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Erika Kunert ist wie benommen. Der Arzt hat ihr schonungslos offenbart, wie schwer sie erkrankt ist. Sie muss sofort für längere Zeit ins Krankenhaus, sonst kann er für nichts mehr garantieren. Jetzt steckt sie in einem wahren Dilemma. Was soll aus ihrer gelähmten Tochter werden, während sie wochenlang in der Klinik liegt? Unaufhörlich denkt Erika über dieses Problem nach. Nein, in ein Heim will sie ihr geliebtes Kind auf keinen Fall geben. Erikas Hoffnung, dass eine ihrer besten Freundinnen Elisa vielleicht aufnehmen würde, erfüllt sich nicht. Was nun? Plötzlich erinnert sie sich an den charmanten, reichen Gutsbesitzer, mit dem sie vor über zwanzig Jahren eine kurze Affäre hatte. Zum Glück ohne Folgen! Doch in ihrer Verzweiflung sieht Erika sich gezwungen, zu einer kleinen Notlüge zu greifen ...
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Seitenzahl: 125
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Ein Leben, zwei Wahrheiten
Vorschau
Impressum
Ein Leben, zwei Wahrheiten
Bewegender Roman um eine späte Beichte
Erika Kunert ist wie benommen. Der Arzt hat ihr schonungslos offenbart, wie schwer sie erkrankt ist. Sie muss sofort für längere Zeit ins Krankenhaus, sonst kann er für nichts mehr garantieren. Jetzt steckt sie in einem wahren Dilemma. Was soll aus ihrer gelähmten Tochter werden, während sie wochenlang in der Klinik liegt?
Unaufhörlich denkt Erika über dieses Problem nach. Nein, in ein Heim will sie ihr geliebtes Kind auf keinen Fall geben. Erikas Hoffnung, dass eine ihrer besten Freundinnen Elisa vielleicht aufnehmen würde, erfüllt sich nicht. Was nun?
Plötzlich erinnert sie sich an den charmanten, reichen Gutsbesitzer, mit dem sie vor über zwanzig Jahren eine kurze Affäre hatte. Zum Glück ohne Folgen! Doch in ihrer Verzweiflung sieht Erika sich gezwungen, zu einer Notlüge zu greifen ...
Erika Kunert zog sich mit fahrigen Bewegungen ihre Kleider wieder an. Dabei bemühte sie sich, ihrer Nervosität Herr zu werden. Sie schaffte es nicht.
Dr. Heinrich saß schon wieder hinter seinem mächtigen Schreibtisch, als sie auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz nahm. Erika versuchte ihre Angst vor ihm zu verbergen. Sie lächelte und wusste nicht, wie verkrampft sie dabei wirkte. Die Hände der Frau zerknüllten unablässig ein Taschentuch.
»Herr Doktor, sagen Sie mir die Wahrheit!«, stieß sie hervor.
Der Arzt wiegte bedächtig den Kopf und blickte auf die Ergebnisse der Untersuchungen.
»Ich muss Sie unverzüglich in eine Klinik einweisen.«
Erika Kunert saß plötzlich kerzengerade und schien nur aus Abwehr zu bestehen. Selbst auf ihren Zügen spiegelte sich das Gefühl wider. Die ängstliche Nervosität war aus ihnen verschwunden und hatte einer wilden Entschlossenheit Platz gemacht.
»Nein, Herr Doktor, das ist unmöglich«, sagte sie schnell. »Sie kennen meine Verhältnisse. Ich habe meine gelähmte Tochter zu Hause, die ohne mich nicht fertig werden würde. Ich kann mich nicht aus der Verantwortung für sie stehlen und sie ihrem Schicksal überlassen. Nein, das geht nicht.« Sie schüttelte den Kopf.
Offenbar hatte Dr. Heinrich mit Widerstand gerechnet und unterdrückte einen Seufzer. Dann lächelte er freundlich und nickte.
»Ich kann Sie natürlich verstehen. Allerdings müssen Sie in diesem Fall auch einmal an sich denken, Frau Kunert. Ich will mit der Wahrheit nicht hinter dem Berg halten. Sie sind sehr krank.«
»Geben Sie mir die nötigen Medikamente«, bat Frau Erika.
Der Arzt lächelte nachsichtig.
»Das habe ich bereits getan und bin mit meiner Kunst am Ende. Sie brauchen unbedingt eine stationäre Behandlung, und ich fürchte, sogar eine Operation. Es gibt Heime, die Ihre Tochter aufnehmen.«
Frau Erika schloss einen Moment die Augen, als könne sie so die Wahrheit besser ertragen. Als sie sie wieder öffnete, war ihr Gesicht um einen Schein blasser geworden.
»Heime«, wiederholte sie bitter. »Elisa war damals, nach dem Krankenhausaufenthalt, in einem Heim. Ich allein weiß, wie unglücklich das Kind war. Jeder Handgriff war den Pflegerinnen zu viel. Meine Tochter ist sehr sensibel. Sie hat furchtbar darunter gelitten, mit vier anderen Behinderten das Zimmer teilen zu müssen. Es blieb kein Raum für eine Privatsphäre. Sie hat nie geklagt, nein, das hätte sie nie getan.« Die Frau wischte sich über die Augen. »Aber ich habe doch bei meinen Besuchen gesehen, wie traurig sie immer war. Sie blühte auf, als ich sie kurzerhand zu mir holte.«
Dr. Heinrich wusste, wie recht Erika Kunert hatte. Ihre Tochter Elisa war ein ungewöhnliches Menschenkind. Nach einem Verkehrsunfall gelähmt, ertrug sie ihr Schicksal mit ungewöhnlicher Tapferkeit und ohne zu klagen. Sie war äußerst liebenswert, die junge Elisa. Sie besaß von Natur aus ein heiteres Naturell. Sie wusste sich trotz ihres beklagenswerten Zustandes zu beschäftigen.
Ein straff organisierter Heimbetrieb lähmte sie und erstickte ihren Frohsinn. In der Beziehung mochte Erika Kunert recht haben.
»Es gibt auch gut geleitete Heime, in denen Kranke Raum zur Entfaltung haben und wo sie sich wohlfühlen.«
Erika Kunert stieß ein unfrohes Lachen aus.
»Es mag sie geben, aber sie kosten viel Geld. Das besitze ich jedoch nicht. Ich lebe von einer mageren Pension. Mein Mann ist früh verstorben.«
»Ist es nicht möglich, dass Ihre Tochter von Freunden oder Bekannten betreut wird? Sie müssen in die Klinik, Frau Kunert«, sagte der Arzt mit Nachdruck. »Je länger Sie den Aufenthalt hinauszögern, desto schlechter sind Ihre Heilungschancen.«
»Steht es um mich so schlecht, Herr Doktor?«, fragte Frau Erika betroffen.
»Ich kann es nicht verhehlen«, gab der Arzt zu. »Sie spielen also mit Ihrem Leben. Gerade das müssen Sie doch für Ihre Tochter erhalten«, fügte er eindringlich hinzu.
Erika Kunert rang sichtlich um Fassung. Sie nickte endlich.
»Ich verstehe«, murmelte sie dann. »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Ich werde, ich muss also einen Weg finden, der auch Elisa gerecht wird.«
Sie wirkte nun wieder entschlossen und gesammelt. Dann stand sie auf und verabschiedete sich von Dr. Heinrich. Er blickte ihr lange nach und machte sich über sie Gedanken.
Frau Kunert war noch immer eine gut aussehende, gepflegte Frau und musste in ihrer Jugend sicher einmal so schön gewesen sein wie ihre gelähmte Tochter. Sie lebte jetzt nur für ihr Kind und opferte sich für die junge Elisa förmlich auf.
♥♥♥
»Mutsch, bist du wieder da?« Elisa hörte die Wohnungstür sich öffnen und dann wieder schließen. Sie legte die Strickarbeit auf das Tischchen neben sich.
»Ja, ich bin es«, erwiderte Erika Kunert.
Elisa rollte in ihrem Rollstuhl in die Diele.
Erika stand vor dem Spiegel in dem kleinen Flur und prüfte ihr Aussehen. Sie war noch blasser als sonst, und Elisa würde es sofort bemerken. Darum rieb sie sich die Wangen, damit sie sich röteten. Kurze Zeit später öffnete Elisa die Tür.
»Hallo«, sagte sie fröhlich.
»Hallo, Liebes!« Frau Erika merkte man nicht an, welche seelische Erschütterung sie gerade erlebt hatte. »Du hast auf mich gewartet, nicht wahr?«
»Aber nein, Mutsch, wie kommst du darauf? Du hast dich doch hoffentlich meinetwegen nicht beeilt?«
»Keineswegs.«
»Hast du denn gar nichts eingekauft?«, wunderte Elisa sich nun.
»Nein, ich habe lediglich einmal einen kleinen Schaufensterbummel gemacht.«
»Das solltest du öfter tun, ich komme schon allein zurecht.« Das junge Menschenkind war voller Eifer.
»Schauen wir mal«, sagte Frau Erika ausweichend. »Soll ich uns eine Tasse Kaffee kochen?«
»Das wäre keine schlechte Idee. Durst hätte ich.«
»Ich schiebe dich wieder ans Fenster«, erbot sich Elisas Mutter.
»Du bist sehr lieb, aber das kann ich allein. Ich muss schließlich lernen, immer besser mit meiner Behinderung fertig zu werden.« Elisa sprach völlig sachlich, allerdings zuckte es leicht um ihren schön geschwungenen Mund.
»Das kannst du doch inzwischen schon großartig, Kleines.«
»Ich muss noch manches lernen. Wie wäre es, wenn ich Kaffee kochen würde?«
Wenn Elisa solche Ansinnen an ihre Mutter stellte, spürte diese jedes Mal eine Gänsehaut im Rücken. Etliches war in der kleinen Wohnung zwar schon auf Elisas Behinderung abgestimmt worden, aber es reichte längst nicht aus, um Elisa in der Küche wirtschaften zu lassen. Tat sie es doch, so unter großen Anstrengungen und Mühen.
Frau Erika fürchtete dann jedes Mal irgendein Unglück, durfte auf der anderen Seite ihre Angst jedoch nicht zeigen.
»Nimm es mir nicht übel, ich komme vor Durst um. Ein anderes Mal gern, aber nun möchte ich schnell selbst ein Tässchen Kaffee kochen.«
»Bei mir geht es leider nicht so schnell, sonst hätte ich dir die Arbeit gern abgenommen.«
♥♥♥
Als Elisa später wie meistens früh im Bett lag, stützte Frau Erika ihren Kopf schwer in beide Hände und grübelte darüber nach, wer wohl bereit und willig wäre, Elisa während ihres Krankenhausaufenthaltes bei sich aufzunehmen. Ihr fielen etliche Bekannte aus vergangenen guten Tagen ein.
Seit Elisa jedoch gelähmt war, konnte sie die Verbindungen nicht mehr wie früher pflegen.
Aber jetzt war sie in einer echten Zwangslage und würde sicher jemanden finden, der ihr helfen würde. Sie notierte sich die Namen ihrer Bekannten und war voller Zuversicht. Jeder kannte Elisa und wusste, wie liebenswert sie war. Das hatte sich gottlob auch nach dem Unfall nicht geändert.
Frau Erika schlich schnell ins Schlafzimmer. Elisa schlief tief und fest. Da atmete sie auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Sie wählte die Telefonnummer ihrer Freundin.
Bevor sie noch ihr Anliegen vorbringen konnte, kam ihr Annelotte zuvor.
»Lässt du endlich wieder einmal etwas von dir hören, du Ärmste! Durch deine gelähmte Tochter bist du völlig ans Haus gefesselt. Dein Opfermut in allen Ehren, aber schließlich bist du ja auch noch keine Greisin und hast ein Recht auf das Leben. Erika, ich rate dir dringend, Elisa in ein Heim zu geben, dann kannst du sie ab und zu besuchen, sie ist unter ihresgleichen ...«
Erika wollte Annelotte einige Male unterbrechen, aber vergeblich!
»Euch wäre beiden geholfen. Elisa ist alt genug, um einzusehen, welche Belastung sie für dich ist. Du weißt, wie gut ich es mit dir meine, und erinnerst dich hoffentlich daran, wie prima wir uns immer verstanden haben. Darum meine ich, das Recht zu haben, dir einen Rat zu geben. Ich könnte diese Belastung nicht auf mich nehmen, das sage ich dir ganz ehrlich.«
Sie machte eine Pause. Erika Kunert schluckte einige Male.
»Hallo, bist du noch am Apparat?«, fragte ihre Freundin. »Du bist ja hoffentlich nicht eingeschnappt? Du weißt doch, wie gut ich es mit dir meine!«
»Selbstverständlich«, würgte Frau Erika hervor.
»Sag mal, wolltest du etwas Besonderes? Du hast so lange nichts von dir hören lassen?«
Elisas Mutter umklammerte den Hörer sehr fest.
»Nein, ich fühlte mich ein bisschen einsam, Elisa schläft. An dich gedacht habe ich häufig, nun habe ich es wahr gemacht und dich angerufen.«
»Das war eine gute Idee. Ich hatte mir auch mehrfach vorgenommen, etwas von mir hören zu lassen. Aber du weißt ja, wie das ist, es kam halt immer wieder etwas dazwischen.«
Sie plauderten noch ein paar Minuten über dieses und jenes. Als Frau Erika den Hörer auf die Gabel legte, fühlte sie sich vollkommen erschöpft.
Dann wählte sie die Telefonnummer der nächsten guten Bekannten. Der Mann war am Telefon.
»Ilse ist gestern zu unserer Tochter gefahren. Dort ist das dritte Kind angekommen. Wir freuen uns zwar, aber hätten doch lieber gesehen, wenn die Abstände zwischen den Geburten ein bisschen größer gewesen wären.«
Der Mann stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr fort.
»Unsere Petra hat dieses Mal durch einen Kaiserschnitt entbunden. Ewig kann ich selbstverständlich hier nicht als Strohwitwer leben. Darum bringt Ilse die beiden älteren Enkel mit. Petra muss sich dann nur um das Baby kümmern und ist nicht so belastet.«
»Dann gratuliere ich zum neuen Enkel«, sagte Frau Erika. Sie wechselte noch etliche belanglose Worte mit dem Mann ihrer Bekannten und verabschiedete sich dann.
Der dritte Versuch scheiterte genauso. Dieses Mal konnte sie zwar ihren Wunsch aussprechen, wurde jedoch sofort abgeblockt.
»Das tut mir leid, Erika, aber mein Mann und ich fliegen in der übernächsten Woche für einen Monat nach Spanien.«
»Wie schön für euch«, sagte Erika Kunert schnell. Ihr drängte sich der hässliche Verdacht auf, Vera habe nur eine Ausrede benutzt, um eine brüske Absage zu vermeiden. Anschließend schämte sie sich. Sie war mit ihren Nerven am Ende. Sie weinte und verbarg ihr Gesicht hinter einem Taschentuch.
Jetzt wusste sie nicht weiter. Aber sie musste Elisa irgendwo gut unterbringen, bevor sie in die Klinik ging. Wenn ich nur Geld hätte!, dachte sie sehnsüchtig.
Sekundenlang dachte sie daran, zur Bank zu gehen und sich Geld zu leihen. Dann machte sie sich klar, dass sie nicht kreditwürdig war vom Standpunkt der Bank aus. Sie konnte keinerlei Sicherheiten bieten. Auf ihre Wohnungseinrichtung bekam sie keinen roten Heller.
»Mein Gott, was soll ich tun?«, murmelte Erika verzweifelt. Sie überlegte nochmals krampfhaft, wer ihr eventuell helfen würde.
Wie ein gefangenes Tier ging sie in dem kleinen Wohnzimmer hin und her. Plötzlich blieb sie stehen, umklammerte eine Stuhllehne, als brauche sie einen Halt. Sie unterdrückte ein Stöhnen und schloss die Augen. Dann setzte sie sich schnell und entschlossen an den kleinen Sekretär, nahm einen Briefbogen und begann zu schreiben.
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»Gerade ist die Post gekommen, Herr Doktor!«
Edmond von Plattenheide betrachtete gerade sehr intensiv eine Röntgenaufnahme.
»Legen Sie sie auf den Schreibtisch«, sagte er zerstreut.
»Soll ich nun Herrn Wolter hereinholen?«
Grete Werner stand abwartend hinter dem jungen Landarzt. Sie arbeitete täglich mit ihm zusammen und wusste daher, dass sein Ruf als tüchtiger Mediziner sehr berechtigt war. Schon oft hatte sie sich gefragt, warum er sich hier auf dem Lande niedergelassen hatte. In der Stadt hätte er gewiss eine glänzende Karriere gemacht.
Edmond legte die Aufnahme aus der Hand. Er hatte ein schmales, sympathisches Gesicht und lächelte seiner Sprechstundenhilfe nun zu.
»Ja, jetzt bin ich so weit. Ich habe mir die Aufnahmen noch einmal genau angesehen.«
Das Wartezimmer war wie immer überfüllt. Dennoch nahm sich der junge Arzt für jeden Patienten Zeit. Es wurde heute wieder einmal spät, bevor der letzte Kranke ging und Grete Werner die Praxis abschloss.
»Machen Sie schnell Mittag«, sagte Edmond zu seiner Sprechstundenhilfe. Er selbst hatte inzwischen auch Hunger bekommen.
Da fiel sein Blick auf die Post, die noch immer ungelesen auf dem Schreibtisch lag. Er sah sie flüchtig durch. Reklamesendungen, Angebote der Pharmazie. Der Bericht über einen Patienten, den er an einen Fachkollegen in der Stadt überwiesen hatte. Plötzlich stutzte er. Ganz unten lag ein Privatbrief an ihn.
Der Brief war von einer Frau geschrieben, aus der Schrift konnte man auf einen intelligenten Menschen schließen. Er begann zu lesen.
Lieber Paul,
wir haben viele Jahre nichts voneinander gehört. Ich hätte mich auch nie wieder bei Dir gemeldet, wenn mich nicht zwingende Gründe dazu drängten.
Es ist ja schon viele Jahre her, aber ich nehme an, dass Du mich und unsere kurze, wie leidenschaftliche Liebe nicht vergessen hast. Ich erinnere mich jedenfalls gern daran. Ich will keinen Schnee von gestern aufwärmen oder Dir irgendwelche Schwierigkeiten machen. Du warst damals genau wie ich verheiratet, und ich nehme an, Du bist es auch jetzt noch.
Aber ich muss mich an Dich wenden, Dich um Hilfe bitten. Wir haben eine gemeinsame Tochter, die seit einem Verkehrsunfall vor eineinhalb Jahren gelähmt ist. Sie erträgt ihr hartes Schicksal mit bewunderungswürdiger Geduld.
Jetzt bin ich jedoch gezwungen, eine Klinik aufzusuchen, und muss Elisa daher in ein Heim geben. Ich tue es schweren Herzens. Ich möchte, dass es Elisa während meiner Abwesenheit an nichts fehlt, und werde darum ein gutes Heim aussuchen.
Dazu benötige ich Geld und hoffe, dass Du es mir gibst. Du brauchst nicht zu fürchten, dass ich hinsichtlich deiner Vaterschaft neue Forderungen an Dich herantragen werde. Aber ich weiß keinen anderen Rat, als mich mit dieser Bitte an Dich zu wenden.
Ich hoffe auf baldige Nachricht und verbleibe mit besten Grüßen
Erika Kunert.
Edmond hatte seinen Hunger vergessen. Er las diesen seltsamen Brief gleich zweimal, bevor er begriff.
Dieses Schreiben konnte nur seinem Vater gelten und war aus Versehen auf seinem Schreibtisch gelandet.
Jetzt las er noch einmal genau die Adresse. Die Absenderin hatte nur den Namen und das Dorf angegeben, in dem er wohnte. Sein Vater hatte früher hier gelebt.
Edmond konnte kaum glauben, was er gelesen hatte. Demnach musste er wohl eine Halbschwester haben. Er verschloss den Brief sorgfältig in seinem Schreibtisch, dann verließ er die Praxis.
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