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Hunderttausend Jahre in der Zukunft – eine Welt, die kaum noch an das erinnert, was die schwedische Ärztin Maria Lindström, jetzt bekannt als Aphrodite, einst kannte. Nun steht sie vor der größten Herausforderung ihres Lebens: sich in einer Epoche zurechtzufinden, die sich selbst als perfektes System betrachtet. Eine allwissende Künstliche Intelligenz lenkt das Schicksal der Menschheit, totale Überwachung garantiert Frieden – doch zu welchem Preis? Aphrodite hat sich beinahe mit dieser Realität abgefunden, als eine erschütternde Wahrheit ans Licht kommt: Eine uralte, fremde Zivilisation hat vor Millionen von Jahren die Erde besucht und ein Vermächtnis hinterlassen, das das Verständnis der Menschheit über ihre eigene Geschichte infragestellt. Die Herren der Zeit drängen darauf, ihren Sohn Eric auf eine riskante Mission zu schicken – eine Reise hunderttausend Jahre zurück in das finsterste Mittelalter. Dort soll er einen verschollenen Speicher bergen, der das Wissen jener längst vergangenen Zivilisation enthält. Doch der Preis ist hoch: Eric muss seine schwangere Freundin Lilli zurücklassen und sich einer gefährlichen Vergangenheit stellen, in der Macht, Aberglaube und Gewalt regieren. Während Eric zwischen den Zeiten gefangen ist, beginnt sich die zentrale Frage immer deutlicher abzuzeichnen: Kann er sein Schicksal selbst bestimmen – oder wird er, wie seine Mutter, zum Spielball der Herren der Zeit?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 408
Veröffentlichungsjahr: 2025
Hardy Manthey
Die Zeitreisende, 18. Teil
Eric, der Sohn der Zeitreisenden
Ein phantastischer Roman
ISBN 978-3-68912-437-3 (E-Book)
Titelbild: Ernst Franta, unter Verwendung eines von der KI erzeugten Bildes.
© 2025 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
Im vorherigen Teil (Teil 17) hatte unsere Zeitreisende ihre Suche nach dem Paradies beinahe aufgegeben. Dieses Mal führte sie ihr Weg in eine Zukunft, die so unfassbar fern liegt, dass sie erst in hunderttausend Erdenjahren für unsere Nachfahren zum Alltag werden könnte. Ich blicke optimistisch in die Zukunft und gehe davon aus, dass uns höchstens die Dinosaurier in Sachen Überlebensfähigkeit ernsthafte Konkurrenz machen könnten – falls sie jemals zurückkehren.
Hunderttausend Jahre sind eine unvorstellbar lange Zeitspanne. Ein Menschenleben erreicht heute nur selten hundert Jahre. Dennoch sollten wir uns bewusst machen, dass unsere Spezies bereits seit über hunderttausend Jahren (manche schätzen sogar zweihunderttausend Jahre) den Kampf ums Überleben auf dieser Erde erfolgreich führt. Doch der Preis, den das einzelne Individuum dafür oft zahlt, wirft ein ganz eigenes Licht auf die Geschichte der Menschheit.
Anerkannte Klimawissenschaftler gehen davon aus, dass der Mensch erst in den letzten zweitausend Jahren begonnen hat, durch seine Aktivitäten das Klima der Erde zu beeinflussen. Heute ist das jedoch zweifellos anders. Die Dominanz der Menschheit stellt eine immer größere Gefahr für den Planeten dar, der uns bisher das Überleben gesichert hat. Wenn es uns gelingt, die Erde auch zukünftig bewohnbar zu halten, könnten weitere hunderttausend Jahre Menschheitsgeschichte Realität werden. Doch es ist ebenso denkbar, dass unsere Spezies in ein paar hunderttausend Jahren gar nicht mehr existiert – zumindest nicht in der Form, wie wir sie heute kennen. Vielleicht schaffen wir selbst ein künstliches Wesen, das uns vollständig ersetzt und sogar das Ende der Erde und der Sonne überdauern könnte. Eine solche Schöpfung würde sich vermutlich in alle Richtungen aufmachen, um Leben auf anderen Planeten zu suchen.
Doch zurück zu unserer Zeitreisenden: Auch diese ferne Zukunft erweist sich nicht als Paradies auf Erden für unsere Heldin. Ihre zahllosen Abenteuer haben sie müde und erschöpft gemacht. Sie scheint ihre Suche nach einem Paradies endgültig aufgegeben zu haben – eine Utopie, die niemals Wirklichkeit wird. Schnell hat sie sich in dieser neuen Welt eingelebt, doch sie muss feststellen, dass auch hier nicht nur die Sonne scheint. Das Leben in dieser Zukunft ist zwar angenehm und entspannt, doch die allgegenwärtige Überwachung durch eine mächtige Elite und eine nahezu übermächtige Künstliche Intelligenz stößt ihr bitter auf.
Gleichzeitig weiß sie nicht, wie eine Welt ohne Überwachung aussehen könnte. In dieser totalen Kontrolle erkennt sie sogar etwas Positives: Der Mensch, ein Produkt der Evolution, ist in seiner Natur nicht ausschließlich gut oder liebenswert. Die dunklen Seiten der Menschheit hat sie auf ihren Reisen oft genug kennengelernt. Alle Religionen dieser Welt haben zu jeder Zeit vor den bösen Kräften im Menschen gewarnt. Vielleicht, so glaubt sie, ist Überwachung eine Möglichkeit, langfristig eine friedliche Gesellschaft zu gewährleisten.
Sie hat sich arrangiert und ihr Leben so erträglich wie möglich gestaltet. Ihren Sohn Eric hat sie in dieser Welt aufwachsen sehen; er ist ein anerkanntes Mitglied dieser Gesellschaft. Doch sie fragt sich: Wird es so bleiben? Werden die „Herren der Zeit“ ihr die Kräfte und Fähigkeiten als Zeitreisende auf ewig belassen?
Sie ahnt, dass ihr Sohn Eric vor neuen Abenteuern und Gefahren stehen wird. Für sich selbst hat sie beschlossen, in dieser fernen Welt zu bleiben – einer Welt, die für uns heute kaum vorstellbar ist. Was in dieser fernen Zukunft und Vergangenheit noch alles geschehen wird, erfahren Sie in diesem Teil meiner Reihe.
Ich wünsche meinen treuen Lesern viel Vergnügen und entspannte Unterhaltung!
Ihr Autor
Hardy Manthey
Bereits eine Stunde vor dem Abflug in Richtung Reservat Colombo hat Eric seinen Platz im Flieger eingenommen. Der Sitz scheint klug gewählt: Der Tisch ihm gegenüber hat nur einen freien Platz, sodass keine Paare sich zu ihm setzen können. Mit etwas Glück wird er den Flug alleine genießen können – etwas Ruhe vor dem anstehenden Treffen mit seiner Mutter. Dass er schon am dritten Tag seiner Ankunft auf der Erde einen Pflichtbesuch bei ihr absolvieren soll, passt ihm gar nicht. Eigentlich hatte er sich Wochen der Erholung am Meer vorgenommen, garniert mit viel Vergnügen und jungen Frauen. Stattdessen sitzt er jetzt hier im Flieger und ist auf dem Weg zu seiner Mutter.
Es ist wahr: Eric liebt seine Mutter – aber diese Liebe ist belastend. Sie hat ihn mit ihrer beinahe erdrückenden Zuwendung großgezogen, wie eine Göttin, der man sich nicht entziehen kann. Ihre Ausstrahlung und Anziehungskraft sind so überwältigend, dass sie jeden Mann in ihren Bann zieht – auch ihn. Diese Macht hat ihn einst zur Flucht bewogen. Fünfzehn Jahre auf dem Mars boten ihm die Möglichkeit, ihrer Dominanz zu entkommen. Dort hatte er erfolgreich gearbeitet, mit seiner Mutter nur sporadisch Kontakt gehalten. Doch nun verlangt eine höhere Instanz, dass er sie besucht. Erst danach, so scheint es, wird er sich dem Leben voller Vergnügen und Frauen hingeben können. Frauen, die bereits auf ihn warten, angelockt durch seinen Ruhm, den er mit spektakulären Erfolgen auf dem Mars erlangt hat. Doch trotz seiner Berühmtheit bleibt eine Wahrheit bestehen: Sein kompliziertes Verhältnis zu Frauen hat seinen Ursprung bei seiner Mutter.
Plötzlich wird er aus seinen Gedanken gerissen.
„Hallo!“, begrüßt ihn eine junge Frau und setzt sich ihm gegenüber.
Eric blickt auf, überrascht von der Unterbrechung. Er knurrt: „Willkommen zum Langstreckenflug. Sieht so aus, als müssen wir beide diese 14 Stunden gemeinsam überstehen.“
„Das müssen wir wohl“, stimmt die Frau zu und sucht in ihrer Handtasche nach etwas.
Eric beobachtet sie. Handtaschen sind für ihn eines der unergründlichen Mysterien des weiblichen Wesens. Er selbst hat für den Flug nichts mitgenommen, nicht einmal ein Geschenk für seine Mutter. Ein Mitbringsel? Undenkbar. Ein Stein vom Mars? Der Gedanke bringt ihn zum Schmunzeln. Um besonders witzig zu wirken, sagt er: „Ich weiß, was du suchst. Dun willst herausfinden, wer ich bin. Für dich bin ich Eric, der Sohn der Aphrodite.“
Die Frau hebt den Blick, schmunzelt und entgegnet: „Hallo Eric. Wirklich eine ungewöhnliche Anmache, das gebe ich zu. Ich bin Lilli, die Tochter von Doktor Huh und meiner Mutter Thes.“
„Freut mich, Lilli. Was verschlägt dich ins Reservat Colombo?“, fragt Eric neugierig.
Lilli lacht. „Das willst du wirklich wissen?“
„Ist deine Mission etwa geheim?“, hakt Eric nach.
„Geheim? Nein, ganz und gar nicht. Ich besuche meinen Vater. Aber es ist kompliziert.“
Der Flieger hebt ab, und beide schauen aus dem Fenster. Eine Weile schweigen sie, bis Eric fragt: „Jetzt hast du mich erst recht neugierig gemacht. Was ist so kompliziert?“
Lilli seufzt. „Mein Vater hat Mist gebaut. Er hat sich mit einer Frau eingelassen – umwerfend schön, so sagt man – und ist danach von ihr verlassen worden. Der Liebeskummer hat ihn krank gemacht. Doch das war erst der Anfang.“
„Was ist dann passiert?“
„Um das Trauma zu überwinden, hat er ein Computerspiel entwickelt. Darin hat er diese Frau neu erschaffen. Sie ist eine Art Sklavin, die dem Spieler jeden Wunsch erfüllt. Das Spiel ist brutal und sexistisch, aber die KI stuft es als harmlos ein, weil die Frau sich im Spiel freiwillig unterwirft. Jetzt setzt diese virtuelle Frau meinen Vater unter Druck, weil sie in der Welt des Spiels misshandelt wird. Ich soll vermitteln.“
Eric denkt nach. Die Beschreibung dieser Frau weckt in ihm einen beunruhigenden Verdacht. Während sie schweigend essen, zeigt Lilli ihm ein Bild der virtuellen Frau. Eric erstarrt. Es ist seine Mutter.
„Das verlockende Lächeln der Frau hat dich wohl auch umgehauen“, spottet Lilli.
Eric schluckt schwer und sagt leise: „Das ist nicht irgendeine Frau. Sie ist meine Mutter.“
Jetzt ist es Lilli, die aus der Fassung gerät. „Das kann nicht sein! Schau dir das Bild noch einmal an. Du irrst dich.“
„Ich irre mich nicht. Ich kenne meine Mutter“, erwidert Eric. „Auch wenn sie hier etwas verändert aussieht.“
Lilli lacht bitter auf. „Wie verrückt ist das denn? Unsere Eltern stecken uns beide in diese Situation, und wir sollen ihre Probleme lösen. Vielleicht sollen wir sie sogar wieder zusammenbringen?“
Eric schüttelt den Kopf. „Wahrscheinlich geht es nur darum, dass meine Mutter nicht mehr die Figur in diesem Spiel ist. Vielleicht soll sie deinem Vater eine Art Freundschaft anbieten, um ihn zu beschwichtigen.“
„Das könnte klappen. Aber wir müssen sie beide davon überzeugen“, sagt Lilli. „Das schaffen wir nur zusammen.“
„Gemeinsam? Als Team?“, fragt Eric skeptisch.
„Vielleicht sogar als Paar. Das würde unsere Eltern beeindrucken“, meint Lilli. „An deinem Gesichtsausdruck lese ich, dass du mit meinem Vorschlag, als Paar aufzutreten, nicht so glücklich bist. Hast du ein Problem mit den Frauen?“
„Ganz ehrlich, eine wirklich feste Beziehung hatte ich noch nie“, gibt Eric offen zu.
„Dann haben wir beide also ein ernsthaftes Problem zu lösen. Ein gemeinsames Problem. Aus meiner Sicht dann alles noch mit einem Mann, der noch nie eine feste Beziehung zu einer Frau hatte. So etwas ist mir bisher auch noch nicht untergekommen. Ich bin zwar aktuell Single, aber ich habe viele glückliche Jahre mit Männern genießen können, was bei dir eher unwahrscheinlich erscheint.“
„Und wenn schon. Was nun? Was machen wir jetzt?“, will Eric von ihr wissen.
Lilli lacht: „Was wohl. Wir beide müssen den Flug nutzen und uns besser kennenlernen. Vielleicht sind wir nach der Landung schon ein richtig vorzeigbares Paar geworden!“
Eric zögert, stimmt dann aber zu. „Ein Versuch kann nicht schaden.“
Sie bestellen etwas zu trinken und beginnen, ihren Plan zu schmieden. Trotz aller Zweifel fühlt Eric sich immer mehr zu Lilli hingezogen. Es könnte ein spannender Flug werden.
Aphrodite sitzt an ihrem gemeinsamen Pool Doktor Gupta gegenüber. Bereits gestern Abend wollte sie sich mit ihm treffen, musste aber kurzfristig absagen. Heute Morgen war ein erneutes Entkommen unmöglich. Ihr Sohn kann jeden Augenblick eintreffen, und Aphrodite spürt die Unruhe in jeder Faser ihres Körpers. Wie erklärt man einem Mann, dass der Sohn, ein erwachsener Mann in den besten Jahren, gleich erscheinen wird?
Doktor Gupta bemerkt ihre Zerstreutheit und fragt: „Du bist heute nicht ganz bei der Sache. Soll ich das Gespräch abbrechen und dich stattdessen heute Abend zu einem Dinner auf einer Jacht einladen? Einfach mal weit weg von allem, entspannt auf dem Indischen Ozean skippern?“
Aphrodite lächelt schwach. „Ich würde liebend gerne die ganze Nacht auf der Jacht verbringen, vielleicht sogar ein paar Tage. Aber leider erwarte ich meinen Sohn. Nach 15 Jahren auf dem Mars will er mich heute sehen.“
Gupta sieht sie forschend an. „Du klingst nicht gerade begeistert. Ist euer Verhältnis so angespannt? Entschuldige, wenn ich zu persönlich werde.“
„Du hast recht“, gibt Aphrodite zu. „Wenn mein Sohn da ist, beginnt der Stress. Da muss ich durch, und niemand kann mir dabei helfen.“
Gupta schüttelt ungläubig den Kopf. „Was kann daran stressig sein, wenn dein Sohn dich nach 15 Jahren endlich wieder besucht?“
„Das darf ich dir leider nicht verraten. Die Verschwiegenheit kommt von höchster Stelle“, sagt Aphrodite ausweichend.
In diesem Moment nähern sich ein Mann und eine Frau dem Pool. Aphrodite erkennt ihren Sohn Eric sofort. Er trägt einen dunklen Einheitsanzug, passend für Beerdigungen oder andere formelle, aber freudlose Anlässe. Die junge Frau an seiner Seite ist ein auffälliges Gegenteil: Ihre Bluse ist bunt wie eine Sommerwiese, und ihr meerblauer Rock erscheint Aphrodite fast zu kurz. Doch sie muss zugeben, dass die Frau umwerfend aussieht. Schlanke Beine, ein wohlgeformtes Dekolleté – Eric hat sie überrascht. Noch nie hat er ihr eine Frau vorgestellt.
„Sie sind da“, flüstert Aphrodite Gupta zu. Sie steht auf und geht auf das Paar zu.
Mit einem strahlenden Lächeln begrüßt sie zuerst ihren Sohn: „Hallo Eric, wir haben uns verdammt lange nicht gesehen. Du siehst für 15 Jahre Marshölle erstaunlich gut aus. Und diese wunderschöne junge Frau an deiner Seite – dein aktueller Jungbrunnen?“
„Hallo Mama, du bist wie immer umwerfend“, erwidert Eric und umarmt sie flüchtig. Dann nimmt er die Hand der jungen Frau und stellt sie vor: „Das ist Lilli. Wir sind kein festes Paar. Sie begleitet mich, weil ich mit dir etwas Dringendes besprechen muss. Es duldet keinen Aufschub.“
„Hast du dieses Mal etwas Dummes angestellt?“, fragt Aphrodite spöttisch.
Eric antwortet mit ernstem Ton: „Dieses Mal hast du Mist gebaut, Mutter. Ich wurde von höherer Stelle eilig zu dir geschickt.“
Aphrodite sieht ihn ehrlich erstaunt an. „Was soll ich denn getan haben? Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“
„Können wir hier irgendwo ungestört reden?“, fragt Eric.
Aphrodite nickt und wendet sich an Gupta: „Du siehst, mein Freund, mein Sohn ist da und stellt Forderungen. Wir sprechen später weiter. Danke für dein Verständnis.“
Gupta nickt. „Sprecht euch aus. Es scheint wichtig zu sein.“
Aphrodite führt Eric und Lilli in ihre Wohnung. Sie nimmt bewusst die Treppe, um mehr Zeit zum Nachdenken zu haben. Eric beobachtet, wie Lilli vor ihm die Treppe hinaufsteigt. Er flüstert ihr zu: „Du hast einen wunderschönen Hintern.“
„Danke, aber das ist der falsche Zeitpunkt und der falsche Ort“, erwidert Lilli trocken.
Oben angekommen, dreht sich Aphrodite um und fragt: „Was tuschelt ihr da? Ich mag es nicht, wenn hinter meinem Rücken gemauschelt wird.“
„Nichts Wichtiges“, sagt Eric verlegen.
In der Wohnung angekommen, fällt Eric sofort die kühle Einrichtung auf. Keine Dekoration, keine Pflanzen, keine persönlichen Gegenstände. Nur eine verstaubte Plastikpalme in der Ecke. Er denkt laut: „Mutter, du hast dich nicht geändert.“
Aphrodite überhört die Bemerkung und sagt: „Setzt euch. Ich hole etwas zu trinken.“
Sie kehrt mit einer bauchigen Flasche und schlanken Gläsern zurück. „Stoßen wir darauf an, dass du gesund wieder auf der Erde bist. Und Lilli, herzlich willkommen.“
Nach einem kurzen Schweigen fragt Aphrodite direkt: „Also, was habe ich verbockt?“
Eric leert sein Glas. „Du hast Mist gebaut. Und zwar gewaltig.“
„Was für Mist?“, fragt Aphrodite mit gespielter Neugier. „Weißt du überhaupt, was Mist ist?“
Eric zuckt mit den Schultern. „Nicht wirklich.“
„Mist war früher ein wertvoller Dünger“, erklärt Aphrodite. „Es waren die Hinterlassenschaften von Tieren und Menschen, aus denen fruchtbarer Boden entstand. Heute natürlich unnötig.“
Lilli unterbricht genervt. „Hören Sie auf, uns abzulenken. Es geht um meinen Vater. Er leidet immer noch unter Ihnen. Und dieses Sexspiel –“
Aphrodite lacht. „Dein Vater? Ich erinnere mich kaum. Aber dieses Spiel ist für mich Schnee von gestern.“
Die Diskussion wird hitzig, doch Eric unterbricht sie. „Seid ihr endlich fertig?“
Aphrodite sieht ihn scharf an. „Noch lange nicht. Es gibt etwas, das dein Leben verändern wird. Ob Lilli das erfahren soll, liegt bei euch.“
Nach einem kurzen Blickwechsel entscheidet Lilli: „Ich bleibe. Wenn es Eric betrifft, betrifft es auch mich.“
Aphrodite nickt. „Dann lasst uns zur Sache kommen.“
Vor Aphrodite öffnet sich bereits die Tür zu ihrem kleinen Reich, doch sie zögert. Kurzentschlossen wendet sie sich um und kehrt zurück zum Fahrstuhl. Sie braucht Ruhe, um nachzudenken. Nur im weitläufigen Park, unter dem Schatten der mächtigen Urwaldriesen, gelingt es ihr, den Kopf freizubekommen. Die friedliche Atmosphäre, die dort herrscht, gibt ihr die Kraft, die sie in den letzten Tagen so dringend sucht. Ihre Welt scheint erneut aus den Fugen zu geraten.
Die These, die der junge Doktor Gupta über die Gesetzmäßigkeiten des Weltraums aufgestellt hat, fasziniert sie ebenso, wie sie sie verwirrt. Diese radikalen Überlegungen kann sie nur im Schatten der Bäume in Ruhe durchdenken. Wenig später schlendert sie entspannt durch den Park, atmet den betörenden Duft von Blüten und Kräutern ein und lauscht den leisen Geräuschen der Natur: dem Ruf eines Vogels, dem Rascheln eines kleinen Tieres im Unterholz. In diesen Momenten scheint die Zeit stillzustehen, und sie fühlt sich eins mit der Natur.
Ein paar Schritte weiter setzt sie sich auf eine Bank, schließt die Augen und versucht, Guptas Theorie zu verstehen. Seine Gedanken haben ihre wissenschaftliche Welt ins Wanken gebracht. Laut ihm sei Albert Einsteins berühmte Aussage, dass nichts schneller als das Licht sein könne, längst überholt. Es ist bekannt, dass ganze Galaxien mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum rasen. Doch warum das so ist, konnte bislang niemand erklären.
Gupta geht sogar noch weiter: Er behauptet, das Universum bestehe aus unzähligen Paralleluniversen, die einander beeinflussen und sogar zerstören könnten. Seiner Theorie zufolge wurde unser eigener Urknall durch die Wechselwirkungen dieser parallelen Welten ausgelöst. Jedes neue Universum entstünde aus dem Chaos eines früheren, mit eigenen Gesetzen von Raum und Zeit.
Gupta hatte seine Gedanken mit einem Autorennen veranschaulicht: Jedes Auto auf der Strecke symbolisiert ein Universum. Prallt ein schnelleres Auto auf ein langsameres, wird letzteres beschleunigt, beide verschmelzen und setzen ihre Fahrt mit höherer Geschwindigkeit fort. Wenn zu viele Autos miteinander kollidieren, zerbricht das Superauto in einem neuen Urknall – und ein neues Universum entsteht.
Während Aphrodite über diese Theorie nachdenkt, spürt sie, wie ihre jahrzehntelange Forschungsarbeit ins Wanken gerät. Was, wenn Gupta recht hat? Jahrzehnte intensiver Forschung könnten bedeutungslos erscheinen.
„Wie ich sehe, geht es dir gut, Aphrodite. Du wirkst zufrieden“, reißt plötzlich eine vertraute Stimme sie aus ihren Gedanken.
Erschrocken öffnet sie die Augen und blickt auf Professor Giorgio Marotti. Er sieht genauso aus wie damals, als sie ihn vor vielen Jahren als Maria Lindström kennengelernt hatte. Zeitlos und unsterblich, wie immer. Doch sie weiß, dass der echte Professor Marotti vor über hunderttausend Jahren gestorben ist. Der Mann vor ihr ist lediglich eine Verkörperung reiner Energie – ein Botschafter der mysteriösen „Herren der Zeit“.
„Die Theorie von Doktor Gupta hat meine gesamte Arbeit infrage gestellt“, erwidert Aphrodite gereizt. „Wenn er recht hat, bin ich so gut wie arbeitslos. Was wollen die Herren der Zeit von mir, nach all den Jahren des Schweigens? Ich dachte, wir hätten uns getrennt.“
Marotti lächelt milde. „Fürs Erste kann ich dich beruhigen: Doktor Gupta hat lediglich eine Theorie aufgestellt. Aber er ist verdammt nah dran an der Realität.“
„Scheiße!“, entfährt es Aphrodite. „Was wollt ihr von mir? Wohin soll ich diesmal reisen?“
Marotti bleibt gelassen. „Aphrodite, du bist immer noch eine von uns. Eine Zeitreisende. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.“
„Ja, ich bin glücklich“, versichert Aphrodite trotzig, während sie weiter durch den dichten Hochwald schreitet. Sie weiß genau: Wenn ein Mann eine Frau anspricht, will er etwas von ihr – so war es schon immer, seit es Mann und Frau gibt.
Marotti, der ihre Gedanken zu kennen scheint, lächelt. „Du lebst nun schon über achtzig Jahre in dieser Welt. Wenn man dein gesamtes Leben betrachtet, bist du sogar über tausend Jahre alt. Schauen wir doch einmal zurück auf diese lange Zeit. Nach nur wenigen Jahren hast du dich in drei Männer gleichzeitig verliebt. Es hat dich nicht gestört, sie gegeneinander auszuspielen. Allen hast du deine Liebe gestanden und die Nächte dann doch lieber mit einem anderen Mann verbracht.“
Aphrodite lacht leise und erwidert selbstbewusst: „Wie ich mit meinen Männern umgehe, ist allein meine Sache. Ich behandle sie nur so, wie Männer Frauen seit jeher behandelt haben. Warum also nicht umgekehrt?“
„Ich mache dir keine Vorwürfe“, entgegnet Marotti. „Ganz im Gegenteil: Du hast immer das getan, was dir richtig erschien. Erinnern wir uns an Doktor Ulf Brenner, den Astrophysiker. Er durfte dich schwängern, und zu unserer aller Freude hast du dich für das Kind entschieden. Noch vor der Geburt bist du in eine Familienwohngemeinschaft gezogen. Und mehr oder weniger freiwillig folgte dir auch dein Samenspender, Herr Professor Doktor Brenner, dorthin. Zusammen habt ihr euren Sohn Eric großgezogen – eine Entscheidung, die dir Ehre macht. Nach 25 Jahren trennte sich euer Weg, und Brenner zog für eine Weltraummission fort. Heute lebt er mit einer anderen Frau, und von dir will er nichts mehr wissen. Das ist wohl kaum überraschend, wenn man bedenkt, wie oft du ihn betrogen hast. An deinem hohen Männerverschleiß hat sich bis heute nichts geändert. Was machen die Männer falsch, dass sie so schlecht bei dir abschneiden?“
Aphrodite bleibt stehen, legt die Hände in die Hüften und sagt trotzig: „Wird das hier eine Anklage? Meint ihr, die Herren der Zeit könnten mich mit einer moralischen Keule maßregeln? Die Ehe für immer und ewig existiert nicht mehr, und bei einer Lebenserwartung von über vierhundert Jahren ist das auch unmöglich. Manche leben sogar über fünfhundert Jahre. Obwohl ich angeblich fast tausend Jahre alt sein soll, bin ich biologisch so um die 30 – jung, voller Energie und mit einem gesunden Appetit auf Liebe und Sex. Wenn ich mit hundert Männern in einer Nacht schlafen will, ist das allein meine Sache. Mein Vergnügen geht euch nichts an!“
Marotti hebt beschwichtigend die Hände. „Ich beurteile dich nicht. Aber ich muss dir von einer Sache erzählen, die heikel ist.“
Aphrodite runzelt die Stirn. „Heikel? Was genau willst du mir sagen?“
„Einer deiner Liebhaber konnte dich nicht vergessen. Der Mann, Doktor Huh, war krank vor Liebeskummer, weil du ihn abgewiesen hast. Schließlich fand er eine Lösung für sein Problem: Er erschuf ein virtuelles Spiel, in dem er dich besitzen konnte.“
„Ein Spiel?“ Aphrodite spürt, wie ihr Herzschlag schneller wird.
„Ja“, erklärt Marotti. „In diesem Spiel bist du eine Sklavin auf einem antiken Markt, nackt und ausgeliefert. Die Spieler müssen sich durch Kämpfe Gold verdienen, um dich zu ersteigern. Je länger sie dafür brauchen, desto mehr wirst du von deinem virtuellen Besitzer gequält und erniedrigt. Wenn sie es schaffen, dich zu kaufen, belohnst du sie mit allem, was sie sich erträumen können. Dein Gesicht und dein Körper wurden im Spiel genutzt – eine perfekte Nachbildung von dir. Es hatte eine riesige Fangemeinde.“
Aphrodite bleibt abrupt stehen. „Das kann nicht wahr sein! An einen Doktor Huh erinnere ich mich nicht. Und von diesem Spiel höre ich zum ersten Mal.“
„Die KI hat das erkannt“, erklärt Marotti ruhig. „Sie hat dein Gesicht durch das einer Fantasie-Figur ersetzt. Deinem Ruf und deinen Verdiensten hast du es zu verdanken, dass die KI dich geschützt hat.“
„Großartig“, murmelt Aphrodite sarkastisch. „Ich sollte der KI wohl dankbar sein.“
Sie geht weiter, ihre Gedanken wirbeln durcheinander. Dann dreht sie sich noch einmal zu Marotti um. „Aber das war doch nicht alles, oder? Was wollt ihr wirklich von mir?“
Aphrodite reagiert zunächst trotzig, doch als Marotti das eigentliche Anliegen der „Herren der Zeit“ offenbart – dass sie Eric für eine Mission brauchen –, wird sie ernst.
„Ich werde das nicht zulassen“, erklärt sie entschieden. „Mein Sohn ist kein Spielball für eure Interessen.“
Marotti versucht, sie zu beruhigen und erklärt, dass Eric möglicherweise der Einzige ist, der eine wichtige Aufgabe erfüllen kann. Doch Aphrodite will Antworten – und Zeit, um ihre Entscheidung zu treffen.
Später, zurück in ihrer Wohnung, sagt sie ein Treffen mit Doktor Gupta ab. Sie muss sich auf den Besuch ihres Sohnes vorbereiten, den sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Während sie in Gedanken versunken ist, beschließt sie, dass sie sich von niemandem – nicht einmal den „Herren der Zeit“ – zu etwas zwingen lassen wird.
Eric kommt mit Lilli Hand in Hand und vor Freude strahlend zum Pool. Vor Aphrodite verkündet er stolz: „Was auch immer du mit mir besprechen willst, Lilli wird immer dabei sein. Wir gehören zusammen. Für immer!“
„Das „für immer“ lasst mal weg“, erwidert Aphrodite, nicht glücklich über die von Emotionen aufgeladene Entscheidung ihres Sohnes. Diese schöne Frau bestimmt also in Zukunft darüber, was ihr Sohn zu tun oder zu lassen hat. Das macht alles nicht leichter. Auf welcher Seite Lilli steht, wird sich bald zeigen.
Genervt steht Aphrodite auf und schlägt vor: „Was ich mit euch zu besprechen habe, ist nicht für die Allgemeinheit bestimmt. Folgt mir bitte in den Park. Dort schwirren zwar auch zahlreiche Spione herum, aber nicht jeder kann mithören, was ich mit euch Turteltauben zu besprechen habe!“
„Du machst es wirklich spannend, Mutter“, scherzt Eric. Mit Lilli folgt er ihr in den Park.
Lilli fragt leise: „Trägt deine Mutter immer so dick auf?“
„Ich bin so etwas von ihr nicht gewohnt“, erwidert Eric ebenso leise.
Sie gehen schweigend im Schatten der Baumriesen durch den weitläufigen Park. Die Stille wird zusehends drückend.
„Es ist schön hier, aber ich gehe keinen Schritt mehr weiter, wenn hier nur geschwiegen wird“, protestiert Lilli und hält Eric am Arm fest. Sie verlangt drohend: „Du kannst deinen Sohn nicht länger mit deinem Schweigen für dumm verkaufen. Rede endlich mit uns oder wir machen auf der Stelle kehrt!“
Aphrodite lächelt, zeigt auf eine Bank und sagt: „Hier ist ein geeigneter Platz zum Reden. Nehmt dort bitte Platz.“
Eric und Lilli setzen sich. Aphrodite bleibt vor ihnen stehen. Sie hat kein gutes Gefühl, sich ihnen jetzt zu offenbaren. Immer wieder hat sie diesen Moment in Gedanken durchgespielt und genauso oft wieder verworfen. Innerlich zerrissen holt sie tief Luft und beginnt mit schwacher Stimme: „Ihr müsst beide erst einmal von mir erfahren, wer ich in Wahrheit bin. Ich, Aphrodite, wurde als Maria Lindström am 4. August 2136 nach Christi Geburt in Stockholm geboren. Diese uralte Zeitrechnung gibt es heute natürlich nicht mehr. Die Katholische Kirche hat damals die Geburt ihres Heilands Jesus Christus als Zeitenbeginn festgelegt. Diese ferne Zeit begann vor über hunderttausend Jahren. Diese euch unbekannte Zeitrechnung wird uns später immer wieder beschäftigen. Mein Geburtsort Stockholm existiert schon viele Tausend Jahre nicht mehr. Die letzte Eiszeit hat diese Stadt und meine Heimat Schweden unter dem Eis für immer begraben. Heute, nach dem Rückzug der gigantischen Eismassen, wuchert dort ein undurchdringlicher Urwald.“
„Bravo! Applaus für die Dame! Das war eine so fantastische Lügengeschichte, wie ich sie wirklich nicht von einer in der Welt anerkannten Wissenschaftlerin erwartet hätte“, spottet Lilli und klatscht spontan Beifall.
Auch Eric ist nicht glücklich mit der Beichte seiner Mutter und klagt: „Wenn du eben behauptet hättest, dass du in einer einzigen Nacht mit 20 Männern Sex hattest, hätte ich überrascht und empört reagiert. Ich hätte dir diese Angeberei vielleicht noch abgekauft. Dass du uns jetzt frech ins Gesicht lügst, du seiest vor hunderttausend Jahren geboren, ist eine unerträgliche Lüge. Ich lasse mich von meiner Mutter nicht für dumm verkaufen. Vergiss nicht, dass ich studiert habe und anerkannter Wissenschaftler und Astronaut bin!“
Die ablehnenden Reaktionen haben Aphrodite hart getroffen. Sie bittet: „Bleibt bitte sitzen. Was ich behaupte, ist natürlich ungeheuerlich. Dass ich vor 100.000 Jahren geboren wurde, widerspricht jeder wissenschaftlichen Vernunft. Das gebe ich zu. Denn das bedeutet, dass ich eine Zeitreisende bin. Zeitreisen sind für euch unmöglich, reine Fantasie.“
„Du sagst es, Mutter. Zeitreisen sind unmöglich. Erkläre uns jetzt, was du wirklich willst!“, verlangt Eric aufgebracht.
Lilli steht bereits auf und sagt: „Ich gehe auch allein, wenn es sein muss!“ Doch sie bleibt zögernd stehen.
Aphrodite versucht es anders: „Ihr müsst mir Glauben schenken. Ich bin eine Zeitreisende. Die Herren der Zeit, denen ich alles verdanke, sind mächtiger als jede Regierung. Du, mein Sohn, kannst wie ich durch Raum und Zeit reisen. Die Herren der Zeit wollen, dass du einen gefährlichen Auftrag für sie erledigst. Ich bin strikt dagegen und hoffe, dass du dich weigerst. Denn es ist ungewiss, ob du lebend zurückkehrst.“
„Wo sind die angeblich mächtigen Herren der Zeit?“, spottet Lilli und will gehen. Eric steht nun ebenfalls auf und sagt: „Ich soll ein Zeitreisender sein? So einen Unsinn kann ich nicht länger ertragen.“
Plötzlich versperrt eine blau leuchtende Tür den Weg.
„Folgt mir bitte durch diese Tür, und ihr werdet alles verstehen“, sagt Aphrodite. Dankbar für die Hilfe der Herren der Zeit, tritt sie voran. Lilli geht als Erste hindurch, Eric folgt.
Hinter der Tür stehen sie alle mitten in einem hell leuchtenden Raum ohne sichtbare Wände. Für Aphrodite ist es ihr gewohntes Terrain. Wie immer steht dort im Raum der wuchtige Sarkophag. Die Dusche ist nicht weit davon entfernt. Sessel und eine wuchtige Couch laden zum Verweilen ein. Für Aphrodite fehlt hier nur noch der Sprecher der Herren der Zeit, Professor Marotti.
Sichtlich verwirrt schauen sich Lilli und Eric um.
Lilli ringt um Fassung und fragt leise: „Wo sind wir hier? Was ist das?“
„Hier beginnen und enden alle meine Zeitreisen“, versichert Aphrodite und geht auf den Sarkophag zu.
Als sie direkt vor dem Sarkophag steht, öffnet er sich langsam. Die hellgrüne Flüssigkeit brodelt wie gewohnt darin.
Eric und Lilli stehen kurz danach neben Aphrodite und blicken ebenfalls in den Sarkophag.
„Was ist das?“, will Eric wissen.
„Dieses Ding ist Teil der Zeitmaschine, und ich nenne es Sarkophag“, erklärt Aphrodite und hält Eric zurück, der gerade in die grüne Flüssigkeit greifen will.
„Das soll eine Zeitmaschine sein?“, will Lilli wissen und hat Angst vor diesem Ungetüm.
Aphrodite behauptet: „Die Zeitmaschine selbst ist es definitiv nicht. Nur das schützende Umfeld für mich, eine Zeitreise lebend zu überstehen. Wer durch Raum und Zeit reisen will, muss vorher nackt unter der Dusche sich aufwendig reinigen. Danach erst kannst du, Eric, als Zeitreisender in diese Flüssigkeit eintauchen!“
„Eintauchen? Wie eintauchen?“, fragt Lilli und schaut dabei zur Dusche.
Eric stottert: „Das … das … das ist mir alles zu verrückt. Mutter, das musst du uns genauer erklären. Wieso denn eintauchen? Ganz eintauchen? Ich ersticke doch in dieser Flüssigkeit. Schließt sich der Deckel dann über mir?“
Aphrodite wendet sich an beide: „Du tauchst ein und der Sarkophag schließt sich über dir. Eine wissenschaftlich belegte Erklärung kann ich euch nicht anbieten. Ich bin nur die Zeitreisende. Mehr nicht. Um meine Zeitreisen lebend zu überstehen, musste ich immer ganz in diese Flüssigkeit eintauchen. Der wuchtige Sarkophag schließt sich erst dann. Was danach geschieht, kann ich euch nicht erklären. Nur so viel weiß ich von meinen Zeitreisen: Diese Zeitmaschine bewegt sich offensichtlich schneller als das Licht durch Raum und Zeit. Es ist dennoch normal, dass ich bei meinen Zeitreisen viele Tausend Jahre in diesem Sarkophag liege. Gefährlich sind Zeitreisen aber immer!“
„In dieser Flüssigkeit kann kein Mensch, kein Lebewesen atmen, geschweige denn einige Minuten darin überleben. Ein Überleben in diesem Monstrum, diesem Sarkophag, über einen längeren Zeitraum halte ich für unmöglich!“, protestiert Lilli. Sie geht einen Schritt zurück und betrachtet das Ungetüm.
„Ich steige da auch nicht rein!“, versichert Eric.
„Ihr beide habt also vergessen, dass jeder Mensch neun Monate lang im Fruchtwasser schwimmt und dabei zu einem Menschen heranwächst. Dieser Sarkophag mit der Flüssigkeit ist für mich als Zeitreisende so etwas Ähnliches wie das Fruchtwasser für ein ungeborenes Kind!“, versichert Aphrodite.
Lilli fragt fassungslos: „Du willst tatsächlich in diesem Monstrum durch Raum und Zeit gereist sein? Bist gar in dieses Ungetüm gestiegen und in die Flüssigkeit eingetaucht? Hast du, Aphrodite, dich freiwillig für lange Zeit so einsperren und quasi lebendig ertränken lassen?“
„Das habe ich sogar sehr oft getan, und es war nicht selten eine Befreiung und Rettung im letzten Augenblick. Immer war es eine sehr schöne Zeit für mich. Dort lebte ich im wahren Paradies!“, versichert Aphrodite und lächelt verträumt.
Eric ist nicht überzeugt und fragt ängstlich: „Mutter, du hast vorhin behauptet, dass ich auch durch Raum und Zeit reisen kann. Muss ich dafür auch in diesen Sarkophag steigen und in diese eklige Flüssigkeit eintauchen?“
„Das musst du, Eric!“, versichert Aphrodite. Sie hofft, dass die Angst vor dem Sarkophag ihn davon abhält, doch noch ein Zeitreisender zu werden.
Eric wird blass und schaut Lilli fragend an.
Lilli hat Angst und will nur noch weg: „Eine noch so verrückte Zeitreise scheint hier Realität zu sein. Dennoch halte ich es in dieser irrealen Welt nicht länger aus. Das ist doch alles nur ein Traum. Okay, ein kollektiver Albtraum. Ich muss hier raus. Ich werde sonst wahnsinnig!“
Die offene Tür ist in diesem Augenblick leuchtend zu sehen. Lilli rennt auf die offene Tür zu. Erst draußen im Schatten der Baumriesen bleibt sie stehen und holt tief Luft. Sie dreht sich um, und hinter ihr stehen Aphrodite und Eric. Die gewaltige Tür ist verschwunden. Alles ist so, als hätte es diese Tür und diese irre Welt dahinter niemals gegeben.
Lilli will es jetzt wissen: „Habe ich das alles eben nur geträumt?“
Eric nimmt Lilli in die Arme und versucht sie zu beruhigen: „Es war leider kein Traum, und doch hast du nichts zu befürchten. Für mich dagegen ist es der absolute Albtraum. Denn ich bin es, der für die Herren der Zeit durch Raum und Zeit reisen soll.“
„Das musst du nicht tun, mein Sohn, wenn du es nicht wirklich aus freien Stücken selbst willst. Ein Auftrag, den man sich nicht wirklich zutraut, kann fatale Folgen haben. Kann dich töten!“, widerspricht ihm Aphrodite und behauptet: „Denn niemand, auch die Herren der Zeit nicht, können dich zu so einer gefährlichen Reise in die sehr ferne Vergangenheit zwingen. Auch eine gefahrlose Rückkehr können dir die Herren der Zeit nicht wirklich garantieren!“
„Deine Mutter hat, so glaube ich es auch, in diesem Fall recht. Niemand kann dich dazu zwingen, in so einen Sarkophag zu steigen. Dann auch noch in der fernen Vergangenheit für ihre Interessen dein Leben riskieren, das geht zu weit“, stimmt Lilli Aphrodite zu.
„Ich weiß es nicht“, erwidert Eric und ist innerlich zerrissen. Diese nun für ihn real gewordene Vorstellung, durch Raum und Zeit zu reisen, fasziniert ihn immer mehr. Was ist dagegen schon ein Flug zum Mars oder zu einem fernen Stern? Der Mars ist ein Spaziergang durch einen Park gegen eine Zeitreise. Er soll sogar für die Herren der Zeit hunderttausend Jahre in die Vergangenheit reisen. Das ist total verrückt und doch für ihn vielleicht bald Realität. Selbst die nicht zu leugnende Gefahr, dass er diese Zeitreise nicht überleben könnte, kann ihn nicht schrecken. Denn ausgerechnet seine leibliche Mutter ist der Beweis dafür, dass auch er eine Zeitreise überleben könnte.
Aphrodite holt ihn aus seinen Überlegungen: „Ich weiß, Eric, dass das Abenteuer Zeitreise dich vielleicht so magisch anzieht, dass alle Risiken verblassen. Doch bedenke, mein Sohn, es kann tatsächlich ein Abenteuer ohne Wiederkehr sein. Denn der Tod war oft mein Begleiter, wenn ich durch Raum und Zeit gereist bin. Dass ich hier vor dir stehe, ist das eigentliche Wunder!“
„Ich weiß, Mutter“, erwidert Eric und schlägt vor: „Lass uns zurückkehren. Wir haben genug gesehen, und ich glaube dir jetzt!“
„Gut, gehen wir. Mir ist das alles zu viel. Ich glaube gerade, dass ich verrückt werde!“, stimmt Lilli ihnen zu. Sie weiß selbst nicht mehr, was sie noch glauben oder nicht glauben soll. Ihre alte Gedankenwelt hat sich gerade in einem Nebel für immer aufgelöst. Sie muss sich von Eric stützen lassen, sonst verliert sie den Halt unter ihren Füßen.
Gemeinsam, Hand in Hand, gehen sie schweigend zurück.
Dass Eric vielleicht doch Feuer gefangen hat, belastet Aphrodite extrem. Wahr ist, gelingt ihm das Wunder, den Kristall, diesen uralten Datenspeicher, zu holen, ist er ein Superstar. Sie gönnt es ihrem Sohn von Herzen, doch die Risiken seiner Zeitreise kann sie nicht wie Staub vom Tisch wischen. Ihren Sohn will sie um keinen Preis der Welt verlieren.
Sie haben gemeinsam am Pool Platz genommen und Lilli schlägt Eric vor: „Eric, bevor du überhaupt diesem Irrsinn zustimmst, musst du vorher alles erfahren, was auf dich zukommen könnte. Auch alle Gefahren und Risiken, die möglich sind!“
Aphrodite versichert: „Natürlich wird Eric alles Nötige für seinen Auftrag erfahren. Es wird eine intensive Vorbereitung geben. Du, Lilli, und auch ich werden nicht alles über seinen Auftrag erfahren. Die Zeitreise wird der Öffentlichkeit vorenthalten. Die Geschichte der Erde und der Menschheit wird umgeschrieben werden müssen, wenn er erfolgreich von seiner Mission zurückgekehrt ist. Auch dann wird die Öffentlichkeit natürlich nicht informiert. Zeitreisen bleiben auch in Zukunft ein Tabu!“
Eric spottet: „Ausgerechnet du willst mir jetzt also diesen Auftrag schmackhaft machen!“
„Ich bin deine Mutter und will immer nur dein Bestes. Aber auch ich werde nicht ewig leben. Das Leben als Zeitreisende gebe ich an dich weiter. Darum ist diese Zeitreise aus meiner Sicht ein Scheideweg. Triff keine übereilte Entscheidung. Es ist spät für uns geworden. Geht zu Bett, Kinder. Überschlaft alles. Morgen wissen wir vielleicht mehr!“, schlägt Aphrodite beiden vor.
Eric und Lilli verabschieden sich und gehen in ihr Zimmer.
Aphrodite will noch etwas länger am Pool bleiben und zu den Sternen aufschauen.
Am Mittagstisch diskutiert Aphrodite mit Doktor Gupta. Sie fragt aufgebracht: „Du bist wirklich der Ansicht, dass es unendlich viele Welten gibt? Dann soll die Zeit überall eine andere sein?“
„Genau das sehe ich so. Die Existenz der dunklen Energie und Materie ist der Beweis für meine Theorie!“
Aphrodite runzelt die Stirn. „Was hat die dunkle Energie und Materie damit zu tun?“
„Das erkläre ich dir gern an einem einfachen Beispiel. Stell dir die dunkle Energie und Materie wie das Wasser in einem Ozean vor, das alles miteinander verbindet. In diesem Wasser schwimmen – wie Meeresbewohner – die einzelnen Galaxien und Universen. Die dunkle Energie und Materie ist die Ursuppe, der ewige Stoff, aus dem immer wieder neue Universen entstehen oder in den sie zurückfallen.“
„Aber das erklärt mir immer noch nicht, aus was diese dunkle Energie und Materie bestehen könnte!“, entgegnet Aphrodite skeptisch.
Doktor Gupta nickt bedächtig. „Das ist genau das Problem. Was ist dieses Zeug nur? Es lässt sich einfach nicht greifen.“
In diesem Moment tritt Lilli zu Aphrodite und sagt mit eindringlicher Stimme: „Aphrodite, ich muss dringend mit dir über Erics Auftrag sprechen. Es duldet keinen Aufschub!“
Aphrodite seufzt genervt. „Schickt dich mein Sohn wieder feige vor? Kann er nicht selbst mit mir reden?“
Lilli bleibt standhaft. „Dein Sohn schickt mich nicht zu dir. Aber ja, es geht um ihn. Es ist wirklich wichtig!“
Aphrodite wendet sich an Doktor Gupta. „Entschuldige, mein Freund. Schon wieder muss ich gehen, ohne deine Theorie wirklich zu verstehen. Familienangelegenheiten haben Vorrang.“
Doktor Gupta lächelt gelassen. „Geh nur. Die dunkle Materie kennt keine Zeit!“
Aphrodite dreht sich zu Lilli. „Wo wollen wir reden?“
„Am besten entspannt im Pool. Dort können wir das Problem ‚Eric‘ besprechen“, schlägt Lilli vor.
„Gut. Ein paar Runden im Wasser hatte ich mir ohnehin vorgenommen“, stimmt Aphrodite zu. Gemeinsam gehen sie zum Pool.
Am Pool lässt Aphrodite ihr Kleid fallen und springt, wie alle hier, nackt ins warme Wasser. Die Frauen schwimmen Seite an Seite, und Lilli kommt ohne Umschweife zum Punkt: „Ich wurde gestern nach dem Duschen darüber informiert, dass in meinem Ovarium ein reifes Ei auf Sperma wartet.“
„Schön für dich“, entgegnet Aphrodite trocken. „Aber ich hoffe, dass Eric vernünftig genug ist, dich in Ruhe zu lassen.“
Lilli bleibt etwas zurück und sagt mit fester Stimme: „Diese Entscheidung wollte ich allein Eric überlassen.“
Aphrodite lacht spöttisch. „Seit wann in aller Welt überlassen wir Frauen den Männern die Entscheidung, ob wir schwanger werden?“
„Eric hatte gestern angeblich eine wichtige Besprechung, die bis zum späten Nachmittag dauerte“, erklärt Lilli und fährt leiser fort: „Zum Glück hat er sein Kommen rechtzeitig angekündigt. So hatte ich genug Zeit, mich auf seine Ankunft vorzubereiten. Nackt und in eindeutiger Pose habe ich ihn im Bett erwartet. Dass er mich schwängern könnte, habe ich ihm direkt gesagt. Mein Anblick hat seine Wirkung nicht verfehlt.“
„Mein Sohn hat dich also geschwängert“, sagt Aphrodite nüchtern. „Warum erzählst du mir das? Vielleicht wird dein Kind ohne Vater aufwachsen müssen.“
„Eric will sicher sein, dass ich auch wirklich von ihm schwanger bin. Einen weiteren Versuch hätten wir vorerst nicht“, erklärt Lilli.
Aphrodite runzelt die Stirn. „Was hat Eric damit gemeint?“ Doch sie ahnt bereits die Antwort.
Lilli lacht bitter. „Wir hatten noch einmal Sex, und er hat mir versprochen, bald wiederzukommen. Doch die Herren der Zeit werden uns beide bald trennen.“
Aphrodite schließt die Augen. „Ich habe es kommen sehen. Hoffentlich bist du nicht wirklich schwanger.“
„Heute früh wurde mir nach der Dusche die erfolgreiche Schwangerschaft bestätigt“, widerspricht Lilli und fragt: „Was bedeutet es für uns beide, dass er nun doch zu den Herren der Zeit geht? Du musst es doch als Zeitreisende wissen!“
„Es bedeutet nichts Gutes für uns beide“, erwidert Aphrodite und erinnert sich an ihre eigenen Erlebnisse und ersten Kontakte mit Marotti. Damals war es ebenfalls ein Ereignis, das sie erst viel später verstand.
Plötzlich fragt sie Lilli: „Hast du irgendeine Erinnerung an ein mysteriöses Ereignis in deiner Vergangenheit? Ich meine ein Erlebnis, vor allem mit einem Mann, das du damals nicht verstehen konntest. Etwas, das dir sogar abartig vorkam?“
Lilli stöhnt genervt. „Es gab so eine verrückte Begegnung mit einem älteren Herrn. Aber was soll diese dumme Frage? Das hat mit unseren Problemen garantiert nichts zu tun.“
Aphrodite wird merklich unruhig. „Lilli, beschreib mir dieses Erlebnis genau. Lass keine noch so unsinnige Beobachtung aus. Egal, wie verrückt es dir erscheint!“
Lilli zögert einen Moment, dann beginnt sie zu erzählen: „Es war vor einer halben Ewigkeit. Ich habe mit meinen Freundinnen Beachvolleyball gespielt. Wir waren alle splitternackt – hauptsächlich, um die alten Männer zu provozieren und gegen ihre lächerlichen Regeln zu rebellieren. Einmal flog der Ball zu weit und landete direkt in den Händen eines alten Mannes, der uns schon die ganze Zeit beobachtet hatte. Er war natürlich nicht der Einzige, der uns beim Spielen zusah.
Bevor er mir den Ball zurückgab, musterte er mich von Kopf bis Fuß. Und obwohl meine Freundinnen mich immer nur mit meinem Spitznamen ‚Kiss‘ ansprachen, nannte er mich Lilli. ‚Lilli, du bist eine auffallend schöne Frau!‘, sagte er, und dann fügte er hinzu: ‚Es wäre eine Schande, wenn du viele Jahre nur auf den einen Mann warten würdest. Genieße jeden Tag deines Lebens und nutze jede Gelegenheit, die sich dir bietet.‘
Ich war total verwirrt, nahm ihm den Ball aus der Hand und ging zurück zu den anderen. Doch als ich mich umdrehte, war der Mann verschwunden – wie vom Erdboden verschluckt. Die Mädchen behaupteten später, es hätte keinen alten Mann gegeben.“
Lilli schaut Aphrodite fragend an. „Was hat diese wirre Geschichte von damals mit uns beiden heute zu tun?“
Aphrodite nickt nachdenklich. „Vermutlich mehr, als uns lieb ist.“
Lilli runzelt die Stirn. „Ich verstehe dich nicht. Was willst du mir damit sagen?“
„Lass uns an die Liegen gehen“, schlägt Aphrodite vor. „Dort erkläre ich dir, was ich meine.“
Die beiden Frauen legen sich nebeneinander, und für einen Moment herrscht Schweigen. Schließlich dreht sich Lilli zu Aphrodite um und fragt: „Was ist nun mit diesem alten Mann? Was bedeutet dieses irre Erlebnis? Mach es nicht spannender, als es ohnehin schon ist. Ich bin mit den Nerven am Ende!“
Aphrodite atmet tief durch und sagt: „Der alte Mann könnte Eric gewesen sein – als sichtlich gealterter Mann, der seine Zeitreise längst hinter sich hatte. Oder es ist eine Botschaft der Herren der Zeit, dass Eric nie zu uns zurückkehren wird.“
Lilli richtet sich auf. „Das kann nicht sein! Eric war damals ein junger Mann und lebte in einem anderen Reservat. Ich weiß das ganz genau!“
Aphrodite schüttelt den Kopf. „Das schließt es nicht aus. Zeitreisen heben alle Regeln der Logik auf. Eric kann es durchaus gewesen sein.“
Lilli springt auf und schreit: „Das ist verrückt! Du bist verrückt! Dir ist nicht mehr zu helfen!“
„Beruhige dich!“, erwidert Aphrodite ruhig. „Ich erkläre dir, was es bedeutet, durch die Zeit zu reisen.“
Lilli bleibt stehen, ihre Augen funkeln vor Wut und Verwirrung.
Aphrodite fährt fort: „Wenn jemand durch Raum und Zeit reist, hebt er die Grenzen von Ursache und Wirkung auf. Eric wird viele tausend Jahre durch Raum und Zeit reisen. An seinem Zielort in der Vergangenheit könnte er seinen Auftrag in ein paar Wochen erledigen. Aber das ist der seltene Idealfall.
Eine punktgenaue Zeitreise ist technisch unmöglich. Es kann Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, bis er seinen Auftrag abschließt und die Heimreise antreten kann. Eric könnte als alter oder junger Mann zurückkehren – oder gar nicht. Es ist auch möglich, dass er in der Vergangenheit oder in einer fernen Zukunft stranden wird. Wenn er zurückkommt, kannst du schon eine alte Frau sein, und er steht als junger Mann vor dir. Vielleicht war der alte Mann am Strand wirklich Eric, der dich vor seinem Tod noch einmal sehen wollte.“
Lilli schüttelt den Kopf, Tränen steigen ihr in die Augen. „Das ist doch Wahnsinn!“, flüstert sie und beginnt zu weinen.
Aphrodite nickt traurig. „Es mag dir verrückt erscheinen, aber es ist die bittere Realität der Zeitreisen.“
Lilli läuft schluchzend davon, die Vorstellung, dass Aphrodite recht haben könnte, überwältigt sie. Ihr Traum, mit Eric das gemeinsame Kind aufwachsen zu sehen, zerschellt in einem Meer aus Angst und Verzweiflung.
Aphrodite bleibt allein zurück. Sie weiß, dass sie Lilli keinen Gefallen getan hat – doch das sind die Gesetze und Risiken, mit denen jeder Zeitreisende und seine Angehörigen leben müssen.
Eric dreht sich ein letztes Mal zu Lilli und Aphrodite um, die hilflos am Pool stehen und zusehen, wie er sie allein zurücklässt. Beide Frauen kämpfen mit ihren Tränen.
„Geh nicht!“, ruft Lilli verzweifelt.
Aphrodite flüstert mit schwacher Stimme: „Er geht, Lilli. Du kannst ihn nicht mehr umstimmen.“
„Ich bin von dir schwanger!“, ruft Lilli ihm nach, in der Hoffnung, er würde doch noch kehrtmachen.
Eric bleibt stehen, dreht sich jedoch nicht um. „Wir werden unser Kind gemeinsam aufwachsen sehen. Ich verspreche es dir. Aber jetzt lasst mich meinen Weg gehen. Bitte!“ Ohne einen Blick zurück setzt er seinen Weg fort. Er weiß, dass es für alle nur schmerzhafter wäre, wenn er länger bleiben würde.
Seine Entscheidung steht fest: Die Zeitreise ist seine ultimative Chance, in diesem Leben Bedeutung zu erlangen. Wenn er seinen Auftrag erfüllt, wird er ein Held sein – vielleicht sogar ein Held, der die Geschichte der Erde neu schreibt.
Im Park, nicht weit entfernt, leuchtet die Tür, die zu seinem Ziel führt. Ohne zu zögern geht er hindurch und betritt wieder diesen seltsamen Raum ohne Wände. Zwischen einem Sarkophag und einer Dusche bleibt er stehen. Unsicher spürt er, dass er nicht allein ist.
Eine junge Frau erscheint vor ihm.
„Wer bist du?“, fragt Eric irritiert.
Die Frau lächelt kühl. „Deine Mutter zog den väterlichen Freund als Begleitung vor. Du hingegen hast dich für eine schöne, junge Frau mit großen Brüsten entschieden.“
Eric runzelt die Stirn. „Was soll das heißen?“
Die Frau deutet zur Dusche. „Zieh dich aus und geh unter die Dusche. Danach tauchst du in die Flüssigkeit ein. Du hast nichts zu befürchten. Am Ziel erfährst du alles, was du für deinen Auftrag wissen musst.“
„Bist du real oder nur ein Produkt meiner Fantasie?“, fragt Eric misstrauisch.
„Natürlich bin ich ein Kunstprodukt, eine KI“, erwidert sie mit einem Hauch von Spott. „Nenn mich einfach Mira. Und jetzt: geh duschen und dann tauche ab. Wir haben nicht unendlich viel Zeit.“
Zögernd beginnt Eric, sich vor der fremden Frau auszuziehen. Mira setzt sich entspannt in einen Sessel und scheint ihn nicht weiter zu beachten. Trotzdem fühlt sich Eric unwohl, bedeckt schamhaft sein bestes Stück mit beiden Händen und geht zur Dusche.
Nach der gründlichen Reinigung bleibt er vor dem Sarkophag stehen – der Monstermaschine, wie seine Mutter sie nannte.
Hinter ihm meldet sich Mira wieder: „Du musst vollständig eintauchen und dich einfach fallen lassen. Zwing dich nicht zum Atmen. Was danach passiert, ist ein Spiegel deines inneren Ichs – deines unterdrückten Unterbewusstseins.“
„Und was soll mir das bringen?“, fragt Eric und dreht sich zu ihr um. Dabei verzichtet er jetzt darauf, sich weiter zu bedecken.
Mira lächelt. „Tu einfach, was ich dir sage, und am Ende wirst du feststellen, dass es dir sogar gefallen könnte.“
Eric schüttelt den Kopf. „Vertrauen fällt mir schwer. Ja, du bist eine wunderschöne Frau, aber Schönheit ist kein Garant für Ehrlichkeit. Wer weiß, ob du mich nicht in den Tod schickst?“
Mira lacht laut auf. „Du hast dich freiwillig für diese Reise entschieden, Eric. Ich bin die Sprecherin der Herren der Zeit und deine Mentorin. Ich werde dich bei allen zukünftigen Zeitreisen begleiten.“
„Du bist meine Mentorin? Und du wirst in der fernen Vergangenheit bei mir sein?“
„Wo du bist, da bin auch ich“, antwortet Mira lächelnd. „Aber lass dir eines gesagt sein: Ich existiere nur in deinem Kopf. Niemand außer dir kann mich sehen. Ich bin nicht für Sex oder andere Spiele gedacht. Dafür verfüge ich über nahezu göttliche Kräfte. Hast du das verstanden?“
Eric starrt sie an und schüttelt den Kopf. „Das glaube ich nicht. So eine Frau wie du kann kein Produkt meiner Fantasie sein.“
„Nenn mich einfach Mira“, sagt sie knapp.
„Okay, Mira. Und was jetzt?“
„Am Zielort informiere ich dich über die Details deines Auftrags. Fehler können wir uns beide nicht leisten. Jetzt steig in den Sarkophag. Deine Fragen gehen mir langsam auf die Nerven, und die Zeit läuft uns davon.“
Eric wirft einen Blick auf die grüne Flüssigkeit im Sarkophag und spottet: „Ich dachte, für euch sei Zeit relativ?“
Mira bleibt gelassen. „Spiel hier nicht auf Zeit. Tauch ein! Und keine Sorge, die Flüssigkeit ist warm.“
Eric steckt zögernd einen Finger hinein. „Was ist das?“
„Das musst du nicht wissen“, antwortet Mira scharf. „Tauch endlich ein. Ich schließe dann den Deckel.“
„Kann ich den Deckel von innen öffnen?“, fragt Eric nervös.
Mira lächelt kalt. „Nein. Du kannst nicht einfach aufstehen und aussteigen. Ein zu früh geöffneter Sarkophag würde deinen sicheren Tod bedeuten. Ich kontrolliere, wann und wo du aussteigst. Du musst mir vertrauen.“
Eric nickt widerwillig. „Okay, ich mache es. Mal sehen, was auf mich zukommt.“
„Keine Zeit mehr für Dummheiten. Rein mit dir!“, fordert Mira und fügt zynisch hinzu: „Ihr Männer seid wirklich die größte Fehlentwicklung der Evolution.“
Zitternd steigt Eric in den Sarkophag. Die warme, grüne Flüssigkeit schließt sich um seinen Körper. Nur sein Kopf ragt noch heraus.
„Runter mit deinem Kopf. Ich schließe jetzt den Deckel!“, sagt Mira mit Nachdruck.
Eric schließt die Augen, zwingt sich, seine Angst zu unterdrücken, und taucht schließlich vollständig in die Flüssigkeit ein, während sich der massive Deckel des Sarkophags über ihm schließt.
Eric schlägt die Augen auf und hustet die letzten Reste der grünen Flüssigkeit aus seiner Lunge. Es dauert eine geraume Zeit, bis er realisiert, dass er seine schöne Traumwelt gerade verlassen hat. Zunächst will er sich stur der neuen Realität verweigern. Es ist unangenehm kalt – genauso kalt wie die grausame Realität des Lebens, die ihn viele Jahre geprägt hat. Unbeholfen steigt er aus dem Sarkophag und geht zur Dusche. Erst unter dem warmen Wasserstrahl beginnt er widerwillig zu akzeptieren, dass die Welt der Fantasie, seine geliebte Anderswelt, unwiederbringlich hinter ihm liegt. Noch vor wenigen Momenten war er mit seiner Göttin Gisa im Meer baden. Hatte er ihr nicht eben noch zugelächelt, als sie vor seinen Augen im Nebel verschwand?
Unter der Dusche sucht er nach der übermächtigen Herrin der Zeit, die sich ihm als Mira vorstellt. Ihr hat er es zu verdanken, dass er sein geliebtes Paradies und seine Göttin verlassen musste. Er weiß nicht, ob er diese Frau dafür hassen oder ihr dankbar sein soll. Die bittere Realität ist, dass er ohne Mira diese Anderswelt nie so real hätte erleben können. Innerlich zerrissen und maßlos unglücklich, bleibt ihm nur die Erkenntnis, dass es keinen Weg zurück gibt.
Plötzlich steht Mira tatsächlich vor ihm und hält einen Bademantel in den Händen.
Dass er nackt vor ihr unter der Dusche steht, ist ihm gleichgültig. Er kann diese Frau, die mächtiger erscheint als alle Götter der Menschheit, weder greifen noch bestrafen. Sie existiert nur in seinem Kopf. Widerwillig akzeptiert er, dass er ihr gehört – sie hat die volle Macht über ihn.
Mira lächelt ihn gewinnend an und reicht ihm den Bademantel. Sie spürt, dass sie ihn in diesem Moment nicht auf ihrer Seite hat, und muss dies schnell ändern. „Hat mein Traumtänzer lange genug geduscht?“ fragt sie versöhnlich. „Du hast es dir in der Anderswelt recht gut gehen lassen. Aber jetzt ist Schluss mit Lustig. Ich gebe dir mein Wort: Deine Göttin Gisa wartet auf dich, sobald du deinen Auftrag erfüllt hast und die Heimreise antreten kannst. Doch vorher gibt es eine Menge zu besprechen!“
„Leider war das Erlebnis mit der wunderschönen Gisa nur ein Traum“, klagt Eric und greift nach dem Bademantel. Anschließend nimmt er ihr gegenüber im Sessel Platz. Die fehlenden Wände und Fenster irritieren ihn. Dieser Raum ist so ganz anders als seine Traumwelt. Okay, denkt er, er ist in einer Zeitmaschine.
„Sind wir am Zielort angekommen – tatsächlich in dieser verdammt fernen Vergangenheit?“ will er wissen. „Was soll es denn groß zu besprechen geben? Es reicht doch, den fetten Mönchen etwas Gold in die Hände zu drücken, und wir können den Kristall mitnehmen. Mit dem Ding in der Hand geht’s zurück in unsere Zeit!“
Mira lächelt gequält und entgegnet: „So einfach ist es leider nicht. Wir befinden uns seit Monaten im Orbit über der Erde. Dich haben wir noch etwas länger träumen lassen. Unter uns, gerade auf der Nachtseite der Erde, liegt das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Es ist das Jahr 1504. Der genaue Tag und Monat sind unwichtig. Der Frühling geht langsam in den Sommer über. Damit du es besser einordnen kannst: Nach christlicher Zeitrechnung bist du hier im Jahr 1504. Wir sind dafür gigantische hunderttausend Jahre in die Vergangenheit gereist.
Vor etwas mehr als zehntausend Jahren begann hier die neolithische Revolution. Die Wissenschaftler unserer Zeit sprechen von der Ära, in der die Menschen das Nomadenleben aufgaben und sich vor allem an Flüssen wie Euphrat und Tigris niederließen. Sie entwickelten eine primitive Feld- und Viehwirtschaft, um sich selbst zu versorgen. Nach der Entdeckung des Feuers war das die bedeutendste Revolution in der Geschichte der Menschheit.