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Dass Piet sich in seinem Alter noch mit Herzschmerzen in Sachen Liebe rumschlagen muss, hätte er nie gedacht. Sie werden zwar durch die sehnsüchtig erwartete Aussprache mit Dorothea gelindert, aber sofort tauchen neue Herausforderungen auf.
Auch Tuuli betritt völliges Neuland. Hat sie sich doch gemeinsam mit Simon einer Umweltorganisation angeschlossen, bei der es unter anderem um den Schutz ihrer neuen Heimat geht. Als dann ein heftiges Sturmtief auf Langeoog zurollt, geraten die beiden in eine gefährliche Rettungsaktion.
Nur Sibille scheint nicht richtig auf ihrer Insel ankommen zu können. Zwar hat sie weiterhin Spaß daran, ihre Kunden mit neuen Ideen zu beglücken und ist froh, dass die Sorgen um ihre Familie kleiner geworden sind, aber in Liebesdingen fahren ihre Gefühle Achterbahn. Warum kann sie sich nicht endgültig auf Rune einlassen? Und wer ist die Frau, die Morten so verliebt umgarnt? Erst ein drohendes Unglück lässt sie die Wahrheit erkennen. Doch ist es für eine Umkehr nicht schon längst zu spät?
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Bisherige Veröffentlichungen:
Nordseeglück-Trilogie:
Insel wider Willen: Teil 1
Träume sind wie Wellen: Teil 2
Liebe dank Turbulenzen
Ostseetraum-Reihe:
Tanz auf den Wellen: Teil 1
Frag nach der Liebe: Teil 2
Schau mit dem Herzen: Teil 3
Ostseeliebe-Reihe:
Kaffeeduft und Meeresluft: Teil 1
Sanddornpunsch und Herzenswunsch: Teil 2
Himbeerschaum und Dünentraum: Teil 3
Sehnsuchts-Trilogie:
Immer wieder im Juni: Teil 1
Manchmal ist das Glück ganz nah: Teil 2
Endlich schwingt die Liebe mit: Teil 3
Zum Glück Romane:
Zum Glück Ostseestrand: Ferien Küste Kuckucksmänner
Zum Glück Neuseeland: Kiwi gesucht
Zum Glück Costa Rica: Herzchaos im Gepäck
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Inhaltsverzeichnis
Prolog - Im Herbst
Der erste Winter
Auf der Suche
Ein Sturm zieht auf
Was übrig bleibt
Im Prinzip ja
Verwirrungen
Schlimmer geht immer
Epilog
Danksagung
Nordseeglück 3
Liebe dank Turbulenzen
Frida Luise Sommerkorn
Als das Taxi mit quietschenden Reifen den Parkplatz verließ, konnte Piet Dorothea gerade noch aus der Eingangstür des Pflegeheimes stürmen sehen. Sie sah schrecklich aus! Mit rotgeweinten Augen, blassem Gesicht und hängenden Schultern blieb sie stehen und schaute ihm hinterher. Für einen kurzen Moment war er der Versuchung nahe, das Taxi zu stoppen und zu ihr zu laufen. Aber etwas in ihm hielt ihn zurück.
Zuerst musste er das eben Erlebte verarbeiten. Als Dorothea, wie an jedem Abend, Langeoog mit der Fähre verlassen wollte, hatte Piet den Entschluss gefasst, ihr zu folgen. Er wollte endlich Klarheit darüber haben, warum sie nie bei ihm auf der Insel bleiben konnte. Sie hatten bisher keine einzige Nacht miteinander verbracht. Nicht, dass es ihn in seinem Alter nur nach dem Einen gelüstete, aber Dorothea im Arm zu halten, zu spüren, wie sie langsam in den Schlaf glitt und ihr morgens als Erstes in die Augen zu schauen, danach sehnte er sich. Obwohl er auch schon daran gedacht hatte, ob nicht sie ihn beim Einschlafen beobachten könnte, so schnell wie er immer ins Reich der Träume abdriftete. Aber das war jetzt nebensächlich. Sie hatte ein großes Geheimnis, in das sie ihn nicht einweihen wollte. Und dieses Geheimnis hieß Martin Rosendahl, hatte also den gleichen Nachnamen wie seine Dorothea, lebte in einem Pflegeheim in Esens und Dorothea ging ihn anscheinend regelmäßig besuchen. Und nun stand sie tieftraurig da und er konnte ihr nicht helfen. Durfte ihr nicht beistehen, so wie es schien.
Er wandte den Kopf, um sie nicht mehr sehen zu müssen, und konzentrierte sich auf den Verkehr. Schon auf dem Weg zum Pflegeheim war der Taxifahrer von Hustenanfällen geschüttelt worden, so dass Piets Aufmerksamkeit ständig zwischen der Suche nach Dorotheas grünem Kleinwagen und der Fahrbahn hin- und herschwankte. Zur Not hätte er ins Lenkrad gegriffen, um das Auto auf der Fahrbahn zu halten. So auch jetzt wieder. Doch diesmal war er froh um jede Ablenkung.
„Meister, ich glaube, die letzte Fähre hast du jetzt verpasst“, sagte der Taxifahrer, als sie auf das Fährgebäude zurollten.
Piet schaute auf die Uhr. Schon nach sechs. So ein Mist, das hatte er überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt. Es hätte ihm doch klar sein müssen, dass er die letzte Fähre niemals erreichen würde. Wahrscheinlich hatte sein Unterbewusstsein sich auf einen Abend mit Dorothea in ihrer Wohnung gefreut. Aber daraus wurde nun nichts mehr. Vielleicht verbrachte er nie wieder einen Abend mit ihr.
„Und was jetzt?“, wollte der Taxifahrer wissen, als Piet nicht reagierte. „Ab ins Hotel, oder was?“
Piet nickte und stöhnte gleichzeitig. Der Ausflug aufs Festland war ja mal gehörig in die Hose gegangen.
„Soll’s was Besseres sein? Oder reicht die einfache Variante?“, hakte der Taxifahrer weiter nach. Dabei verfiel er wieder in diesen rasselnden Husten, öffnete die Fahrertür und spuckte den Auswurf auf den Rasen neben der Straße.
„Sie sollten was gegen den Husten tun“, meinte Piet angeekelt.
Der Taxifahrer winkte ab. „Alles zu spät, die Lunge ist hinüber. Also kann ich auch weiter rauchen.“
Piet nickte und hob gleichzeitig die Schultern. „Wenn Sie meinen.“ Dann holte er tief Luft und schloss kurz die Augen. „Also, ist egal, in welches Hotel Sie mich bringen. Hauptsache, das Ding hat eine Bar. Ich brauche dringend ein Bier.“
„Na, da kenn ich mich nicht aus, aber zur Not gibt die Minibar bestimmt was her. Ich bring Sie mal zum Vier Jahreszeiten, dann schaffen Sie es morgen zu Fuß zum Hafen. Ist gleich da drüben.“
Er deutete in irgendeine Richtung, aber Piet achtete nicht darauf. Er nickte nur wieder und das Taxi setzte sich in Bewegung.
Ein paar Minuten später bedankte er sich bei seinem engagierten Chauffeur und mietete sich das letzte Zimmer im Hotel. Ein Einzelzimmer ohne Meerblick, dafür mit Zuschlag, aber das war ihm egal. Auch, dass es keine Bar gab. Dann plünderte er eben die Minibar, wie ihm der Taxifahrer empfohlen hatte.
Nach dem ersten Spaßmacher, den er sich gleich im Stehen gegönnt hatte, legte er sich aufs Bett. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte Sibilles Nummer. Konnte sein, dass sich seine Stieftochter schon Sorgen machte. Nach zwei Minuten war das Gespräch beendet. Natürlich wollte Sibille wissen, was Piet in Bensersiel tat, aber er hatte keine Lust, davon zu berichten. Also hatte er nur geknurrt, dass er ja wohl erwachsen sei und fahren konnte, wohin er wollte. Jetzt tat es ihm leid, Sibille so abgekanzelt zu haben. Aber was sollte er tun? Ihr von seiner peinlichen Verfolgung erzählen? Oder von dem mysteriösen Mann, den seine Dorothea besucht hatte? Er wusste doch selbst nicht, was er hier tat. Und noch weniger, was er jetzt tun sollte.
Piet stand noch einmal kurz auf, räuberte sämtlichen Alkohol aus der Minibar und machte es sich wieder auf dem Bett gemütlich. Bevor er sich seinem Schicksal hingab, schaltete er sein Handy aus. Er musste jetzt allein sein und nachdenken. Und er wusste nicht, ob er Dorotheas Erklärung, falls sie ihn überhaupt anrufen würde, hören wollte. Für schlechte Nachrichten war er viel zu mies drauf. Das musste bis morgen warten.
***
Langsam ließ Sibille das Handy sinken. Erst rief Piet an, um ihr mitzuteilen, dass er nicht nach Hause kommen würde und nun Dorothea, die auf der Suche nach ihm war. Anscheinend hatte er das Handy ausgeschaltet und sie konnte ihn nicht erreichen. Da Sibille aber nicht wusste, wo genau sich Piet aufhielt, außer, dass er in Bensersiel war, hatte sie Dorothea auch nicht weiterhelfen können.
Was war mit den beiden nur los? Warum waren sie auf dem Festland und nicht zusammen? Dorothea hatte völlig aufgelöst geklungen, wollte aber nichts dazu sagen. Immerhin hatte sie Sibille beruhigen können, dass nichts Schlimmes mit Piet passiert war.
Und nun sollte sie auch noch ein Schild mit der Aufschrift „Vorübergehend geschlossen“ an Dorotheas Buchhandlung anbringen. Seufzend machte sie sich daran, einen Block zu suchen. Dann malte sie in ihrer schönsten Schrift die Buchstaben auf das Papier, steckte es in eine Klarsichthülle, nahm Klebeband und eine Schere mit und radelte in den Ort. Sicher hätte sie das auch am nächsten Morgen erledigen können, aber wer wusste, was bis dahin noch alles passieren würde. Vielleicht brauchte Piet ihre Hilfe.
Da es mittlerweile stockdunkel war, schob sie das Rad lieber nach Hause. Immerhin schien endlich jemand da zu sein. Ihre Tochter Tuuli hatte sie den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen. Seitdem sie und Simon ihr Liebesglück ausleben durften, waren sie ständig zusammen. Und unterwegs. Sibille gönnte es den beiden natürlich, hätte sich aber gefreut, in Tuulis Herbstferien auch etwas mit ihr unternehmen zu können.
„Meine Süße, wo warst du denn?“, wurde sie von Rune, ihrem Freund und dem Vater ihrer Tochter, empfangen. Er hatte das Licht auf der Terrasse angeschaltet und lehnte im Türrahmen, so als hätte er die ganze Zeit auf sie gewartet.
Nach fast sechzehn Jahren hatten sie ihre Liebe wieder aufleben lassen und versuchten sich nun an einem normalen Familienleben. Wobei das für Sibille eine große Herausforderung bedeutete. Nach so langer Zeit als alleinerziehende Mutter mit Stiefvateranhang pflegten sie Rituale, die ihnen wichtig waren. Zum Beispiel das gemeinsame Abendessen ohne Ablenkung durch irgendwelche Geräte. Rune allerdings kam und ging, wann es ihm passte. Und sobald sein Handy eine Nachricht ankündigte, sprang er auf und schaute nach, obwohl Sibille ihn schon oft gebeten hatte, bis nach dem Essen zu warten. Es könnte ja wichtig sein, so seine Antwort. Ja klar, alles war irgendwie wichtig. Aber für ihre Familie waren eben die Minuten am Abend bedeutend. Noch schlimmer empfand sie es, wenn Rune Tuuli Dinge erlaubte, die sie selbst niemals gestattet hätte. Eben zum Beispiel, nicht wenigstens eine gemeinsame Mahlzeit zusammen einzunehmen. Sie seufzte innerlich. Sicherlich war es für Rune auch nicht leicht, sich in die Familie zu integrieren. Trotzdem fand sie, dass er sie ab und an fragen könnte, bevor er Entscheidungen traf.
„Ich musste ein Schild an Dorotheas Laden anbringen, dass er vorläufig geschlossen ist. Irgendetwas scheint bei ihr und Piet nicht zu stimmen. Piet ist auf dem Festland und kommt heute nicht nach Hause. Er wollte allerdings nicht sagen, warum er so plötzlich weg ist.“
Nachdem Sibille das Fahrrad im Schuppen verstaut hatte, drückte sie Rune einen flüchtigen Kuss auf die Wange und schob sich an ihm vorbei in die Küche.
Rune hielt sie am Arm zurück und zog sie wieder an sich. „Moment, so kommst du mir nicht davon. Ich möchte eine richtige Begrüßung.“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie zärtlich.
Sibille war noch viel zu aufgewühlt, um sich Rune hinzugeben. Als seine Lippen jedoch immer fordernder wurden, spürte sie ein Ziehen im Unterleib. Wie machte er das nur, dass er sie immer wieder dazu brachte, sofort Lust zu verspüren? Seufzend schmiegte sie sich an ihn.
Doch der Kopf ließ sich nicht so leicht überlisten. Sie löste sich ruckartig von Rune. „Ich glaube, ich muss nochmal versuchen, Piet zu erreichen. Vielleicht braucht er Hilfe.“
„Oder seine Ruhe“, knurrte Rune. „Ruf doch Dorothea an, wenn es dich so dringend interessiert, was mit den beiden los ist.“ Er ging zum Kühlschrank und holte sich ein Bier. Die Kühlschranktür ließ er laut zuknallen.
„Das ist es ja gerade. Dorothea hat doch vorhin bei mir angerufen und gefragt, ob ich weiß, wo Piet steckt“, antwortete Sibille. Sie blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus dem Knoten am Hinterkopf gelöst hatte. Der Effekt war gleich null, denn die Strähne landete wieder in ihrem Gesicht. Gedankenverloren strich sie sie hinter die Ohren.
„Ich sag ja, der will einfach mal alleine sein. Seine Ruhe haben, verstehst du? Er ist ja auch nur von Frauen umgeben.“ Rune setzte die Bierflasche an und trank ein paar ordentliche Schlucke. Dabei sprang sein Adamsapfel auf und nieder und gluckernde Geräusche drangen an Sibilles Ohr.
Auch sie verspürte plötzlich Lust auf ein Bier. Aber solange sie nicht wusste, ob sie Piet nicht doch retten musste, wollte sie keinen Alkohol trinken. Da brauchte sie einen klaren Kopf. So etwas hatte er doch noch nie gemacht. Sie wusste immer, wo Piet sich aufhielt, da er sich immer abgemeldet hatte. Wobei, seitdem er Dorothea kannte, hatte er sich von ihr gelöst und war doch selbstständiger geworden.
Jetzt musste Sibille über ihre Gedanken grinsen. Das klang ja gerade so, als wäre Piet ihr Sohn und nicht ihr Stiefvater. Sie holte sich ein Glas aus dem Schrank und öffnete den Wasserhahn. Mit der Hand prüfte sie die Wassertemperatur. Warme Brühe aus dem Hahn mochte sie nicht. Dabei drehte sie sich wieder Rune zu. „Vielleicht hast du recht mit Piet. Na ja, was auch immer ist, wahrscheinlich sollte es mich nichts angehen.“
Rune nickte und lächelte wieder. Die halbvolle Flasche Bier jonglierte er in seinen Händen. Dann klopfte er auf den Stuhl neben sich. „Setz dich mal! Ich habe eine Überraschung.“
Mittlerweile hatte Sibille das Glas gefüllt. Sie trank einen Schluck und setzte sich neben Rune. „Was für eine Überraschung?“, fragte sie. Eine Falte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. Eigentlich mochte sie Überraschungen nicht so sehr. Und so wie Rune sie angrinste, musste es sich um etwas Größeres handeln. Ein kleiner Kloß setzte sich in ihrem Magen fest.
„Du siehst aus, als hätte ich dir gerade gesagt, dass ich für ein Jahr auf See muss.“ Rune schüttelte den Kopf. Das Lächeln blieb. „Es ist allerdings das ganze Gegenteil.“ Er griff in seine hintere Hosentasche und zog ein paar gefaltete Blätter hervor.
Sibilles Herz begann zu rasen. Hatte Rune den Job gewechselt und würde ab jetzt immer auf Langeoog bleiben und nicht mehr monatelang als Hochseefischer unterwegs sein? Ging das so schnell? Und war sie denn schon bereit dafür?
Nun war Runes Lächeln schmaler geworden. „In deinem Gesicht kann man lesen wie in einem Buch, weißt du das?“, knurrte er. Dann schüttelte er genervt den Kopf. „Schau es dir einfach an, bevor du in Ohnmacht fällst.“ Er warf ihr die Zettel hin.
„Entschuldige“, murmelte Sibille. War sie wirklich so leicht zu durchschauen? „Du weißt doch, was ich von Überraschungen halte.“ Sie nahm die Zettel und faltete sie auseinander.
„Du könntest mir aber auch ein bisschen mehr vertrauen, oder? Schließlich kenne ich dich gut“, antwortet Rune schon etwas versöhnlicher.
Sibille nickte ihn lächelnd an, dann begann sie zu lesen. Allerdings brauchte sie nur einen kurzen Moment, um zu erkennen, dass es sich um eine Reservierung handelte. Zwei Zimmer in einem Weingut in Siefersheim in der Nähe von Mainz. Sie überflog die einladenden Worte des Winzers und suchte den Reisezeitraum. „Schon morgen?“, fragte sie ungläubig. „Aber ich muss arbeiten! Und warum zwei Zimmer? Kommt Tuuli mit?“
Rune hatte sich grinsend zurückgelehnt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, nein und ja“, antwortete er.
„Was meinst du?“, fragte Sibille. Der Kloß im Magen wurde größer.
„Ja, es geht morgen schon los. Und nein, du musst nicht arbeiten. Das habe ich alles mit Merle abgesprochen. Und ja, Tuuli kommt natürlich mit. Sie weiß es nur noch nicht. Ist ja gerade schwierig, sie mal zu Gesicht zu bekommen.“
„Du hast mit Merle darüber gesprochen? Warum nicht mit mir?“ Sibille spürte, wie Ärger in ihr aufstieg. Sie sollte sich eigentlich freuen, dass er das alles organisiert hatte. Aber vielleicht hätte sie ja lieber selbst mit ihrer Geschäftspartnerin und Freundin gesprochen.
Rune beugte sich wieder nach vorn. Auch ihm war der Ärger anzusehen. „Also, erstens habe ich mit Merle nicht unseren Urlaub besprochen, sondern sie lediglich gefragt, ob sie dich eine Woche entbehren kann. Und zweitens ...“ Er hielt kurz inne und nahm ihre Hand in seine. „Ganz ehrlich, hätte ich dich gefragt, hättest du tausend Erklärungen gefunden, warum du jetzt nicht wegkannst. Wobei du wahrscheinlich immer glaubst, dass du dich nicht von dem Haus und der Insel wegbewegen darfst.“
Sibille seufzte. Irgendwie hatte Rune ja recht. Er hatte sie in letzter Zeit so oft gefragt, ob sie nicht mal für ein paar Tage Urlaub machen wollten. Und irgendwie war sie nie darauf eingegangen, hatte es schlicht wieder vergessen. Dabei tat es ihnen sicher gut, mal andere Luft als die Seeluft zu schnuppern.
Sie nahm seine Hand und küsste sie zart. „Es tut mir leid. Ich bin manchmal so unromantisch. Du gibst dir solche Mühe und ich mache alles kaputt.“
Während sie sprach, nickte Rune zustimmend. Dann zog er sie grinsend auf seinen Schoß. „Und weiter?“, fragte er.
„Weiter? Oh nein, mehr kommt nicht. Ich habe mich genug erniedrigt. Du bist ein toller Mann! Nur leider weißt du das auch.“ Sibille legte ihre Arme um seinen Hals.
„Tja, wenn es doch so ist“, hörte sie Rune noch grunzen. Dann suchten seine Lippen ihre Halsbeuge.
Wohlig seufzte Sibille. „Lass uns hochgehen, ja? Piet ist nicht da und wer weiß, wann Tuuli kommt.“
Das ließ sich Rune nicht zweimal sagen. Er schob Sibille von seinem Schoß, nahm ihre Hand und zog sie eilig die Treppe nach oben in ihr Schlafzimmer.
Als sie wenig später erschöpft nebeneinander lagen, nahm Sibille den Urlaubsfaden wieder auf. „Tuuli weiß wirklich noch nichts davon?“, fragte sie. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich darüber freut, mit ihren Eltern zu verreisen. Ohne Simon, meine ich.“
„Wer sagt denn, dass Simon nicht dabei ist?“, antwortete Rune. Er lag auf dem Rücken, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen. Ein seliges Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Dann weiß es Tuuli doch?“, fragte Sibille irritiert.
„Ich habe mit meiner Schwester gesprochen. Sie ist einverstanden, dass Simon mitkommt. Sie müssten übrigens gleich hier sein. Habe sie zum Abendessen herbestellt.“
„Und da liegen wir hier noch im Bett?“. Sibille setzte sich ruckartig auf. „Ich habe keine Lust, dass mich meine pubertierende Tochter beim Sex erwischt.“ Schnell hob sie die Beine aus dem Bett und angelte nach ihrer Kleidung.
„Wir sind eben ein gutes Vorbild. Dann sieht sie gleich, dass solche Dinge auch im hohen Alter noch gemacht werden.“ Rune stieg ebenfalls aus dem Bett und ging zur Tür.
„Untersteh dich, jetzt nackt auf den Flur zu gehen. Und nein, es ist bestimmt überhaupt nicht toll, seine Eltern beim Sex zu erwischen. Welches Kind will denn sowas mitbekommen?“. Schon war Sibille an der Tür und schob Rune zurück. „Erst anziehen, dann kannst du raus.“ Grinsend gab sie ihm einen Schubs, so dass er wieder auf dem Bett landete.
„Oder wollen wir nochmal?“, fragte er, eine Augenbraue nach oben gezogen und die Arme nach ihr ausstreckend.
In diesem Moment hörten sie, wie sich der Haustürschlüssel im Schloss bewegte.
„Oh nein, zieh dich an und kein anzügliches Wort mehr, ja?“, flehte Sibille ihn an.
Rune schüttelte lachend den Kopf. „Keine Panik, ich bin brav.“
***
Das Erste, woran Piet denken musste, als er die Augen aufschlug, waren Sibilles Kopfschmerztabletten, die im Moment leider unerreichbar für ihn waren. Vorsichtig setzte er sich auf und lehnte sich seufzend an das Kopfteil des Bettes.
Seit wann vertrug er denn so wenig Alkohol? Er hatte doch nur die Minibar geplündert. Mit einem Auge lugte er zum Nachttisch. Okay, vielleicht hätte er nach dem Bier aufhören sollen. Aber die paar Spaßmacher und die kleine Flasche Sekt konnten doch nicht wirklich so viel anrichten. Taten sie aber wohl doch.
Ein Blick auf die Uhr ließ ihn dann schneller aufstehen, als er eigentlich konnte. Wenn er noch einen Kaffee vom Frühstücksbüffet wollte, dann sollte er sich sputen. Zwar meldete sein Magen berechtigte Zweifel an, ob das jetzt der richtige Einstieg in den Tag war, aber er brauchte einen Wachmacher. Mit einem weichen Brötchen ging es vielleicht.
Eine Stunde später verließ er das Hotel. Die Kopfschmerzen waren noch unerträglicher geworden. Da es in Bensersiel keine Apotheke gab, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Fährfahrt und den Weg nach Hause so zu überstehen. Langsam schlurfte er zum Hafen und buchte die nächste Fähre nach Langeoog.
Erst jetzt, als er auf die Überfahrt warten musste, fing sein Gehirn wieder an, Bilder vom gestrigen Tag zu senden. Immer wieder tauchte Dorothea vor seinem inneren Auge auf, wie sie ihm nachgeblickt hatte. Sie hatte so zerbrechlich und unendlich traurig ausgesehen. Mit Abstand betrachtet hatte er sich wahrlich kindisch verhalten. Andererseits hatte er sich nicht in der Lage gefühlt, irgendwelche Geschichten zu hören. Er wusste nicht einmal, welche Geschichten das hätten sein können. Und trotzdem war er auch jetzt noch nicht bereit. Schon gar nicht in seinem Zustand.
Als er endlich an der Reling der Fähre stand und sich den kühlen Fahrtwind um die Nase wehen blies, fiel ihm ein, dass er ja sein Handy ausgeschaltet hatte. Zögerlich zog er es aus der Hosentasche und drückte den Startknopf. Nach dem Eingeben der verschiedenen Nummern brauchte er nicht lange zu warten, denn es vibrierte ununterbrochen in seiner Hand.
Sibille hatte ihn einige Male versucht anzurufen und ihm auch zwei Nachrichten geschrieben. Und natürlich Dorothea. Von ihr waren nur ein Anruf und eine Nachricht gekommen.
Piet ließ die Hand noch einmal sinken. Er schaute hinauf aufs Meer und weiter auf die nahende Insel. Wie sich sein Leben in diesem Jahr gewandelt hatte! Erst der Tod von Sibilles Oma Greta, die überstürzte Reise nach Langeoog mit der festen Absicht, Oma Gretas Haus zu verkaufen, dann der Entschluss hierzubleiben und nicht zuletzt das Aufeinandertreffen mit Dorothea. Dass er sich in seinem Alter noch einmal so verlieben würde, hätte er niemals gedacht. Aber es war so gekommen. Und nun schrieb ihm vielleicht eben jene große Liebe, dass alles nur ein Spiel war. Dass sie ein Doppelleben führte und ihn ... Nein, das fühlte sich völlig falsch an. So war Dorothea nicht. Niemals! Trotzdem wollte er ihre Nachricht jetzt nicht lesen. Dazu brauchte er einen schmerzfreien Kopf. Vor allem für den Fall, dass sein Herz danach alle Schmerzen, die er überhaupt aushalten konnte, beanspruchte.
Also öffnete er Sibilles Nachrichten. Zuerst hatte sie ihn dringend gebeten, sich noch einmal bei ihr zu melden, da sie sich große Sorgen machte. Dorothea hatte auch bei ihr angerufen, aber nicht erzählen wollen, was passiert war. Klar, dachte Piet. Ich würde auch nicht allen davon berichten, dass ich gelogen habe.
Er schüttelte den Kopf. Nicht schon wieder so schlechte Gedanken. Dorothea hatte es verdient, dass er sie anhörte. Nur nicht jetzt.
Sibilles zweite Nachricht versetzte ihn in Staunen. Die wollten doch tatsächlich allein in den Urlaub. Und auch noch nach Rheinhessen! Seine Heimat! Und wenn er es richtig las, ging es schon heute los. Hatten sich denn jetzt alle gegen ihn verschworen? Seit wann fuhr Sibille ohne ihn irgendwohin? Sie waren doch eine Familie!
Langsam ließ er sich nun doch auf eine der Holzbänke gleiten. Na ja, war eigentlich klar, dass es irgendwann so kommen musste. Schließlich hatte sie jetzt einen Mann. Diese Konstellation kannte er nicht in Sibilles Leben. Er sollte sich darüber freuen, dass sie jetzt eine richtige Familie hatte und auch so plante. Ob das ihre Idee gewesen war? Und warum so plötzlich?
Noch einmal überflog Piet die Nachricht. Hoffentlich schaffte er es überhaupt noch, sich von ihnen zu verabschieden.
Wieder ließ er seinen Blick über das graue Wasser gleiten. Der Hafen von Langeoog war mittlerweile nahe, die Ersten drängten schon zum Ausgang der Fähre. Piet fühlte sich mies. So schrecklich wie schon lange nicht mehr. Irgendwie einsam.
Als die meisten der Mitfahrer an Land gegangen waren, stand auch er auf und machte sich auf den Weg. Nur noch ein kurzes Stück mit der Inselbahn, dann weiter zu Fuß und die rettende Schmerztablette einwerfen. Vielleicht war es gut, wenn er sich danach gleich ein bisschen hinlegen würde. Dann musste er auch nicht so viel nachdenken. Denn spätestens beim Betreten der Insel spürte er Dorothea an seiner Seite, so als wäre sie mit ihm gereist. Langeoog ohne seine Liebe konnte er sich nicht vorstellen.
***
„Mama, wo ist mein weißer Hoodie?“, schrie Tuuli aus ihrem Zimmer. Es sah aus, als hätte sie den kompletten Inhalt ihres Kleiderschrankes aufs Bett geworfen und suchte nun nach den Sachen, die sie mitnehmen wollte.
„Was ist ein Hoodie?“, fragte Rune, der aus Sibilles Schlafzimmer kam. Auch dort sah es nicht besser als in Tuulis Zimmer aus.
„Och Dad, ein Pullover mit Kapuze, wenn du es Oldschool brauchst.“ Noch immer durchwühlte Tuuli den Klamottenhaufen.
„Deutsch reicht mir schon, danke!“ Rune grinste kopfschüttelnd und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss. „Ich lass euch mal besser alleine. Packen scheint für euch ja eine schwierige Angelegenheit zu sein.“
„Vielleicht in der Wäsche“, rief jetzt Sibille aus ihrem Zimmer, um Tuulis Frage zu beantworten.
„Och nee, oder? Den muss ich doch mitnehmen!“ Tuuli stürzte ins Bad, wo der Wäschebehälter stand.
„Ich muss auch mitnehmen, was in meinem Schrank liegt“, antwortete Sibille gereizt. „Dein Vater hat mich mit der Urlaubsidee genauso überfallen.“
Tuuli kam wieder aus dem Bad und hielt den weißen Pullover ins Licht. Sie inspizierte ihn von allen Seiten, dann roch sie kurz daran. „Geht noch“, murmelte sie und verschwand in ihrem Zimmer.
„Mädels, ihr habt noch eine halbe Stunde Zeit, dann müssen wir los, wenn wir die Mittagsfähre erreichen wollen. Simon ist übrigens auch gerade gekommen“, rief Rune von unten.
„Er soll bloß nicht hochkommen“, schrie Tuuli zurück. „Ich muss mich konzentrieren. Außerdem sieht’s hier aus ...“ Die letzten Worte hatte sie leiser und mehr zu sich selbst gesprochen.
„So, fertig!“, stöhnte Sibille und setzte ihren Koffer im Flur ab. Hoffentlich hatte sie an alles gedacht. Mit Merle hatte sie am Morgen schon gesprochen. Ihre entspannte Art hatte Sibille beruhigt. Jetzt musste sie nur noch Piet erreichen. Hoffentlich hatte der sein Handy wieder an. Oder war vielleicht doch wieder auf dem Weg nach Hause. Sie konnte nicht fahren, ohne zu wissen, was mit ihm los war.
Und dann war da ja noch Morten. Auch wenn sie sich nur mit ihm eine Werkstatt teilte, hatte sie das Gefühl, ihm Bescheid geben zu müssen, dass sie ein paar Tage nicht kommen würde. Was ja eigentlich noch nicht alles war. Sollte sie ihm von dem Urlaub mit Rune erzählen? Auch wenn sich ihr Verhältnis stabilisiert hatte, würde sie Mortens traurige Augen nicht ertragen. Er tat das nicht mit Absicht. Oft reichte ein kurzes Aufflackern seiner blauen Augen und sie wusste, was er empfand. Das war doch verrückt. Sie holte tief Luft. Und es war auch verrückt, ihm nicht die Wahrheit zu sagen. Schließlich waren sie kein Paar. Nicht mal ein Ex-Paar. Sie waren lediglich Geschäftspartner, das war’s.
„Da ist ja der verlorene Sohn“, hörte Sibille Rune unten sagen. Danach Gemurmel, das sie als Piets Stimme erkannte. Schnell lief sie die Treppe runter.
„Piet, was ist passiert?“ Sie stürmte auf ihren Stiefvater zu und schloss ihn in die Arme. Wann hatte sie das zum letzten Mal gemacht?
Piet drückte sie kurz, schob sie dann aber entschlossen von sich. „Nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest.“
„Hä? Natürlich mache ich mir Gedanken, wenn du holterdiepolter verschwindest, über Nacht wegbleibst und auf keine Nachrichten mehr reagierst. Los, jetzt setz dich und erzähl!“ Sibille schob Piet energisch zum Küchentisch und drückte ihn auf einen Stuhl. Dann setzte sie sich daneben und schaute ihn erwartungsvoll an.
Er sah müde und irgendwie verzweifelt aus. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, wanderten aber ständig von einem Punkt zum anderen. Außerdem knetete er seine Hände, was er wirklich nur selten tat. Immer dann, wenn ihn etwas sehr aufregte. Und wann regte Piet schon etwas auf?
„Na los, mir kannst du es doch erzählen, hm? Hast du Mist gebaut?“, fragte Sibille einfühlsam und legte ihre Hand auf Piets Unterarm.
„Ich hol dann schon mal deinen Koffer und stelle das Gepäck vor die Haustür“, sagte Rune. „Simon, schaust du mal, wie weit Tuuli ist?“
Erst jetzt nahm Sibille Simon wahr. Sie nickte ihm freundlich zu und lächelte Rune dankbar an.
Als sie allein waren, seufzte Piet tief. „Ich hab doch keine Ahnung, was los ist. Hab mich, glaube ich, ziemlich danebenbenommen. Aber sie hätte ja auch was sagen können. Ich bin doch kein Unmensch! Mit mir kann man doch reden!“
„Stopp! Piet, ich verstehe kein Wort! Du musst mir schon die ganze Geschichte erzählen!“, sagte Sibille. In ihrem Kopf waberten die schlimmsten Vorahnungen. Inwiefern hatte sich Piet danebenbenommen? Und was hätte Dorothea erzählen sollen? Sie nahm jedenfalls an, dass es um Dorothea gehen musste.
Wieder seufzte Piet, dann begann er stockend davon zu erzählen, wie er Dorothea verfolgt hatte und was danach im Pflegeheim geschehen war. Als er geendet hatte, lehnte er sich zurück und schaute Sibille bedröppelt an.
Sibille schluckte. Das war ja wirklich ein Ding, dass Dorothea nie etwas von diesem Martin erzählt hatte. Wer das wohl war? Sie hatte doch immer behauptet, keine Verwandtschaft mehr zu haben.
„Alles verfahren, was?“, riss Piet sie aus seinen Gedanken. Es schien, als hätte es ihm gut getan, sich das alles von der Seele zu reden. Jedenfalls wirkte er wesentlich gefasster.
„Hm“, machte Sibille. Sie musste erst noch ihre Gedanken sortieren. Nur eines wusste sie: Nicht reden war auch keine Lösung. „Und was willst du jetzt tun? Du musst doch mit ihr reden“, sagte sie nun auch zu Piet.
„Ja, ich weiß! Aber gestern konnte ich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich das erstmal für mich verarbeiten muss. Was natürlich nicht wirklich geht, wenn man nicht weiß, was los ist.“
„Umso wichtiger, dass du mit Dorothea sprichst. Es gibt ganz bestimmt eine einfache Erklärung.“ Sibille hielt kurz inne. „Na ja, vielleicht ist die Erklärung nicht ganz einfach, sonst hätte sie dir davon erzählt, aber dass sie mit dir reden will, ist ja klar. Sonst hätte sie gestern nicht hier angerufen.“
„Was hat sie gesagt?“, fragte Piet.
„Sie hat nach dir gefragt und mich gebeten, ein Schild an ihrem Laden anzubringen, dass vorübergehend geschlossen ist. Tja, so schnell scheint sie nicht wieder auf die Insel zu kommen.“
Rune schaute zur Küchentür herein. „Süße, wir müssen los, sonst ist die Fähre weg.