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Anstatt ihre Jugend unbeschwert zu genießen, opfert Johanna ihre Zeit und Energie für den Ahlenhof ihres Onkels. Sie übernimmt nahezu alle Aufgaben eines Verwalters und widmet sich mit Hingabe dem Gut. Onkel Ernst sichert ihr zu, sie zur Alleinerbin zu machen, und beteuert, dass sein Testament bereits verfasst sei. Doch als er überraschend stirbt, ist dieses unauffindbar. Schnell treten Johannas Miterben auf den Plan: zwei Cousins, eine Cousine und deren Eltern, die entschlossen sind, ihre Ansprüche geltend zu machen. Obwohl Johanna einen erheblichen Teil ihres Erbes verliert, klammert sie sich an die Hoffnung, dass auf Gut Ahlen alles so weitergehen könnte wie bisher. Doch diese Hoffnung wird bald enttäuscht. Nur wenige Wochen später setzen die Verwandten einen Verwalter ein, der Johanna das Zepter aus der Hand nimmt und fortan die Geschicke des Gutes bestimmt ...
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Was auch immer kommen mag
Vorschau
Impressum
Was auch immer kommen mag
Sie war die Erbin von Gut Ahlen, doch man fand kein Testament
Anstatt ihre Jugend unbeschwert zu genießen, opfert Johanna ihre Zeit und Energie für den Ahlenhof ihres Onkels. Sie übernimmt nahezu alle Aufgaben eines Verwalters und widmet sich mit Hingabe dem Gut. Onkel Ernst sichert ihr dafür zu, sie zur Alleinerbin zu machen, und beteuert, dass sein Testament bereits verfasst sei.
Doch als er überraschend stirbt, ist dieses unauffindbar. Schnell treten Johannas Miterben auf den Plan: zwei Cousins, eine Cousine und deren Eltern, die entschlossen sind, ihre Ansprüche geltend zu machen. Obwohl Johanna einen erheblichen Teil ihres Erbes verliert, klammert sie sich an die Hoffnung, dass auf Gut Ahlen alles so weitergehen könnte wie bisher. Doch diese Hoffnung wird bald enttäuscht. Nur wenige Wochen später setzen die Verwandten einen Verwalter ein, der Johanna das Zepter aus der Hand nimmt und fortan die Geschicke des Gutes bestimmt ...
»Und ich kann wirklich nichts dagegen tun, dass sich diese Leute da einmischen? Sie verstehen doch überhaupt nichts von der Sache!« Johanna beugte sich weit vor und schaute den alten Anwalt beschwörend an.
Dr. Winter schüttelte den Kopf und strich sich über die dünnen grauen Haare.
»Nein, ich sagte es Ihnen ja schon. Es wäre alles so einfach, wenn das Testament aufzufinden wäre! Vielleicht hat mein verstorbener Freund Ernst auch überhaupt keins gemacht! Sie wissen ja genauso gut wie ich, dass er ein Eigenbrötler war.«
»Ja, Onkel Ernst war ein schwieriger Mensch«, gab Johanna zu. »Aber auf sein Wort konnte man sich immer verlassen. Mehr als einmal hat er mir gesagt, dass er ein Testament gemacht, es aber noch nicht bei Ihnen hinterlegt habe, weil er noch nicht ans Sterben denke. Jedenfalls sollte ich die Alleinerbin sein und die ganze andere Bagage keinen Pfennig bekommen. Ich denke nicht an mich, sondern an die Leute, die auf Gut Ahlen ihr Brot verdienen.« Sie musste schlucken.
»Mir brauchen Sie das alles nicht zu erzählen, Fräulein von Ahlen, ich kenne Sie und die Verhältnisse auf Ahlen genau.« Der alte Anwalt strich Johanna über die Hand. »Mich wundert nur, dass Sie immer so gut mit Ihrem Onkel ausgekommen sind.«
Ernst von Ahlen war sein Freund gewesen, wenn es hin und wieder auch eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen gegeben hatte.
»Onkel Ernst war schon sonderbar, Doktor Winter, aber zu mir war er stets gut. Es lag ihm nicht, seine Gefühle zu zeigen.«
»Nein, das lag ihm wirklich nicht«, stimmte Dr. Winter impulsiv zu. »Hat er Sie eigentlich für die Arbeit bezahlt, die Sie für ihn leisteten? Im Grunde ersetzten Sie ihm doch beinahe einen Verwalter.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Johanna.
»Lassen wir das.« Dr. Winter winkte ab. »Aber später müssen wir uns über das Thema noch einmal unterhalten. Wenn Sie das Testament nicht auftreiben können, Fräulein von Ahlen, dann haben Sie nicht mehr allein das Sagen auf Ahlen. Sie müssten sich damit abfinden, dass die Steffens miterben. Ich glaube, es sind ja wohl drei Kinder vorhanden, was dann hieße, dass Ihnen ein Viertel zufallen würde.«
Bald darauf ging Johanna, und der Anwalt schaute hinter ihr her. Dann schüttelte er den Kopf. Sein Freund Ernst hatte sich bitter an Johanna versündigt. Dabei war sie sein Augapfel gewesen! Allerdings hätte er das niemals gezeigt!
»Mein Gott, dieses verflixte Testament müsste sich doch auffinden lassen«, murmelte Dr. Winter. Ernst von Ahlen war doch kein Dummkopf gewesen und hatte gewusst, was Johanna blühen würde, wenn er starb.
Mehr als einmal hatte Ernst ihm gesagt, dass Johanna seine alleinige Erbin werden solle. Und nun kam doch alles ganz anders! Dr. Winter hoffte, dass sich dieser Steffen ein wenig zu seinen Gunsten verändert hatte. Damals, als er ihm einmal auf dem Ahlenhof begegnet war, hatte er wahrhaftig nicht den besten Eindruck auf ihn gemacht.
Ernst von Ahlen hatte Johanna geliebt, aber seine Liebe war egoistisch gewesen. Er hatte sie bewusst von allem ferngehalten, was sie in Verbindung mit jungen Männern hätte bringen können. Johanna sollte ihm allein gehören, ihm und dem Ahlenhof.
Sie war mit ihrem golden schimmernden Haar und den strahlenden blauen Augen sehr hübsch, machte aber viel zu wenig aus sich.
Dr. Winter war sicher, dass sie bald einen Freier fände, wenn sie sich netter kleiden würde. Arm war sie ja gottlob noch immer nicht. Sie würde heiraten und glücklich werden – ohne den Ahlenhof! Der alte Mann wünschte es ihr von ganzem Herzen.
♥♥♥
Unterdessen schritt Johanna schnell dahin. Sie war in der kleinen Stadt bekannt und erwiderte freundlich jeden Gruß. Sie trug praktische, derbe Schuhe. Der Lodenmantel reichte weit bis über die Knie und war an den Taschen recht abgeschabt. Auch ihre Handtasche hatte schon bessere Tage gesehen.
Manchmal hatte sie schon über hübschere Kleidung nachgedacht, aber da sie ja auf dem Hof und im Stall immer mit anpackte und oft über Weiden und Felder ritt, hatte sie den Wunsch schnell wieder verworfen. Wie Dr. Winter ganz richtig gesagt hatte, nahm sie auf dem Ahlenhof tatsächlich die Aufgaben eines Verwalters wahr und musste sich entsprechend kleiden.
Als Johanna sich in ihren Wagen setzte und losfuhr, dachte sie an den Brief in ihrer Handtasche, der der Anlass für sie gewesen war, Dr. Winter aufzusuchen. Er kam von ihrem Onkel, den sie bisher nur vom Hörensagen kannte. Der Inhalt des Briefes war für sie wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.
Ernst-August von Steffen schrieb im Namen seiner erbberechtigten Kinder. Er teilte ihr in kühlen Worten mit, dass er und die Kinder demnächst eintreffen würden, um das Erbe zu besichtigen.
Kaum hatte Johanna den Gutshof erreicht und die geräumige Diele betreten, da kaum auch schon die gute Selma angelaufen.
»Endlich sind Sie wieder zurück, gnädiges Fräulein!«, sagte sie. »Was hat der Doktor denn gesagt? Haben diese Leute tatsächlich ein Recht, sich hier einzunisten?« Selma war auf Gut Ahlen, solange sich Johanna erinnern konnte, und durfte so etwas fragen.
»Leider«, erwiderte Johanna müde. Sie streifte den Mantel ab und legte die Handtasche auf einen kleinen Tisch. »Wenn sich das Testament nicht auffinden lässt, bekomme ich ein Viertel von Ahlen, während alles andere an die Steffens fallen wird!«
»Was? Aber so etwas kann es doch gar nicht geben!«, schimpfte Selma. »Der gnädige Herr hat doch immer gesagt, dass Sie Ahlen erben sollen und kein anderer, das kann ich beschwören, so wahr ich die Selma bin!«
»Wir werden uns damit abfinden müssen, Selma, dass die Mitglieder der Familie Steffen mehr Rechte haben als wir«, erklärte Johanna.
»So, meinen Sie!« Selma stemmte die runden Arme in die fülligen Hüften und reckte ihren kleinen Kopf vor, während ihre Augen erbost funkelten. »Da bin ich aber anderer Meinung! Ich werde den Herrschaften schon klarmachen, wer auf Ahlen das Sagen hat! Sie nämlich und kein anderer!«
»Ich bitte dich, Selma«, rief Johanna die alte Getreue zur Ordnung. Sie konnte sie verstehen, aber es hatte keinen Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. »Vielleicht sehen wir ja auch zu schwarz, und die Steffens sind ordentliche Leute. Sicher haben sie als Stadtmenschen auch gar keine Neigung hierzubleiben. Es ist ihnen hier bestimmt zu ruhig und einsam.«
»Ich habe Ernst-August von Steffen nur zweimal erlebt, aber denken Sie an meine Worte!«, ereiferte Selma sich. »Der macht uns das Leben zur Hölle, verlassen Sie sich darauf!«
Ein Mädchen tauchte auf.
»Mamsell, was soll nun mit dem Fleisch gemacht werden?«, fragte es.
»Selma, wir besprechen dann später, wo wir die Herrschaften unterbringen«, sagte Johanna und wandte sich ab.
Sie ging in das Arbeitszimmer, setzte sich an den Schreibtisch und sah die Papiere durch. Es fehlte nichts. Wer etwas davon verstand, konnte sich schnell einen Überblick verschaffen.
Ahlen war ein großes Gut, hatte guten Boden und müsste eigentlich einen schönen Batzen Geld abwerfen. Johanna runzelte die Stirn, als sie auf die Bilanz schaute. Der Überschuss war wieder einmal hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Woran mag das bloß liegen?, fragte sie sich und wusste, dass sie auf diese Frage doch keine Antwort finden würde.
Onkel Ernst war ein alter Landwirt gewesen, ein Mann, der sein Fach verstanden hatte. Und alles, was er gewusst hatte, hatte er ihr beigebracht.
»Mehr ist einfach nicht drin«, murmelte Johanna vor sich hin, »ich verstehe nicht, wieso unsere Nachbarn immer höhere Erträge erzielen.«
Später ging sie noch einmal zu dem kleinen Dorffriedhof, auf dem man Onkel Ernst zur letzten Ruhe gebettet hatte. Sie stand lange an seinem Grab und schaute auf den frischen Hügel.
»Onkel Ernst, lieber Onkel Ernst«, flüsterte Johanna. Sie dachte an das fehlende Testament und den Onkel, den sie verloren hatte. Er war ein Sonderling und Eigenbrötler gewesen, aber sie hatte ihn geliebt wie einen Vater.
♥♥♥
Gegen Mittag des nächsten Tages gab Johanna Fritz den Auftrag, die Familie von Steffen von der Bahn abzuholen, sich jedoch vorher noch umzuziehen. Er hatte dafür zwar kein Verständnis, folgte aber dem Befehl, ehe er sich mit dem Gespann auf den Weg zum Bahnhof machte.
Gerade noch rechtzeitig kam er dort an.
Der Zug hielt nur einen Moment, und als seine Räder wieder zu rollen begannen, standen fünf Personen auf dem Bahnsteig. Das sind sie, dachte Fritz und ging auf sie zu.
»Guten Tag auch«, grüßte er und grinste. »Sie sind doch die Steffens? Ich soll Sie nämlich abholen.«
»Warum ist Fräulein von Ahlen nicht persönlich gekommen?«, fragte eine kalte Stimme.
»Sie hat zu tun«, erklärte Fritz. »Sie leitet doch das Gut. Da hinten steht übrigens der Wagen.« Er kratzte sich hinter einem Ohr und verschob dabei seine Mütze. »Mit so viel Gepäck hat das gnädige Fräulein sicher nicht gerechnet, sonst hätte ich bestimmt einen größeren Wagen nehmen müssen.«
»Das gnädige Fräulein hat bestimmt mit manchem nicht gerechnet«, mischte sich ein junger Mann ein. Während er sprach, schaute er Fritz nicht an.
Hans Werner von Steffen war Fritz vom ersten Moment an unsympathisch. Wenn sich sein Sohn Hans eine solche Haltung erlaubt hätte, hätte er jetzt eins hinter die Ohren bekommen!
Fritz mochte die ganze Bagage nicht. Dabei hatte er bisher nur Ernst-August von Steffen und diesen blasierten Lackaffen, wie er Hans Werner von Steffen bei sich nannte, reden hören.
»Nun nehmen Sie schon die Koffer und tragen Sie sie zum Wagen!« Wieder sprach Hans Werner.
Fritz ergriff vier Koffer und machte sich auf den Weg. Was blieb ihm auch anderes übrig. Er war wütend. Diese eingebildete Bagage! Aber da er die Verhältnisse auf dem Gut kannte, wusste er genau, dass er den Mund halten musste.
Und er hielt auch den Mund, als man später dem Gut zurollte. Fritz war es gelungen, alle Gepäckstücke unterzubringen, und insgeheim freute er sich, dass die Herrschaften mehr als beengt saßen.
»Wo fängt das Land eigentlich an?«, wollte Hermine von Steffen wissen.
Fritz wusste, dass die Frage ihm galt, aber er stellte sich taub. Er hob die Peitsche und winkte einem Dörfler zu.
»Ernst-August, das ist die Höhe!« Wenn Hermine von Steffen erregt war, machte sie immer einen spitzen Mund. »Da lässt man sich herab und richtet das Wort an die einfachen Leute, und dann haben die es nicht einmal nötig zu antworten!«
»Haben Sie nicht gehört, dass meine Frau Ihnen eine Frage stellte, Mann?«, herrschte Ernst-August Fritz an. »Meine Frau will wissen, wo das Land anfängt.«
Fritz zuckte mit den Schultern.
»Da müssen Sie vielmals entschuldigen, aber ich wusste tatsächlich nicht, dass ich gemeint war. Und welches Land meinen Sie denn? Gerade vor uns liegt einer der Äcker des Bürgermeisters, und die Wiese an der linken Seite gehört dem Semkenbauern, und ...«
Ernst-August von Steffens Gesicht rötete sich vor Wut.
»Wenn Sie glauben, sich über uns lustig machen zu können, sind Sie auf dem Holzweg, mein Bester! Wir wollen wissen, wo Ahlen beginnt, hoffentlich haben Sie das nun kapiert!«
»Ach so, aber das hätten Sie doch gleich sagen können. Dort hinten, wo der Weg abzweigt, ist die Grenze, und dann zieht es sich eine ganz schöne Ecke hin. Wir haben das meiste Land und den besten Boden.«
Johanna trat auf den Hof, als die Kutsche einrollte. Sie trug ein schwarzes Kleid und derbe Schuhe.
Als sie auf die Besucher zuging, stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Wolken und ließ ihre blonden Haare wie Diamanten funkeln.
»Unter meinen kundigen Händen könnte aus dieser Frau etwas werden«, tuschelte Hans Werner seinem pummeligen Bruder zu.
»Typische Landpomeranze«, meinte dieser verächtlich. »Na, ich habe eigentlich auch nichts anderes erwartet.«
»Guten Tag«, sagte Johanna.
»Guten Tag, du bist also Johanna.« So spitz, wie Frau Hermine reden konnte, vermochte sie auch zu schauen.
»Ja, ich bin Johanna.« Sie drückte fünf Hände und hätte nicht sagen können, wem sie gehörten. Sie konnte ein Gut leiten, aber mit diesen Menschen würde sie nicht fertig werden. Das ahnte sie, als sie hinter Ernst-August und Frau Hermine, die sich wie selbstverständlich an die Spitze gesetzt hatten, auf das Haus zuging.
Als sie in der großen Diele standen, schauten die Verwandten sich um, als gehörte alles ihnen.
»Soll ich euch etwas zu essen richten lassen, nachdem ihr euch erfrischt habt?«, fragte Johanna.
»Erst sehen wir uns das Haus an«, bestimmte Hermine.
Johanna nickte stumm. Das Haus war groß, beinahe riesig, und die Steffens ließen sich Zeit.
Schließlich erreichten sie die Küche.
»Ich bleibe draußen. Die Küche interessiert mich nicht. Hauptsache, das Essen schmeckt«, sagte der pummelige Gunter und lachte albern.
Selma musste die Worte gehört haben. Die füllige Küchenfee stand an dem riesigen Herd. Wie stets war ihr Gesicht gerötet, und als sie sich jetzt umwandte, nahm es die Farbe einer überreifen Tomate an. Wenn es um ihre Kochkünste ging, verstand sie keinen Spaß.
Am liebsten hätte Johanna ihr ein Zeichen gegeben, den Mund zu halten, denn es sah so aus, als wollte Selma zu einer geharnischten Rede loslegen.
»Selma, das ist die Familie Steffen«, sagte Johanna schnell. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als sie sie auch schon bereute.
»Hier scheinen ja schöne Sitten zu herrschen«, höhnte Ernst-August. »Wer hat die Mode denn eingeführt, dass die Herrschaft den Dienern vorgestellt wird, statt umgekehrt?«
Johanna verschlang verlegen die Finger ineinander und lächelte hilflos.
Frau Hermine winkte unwirsch ab.
»Sorge dafür, dass sich das gesamte Personal noch heute Abend in der Diele versammelt«, befahl sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
»Ja«, sagte Johanna und war froh, dass die Gesellschaft die Küche verließ.
»Und nun ... Johanna, wo bleibst du denn?« Frau Hermine schaute Johanna verweisend an. Die kleine Gesellschaft stand schon auf dem Flur, während sich Johanna noch in der Küche aufhielt.
»Einen Augenblick, ich komme sofort«, erklärte sie. »Ich muss Selma nur schnell einige Anweisungen geben.« Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und schloss die Tür.
»Selma, bitte sei still«, wandte sie sich an die Mamsell und rang die Hände. »Es hat keinen Sinn, sich mit ihnen anzulegen, sie sind in der Überzahl.«
»Überzahl!«, ereiferte Selma sich. »Dass ich nicht lache! Mit denen nehme ich es spielend auf.«
»Ich bitte dich, Selma«, flehte Johanna. »Bewahre die Ruhe! Sie sind nicht nur in der Überzahl, sie haben auch die größere Macht.«
»Hm«, knurrte Selma. »Aber glauben Sie nicht, dass ich mir immer alles gefallen lassen werde, nur weil ich diesen Leuten diesmal nicht gleich meine Meinung sage. Ich halte nur Ihretwegen den Mund.«
»Dafür danke ich dir, Selma.« Johanna strich sich müde über die Stirn. »Vielleicht bleiben sie ja nicht lange«, fügte sie hinzu und ging auf die Tür zu.
»Hoffentlich, sonst bekomme ich es fertig und werfe eines Tages jeden einzeln vom Hof«, antwortete Selma grimmig.
Um Johannas feine Lippen huschte der Anflug eines Lächelns. Als sie auf den Flur trat, waren die Steffens schon verschwunden.
♥♥♥
Mit schleppenden Schritten ging Johanna in das Arbeitszimmer ihres Onkels, setzte sich hinter den Schreibtisch und starrte vor sich hin. Langsam rollten ihr ein paar Tränen über die Wangen, doch das merkte sie gar nicht. Sie saß wie ein Häufchen Unglück da, den Nacken gebeugt, die Hände im Schoß gefaltet.
