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Wenn du an Wunder glauben möchtest, dann vertraue deinen Träumen
Einmal wieder wirklich glücklich sein, das wünscht sich Lucy, wenn die Tage in der Rügener Klinik in Glowe alles von ihr abverlangen. Ihr Chef scheint ein besonderes Talent zu haben, ihr das Leben schwer zu machen. Und der neue Patient, Ethan van Holt, von inneren Dämonen gequält, fordert ständige Aufmerksamkeit. Nur die Momente mit ihrer kleinen Tochter Stella erwärmen ihr Herz. Doch selbst hier lauert der Schmerz: die Erinnerungen an das Bootsunglück ihres Mannes Aaron, dessen Tod sie einfach nicht akzeptieren kann.
Nachts, wenn sie erschöpft in den Schlaf sinkt, eröffnet sich ihr eine faszinierende Welt voller lebendiger Träume von einem Mann, der ihr Herz berührt und doch unerreichbar scheint. Hat es etwas mit Aaron zu tun? Je intensiver sie träumt, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Vision. Bis der Unbekannte sich eines Nachts zu erkennen gibt und Lucy vor eine schier unmögliche Entscheidung stellt.
Ein gefühlvoller Liebesroman über Verlust, Sehnsucht und die magische Kraft der Träume – an den wilden Küsten Rügens, wo sich Realität und Mystik im Meerwind verlieren.
„Zwischen uns der Tag“ ist der Auftaktroman der neuen „Whispering Dreams“ Reihe.
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Weitere Reihen der Autorin:
Ostseetraumreihe
Ostseeliebetrilogie
Nordseeglücktrilogie
Sehnsuchtstrilogie
Zum Glück Reihe
Winterwunderreihe
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Frida Luise Sommerkorn
Zwischen uns der Tag
Inhalt
Impressum
Die Autorin
Widmung
Vorwort
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Ein Jahr später
Danke
Weitere Veröffentlichungen
Impressum
© Frida Luise Sommerkorn / Jana Thiem / Neissuferverlag
Thrombergstraße 1, 02625 Bautzen
Lektorat: Dorothea Winterling M. A.
Bildmaterial: elements.envato, Adobe Stock; @tartila, freepik
Portraitfoto: Tine Jurtz, Dresden
Umschlaggestaltung: Anne Gebhardt Design
Layout und Satz: Dorit Schneider
www.neissuferverlag.de
www.autorin-jana-thiem.de
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Alle im Buch dargestellten Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, gleich ob lebend oder verstorben, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Es ist ausdrücklich untersagt, die Inhalte dieses Buches für das Training oder die kommerzielle Nutzung von Künstlicher Intelligenz zu verwenden.
Die Autorin
Frida Luise Sommerkorn alias Jana Thiem schreibt Liebes-, Familien- und Kriminalromane. Ihre Geschichten sind in jedem Genre mit Herz, Humor und Spannung gespickt. Da sie selbst das Reisen liebt, kennt sie die Schauplätze ihrer Romane und kann sich voll und ganz in ihre Protagonisten hineinfühlen. Ob am Ostseestrand, im fernen Costa Rica oder in ihrer Heimat, dem Zittauer Gebirge, überall holt sich die Autorin neue Inspirationen, um ihre Leserinnen zu verzaubern.
Weitere Roman-Reihen der Autorin:
Ostseeliebe
Ostseetraum
Nordseeglück
Sehnsucht
Zum Glück
Winterwunder
Humboldtkrimis
Für Eveli
Ich bin so glücklich, dich als meine Tochter zu haben.
Danke für deine ansteckende Fröhlichkeit,
für deine Geduld beim Zuhören,
für deine Kreativität
beim gemeinsamen Geschichten entwickeln.
Schön, dass es dich gibt!
Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Habt ihr euch auch schon einmal gefragt, warum manche Träume so intensiv sind, dass wir sie noch den ganzen nächsten Tag hindurch spüren? Manchmal fühlt es sich sogar so an, als würde unser Körper darauf reagieren. Obwohl es doch nur Träume waren. Warum träumen wir oft so wirre Geschichten, die so gar nicht zu unserem Alltag passen wollen? Und wo befinden wir uns eigentlich, wenn wir träumen? Wer träumt da, wenn unser Körper im Bett liegt und sich erholt?
Leider kenne ich die Antworten auf all die Fragen auch nicht. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt jemand erschöpfend beantworten kann. Unterschiedliche Theorien besagen, dass wir in unseren Träumen emotionale Ereignisse verarbeiten, auf äußere Reize während der Schlafphase reagieren oder sogar Lösungen für manche unserer Probleme finden.
Schon immer hatte ich das Gefühl, dass mir diese Theorien zu wissenschaftlich sind. Irgendetwas in mir wollte an einen höheren Zusammenhang glauben. Deshalb möchte ich euch von meinen eigenen Träumen erzählen. Oder besser gesagt, meine Bücher erzählen davon. Denn einige meiner Romanideen habe ich in meinen Träumen selbst erlebt. Es ist schon manches Mal vorgekommen, dass ich morgens schnell zum Stift greifen musste, um die Geschichten nicht sofort wieder zu verlieren. Wie oft habe ich mich danach gefragt, woher diese Ideen kamen oder wer sie mir geschickt hat. Und vor allem, ob sie wirklich in meine Bücher Einzug halten sollten. Und wenn ja, in welcher Form?
Die Antwort darauf habe ich in einem Video von Silke Schäfer, einer Astrologin der neuen Zeit mit eigener Astrologie-Schule, erhalten, als sie über Shambhala gesprochen hat. Mich hat sofort fasziniert, dass wir nachts in unseren Träumen mit unserem Bewusstsein auf eine andere Ebene gehen und uns dort u. a. in Shambhala bei den Meistern der Weisheit schulen lassen. Klingt das nicht toll?
Daraufhin habe ich mir meine schon notierten und auch die folgenden Träume angeschaut und das Gefühl bekommen, dass sie mir etwas sagen wollen, mir etwas flüstern. So entstand die Idee zu meiner neuen Reihe »Whispering Dreams« (»Flüsternde Träume«).
Im ersten Teil »Zwischen uns der Tag« begibt sich meine Protagonistin Lucy in ihren Träumen nach Shambhala und erlebt eine Reise durch die Welt ihrer Gefühle. Doch warum werfen die nächtlichen Begegnungen so viele Fragen auf? Und wie beeinflussen sie ihr reales Leben? Lasst euch überraschen!
Ich wünsche euch von Herzen traumhafte Lesestunden!
Eure Frida Luise Sommerkorn
1
Sie streckte ihre Hand aus, um ihm näher zu sein. Und obwohl er weit entfernt am Ufer des Meeres stand, spürte sie seine Liebe, nahm wahr, wie alles um sie herum unwichtig wurde. Nur dieses überwältigende Gefühl strömte durch ihren Körper, der sich leicht und frei anfühlte.
Doch ihr Herz schwankte unentschlossen zwischen zwei Welten. Der Gedanke, zu ihm zu gehen, ihn zu fragen, ob das Flüstern der Hoffnung in ihr recht hatte, zog sie magisch an. Jeder Schritt in seine Richtung versprach Antworten. Aber was würde sie tun, wenn die Wahrheit ihre Ahnung zerschmetterte? Wenn die Funken, die sie zwischen ihnen spürte, nur ein Wunschtraum waren? Wenn er sich nicht als der entpuppte, für den sie ihn hielt?
Unentschlossen blickte sie zur Seite über hügelige Wiesen, die mit bunten Blumen übersät waren. Bienen und Hummeln tanzten von Blüte zu Blüte, Vögel zwitscherten ihre markanten Lieder. Über allem spannte sich ein blauer Himmel. Sie roch das Salz des Meeres und hörte die Wellen, wie sie an den Strand rollten. Und obwohl sie glaubte, dass das nicht die Wirklichkeit sein konnte, denn so perfekt war das Leben nun mal nicht, gab ihr der Rhythmus der Natur Sicherheit. Sie fühlte sich geborgen, eingebettet in das große Ganze. Selbst als sie ihren Blick wieder auf den einsamen Mann am Meer richtete, blieb die unglaubliche Ruhe in ihrem Herzraum.
Nein, noch wollte sie sich ihre Illusion von ihm nicht zerstören lassen. Lieber genoss sie weiter dieses himmlische Gefühl. Sie wusste, dass sie noch nie etwas tiefer empfunden hatte als in diesem Moment. Als in allen Momenten, die sie hier verbrachte. Hier mit ihm. Und mit allem.
∞
Lucy öffnete die Augen. Der Traum löste sich in Luft auf. Was blieb, war die Sehnsucht nach der Leichtigkeit, nach dem Gefühl, alles erreicht zu haben, was nur möglich war. Nach nichts mehr streben zu müssen. Einfach nur zu sein.
Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Unwirsch wischte sie sie fort. Warum passierte ihr das denn immer und immer wieder? Früher hatte sie es geliebt zu träumen. Manchmal hatte sie sich noch Tage danach an ihre Träume erinnern können, sie sogar fühlen können. Aber diese hier steckten einfach fest. Es war, als ob sie nachts in einer anderen Welt leben würde, die tagsüber unerreichbar für sie war. Und die auch überhaupt nicht in ihren Alltag passte.
Lucy setzte sich im Bett auf. Diese Träume hatte sie mittlerweile mehrmals in der Woche. Und jedes Mal fiel es ihr schwerer, danach in ihre Routine zu finden. Vielleicht sollte sie doch mit Naima darüber reden. Bisher hatte sie nichts davon gesagt, weil sie die Angst davor spürte, dass es dann noch realer werden würde. Dass die Träume sie dann auch tagsüber intensiver begleiten würden. Schließlich war Naima der Meinung, dass nichts umsonst passierte, dass alles einer gewissen Ordnung folgte, die mit unserer Logik nichts zu tun hatte. Und mit nur einer einzigen Frage oder einem einzigen Denkanstoß konnte sie den Blick auf ein Thema plötzlich verändern. Lucy fühlte sich nach solchen Erkenntnissen jedes Mal, als hätte sich eine Tür aufgetan, die vorher noch nicht da gewesen war. Und wie oft hatte sie gespürt, dass hinter diesen Türen die Sonne viel heller schien. Das ganze Licht, das schon durch einen kleinen Spalt fiel, veränderte ihr Leben. Nicht im Großen und Ganzen, aber in kleinen Schritten. Blöd war nur, dass sie die Tür, die sie jetzt brauchte, um ihre Träume besser zu verstehen, nicht fand. Sie hatte das Gefühl, dass diese Türen immer erst erschienen, wenn Naima sie darauf aufmerksam machte. Aber warum denn? Wie konnte so etwas gehen?
Lucy rieb sich die Falte, die sich auf ihrer Stirn gebildet hatte. Sie wusste, dass sie sich die Tür, die ja als Lösung für etwas stand, nicht mit Wut im Bauch vorzustellen brauchte. Wut oder Angst hatten noch nie viel zutage gefördert. Höchstens Verwirrung. Aber verwirrt war sie auch jetzt schon.
Ein tiefer Seufzer löste sich aus ihrer Brust. Erschrocken horchte Lucy in die Stille hinter dem Vorhang. Sie hörte nur ein leises Schmatzen, was bedeutete, dass Stella noch tief und fest schlief. Ach, ihre Kleine war ihr ganzes Glück. Stella schaffte es mit ihrer Fröhlichkeit immer wieder, sie aus ihren Gedanken zu holen. Und leider tauchten die immer noch häufig auf, auch wenn sie sich verändert hatten. Anfangs waren sie noch voller Hoffnung gewesen, dann war die Wut gekommen und schließlich die Traurigkeit. Die war am schlimmsten, weil sie sie immer wieder mit aufgesetzter Hoffnung verscheuchen wollte. Aber gab es denn überhaupt noch Hoffnung? Alles schmerzte, wenn sie daran dachte, diesen letzten Funken loszulassen.
Bevor diese Gedanken jetzt wieder die Oberhand gewannen, schlug Lucy ihre Bettdecke zurück und setzte die Füße auf den kleinen Teppich, der vor ihrem Bett lag. Sie liebte das flauschige Gefühl. Während ihre Zehen mit den Schlingen des Teppichs spielten, schaute sie aus dem Fenster. Der Morgen kündigte sich mit einem zarten rosa Licht an, was bedeutete, dass es noch nicht mal sechs Uhr war. Ein Blick auf ihren Wecker bestätigte ihre Vermutung. 5:55 Uhr, eine Engelszahl, würde Naima sagen.
Okay, wenn sie schon so früh wach war, dann konnte sie den Tag auch am Strand begrüßen. Voller Vorfreude sammelte sie ein paar Kleidungsstücke zusammen und schob den Vorhang zur Seite. Hier begann das Kinderzimmer. Vor mittlerweile sieben Jahren hatten sie die Wohnung angemietet. Eigentlich war dieser Raum das Wohnzimmer gewesen. Dann gab es noch eine geräumige Küche, ein kleines Schlafzimmer und ein Minibad. So klassisch hatten sie es auch anfangs bezogen. Aber dann war Stella gekommen und das Kinderbettchen hatte nicht ins Schlafzimmer gepasst. Also war nichts anderes übrig geblieben, als diesen Vorhang im Wohnzimmer aufzuhängen und dahinter ihre Schlafstätte einzurichten. Die ausladende Couch, ein kleiner Tisch und der Fernseher hatten im Schlafzimmer Platz gefunden. Klein, aber kuschelig. Mittlerweile hatte sie die große Couch gegen eine kleinere getauscht, den Fernseher verschenkt und dafür ein wunderschönes Highboard aus einer Haushaltsauflösung erstanden. Es war aus Fichtenholz und hatte an den Türen filigrane Schnitzereien. Natürlich sah man ihm die Jahre an, aber genau die machten seinen Charme aus.
Lucy schüttelte den Kopf und blinzelte ihre Gedanken weg. Wenn sie wollte, konnte sie sich stundenlang in ihnen verlieren. Aber das hatte ihr noch nie gut getan. Und heute war ihr letzter Urlaubstag, den wollte sie mit Stella und bei bester Laune verbringen.
Sie lief auf Zehenspitzen zum Bett ihrer Tochter und strich ihr vorsichtig eine blonde Locke aus dem Gesicht. Wieder schmatzte Stella und drehte sich zur Seite. Gut! Das hieß, dass sie nicht so schnell aufwachen würde. Lucy griff nach dem kleinen Kuscheltier-Affen und setzte ihn auf das Fensterbrett. Das war das vereinbarte Zeichen, dass Lucy nur kurz unterwegs war und gleich wiederkommen würde. Stella war sowieso kein ängstliches Kind, aber seit der Vereinbarung fühlte sich Lucy besser, wenn sie sich morgens wegstahl. Diese kleinen Auszeiten beim Sonnenaufgang gehörten seit vier Jahren, zwei Monaten und sieben Tagen zu ihrem Leben.
Nein, jetzt nicht wieder in den Gedanken verheddern! Lucy schlüpfte ins Bad und zog sich eilig an. Dann nahm sie ihre Jacke und den Schlüssel und schob die Wohnungstür leise hinter sich zu. Nachdem sie ihr Fahrrad aus dem vollen Keller befreit hatte, atmete sie vor der Haustür tief ein und aus. Sie liebte diesen Moment, wenn die frische, salzige Luft in ihre Lungen drang. Die Jahreszeit spielte dabei keine Rolle. Im Winter erfrischte sie die Kühle, im Herbst mischte sich ein erdiger Geruch dazu und im Frühjahr die ersten Blütendüfte. Jetzt, wo sich der Sommer ankündigte, spürte sie mit jedem Atemzug die wohlige Wärme, die der Tag bringen würde.
Mit einem Lächeln auf den Lippen stieg Lucy auf das Rad. Sie fuhr an den Mehrfamilienhäusern, die alle im gleichen rötlichen Ton gestrichen waren, vorbei, überquerte einen kleinen Platz, an dem auch Stellas Kindergarten lag, und bog am Ende der Straße links ab. Sie trat kräftiger in die Pedale, so gut es die Pflastersteine zuließen. In der Ferne konnte sie schon den kleinen Campingplatz von Dranske sehen.
Lucy stellte ihr Rad an der Rezeption, die noch nicht besetzt war, ab und lief zwischen den Wohnmobilen auf das Meer zu. Noch herrschte eine verschlafene Ruhe bei den Campern. Als sie das kleine Wiesenstück überquert hatte, blieb sie kurz stehen. Dieser Moment war immer wieder wie Achterbahn fahren. Einerseits liebte sie den ersten Blick auf die heute nur leicht bewegte See, andererseits traf sie die Trauer so heftig, dass ihr schwindelte. Meistens ließ sie die Traurigkeit nicht zu, verdrängte alle Gedanken daran und redete sich ein, dass doch noch alles gut werden würde. Aber heute spürte sie, dass sich das betrübte Gefühl in ihr Herz genistet hatte.
Vorsichtig setzte Lucy einen Fuß auf den steinigen Strand. Sie war schon einige Male voller Übermut auf dem feuchten Geröll ausgerutscht. Auf Zehenspitzen umrundete sie die kleine Felsengruppe und setzte sich an deren Ende auf eine der runden Kuppen. Hier fühlte sie sich von hinten geschützt und hatte doch freien Blick auf das Meer.
Auf den hölzernen Buhnen zu ihrer Linken hatten sich unzählige Vögel versammelt und gaben ihr Morgenkonzert. Dahinter lag die Insel Hiddensee. Mit klopfendem Herzen ließ sie ihren Blick weiter über die See schweifen und entdeckte den ersten Fischer.
Übelkeit flutete ihren Körper. Als könne sie die nächsten Reaktionen aufhalten, legte sie eine Hand auf ihren Herzbereich und versuchte, tief ein- und auszuatmen. Das hatte ihr Naima empfohlen. Trotzdem begann sie zu zittern. Erst nur der Atem, dann ihre Schultern und schließlich der ganze Körper. Sie wollte das nicht, wollte endlich abschließen. Aber alles in ihr weigerte sich.
»Aaron, wo bist du?«, flüsterte sie unter Tränen. »Sag mir, was ich tun soll!«
Lucy vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie wusste, dass sie die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag niemals vergessen würde. Aaron war wie immer noch am späten Abend aufgebrochen. Er hatte der schlafenden Stella, die damals noch so winzig war, über den leicht verschwitzten Kopf gestrichen und ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben. Danach hatte er sich noch für einen Moment neben Lucy gelegt und ihr ins Ohr geflüstert, dass er viel lieber bei ihr bleiben würde. Bei ihr und ihrer süßen Tochter.
Lucy hatte ihn fest an sich gedrückt. Er hatte so gut gerochen. Eine Mischung aus herbem Duschbad, Bratkartoffeln und Meeresluft. So roch nur Aaron. Auch sie hatte an dem Abend das Gefühl, ihn nicht gehen lassen zu wollen. Aber natürlich war sie vernünftig gewesen, hatte es ihm nicht gesagt. Irgendwann hatte er ihr noch einen heißen Kuss auf die Lippen gedrückt und sich mit einem Zwinkern verabschiedet. »Bis morgen früh, Lucy-Schmetterling! Flieg verträumt durch die Nacht.« Das waren seine letzten Worte gewesen, die sie je von ihm gehört hatte.
Was ab dem nächsten Tag passiert war, lag unter einer dicken Nebelschicht verborgen. Sie konnte sich nur noch an Bruchstücke erinnern. Vera, die Frau von Aarons Kollege Mats, mit dem er immer raus aufs Meer fuhr, hatte plötzlich Sturm geklingelt. Andere Fischer hätten beim Reinkommen vom nächtlichen Fang das gekenterte Boot gefunden. Von Aaron und Mats keine Spur.
So schnell es damals möglich war, hatte sie Stella angezogen und war mit Vera zum Hafen von Breege gefahren, wo die Fischer eingelaufen waren, die Aarons Boot gefunden hatten. Es hieß, dass deutsche und dänische Seenotretter, die Wasserschutzpolizei und sogar ein Rettungshubschrauber im Einsatz waren, es bisher aber noch keine Spur der beiden Fischer gegeben habe.
Und dann hatten sie Mats gefunden. Zwischen Wrackteilen trieb er im tot im Wasser. Er hatte sogar einen Rettungsring umgelegt, der ihm jedoch das Leben nicht hatte retten können.
Zu dem Zeitpunkt war Lucy noch immer voller Hoffnung gewesen, dass es Aaron in die Rettungsboje geschafft hatte und die weit abgetrieben war. Doch die große Frage unter den Fischern lautete: Warum hatte es keinen Seenotfunk gegeben?
Irgendwann war Naima neben Lucy aufgetaucht, hatte ihr die schreiende Stella abgenommen und sie zu ihrem Auto geschoben. In den Tagen danach war Lucy selten wach gewesen. Was auch immer ihr Naima gegeben hatte, es hatte Wunder gewirkt. Allerdings kam das böse Erwachen, schließlich hatte sie irgendwann wieder mit dem Weiterleben beginnen müssen. So gut es ging, hatte sie sich von allen ferngehalten, wollte keine Nachrichten übermittelt bekommen. Als dann aber doch eines Tages Vera wieder vor ihrer Tür stand und ihr mitgeteilt hatte, dass sie die Suche nach Aaron einstellen würden, hatte Lucy gefühlt, wie irgendetwas in ihr gestorben war. So als wäre eine Tür zugefallen, zu der es keinen Schlüssel gab.
Ihre Eltern waren in der Zeit oft aus Berlin zu Besuch gekommen, um sie zu unterstützen. Freundinnen hatten ihr Hilfe angeboten, aber ohne Naima hätte sie die Zeit nicht überlebt.
Lucy schluchzte ein letztes Mal und wischte sich über das tränennasse Gesicht. Das alles lag nun schon über vier Jahre zurück und trotzdem fühlte sie es, als wäre es gestern gewesen. Niemand hatte seit damals etwas von Aaron gehört. Natürlich glaubten alle, dass das Meer ihn verschluckt hatte. Aber sie nicht. Sie müsste es doch spüren, wenn er nicht mehr da wäre. Nein, ihre Hoffnung blieb hartnäckig! Vielleicht war er doch irgendwo gestrandet oder gefunden worden? Sicher konnte er sich einfach an nichts erinnern und wurde seitdem von lieben Menschen umsorgt. Und irgendwann würde seine Erinnerung wiederkehren und er zu seiner Familie zurückkommen. Ja, genau so würde es sein. Die Einwände von anderen, dass alle angrenzenden Länder von dem Fischerunglück wussten und sich sicher denken konnten, wer der vermisste Mann war, ließ sie nicht an sich heran. Die hatten doch keine Ahnung.
Energisch stand Lucy auf und bewegte ihre steifen Beine. »Komm endlich nach Hause, Aaron«, rief sie dem Meer noch einmal entgegen, dann machte sie sich wieder auf den Weg in ihre Wohnung.
Als sie später leise die Tür zum Kinderzimmer öffnete, kniete Stella in ihrem Bett und schaute aus dem Fenster.
»Hey, mein Sternchen, du bist ja schon wach!«, rief Lucy.
»Mama, ist heute Steineklapperwetter?«, fragte Stella, ohne sich umzudrehen.
Lucy schmunzelte. Was war ihre Tochter nur für ein Schatz. Und wie oft hatte sie schon gedacht, dass sie von Stella einiges lernen konnte. Zum Beispiel dieses tiefe Urvertrauen. Andere Kinder machten ein Riesentheater, wenn sie mal allein bleiben sollten. Auch viel ältere Kinder. Und Lucy konnte das so gut verstehen. Die Erinnerung an früher, wenn ihre Eltern abends mal nur zu zweit etwas unternehmen wollten und sie allein zuhause schlafen sollte, spürte sie jetzt noch als Angstklumpen im Magen.
Stella war anders. Als Lucy sie einmal darauf angesprochen hatte, ob sie denn keine Angst alleine zuhause hätte, hatte ihre Tochter sie verständnislos angeschaut und gefragt, wovor sie denn Angst haben sollte. »Mama, du kommst doch immer wieder zu mir zurück. Und ich bin ja nicht wirklich allein«, erinnerte sich Lucy an Stellas Worte.
Aber als Lucy noch einmal nachgefragt hatte, was sie denn damit meinte, dass sie nicht allein wäre, hatte sich Stella schon wieder ihrem Spiel zugewandt. Manchmal war ihr ihre Tochter ein Rätsel. Allerdings ein sehr süßes, wie sie auch jetzt wieder feststellen musste.
Lucy kniete sich hinter ihre Tochter und umschlang sie mit ihren Armen. Dabei drückte sie ihr einen Kuss auf die noch bettwarme Wange.
»Heute ist auf jeden Fall Steineklapperwetter«, antwortete sie. »Ich war schon am Strand und ich denke, wir sollten gleich dort picknicken. Was meinst du?«
»Au ja!«, rief Stella und wirbelte herum. Sie legte ihre kleine Hand auf Lucys Wange. Das hatte sie schon immer getan. Und Lucy dabei mit ihren großen blauen Augen gemustert. Aufgefallen war das Lucy, als Stella etwa ein Jahr alt gewesen war. Damals, als Aaron gerade verschwunden war, da hatte es angefangen. Und irgendwie hatte es Stella immer geschafft, dass sich Lucy danach besser gefühlt hatte.
»Bist du wieder traurig?«, fragte Stella jetzt.
Lucy schluckte. Sie nickte leicht, denn vormachen konnte sie ihrer Tochter sowieso nichts.
»Du warst wieder bei Papa.« Stella legte ihr Köpfchen schief und schaute ihr direkt in die Augen.
»Ach, mein Stern, der Papa ist doch noch irgendwo auf dem Meer unterwegs. Ich wünsche mir eben, dass er bald zu uns zurückkommt und ...« Lucy atmete tief ein und aus. Was sollte sie noch dazu sagen, was sie nicht schon zig Mal gesagt hatte.
»Mama, dem Papa geht es gut. Er ist doch bei uns. Sei nicht so traurig!«
Jetzt hatte Lucy Mühe, die Tränen herunterzuschlucken. Sie wollte nicht weinen. Und irgendwie begann allmählich Ärger in ihr aufzusteigen. Aaron war eben nicht da. Sie musste alles alleine stemmen. Alleine leben. Das war so nicht vorgesehen. Sie hatten sich gemeinsam ihre Zukunft ausgemalt. Es hatte keine Pläne gegeben, dass sich einer aus dem Staub machen konnte.
»Ja, bestimmt ist er da«, murmelte sie und löste sich von Stella. »Komm, wir suchen dir jetzt was zum Anziehen raus und packen die Sachen fürs Picknick.«
Eine knappe Stunde später saßen sie auf einer Decke am Strand und hatten ihr Frühstück ausgebreitet. Auf dem Weg hierher hatten sie noch bei Gesa in der Bäckerei ein uriges Roggenbrot gekauft. Das aßen sie beide am liebsten. Und wie immer hatte Stella ein Milchhörnchen auf die Hand bekommen.
Stella saß im Kniesitz, wie nur Kinder es konnten, knabberte an ihrem Hörnchen und lauschte dem Meer.
»Die klappern nicht bei jeder Welle«, sagte sie plötzlich. »Weil nicht jede Welle gleich stark ist.«
Lucy riss sich aus ihren Gedanken. »Hm«, machte sie und konzentrierte sich auf das Steineklappern. Das hatte sie selber schon als Kind fasziniert. Durch den steinigen Strand und bei einer bestimmten Windstärke rollten die Wellen scheinbar klappernd an den Strand. Dabei kullerten einfach die losen Steine über den Untergrund. Woanders war ihr dieses Geräusch nie aufgefallen. Nur hier am Strand um Dranske herum.
»Stimmt, du hast recht. Es klappert nicht jede Welle«, antwortete sie. »Stella, sag mal«, nahm sie ihre Gedanken von eben wieder auf. »Hat dir das Naima gesagt, dass der Papa immer bei uns ist?«
Stella schnaufte leise und schaute ihre Mama an. »Warum soll mir das Naima sagen? Aber weißt du was, du kannst sie gleich selber fragen. Dahinten kommt sie.« Damit sprang Stella auf und rannte Naima entgegen.
Auch Lucy stand auf und klopfte sich den Sand von den Hosenbeinen. Hier ging irgendetwas Eigenartiges vor. Sie war sich ganz sicher, dass Naima erst aufgetaucht war, als Stella ihr schon entgegenlief. Also, woher hatte ihre Tochter gewusst, dass ... Lucy seufzte. Es war ja auch egal. Ihre morgendliche Traurigkeit hatte sich mal wieder wie ein zu enges Band um ihre Brust gelegt. Wahrscheinlich war sie heute einfach nicht zurechnungsfähig. Hoffentlich besserte sich ihr Zustand bis morgen, denn dann war der Urlaub vorbei, Stella musste in den Kindergarten und sie zur Arbeit. Aber noch konnten sie den Tag genießen. Und das nahm sie sich ganz fest vor. Mit einer schützenden Hand über den Augen schaute sie Naima und der neben ihr hopsenden Stella entgegen.
2
»Stella, bringst du das raus auf den Gartentisch?«, fragte Naima und drückte Stella drei Teller in die Hand. Auf den Tellern lagen die Löffel und Servietten.
Als das Mädchen, wie immer hüpfend, den Raum verlassen hatte, wandte sich Naima an Lucy: »Und nach dem Essen erzählst du mir, was dich heute so bedrückt.« Sie lächelte, legte Lucy eine Hand auf den Rücken und schob sie, bevor sie protestieren konnte, in den Garten. Auf der anderen flachen Hand balancierte sie einen großen Topf.
»Aber nur, wenn du den Topf auf deinem Kopf trägst«, murmelte Lucy und ließ sich widerstrebend in den Garten schieben.
»Nichts leichter als das«, lachte Naima. Schon saß der Topf auf ihrem mit Rastalocken frisierten Kopf.
Stella lachte quietschend. »Das kann ich auch!« Sie nahm einen Teller und setzte ihn ebenfalls auf ihren Haarschopf.
Doch noch ehe sie die Hände lösen konnte, hatte Lucy den Teller gegriffen. »Es reicht, wenn mein Geschirr ständig zu Bruch geht, lass bitte Naimas schöne Teller leben.«
»Och menno, ich kann das doch«, maulte Stella.
»Jetzt lass doch deine Tochter mal probieren, ob sie es schafft. Du wirst sehen, hier geht nichts zu Bruch.« Naima lächelte Stella aufmunternd zu.
Lucy ließ sich auf einen der Gartenstühle fallen. »Von mir aus. Ist ja dein Geschirr.«
»Eben!«
Während Stella immer wieder probierte, den Teller auf ihrem Kopf zu halten, gab Naima ihr Tipps zur Körperhaltung.
Seufzend schaute Lucy zu. Was war nur mit ihr heute los? Sie konnte sich doch noch genau daran erinnern, dass ihr solche Spielchen mit Naima früher auch immer Spaß gemacht hatten. Und jetzt benahm sie sich wie eine Spielverderberin. Sie verteilte die anderen Teller auf dem Tisch, legte Servietten und Löffel daneben und hob den Deckel vom Topf. Mhm, Rote-Linsen-Curry, das mochte sie bei Naima am liebsten. Wobei eigentlich immer alles schmeckte. Eben immer anders als bei ihren Eltern zuhause. Vielleicht war es deshalb schon lecker. Nicht, dass ihre Eltern nicht auch gut kochen konnten, aber Lucy mochte die klassische deutsche Küche nicht so sehr. Und ihre Eltern liebten es herzhaft und fettig mit viel Fleisch.
Lucys Gedanken blieben in der Vergangenheit hängen. Wie lange kannte sie Naima eigentlich schon? Zwanzig Jahre? Bestimmt! Sie konnte sich nicht erinnern, sie irgendwann kennengelernt zu haben, denn sie hatte schon immer zu ihrem Leben gehört.
Jetzt fiel ihr ein, dass ihre Mutter ihr einmal erzählt hatte, dass sie Naima bei einem Kochkurs das erste Mal getroffen hatten. Lucy schmunzelte. Was sollte denn das für ein Kurs gewesen sein? Auf alle Fälle nicht nachhaltig, so unterschiedlich wie ihre Geschmäcker waren.
Noch immer tobten Stella und Naima durch den Garten. Auch so etwas, was es bei ihren Eltern nicht gegeben hätte. Wenn das Essen auf dem Tisch stand, mussten sofort alle Platz nehmen. Naima war das egal. Sie kam irgendwie mit jeder Situation zurecht. Überhaupt lebte sie wie eine Exotin zwischen den ganzen Nordlichtern. Ihr Haus erinnerte Lucy an das Hexenhaus der Baba Jaga. Das reetgedeckte Dach schien viel zu groß zu sein für das weißgetünchte Haus mit den roten Fenstern. Auf sämtlichen Fensterbrettern standen Kräuter, blühende Pflanzen, Figuren oder Gefäße. Die größeren Exemplare thronten vor den Fenstern auf dem Boden, gefüllt mit besonderen Steinen, aus denen ebenfalls Kräuter wuchsen, mit Erdbeerpflanzen, die gerade blühten, oder riesigen Kakteen. Wie in einem Fluss ging die wilde Mischung nahtlos in den Garten über. Zwischen verschiedenen Sträuchern wuchsen unterschiedliche Stauden, die im Jahresverlauf mit ihrem Farbspiel glänzten. Sommerblüher und Heilpflanzen rundeten das Ganze ab. In Naimas Garten gab es immer etwas zu ernten oder einfach von der Wiese zu essen. In jedem Salat landeten Löwenzahnblätter, Schafgarbe oder Gundermann. Das waren zumindest die drei Kräuter, die sich Lucy merken konnte. Und Gänseblümchen!
Aus den Ringelblumen machte Naima eine Salbe, aus Arnika Tinkturen und aus Lavendel verschiedene Öle. Natürlich durften die Tees nicht fehlen, für die sie das ganze Jahr über Blüten und Blätter sammelte. Aber das alles nur für den Hausgebrauch, denn ihr Geld verdiente Naima mit Hexerei. So nannte sie es selber. Eigentlich war es jedoch viel mehr. Sie stellte Horoskope aus, legte Karten, arbeitete mit Numerologie oder Human Design. Als Lucy noch klein war, hatte sie ab und an zuschauen dürfen, wenn die Kundinnen nichts dagegen hatten. Besonders spannend hatte sie es immer gefunden, wenn Naima ihre Glaskugel befragt hatte. Lucy hatte dann immer versucht, auch etwas in der schön leuchtenden Kugel zu sehen, aber das konnte wohl nur Naima.
»Puh, jetzt reicht’s, ich habe Hunger«, rief Naima in dem Moment und setzte sich neben Lucy. Stella rückte mit ihrem Stuhl ganz nah an Naima heran.
Auch daran konnte sich Lucy erinnern. Früher wollte sie immer in Naimas Nähe sein. So als könnte sie bei ihr Kraft tanken.
Lucy gab allen dreien Curry auf den Teller und dann genossen sie die Stärkung.
»Ein bisschen süß, ein bisschen scharf, sehr gesund. Stimmt’s?«, nuschelte Stella mit vollem Mund.
»Ganz genau«, antwortete Naima und zwinkerte Lucy zu.
»Wie läuft eigentlich dein Geschäft?«, fragte Lucy. »Gibt es noch genug Leute, die sich ihre Zukunft voraussagen lassen wollen?«
Naima leckte genüsslich ihren Teller ab, dann nickte sie breit grinsend. »Schätzchen, die Zukunft voraussagen ist mittlerweile der kleinste Teil meiner Arbeit. Die Menschen sind jetzt an ganz anderen Sachen interessiert. Natürlich geht es auch um ihre Zukunft, aber sie wollen präziser wissen, warum manche Dinge gerade in ihrem Leben passieren und wie sie darauf reagieren können. Das ist viel spannender und macht mutiger.«
»Dann brauchst du deine Glaskugel also gar nicht mehr?« Lucy gab noch eine Kelle Curry auf ihren Teller.
Mit ihrer dunklen und etwas rauen Stimme lachte Naima laut los. »Die Glaskugel hat es dir früher schon angetan.« Sie gluckste noch einmal, dann holte sie tief Luft. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Oder besser gesagt: euch?«, legte sie schnell nach, als Stella sich mit großen Augen zu ihr beugte. »Aber ihr müsst mir versprechen, es niemandem zu verraten. Großes Ehrenwort!«
Stella und Lucy nickten feierlich.
Wieder gluckste Naima, bevor sie weitersprach. »Ich sehe in der Glaskugel überhaupt nichts«, flüsterte sie.
»Wie, du siehst nichts? Warum benutzt du sie dann?«, fragte Lucy entrüstet. Klar war ihr das schon immer wie Humbug vorgekommen, aber dass Naima das jetzt so offen zugab, war schon komisch.
Stella sagte nichts dazu, schaute Naima nur grinsend an. Wusste sie etwas, das Lucy bisher entgangen war?
»Ach, du Süße, ich schaue doch nicht mit den Augen!«
Jetzt war Lucy komplett verwirrt. »Womit dann?«
»Mit dem Bauch?«, fragte Stella flüsternd.
So, wie sie es sagte, hatte Lucy das Gefühl, als wüsste sie, wovon sie sprach.
»Das kann man so sagen, meine Kleine. Du auch?«
Stella legte ihren Kopf schief und überlegte kurz. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«
»Macht nichts, das musst du auch nicht wissen. Eigentlich ist es Intuition. So könnte man sagen. Bilder, die auftauchen. Oder Farben. Immer ein bisschen anders. Kommt auf mein Gegenüber an.«
Lucy versuchte, sich das vorzustellen. Dass Naima die Zukunft der Menschen nicht in der Glaskugel gesehen hatte, war ihr irgendwie schon klar gewesen, aber dass sie so gar nichts gesehen haben sollte, war doch neu. Intuition leuchtete ihr ein.
»Ich geh zu den Schildkröten«, rief Stella plötzlich und flitzte los.
Die beiden Frauen schauten hinterher. Eine Weile sprach keine von ihnen.
»So, und jetzt erzählst du mir, was dir heute so aufs Gemüt schlägt«, sagte Naima schließlich und legte ihre Hand auf Lucys Unterarm.
Von der plötzlichen Frage wurde Lucy ganz heiß.