DIE VERFÜHRERIN - Carter Brown - E-Book

DIE VERFÜHRERIN E-Book

Carter Brown

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Die 17jährige Angela Summers, Erbin eines erheblichen Vermögens, ist mit einem jungen Taugenichts durchgebrannt. Sheriff Lovers beauftragt auf flehentliche Bitten von Mrs. Summers den vielerprobten Polizei-Lieutenant Al Wheeler, das flüchtige Paar wieder einzufangen. Jedoch - Mord und Totschlag ereignen sich, ehe der clevere Lieutenant entdeckt, welch finstere Geschehnisse der anscheinend harmlosen Flucht der jungen Leute vorangegangen sind. Aber auch dieses Mal ist es seinem Draufgängertum, seinem Charme und seinem unverwüstlichen Humor zu verdanken, dass Al die Gefahren meistert... Der Roman DIE VERFÜHRERIN von Carter Brown (eigentlich Allan Geoffrey Yates; * 1. August 1923 in London; † 5. Mai 1985 in Sydney) erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1971. Der Apex-Verlag veröffentlicht DIE VERFÜHRERIN in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.

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CARTER BROWN

 

 

Die Verführerin

 

Roman

 

 

 

 

Apex Noir, Band 7

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE VERFÜHRERIN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Die 17jährige Angela Summers, Erbin eines erheblichen Vermögens, ist mit einem jungen Taugenichts durchgebrannt. Sheriff Lovers beauftragt auf flehentliche Bitten von Mrs. Summers den vielerprobten Polizei-Lieutenant Al Wheeler, das flüchtige Paar wieder einzufangen. Jedoch - Mord und Totschlag ereignen sich, ehe der clevere Lieutenant entdeckt, welch finstere Geschehnisse der anscheinend harmlosen Flucht der jungen Leute vorangegangen sind. Aber auch dieses Mal ist es seinem Draufgängertum, seinem Charme und seinem unverwüstlichen Humor zu verdanken, dass Al die Gefahren meistert...

 

Der Roman Die Verführerin von Carter Brown (eigentlich Allan Geoffrey Yates; * 1. August 1923 in London; † 5. Mai 1985 in Sydney) erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1971.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht Die Verführerin in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  DIE VERFÜHRERIN

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Er lag, Gesicht nach unten, auf dem wackligen Bett eines Motel-Bungalows, das von seinem Besitzer, nicht ohne grimmigen Humor, Wanderers Ruh getauft worden war. Ein matter Sonnenstrahl fiel durch das staubige Fenster auf seine Wange. Er sah nicht einmal überrascht aus.

Möglicherweise gibt es einige angenehme Arten zu sterben, aber den Hinterkopf zu blutigem Brei zertrümmert zu bekommen ist ganz gewiss keine davon. Ich zündete eine Zigarette an und wartete, bis sich Doktor Murphy mit einem Seufzer aufrichtete und mich ansah. Sein Gesicht schien blasser als sonst.

»Der sprichwörtliche stumpfe Gegenstand, Wheeler«, knurrte er. »Ganz schön zugerichtet, wie?«

Ich folgte ihm ins Bad, wo er sich mit der Gründlichkeit seines Berufs die Hände wusch. »Jeder einzelne Hieb hätte genügt, ihn ins Jenseits zu befördern«, sagte er.

»Auch der erste?«

»Jawohl, Lieutenant«, nickte er. »Trotzdem hat der Täter ein Dutzend Mal zugeschlagen, vielleicht noch öfter.« Er warf einen angewiderten Blick auf das schmutziggraue Handtuch und trocknete sich die Hände an seinem Taschentuch ab.

»Sie haben’s ganz bestimmt mit einem Irren zu tun, Wheeler!«

»Hm«, sagte ich geistesabwesend. »Sind Sie fertig, Doc?«

»Jawohl – ich überlasse ihn ganz und gar Ihnen.«

Ich ging zu dem Toten zurück. Die beiden Jungs vom Kriminallabor, die ich mir von der Mordabteilung ausgeliehen hatte, waren schon unterwegs zur Stadt. Den rostigen Hammer hatten sie, sorgfältig in ein Tuch gepackt, mitgenommen. Er hatte neben dem Bett gelegen und war voller angetrocknetem Blut und Haaren.

Noch immer fiel der Sonnenstrahl auf die Wange des Toten. Ich drehte ihn auf den Rücken. Seine Augen sahen mich mit einem ruhigen, fast nachdenklichen Ausdruck an. Er mochte Anfang Vierzig sein, zart gebaut, mit einer langen Nase und dünnem Haar. Er war vollständig angezogen, sein beiger Anzug war zerknittert, er trug ein billiges No-iron-Hemd. Die abgetragenen braunen Wildlederschuhe waren schmutzig. Er sah nicht wie jemand aus, der Erfolg gehabt hatte.

Ich durchsuchte systematisch seine Taschen: ein Taschentuch, Autoschlüssel, eine Handvoll Kleingeld und eine Geldtasche. In der Geldtasche waren einhundert Dollar in Fünfer- und Zehnernoten, eine Privatdetektivlizenz des Staates New York, ausgestellt auf Albert H. Marvin, ein Führerschein und ein paar quittierte Rechnungen – darunter eine vor drei Tagen ausgestellte von einem Motel in Santa Monica und eine von diesem Motel.

Murphy sah mir über die Schulter, während aus seiner Kehle kratzende Laute kamen: »Privatdetektiv, wie? Und dazu ein ganzes Ende bis zu Muttern nach Hause.«

»Wir können ja tauschen, ich seziere die Leiche – Sie klären den Mord auf, wenn Sie wollen«, sagte ich betont kühl.

»Reine Neugier, Lieutenant.« Murphy ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich nehme an, er ist acht bis zehn Stunden tot.«

Ich sah auf die Uhr. »Demnach wäre es heute Nacht zwischen zwölf und zwei passiert.«

Die Tür flog auf und Sergeant Polnik polterte herein. »Ich bin mit dem Leichenwagen gekommen«, sagte er atemlos. »Der Sheriff...« Er sah den Toten auf dem Bett und blinkerte, »Heiliger Strohsack...!«

»Was ist mit dem Sheriff?«, fragte ich.

»Sie sollen sofort ins Büro kommen, möglichst noch schneller. Er ist rumgehopst, als sei Wahljahr und Sie kandidierten für das Sheriffsamt.«

»Das wäre nicht schlecht«, sagte ich. »Den ganzen Tag im Sheriffsamt sitzen und mit der Sekretärin rumschmusen.«

»Ich habe noch nie den Eindruck gehabt, dass Miss Jackson dafür zu haben ist«, sagte Polnik verwundert.

»Ist sie auch nicht«, sagte ich, »aber man wird es sich doch noch vorstellen dürfen.«

Die Jungs vom Leichenwagen marschierten in ihren sauberen weißen Kitteln herein und füllten das kleine Zimmer. »Ich bin erst vor einer halben Stunde hier angekommen«, sagte ich. »Was ist mit Lavers, dreht er schon wieder durch?«

»Keine Ahnung, Lieutenant.« Polnik zuckte hilflos die Schultern. »Er will Sie jedenfalls schnellstens in der Stadt haben, und ich soll hier weitermachen.«

»Sie könnten mich in Ihrer Taschenrakete mitnehmen«, unterbrach Murphy, »vielleicht kann ich dabei meine Theorie über die Burschen, die solche ausländische Chausseewanzen fahren, überprüfen.«

»Zu Ihrer Information: Es handelt sich um einen Sportwagen. Was für eine Theorie?«

»Dass die Wanzenfahrer unter einem Schuldkomplex leiden, der sie zu Masochisten macht«, sagte er munter. »Warum sollten sie sich sonst in Kinderwagensitze zwängen?«

Polnik starrte auf den Inhalt von Albert H. Marvins Geldtasche und grunzte: »Der war ja Privatdetektiv.«

»Das hat der Doktor schon vor Ihnen gemerkt«, gab ich zurück.

»War vielleicht ein heißer Knabe, der über jemanden zu viel gewusst hat, und sie haben ihm eins auf die Rübe gegeben, um ihm’s Maul zu stopfen?« theoretisierte Polnik laut. »Was soll ich machen, Lieutenant?«

Ich verkniff mir die naheliegende Antwort, wusste ich doch, dass er alles andere als sich an die Arbeit machen würde. Ich trug ihm auf, den Motelbesitzer zu verhören, der den Mord gemeldet hatte, und dann die übrigen Gäste. Dann sollte er feststellen, ob jemand heute Morgen abgereist war, bevor man die Leiche entdeckt hatte. Polniks Cro-Magnon-Stirn legte sich in tiefe Falten, während er im Geist meine Anweisungen zu rekapitulieren versuchte – ich hätte mir gleich denken sollen, dass drei Sachen auf einmal zu viel für ihn waren. Die Leiche musste mich mehr aus der Fassung gebracht haben als ich dachte.

Kurz nach elf war ich im Büro des Sheriffs. Seine Sekretärin, Annabelle Jackson – eine Blondine, die alles hatte und keinen Millimeter davon hergeben wollte –, fuhr in ihrem Drehstuhl herum und sah mich aufgeregt an.

»Seit einer halben Stunde fragt der Sheriff buchstäblich alle fünf Minuten nach Ihnen«, sagte sie atemlos. »Machen Sie schnell, dass Sie reinkommen.«

»Wozu diese Panik? Was gibt’s denn Wichtigeres als einen Mord?«

»Eine Viertelmilliarde Dollar beispielsweise«, sagte sie mit großen Augen und noch immer atemlos.

»In Fünfern und Zehnern – ich soll sie ihm wohl zählen helfen?«

»Ich meine, die da bei ihm drin ist – die hat so viel.«

Ihre Stimme klang geradezu andächtig, als sie den Namen aussprach: »Mrs. Geoffrey Summers!«

»Hat sie Fort Knox erobert und sich die Goldreserven der USA unter den Nagel gerissen? Das geht uns doch gar nichts an. Liegt nicht in unserem Bezirk.«

»Ich verstehe nicht, wie jemand so blöd sein kann«, sagte sie ehrlich aufgebracht. »Sie können doch nicht einfach dastehen und tun, als wüssten Sie nicht, wer Mrs. Geoffrey Summers ist!«

»Ich weiß noch nicht mal, wer Mister Geoffrey Summers ist«, gestand ich freimütig.

Annabelle holte so tief Luft wie ihre Orlonbluse zuließ. Und dieses Material ist ziemlich elastisch. »Mrs. Summers ist eine Dame der New Yorker Gesellschaft«, sprudelte es aus ihr heraus, »gehört seit Jahren zu den Zehn Bestangezogenen. Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben, und...«

»...hat ihr mitsamt dem Trauerschleier eine Viertelmilliarde hinterlassen. Der Groschen ist schon gefallen. Wenn sie unter Fünfzig ist, heirate ich sie vielleicht, aber nicht mal so viel Geld ist ein Trost, die restlichen Nächte unseres Lebens an der Seite einer alten Schreckschraube verbringen zu müssen.«

»Na, dann gehen Sie nur rein, Al«, sagte Annabelle Jackson. »Sie werden vielleicht überrascht sein.«

Die erste Überraschung in Sheriff Lavers’ Büro waren die vielen Menschen. Lavers allein ist fett für zehn – drei Leute dazu und man kommt sich vor wie beim Endspurt um die Fußballmeisterschaft.

»Was hat Sie so lange aufgehalten?«, fragte er mit der Liebenswürdigkeit eines sprungbereiten Tigers.

»Die Reibung«, sagte ich. »Die vier Räder müssen schließlich dauernd in Kontakt mit dem Straßenbelag bleiben und so weiter und so fort.«

»Ich hatte gehofft, Sie setzen sich – wie gewöhnlich – über Kleinigkeiten wie die in unserem Staat erlaubte Höchstgeschwindigkeit hinweg«, sagte er säuerlich, »aber natürlich – Sie waren ja dienstlich unterwegs, nicht zum Vergnügen. Hätte ich mir denken können.«

Angesichts der im Zimmer sitzenden Viertelmilliarde Dollar hätte ich mir Sorgen um den Sheriff machen sollen. Ich musterte die drei Besucher verstohlen und war neugierig, ob mein jahrelanges Training als Kriminalbeamter mir helfen würde, den Geldbrocken herauszufinden. Nur zwei kamen in Frage – der dritte Besucher war ein Mann.

Ein gehetzter Ausdruck kam in Lavers’ Augen. »Darf ich Sie mit Lieutenant Wheeler bekannt machen«, sagte er. »Meinem Büro von der Mordabteilung zugeteilt. Ein Beamter mit bemerkenswerter Erfahrung.«

Er vermied es, mich anzusehen. Es musste wirklich dicke Luft sein, dass er in meiner Gegenwart so nett von mir sprach.

»Lieutenant«, fuhr er schnell fort, »darf ich Ihnen Mrs. Summers vorstellen. Sie hat große Sorgen.«

»Guten Tag, Lieutenant«, sagte Mrs. Summers, mit einem leichten Unterton von Ungeduld in der Stimme.

Die Blonde hatte also das Geld – nicht die Brünette. Annabelles Bemerkung, ich würde überrascht sein, war durchaus berechtigt gewesen. Mrs. Summers war eine schlanke, äußerst attraktive Frau, und ich hätte nichts dagegen gehabt, ein paar Nächte in ihrer unmittelbaren Nähe zu verbringen. Auch ohne die Viertelmilliarde.

»Miss Brent, Mrs. Summers’ Anwältin«, fuhr Lavers in der Vorstellung fort.

»Freut mich, Lieutenant.« Die Brünette nickte mir liebenswürdig lächelnd zu. Sie mochte fünf bis zehn Jahre jünger als ihre Klientin sein, und ihr anthrazitgraues Kostüm hätte streng seriös gewirkt, wären die Kurven darunter nicht so verführerisch gewesen.

»Mister Hillary Summers«, vervollständigte Lavers die Vorstellung, »Mrs. Summers’ Schwager.«

Hillary Summers nickte vage und kehrte zu seiner Beschäftigung zurück, nämlich mit offenen Augen ins Nichts zu starren. Er war groß und schlank, so um Vierzig, mit schwarzem, an den Schläfen graumeliertem Haar und einem jener sensiblen Gesichter, auf das Frauen fliegen, weil es ihre mütterlichen Instinkte anspricht.

»Mrs. Summers«, räusperte sich der Sheriff barsch, »würden Sie so liebenswürdig sein, dem Lieutenant zu sagen, weswegen Sie hier sind?«

»Natürlich«, sagte sie, drehte ihren Körper leicht und sah mich an. Ihre Augen waren klar tiefblau und blickten völlig unpersönlich – sie sprach zu einem kleinen Angestellten.

»Es handelt sich um meine Tochter Angela«, sagte sie, »der Fall ist ganz einfach, Lieutenant. Ich habe den Sheriff gebeten, in der Sache die korrekten und gesetzmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, aber aus einem mir unverständlichen Grund scheint er das nicht zu wollen.«

»Heutzutage weiß man nie, wer Kommunist ist und wer nicht«, sagte ich höflich.

Miss Brents Mundwinkel zuckten den Bruchteil einer Sekunde, und Mrs. Summers sah mich böse an.

»Sie finden das witzig, Lieutenant?«, sagte sie eisig.

»Nein«, antwortete ich, »bitte fahren Sie fort.«

»Ich lebe natürlich in New York« – Kalifornien in fünf Worten wie mit spitzen Fingern in den nächsten Abfallkorb befördernd – »Angela verbrachte letztes Jahr in einem Pensionat in der Schweiz und ist vor sechs Wochen zurückgekommen. Sie war immer ein eigenwilliges Kind, und ich fürchte, das Jahr in Europa hat sie nicht geändert. Ich bin ziemlich beschäftigt. Wahrscheinlich habe ich mich seit ihrer Rückkehr nicht genug um sie gekümmert«, sie zuckte die Schultern. »Aber zur Sache, Lieutenant: Vor einer Woche ist sie mit einem Nachtclubsänger aus Greenwich Village, namens Rickie Willis, davongelaufen. Es ist nicht nur ärgerlich – es ist einfach absurd! Ich habe einen Privatdetektiv engagiert – der sie schließlich gefunden hat, hier in Pine City.«

»Das heißt«, unterbrach Miss Brent, »in Sheriff Lavers’ Bezirk.«

»Stimmt«, nickte Mrs. Summers, »und ich wünsche, dass Sheriff Lavers Schritte gegen diesen Sänger unternimmt.«

»Weswegen – wegen Entführung?«

»Ich bezweifle, dass meine Tochter dieser Formulierung zustimmen würde«, sagte sie beißend. »Die beiden verdienen eine harte Lektion, und ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, dass sie ihnen erteilt wird.«

»In welcher Form?«

»Meine Tochter ist siebzehneinhalb. Ich wünsche, dass Sie den Mann wegen Notzucht verhaften.«

Ich sah erst sie und dann Sheriff Lavers an. Der verdrehte die Augen zur Decke, als wolle er den Gott aller geprüften Land-Sheriffs anflehen, diese Frau auf der Stelle mit einem Blitz zu erschlagen.

»Soviel ich unterrichtet bin, ist man in Kalifornien mit Achtzehn großjährig. Daraus schließe ich, dass intimer Verkehr mit einer Minderjährigen, ob sie nun einverstanden ist oder nicht als Notzucht gilt.«

»Das stimmt. Aber wie wollen Sie das beweisen? Wenn Ihre Tochter die Aussage verweigert?«

»Ich bezweifle, dass dieses Problem Schwierigkeiten machen wird«, sagte sie kühl. »Sie haben sich dort, wo sie abgestiegen sind, als Mann und Frau eingetragen. Ich bin sicher, es wird nicht schwierig sein, diese Tatsache beweiskräftig zu machen.«

Ich zündete mir langsam eine Zigarette an und sah zu der leicht ihren Kopf schüttelnden Rechtsanwältin hinüber. »Der Rat stammt nicht von mir, Lieutenant«, sagte sie, als müsse sie sich entschuldigen, »aber Mrs. Summers hat sich für dieses Vorgehen entschieden.«

»Gibt es nicht auch noch so was wie den Mann-Akt«, sagte Mrs. Summers kühl. »Danach macht sich strafbar, wer zu unzüchtigen Zwecken eine Minderjährige über eine Staatsgrenze bringt?«

»Das FBI-Büro ist nur vier Querstraßen weiter«, sagte Lavers, zu eifrigem Wortschwall anhebend, doch wurde er mitten im Satz unterbrochen.

»Selbstverständlich werde ich mich, wenn nötig, auch mit dem FBI in Verbindung setzen«, sagte Mrs. Summers. »Aber zunächst einmal wünsche ich, dass Sie, Sheriff Lavers, etwas gegen den Mann unternehmen, der meine Tochter verführt hat!«

»Ich teile Miss Brents Meinung«, sagte Hillary Summers plötzlich mit angenehmer sonorer Stimme. »Aber meine Schwägerin ist nun mal entschlossen, die Sache so anzupacken. Ich habe versucht, ihr klarzumachen, wieviel Staub etwas Derartiges in der Öffentlichkeit aufwirbeln wird.« Er schauderte leicht. »Ein gefundenes Fressen für die Presse – die Tochter von Mrs. Geoffrey Summers, die erste Dame der New Yorker Gesellschaft!«

»Meine Tochter bedeutet mir mehr als die Angst vor der billigen Sensationsgier unserer Presse«, fauchte Mrs. Summers. »Es ist die einzige Möglichkeit, sie zur Vernunft zu bringen.«

»Sie sagen, der von Ihnen beauftragte Privatdetektiv weiß, wo sich die beiden im Augenblick aufhalten?«, fragte ich sie.

»Er rief mich gestern Morgen an, und wir drei haben uns sofort in ein Flugzeug gesetzt. Sie sind in einem Motel, zwanzig Kilometer von hier. Ein Dings, das Wanderers Ruh oder einen so ähnlich klingenden blödsinnigen Namen hat.«

Nach fünf schweigenden Sekunden bewegte sie sich gereizt auf ihrem Stuhl. »Hören Sie, Lieutenant! Müssen Sie mich so anstarren?«

»Dieser Privatdetektiv, den Sie da engagiert haben«, sagte ich, »heißt Marvin – Albert H. Marvin?«

»Wieso – ja! Woher wissen Sie das?«

»Ich komme gerade von der Besichtigung seiner Leiche zurück. Jemand hat ihm mit einem rostigen Hammer den Schädel zu Brei geschlagen – in meinen ganzen Leben habe ich noch niemanden gesehen, der so mausetot war, wie Albert H. Marvin.«

Es war jetzt an ihr, mich fassungslos anzustarren. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, und ihr Mund blieb halb offen, als ihre Stimmbänder bei dem Versuch, Worte zu formen, versagten – ich konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie vornüber zu Boden sank.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Unmittelbar nach zwölf kehrte ich in das Motel zurück. Ich fand Polnik im Büro des Managers, eines grauhaarigen, ausgemergelten, unrasierten Burschen, der aussah, als habe er dem Totengräber seit zehn Jahren ein Schnippchen geschlagen. Er trug ein verschlissenes blaues Hemd und eine zerknitterte graue Hose, und schon am Vortag wäre eine Rasur fällig gewesen.

»Mr. Jones, Lieutenant«, erklärte Polnik. »Das Motel gehört ihm.«

»Wie lange wollen Sie hier noch rumhocken, Lieutenant?«, fragte Jones säuerlich. »Ich hab’ mehr zu tun, als den ganzen Tag hier rumzusitzen und törichte Fragen zu beantworten!«

»Sie können uns ja versuchsweise eine Rechnung schicken«, sagte ich freundlich, »ins Büro des Sheriffs.« Ich sah Polnik an: »Was haben Sie inzwischen festgestellt?«

»Sechs Räume sind vermietet. Ich habe alle Leute vernommen, sie wissen nichts und haben angeblich auch nichts gehört. Hier, die Liste mit Namen und Adressen.«

»Ist irgendjemand heute früh abgereist?«

»Ja«, sagte er, »ein Ehepaar namens Smith.«

»Smith?« Ich sah den Besitzer fragend an.

»Wir haben immer Smiths«, brummte er. »Bleiben alle nur eine Nacht und brechen morgens immer zeitig auf; manche sogar vor Sonnenaufgang.«

»Wie sahen diese Smiths aus?«

»Jung«, sagte Jones lakonisch. »Der Mann so um die Fünfundzwanzig. Tat, als ob er schon hier gewesen wäre und alles schon kenne.« Er spuckte mit erstaunlicher Präzision durch das halboffene Fenster. »Das Mädchen war ganz jung – noch ’n Kind. Habnicht viel von ihr gesehen, nur so ‘nen Blick erhascht, wie sie am Büro vorbei ist. Schwarze, unordentliche Haare, mit einem Gesichtsausdruck, als ob sie ’ne Wut im Bauch hätte. Dachte, es wäre vielleicht eine von diesen Beatniks. Trug ein Männerhemd und hautenge Jeans.«

Seine Augen flackerten einen Augenblick, während er sich das Mädchen vergegenwärtigte. »Junge Leute haben heutzutage keine Selbstachtung mehr – die meisten sind Rumtreiber – ganz gleich wo sie herkommen.«

»Wann sind sie abgereist?«, fragte ich geduldig.

»Ich bin um sieben auf, da war’n sie schon weg.«

»Was für einen Wagen fuhren sie?«

»Sah aus wie ganz neu«, sagte er. »Leihwagen wahrscheinlich.«

»Erinnern Sie sich an irgendwas – Nummernschild, Farbe, Marke?«

»Wenn ich pleite machen will, brauch’ ich mich in dem Geschäft bloß wie ein Polyp aufzuführen«, sagte er grimmig. »Die Gäste wollen hier mal ’ne Nacht lang in Ruhe gelassen werden – ohne lästige Fragen bringen sie das meiste Geschäft.«

»Welchen Raum haben die beiden gehabt?«

»Sieben.«

»Und wann sind sie angekommen?«

»Montagabend gegen acht. Sie gingen sofort in ihren Raum, und wie gesagt, ich habe das Mädchen nur einmal gesehen. Sie mieteten für zwei Tage, und der Mann war gestern fast den ganzen Tag weg. Aber das Mädchen war nicht mit dem mit. Wie ich gegen zehn ins Bett bin, war er immer noch nicht wieder da.«

»Wann ist Marvin angekommen?«

»Montagabend – vielleicht ’ne Stunde nach den Smiths; hat erst für eine Nacht bezahlt und gestern früh nochmals für eine.«

»Wo ist sein Wagen?«

»Hat keinen gehabt.« Jones rümpfte die Nase. »Ist mit ’nem Taxi hergefahren.«

»In ein Motel? Ist Ihnen das nicht etwas komisch vorgekommen?«

»Ich führe den Betrieb seit zehn Jahren – mir kommt überhaupt nichts komisch vor. Wenn ein Kerl auf ’nem Kamel ankäme, ich wäre nicht überrascht.«

»Haben Ihnen die Smiths gesagt, sie würden heute Morgen abreisen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, die sind einfach fort.«

»Haben Sie sich mal mit Marvin unterhalten, solange der hier war?«

»Nein. Nur wie ich ihm die Quittung gegeben habe.«

»Danke«, sagte ich verdrossen, »Sie waren eine große Hilfe, Mr. Jones.«

»Hauen Sie jetzt verdammt endlich ab?«, erkundigte er sich hoffnungsvoll.

»Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Jones«, versicherte ich ihm. »So schnell wie möglich.«

Wir warfen einen Blick in den Raum, den die Smiths gemietet gehabt hatten. Er sah genauso aus wie der von Marvin, aber völlig leergefegt, nicht mal eine ausgequetschte Tube Zahnpasta war liegengeblieben. Es schien ein Fall ohne Spuren.

Ich zwängte Polnik neben mich in meinen Austin Healey, und wir fuhren in die Stadt zurück, nicht ohne unterwegs schnell etwas zu Mittag zu essen, wobei ich mich fragte, ob Lavers wohl auch der Auffassung sei, dass jetzt die passende Gelegenheit für mich zum Ferienmachen wäre.

Als ich um drei in sein Büro kam, war er allein und zog an seiner Zigarre mit dem Gesicht eines Menschenfressers, der seinen ersten dürren Missionar probiert.

»Sie waren nicht mehr da«, sagte er, sobald er mich erblickte.

»Erraten«, sagte ich. »Sie waren da – zwei Tage lang. Heute früh vor Sonnenaufgang sind die Herrschaften verschwunden.«

»Kann man sich denken. Natürlich keine Hinweise oder Spuren?«

»Sie fuhren mit einem Wagen weg, der wie ein Leihwagen aussah, sagte der Besitzer. Mit dem, was der alles nicht sieht, hätte er Polizist werden sollen.«

»Der Mord steht schon in der Abendzeitung«, sagte Lavers düster. »Vom Zusammenhang mit Mrs. Summers und ihrer Tochter wissen sie noch nichts – aber das wird nicht lange dauern.«

»Haben Sie schon Bescheid vom Labor? Wegen des Hammers?«, fragte ich und setzte mich auf den Besuchersessel.

»Keine Fingerabdrücke«, er biss weiter auf seiner Zigarre herum. »Ich habe in New York Auskünfte über Marvin angefordert.«

»Was ist mit Mrs. Summers?«

»Wohnt im Starlight Hotel, zusammen mit Miss Brent und ihrem Schwager. Sie wissen ja, die Nachricht vom Mord an Marvin hat sie umgeschmissen. Ich habe das ungemütliche Gefühl, dass sie sich sehr schnell erholt und dann wieder nach uns zu heulen anfängt.«

»Immerhin – ihre mütterlichen Instinkte muss man bewundern«, sagte ich. »Nicht jede Mutter ist derart wild darauf erpicht, zu beweisen, dass ihre Tochter vergewaltigt worden ist.«

»Eine reizende Dame, diese Mrs. Summers«, brummte Lavers. »Erinnert mich lebhaft an meine Schwiegermutter! Als sie nach fünfzig Jahren zum ersten Mal zu keilen aufhörte, ließen wir sogleich den Friedhofsverwalter kommen. Nur hilft uns das nicht weiter, wie?«

»Nein, Sir«, sagte ich zustimmend.

»Könnten Sie nicht mal eine von Ihren brillanten tollen Ideen loslassen?«