Ostseetraum: Die Trilogie in einem Band - Frida Luise Sommerkorn - E-Book
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Ostseetraum: Die Trilogie in einem Band E-Book

Frida Luise Sommerkorn

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Beschreibung

Willkommen in Prerow auf dem Darß! Die komplette Ostseetraumreihe in einem Bundle:

Tanz auf den Wellen:
Vor fünf Jahren hat Sontje ihre Heimat Prerow auf dem Darß fluchtartig verlassen. Doch nun kehrt sie zurück und weiß, dass sie sich der Vergangenheit stellen muss. Ihre Mutter sitzt wegen ihr im Rollstuhl, ihre große Liebe Florian geht ihr aus dem Weg und sie muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen.

Frag nach der Liebe:
Während Sontje sich wieder in ihrer Heimat auf dem Darß wohlfühlt und ein Leben aufbaut, hat Opa Fiete ganz eigene Pläne. Wenn das Familiengestüt gerettet werden soll, muss Sontje einen Kompromiss eingehen, der auch mit ihrer großen Liebe Florian zu tun hat. Doch schon bei dem Gedanken daran, gerät ihr Herz aus dem Takt. Was soll sie tun?

Schau mit dem Herzen
Während Sontje um die Liebe zu ihrem Sohn kämpft, versucht Florian das Gestüt zu modernisieren. Doch dazu braucht er Sontjes Zustimmung. Auf ihn wirkt Sontje jedoch wie verwandelt, geht ihm seit der Geburt von Felix aus dem Weg. Wie kann er nur ihre Aufmerksamkeit gewinnen? Und am liebsten auch ihr Herz ...

Weitere Reihen der Autorin:
Ostseeliebetrilogie
Nordseeglücktrilogie
Sehnsuchtstrilogie
Zum Glück Reihe
Winterwunderreihe

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ostseetraum 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Danksagung

Ostseetraum 2

Ostseetraum 3

Impressum

Die Trilogie in einem Band

Über die Autorin: Frida Luise Sommerkorn alias Jana Thiem schreibt Liebes-, Familien- und Kriminalromane. Dabei sind ihre Geschichten in jedem Genre mit Herz, Humor und Spannung gespickt. Da sie selbst viel in der Welt herumgekommen ist, kennt sie die Schauplätze ihrer Romane und kann sich voll und ganz in ihre Protagonisten hineinfühlen. Ob am Ostseestrand, im fernen Costa Rica oder in ihrer Heimat, dem Zittauer Gebirge, überall holt sich die Autorin neue Inspirationen, um ihre LeserInnen verzaubern zu können.

Texte © 2024 by Frida Luise Sommerkorn

Alle Rechte vorbehalten!

Lektorat / Korrektorat: Dorothea Winterling M.A.

Bildmaterialien: Shutterstock, Adobe Stock Covergestaltung: Anne Gebhardt Design

Vorwort

Über die Ostseetraumtrilogie

Wer meine Romane kennt, der weiß, dass ich die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst liebe. Darum ist es auch nicht ver­wunderlich, dass in der Ostseetraumreihe auch meine lieben Charaktere Stine, Anne und Caro aus der Ostseeliebereihe zu Wort kommen. Ist doch klar, dass sich auf so einem kleinen Fleckchen Erde die Bewohner kennen und miteinander zu tun haben. Lasst euch also überraschen, wie Sontje in Teil 1 wieder den Weg zurück in ihre Heimat findet, warum Opa Fiete in Teil 2 das Gestüt verkaufen will und dabei Sontjes große Liebe Flo nicht berücksichtigt und wie Stine in Teil 3 Sontje und Chloé aus der Patsche hilft und warum Anne unbewusst In­gela die große Liebe vorstellt.

Alle Titel der Ostseetraumreihe:

Tanz auf den Wellen: Ostseetraum 1 Frag nach der Liebe: Ostseetraum 2 Schau mit dem Herzen: Ostseetraum 3

Ich wünsche euch romantische Stunden am Ostseestrand!

Eure

Frida Luise Sommerkorn

Ostseetraum 1

Tanz auf den Wellen

Frida Luise Sommerkorn

Kapitel 1

Allmählich begann sich alles zu verändern. Noch konnte Sontje es nicht an Einzelheiten festmachen. Wenn, dann vielleicht am Geruch. Der Duft des Meeres schien sich in die Luft gemischt zu haben, fuhr ihr mit jedem Atemzug durch die Nase und füllte ihre Lungen. Oder bildete sie sich das nur ein?

Als sie die A 19 bei Rostock verließ, war sie sich sicher, dass ihr der Geruchssinn keinen Streich spielte. Fast schon meinte sie, das Salz auf ihrer Gesichtshaut zu spüren. Eine innere Unruhe ergriff sie.

In Berlin hatte sie das Flugzeug noch voller Zuversicht verlassen, war in ihren Mietwagen gestiegen und ohne weiter darüber nachzudenken losgefahren. Doch je näher sie dem Darß kam, umso unsicherer wurde sie.

Rövershagen. Erinnerungen an eine unbeschwerte Jugendzeit, als sie mit Lina den Erdbeerhof besucht hatte. Mit Lina und den Jungs. Sontje schluckte. Sie durfte jetzt nicht daran denken, sonst würde sie doch wieder umkehren. Sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sie sah. Sie bog von der B 105 in Richtung Dierhagen ab und schon bald tauchte auf der rechten Seite der Bodden auf. Mit jedem Meter sank ihr Mut, das Richtige zu tun. Die Gedanken überschlugen sich. Natürlich war es richtig, wieder in die Heimat zu reisen. Schon viel zu lange hatte sie sich nicht mehr bei ihren Großeltern gemeldet. Und sie wusste, welchen Kummer sie ihnen damit bereitet hatte. Doch alles in ihr sträubte sich, wenn sie daran dachte, was mit ihrer Mutter passiert war.

Ein Auto raste an ihr vorbei, ein zweites hupte wie wild hinter ihr. Sontje blinzelte. Die Anzeige auf dem Tacho verriet ihr, dass sie im Schneckentempo fuhr. Seufzend gab sie Gas, konnte aber kaum beschleunigen. Was konnte sie denn dafür, dass sich der eine Teil in ihrem Körper weigerte, ihrem Ziel auch nur noch einen Meter näher zu kommen, während der andere vor Aufregung zitterte. Sollten sie doch an ihr vorbei fahren. Sie würde das Hupkonzert schon aushalten.

Dierhagen. Das Meer zeigte sich. Hier begann die engste Stelle zwischen Bodden und der See. Nur ein schmaler Landstrich zog sich entlang der Küste. Als Kind hatte sie oft gebangt, dass sie nie wieder die Halbinsel verlassen könnte, weil sich das Meer auch dieses Stück Land geholt hatte. Ein leichtes Schmunzeln huschte über Sontjes Gesicht. Sie atmete tief ein und aus. Die Gedanken an ihre unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit lösten ein schmales Band von ihrem Herzen. Auch wenn da noch genügend andere waren, so konnte sie doch wieder ein wenig optimistischer auf ihre Ankunft blicken.

Sie durchquerte Wustrow und gleich darauf Ahrenshoop. Wieder spürte sie die Enge in ihrem Brustkorb. Wie oft hatte sich Stine bei ihr gemeldet und gefragt, warum sie so plötzlich verschwunden war. Anfangs noch mit Sorge, dann ärgerlich und der letzte Gruß war voller Traurigkeit. Sontje schluckte. Was auch immer die Zukunft bringen würde, Stine musste sie besuchen und versuchen, ihr alles zu erklären.

Der Darßer Wald kam in Sicht. Hätten sie jetzt Hochsommer, wäre sie stehen geblieben, um den Duft der Kiefernnadeln auf trockenem Sandboden einzuatmen. Sie hätte die Sonne auf ihrer Haut gespürt und den Wind mit ihren Haaren tanzen lassen. Aber der Sommer war lange vorbei. Kalter Herbstwind tobte vor ihrer Scheibe. Die Bäume bogen sich im Wind. Auch das gehörte hierher.

Sontje spürte Übelkeit aufsteigen. Jetzt nur nicht schlappmachen. Sie wusste, dass sie nur noch einen Bogen über Born und Wieck fahren musste, dann war Prerow nicht mehr weit. Sie hatte sich vorgenommen, erst einmal anzukommen. Vielleicht suchte sie sich doch eine Ferienwohnung und machte den nächsten Schritt, wenn sie so weit war.

Und dann war sie plötzlich da. Statt eines Ortseingangsschildes entdeckte sie den Ortsnamen zu ihrer Linken auf einem kleinen Wall. Kürbisse schmückten den Hügel. Ohne weiter nachzudenken, bog Sontje links ab. Ihr Herz raste. War sie wirklich schon fünf Jahre nicht mehr hier gewesen? Nur fünf Jahre? Es hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Ihre Finger krampften sich um das Lenkrad, bis die Knöchel weiß hervortraten. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Automatisch bog sie in die Hafenstraße ab. Dabei stierte sie nach draußen, als hätte sie Angst, jemanden zu überfahren. Nur wenige Menschen huschten, in dicke Jacken gehüllt, mit Mützen auf dem Kopf und unter Kapuzen versteckt, am Straßenrand entlang. Kannte sie den Mann nicht? War das nicht eine ihrer Klassenkameradinnen gewesen? Sontje stöhnte laut auf. Was machte sie denn da? Egal, wer diese Menschen waren, sie hatte jetzt ganz andere Probleme.

Schon von weitem sah sie die wilde Hecke, die dem Garten im Sommer dicht und grün Schutz vor neugierigen Blicken bot. Jetzt ragten blätterlose Zweige in den Himmel und ließen sie trostlos aussehen. Langsam fuhr Sontje an der Einfahrt vorbei und versuchte, einen Blick auf das Haus zu erhaschen. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Dämmerung schon längst eingesetzt hatte. Die Küchenfenster waren hell erleuchtet und sie erinnerte sich noch genau an die behagliche Gemütlichkeit, die sie dort immer umfangen hatte. Sie konnte förmlich den Duft von schwarzem Tee und frisch gebackenem Apfelkuchen riechen. War da nicht eine Gestalt am Fenster? Oma Ella oder Opa Fiete? Sie hatte es nicht erkennen können.

An der nächsten Weggabelung wendete sie, fuhr wieder ein Stück in die Hafenstraße hinein und hielt am Rand. Ihr Atem ging schwer. Sie versuchte, die Tränen wegzuschlucken, aber es wollte nicht gelingen. Als müsste die ganze Trauer der letzten Jahre aus ihr brechen, schüttelte es sie. Sie legte den Kopf auf das Lenkrad und ließ es geschehen. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Was sollte sie denn jetzt tun? Sie konnte doch nicht einfach klingeln und sagen: Hier bin ich. Oder doch? Wäre ihre Familie sauer oder würden sie sich freuen? Und wie um alles in der Welt sollte sie ihrer Mutter begegnen? Falls das überhaupt noch möglich war.

Als sie wieder aufblickte, war es dunkel um sie herum. Nur die Straßenlaternen spendeten ein karges Licht. Regen hatte eingesetzt, der böig über die Straße fegte. Novemberwetter. Wie immer tauchte eine von Opa Fietes Weisheiten auf: Regen ist erst, wenn die Heringe auf Augenhöhe vorbei schwimmen. Wieder entfuhr ihr ein tiefer Schluchzer.

Kaum hatte sie an ihn gedacht, entdeckte sie Opa Fiete in der Hofeinfahrt. Wie jeden Abend machte er seine Runde durch den Garten und kontrollierte, ob das Tor geschlossen war. Sontje sah, wie er stehenblieb und in ihre Richtung schaute. Er hatte eine Hand über seine Augen gelegt, als würde ihn die Sonne blenden. Sontjes Herzschlag setzte aus. Hatte er sie erkannt? Sollte sie jetzt einfach aussteigen und zu ihm gehen? Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, doch dann siegte die Sehnsucht, sich in seine Arme zu werfen, wie zu der Zeit, als sie noch ein kleines Kind war. Schnell öffnete sie die Tür. Der Wind zerrte an ihr, gleich darauf spürte sie die Nässe auf ihrer Haut. Ohne weiter darüber nachzudenken, stürmte sie auf das Gartentor zu. Erst kurz bevor sie ankam, erkannte Opa Fiete sie. Ungläubig öffnete er das Tor und schon lag sie in seinen Armen.

„Na, mein Kind, was machst du denn bei dem Wetter hier draußen?“, murmelte er, als wäre es das Normalste von der Welt, Sontje zu sehen. „Nun komm erstmal rein, du wirst ja ganz nass.“

Doch Sontje ließ ihn nicht los. Sie schluchzte an seine Brust gelehnt, bis er sie sanft, aber bestimmt von sich schob. „Ist ja gut, mein Mädchen.“ Unbeholfen tätschelte er ihre Wange. „Deine Oma wird Augen machen.“ Opa Fiete schüttelte ungläubig den Kopf. Dann nahm er Sontjes Hand und zog sie zum Haus. Jetzt hatte er keinen Blick mehr für das offen stehende Gartentor.

Täuschte sich Sontje oder hinkte ihr Opa? Auch wenn sie in seinem Gesicht kaum Spuren der Alterung erkennen konnte, schien doch irgendwas mit seinem Bein zu sein. Oh Gott, was hätte sie nur gemacht, wenn sie ihn nie wieder hätte sehen können! Wenn er ... Nein, daran wollte sie nicht denken.

Ohne anzuhalten, betraten sie den kleinen Flur und Opa Fiete schob Sontje durch die geöffnete Küchentür. Oma Ella stand am Herd und füllte heißes Wasser in die Teekanne. „Wird aber Zeit, mein Lieber, du bist doch sicher schon ganz nass“, sagte sie mit ihrer warmen lächelnden Stimme, die Sontje so vermisst hatte. Erst jetzt schaute sie auf. Der Schreck schien ihr in alle Glieder zu fahren. Mit dem Teekessel in der Hand eilte sie auf Sontje zu. Opa Fiete konnte ihr den heißen Kessel gerade noch abnehmen.

„Kind! Sontje!“, schluchzte Oma Ella auf. „Wo warst du denn?“ Sie schlang ihre Arme um Sontjes Hals und Sontje fiel auf, wie klein ihre Oma war. Schon wieder konnte sie die Tränen nicht aufhalten, wollte sie auch gar nicht. Es war einfach zu schön, die Liebe ihrer Großeltern zu spüren. Sie hatte doch so viel Unglück über die Familie gebracht. Warum waren sie denn nicht böse auf sie? Wie konnten sie sie noch so gern haben?

Kapitel 2

„Ich hab gewonnen! Ich hab gewonnen!“ Jubelnd hüpfte Lina durch die Kutscherstube, die gegenüber vom Pferdestall lag. Dabei streckte sie immer wieder beide Arme in die Höhe und strahlte über das ganze Gesicht.

„Du hast bestimmt geschummelt“, beschwerte sich Florian mit gespielter Empörung.

Lina hielt inne und schaute ihn verwundert an. „Ich schummel nie, das weißt du doch!“

Jetzt schnappte Florian nach Lina und kitzelte sie an den Seiten. „Dann hab ich wohl schon wieder verloren. Du bist einfach die Mau-Mau-Königin.“

Kreischend wand sich Lina aus seiner Umklammerung. „Nicht kitzeln!“ Sie rannte um den Tisch herum und setzte sich auf ihren Platz. „Noch eine Runde“, rief sie ihm zu.

Florian schaute auf die Uhr. „Für heute müssen wir Schluss machen. Deine Eltern warten auf dich.“

„Och, schon? Es ist doch noch so viel Zeit. Ich muss erst zum Abendbrot zuhause sein.“ Lina hatte ihren Kopf in die Hände gestützt und verzog den Mund.

„Ja, und das gibt’s in einer knappen halben Stunde. Also haben wir noch Zeit, hier aufzuräumen und den Pferden Tschüss zu sagen. Und du weißt doch noch, was deine Mama gesagt hat? Heute macht sie dein ...“

„Mein Lieblingsabendbrot“, fiel Lina ihm ins Wort. „Arme Ritter mit viel Ei und Apfelmus.“ Eilig sammelte sie die Karten ein und versuchte, sie in die Hülle zu stecken.

„Klappt es?“, fragte Florian.

„Klar, das ist nicht schwer!“ Lina sortierte sorgfältig nach und nach die Karten ein. Dabei lugte eine Zungenspitze aus ihrem Mundwinkel.

Florian schaute ihr lächelnd zu. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie er Lina als kleines Mädchen im Pferdestall entdeckt hatte. Sie war von zuhause weggelaufen, um sich die großen Tiere anzuschauen. Doch dann hatte sie sich vor ihnen gefürchtet, sich in der letzten Box, die zu der Zeit leer stand, versteckt und war eingeschlafen. Als sie sie gefunden hatten, wussten sie noch nichts von Linas Behinderung. Sie war damals vier Jahre alt und hatte sofort angefangen zu weinen. Allerdings hatte sie auch nicht getröstet werden wollen. Gott sei Dank waren gerade ein paar Reitmädchen in der Nähe, die Lina kannten und ihre Mutter geholt hatten. Erst da hatten sie erfahren, dass Lina mit Down-Syndrom zur Welt gekommen war.

Am nächsten Tag waren Lina und ihre Mutter wieder da und hatten einen selbstgebackenen Kuchen gebracht. Von da an waren die beiden einmal in der Woche vorbeigekommen und allmählich hatten sie sich angefreundet.

Jetzt war sie schon zehn und kam ganz allein. Florian freute sich immer sehr über die gemeinsame Zeit. Da es mit dem Lehrerberuf nichts geworden war, konnte er wenigstens für Lina da sein. Besonders seit ... Er bremste seine Gedanken aus. Nein, er wollte nicht schon wieder an damals denken. Langsam gewöhnte er sich daran, dass sein Leben anders verlief, als er es sich gewünscht hatte.

„Bin fertig“, rief Lina und hielt ihm das Kartenset hin.

„Super gemacht! Und jetzt fliegen wir los.“ Sie zogen ihre Jacken über und dann breitete Florian seine Arme aus. Er sauste über den Hof in den Pferdestall, an den Boxen vorbei und winkte jedem Pferd zu. Lina immer hinterher. Schnaufend kamen sie vor dem Stall zum Stehen.

„Und jetzt die Schubkarre“, forderte Lina.

„Ach Lina, nicht jedes Mal“, antwortete Florian. Wobei er kaum Hoffnung hatte, sie zu überzeugen. Wenn sich Lina etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wollte sie das auch machen. Das hatte er sich selbst zuzuschreiben, schließlich war es irgendwann mal seine Idee gewesen, das Mädchen mit der Schubkarre nach Hause zu fahren.

„Doch, immer, das macht so viel Spaß!“ Schon lief Lina schnurstracks auf die Schubkarre zu.

Florian beeilte sich und half ihr hinein. Dann machten sie sich auf den Weg. Lina strahlte alle Passanten, die sie trafen, an und winkte ihnen zu.

Wenigstens meinte es das Wetter gut mit ihnen. Zwar zogen graue Wolken am Himmel dahin, aber es regnete nicht.

„Mama, wir kommen“, rief sie schon von Weitem, als sie ihre Mutter im Garten ihres Häuschens entdeckte.

„Na, das passt ja, mein Schatz“, sagte Nicole. Sie hatten das Gartentor erreicht und Florian hob Lina aus der Schubkarre. „Ich bin gerade erst heimgekommen. Ob der Papa wohl schon das Abendbrot vorbereitet hat?“

„Ich klingel schon mal“, erklärte Lina, winkte Florian zu und rannte zur Haustür.

„Wie war’s heute?“, fragte Nicole.

„Was soll ich sagen. Sie hat schon wieder beim Kartenspiel gewonnen“, antwortete Florian lachend. „Auch sonst war heute ein richtig guter Tag.“

Dankbar lächelte Nicole. „Möchtest du noch mit reinkommen?“

„Heute nicht, ich muss noch zu meinem Bruder in die Werkstatt.“ Florian gab Nicole die Hand und nahm die Schubkarre wieder auf. „Außerdem muss ich Linas Fahrzeug wieder zurückbringen. Sonst bekomme ich Ärger mit Fiete.“ Er grinste.

„Mit Fiete? Mit dem kann man keinen Ärger bekommen“, lachte Nicole, hob die Hand zum Gruß und lief zum Haus.

Nachdem Florian die Schubkarre wieder verstaut und noch einmal nach den Pferden geschaut hatte, schnappte er sich sein Fahrrad und fuhr Richtung Ortsmitte. Der Wind zerrte an seiner Kleidung. Heute würde es sicher noch Regen geben, dachte er. Als er in die Hafenstraße einbog, trat er automatisch fester in die Pedale. Es hatte Tage gegeben, da hätte er hier nicht langfahren können. Doch manchmal zwang er sich dazu, schließlich musste irgendwann Schluss sein damit. Er brauchte wieder sein eigenes Leben.

Trotz aller Vorsätze schielte er beim Vorbeifahren zum Haus der Deters. Natürlich war niemand zu sehen. Wer trieb sich bei dem Wetter auch draußen rum? Florian wusste, dass Fiete sich auf ihn verließ. Fiete war nicht mehr der Jüngste und hatte irgendwann erklärt, dass er abends zuhause sein wollte. Da Florian sowieso fast jeden Nachmittag im Stall war und bei Bedarf auch Reitstunden gab, kümmerte er sich danach um die Tiere. Allerdings wusste er nicht, was werden sollte, wenn Fiete gar nicht mehr konnte. Wer sollte dann die Kutschfahrten übernehmen?

Florian schnaufte. Schon wieder waren seine Gedanken zu weit gekreist. Er bog in die Bergstraße ein und kämpfte sich bei Gegenwind bis zur Grünen Straße. Als er vom Rad sprang, spürte er seine Hände kaum noch. Eilig lief er um das Haus herum in den Hinterhof und schlüpfte durch die Werkstatttür.

„Du kommst spät“, rief sein Zwillingsbruder David von hinten. „Die Lieferung der neuen Räder ist da. Wir haben viel zu schrauben.“ Er stand auf und stellte sich neben Florian. „Du siehst aus, als könntest du erstmal was Warmes gebrauchen.“ David holte eine Thermoskanne aus seinem Rucksack und goss zwei Becher voll mit dampfendem Tee. Dann öffnete er die Schranktür des Schreibtisches und holte eine Flasche Rum hervor. „Mit Schuss?“, fragte er.

„Von mir aus“, murmelte Florian. Er schaute sich in der Werkstatt um. „Die müssen wir doch nicht gleich zusammenbauen“, sagte er und nahm den Becher entgegen.

Einträchtig standen die Brüder nebeneinander. „Ich weiß, aber die sehen einfach spitze aus. Wann gab es das in den letzten Jahren, dass wir mal genug Kohle für Neuanschaffungen hatten? Da kribbelt es in meinen Fingern.“ David nahm einen Schluck und stellte den Becher auf dem Schreibtisch ab. „Schau mal, das wird doch die Herzen der Mädels höher schlagen lassen. Hollandräder in Himmelblau.“ Er grinste.

Florian seufzte. Eigentlich hätte er sich jetzt viel lieber in seine Wohnung verzogen und sich in ein Buch vertieft. Aber er wollte seinem Bruder den Wunsch nicht abschlagen. „Na dann, lass uns mal anfangen. Aber nicht wieder bis Mitternacht.“

Kapitel 3

Die ersten Töne des Morgens drangen langsam in ihr Bewusstsein. Sie hörte den tosenden Wind und immer wieder das Prasseln des Regens an ihre Fensterscheiben. Wann hatten sie denn mal so mieses Wetter in ... Sontje schlug die Augen auf. Wie in einem Film rasten die Bilder der letzten Tage durch ihr Gehirn. Die überstürzte Abreise, das bange Warten am Flughafen, dann endlich der ersehnte Flug nach Berlin und die Ankunft in Prerow. Oma Ella und Opa Fiete. Zuhause.

Sontje schob ihr Kissen hinter dem Rücken höher und setzte sich auf. Noch einmal schloss sie die Augen und versuchte, ihren Atem zu beruhigen. Alles war gut! Hier konnte ihr nichts passieren.

Jetzt ließ sie ihren Blick durch das Zimmer streifen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Es sah noch genauso aus, wie sie es verlassen hatte. Als wäre sie nie weg gewesen, lagen ein Zeichenblock und Stifte auf ihrem Schreibtisch, die Haarbürste mit den bunten Gummis, die sie immer um den Stiel gewickelt hatte, klemmte neben einem kleinen Wandspiegel, selbst die oberste Schublade ihrer Kommode stand wie immer ein kleines Stückchen offen, da sich irgendwas verklemmt hatte. Nur die getragenen Klamotten, die sie sonst haufenweise auf dem Stuhl hortete, waren verschwunden. Sicher hatte Oma Ella sie gewaschen und in den Schrank sortiert.

Sontje schaute aus dem Fenster. Es war klar, dass hier im November Sturm und Regen die Oberhand hatten. Sie fühlte ein Kribbeln aufsteigen. Wie lange war sie schon nicht mehr am Meer gewesen? Und schlechtes Wetter hatte es für sie nie gegeben. Auf sie hatte schon immer die raue See den gleichen Reiz ausgeübt wie die sanften Wellen, die bei schönstem Sonnenschein ans Ufer rollten. Hauptsache, sie konnte draußen sein und in die Ferne blicken.

Schwungvoll schlug sie die Decke zurück und schlüpfte eilig in ihren Bademantel. Sie hatte vergessen, dass es bei kalten Temperaturen morgens immer noch frisch in ihrem Zimmer war. Sontje öffnete ihre Reisetasche und suchte nach passenden Sachen. Hm, mit Designerkleidung brauchte sie wohl nicht nach unten zu kommen. Oma Ella würde ihr was erzählen, wenn sie zu dünn angezogen wäre. Also schob sie die Tasche wieder beiseite und zog die Tür ihres Kleiderschrankes auf. Der Duft ihres früheren Lebens schlug ihr entgegen. Irgendwie erdig und salzig. Schnell überflog sie die Auswahl und entschied sich für eine blaue

Jeans und einen cremefarbenen Wollpulli, der am Hosenbund endete. Dann bürstete sie ihre Haare und band sie am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen. Sie betrachtete sich im Spiegel und wollte schon nach ihrem Schminktäschchen greifen, entschied sich dann aber dagegen. Auch wenn sie sich fast ein bisschen nackt im Gesicht fühlte, hier würde der Naturlook reichen.

Gerade wollte sie das Zimmer verlassen, als ihr Blick auf den Zeichenblock fiel, der auf dem Schreibtisch lag. Vorsichtig schob sie das Deckblatt beiseite. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Als wäre es gestern gewesen, konnte sie sich noch erinnern, wo sie gesessen hatte, als die Entwürfe entstanden waren – bei einem Picknick am Weststrand. Sie waren mit den Rädern zum Darßer Ort gefahren und dann ein Stück am Strand entlanggegangen, um ungestörter sein zu können. Die Sonne hatte zwar am blauen Himmel gestanden, aber ein heftiger Wind war über den Sand gefegt, so dass sie sich schützend hinter einem umgestürzten Baum hatten verstecken müssen. Und dann waren da plötzlich die Ideen entstanden. Kinderkleider, Jacken, Röcke, Hosen, farbenfroh und fürs Toben geeignet. Sontje seufzte und schlug das Deckblatt des Zeichenblocks wieder zurück. Die Erinnerung passte gerade gar nicht in ihr Leben. Kurz schloss sie die Augen und verdrängte die Gedanken, die sich unweigerlich in den Vordergrund schoben.

Leise klopfte es an die Tür. „Sontje, bist zu wach?“, rief Opa Fiete. „Oma fragt, ob wir gemeinsam frühstücken wollen.“

„Ich komme“, antwortete Sontje. „Natürlich will ich mit euch frühstücken!“ Eine Welle der Geborgenheit hüllte sie ein. Gott sei Dank ging es ihren Großeltern noch gut, auch wenn sie älter wirkten als damals. Was hätte sie nur gemacht, wenn es sie nicht mehr gegeben hätte? Wieder ein Gedanke, den sie nicht zu Ende denken wollte.

Sie hatten am gestrigen Abend noch lange in der Küche beisammengesessen. Sontje hatte viele Fragen zum Leben ihrer Großeltern in den letzten Jahren gestellt und den ausgeschmückten Geschichten ihres Großvaters gelauscht. Das hatte er schon immer gut gekonnt. Allerdings hatte auch Oma Ella einiges wissen wollen. Doch noch war Sontje nicht bereit dafür. Sie wusste ja selbst noch nicht, wie es weitergehen konnte. Nur eines war gewiss, in ihr bisheriges Leben wollte sie nie mehr zurück. Alles andere würde sich finden müssen. Und natürlich war es ihr auch nicht entgangen, dass sie ein Thema nicht angesprochen hatten. Weder ihre Großeltern noch Sontje selbst. Aber heute würde sie sich nach ihrer Mutter erkundigen müssen. Auch wenn sich alles in ihr sträubte. Nicht, dass sie nicht wissen wollte, wie es ihrer Mutter ergangen war. Aber würde sie es ertragen können? Zwischen den Zeilen hatte sie immerhin heraushören können, dass sie noch lebte. Und das gab ihr Zuversicht.

Sie öffnete die Zimmertür und lief die schmale Holztreppe nach unten. Schmunzelnd stellte sie fest, dass sie noch immer genau wusste, welche Treppenstufe knarrte. Vor Jahren war sie immer wieder hoch und runter gelaufen, um genau herauszubekommen, welchen Tritt sie nachts meiden musste. Die Jungs hatten am Fuße der Treppe gesessen und alles ganz genau aufgeschrieben. Am Ende hatte es sich gelohnt, denn so konnte sie ein paar Mal ungehindert auch abends noch verschwinden, ohne erwischt zu werden.

Schon im Hausflur zog ihr ein vertrauter Duft entgegen. Sontje riss die Küchentür auf. „Hier riecht es himmlisch! Sag nicht, dass es ...“ Sie hatte Oma Ella erreicht und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Wenn mein Mädchen zuhause ist, gibt es natürlich Leuchtturm auf Toast!“, antwortete Oma Ella strahlend.

„Oma, du bist die Beste! Ich weiß schon, das hätte ich mir in den letzten Jahren auch selbst machen können. Aber bei dir schmeckt es nun mal am leckersten!“

Sontje beobachtete, wie Oma Ella etwas Butter und Knoblauch in eine Pfanne gab. Dann stach sie runde Toastbrotscheiben aus und wendete sie in der Knoblauchbutter, bis sie von beiden Seiten goldbraun waren. Darauf setzte sie einen kleinen Spieß, der abwechselnd mit Tomaten und Mozzarella bestückt war. Am Ende würzte sie das Ganze mit Salz und Pfeffer und stellte die Leuchttürme auf den Tisch.

„Auf Basilikum müssen wir heute verzichten“, sagte Oma Ella, als sie sich setzte. „Den gibt’s nur im Sommer.“ Sie legte ihre Hand auf Sontjes Arm und tätschelte ihn leicht. „Dann lass es dir mal schmecken.“

Das ließ sich Sontje nicht zweimal sagen. Schon als Kind hatte sie dieses Frühstück geliebt. Anfangs sicher, weil Leuchttürme zu ihrem Leben gehörten. Später wusste sie, dass sie eher für herzhafte als für süße Speisen zu haben war. Obwohl sie um Oma Ellas Kuchen nicht herumkam.

„Was hast du heute vor?“, holte Opa Fiete sie aus ihren Gedanken. „Willst du mal mit zum Gestüt kommen? Mal schauen, ob dich Umbra noch erkennt.“

Sontje zuckte zusammen. Sie sah Oma Ellas tadelnden Blick und Opa Fietes fragendes Gesicht.

„Ich weiß noch nicht“, antwortete sie leise. „Vielleicht packe ich erstmal meine Sachen aus und bleibe ein bisschen bei Oma Ella.“

„Das mach mal“, sagte Oma Ella. Sie nahm schlürfend einen Schluck Kaffee. Dann setzte sie die Tasse ab und schaute Sontje an. „Trotzdem ... vielleicht möchtest du wissen, wie es deiner Mutter geht?“

Sontjes Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie versuchte, den Bissen im Mund herunterzuwürgen. Sie wusste, dass sie jetzt der Wahrheit ins Auge schauen musste. Und sie rechnete mit dem Schlimmsten, denn ihre Mutter lebte gerade eindeutig nicht in diesem Haus. War alles noch viel schlimmer geworden und sie hatte in ein Heim gemusst? Hatte sie sich etwas angetan und lag nun im Koma? Sontje schüttelte leicht den Kopf. Sie musste diese schweren Gedanken loswerden. Immer wenn sie an ihre Mutter dachte, fielen ihr nur diese Horrorszenarien ein. Sie hatte Angst davor, dass sie sich nun bestätigten. Langsam hob sie den Kopf und schaute ihre Großmutter an. „Wie geht es Mama?“, fragte sie flüsternd.

Kapitel 4

5 Jahre zuvor

Ein Schatten verdunkelte die Sonne, dann fielen kalte Tropfen auf ihren Bauch. Sontje schrie auf. „Was soll das?“

Lachend ließ sich David neben ihr in den Sand fallen. Noch immer schüttelte er seine halblangen nassen Haare. „Hey, Sonnenschein, ich dachte, du könntest eine Abkühlung gebrauchen. Komm mal mit ins Wasser. Selbst mein scheuer Bruder traut sich gerade rein. Los, wir spielen eine Runde Volleyball.“ David sprang wieder auf und lief zurück zum Meer.

Sontje legte eine Hand über ihre Augen und entdeckte Flo, der bis zu den Knien im Wasser stand und ihr winkte. Bei seinem Anblick stellte sich eine wohlige Wärme ein. Lächelnd grüßte sie zurück.

Wie lange kannten sie sich jetzt schon? Eigentlich seit dem Kindergarten. Und genauso lange waren sie beste Freunde – Florian, Sontje und David. Ein Sonnenstrahl zwischen zwei Gewitterwolken, wie ihre Oma Ella immer sagte. Natürlich mochte sie die Jungs, aber die hatten es in ihrer Kindheit auch faustdick hinter den Ohren gehabt. Und Sontje hatte bei jedem Streich mitmachen müssen, weswegen auch sie ihren Ruf im Ort weghatte. Damals dachte sie noch, dass sie für immer zu dritt zusammen sein würden. Doch mittlerweile hatten sie das Abitur geschafft und nun bahnte es sich an, dass doch jeder seiner Wege gehen würde.

Obwohl Florian und David Zwillinge waren, hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Nicht nur, was das Aussehen anging, auch vom Wesen her waren sie verschieden. David war immer auf Achse, am liebsten auf dem Meer. Sontje hatte schon oft behauptet, dass er keine fünf Minuten stillsitzen konnte. Und genauso viele Ideen hatte er, wenn es um seine Berufswahl ging. Am liebsten würde er Surflehrer werden, doch das hielten seine Eltern für Blödsinn. Surflehrer war doch kein Beruf, das konnte er in seiner Freizeit tun. Da kam ihm seine zweite Leidenschaft, das Sammeln von alten Mopeds, recht. Trotz Abitur hatte er keine Lust zu studieren und wollte ab September eine Lehre als Mechatroniker beginnen. Sie wusste, dass sein Vater hoffte, ihn in der Nähe halten zu können, denn schließlich brauchte er Hilfe in der Werkstatt seines Fahrradverleihs.

Florian hingegen war gerne mit Menschen zusammen, am liebsten mit Kindern. Es hatte Sontje also nicht verwundert, als er verkündet hatte, Grundschullehramt zu studieren. Noch vor einiger Zeit hatte sie ihn bestärkt, sich einen Studienplatz in einer netten Studentenstadt zu suchen. Aber jetzt hatte sich alles geändert – sie waren ein Paar. Wenn sie nur daran dachte, dass er ab Oktober in die Ferne zog, brach es ihr das Herz.

„Sontje!“, riefen beide vom Wasser her. Lachend sprang Sontje auf. Ach, was würde sie nur ohne ihre Jungs machen. Sie war so froh, dass ihre Beziehung mit Flo die Freundschaft zu David nicht beeinflusste. Im Gegenteil hatte er behauptet, schon lange darauf gewartet zu haben. Passiert war es dann bei der letzten Silvesterfeier. Wie immer hatten sie sich mit Freunden am Meer getroffen und auf das neue Jahr angestoßen. Dabei waren sie ausgelassen zur Musik herumgesprungen. Flo hatte wohl schon zu viel getrunken, denn bei einer seiner Drehungen war ihm sein Glas aus der Hand gerutscht und der Sekt hatte sich über Sontjes Pullover ergossen. Da sie den Anorak ausgezogen hatte, war die kalte Flüssigkeit direkt bis zu ihrer Haut vorgedrungen. Erschrocken hatte Flo sie genötigt, mit zu ihm nach Hause zu gehen und trockene Kleidung von ihm überzuziehen. Doch dazu war sie nicht mehr gekommen. Flo hatte ihr beim Ausziehen geholfen und plötzlich hatten sie sich in den Armen gelegen und erst am Morgen wieder losgelassen. Sontje hatte das Gefühl gehabt, noch nie so glücklich gewesen zu sein. Und das bis heute.

„Also Jungs, wen soll ich zuerst tauchen“, rief sie ihnen zu, als sie das Wasser erreicht hatte. Sie wusste, dass Flo immer länger brauchte, um ins kühle Nass zu gleiten, also stürzte sie sich auf David und wollte ihn umwerfen. Der blieb jedoch wie ein Fels in der Brandung stehen und so war sie es, die im Wasser landete. Prustend kam sie wieder nach oben.

„Musst du immer so stark tun? Lass dich doch einmal fallen“, rief sie lachend.

„Ich tue nicht so, ich bin es“, antwortete David mit gespielter Überheblichkeit. Dabei hatte er beide Arme vor der Brust verschränkt.

In der Zwischenzeit hatte sich Flo von hinten angeschlichen und auf sein Zeichen stürzten sie sich gemeinsam auf David und brachten ihn zu Fall.

Plötzlich hielt Sontje inne. „Wie spät ist es eigentlich?“

David schaute auf seine Uhr. „Kurz vor drei. Warum?“

„Oh Mist, ich habe meiner Mutter versprochen, ihr beim Einspannen der Pferde zu helfen. Sie war noch in Rostock und meinte, dass sie nicht rechtzeitig da sein würde. Um drei hat sie eine bestellte Kutschfahrt zum Darßer Ort.“

Flo war sofort bei ihr. „Bist du mit dem Rad da?“, fragte er.

Als Sontje verneinte, zog er sie aus dem Wasser. „Aber ich, ich bring dich hin.“

Gemeinsam rannten sie zu ihren Handtüchern und zogen sich an. Dann setzte sich Sontje auf die Querstange vor Flo und er radelte los. Vorsichtig lugte Sontje auf ihr Handy. Sie hatte drei Anrufe ihrer Mutter verpasst. Sie seufzte. Doch dann spürte sie Flos Atem in ihrem Nacken. Sie schloss die Augen und genoss seine Nähe. Seit sie mit ihm zusammen war, schien es, als hätte das Leben noch viel mehr Sinn. Die schlimmen Dinge waren lange nicht so dramatisch und die guten dafür umso schöner.

„Achtung, festhalten!“, sagte Flo plötzlich.

Sontje öffnete die Augen. „Wir sind ja schon da. Wie hast du das gemacht?“ Sie sprang vom Rad und schlang ihre Arme um Flo. „Du bist ein Schatz! Wir sehen uns heute Abend, ja?“

„Na klar, melde dich, wenn du mit allem fertig bist. Ich kann dir auch später beim Ausmisten helfen, wenn du magst.“

„Das wäre toll“, rief Sontje über ihre Schulter. Sie hatte sich schon auf den Weg hinter den Stall gemacht, wo die Pferdekutsche stand.

„Sontje, also wirklich! Wenn ich dich einmal brauche, kommst du zu spät. Die Gäste warten doch auf uns!“ Ingela, Sontjes Mutter, hatte das Pferd bereits vor die Kutsche gebracht. „Spannst du ein? Dann lege ich die Polster auf die Bänke und hole die Verpflegung.“ Ingela rannte in das Gebäude neben dem Stall.

„Na du, da habe ich mich ja wieder schön vertrödelt.“ Sontje schmiegte ihren Kopf an Umbras Hals und sog den warmen Pferdeduft ein.

Wie würde es wohl ab September werden, wenn sie ihrer Mutter nicht mehr helfen konnte? Noch glaubte ihre Familie, dass sie dann die Ausbildung zur Pferdewirtin in Ribnitz-Damgarten antreten würde. Ihre Mutter kannte die Besitzer des Reiterhofes dort schon ewig und hatte ihre Bewerbung vorangetrieben. Natürlich war sie genommen worden. Aber sie hatte doch eigentlich ganz andere Pläne.

Sontje seufzte. So war das wohl, wenn man als Einzelkind mit einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs. Immer hatte sie das Gefühl, ihre Mutter nicht allein lassen zu können. Und es war ja auch so wichtig, dass es ihr gut ging. Schließlich wurden Oma Ella und Opa Fiete nicht jünger, wer blieb dann noch als Familie übrig?

Gedankenverloren holte sie das Pferdegeschirr und begann damit, es Umbra überzustreifen. Als sie rundherum alles kontrolliert hatte, schob sie vorsichtig die Kutsche näher. Die Gäste hatten sich wohl für eine gemütliche Fahrt entschieden, denn immer dann spannte ihre Mutter die älteste Kutsche an. Ihrer Meinung nach hatte das etwas Nostalgisches. Da musste Sontje ihr recht geben. Allerdings hoffte sie darauf, dass sie bald etwas moderner werden konnten. Irgendwie war ihr die alte Kiste hier nicht geheuer.

Wieder schweiften Sontjes Gedanken ab. Sie konnte ja wohl kaum an Modernisierung denken, wenn sie bald nicht mehr hier sein würde. Irgendwann musste sie mit ihrer Mutter darüber reden. Und mit Flo. Schließlich wäre es schön, wenn sie gemeinsam in einer Stadt studieren könnten.

„Bist du fertig?“, rief ihre Mutter, die sich den Verpflegungskorb geschnappt hatte.

Als Sontje nickte, stieg sie eilig auf die Kutsche und Sontje reichte ihr die Zügel. Einen kurzen Moment lang huschte ein Gedanke durch ihren Kopf. Hatte sie an alles gedacht? Sie machte Umbra los und während ihre Mutter wendete, vergewisserte sie sich noch einmal, ob alles am richtigen Platz saß. Sontje schüttelte den Kopf. Warum sollte es nicht passen, schließlich hatte sie das schon hundert Mal gemacht!

Sie schaute ihrer Mutter hinterher. Gerade überlegte sie, ob es sich lohnen würde, noch einmal zu den Jungs an den Strand zu fahren, als sie einen lauten Knall hörte, gefolgt von einem markerschütternden Schrei.

Im ersten Moment konnte sich Sontje nicht rühren. Sie wusste, dass der Schrei aus der Kehle ihrer Mutter gekommen war. Sekunden später erst löste sie sich aus der Erstarrung und rannte los.

Danach lief alles wie in Zeitlupe ab. Sie sah die Kutsche mit der querstehenden Deichsel. Ein Stück weiter die Straße entlang wartete Umbra. Wo war ihre Mutter? Und warum hatte sich Umbra losgerissen?

Sie erblickte Passanten, die sich immer wieder bückten. Einer rief nach einem Notarzt. Und dann entdeckte sie Opa Fiete, der mit schreckgeweiteten Augen nach ihr Ausschau hielt. Eilig kam er auf sie zugelaufen.

„Sontje, was ist passiert? Warum hat sich die Kutsche gelöst? Was ist mit deiner Mutter?“ Er stellte alle Fragen mehrmals hintereinander.

Sontje war in Schockstarre. Sie konnte sich nicht erklären, was passiert war, warum sich die Kutsche gelöst hatte. Was war mit Mama?

Jetzt rannte sie los. Opa Fiete versuchte, sie zurückzuhalten. Sontje drängelte sich durch die Menschenmenge. In der Ferne hörte sie das Martinshorn. Und dann sah sie ihre Mutter auf dem Asphalt liegen. Sie war doch nicht ...? Oh nein, das durfte nicht sein! Was hatte sie nur gemacht? Warum bewegte sich Mama nicht?

Die Sanitäter schoben Sontje sanft beiseite. Plötzlich stand Flo neben ihr und hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt. Erst jetzt bemerkte sie den Tränenstrom, der ihr über das Gesicht lief. Flo sprach leise auf sie ein und wollte sie wegziehen. Aber sie hörte ihn nicht und konnte sich nicht bewegen.

Eine Sanitäterin trat auf sie zu. „Sontje, stimmt’s?“

Sontje nickte, konnte sich aber nicht daran erinnern, die Frau schon jemals gesehen zu haben.

„Möchtest du mitfahren? Wir bringen deine Mutter ins Krankenhaus.“

Wieder nickte Sontje, brachte aber keinen Ton heraus. Wenn sie Mama ins Krankenhaus brachten, dann lebte sie. Das war die Nachricht, die sie jetzt gebraucht hatte.

Die Sanitäterin sprach mit Flo und schüttelte dabei den Kopf.

„Sontje, ich fahre hinterher! Ich bin gleich wieder bei dir“, rief er, als Sontje den Rettungswagen bestieg.

Sie setzte sich neben ihre Mutter, die sie kaum wiedererkannte. Überall war Blut, das Gesicht geschwollen und die Kleidung zerrissen. Der Arzt gab einige Befehle, Schläuche wurden angeschlossen. Und mit einem Mal begann sich alles zu drehen.

Sontje spürte noch heftige Übelkeit aufsteigen, dann sackte sie zur Seite.

Kapitel 5

Als Florian am Morgen die Stalltür öffnete, wunderte er sich. Opa Fiete war doch sonst immer vor ihm da. Ihm war doch hoffentlich nichts zugestoßen? Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der alte Herr es verschlafen hatte. Das war ihm sicher in seinem ganzen Leben noch nicht passiert.

Wie immer ging Florian als Erstes in Umbras Box. Er war sich nicht sicher, ob er sich das nur einbildete, aber seit damals schien Umbra einfach nicht mehr dieselbe zu sein. Als wäre die Lebensfreude aus ihr gewichen, führte sie alles aus, was man von ihr verlangte, schaute sich dabei aber immer mit traurigen Augen um. Florian konnte sie gut verstehen, denn lange Zeit war es ihm ähnlich ergangen. Jeder Tag war eine Qual gewesen und doch hatte er weiter gemacht. Und gehofft.

Florian blinzelte und wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. Weg mit den Gedanken. Er musste nach vorne blicken. Routiniert versorgte er die Tiere, schaute auch sonst nach dem Rechten und verließ den Stall wieder. Noch immer kein Lebenszeichen von Opa Fiete. Sollte er schnell bei ihnen vorbeifahren und nachschauen? Andererseits wartete David in der Werkstatt auf ihn. Falls die alten Leute ihn brauchten, würden sie sich sicher bei ihm melden. Also zog er sich den Anorak, die Mütze und Handschuhe über und radelte in den Ort.

Doch auch hier in der Werkstatt war niemand zu sehen. Hatte er irgendetwas verpasst? Er schaute auf seine Uhr. Schon nach zehn. Nachdem sie am gestrigen Abend noch bis kurz vor Mitternacht geschraubt hatten, wollten sie sich heute Morgen wieder hier treffen. Also, wo blieb David?

Gerade hatte Florian die Kaffeemaschine angeschaltet, als die Werkstatttür aufflog. „Du glaubst es nicht!“, rief David, kaum dass er den Raum betreten hatte. Er legte seinen Mopedhelm und die Handschuhe auf die Werkbank. „Wirklich, du glaubst es nicht!“

Florian schaute ihn fragend an. Er wusste, dass sein Bruder immer mit allem übertrieb, und gerade hatte er keine Lust darauf.

„Flo, setz dich“, legte David nach und schob Florian zu einem der Stühle am Schreibtisch.

Wenn er Flo zu ihm sagte, kam jetzt doch etwas Besonderes. Gespannt schaute Florian seinen Bruder an.

„Okay, fall jetzt nicht gleich in Ohnmacht. Aber weißt du, wen ich gerade gesehen habe?“

Als ob er ständig in Ohnmacht fiel, dachte Florian noch, doch beim nächsten Satz blieb ihm tatsächlich die Luft weg.

„Ich bin mir ganz sicher, dass ich eben Sontje gesehen habe.“ David strahlte Florian an.

Florian schüttelte den Kopf. Zu viel mehr war er gerade nicht in der Lage.

„Doch! Sie sind alle drei mit dem Auto weggefahren. Opa Fiete, Oma Ella und aus dem Seitenfenster hat mich eindeutig Sontje angeschaut. Ich vermute mal, dass sie mich unter dem Helm nicht erkannt hat, aber sie hat interessiert geguckt. Das war sie, ganz sicher!“

„Wo ... ich meine, was macht sie hier? Nach all den Jahren?“ Florians Herz krampfte sich zusammen. Hatte er nicht gerade noch daran gedacht, nach vorne schauen zu müssen? Und hatte sich nicht in letzter Zeit endlich wieder einiges zum Guten gewandt in seinem Leben? Und jetzt sollte sie einfach wieder da sein?

„Tja, das weiß ich natürlich auch nicht. Aber wir könnten ja später mal vorbeifahren. Was meinst du?“ David schaute ihn fragend an.

„Ich weiß nicht“, antwortete Florian. „Ich glaube, ich kann das nicht. Am Ende ist sie gleich wieder weg, dann will ich sie lieber gar nicht erst sehen.“ Er stand auf und sammelte das Werkzeug ein, das er zum Zusammenschrauben der Räder brauchte.

„Hm, es wird doch wohl hoffentlich nichts mit Ingela sein?“, murmelte David. „Wir hätten es sicher mitbekommen, wenn sie ...“ Er hielt inne. „Ach, lass uns erstmal weitermachen. Vielleicht schaut Sontje ja später auch bei uns vorbei.“

In den nächsten Stunden arbeiteten sie einträchtig nebeneinander. Florian sah, dass David ihn immer wieder musterte. Auch mit einigen lustigen Anekdoten versuchte er, ihn aufzuheitern. Aber Florian war weder nach Reden, geschweige denn nach Lachen zumute. Konnte das Schicksal so grausam sein? Jetzt, wo er allmählich wieder neuen Lebensmut gefasst hatte, tauchte Sontje wieder auf!

„Lass uns Schluss machen für heute“, sagte David plötzlich. „Ich bin kurz vorm Verhungern. Wir können zu Muttern fahren, die hat bestimmt heute Mittag schon auf uns gewartet.“

Florian schaute auf und staunte, dass es bereits dunkel geworden war. Er nickte und räumte seinen Arbeitsplatz auf.

„Ich fahre nach Hause, nimm’s mir nicht übel, ja? Und richte den Eltern einen Gruß aus. Ich komme morgen wieder mit.“ Ohne weiter auf Davids Antwort zu reagieren, schwang er sich auf sein Rad und schloss ein paar Minuten später seine Wohnung auf.

Im Dunkeln tapste er in die Küche und öffnete die Kühlschranktür. Vielleicht würde ihm ein Bier gut tun. Doch schon nach dem ersten Schluck merkte er, dass das kalte Getränk seinen Magen noch nervöser machte. Trotzdem nahm er die Flasche mit ins Wohnzimmer und schaltete die Stehlampe an. Er legte sein Handy auf den Tisch und entdeckte eine eingegangene Nachricht. Sofort vibrierte alles in ihm. Natürlich könnte es Sontje sein, denn schließlich hatte er in den ganzen Jahren absichtlich seine Handynummer nicht verändert. Aber würde sie ihn anschreiben?

Mit klopfendem Herzen wischte er über das Display und sofort ergriff ihn das schlechte Gewissen. Wie konnte er nur denken, dass sich Sontje gemeldet haben könnte und dabei Kimmi vergessen!

„Hey Schatz, wie geht’s dir so? Wollen wir heute Abend was zusammen machen?“, las er ihre Nachricht.

Seufzend legte er das Handy beiseite. Heute war er ganz sicher nicht in der Lage, sich noch mit irgendjemandem zu treffen. Auch nicht mit Kimmi. Aber wie sollte er ihr das beibringen? Schließlich waren sie erst seit ein paar Wochen zusammen und wenn es nach Kimmi ginge, könnten sie sich jeden Tag sehen. Das hatte ihm auch irgendwie gefallen. Endlich hatte mal wieder eine Frau sein Herz erweichen können. Und ausgerechnet jetzt sollte Sontje wieder in seiner Nähe sein?

Er nahm das Handy auf und ohne groß darüber nachzudenken, sagte er mit der Begründung, starke Kopfschmerzen zu haben, ab. Auch Kimmis nettes Angebot, vorbeizukommen und ihn pflegen zu können, lehnte er ab. Sie schien nicht begeistert zu sein.

Florian stellte den Ton leise und legte sich aufs Sofa. Sontje, seine Sontje. Die Frau, die er über alles geliebt hatte. Auch wenn sie damals noch jung waren, er hatte nie wieder so empfinden können. Er hatte an keinem Silvesterfest mehr teilgenommen, war nie wieder an ihren Lieblingsstellen gewesen. Den Weststrand hatte er gemieden, nur Opa Fiete war ihm von damals geblieben. Der stand mit einem Mal allein mit dem Gestüt da und die Arbeit wuchs ihm über den Kopf.

Der nächste Schluck Bier erschien ihm doch tröstlicher. Und er ahnte, dass er noch einige davon brauchen würde, denn allmählich machte sich auch Wut in ihm breit. Wut auf alles, was gerade schief lief. Oder war es die Angst vor dem, was da auf ihn zukam?

Er wusste es nicht, wollte es aber unter allen Umständen unterdrücken.

Kapitel 6

„Warum ist Mama nicht in Prerow in der Rehaklinik?“, fragte Sontje. Sie waren gerade von der Hafenstraße in die Strandstraße eingebogen und hatten einem Mopedfahrer ausweichen müssen, der die Kurve geschnitten hatte. Sontje saß auf der Rückbank des alten Golfs, den ihr Opa schon hatte, seit sie sich erinnern konnte.

„Wir sind froh, dass sie diesmal wenigstens in Ahrenshoop ist. Die anderen Male mussten wir weiter fahren“, antwortete Oma Ella.

Sontje schluckte. „War sie denn so oft in Kliniken?“

Oma Ella drehte sich zu Sontje um und nickte traurig. „Ich glaube, sie ist für die Ärzte ein interessanter Fall, da ihr organisch nichts zu fehlen scheint. Laut sämtlicher Befunde müsste sie ganz normal laufen können. Da passt wohl was im Kopf nicht. Deshalb wurde sie von einem Spezialisten zum nächsten geschickt, aber bisher hat nichts geholfen. In der jetzigen Klinik wollen sie sich mal wieder um ihre Motorik kümmern und die Muskeln stimulieren, sonst kann sie wirklich irgendwann nicht mehr laufen.“

„Glaubt ihr denn, dass sie es schaffen kann?“, fragte Sontje leise. Je näher sie Ahrenshoop kamen, umso mulmiger wurde ihr.

„Ehrlich gesagt wären wir schon froh, wenn sie wieder sprechen würde.“

„Warum spricht sie nicht?“ Der Druck in Sontjes Magen wurde immer größer. Das war alles ihre Schuld. Was hatte sie nur angerichtet!

„Wir wissen es nicht. Sie versteht alles, sagt aber nichts.“

Langsam durchquerten sie den Darßer Wald und fuhren in einem großen Bogen am Meer entlang Richtung Ahrenshoop. Die Klinik befand sich direkt am Ortseingang. Erst am Tag zuvor war Sontje hier vorbeigefahren, ohne zu ahnen, dass sie ihrer Mutter schon ganz nah war.

Opa Fiete suchte nach einer Parklücke und stellte dann den Motor aus. In der plötzlichen Stille hörte Sontje, wie schwer ihr Atem ging. Das hatte sie bisher nicht wahrgenommen.

„Kind, ist alles gut mit dir?“, fragte Oma Ella. „Du musst dich nicht fürchten. Mama sieht wieder aus wie immer, nur dass sie im Rollstuhl sitzt und ...“

Sontje bekam keine Luft mehr. Panik überfiel sie. Sie riss die Autotür auf und stürmte davon, über die Dorfstraße und weiter das kleine Stück zum Strand. Leichter Nieselregen benetzte ihre Haut. Der Wind zerrte an ihrem Anorak, den sie nicht geschlossen hatte und der jetzt um ihren Körper wedelte. Sie stützte ihre Hände auf die Knie und versuchte, zu Luft zu kommen. Mama saß im Rollstuhl und konnte nicht sprechen! Was war das für ein Leben? Ihre Mutter, die sonst immer so stark und fröhlich gewesen war, musste nun so etwas erleben. Und das schon seit fünf Jahren. Was müsste sie erst durchmachen, wenn sie Sontje jetzt mit einem Mal wieder sehen würde? Nein, ihre Großeltern sollten es ihr schonend beibringen. Es war nicht richtig, dass sie einfach so in ihr Zimmer spazierte. Am Ende bekam sie noch einen Herzinfarkt dazu.

Langsam richtete sich Sontje auf. Sie schaute zurück zur Klinik, konnte ihre Großeltern aber auf dem Weg nicht entdecken. Sicher waren sie ohne sie gegangen. Erst jetzt spürte Sontje die Kälte, die schon unter ihren Pullover gekrochen war. Eilig schloss sie den Reißverschluss des Anoraks und suchte vergebens nach ihrer Mütze. Die musste sie im Auto liegen gelassen haben. Sie zog die Kapuze über den Kopf, steckte die Hände tief in die Taschen und wandte sich vom Wind ab, um ein Stück am Strand entlangzulaufen.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass das seit damals ihre erste Begegnung mit dem Meer war. Unverwandt schaute sie hinaus auf die tosenden Wellen. Sie sog die Luft tief in ihre Lungen und genoss den salzigen Duft. Ein erster Anflug von Glücksgefühlen machte sich in ihr breit. Wie hatte sie das hier alles vermisst! Die Wildheit des Weststrandes, den Wind und selbst den peitschenden Regen. In dieser Intensität gab es das nur am Meer. Und genau so wie jetzt fühlte es sich für sie nur hier auf ihrem geliebten Darß an.

Allmählich spürte sie ihr Herz ruhiger schlagen. Sontje blieb stehen und ließ ihren Blick in der Ferne versinken. Sie schluckte hart, eine Träne rann über ihre Wange. Sie wusste nicht, ob sie jemals wieder unbeschwert hier sein konnte, wusste aber gleichzeitig, dass sie nie wieder weg wollte. Diese Zerrissenheit machte sie traurig. Mit einem Mal sehnte sie sich nach ihrem Zimmer im Haus ihrer Großeltern. Sie wollte wieder klein sein und vertrauensvoll durchs Leben gehen. Sie wollte sich einfach nur geborgen fühlen und nicht ständig über Probleme nachdenken. Und sie wollte sich in den Arm ihrer Mutter kuscheln und ihren Geschichten lauschen.

Sontje seufzte. Sie brauchte Zeit. Auch wenn sie heute ihrer Mutter nicht begegnen konnte, irgendwann würde sie es können. Noch musste sie mit sich selbst klarkommen. Und langsam wieder nach vorne schauen, schließlich gab es da eine Entscheidung zu treffen. Auch wenn sie das in den letzten Stunden erfolgreich hatte verdrängen können.

Zögerlich machte sich Sontje wieder auf den Weg zum Parkplatz. Schon von weitem erkannte sie, dass ihre Großeltern im Auto saßen und auf sie warteten. Wie konnte sie ihnen nur begreiflich machen, dass sie heute noch nicht bereit für eine Begegnung war?

„Kind, du wirst dich noch erkälten!“, sagte Oma Ella sorgenvoll, als Sontje sich wieder auf die Rückbank schob.

Sofort hatte sie einen Becher Tee in der Hand. „Den habe ich dir vom Kiosk geholt. So richtig heiß ist er jetzt nicht mehr, aber heißen Tee bekommst du, wenn wir wieder zuhause sind.“

Ohne ein weiteres Wort startete Opa Fiete den Motor und sie verließen das Klinikgelände.

Sontje war verwirrt. Waren ihre Großeltern schon bei Mama gewesen? Oder hatten sie die ganze Zeit auf sie gewartet und es sich anders überlegt? Die Fragen lagen ihr auf

der Zunge, aber sie brachte kein Wort heraus. Müde lehnte sie sich zurück und schloss die Augen.

Kapitel 7

Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, hätte Florian ihn am liebsten an die Wand geschmissen. Sein Kopf dröhnte. Vorsichtig öffnete er die Augen und schloss sie zur Sicherheit erst einmal wieder. Selbst das spärliche Licht, das durchs Fenster schien, tat weh. Warum hatte er sich denn am Vorabend so abgeschossen? Doch kaum war die Frage aufgetaucht, drängte sich die Antwort unbarmherzig in sein Gehirn. Sontje!

Florian stöhnte laut auf. Er wollte nicht weiterdenken. Viel angenehmer erschien ihm die Idee, dass David nicht richtig hingesehen hatte. Wer wusste denn schon, wer da in Opa Fietes Auto gesessen hatte? Vielleicht irgendeine andere Verwandte? Oder eine Nachbarin, die sie zum Arzt bringen wollten? Ganz sicher nicht Sontje! Warum sollte sie plötzlich wieder hier auftauchen?

Noch einmal versuchte Florian, einen Blick zu riskieren, und schaffte es danach, sich aufzusetzen. Unsicher schlurfte er in die Küche, goss sich ein großes Glas Wasser ein und ließ eine Linderung versprechende Tablette darin sprudeln. Als er das Glas in einem Zug leergetrunken hatte, hatte er das dringende Bedürfnis nach einer Dusche.

Danach fühlte sich Florian besser. Er zog sich warm an, holte sein Rad aus dem Schuppen und machte sich auf den Weg in den Pferdestall. Dabei vermied er es, direkt an Opa Fietes und Oma Ellas Haus vorbeizufahren. Die Sicherheit des Nichtwissens wollte er sich noch eine Weile bewahren.

Als er auf den Hof fuhr, sah er, dass Opa Fiete bereits im Stall war. Er stellte sein Rad ab, stattete Umbra seinen allmorgendlichen Besuch ab und folgte Opa Fietes Stimme. Es hatte Florian schon immer amüsiert, dass der alte Herr mit jedem seiner Pferde sprach, wenn er die Boxen betrat. Und für jedes Tier hatte er eine besondere Geschichte parat. Etwas, das ihn gerade beschäftigte oder auch Ausgedachtes, so genau konnte Florian das nicht sagen.

„Moin“, begrüßte er Opa Fiete.

„Moin, mein Junge“, kam es aus der Ecke der Box. Opa Fiete hatte für frisches Heu gesorgt und auch schon das Kraftfutter verteilt. Mit dem leeren Eimer in der Hand kam er Florian entgegen.

Aufmerksam beobachtete Florian jede Regung an ihm, konnte aber nichts Auffälliges feststellen.

„Danke, dass du dich gestern Morgen um die Tiere gekümmert hast. Wir waren schon zeitig bei Ingela in der Klinik.“ Opa Fiete klopfte Florian auf die Schulter und machte sich auf den Weg in die nächste Box.

„Ist was mit ihr? Geht es ihr schlechter?“, fragte Florian. Das war nun doch neu, dass sie so zeitig unterwegs waren. Normalerweise besuchten sie ihre Tochter nachmittags, wenn im Stall alles erledigt war.

„Hm“, brummte Opa Fiete. „Ist schon alles in Ordnung.“ Als wollte er noch irgendwas sagen, schaute er Florian für einen Moment lang an, kratzte sich am Kopf und drehte sich dann doch weg.

Florian wurde es ganz flau im Magen. Er hätte es auf den gestrigen Abend schieben können, aber er ahnte, dass das nicht der Grund war. Eigentlich brauchte er Opa Fiete nur nach Sontje zu fragen. Aber was war, wenn David sich getäuscht hatte? Dann würde er doch nur in einer Wunde rühren, die sicher erst heilen konnte, wenn sich Sontje wirklich wieder melden würde. Und wenn David doch recht hatte? Florian schüttelte den Kopf. Er schnappte sich die Schubkarre und machte sich daran, die erste Box auszumisten. Lieber verdrängte er seine Gedanken mit viel Arbeit. Und versuchte sich einzureden, dass Opa Fiete ihm sicher direkt von Sontje erzählt hätte.

Gegen Mittag stellte Florian sein Rad an der Tür zur Werkstatt ab. In einer Hand balancierte er zwei Pizzakartons, mit der anderen schob er seinen Rucksack auf den Rücken und trat ein.

„Die sehen himmlisch aus“, hörte er Kimmi im hinteren Teil der Werkstatt sagen. Die Verzückung war ihr anzumerken.

„Dachte ich mir, dass sie dir gefallen.“ Davids Stimme klang etwas gepresst, so als würde er sich mächtig anstrengen. „So, der Sattel passt, die Bremsen sind fest, du kannst also los.“

Ein zustimmendes Gurgeln rutschte aus Kimmis Kehle. Dann kam sie plötzlich aus dem hinteren Raum herausgefahren und drehte eine Runde durch den Verkaufsraum. „Flo, da bist du ja!“, rief sie lachend. „Schau mal, passt dieses wunderschöne himmelblaue Rad nicht perfekt zu mir? Ich habe David schon angebettelt, dass ich so eines unbedingt haben muss. Aber er sagt, ihr braucht die für den Verleih. Ach Flo, kannst du nicht ein gutes Wort für mich einlegen?“ Kimmi hatte das Rad auf den Ständer gestellt und sich bei der letzten Bemerkung an Florian geschmiegt.

Florian drückte sie sanft an sich. Wie immer rochen ihre Haare nach einer Mischung aus Blütenduft und Chemieunterricht. Normalerweise hatte Kimmi dunkelblonde Haare, färbte sie aber seit einigen Monaten schwarz. Schlecht stand ihr das nicht, vielleicht wirkte sie dadurch ein bisschen blasser. Er hob ihr Gesicht mit einer Hand am Kinn an und küsste sie auf den Mund. „Wenn es dir so gut gefällt, können wir bestimmt bei unserem Lieferanten noch eines nachbestellen“, sagte er und lächelte.

„Hey, Bruderherz, bevor dir unser Mittagessen runterfällt, gib mal lieber her.“ David schnappte sich die Pizzakartons und schaute nach ihrem Inhalt. „Mit Meeresfrüchten, die ist für dich.“ Er reichte Florian einen Karton zurück. „Und mit Salami für mich, jawoll.“

„Wollen wir uns die Pizza teilen?“, fragte Florian Kimmi und zog zwei Stühle hinter dem Schreibtisch vor.

„Pizza? Ich? Bist du wahnsinnig? Weißt du, wie lange ich dann wieder brauche, um die Kilos runter zu haben?“ Demonstrativ strich sich Kimmi über ihren flachen Bauch.

„Schon klar, als ob du auch nur ein Gramm zu viel auf den Rippen hättest“, nuschelte David mit vollem Mund.

„Eben weil ich solches Zeug nicht in mich hineinstopfe. Sonst würde ich aussehen wie eine dicke Robbe.“ Kimmi nahm sich ihre Tasche. „Lasst es euch schmecken! Meine Mittagspause ist sowieso gleich rum. Und der Herr Doktor mag es nicht, wenn ich auch nur eine Minute zu spät komme.“ Sie drückte Florian einen Kuss auf die Stirn. „Sehen wir uns heute Abend?“

Florian nickte nur, da er gerade an einem großen Stück Pizza kaute.

„Okay, ich komme gegen sieben zu dir. Wir kochen was, ja?“ Und schon lief sie zur Tür hinaus.

„Na, viel hast du ja nicht zu sagen, was?“, grinste David. „Aber sie ist schon ein guter Fang. Jedenfalls hat sie Geschmack.“ Dabei schaute er auf das himmelblaue Fahrrad.

Florian ließ ihm seine Gedanken. Was sollte er auch dazu sagen? Klar hatte Kimmi ein einnehmendes Wesen. Aber vielleicht brauchte er so etwas auch, sonst würde er aus seinem Alltagstrott nie wirklich rauskommen. Nur das Angebot, dass sie am Abend kochen wollte, gefiel ihm nicht so ganz. Heute hatte er keine Lust auf supergesunde Ernährung. Im Gegenteil war ihm gerade nach einem Bier. Und das, obwohl er den leichten Kater vom Morgen noch immer in den Knochen spürte. Hoffentlich driftete er nicht allmählich zum Alkoholiker ab. Er glaubte jedoch, solange er noch so darüber nachdachte, war wohl alles gut.

„Ich gehe heute Abend bei den Deters vorbei“, verkündete David plötzlich in die Stille. „Hat Opa Fiete was von Sontje erzählt?“

Bei Sontjes Namen zuckte Florian zusammen. Gerade hatte er sich noch auf den Abend gefreut und die Vergangenheit fast vergessen, jetzt knallte ihm sein Bruder wieder alles vor die Brust. „Wer weiß, wen du gesehen hast. Warum sollte sie denn plötzlich wieder da sein? Und wenn doch, dann hätte Opa Fiete sicher was gesagt. Hat er aber nicht.“

„Hm, schon komisch. Ich bin mir wirklich sicher, dass sie es gewesen ist. Werde doch noch unseren Sonnenschein erkennen.“

„Hör auf, David! Sie ist nicht unser Sonnenschein.“ Verärgert legte Florian den Pizzakarton zur Seite und ging zum Kühlschrank. Es waren nur noch Radler im Angebot, aber das war ihm gerade recht. „Willst du auch eins?“, fragte er seinen Bruder und hielt die Flasche hoch.

David nickte. „Aber sie war unser Sonnenschein. Und deiner ganz besonders. Also tu jetzt nicht so, als würdest du dich nicht freuen, sie wiederzusehen. Klar ist damals alles blöd gelaufen. Und ich weiß auch, wie sehr du gelitten hast. Aber sie hatte eben ihre Gründe. Und du liebst jetzt Kimmi. Ist doch alles gut.“ Er stand auf und griff nach dem Radler. „Außerdem wüssten wir dann wenigstens, dass es sie überhaupt noch gibt.“

Florians Atem hatte sich bei Davids Ansage merklich beschleunigt. Er spürte sein Herz pochen. Bisher hatte er noch nicht darüber nachgedacht, ob er Kimmi liebte. Das war gar nicht nötig gewesen. Auch wenn Kimmi ihm ihre Liebe bekundete, schien sie nie darauf zu warten, dass er die gleichen Worte zurückgab. Oder doch? Ein Kloß machte sich plötzlich in seinem Magen breit. Nein, er wollte jetzt nicht weiter daran denken. So lange war er mit Kimmi noch nicht zusammen. Das musste sich entwickeln und hatte überhaupt nichts mit Sontje zu tun.

„Mach, was du willst. Ich gehe heute Abend jedenfalls in der Hafenstraße vorbei. Dann wissen wir ja, was los ist.“ David schob sich das letzte Stück Pizza in den Mund

und wischte die Hände an einer Serviette ab. „Bis dahin haben wir aber noch einiges zu tun.“

Kapitel 8

Nachdem sie von der Klinik zurückgekommen waren, hatte sich Sontje direkt in ihr Zimmer verzogen und ins Bett gelegt. Sie war froh, dass ihre Großeltern so einfühlsam waren und spürten, wann sie allein sein musste.

Sie hatte gehofft, dass sie in ihrem Zimmer zur Ruhe kommen würde. Doch ganz im Gegenteil schoben sich immer wieder die Bilder von damals in den Kopf. Seit fünf Jahren hatte sie sie erfolgreich verbannen können und nun waren sie präsent, als wäre es gestern erst passiert. Nur ihr Herz schlug nicht mehr so wild. Es war eher voller Trauer. Warum hatte sie es nicht geschafft, ihre Mutter heute zu besuchen? Dann hätte sich in diesem ganzen Gefüge ein Baustein verändert und vielleicht irgendetwas zum Einstürzen gebracht. Stattdessen stand die Mauer immer noch statisch da wie eh und je und beschützte ihr Herz.

Wenn sie doch wenigstens zeichnen könnte! Sontje schob sich mühevoll unter ihrer Bettdecke hervor und kramte aus ihrem kleinen Rucksack einen Zeichenblock und ein paar Stifte. Eilig huschte sie wieder ins Bett, denn im Zimmer war es nicht wirklich warm. Sie ruckelte das Kissen zurecht, um aufrecht zu sitzen, schlug den Block auf und setzte den Stift an. Nichts! Sie wartete. Normalerweise kamen in dieser Haltung sofort Ideen für neue Modelle. Auch wenn oftmals am Ende nicht viel Brauchbares dabei war, immerhin blieb sie im Fluss. Doch jetzt? Da war nichts! Keine neuen Mäntel, keine Röcke, keine Hosenanzüge. Sontje ließ die Hand sinken. Wenn das schon nicht mehr funktionierte, war alles aus. Sie klappte den Block wieder zu.