hinterließ einen zutiefst verwirrten Raimundus.

The Rink at Rockefeller Center

New York City, New York, 08. Dezember 2023, 19:52 Uhr

Cliff hatte Angst, zu erblinden. Das war zwar nicht unbedingt begründet, doch immerhin sorgte das Meer der strahlenden LED-Lichter rund um das Rockefeller Center dafür, dass es vor seinen Augen flimmerte. Ein Blick zur Seite genügte jedoch, um sich zu vergewissern, dass es Judy diesbezüglich hervorragend ging – eher sogar zu gut. Ihr Gesicht hatte einen seltsam verklärten Ausdruck angenommen, und ihre Augen strahlten freudig.

Sie lässt sich vom Weihnachtskitsch mitreißen, dachte er amüsiert.

Direkt vor den Bundesmarshals erstreckte sich die Eisbahn, die jedes Jahr vor dem Rockefeller Center aufgebaut wurde. Sie war von schätzungsweise einer Milliarde Lichtern umgeben, die für eine weihnachtliche Stimmung sorgen sollten, aber wahrscheinlich auch bewirkten, dass man die gesamte Anlage vom Weltraum aus sehen konnte.

Praktisch ein idealer UFO-Landeplatz, scherzte Cliff im Geiste.

»Nun, komm schon!«, drängelte Judy und zog ihren ebenfalls mit Schlittschuhen ausgestatteten Partner wie einen Fünfjährigen in Richtung Eisfläche, auf der sich bereits Dutzende von Menschen tummelten.

Judy stakste vorsichtig übers Eis, während Cliff sich etwas sicherer vorwärtsbewegte.

»So oft bist du aber noch nicht gefahren, oder?«, fragte er.

»Es ist so wunderschön hier!«, erwiderte sie und ignorierte Cliffs Frage.

»Ja, es ist sehr ... weihnachtlich ...«, gab er vorsichtig von sich.

Sie warf ihm daraufhin einen tadelnden Blick zu. »Nur weil du mit dem Fest der Liebe nichts anfangen kannst!«

»Es geht weniger um das Fest der Liebe als um ... äh ... die Zelebrierung des Konsumterrors«, entgegnete er ein wenig verschüchtert.

»Du hast das amerikanische Weihnachtsfest schlichtweg nicht verstanden ...«, beendete sie die Diskussion und kämpfte sich auf den wackeligen Schuhen an der Bande der Eisfläche entlang.

Cliff schaute sie nun fragend an. Grundsätzlich hatte er nichts gegen Weihnachten. Als er ein Kind war, war es der schönste Tag des Jahres, noch vor seinem Geburtstag, vermutlich wie für die meisten anderen auch. Doch je älter er wurde und je besser er das Geschäft hinter dem Feiertag verstand, desto mehr distanzierte er sich davon. So erklärte er zumindest für sich selbst seine leichte Unzufriedenheit.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich keine eigene Familie habe!, schoss es ihm durch den Kopf. Er verdrängte den Gedanken jedoch schnell wieder und folgte seiner Kollegin, die sich nur mit Mühe auf den Kufen hielt.

»Weihnachten war bei uns immer bunt, hell und laut!«, erzählte sie, als er ohne große Anstrengung aufgeholt hatte. »Das Haus war voller Menschen, Weihnachtsmusik dröhnte praktisch vierundzwanzig Stunden durch alle Räume und mein Vater stellte in unserem kleinen Garten immer einen riesigen Lichter-Weihnachtsmann auf.«