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Weihnachten im Waldbachtal - Alle drei Romane der Winterwunderreihe in einem Band
Während Marie im ersten Teil der Winterwunderreihe „Ein Rauhnachtswunder“ die Rituale dieser besonderen Zeit zelebriert und dabei immer wieder an ihre verstorbene Oma Irmi denken muss, lässt ihr Sohn Tommi den Hühnerstall nebst Nachbar Kurts Zaun in die Luft fliegen. Klar, dass der davon nicht begeistert ist. Erst als Kurts Sohn Hannes eintrifft, beginnen sich die Wogen zu glätten. Wird sich der Zauber der Rauhnächte nun doch noch entfalten können?
Im zweiten Teil der Winterwunderreihe „Ein Adventswunder“ geraten Marie und Hannes in die Turbulenzen um den Adventsmarkt. Und auch ihre Liebe scheint bedroht. Außerdem hofft Maries neunjähriger Sohn Tommi auf ein Wunder. Wünscht er sich doch nichts sehnlicher als eine Eisbahn im Dorf. Da die Erwachsenen ihm nie richtig zuhören, ergreift er selbst die Initiative und sorgt damit für eine eiskalte Überraschung.
Im dritten und letzten Teil der Winterwunderreihe „Ein Weihnachtswunder“ erwartet die Bewohner des Waldbachtales eine eiskalte Überraschung. Als ein Wintersturm aufzieht und viele Häuser unbewohnbar macht, ziehen Marie und ihre Nachbarschaft in das auf dem Berg liegende Rosenhotel. Was soll nun aus dem Weihnachtsfest werden? Sehnsüchtig denkt Marie an Hannes. Seit dem Adventsmarkt war da wieder diese zarte Verbindung zwischen ihnen. Doch Hannes ist weg und die Stimmung im Hotel chaotisch. Als dann auch noch die Kinder versuchen, auf eigene Faust das Weihnachtsfest zu retten, gerät die Situation vollends außer Kontrolle.
Alle Teile der Winterwunderreihe:
Ein Rauhnachtswunder: Band 1
Ein Adventswunder: Band 2
Ein Weihnachtswunder: Band 3
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Sylke Hörhold
Frida Luise Sommerkorn
Drei Weihnachtsromane in einem Band
Über die Autorinnen:Frida Luise Sommerkorn alias Jana Thiem schreibt Liebes-, Familien- und Kriminalromane. Dabei sind ihre Geschichten in jedem Genre mit Herz, Humor und Spannung gespickt.
Sylke Hörhold lebt und arbeitet in einem besonders schönen Teil des Oberlausitzer Berglands. Hier spielen die fiktiven Geschehnisse ihrer Krimis und Romane. Doch sie stöbert auch gern in anderen Landstrichen nach spannenden Geschichten.
Texte © 2024 by Frida Luise Sommerkorn / Sylke Hörhold
Alle Rechte vorbehalten!
Lektorat / Korrektorat: Dorothea Winterling M.A.
Bildmaterialien: Shutterstock, Adobe StockUmschlag: Anne Gebhardt Design
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser!
In diesem eBook-Bundle könnt ihr alle drei Teile unserer Winterwunder-Reihe lesen:
Teil 1: Ein Rauhnachtswunder
Teil 2: Ein Adventswunder
Teil 3: Ein Weihnachtswunder
In allen Büchern dürft ihr euch auf Marie, ihren Sohn Tommi, Nachbar Kurt und dessen Sohn Hannes freuen.
Während Marie im ersten Teil „Ein Rauhnachtswunder“ die Rituale dieser besonderen Zeit zelebriert und dabei immer wieder an ihre verstorbene Oma Irmi denken muss, lässt ihr Sohn Tommi den Hühnerstall nebst Nachbar Kurts Zaun in die Luft fliegen. Klar, dass der davon nicht begeistert ist. Erst als Kurts Sohn Hannes eintrifft, beginnen sich die Wogen zu glätten. Wird sich der Zauber der Rauhnächte nun doch noch entfalten können?
Im zweiten Teil ihrer Winterwunderreihe „Ein Adventswunder“ geraten Marie und Hannes in die Turbulenzen um den Adventsmarkt. Und auch ihre Liebe scheint bedroht. Außerdem hofft Maries neunjähriger Sohn Tommi auf ein Wunder. Wünscht er sich doch nichts sehnlicher als eine Eisbahn im Dorf. Da die Erwachsenen ihm nie richtig zuhören, ergreift er selbst die Initiative und sorgt damit für eine eiskalte Überraschung.
Auch im dritten und letzten Teil der Winterwunderreihe „Ein Weihnachtswunder“ wird die weihnachtliche Vorfreude der Bewohner des Waldbachtales jäh unterbrochen. Als ein Wintersturm aufzieht und viele Häuser unbewohnbar macht, ziehen Marie und ihre Nachbarschaft in das auf dem Berg liegende Rosenhotel. Was soll nun aus dem Weihnachtsfest werden? Sehnsüchtig denkt Marie an Hannes. Seit dem Adventsmarkt war da wieder diese zarte Verbindung zwischen ihnen. Doch Hannes ist weg und die Stimmung im Hotel chaotisch. Als dann auch noch die Kinder versuchen, auf eigene Faust das Weihnachtsfest zu retten, gerät die Situation vollends außer Kontrolle.
Wir wünschen euch romantische Lesestunden!
Eure
Frida Luise Sommerkorn und Sylke Hörhold
Sylke Hörhold
Frida Luise Sommerkorn
Die Glocken der letzten Christmette waren verklungen und die Menschen zurück in ihre Weihnachtsstuben geeilt. Stille kehrte ein in das lang gezogene Bergdorf. Die Schneereste, die das Tauwetter übriggelassen hatte, säumten die dunklen Straßen wie weiße Girlanden. Lichterglanz der festlich geschmückten Häuser spiegelte sich in den Pfützen.
Auch in den Gärten der kleinen Nachbarschaft im Waldbachtal, ganz am Ende der Ortschaft, türmte sich der zusammengeschobene Altschnee. Im Garten, der zu einem kargen, düsteren Haus gehörte, war er entlang der Einfahrt akkurat zu einer Reihe über die Rabatte zum Schutz für die Rosen geschaufelt worden. Das Tor zum Grundstück gähnte weit offen. Bereit zum Empfang für einen Besuch, der noch nicht eingetroffen war, denn im Haus war es unwirtlich dunkel. Aus dem Schornstein kringelte sich verloren ein dünner Rauchfaden in den Nachthimmel.
Wie heimelig und freundlich einladend war dagegen das Nachbarhaus zum Fest geschmückt. Hier war ein Schneemann aus dem Schneehaufen gewachsen und grüßte mit verschmitztem Grinsen, über liegengebliebenes Spielzeug hinweg, zum traurigen Nachbarn hinüber. Sogar am Vogelhaus baumelte ein geschmückter Tannenzweig mit Meisenkugeln daran. Ein riesiger Herrnhuter Stern überstrahlte die Stufen zur Haustür mit seinem warmen Licht.
Vom Wald her kam mit federnden Schritten eine schwarz-weiße Katze gelaufen. Am alten Hühnerstall hielt sie inne. Eine Tatze erhoben, in Aufmerksamkeit erstarrt. Nur ihre Ohren spielten. Vom dunklen Haus her drangen die tiefen Töne einer Tuba an ihr Katzenohr. „Stille Nacht. Heilige Nacht.“ Wehmütig und schwer. Schon setzte sie die Pfote ab, um sich zum Sprung über den Gartenzaun bereit zu machen. Da bemerkte sie, dass die Bewohner zurückgekehrt waren und sie beschloss, erst einmal ihrem Zuhause einen Besuch abzustatten.
„Oh, Mimi wartet schon auf uns. Vielleicht brauchen wir doch eine Katzenklappe!“ Mit dicker Bommelmütze auf dem Kopf, einem Schal um den Hals, aber offener Jacke rannte Tommi in Richtung Haustür. Dabei übersprang er einen Schneehaufen, der sich neben dem Gartentor auftürmte. Matsch spritzte bei seiner Landung hoch, doch das interessierte ihn nicht. „Wartest du schon lange auf uns?“ Er hockte sich neben Mimi und streichelte ihr schwarz-weißes Fell. Leise schnurrend drückte sie sich eng an Tommis Beine. „Heute ist Heiligabend, weißt du. Du bekommst auch gleich noch was. Das hat das Christkind für dich gebracht. Und für mich ein Kranauto, bei dem ich den Lastarm ganz weit ausfahren kann.“ Zur Verdeutlichung breitete er seine Arme aus.
„Tommi, mach mal ein bisschen Platz, sonst kann ich nicht aufschließen.“ Marie ächzte unter der Last, die sie trug. Eine Einkaufskiste voller Spielsachen, dazu ein Karton mit Bunzlauer Geschirr, das sie von ihren Eltern zum Fest bekommen hatte. Obenauf hatte sie ihren Mantel gelegt.
Es war nicht nur das schwere Gepäck, das sie seufzen ließ. Sie war froh, endlich wieder zuhause zu sein. An keinem Ort der Welt wäre sie jetzt lieber gewesen.
„Mama, wo ist das Geschenk für Mimi?“, rief Tommi, sobald sie das kleine Umgebindehaus betreten hatten.
„Zieh erst die Schuhe aus, mein Schatz, dann schauen wir mal.“ Sie gingen gemeinsam in die Küche und Marie stellte die Kiste auf den Küchentisch. Sofort begann Tommi damit, alles auszuräumen und bereitzulegen. Lächelnd schaute sie ihrem achtjährigen Sohn dabei zu. Sie war froh, dass er nicht mehr so viel nach seinem Vater fragte. Auch bei ihren Eltern war er ausgelassen und fröhlich gewesen. Ganz im Gegensatz zu ihr.
Während Tommi Mimis Geschenk, einen kleinen roten Ball, auspackte und begann, mit der Katze durchs Haus zu toben, füllte Marie den Wasserkocher. Ein heißer Tee würde jetzt sicher gut tun. Mit der dampfenden Tasse ging sie ins Wohnzimmer. Sie brachte nach und nach alle Lichter zum Leuchten. Kleine Herrnhuter Sterne und Schwibbögen aus dem Erzgebirge zierten jedes Fenster. Zum Schluss erhellte der Weihnachtsbaum den Raum.
„Oh, schön!“, rief Tommi, als er ins Wohnzimmer gerannt kam. Seine Augen strahlten mit den Lichtern um die Wette. Doch Katze Mimi brauchte jetzt seine Aufmerksamkeit, also schickte er seiner Mutter einen Handkuss und verschwand wieder.
Lächelnd legte Marie die alte Weihnachts-Schallplatte ihrer Großmutter auf. Begleitet von kratzigen Tönen erklang „Stille Nacht, heilige Nacht“. Sie kuschelte sich aufs Sofa, nahm die Teetasse in beide Hände und pustete den heißen Wasserdampf weg.
Eine Träne bahnte sich ihren Weg über die Wange hinunter. Warum nur mussten alle schrecklichen Dinge auf einmal passieren? Im Sommer war Oma Irmi ganz plötzlich von ihnen gegangen und später ihr Mann, wenn auch auf andere Weise. An ihn wollte sie nicht denken. Aber Oma Irmi fehlte ihr so sehr, dass es überall schmerzte. Sie hatte sich nicht vorstellen können, das Weihnachtsfest ohne sie zu überstehen. Doch nun hatte es begonnen. Und als sie heute Morgen aufgewacht war, hatte es nur einen Weg für sie geben können. Sie würde einfach so tun, als wäre Oma Irmi noch da. Sie wollte alles so machen, wie sie es in den letzten Jahren gemeinsam gemacht hatten. Allerdings hatte sie schon beim traditionellen Aufräumen und Räuchern die Tränen nicht aufhalten können. Auch weil nicht alles so gut gelang, wie es Oma Irmi gemacht hatte. Obwohl sie über den Sommer hin Kräuter im Garten und im Wald gesammelt hatte, roch ihre Mischung anders als sonst. Und als sie mit Tommi das Futter für die Tiere hinausgestellt hatte, war eine Ladung Restschnee vom Dach gerutscht und hatte alles abgedeckt. Tommi hatte es lustig gefunden und sofort ein Spiel daraus gemacht, das Obst und Gemüse wieder auszubuddeln. Wenigstens das tröstete sie. Ihr Sohn war ein Sonnenschein. Nur wenn er an seinen Papa dachte, schoben sich ein paar Wolken über sein Gemüt.
Marie stellte die leere Teetasse ab. Schluss jetzt! Es war schließlich Heiligabend. Und für Tommi musste sie stark sein.
„Tommi, wollen wir das Feuer anmachen?“, rief sie nach oben, wo sie ihn im Kinderzimmer spielen hörte. Mimi lag zusammengerollt in ihrem Körbchen im Flur und schlief.
„Ich komme!“, rief er.
Marie ging in die Küche. Die meisten Spielsachen hatte Tommi liegen gelassen, nur das Kranauto war weg. Sie sammelte alles ein und legte es unter den Weihnachtsbaum. Wie immer hatten ihre Eltern sich nicht zurückhalten können. So oft schon hatte sie sie gebeten, nicht immer zu übertreiben. Die Kinder freuten sich auch über wenige Dinge. Wahrscheinlich hätte der Kran gereicht. Es mussten nicht auch noch Fahrzeuge zum Zusammenbauen in drei verschiedenen Ausführungen sein. Malstifte und -hefte hatte er noch genug.
Sie selbst hatte ihm ein Schnitzmesser für Kinder und ein paar Holzfiguren geschenkt, die er nun noch bearbeiten und dabei das Schnitzen üben konnte. Tommi war begeistert gewesen, im Gegensatz zu ihren Eltern. Warum sie ihm immer solche gefährlichen Sachen schenken müsse! Sie hörten nicht mal richtig zu, als sie ihnen versucht hatte zu erklären, dass das Messer vorn abgerundet war und sie ihm natürlich zeigen würde, dass er immer vom Körper weg schnitzen sollte. Aber so waren sie nun mal, mischten sich in alles ein und ließen kein anderes Argument zu. Das war bei ihrer beruflichen Entscheidung doch nicht anders gewesen.
„Bin da“, hörte sie Tommi aus dem Flur rufen.
Marie schüttelte den Kopf. Weg mit den miesen Gedanken. Sie schnappte sich eine Zeitung und das Feuerzeug mit der langen Spitze und zog sich Stiefel und Mantel an. Im Garten hatten sie schon tagsüber den Feuerkorb mit Holz befüllt und kleine Reste zum Anzünden zurechtgelegt.
Wenig später saßen sie auf der Bank neben dem Feuer. Tommi hatte sich in ihren Arm gekuschelt.
„Gleich beginnen die Rauhnächte, mein Schatz!“, sagte Marie leise und drückte Tommi an sich. „Mit dem Feuer denken wir an die Geburt des Lichts.“ Sie seufzte. „Und hoffen auf ein Wunder“, legte sie flüsternd nach.
„Kann ich mir auch ein Wunder wünschen?“, fragte Tommi und gähnte gleich darauf.
Marie lächelte. „Das kannst du! Und ich wünsche es mir auch.“ Sie schaute in die Flammen.
Eine Decke wärmte sie. Doch die Wärme war nur äußerlich. Tief in ihrem Innern spürte sie eine traurige Leere. Dieses Ritual hatte sie so oft mit Oma Irmi genießen können. Sie hatten auf eben jener Bank gesessen, heißen Punsch getrunken und sich für die Ankunft des neuen Lichts bereitgemacht. Oma Irmi hatte sie ermutigt, auf das alte Jahr zurückzuschauen, sich für das Gute zu bedanken und die schönen Erinnerungen zu feiern.
Heute fielen ihr nur schlimme Dinge ein. Wie konnte sie etwas Gutes daran finden, dass Oma Irmi gestorben war? Und wo sollte sie mit ihrer Wut hin, die sie überfiel, wenn sie an ihren Mann dachte? Das einzige Glück in ihrem Leben war Tommi. Für ihn würde sie versuchen, stark zu sein.
In der Ferne hörte sie die Glocken schlagen. Die Rauhnächte begannen. Sie schaute vom Feuer auf. Der rötliche Lichtschein ließ die Bäume, den Hühnerstall und auch das Haus wabern, als zöge Leben in sie ein. Marie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so groß war die Last auf ihrem Herzen. Sie schluckte, wollte nicht weinen. Und doch konnte sie nichts dagegen tun. Sie drückte Tommi, der in ihren Armen eingeschlafen war, fest an sich und roch den Duft seiner Haut. Die Tränen rannen über ihre Wangen und weiter auf Tommis Mütze. Wie gut, dass dieser Schatz bei ihr geblieben war. Dafür wollte sie dankbar sein.
Etwas raschelte. Vielleicht Mimi? Marie wollte sich nicht rühren, wollte für immer mit ihrem Sohn im Arm am warmen Feuer sitzen. Plötzlich schien sich etwas Tröstliches über sie zu legen. Wie etwas, das sie beschützte. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand eine Decke über die Schultern gelegt. Erschrocken schaute sie sich um. Aber da war niemand. Ihr Atem beschleunigte sich. Sie hatte doch eindeutig etwas gespürt, jemanden gespürt. Sollte es wahr sein, was Oma Irmi immer erzählt hatte? Dass sich in den Rauhnächten die Tore zur Anderswelt öffneten? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Gleichzeitig wünschte sie sich nichts sehnlicher, als Kontakt zu Oma Irmi aufnehmen zu können. Ging das überhaupt?
Eine Erinnerung schoss in ihr Gedächtnis. Sie zog ihre Arme unter der wärmenden Decke hervor und formte mit den Händen eine Schale. Oma Irmis Stimme erklang. Sie ermutigte ihre Enkelin, die Geschenke der Lichtwelten anzunehmen. Sie sollte die Gedanken, Gefühle oder Bilder kommen lassen.
Marie atmete tief ein und aus. Sie spürte die Wärme ihres Sohnes, die Gluthitze des Feuers, die Nähe des Lichts. Dann schloss sie die Augen und war bereit zu empfangen.
Stumm vor Ärger blickte Kurt in den Feuerschein aus Nachbars Garten. Die Dunkelheit, in der er stand, gab ihm Schutz. Seine Finger schmerzten und seine Ohrmuschel brannte, so fest presste er das Telefon an sein Ohr.
„Ich kann wirklich nichts dafür, Vater“, sagte sein erbärmlicher Sohn im über tausend Kilometer entfernten Oslo. „Der Sturm hat die Straßen verweht und ehe wir uns durchgekämpft hatten, war der Flieger weg.“
‚Dann hättest du eher losfahren müssen‘, wollte er Hannes vorhalten, doch dafür hätte der nur eine neue Ausrede zu erwidern gehabt. Die Firma hätte ihn nicht eher losgelassen, oder ein Telefonat mit einer seiner Verflossenen hätte ihn aufgehalten.
„Hallo, bist du noch da?“
Kurt räusperte sich zur Bestätigung. Er benutzte seine Stimme nicht mehr so oft. Nur wenn er mit Käthe redete. Das war nur ein Monolog, doch immerhin verlernte er so nicht ganz das Sprechen.
„Ich versuche, einen der nächsten Flüge nach Deutschland zu bekommen“, sagte Hannes. „Egal welchen. Dann nehme ich einen Mietwagen.“
Immerhin klang er angemessen schuldbewusst. Würde seine Mutter noch leben, wäre Hannes pünktlich zum Fest erschienen, argwöhnte Kurt, egal wie und mit welchen Mitteln. Er wäre einen ganzen Tag eher angereist, um ja all die Köstlichkeiten zu genießen, die Käthe immer zum Christfest bereitet hatte. Und er hätte mit ihm im Posaunenchor die alten und die neuen Weihnachtslieder gespielt.
„Dann schaffst du es morgen nicht pünktlich zum Festgottesdienst“, sagte er nur. „Wir hatten mit dir gerechnet.“
„Tut mir leid, Vater“, sagte Hannes zerknirscht. „Ich komme, sobald ich kann.“ Die Pause dehnte sich in die Winternacht. „Frohe Weihnachten!“
Kurt machte ein verächtliches Geräusch und legte auf. Was sollte daran schon froh sein?
„Dein Herr Sohn kommt nicht!“, sagte er zu Käthes Bild auf dem Sims.
Für einen Moment schien es ihm, sie zwinkerte ihm zu und meinte spöttisch: „Du hast auch noch nicht einmal das Haus geschmückt, Kurt.“
Recht hatte sie. Wie immer hatte seine Käthe recht. Bisher war ihm nicht danach gewesen. Auch war das immer ihre Sache gewesen. Er hatte sich nur um den Christbaum zu kümmern. Das immerhin hatte er getan. Eine kleine Fichte stand in der Ecke der guten Stube, mit Spielzeug behangen aus Hannes‘ Kindertagen und mit den roten Kugeln, die Käthe wie ihre Augäpfel gehütet hatte. Wie alle ihre Weihnachtstraditionen und Rezepte stammten die von ihrer Muhme, so hatte Käthe ihre Ziehmutter liebevoll genannt. Bis zu Käthes Tod vor zwei Jahren war in keinem Jahr an der genauen Abfolge ihrer Traditionen gerüttelt worden. Im letzten Jahr hatten sie es ihr zuliebe noch versucht so zu halten, wie es ihr recht gewesen wäre. Doch nun in diesem verflixten zweiten Jahr fand Kurt einfach nicht die Kraft dafür. Immerhin fütterte er brav die Vögel und hatte auch den Teller für den Igel bereit gestellt. Käthe meinte immer, das sei für die Geister der Natur. Aber das war natürlich abergläubischer Humbug.
Mit der Taschenlampe in der Hand stieg Kurt die Stiege zum Boden hinauf. Der Schmerz in seinen Eingeweiden nahm ihm kurz die Luft, doch tapfer nahm er Stufe für Stufe.
Er wuchtete die Kisten hinunter, die Käthes Kostbarkeiten enthielten, und trug alles in die Küche.
Obenauf lagen der Adventskranz aus rot bemaltem Holz mit dem Stern in der Mitte und die Kerzen. Beschämt beeilte er sich, die Kerzen zu entzünden. Das Warten hatte mit der Heiligen Nacht schließlich ein Ende. Es begann die Heilige Zeit, die Zeit zwischen den Jahren. Rauhnächte, hatte Käthe sie genannt, die Zeit der Wunder.
Wunder! Vielleicht brauchte er genau das, ein Wunder.
Kurt fand das alte Räuchermännchen, das Hannes seiner Mutter in Kindertagen einmal geschenkt hatte. Sogar eine Räucherkerze entdeckte er noch. Er brannte sie in der Fackel der Kerze an und blies in den Kegel, um die Glut anzufachen. Im Schein der vier Kerzen des Adventskranzes stellte Kurt andächtig die Krippe auf. Maria und Josef daneben und das kleine Jesuskind. Ochs und Esel. Die Hirten. Und einen ganzen Chor pausbäckiger Engel mit grünen Flügeln. Jedes Jahr hatten sie Käthe mit neuen Figuren beschenkt und jedes Jahr war die Freude bei ihr gleich groß gewesen.
Jetzt wurden ihm doch die Augen feucht. Er sah zu ihr auf. „Du warst eine glückliche Frau, Käthe.“ Durch den Tränenschleier hindurch glaubte er, sie zärtlich lächeln zu sehen.
Dann nahm er sich auch noch den großen Herrnhuter Stern vor. Stück für Stück setzte er ihn zusammen. In der peniblen Ordnung seiner Werkstatt fand er mühelos Draht und Aufhängung für die Eingangstür.
Es war weit nach Mitternacht, als der Stern endlich erstrahlte.
Mit enger Brust stand Kurt davor und vermisste seine Käthe so sehr, dass es ihm fast den Atem verschlug. Selbst den treulosen Hannes wünschte er sich herbei. Er merkte kaum, dass ihm eine Träne über die faltige Wange rann.
Die schwarz-weiße Katze seiner Nachbarin umschmeichelte seine Beine. Er beugte sich hinab, um ihr über den Kopf zu streicheln. Mimi schmiegte ihr Köpfchen in seine raue Hand.
„Du vermisst auch deine Irmi, was?“ Seine Stimme war brüchig. „Die sitzt nun mit meiner Käthe zusammen bei unserem Herrgott und schaut herab auf uns, Mimi.“
Käthe hatte immer behauptet, dass die Tiere in der Heiligen Nacht sprechen könnten. Kurt vernahm zwar keine Worte von Mimi, doch er verstand tatsächlich genau, was sie zu ihm sagte: „Komm ins Warme, alter Zausel, und gib mir endlich was zu fressen!“
„Warum hast du deinem Vater nicht gesagt, dass du wegen mir zu spät gekommen bist“, fragte Greta, ohne aus ihrem Buch aufzusehen. In ihren bestickten Mantel gehüllt thronte sie auf ihrem Gepäck wie eine alte Sagenfee.
Hannes steckte sein Telefon weg. „Das hätte nichts geändert. Glaube mir. Wenn Vater zornig sein will, kann nichts ihn davon abbringen, bis der Groll verraucht ist.“
„Bist du nicht sehr hart zu deinem Vater?“ Greta klappte das Buch zu und packte es sorgsam weg. Die aufgestickten Katzen auf ihrem bunten Mantel zogen Grimassen bei ihren Bewegungen. Hannes schien es, als zwinkerten sie ihm hin und wieder zu. Seine Müdigkeit spielte ihm wohl Streiche.
Greta hatte inzwischen das Buch in ihrer unförmigen Reisetasche verstaut. Nun saß diese drahtige, kleine Person ihm aufrecht gegenüber und betrachtete ihn mit wachen Augen, die wie Sterne in ihrem alten Gesicht leuchteten. Er würde um eine Antwort nicht herumkommen. „Es ist eher umgekehrt, Greta“, versicherte er müde. „Hart war Vater schon immer. Seit Mutter unter der Erde ist, wird er immer grantiger.“
„Wirst du deshalb immer langsamer, Hannes?“, fragte Greta.
„Langsamer?“
„Du darfst mich nicht für undankbar halten, aber ich habe schon bemerkt, dass du keine Eile hattest, als du mich da aus der Schneewehe gezogen hast vorhin. Ich dachte mir, vielleicht willst du gar nicht zum Weihnachtsfest zu Hause sein?“
Hannes lächelte ertappt. „Kannst du hellsehen?“
„Lebenserfahrung“, gab sie schelmisch zurück. „Also: was hält dich zurück?“
„Gute Frage“, murmelte Hannes. Hilfesuchend sah er zur Anzeigetafel mit den Flugstornierungen. Lautsprecheransagen quakten in den verschiedensten Sprachen das Bedauern der Flughafengesellschaft und den trostlosen Wetterbericht durch die übervolle Halle. Dazwischen dudelte die Kakofonie entstellter Weihnachtslieder aus der Ladenstraße. Es roch nach Fast Food und dem aufdringlichen Parfüm der Frau hinter ihnen. Neben ihm biss ein Junge herzhaft in seinen Hamburger. Ein Stück Käse davon fiel zu Boden und streifte dabei den Trompetenkasten. „He, pass auf!“, sagte Hannes. Er wischte den Käserest ab und rückte den Kasten näher an sich heran. Der Junge stierte ihn wortlos kauend an. Seine Mutter schimpfte mit ihm, doch ein giftiger Blick traf Hannes, so als habe der sich tätlich an ihrem Kind vergriffen. Der Essensrest blieb unbeachtet liegen.
„Vielleicht ist es die Trostlosigkeit, die mich abschreckt“, sagte Hannes bei der Betrachtung des Käserestes auf dem Boden. „Weihnachten war für uns immer das größte Fest im Jahr. So lange Mutter noch lebte, wurden die alten Rituale bis ins Kleinste zelebriert.“ Hannes sah auf. „Es war ihr Fest. Die Hochzeit der vorchristlichen Bräuche mit ihrem Glauben.“
Greta nickte ihm aufmunternd zu.
„Doch ohne Mutter“, fuhr er seufzend fort, „ist das Fest wie tot, alle Rituale sinnentleert, kalt und unerfreulich. Die Weihnachtsgeschichte bleibt nur eine Geschichte, eine Tradition, nicht mehr. Wenn aber Mutter sie vorlas, war das Wunder immer so greifbar.“ Er hob die Hände, als wolle er es fassen. „Letztes Jahr dagegen schien mir selbst das Blasen der Weihnachtslieder am Heiligabend nur noch blechern.“ Hannes ließ die Hände wieder sinken. „Als wäre alle Weihnachtsfreude mit Mutter begraben worden. – Heute wäre es nicht anders, vielleicht sogar noch schlimmer. Es gäbe weder ihr berühmtes Muhme-Rotkraut noch Gänsebraten mit Äpfeln.“
„Muhme-Rotkraut?“, fragte Greta und schlug die Beine übereinander. Ihre Füße in den bunten Fellstiefeln wippten erwartungsvoll.
Hannes lächelte. „Von ihrer Muhme hatte Mutter all ihre Rezepte und Traditionen übernommen. Ihre Muhme war ihre Ziehtante. Mutter war ein Flüchtlingskind.“
„Ah“, machte Greta mitfühlend. Ihre Füße hörten auf zu wippen.
„Muhme-Rotkraut mit dem Gewürz der Seligen“, erinnerte sich Hannes weiter. „Das bedeutet, es muss ganz leicht angehangen sein. Das gibt die richtige Würze. Ach, wenn ich allein an die Düfte denke, die damals durch das Haus zogen! Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.“
„Das scheint mir auf jeden Fall wesentlich köstlicher zu sein als Käse-Burger“, sagte Greta. Sie fixierte den schmatzenden Jungen, der sich neben sie gesetzt hatte, mit so strengem Blick, dass der Junge vorsichtshalber ein Stück wegrückte. „Das Rezept musst du mir unbedingt geben, da kann ich vielleicht bei meiner Schwiegertochter im Erzgebirge damit glänzen. – Wenn wir denn jemals von hier wegkommen!“ Missmutig betrachtete Greta die Anzeigetafel mit den stornierten Flügen.
„All das ist nun Vergangenheit“, fuhr Hannes indessen trübselig fort. „Komme ich jetzt nach Hause, wartet nur Vaters Trauer auf mich und sein unversöhnlicher Groll.“
„Warum grollt er?“, wollte Greta wissen. Das Katzenbild auf ihrer Schulter neigte fragend den Kopf, wie es Hannes schien, als er aufsah.
„Ich bin nicht der Sohn, den er sich gewünscht hat“, sagte er dann so freimütig, wie man es nur Fremden gegenüber sein kann. „Er will, dass ich wieder nach Hause komme, für immer. Ich glaube, das will er mich fragen, wenn ich heimkomme.“
„Und das willst du auf keinen Fall.“ Greta rieb sich die Knie, nachdem sie ihre Füße wieder nebeneinander gestellt hatte.
„Wir beide unter einem Dach?“ Hannes lachte bitter auf. „Das würde nicht gut gehen. Da müsste schon ein Wunder geschehen.“
„Vielleicht geschieht ja ein Wunder, lieber Hannes.“ Greta strahlte ihn an. „Wir sind in den Rauhnächten. Da entscheidet sich so manches. Die Schicksalsfäden werden neu verknüpft. Und manchmal geschehen auch Wunder, weißt du?“
Unwillkürlich schossen Hannes Tränen in die Augen. Die alte Greta hatte eine Seite in ihm angerührt, die er längst vergraben glaubte. „Du bist ja wie meine Mutter“, murmelte er.
Hastig bückte er sich, um mit einem Papiertaschentuch das Käsestück vom Boden zu wischen und in den Papierkorb zu werfen. Als er wieder zu Greta zurückkehrte, hatte er sich wieder unter Kontrolle. Sie lächelte immer noch, doch sanft und mitfühlend. „Aber gemeinsam gespielt hast du mit deinem Vater zu Weihnachten?“ Sie zeigte auf den Trompetenkasten.
„Nicht nur zu Weihnachten.“ Hannes nahm den Kasten zu sich und öffnete ihn andächtig. „Musik war immer das Friedensangebot zwischen uns“, sagte er leise. Der Junge rückte erwartungsvoll ein Stück näher an sie heran.
„Dann spiele doch etwas für uns Gestrandete hier“, forderte Greta ihn auf. „Glaube mir, hier wird es alles andere als blechern klingen.“
Bald darauf erklangen festlich und klar die Lieder der Heiligen Nacht durch die Flughafenhalle. „Stille Nacht. Heilige Nacht. Alles ruht, einsam wacht …“
In der Nacht waren die Temperaturen gefallen. Marie zog ihre Bettdecke noch einmal bis zum Kinn. Früher war die Weihnachtszeit die schönste Zeit im Jahr. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie sie gemeinsam mit ihrem Bruder auf das Glöckchen gewartet hatte. Sie saßen auf der Flurtreppe und sahen durch die Tür mit Blindglas hindurch im Wohnzimmer die Eltern huschen. Dann ging das Licht aus. Ein Glöckchen ertönte. So andächtig wie möglich und doch voller Aufregung traten sie ins Wohnzimmer, bewunderten den Baum voller Kerzen und schauten gespannt, was sich darunter verbarg. Das anschließende Spiel, dass die Geschenke nur reihum geöffnet werden durften, zerrte an ihren Nerven. Bei den pädagogisch wertvollen Geschenken lächelten sie brav und bedankten sich. Aber bei den Herzenswünschen jubelten sie so laut, dass der Vater androhte, den Geschenkereigen zu unterbrechen. Nach ein paar Weihnachtsliedern durften sie endlich spielen, bis es Abendbrot gab, auf das Marie an solch einem Tag gerne verzichtet hätte.
Marie seufzte. Langsam musste sie aus dem warmen Nest krabbeln, Tommi würde sicher bald aufstehen und frühstücken wollen. Noch einen Moment gönnte sie sich. Auch der gestrige Heiligabend bei den Eltern war nach dem Schema abgelaufen, allerdings mit abgeänderten Bedingungen. Da Tommi das einzige Kind war und die meisten Geschenke, die unterm Baum lagen, für ihn waren, durfte er nach jedem Erwachsenen eines öffnen. Ihr Bruder Patrick hatte es nicht geschafft, zum Fest zu kommen. Marie ahnte, dass er auch nicht wirklich große Lust verspürt hatte, vom warmen Lissabon aus in die kalte Oberlausitz zu reisen. Familie hatte er keine, ab und an mal eine Freundin. Und obwohl er sich selten meldete und die Eltern noch weniger besuchte, waren sie so stolz auf ihren Sohn. Er hatte es geschafft, hatte Informatik studiert und war jetzt „auf internationaler Ebene tätig“, wie es Mutter immer so schön betonte. Und natürlich jedem Besucher unter die Nase rieb. Meistens mit einem Seitenblick auf Marie, die tat, als würde es sie nichts angehen. Doch es brodelte in ihrem Inneren. Sie war Mitte 30! Wann würden diese Sticheleien endlich aufhören?
Ärgerlich schob sie die Bettdecke beiseite. Jetzt hatte sie sich den schönen Morgen wieder selbst verdorben. Marie schlüpfte in ihre Pantoffeln aus blauem Samt mit rosafarbenen Einhörnern. Schon tauchte die nächste Erinnerung auf. Ihr Mann Daniel, oder besser ihr zukünftiger Exmann, hatte sich über so viel Kitsch immer lustig gemacht und sie aufgezogen. Sie wusste ja selbst, dass sie eher nach Kinderpantoffeln aussahen, aber sie gefielen ihr eben.
Das Telefon klingelte. Eilig lief Marie die Treppe hinunter und natürlich brach der Klingelton ab, als sie kurz davor war. Schnaufend lauschte sie dem Anrufbeantworter, hörte aber keine Nachricht. Sie schaute auf das Display und entdeckte Daniels Handynummer. Sofort spürte sie ein heftiges Ziehen in der Magengegend. Sie legte ihre Hand darauf, als würde das Linderung bringen. In den letzten Wochen hatte er sich kaum gemeldet. Warum rief er jetzt an? Warum nicht am Heiligabend? Und warum wollte er nicht mal Tommi zum Weihnachtsfest sehen? Oder hatte er sich eben verabreden wollen?
An ihrer Unterlippe knabbernd ging Marie in die Küche und setzte Teewasser auf. Wie sie solche Situationen hasste. Sie war sauer auf Daniel, wollte aber natürlich, dass Tommi seinen Papa sehen konnte. Trotzdem brachte sie es nicht übers Herz, Daniel zurückzurufen. Er würde sich wieder melden, wenn es ihm wichtig war. Mit der dampfenden Teetasse in der Hand ging sie wieder nach oben, um sich anzuziehen.
„Hallo Frau Schreiber, ein frohes Weihnachtsfest wünschen wir Ihnen!“, sagte Marie lächelnd. Ein bisschen mulmig war ihr schon, denn sie wusste nicht, ob sich die ältere Dame, die ein paar Häuser weiter wohnte, über ihren Besuch freuen würde.
„Marie, mein Kind, kommt rein! Das ist aber schön, dass ihr mich besucht. Und den Tommi hast du mitgebracht. Da freu ich mich aber!“ Frau Schreiber zog die beiden ins Haus. „Die Schuhe könnt ihr hier abstellen, aber das wisst ihr ja. Seid ja nicht zum ersten Mal hier. Ach ja, die Irmi ...“ Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Strickjacke und schnäuzte sich die Nase. „Kommt erstmal in die Küche, ich wollte sowieso gerade Kaffee aufsetzen.“
Marie und Tommi stellten ihre Stiefel ordentlich ab und folgten Frau Schreiber. Allerdings blieben sie gleich an der Tür stehen, da die Küche nicht sehr groß war.
„Ach Gott, letztes Jahr um die Zeit warst du noch mit Irmi hier und jetzt ist sie nicht mehr da.“ Frau Schreiber legte die Filtertüte in den Behälter, schaufelte Kaffee hinterher und goss danach Wasser ein. Dabei ging sie nah an die Anzeige heran, um den Füllstand zu erkennen. Sie betätigte den Kippschalter und drehte sich abrupt um. „Aber so ist das Leben, nicht wahr? Der Tod gehört dazu. Die einen gehen früher, die anderen später.“ Sie seufzte.
Marie überlegte noch, was sie darauf antworten sollte. Das Sprechen würde ihr nicht leicht fallen, denn ein dicker Kloß saß in ihrem Hals. Sie schluckte.
„Aber es ist so schön, dass du unsere Tradition fortführst. Die Menzels von gegenüber und Frau Scholze kommen auch gleich noch. Die werden Augen machen. Hach, Kinders, steht doch nicht so steif hier herum. Husch, wir gehen in die Stube. Da ist es warm und der Tisch ist schon gedeckt.“
Es klingelte. Marie und Tommi setzten sich. Erst jetzt hatte Marie das Gefühl, wieder atmen zu können. Frau Schreiber war eine liebe alte Dame, allerdings immer sehr direkt. Und dass sie über Oma Irmi sprechen würde, war ihr klar gewesen. Sie hatte nur nicht geahnt, dass es ihr so die Luft nehmen würde.
„Stellt euch vor, die Marie und der Tommi sind auch da“, hörte sie Frau Schreiber sagen.
„Wirklich? Das arme Mädchen.“ Das musste Frau Scholze gewesen sein.
„Ist doch gut, dass sie nicht alleine zuhause rumsitzt“, polterte Herr Menzel.
Dann betraten alle die Stube.
Nach einer wortreichen Begrüßung saßen sie nun um den liebevoll gedeckten Tisch. „Ach, Marie, ich freue mich sehr, dass du mit uns Stollen isst. Heißt das, wir dürfen übermorgen auch zu dir kommen?“ Frau Menzel hatte ihre runzlige Hand auf Maries gelegt und schaute sie mit gütigen Augen an.
„Natürlich dürfen Sie das“, antwortete Marie. „Das hätte Oma Irmi auch gewollt.“
Frau Menzel drückte leicht ihre Hand und nickte lächelnd. Dann wandte sie sich den Gesprächen der anderen zu. Ein reger Austausch über den neuesten Dorfklatsch begann, zu dem Marie nicht viel beisteuern konnte. Ihre Gedanken schweiften ab. Oma Irmi liebte diese Tradition. An jedem Tag in der Rauhnachtszeit besuchten sich die Nachbarn gegenseitig und aßen ein Stück Stollen, dann würde es im nächsten Jahr zwölf gute Monate geben. Mit Oma Irmi war sie an manchen Tagen mit zu den Nachbarn gegangen, manchmal hatten sie aber auch allein zuhause Kaffee getrunken und den Stollen gegessen. Oma Irmi hatte immer darauf bestanden, den echten Dresdner Stollen vom Bäcker zu holen. Zwar meinte sie, dass man den auch selbst backen konnte, aber so richtig gut schmeckte eben nur das Original.
„Ach ja, erst die Käthe und jetzt auch noch die Irmi“, hörte Marie Frau Schreiber sagen. Unsicher schaute sie auf. Gerade war sie mit ihren Gedanken noch weit weg gewesen. Hatten die alten Leutchen sie auf etwas angesprochen?
„Mit dem Kurt kann man auch nicht mehr reden, seitdem die Käthe von uns gegangen ist“, sagte Frau Menzel. Dabei stupste sie ihren Mann an.
„Nee, das kann man nicht mehr“, stimmte er seiner Frau zu. „Ich hab ihn letztens beim Schneeschippen gesehen, aber es war kaum was aus ihm rauszukriegen. Als würde er nicht mehr reden wollen. Und zum Kaffeebesuch bei uns war er auch nicht zu bewegen.“
„Ist ja auch nicht so einfach, so ganz alleine“, flüsterte Frau Scholze.
Tommi zupfte an Maries Ärmel. Sie beugte sich zu ihm.
„Mama, bleiben wir noch lange?“, fragte er mit großen Augen. Seine Beine zappelten unter dem Tisch unaufhörlich. „Ich muss doch mit dem Kran noch meine Baustelle fertig machen.“
Marie lächelte. Das war natürlich ein wichtiger Grund. Auch sie selbst hatte eine plötzliche Unruhe in sich aufsteigen gespürt. Als würde sie etwas nach Hause drängen. Sie verabschiedeten sich von Frau Schreiber und den Nachbarn und beteuerten die Vorfreude auf ein Wiedersehen in zwei Tagen.
Als sie nach draußen traten, schlug ihnen kalte Luft entgegen. Marie atmete tief durch. Die ganzen Gespräche hatten doch an ihren Nerven gezerrt. Langsam lief sie hinter Tommi her, der fröhlich den Weg entlang hopste.
„Mama, schau mal, die Pfützen sind schon ein bisschen gefroren.“ Schon probierte er, darauf zu rutschen. Und brach natürlich ein. Das hielt ihn aber nicht davon ab, es bei der nächsten Gelegenheit wieder zu versuchen.
Marie ließ ihn machen. Sie konnte sich noch gut an ihre Kindheit erinnern, da hatten sie gefrorene Eisflächen auch magisch angezogen. Solange Tommi nicht alleine zum kleinen Fischteich am Ende des Dorfes ging und dort das wackelige Eis testete, war alles gut. Hier konnte er höchstens nasse Füße bekommen. Und wenn schon.
Ein Schrei riss sie aus ihren Gedanken. Sie war schon kurz vor ihrem Zuhause. Tommi kniete vor der Haustür und hob etwas hoch. Maries Atem ging schneller. Es war doch nichts mit Mimi?
„Oh, das Christkind war nochmal da“, strahlte Tommi. Er hielt ein Paket in der Hand, das in Papier mit knalligen Weihnachtsfarben eingeschlagen war. Nun ahnte Marie, wer hier Christkind gespielt hatte.
„Lass uns erst reingehen, dann schauen wir nach, ja?“ Sie schob ihren Sohn zur Haustür hinein.
Kaum hatte Tommi sich der Stiefel und der Jacke entledigt, rannte er mit dem Paket in die Stube und begann, es aufzureißen. Zum Vorschein kam ein Elektrobaukasten. Die Karte, die dem Geschenk beilag, war auf den Boden gesegelt.
Marie hob sie auf. „Na, was meinst du, wer hier ein verspätetes Geschenk vom Christkind vorbeigebracht hat?“, fragte sie Tommi.
Der war schon dabei, den Karton zu öffnen. Nun schaute er auf und besah sich die Karte. „Der Papa!“, flüsterte er. „Aber warum war er denn hier, als wir nicht zuhause waren? Wir hätten nicht zu Frau Schreiber gehen dürfen. Das war sowieso total langweilig.“ Tommi ließ die Karte fallen.
Sofort hatte Marie ein schlechtes Gewissen. Hätte sie Daniel doch heute Morgen zurückrufen sollen? Aber warum war er einfach so vorbeigekommen und hatte sich nicht vorher vergewissert, dass sie auch zuhause waren? Er wusste doch, dass sie in den Rauhnächten auch mal unterwegs waren. Aber klar, das hatte ihm noch nie gefallen. Und er war auch nie mit zu Oma Irmi gegangen, als sie noch zusammen im Nachbardorf gewohnt hatten. Die Rauhnachtstraditionen waren nur Humbug für ihn. Meistens war er deswegen sogar sauer auf sie. Marie seufzte. Aber jetzt ging es nicht um sie.
„Hey, mein Schatz, lass uns doch mal den Baukasten anschauen. Und wenn du magst, rufen wir Papa gleich mal an. Der konnte doch nicht wissen, dass wir nicht zuhause sind. Bestimmt kommt er morgen wieder und unternimmt etwas mit dir.“ Sie zog ihren Sohn in ihre Arme und drückte ihn fest an sich.
„Meinst du?“, schniefte Tommi leise.
„Ganz bestimmt! Der Papa hat dich doch lieb und er will mit dir zusammen die Elektrofahrzeuge bauen. Du weißt doch noch, wie gern er sowas immer gemacht hat.“
Tommi richtete sich auf und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht. Dann nickte er. „Okay, aber dann rufen wir ihn jetzt gleich an, ja?“
Marie nickte und strich ihm zärtlich übers Haar.
Wenig später, als Tommi sich mit seinem Papa für den nächsten Tag verabredet hatte, spielte er ausgelassen in seinem Zimmer. Den Elektrobaukasten hatte er allerdings nicht angerührt. Daniel hatte darauf bestanden, mit ihm gemeinsam die ersten Fahrzeuge zusammenzubauen.
Marie konnte es immer noch nicht glauben, wie leicht es Daniel gefallen war, sie gegen eine neue Frau auszutauschen. Jedenfalls war das ihr Eindruck. Und wie selbstverständlich er von Patchworkfamilie sprach. Das nächste Jahr war quasi schon durchgeplant. Er wollte Tommi in jeden Ferien zu sich nehmen oder mit ihm in den Urlaub fahren. Bisher waren das zwar nur große Worte, denn in der Adventszeit hatte er sich sehr rar gemacht. Es brach Marie jetzt schon das Herz, ihren Kleinen irgendwann gehen zu lassen. Doch da musste sie für Tommi durch. Im Moment ging es nur um ihn. Sie musste ihr Leben erst wieder in passende Bahnen leiten.
Es begann zu dämmern. Eilig ging sie in den Schuppen und holte einige getrocknete Kräuter. Heute war der Tag, an dem sie mit Oma Irmi das erste Mal orakelt hatte. Dafür hatte sie sich immer eine Frage ausdenken sollen, die sie beim Orakeln beantwortet bekommen sollte. Oftmals war ihr dabei ganz schwindelig geworden, aber es hatte sich tatsächlich meistens ein Gedanke eingeschlichen, der ihr in irgendeiner Form den Weg gewiesen hatte. Sie legte in der Küche alles bereit und machte sich daran, das Abendbrot vorzubereiten. Orakeln würde sie erst, wenn Tommi im Bett war.
„‘Es ist sehr schön geworden‘, sagte Findus.
‚Ja, wirklich‘, sagte Pettersson stolz.
Dann war es eine Weile still.
‚Aber ich frage mich, ob das genügt‘, sagte Findus. ‚Sollte es nicht ein bisschen lauter knallen, wenn wir schon mal dabei sind? Damit der Fuchs wirklich kapiert, dass wir ihn hier nicht haben wollen.‘“
„Mama?“ Tommi unterbrach Marie beim allabendlichen Vorlesen. Sie konnte sich nicht erinnern, wie oft sie ihm nun schon das Buch „Ein Feuerwerk für den Fuchs“ von Sven Nordqvist vorgelesen hatte. Tommi liebte alle Geschichten über Pettersson und Findus, aber diese hier hatte es ihm besonders angetan. Immer wieder fieberte er mit und hielt sich den Bauch vor Lachen, wenn die Explosion der Feuerwerkskörper statt des Fuchses den neugierigen Nachbarn Gustavsson erwischte.
Auch heute saß er mit leuchtenden Augen im Bett. „Du Mama? Kann denn der Fuchs auch unsere Hühner fressen?“, fragte er eine Spur ernster.
„Das ist leider schon vorgekommen“, antwortete Marie. „Ab und an haben wir hier auch mit Füchsen zu tun.“
„Und die kommen in unseren Stall und holen sich die Hühner? Wie bei Pettersson und Findus?“
„Kannst du dich nicht mehr erinnern? Oma Irmi hat uns doch immer erzählt, dass man nicht vergessen darf, die Hühner wieder in den Stall zu bringen. Da war der Fuchs wieder nachts unterwegs gewesen.“
„Dann müssen wir unsere Hühner retten“, rief Tommi laut, dabei stieß er einen Arm in Siegerpose in die Höhe.
„Jetzt musst du erstmal schlafen, mein kleiner Findus“, lachte Marie. Sie wickelte Tommi in die Decke ein, so dass er sich kaum noch bewegen konnte. Auch ein Ritual aus Kleinkindtagen. „So, meine kleine süße Raupe. Träum was Schönes und morgen kannst du wieder wie ein Schmetterling fliegen.“
Tommi zog die Arme unter der Decke hervor und schlang sie um Maries Hals. „Du auch, Mama! Und morgen fliegen wir zusammen.“
Lächelnd stieg sie die Treppe ins Erdgeschoss und ging in die Küche. Sie entzündete einige Kerzen auf den Fensterbrettern und dem kleinen Schränkchen, dann blieb sie kurz am Esstisch stehen. Das mulmige Gefühl, das sie schon den ganzen Tag gespürt hatte, stieg immer höher in ihr auf. Nun war es also so weit. Heute würde sie nicht nur orakeln, sondern musste auch mit ihrer Frage allein zurechtkommen. Oma Irmi würde sie heute nicht lenken können. Trotzdem wollte sie der Tradition treu bleiben.
Sie stellte das Räuchersieb auf den Küchentisch und legte die getrockneten Blätter und Blüten darauf, die sie aus dem Schuppen geholt hatte. Dann hielt sie inne. Erst die Frage aussprechen, dann anzünden. Marie schluckte. Wenn sie nur daran dachte, schossen ihr schon die Tränen in die Augen. Mit der Hand versuchte sie, den Druck im Magen zu lindern. Sie holte tief Luft. War doch egal, ob sie weinte. Niemand würde sie sehen und aufhalten konnte sie es sowieso nicht. Sie versuchte zu atmen, konnte aber nur stoßweise jammern. Dann brach alles aus ihr heraus. Sie schlang die Arme um ihren Körper. Wann ließ diese Trauer endlich nach?
Nach einer Weile gelang es ihr wieder, ruhig zu atmen. Marie wischte sich mit einem Tuch die Tränen vom Gesicht. Dann trank sie ein Glas Wasser in einem Zug leer. Noch immer stand das vorbereitete Räuchersieb auf dem Tisch. Jetzt war sie bereit, die Frage zu stellen. Vorsichtig setzte sie sich.
„Wie kann ich ohne die Menschen, die ich so geliebt habe, weiterleben?“, flüsterte sie, während sie die Kräuter anzündete.
Sie schloss die Augen und sog den würzigen Duft der Kräuter ein, der sich allmählich im Raum verbreitete. Wie von selbst begann sie „Es ist ein Ros entsprungen“ zu singen. Als wäre das Lied zu ihr gekommen. Oma Irmi hatte immer Ideen, was sie singen könnten. Anfangs hörte sich ihre Stimme brüchig an, so als würde sie sich nicht recht trauen. Und so fühlte sie sich auch. Doch allmählich wurde alles leichter. Auch das Atmen. Sie ließ ihre Gedanken wandern, fühlte ihre Stimme fester werden. Plötzlich lag da noch ein anderer Ton in der Luft. Oma Irmi? Marie hörte eindeutig den hohen Ton, um den sie ihre Großmutter immer beneidet hatte. Sie wagte nicht die Augen zu öffnen, aus Angst, sie würde die Verbindung verlieren. Nun hatte auch ihre Stimme die volle Kraft entwickelt. Gemeinsam sangen sie die letzte Strophe. Dabei hatte Marie das Gefühl zu fliegen. Sie wusste, dass sie sich jetzt auf ihre Frage konzentrieren musste, wollte sich doch aber lieber diesem leichten Gefühl hingeben.
Sie öffnete die Augen und landete. Die Leichtigkeit waberte davon. Sie saß wieder auf dem Stuhl in der Küche, hatte die Hände auf die Tischplatte gelegt. Eine Stimme machte sich in ihren Gedanken breit. „Lass dir Zeit. Du bist nicht allein. Es gibt Menschen, die es gut mit dir meinen.“
Marie schluckte. Wer sollte das denn sein? Ihre Eltern, die nie mit ihr zufrieden waren? Ihr Bruder, weit weg. Daniel? Der liebte eine andere. Die Nachbarn? Ja, die meinten es gut, aber sie kannten sie zu wenig. Und Freunde? Seit sie mit Daniel zusammen war, hatten sie mehr mit seinen Freunden unternommen. Ihre eigenen Freundschaften waren irgendwie auf der Strecke geblieben.
Allmählich kroch die Erschöpfung ihren Rücken hinauf. Was sollte sie denn mit dieser Antwort anfangen? Oma Irmi war tot! Sie war allein! Und es gab niemanden, der sie so liebte, wie sie war. Außer Tommi. Natürlich Tommi!
Sie gab sich einen Ruck. Die Realität hatte sie wieder. Sie räumte die Küche auf, löschte alle Lichter und schlurfte ins Bad. Sie wollte vertrauen. Sie wollte versuchen, sich der Aufgabe zu stellen. Auch wenn sich das jetzt unmöglich anfühlte.
„Grüß dich, Kurt“, schrie Thomas durch das Telefon. Kurt hielt den Hörer etwas weiter weg von seinem Ohr. „Brüll doch nicht so“, murrte er. „Ich bin doch nicht schwerhörig.“
„Entschuldige“, lachte sein alter Freund unbeschwert. „Meine Schwiegermutter ist es schon. Wenn du mit der das ganze Weihnachtsfest verbringst, kannst du gar nicht aufhören zu schreien. Haha. Wird 95 nächstes Frühjahr, die Gute. Naja. – Wie war denn dein Weihnachten, Kurt? Ist Hannes noch da? Bleibt er über Silvester?“
„Noch so eine Frage und ich fange an zu schreien“, verkündete Kurt griesgrämig. „Hannes ist nicht da. Er hat seinen Flieger verpasst und kommt nun mit dem Schiff rüber.“
Für einen Moment schwieg sein Freund. „Da warst du ganz allein“, rief Thomas dann erschüttert. „Warum hast du dich denn nicht gemeldet? Luise hätte dir doch glatt noch einen Platz an der Tafel eingeräumt. Sie hat sich mehrfach gefragt, wie es dir wohl ergehen mag.“
„Ohne Käthe“, vollendete Kurt bitter, „und mit einem unzuverlässigen Herrn Sohn.“ Der Schmerz durchbohrte seine Eingeweide wie ein Dolchstoß. Er unterdrückte mühsam ein Keuchen.
„Alles in Ordnung, Kurt“, fragte Thomas. Er war Arzt, wenn auch schon im Ruhestand. So richtig ablegen konnte er seine Diagnoseohren nie. Kurt beschloss, diese Nachfrage zu ignorieren. „Außerdem wäre ich bei euch völlig fehl am Platze gewesen. Ihr hattet doch bestimmt die Enkel da.“
Das erwies sich als genau die richtige Strategie, denn von den Enkelkindern zu erzählen, war für Thomas ein schier unerschöpfliches Freudenthema. Inzwischen hatte sich Kurt auf der kleinen Sitzbank neben dem Telefon niedergelassen und den Schmerz weggeatmet. Hier hatte seine Käthe oft stundenlang gesessen und mit Freunden und mit Hannes telefoniert. Sein Blick fiel auf das gerahmte Foto an der Wand gegenüber. Es zeigte sie alle drei auf einer ihrer seltenen Reisen. Hannes hatte den Arm um seine kleine Mutter gelegt. Sie strahlten beide in die Kamera. Er selbst stand daneben, die Arme verschränkt, der Blick von heiterem Ernst, so wie er sich selbst am liebsten blicken sah. Damals hatten sie Hannes in Norwegen besucht, wo er seit Jahren als Energietechniker arbeitete. Gar nicht weit genug hatte es dem Herrn Sohn gehen können, so weit weg von zu Hause wie möglich. Hier gab es doch schließlich auch genug Arbeit für Leute wie ihn. Mühsam schob Kurt seinen Groll aus der Erinnerung. Käthe war an diesem Sommertag so glücklich und stolz gewesen auf ihren Sohn, als er ihnen seine neue Heimat zeigte. Hannes hatte da auch noch seine Braut gehabt. Sie fehlte auf dem Bild, weil sie das Foto gemacht hatte. Es hatte nicht gehalten zwischen den jungen Leuten. Wie so vieles im Leben seines Sohnes.
„Hallo, bist du noch da, Kurt?“
„Ja, ja. Ich höre dir zu“, log Kurt und wischte sich über das Gesicht, als könne er so die Spinnweben der Erinnerung entfernen. „Ich höre dir zu.“
Das Schweigen seines Freundes sagte ihm, dass der ihm kein Wort glaubte.
„Hast du es Hannes schon gesagt?“, fragte Thomas stattdessen.
Kurt antwortete nicht.
„Hannes muss es wissen, Kurt“, mahnte Thomas eindringlich.
„Vielleicht interessiert es ihn ja gar nicht. Denkst du etwa, der gibt seine Kariere da oben auf und kehrt in unser Kaff zurück?“
„Wie soll er denn eine Entscheidung treffen, wenn er nicht weiß, wie es um dich steht, Kurt?“
„Ja, wie steht es denn um mich, Herr Doktor Allwissend?“, blaffte Kurt. „Deine Kollegen sagen doch immer, dass ich die Hoffnung nicht aufgeben soll.“
„Das sollst du auch nicht, aber die Behandlung ist schwer und es ist besser, jemand ist bei dir, jetzt wo …“ Er zögerte etwas. „Jetzt wo du ganz auf dich allein gestellt bist.“
„Allein bin ich schon immer am besten klargekommen. Da redet mir wenigstens keiner rein.“
„Lieber alter Freund …“
„Weißt du was, Thomas: kehre du zu deinen Enkeln und deiner Luise zurück und erfreue dich an deiner Familie. Ich kümmere mich derweil um Nachbars Katze.“ Bevor Thomas darauf antworten konnte, hatte Kurt aufgelegt.
Die Katze Mimi war tatsächlich auf den Sims des Flurfensters gesprungen. Sie legte ihre weißen Pfoten an die Scheibe, als wolle sie anklopfen. Auffordernd sah sie ihn an. „Na, willst du rein, meine Kleine?“ Kurt erhob sich ächzend. Dann öffnete er das Flurfenster einen Spalt weit. Wie selbstverständlich sprang Mimi herein und lief mit steil erhobenem Schwanz in Richtung Küche. „Kriegst wohl nichts zu fressen da drüben, was? Na, wenn das die Irmi wüsste.“ Mit einem Lächeln schlurfte Kurt der Katze hinterdrein. Irgendwo musste er doch noch eine Dose Sardinen haben. Das Telefon läutete hinter ihm her, doch Kurt ignorierte es. Mit der Katze mochte er im Moment viel lieber reden.
Hannes glaubte sterben zu müssen, so elend war ihm. Es war, als hätten sich die Elemente verschworen, ihn an der Weiterreise zu hindern. Doch Greta war unerbittlich gewesen. Unbedingt wollte sie zu ihrem Sohn ins Erzgebirge. Sie hätte etwas zu bereinigen, sagte sie. Und ihm, Hannes, stünde das auch gut an. So etwas wäre wichtig in der Zeit zwischen den Jahren, ob er das denn nicht wüsste.
Also hatten sie den Wagen wieder aus dem Parkhaus geholt und waren zum Hafen gefahren. Die erste Autofähre, die einen Platz für sie frei hatte, hatten sie genommen. Es war eine LKW-Fähre. Es gab keine einzige freie Kabine mehr. Sie lagerten in Liegesesseln, während der Sturm die Ostsee aufwühlte und die Fähre bedenklich aufschaukelte. Hannes war noch nie seekrank gewesen, heute jedoch hatte es ihn erwischt. Ihm war übel und er fieberte.
„Leg dich hierhin“, kommandierte Greta. „Ich kümmere mich um Decken.“
Widerstandslos gehorchte Hannes. Er sank sofort in einen unruhigen, erschöpften Schlaf. Die Geräusche und Bewegungen um ihn herum nahm er wie durch eine Wand wahr. Er schwebte unter der Oberfläche seines Bewusstseins, unfähig und unwillig, daraus aufzutauchen.
Wie lange Greta weg gewesen war, wusste er nicht. Er erwachte, als sie ihm irgendeinen bittersüßen Trank einflößte. „Das hilft dir, mein Lieber“, sagte sie mütterlich. Mittlerweile war sie vom Englischen ins Deutsche gewechselt. Ihr kehliger nordischer Akzent weckte Erinnerungen an Solveig. Letztes Jahr hatte ihn seine Sonne verlassen. Eine Woge Schmerz durchflutete ihn. Er hatte gedacht, das sei lange verwunden. Doch das Fieber machte ihn dünnhäutig. Als sich Hannes wegdrehen wollte, hielt Greta sein Gesicht fest wie bei einem bockigen Kind. „Mund auf. Du musst es zulassen, Hannes. Nicht weglaufen.“
Hannes schob ihre Hand weg. „Greta! Was redest du denn da?“ Seine Stimme kratzte.
„Ich bin bis heute auch immer weggelaufen, Hannes. Es hilft nichts. Komm, noch einen Schluck.“
„Geh mit diesem Zeug weg. Willst du mich vergiften?“
„Heilen, mein Lieber“, erwiderte Greta ungerührt. Die bestickte Katze auf ihrer Schulter verzog ihr Gesicht zu einem Grinsen, wie es ihm schien. Mit einiger Mühe richtete sich Hannes auf, doch nur um ächzend wieder zurück in den Liegesessel zu sinken. Immerhin ließ Greta endlich davon ab, ihm diesen widerlichen Trank einzuflößen. „Ich bin schon erwachsen Greta, weißt du?“, flüsterte er heiser.
„Jaja, ich weiß.“ Sie verstaute die Flasche mit ihrer grässlichen Medizin wieder in ihrer unförmigen Reisetasche. „Manchmal ist unser Herz aber ein Kind geblieben und weigert sich, erwachsen zu werden“, sagte Greta dann still und sah ihn unverwandt an. „Ich bin schon alt, Hannes. Und doch war auch mein Herz so kindisch, mich mit meinem Sohn zu entzweien.“
Hannes spürte große Mattigkeit in sich aufsteigen. „Was ist passiert?“, fragte er dennoch.
Diese einfache Frage brachte Greta in Verlegenheit. Die Katzen auf ihrem Mantel blieben starre, einfache Stickereien. Endlich blickte sie auf und richtete ihre klaren Sternenaugen direkt auf Hannes. „Ich dachte, ich hätte meinen Sohn verloren, als er in diese Familie dort eingeheiratet hat“, sagte sie dann. „Es erschien mir wie ein Verrat. Doch nach den Jahr weiß ich nun, dass ich mich freuen kann, eine Tochter gewonnen zu haben.“
„Und das willst du ihm sagen?“
Greta nickte. „In den Heiligen Nächten soll man Zwist bereinigen, Rechnungen bezahlen, versöhnen und klären.“
„Wenn das so einfach wäre“, meinte Hannes mit einem schwachen Lächeln.
„Du musst nur dein Herz öffnen, dann wird der Weg klar.“ Greta erwiderte sein Lächeln. „Damit machen wir uns natürlich verletzlich, doch ohne das geht Versöhnung nicht. Wir gehen immer ein Risiko ein, verletzt zu werden.“
Hannes dachte an Solveig und nickte stumm. Er hatte fest vor, sich nie wieder so verletzen zu lassen, doch das sagte er Greta nicht. „Du öffnest also dein Herz und fährst zu deinem Sohn, einfach so?“
„Nicht einfach so“, gab Greta zu. „Es hat mich eine Menge an Kämpfen gekostet. Bin ich doch immer davon ausgegangen, mein Sohn müsste den ersten Schritt gehen. Ich muss mein Herz öffnen. Erst dann kann das Wunder geschehen.“
„Ein Wunder?“
„Oh, ja!“ Und dann erzählte Greta von ihrer Familie und ihrem Sohn und von alten Bräuchen in den Rauhnächten bei ihnen an der Westküste Norwegens, wo sie zuhause war. Noch mehr von Herzöffnung, die das große Thema dieser Rauhnacht sei. Herzöffnung, damit Wunder eintreten könnten und dass man einfach bereit sein müsste, sie geschehen zu lassen.
Ihre Worte verschmolzen ineinander. Bald nahm Hannes sie wie einen Gesang wahr, ein versunkenes Zauberlied, das ihn in einen fiebernden Halbschlaf wiegte. Er dämmerte vor sich hin und betrachtete die bestickten Katzen auf Gretas Mantel. Wieder hatte er den Eindruck, dass sie zum Leben erwachten, wenn man nicht genau hinsah. Sie bewegten sich und sie sprachen. „Komm nach Hause“, schnurrte eine der Katzen. Sie leckte schelmisch ihre Pfote und zwinkerte ihm zu. „Komm nach Hause, Hannes.“ War das die Stimme seiner Mutter? „Komm nach Hause und öffne dein Herz.“
Den ganzen vorigen Tag lang hatte Marie an das Räucherorakel denken müssen. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder glücklich zu sein. Und sie wusste beim besten Willen nicht, wo der Mensch sein sollte, der es gut mit ihr meinte. Dabei war das doch sogar die Rauhnacht der Herzöffnung. Sie sollte Wunder zulassen. Warum nur fiel es ihr so schwer, überhaupt irgendetwas zuzulassen?
Mit diesen Gedanken war Marie eingeschlafen und mit diesen verwirrenden Worten war sie heute Morgen auch wieder aufgewacht. Sie blinzelte und versuchte, die Augen zu öffnen. Wenn sie doch wenigstens mal wieder richtig schlafen könnte, sich morgens ausgeschlafen fühlen würde. Aber es nutzte nichts. Sie konnte sich jetzt nicht noch einmal umdrehen, gleich würde Tommi aufwachen, dann wollte sie das Frühstück fertig haben. Ihr kleiner Sohn liebte es, morgens im Schlafanzug in die Küche gehopst zu kommen und mit dem Duft von aufgebackenen Semmeln und frisch gekochtem Kakao empfangen zu werden.
Ein Lächeln huschte über Maries Gesicht. Doch die Wärme, die sich eben versuchte breitzumachen, durchschnitt ein jäher Gedanke. Tommi war nicht da. Wie hatte sie das vergessen können? Er hatte gestern Morgen gleich mit seinem Papa telefoniert und sie hatten gemeinsam beschlossen, dass Tommi den Nachmittag bei Daniel und seiner neuen Freundin verbringen sollte und weil er doch so selten da war, konnte er auch gleich über Nacht bleiben. Marie war schon immer eine Verdrängungskünstlerin gewesen. Und jetzt wusste sie auch, warum sie heute Morgen an alles andere, nur nicht daran gedacht hatte. Den Stich im Herzen würde sie nie wieder vergessen, als Tommi ihr mit strahlenden Augen von den Plänen erzählt hatte. Er hatte sich so auf den Besuch gefreut, hatte sofort begonnen, seine Tasche zu packen und vor allem den Elektrokasten zurechtzustellen. Auch jetzt noch trieb es Marie die Tränen in die Augen. Natürlich war sie froh, dass es Tommi so gut ging und er sich auf seinen Papa freute. Trotzdem brach es ihr das Herz, ihren kleinen Liebling gehen zu lassen. Ihn teilen zu müssen. Wäre Daniel geblieben, hätten sie einfach gemeinsam den Tag verbringen können.
Marie stöhnte laut. Es nutzte nichts, sie musste sich aus den Federn quälen. Schließlich wollten die Hühner gefüttert werden. Und Mimi wartete sicher schon auf ihre erste Streicheleinheit. Auch sie schien die Frühstücksstimmung zu mögen. Und dann kamen heute ja auch noch die Nachbarn zum Stollenessen. Zum ersten Mal war sie sich nicht sicher, ob sie wirklich die Kraft hatte, Oma Irmis Rauhnachtsrituale weiterzuführen. Aber nun waren die Menzels, Frau Schreiber und Frau Scholze eingeladen. Endlich gab sich Marie einen Ruck. Außerdem würde Tommi hoffentlich bald wieder da sein.
Nach einem kurzen Frühstück, bei dem sie versuchte, ihre Gedanken auf den Tag zu lenken und nicht daran zu denken, wie schön es wäre, wenn Tommi neben ihr sitzen würde, schnappte sie sich einen Weidekorb. Sie wollte den Tisch heute besonders schön schmücken und brauchte dafür Blüten und Zweige aus ihrem Blumenladen.
Als sie nach draußen trat, knirschte der Kies unter ihren Füßen. Über alles hatte sich Raureif gelegt. Die Sträucher sahen aus, als wären sie mit Puderzucker bestäubt. Fasziniert machte sich Marie auf den Weg. Was die Natur doch alles konnte. Pflanzen wuchsen, blühten, starben. Aber selbst im tiefsten Winter konnten sie die Menschen noch beglücken. Sie gaben einfach nie auf. Etwas regte sich in Marie. Sie würde auch nie aufgeben. Natürlich nicht. Schon allein deswegen, weil Tommi sie brauchte. Und auch wenn sich jetzt alles schmerzhaft anfühlte, ging es ihr doch von außen betrachtet gut. Im Grunde lebte sie noch immer das Leben, das sie sich ausgesucht hatte. Sie bewohnte ein kleines Häuschen, hatte einen wundervollen Sohn und den schönsten Beruf, den sie sich vorstellen konnte. Es war der Verlust, mit dem sie nicht zurechtkam. Und auch nicht wusste, wie sie das jemals hinbekommen sollte.
Sie hatte den kleinen Blumenladen, den sie lange mit Oma Irmi gemeinsam und jetzt allein führte, erreicht. Schon der Duft, der sie beim Eintreten empfing, ließ ihr Herz höher schlagen. Sie würde zwar erst wieder im neuen Jahr öffnen, hatte den Verkaufsraum aber natürlich in der Adventszeit weihnachtlich geschmückt. Auch ein Herrnhuter Stern, der immer zur Dämmerung zu leuchten begann, durfte da nicht fehlen. Für einen Moment blieb sie stehen und atmete tief ein. Oma Irmi hatte zwischen den Jahren immer geöffnet. Das war für Marie in Kindertagen die schönste Zeit. Dann durfte sie durch den Laden stolzieren, vertrocknete Blüten oder Zweige einsammeln, den Kunden die Tür öffnen, wenn die voll bepackt wieder gingen oder einfach bei Oma Irmi hinter dem Tresen sitzen und ihr beim Stecken helfen. Oma sagte ihr, welche Blüte sie gerade brauchte und Marie suchte sie heraus. So hatte sie später bei der Ausbildung mit Pflanzenkunde keine Probleme gehabt.
Aber nun war der Laden geschlossen. Marie hatte schon in der Adventszeit das Gefühl gehabt, die vielen Fragen der Kundinnen nach ihrem Befinden und die Seufzer, dass Irmi so fehlte, nicht zu überstehen. Sie hatte geahnt, dass es während der Rauhnächte, wenn ihr Seelenleben sowieso schon Achterbahn fuhr, noch schlimmer werden würde. Deshalb war das Geschäft zu.
Auch jetzt spürte sie einen heftigen Druck auf der Brust. Eilig sammelte sie ein paar Blüten, Beeren und Zweige ein und machte sich auf den Rückweg. Kaum hatte sie den Laden verlassen, klingelte ihr Handy.
„Wo bist du?“, blaffte Daniel sie ohne Begrüßung an.
„Im Laden, warum?“, antwortete Marie und ärgerte sich sofort. Was ging es ihn an, was sie tat!
„Wir stehen hier in der Kälte. Tommi wollte nach Hause.“
„Oh“, war alles, was Marie herausbrachte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Hoffentlich ging es Tommi gut. Ob er krank war? Oder hatte es ihm bei Papa und seiner Freundin nicht gefallen? War vielleicht noch etwas viel Schlimmeres passiert? War die Freundin nicht nett zu ihrem Sohn gewesen? „Ich bin gleich da“, rief sie in ihr Handy, drückte das Gespräch weg und begann auf dem rutschigen Weg schneller zu laufen. Ab und an musste sie sich an einem Zaun festhalten, um nicht zu fallen, oder mit den Armen ihren Stand ausbalancieren.
Als sie kurz vor ihrem Haus war, kam ihr Tommi entgegengelaufen.
„Mama, ich dachte schon, du bist nicht mehr da“, rief er.
Sie versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, fand aber, dass er ganz gesund und glücklich aussah.
„Ach, mein Schatz, wo sollte ich denn sein? Wir wohnen hier.“ Sie drückte ihn fest an sich.
„Kann ja sein, dass du auch einen Freund hast.“ Tommi nahm ihre Hand und langsam gingen sie auf das Haus zu.
„Das habe ich nicht, Tommi. Ich war nur schnell im Laden ein paar Blüten und Deko holen, um den Tisch schön zu decken. Die Nachbarn kommen heute Nachmittag. Weißt du noch?“
„Leon kommt auch“, hörte sie Tommi noch sagen, dann übertönte Daniels Bass die zarte Kinderstimme.
„Weißt du, wie lange wir hier schon rumstehen? Und warum hast du mir nicht gesagt, dass Tommi heute Besuch von seinem Freund bekommt? Dann hätte ich alles anders organisiert. So ist jetzt unser ganzer Tag, den wir für Tommi geplant hatten, futsch.“
Es lag Marie auf der Zunge, zu sagen, dass sie auch nicht wusste, dass Leon heute kommen wollte. Dass das aber ganz normal bei den Jungs war. Schließlich wohnten sie nur drei Häuser voneinander entfernt. Das sollte sogar Daniel noch wissen. Aber dann hätte sie sich schon wieder gerechtfertigt.
„Dir auch einen guten Morgen“, sagte sie stattdessen. Sie versuchte sogar ein Lächeln. „Vielleicht kannst du ja demnächst mit Tommi über deine Pläne sprechen. Dann hat er die Chance, dir zu sagen, ob er Zeit hat oder nicht.“
Marie schloss die Tür auf. Eigentlich wollte sie nicht, dass Daniel noch mit reinkam. Er fühlte sich immer mehr wie ein Fremdkörper in ihrem Haus an. Aber Tommi zog ihn mit sich.
„Komm, Papa, sei nicht traurig. Soll ich dir meine anderen Geschenke zeigen?“