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Die Zeitreisende hat schon in den letzten Teilen unzählige Abenteuer überstanden. Als Bordärztin Maria Lindström reiste sie mit dem Raumschiff zum Pluto und kehrte nach dem Sturz durch die Zeit zurück auf die Erde. Doch sie landete in der Welt der Antike. Kapitale Fehlentscheidungen endeten für sie in der Sklaverei. Als Hure Roms musste sie unter dem Namen Aphrodite fortan den Männern dienen. Ihr Weg aus der Sklaverei war lang und beschwerlich. Nur ihr unerschütterlicher Glaube an die Liebe und die Hoffnung, doch eines Tages in ihre Welt zurückkehren zu können, gaben ihr die Kraft, alles zu überstehen. Nach unzähligen und für sie schrecklichen Abenteuern zu Macht und Reichtum gelangt, ließ sie einen Tempel errichten. Dort verbarg sie ihre Botschaft an die Menschen der Zukunft. In den Wirren des Sklavenaufstandes blieb ihr nur die Flucht mithilfe der Herren der Zeit. Für diese erkundete sie den Planeten der Frauen und suchte auch im nächsten Teil, im vierten Jahrtausend, nach Lösungen für die langsam dahinsiechende Menschheit. Sie entdeckte, dass es doch Hoffnung für die Menschen dieser Zeit gibt. Es sind die Frauen, die den Aufstand proben. Sie verließ diese Zeit mit gemischten Gefühlen. Wird es den Frauen gelingen, die Unsterblichen zu entmachten? Wird sie je erfahren, wie die Zukunft dort sein wird? Doch nun soll sie nach so einem langen Weg durch Raum und Zeit endlich zurückkehren in ihre Welt, die sie mit dem Flug zum Pluto verlassen musste. Wird nun alles so sein, wie zuvor? Werden Schwester Ana und Bruder Jörn der Amerikanerin Susan Brown glauben, dass sie die vor mehr als 20 Jahren verschollene Maria Lindström ist? Wird sie endlich wie eine normale Frau leben können, ohne Hurendienste und Gewalt? Will sie in ihrer Welt bleiben oder sehnt sie sich nach ihren Kindern und dem Leben in der Antike? Der Autor hat mit der 2. Auflage sein Erstlingswerk sehr stark überarbeitet und die kritischen, trotzdem begeisterten Hinweise berücksichtigt.
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Seitenzahl: 829
Veröffentlichungsjahr: 2013
Hardy Manthey
Die Zeitreisende, 8. Teil
elvetica",sans-serif'>Rückkehr in das 23. Jahrhundert
Ein fantastischer Roman
2., stark überarbeite Auflage
ISBN 978-3-86394-920-4 (E-Book)
Titelbild: Ernst Franta
© 2013, 2017 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
Die Zeitreisende hat schon in den letzten Teilen unzählige Abenteuer überstanden. Als Bordärztin reiste sie mit dem Raumschiff zum Pluto und kehrte nach dem Sturz durch die Zeit zurück auf die Erde. Doch sie landete in der Welt der Antike. Kapitale Fehlentscheidungen endeten für sie in der Sklaverei. Als Hure Roms musste sie fortan den Männern dienen. Ihr Weg aus der Sklaverei war lang und beschwerlich. Nur ihr unerschütterlicher Glaube an die Liebe und die Hoffnung, doch eines Tages in ihre Welt zurückkehren zu können, gaben ihr die Kraft, alles zu überstehen. Nach unzähligen und für sie schrecklichen Abenteuern zu Macht und Reichtum gelangt, ließ sie einen Tempel errichten. Dort verbarg sie ihre Botschaft an die Menschen der Zukunft. In den Wirren des Sklavenaufstandes blieb ihr nur die Flucht mithilfe der Herren der Zeit. Für diese erkundete sie den Planeten der Frauen und suchte auch im nächsten Teil, im vierten Jahrtausend, nach Lösungen für die langsam dahinsiechende Menschheit. Sie entdeckte, dass es doch Hoffnung für die Menschen dieser Zeit gibt. Es sind die Frauen, die den Aufstand proben. Sie verließ diese Zeit mit gemischten Gefühlen. Wird es den Frauen gelingen, die Unsterblichen zu entmachten? Wird sie je erfahren, wie die Zukunft dort sein wird?
Doch nun soll sie nach so einem langen Weg durch Raum und Zeit endlich zurückkehren in ihre Welt, die sie mit dem Flug zum Pluto verlassen musste. Wird nun alles so sein wie zuvor? Erfahren Sie es hier, in diesem Teil.
Viel Vergnügen wünscht Ihnen dabei
Hardy Manthey
Etwas unbeholfen steigt Aphrodite aus dem Sarkophag. Sie fühlt sich sehr wohl. Etwas verwundert blickt sie in das ernste Gesicht Marottis. Dass sich die Herren der Zeit so ernst zeigen, irritiert Aphrodite. Er schweigt lange. Irgendwie ist ihr in diesem Moment auch nicht danach, das Wort an ihn zu richten. Das Bauchgefühl verbietet ihr es ganz einfach. Offensichtlich herrscht hier dicke Luft. So blickt sie etwas verlegen nach unten und sieht auf den ersten Blick, dass alles an ihr wieder am rechten Platz ist. Sie ist wieder die alte und ewig junge Aphrodite. Nur ihre Brüste erscheinen ihr erneut noch etwas üppiger. Die Männer kennen echt kein Maß. Noch zwei Nummern größer und sie muss extra starke BH`s Marke Hauszelt tragen. An den Hüften und am Hintern ist alles wohlwollend rund. Dort ist nichts über die Maßen ausladend. Es ist halt eben ganz, wie es bei einer Frau sein sollte. Nackt kann sie sich so vor den Männern sehen lassen. Sie ist eine perfekt gebaute Frau. Also kann sie nicht der Grund seiner schlechten Laune sein.
Marotti ringt sichtlich nach Worten und erklärt schleppend: „Hallo, Aphrodite. Du bist wie immer umwerfend schön. Die etwas größeren Brüste bitte ich zu entschuldigen. Sie haben uns so viel besser gefallen. Ist es so okay?“
„Ist schon okay so!“, erwidert sie und blickt dabei auf ihre neuen Brüste herab. Die meisten Frauen würden sie um ihre schönen runden und festen Brüste beneiden.
„Ich begrüße dich im dreiundzwanzigsten Jahrhundert, Aphrodite! Hast du die Reise durch die Zeit gut überstanden?“
„Glaube schon!“, antwortet Aphrodite, geht wortlos an ihm vorbei und steuert den Wandspiegel an. Sie ist mit dem, was sie sieht, sehr zu frieden. Jetzt hat sie keine roten Haare mehr und die fünf goldenen Sterne auf ihrem Oberarm fehlen zum Glück auch. Sie dreht sich gut gelaunt vor dem Spiegel. Die Herren der Zeit haben sauber gearbeitet. Es ist alles zum Besten. Ehrlich, was anderes hatte sie auch nicht erwartet. Sie ist wieder die perfekte Frau und alles ohne Diät oder schweißtreibenden Sport. Ist diese Perfektion dieses Mal zu ihrem Nutzen oder wie immer zu ihrem Schaden? Aphrodite dreht sich zu Marotti um, sucht dabei aber etwas zum Anziehen. Ach ja, die Kleidung könnte wie immer neben der Dusche hängen.
Dass Marotti immer noch mit finsterer Mimik neben ihr steht, könnte sie besser verkraften, wenn er wenigstens ihr tolles Aussehen loben würde. So geht sie etwas beleidigt unter die Dusche, um auch den letzten Rest der grünen Flüssigkeit los zu werden. In der Dusche lässt sie das volle Programm ablaufen. Dieses Mal genießt sie besonders die Seitenstrahler. Dass der Mann sie dabei die ganze Zeit beobachtet, genießt sie. Nach der Dusche kämmt sie erst ihr langes Haar durch. Es ist endlich wieder so schön goldblond wie früher. Selbst verliebt betrachtet sie sich erneut. Nicht ein Fältchen findet sie im Spiegel. Tatsächlich sind ihre Brüste größer und dennoch von erstaunlich festem Halt. Der Bauch ist wieder fest und flach. Die kleine Speckrolle dort ist weg. Ihr prächtiger Venushügel mit dem üppigen goldenen Schamhaar ist ein kleiner, dreieckiger Teppich aus unzähligen Locken. Sie kämmt mit ihren Fingern das drahtige Haar durch. Der Test mit dem Finger bestätigt, dass sie keine Jungfrau ist. Eine Jungfrau muss sie wirklich nicht sein. Soweit wollten es die Herren der Zeit bei ihr doch nicht mit der Verjüngung treiben. Ihre Beine sind ebenmäßig, formschön und ganz ohne Haare. Nur der Po ist ihr dieses Mal doch etwas zu drall. Oder war der Po bei ihr schon immer so ausladend? Na ja, Männer lieben üppige Hinterteile bei Frauen. Dass die Herren der Zeit Männer sind und sich an ihr bei der Gestaltung ihrer Figur genüsslich austoben, ist eben nicht zu verhindern. Es scheint ihnen Spaß zu machen, sich die Frau ihrer Träume zu basteln. Sie selbst ist machtlos und muss alles ertragen. Ihr perfekter Körper könnte wieder mehr Gefahren als Gewinn für sie bringen.
Marotti steht ein paar Schritte neben ihr. Dass er ihre Schönheit nicht lobt, nervt jetzt langsam. Sie will endlich von ihm gelobt werden. Eine Frau braucht das einfach. Männer können sich eben nicht so benehmen, wie wir Frauen es gerne hätten. Weil sie keine Sachen zum Anziehen liegen sieht, wendet sie sich endlich doch an Professor Marotti und fordert: „Wo sind meine Sachen? Ist was schief gelaufen mit meiner Zeitreise? Bin ich in der falschen Zeit gelandet? Muss ich wieder zurück in den Sarkophag? Sind deshalb keine Sachen zum Anziehen da? Oder geilt es euch auf, mich die ganze Zeit nackt zu sehen?“ Sie dreht sich gleichzeitig vor ihm und hofft endlich auf seine lobenden Worte.
„Nun sagt es mir schon, Professor, was ist passiert? Was ist los? Euer beharrliches Schweigen nervt gewaltig!“
Marotti blickt sie sehr ernst an und ringt nach Worten: „Vorab, du bist an allem wirklich nicht schuld. Du bist auch ganz nach Plan und Verabredung im dreiundzwanzigsten Jahrhundert angekommen. Es gab keine Probleme und auch keine Pannen auf dem Weg in die Vergangenheit, die für dich Zukunft ist. Alles ist perfekt an dir. Du bist eine wunderschöne Frau. Eben umwerfend schön wie immer!“
„Danke!“, erwidert Aphrodite erfreut. Er kann es also doch, wenn er will. Voller Stolz dreht sie sich noch einmal vor ihm. Der Wandspiegel zeigt ihr eine wunderschöne Frau.
Marotti mit bleierner Stimme: „Die passende Kleidung bekommst du auch noch rechtzeitig, Aphrodite! Du bist so schön anzuschauen. Gönn uns Männern doch das kleine Vergnügen, deine unvergleichliche Schönheit noch etwas zu genießen. Es ist eine Sünde, dass eine so schöne Frau Kleider tragen muss. Das wird mir bei deinem Anblick immer wieder bewusst. Ich bedauere es zutiefst, dass ich dich nicht anfassen kann. Zu gern hätte ich deine Brüste geknetet und dir in den drallen Hintern gekniffen. Es muss ein tolles Gefühl sein, deinen schönen Körper zu streicheln. Meine Sensoren nehmen nur deinen betörenden weiblichen Duft war. Bei dir möchte ich wirklich ein sterblicher Mensch aus Fleisch und Blut sein. Ich könnte dann deinen weichen Körper spüren und in vollen Zügen genießen. Ich bin mir sicher Aphrodite, du würdest dich mir nicht verweigern!“
Aphrodite registriert zwar wohlwollend, dass er endlich ihre Schönheit lobt. Etwas ist aber anders. Sie spürt deutlich, dass es aufgesetzt wirkt. Sie ist sauer auf ihn und klagt: „Es ist wahr, Ihr könnt mich haben. Ich gehöre Euch. Euch könnte ich keinen Wunsch ausschlagen. Ihr seid der Mann, der wirklich alles von mir verlangen kann. Doch das ist nicht unser Problem. Verkauft mich nicht für dumm, eine Frau spürt es einfach, wenn etwas schief gelaufen ist. Sagt mir bitte endlich die Wahrheit!“
Marotti wird jetzt sehr ernst und erklärt mit schwerer Zunge: „Wir haben lange überlegt, ob wir es dir überhaupt beichten sollen. Aber es ist doch besser, wenn du es erfährst! Wir wollen ehrlich zu dir sein. Das sind wir dir schuldig.“
„Was muss ich erfahren?“, fragt Aphrodite schon etwas unsicher darüber, ob sie diese Hiobsbotschaften überhaupt hören möchte.
Marotti wirkt immer noch verlegen, schaut weg und berichtet: „Deine doch recht erfolgreiche Mission hat leider noch einen bitteren Beigeschmack bekommen. Du hast ungewollt den Untergang der Unsterblichen beschleunigt. Die Menschheit ist jetzt tatsächlich raus aus der verdammten Sackgasse!“
Aphrodite spöttisch: „Hat etwa die von uns aufpolierte Aphrodite Dolores Montes vereint mit den Widerstandskämpferinnen die Weltrevolution doch noch angezettelt? Oder hat es tatsächlich ein Prinzensöhnchen, ein Nachkomme aus dem Haus Windsor, geschafft, das Ruder für eine Veränderung herumzureißen?“
Marotti lacht bitter: „Oh, deiner Aphrodite Montes ging es gut, wenn du es wissen willst. Sie brauchte sich bis an ihr Lebensende um Geld und Männer keine Gedanken mehr machen. Du warst ja sehr großzügig. Sie ist übrigens hundertvierunddreißig Jahre alt geworden. Dein Prinz hat auch, wie du prophezeit hast, tatsächlich seine Frau noch geschwängert, bevor er sich endgültig verabschiedet hat. Das aber nur dank seiner aufgetauten Spermien, versteht sich, die du ihm übrigens mit deinen Liebeskünsten entlockt hast!“
„Wie verabschiedet? Nun lasst Euch doch nicht alles aus der Nase ziehen. Legt die Karten endlich auf den Tisch und sagt endlich, was los ist? Verdammt, was ist passiert?“
Marotti zeigt endlich auf ein großes Tuch. Sie greift danach und wickelt es sich um den Körper. Dann folgt sie ihm in den Nebenraum an den Tisch und setzt sich in den Sessel.
Marotti wirkt immer noch sehr unsicher auf sie. Wenn die Herren der Zeit sich so schwer mit der Wahrheit tun, muss Gewaltiges geschehen sein, denn sonst sind sie ja auch nicht gerade zimperlich. Doch wenn sie hier krampfhaft um Worte ringen, erwartet sie jetzt etwas Außergewöhnliches. Darum macht es sich Aphrodite sicherheitshalber im einzigen Sessel so richtig bequem. Nervös rückt sie ihr Tuch am Busen etwas zurecht und blickt Marotti fragend an.
Der Mann beginnt sich kurzzeitig vor ihr etwas aufzulösen. Doch dann scheint er sich gefasst zu haben und erklärt mit schleppenden, bedächtigen Worten: „Noch einmal vorweg, dir kann wirklich keiner einen Vorwurf machen. Es ist einzig alleine unsere Schuld und unsere Unachtsamkeit, nein Dummheit!“
Aphrodite explodiert gleich und keift wütend: „Nun lasst Euch nicht so lange bitten! Ihr Männer seid wirklich schrecklich komplizierte Wesen! Sagt es einfach frei heraus, sonst platze ich gleich vor Ungeduld!“
Marotti scheint wie ein echter Mensch tief Luft zu holen und behauptet: „Als du die Erde Ende des vierten Jahrtausends betreten hast, bist du nicht alleine gekommen!“
„Wie nicht alleine?“, fragt Aphrodite und begreift überhaupt nichts. Wer soll diesen Mann verstehen?
„Du hast den tödlichen Erreger des weiblichen Planeten mitgebracht. Der Erreger verbreitete sich durch deine Kontakte zu den Männern am Anfang völlig unbemerkt. Das Heimtückische an diesem Erreger aber ist, dass er sich lange unbemerkt im Körper des Menschen aufhalten kann, ohne ihm sichtlich zu schaden. Besser gesagt, er hält sich bevorzugt im Körper einer Frau auf. Völlig ungestört, ohne Schaden für jede Frau, vermehrt er sich und wird über Atmung, Speichel und natürlich vor allem beim Sex leicht auf den Mann übertragen. Deine Vagina war eine echte Virenschleuder. Der Erreger beteiligt sich am Anfang seiner Entwicklung im Körper eines Mannes fleißig an der Beseitigung anderer gefährlicher Erreger. Doch das ist lange nicht alles. Wie die Sonne der Erde ist auch die Sonne des weiblichen Planeten in bestimmten Zyklen aktiv durch verstärke Sonnenwinde und andere Kraftfelder. Das ist etwas ganz Normales. Dieser heimtückische Erreger spürt diese Sonnenzyklen und versteht sie als Signal. Ab dann ändert der Erreger sein Ziel und wird zum Killer. Zu dieser Zeit hat er sich schon in Massen bei Tausenden von Menschen vermehrt. Er greift zuerst nur die männlichen Geschlechtsorgane und das Immunsystem an. Später, unter später sind einige Stunden zu verstehen, geht der Erreger über die Blutbahn auch ins Gehirn. Binnen achtundvierzig Stunden ist der infizierte Mann tot. Die Frau aber profitiert aufgrund ihres anderen Hormonhaushaltes sogar von diesem Erreger. Sie ist nur Wirt und wird durch die erhöhte Fettverbrennung, die der Erreger verursacht, schlanker. Der Erreger stimuliert die Frau sogar sexuell. Vor allem alle weiblichen Hormone werden aktiv. Der Erreger hat weitere positive Seiten. So beseitigt er bei Frauen und Männern alle Arten von Krebs. Krebskranke werden in kürzester Zeit völlig gesund. Doch mit dem Signal aus dem All tötet er den Mann am Ende doch. Die Pandemie begann knapp drei Jahre nach deinem Verschwinden. Es war also Zeit genug, Tausende Unsterbliche zu infizieren. Als Erstes hat der Erreger zwei Drittel der Unsterblichen in nur wenigen Tagen umgebracht. Das kam ihrer Entmachtung gleich. Auch die wenigen unsterblichen Frauen überlebten die Männer nur, wenn sie noch genug weibliche Hormone hatten. Sie wurden aber wieder Sterbliche. Wenige Jahre später sind auch sie von der Bildfläche verschwunden. Ein geringer Teil der sterblichen geschlechtsreifen Männer erkrankte auch. Doch dank noch vorhandener Forschungskapazitäten konnten, anders als auf dem weiblichen Planeten, viele Männer rechtzeitig gerettet werden. Die Forscher entdeckten, dass die Frau in ihren Eierstöcken das Gegenmittel produziert. Der millionenfachen Opferbereitschaft der Frauen ist es zu verdanken, dass viele Männer gerettet werden konnten. Von tausend erkrankten Männern starb jetzt tatsächlich höchstens noch ein Mann. Trotzdem hat diese fürchterliche Pandemie unzähligen Männern das Leben gekostet. Bis die Seuche eingedämmt werden konnte, sind auf der ganzen Erde etwas mehr als hunderttausend Männer umgekommen. Eine Katastrophe für die Menschheit. Aber es gab davor schon schlimmere Katastrophen mit weit größeren Opfern, das weißt du ja auch. Die Gesellschaft des vierten Jahrtausends ist jetzt völlig verändert. Du hast also ungewollt ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen. Es wird dich freuen, dass die Frau jetzt endlich den Platz in der Gesellschaft erhalten hat, der ihr schon immer zustand. Sie ist nicht nur gleichberechtigt dem Mann gegenüber, sondern hat durch den akuten Männermangel in der Politik und Gesellschaft teilweise die Führung übernommen. Nein, Aphrodite, ein weiblicher Planet ist es natürlich nicht geworden. Übrigens brauchst du keine Angst zu haben, mit dir wird der Erreger natürlich nicht in Verbindung gebracht. Mit dem Untergang der Unsterblichen ist auch jede Nachricht von dir erloschen. Deine Aphrodite Montes hat ihr und dein Geheimnis mit ins Grab genommen. Sie hatte übrigens den Untergang der Unsterblichen sehr wohl mit dir in Verbindung gebracht!“
„Wisst ihr noch mehr über die Zukunft des vierten Jahrtausends? Ich meine, hat sich die Gleichberechtigung der Frau und auch die Menschheit positiv weiterentwickelt?“, fragt Aphrodite.
Der Professor nickt und erklärt: „Wir haben uns über eine Frau zweihundert Jahre später das Leben der Menschen angeschaut. Technische Intelligenzen sind nur noch Begleiter und Berater. Viele Frauenberufe sind wieder entdeckt worden. So gibt es dort für Frauen wieder Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern und diverse Pflegedienste, die von Menschen für Menschen arbeiten. Es gab eine Rückbesinnung auf menschliche Werte. Leider gibt es vor allem noch Männer, die zu keiner Arbeit zu bewegen sind. Die Raumfahrt hat gigantische Ausmaße angenommen. Der Mars wird erschlossen. Weil die Unsterblichen dich als biometrisches Modell tausendfach gespeichert hatten, hat dich eine Künstlerin entdeckt. In Berlin stehst du nach viertausendfünfhundert Jahren wieder als Brunnenfigur im Ehrenhain für die Heldinnen des Kampfes der Frauen gegen die Unsterblichen. Natürlich bist du wieder völlig nackt. Nur dieses Mal erhebst du kämpferisch ein Schwert hoch in die Luft. Tausende Männer haben sich in dich verliebt. Tausende Frauen erdulden schmerzhafte Operationen, um deinem Ideal nahezukommen. Du bist das Ideal einer Frau schlechthin in dieser Zeit geworden.“
„Das ist zu viel der Ehre“, spottet Aphrodite.
„Unterschätze deinen Anteil am Erfolg nicht. Dass du Idealmaße hast, kannst du nicht leugnen. Du bist der perfekte Männertraum aus Fleisch und Blut!“
„Die Wendung zum Guten in der Zukunft beruhigt mich ungemein. Aber gefährde ich jetzt auch die Männer hier im dreiundzwanzigsten Jahrhundert? Der Erreger kann noch in mir sein“, warnt ihn besorgt Aphrodite. Sie denkt jetzt auch an die vielen Männer, die sie dort mit ihren Liebesdiensten am Ende doch getötet hat. Wie in einem Film tauchen viele ihrer Liebhaber noch einmal vor ihren Augen auf. Sie alle hat sie umgebracht. Die Männer sind ihr aber keine einzige Träne wert. Für die Männer war sie doch auch nur eine dreckige Hure.
„Keine Sorge, Aphrodite, wir haben dazugelernt. Wir haben den Erreger in dir ausgemerzt. Du brauchst jetzt nichts mehr zu befürchten. Du bist jetzt wirklich kein wandelnder tödlicher Virus mehr, der Männer reihenweise in den Tod schickt!“, versichert ihr Professor Marotti stolz.
Aphrodite ist jetzt ernst und wütend gleichzeitig: „Professor, so eine Panne darf nicht noch einmal passieren, nie wieder! Aber das wird es wohl auch nicht mehr, denn vielleicht bleibe ich hier bei meiner Schwester. Ich bin mir aber noch nicht schlüssig. Allerdings habe ich meiner Tochter versprochen, zu ihr zurückzukehren.“
„Das musst du alleine entscheiden, Aphrodite. Keiner wird es dir verübeln, wenn du lieber hier in der modernen Welt leben möchtest. Das wird auch deine Tochter sicher verstehen. Aber höre jetzt bitte zu. Leider hast du nicht viel Zeit für Trauer und auch nicht für weitere große Überlegungen. Ich muss dich in deine neue Welt einweisen!“, behauptet Marotti.
„So viel Neues kann das doch nicht sein. Es ist doch die Welt, die ich unfreiwillig verlassen musste. In die Welt des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts wurde ich doch geboren und habe drei Jahrzehnte lang dort gelebt. Meine Kindheit, die Jugend, mein Studium und meine erste Liebe habe ich dort erlebt. Ich habe nichts vergessen. Was soll jetzt so anders ein?“, fragt Aphrodite und weiß nicht, was er ihr beibringen will. Sie ist aber auch immer noch in Gedanken bei den Menschen der Zukunft. In einem Wechselbad ihrer Gefühle tauchen nun auch ihre Töchter und Söhne aus den verschiedenen Welten und Zeiten immer wieder auf.
Marotti lächelt jetzt sogar und behauptet: „Du wirst es bald wissen. Logisch ist aber, dass du natürlich nicht als Maria Lindström in Erscheinung treten kannst. Du wirst die Identität einer anderen Frau annehmen müssen. Ich behaupte, dass es die bessere Lösung für dich ist.“
„Ich sehe das anders. Kann ich nicht einfach auf meine Schwester zugehen und sie mit den Worten begrüßen: Hallo Schwesterherz, hier bin ich! Ich bin Maria, deine Schwester, ich umarme dich!“, schlägt Aphrodite vor.
„Das geht niemals gut. Deine Zwillingsschwester ist eine alte Frau und du müsstest auch so alt sein, wie sie es nun mal ist. Vor ihr steht aber eine junge Frau, so schön wie am Tag, als ihr euch das letzte Mal gesehen habt. Ihr Verstand würde sich mit allen Sinnen dagegen wehren, dich als Schwester anzuerkennen. Es widerspricht einfach jeder Logik. Sie wird umgehend die Polizei rufen und dich eine Betrügerin nennen. Wenn du nicht gleich im Irrenhaus landest und man dir Glauben schenken würde, wären es die Medien, die dich zerfetzten. Eine Zeitreisende wäre die Sensation schlechthin!“, behauptet der Professor.
„So habe ich das noch gar nicht gesehen. Wie soll das also vonstattengehen? Wollt Ihr eine unschuldige Frau für mich extra umbringen? So nach dem Motto, auf einen Toten mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an. Da spiele ich aber nicht mit!“
„Nicht ganz so brutal ist unsere Variante. Aber du liegst schon richtig!“, behauptet Marotti und schmunzelt jetzt sogar etwas.
Aphrodite versteht ihn nicht und fragt erstaunt: „Wie nicht ganz? Eine Frau für mich nur halb umbringen? Oder wird die arme Frau für diese Zeit auch wieder im Sarkophag zur Regeneration zwischengelagert?“
„Beruhige dich, Aphrodite, wir sind keine Verbrecher. Ich erkläre es dir!“, erwidert Marotti.
„Das will ich auch hoffen!“, fordert Aphrodite.
Marotti ist jetzt ernst: „Wir konnten über einen geeigneten Probanden im zentralen Rechner des FBI in den USA eine Frau finden, die dir äußerlich sehr ähnlich ist. Du bist nur etwas jünger und natürlich als Frau perfekter gebaut. Es ist uns, das sage ich nicht ganz ohne Stolz, gelungen, dich noch mehr dem Ideal einer Frau anzupassen. Wenn du nicht schon längst die ideale Frau bist!“
„Heuchler!“, faucht Aphrodite ihn an, räumt aber ein, dass die Herren der Zeit gute Arbeit geleistet haben.
Marotti hat ihr Schimpfwort wohl überhört und erklärt unbeeindruckt weiter: „Nun zu dieser Frau, die wir für dich ausgesucht haben. Diese Frau erlag bei einem Verkehrsunfall ihren schweren Verletzungen. Viel konnten wir über sie leider nicht herausfinden. Was wir wissen, haben wir, wie schon gesagt, aus dem Zentralrechner des FBI. Sie ist offensichtlich eine unbescholtene, typisch amerikanische Frau. Wohl auch recht religiös. Von Haus aus sicherlich streng puritanisch erzogen. Uns sind Tag, Stunde, Minute und Ort des Unfalls bestens bekannt. Wir sind nur eine knappe Stunde vor dem Unfall mit dir zurück in die Zeit gereist. Es sind exakt noch achtunddreißig Minuten, bis dieser Unfall geschehen wird. Du musst in eine kleine Landefähre steigen und direkt am Unfallort aussteigen. Mit dem Neutro beseitigst du die tote Frau spurenfrei und setzt dich an ihren Platz ins Unfallauto. Es ist dann deinem Geschick überlassen, so gut wie möglich in die Rolle dieser Frau zu schlüpfen. Am Anfang empfehlen wir dir eine Amnesie. So hast du Zeit, dich in das Leben der Frau langsam einzuarbeiten!“
Aphrodite fragt nervös: „Aber auch mit einer Amnesie als Schutzbehauptung ist das Ganze recht riskant für mich! Wie tickt die durchschnittliche amerikanische Frau? Meine Schwester lebt in den Staaten und die tickt eh schon anders. Überhaupt, wird die Frau auch tatsächlich tot sein? Neutralisiere ich etwa gar eine lebende Frau, eine schwer verletzte Frau, die gerettet werden könnte? Bringe ich sie dann gar erst mit dem Neutro um? Ihr seid dann fein raus aus der Sache und ich bin eine Mörderin!“
Marotti bemüht beschwichtigend: „In der Polizeiakte steht glaubhaft, dass die Frau auf der Stelle tot gewesen sein muss. Gleich mehrere Halswirbel sind gebrochen. Sie wurde durch die Wucht des Aufpralls weit aus dem Wagen herausgeschleudert. Man fand sie in unnatürlicher Körperhaltung außerhalb des Unfallautos. Wenn du die Frau neutralisierst, ist sie mit Sicherheit mausetot. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie doch noch lebt, tritt den geordneten Rückzug an. Wir holen dich ab und überlegen uns einen anderen Weg für dich. An der Zeitschraube können wir beliebig drehen. Also alles schön ruhig angehen! Fehler wollen wir hier gleich am Anfang ausschalten. Dieses Mal soll alles perfekt ablaufen!“
Aphrodite ist noch nicht wirklich beruhigt: „Puh, trotzdem ist das starker Tobak. Ihr macht es mir wirklich nicht leicht. Eurem Versprechen, dass alles glatt abläuft, kann ich aus leidvoller Erfahrung nicht wirklich Glauben schenken. Abgerechnet wird erst immer am Schluss. Überhaupt, greifen wir nicht damit in das Raum- und Zeitgefüge ein?“
„Sicherlich ist es riskant, aber wir haben keine andere geeignete Frau in dem für dich interessanten Zeitraum gefunden. Schließlich willst du nicht nur das Grab deiner beiden Geschwister besuchen wollen. Deine Schwester ist jetzt schon eine alte Frau. Dein kleiner Bruder könnte als erwachsener Mann auch zur Vernunft gekommen sein. Der tatsächliche Eingriff in Raum und Zeit hält sich in Grenzen. In den Nachrichten gibt es dann nur einen Toten. Du selbst wirst das Leben der toten Frau weiterführen. Natürlich darfst du nicht die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werden oder den Papst töten. Das versteht sich doch von selbst!“, behauptet Marotti schmunzelnd.
„Okay, auf die Kandidatur als Präsidentin verzichte ich und ich lasse auch den Papst am Leben. Aber warum überhaupt die USA? Warum muss ich eine Amerikanerin sein? Mir wäre Schweden oder Deutschland viel lieber. Mit der Mentalität der Amerikaner bin ich noch nie so richtig klargekommen. Auch wenn es durchweg gute Erinnerungen sind, die ich mit Florida und überhaupt mit den Staaten habe. Um eine echte Amerikanerin zu sein, muss man dort aufgewachsen sein. Ich bin eine waschechte Schwedin und wohl noch mehr die römische Bürgerin, die vor der Zeitrechnung lebte“, behauptet Aphrodite nachdenklich.
Marotti gibt sich jetzt überrascht. „Ich denke, du willst deine Schwester besuchen? Sie lebt nun mal in den Staaten. Von Deutschland oder Schweden aus in die USA einzureisen, bedarf eines gültigen Reisepasses. Das könnte bei dir schnell zu ernsthaften Komplikationen führen. Im engeren Sinn bist du eine Außerirdische für alle Behörden. Eine neue Identität für dich aufzubauen, wird auch für uns sehr schwer werden. Der Terror in der Welt hat vieles komplizierter gemacht. Biometrische Passbilder, Iriserkennung und Fingerabdrücke erschweren Fälschungen dramatisch. Du musst auch von deiner toten Doppelgängerin schleunigst alle Dokumente vernichten und für dich neue Dokumente anlegen lassen. Das ist schon aufwendig genug und nicht ohne Risiko!“
„Gut, das klingt sogar für mich ganz logisch. Nun erkläre mir schnell, was ich noch alles bei dieser Aktion beachten soll. Das mit den Dokumenten leuchtet mir auch ein. Was gibt es noch zu beachten?“
Marotti nimmt sie mit und reicht ihr in einem anderen Raum Kleidung: „Zieh diese Sachen schon mal an und hör dann bitte aufmerksam zu!“
Aphrodite zieht sich widerspruchslos an. Ihr Geschmack ist es nicht, was sie tragen soll. Es ist ein winziger Slip, der nichts von ihr darunter verbirgt. Oben herum bedeckt eine dünne Bluse notdürftig ihre Brüste. Kein BH liegt für sie bereit. Das können also nur die Sachen sein, die der toten Frau ähneln. Kleidung, die die Ärmste zum Unfallzeitpunkt trug.
Sie fragt besorgt: „Trug die Frau nur diese Sachen am Unfallort? Steht es so in den Akten zum Unfallbericht? Der winzige Slip und der kurze Rock sind eine Zumutung. War die Frau wirklich ohne BH? Komisch, eine puritanisch erzogene Frau ist ohne BH und in dieser dünnen Bluse unterwegs? Unglaublich, meine Brustwarzen sind deutlich unter der Bluse zu sehen. Liegt da vielleicht doch ein Irrtum vor? Diese Sachen passen eher zu einer Hure. Ist Prostitution in den USA nicht verboten? Zieht ihr mich gleich von Anfang an in eine Sache rein, die ich so auf keinen Fall haben will? Ich habe mir geschworen, mich nie wieder zu verkaufen. Nie wieder will ich eine Hure sein!“
„Wenn sie tatsächlich eine Prostituierte gewesen wäre, hätte es hundertprozentig auch so im Unfallbericht des FBI gestanden. Von einer Lehrerin ist dort die Rede“, behauptet Marotti.
„Wollen wir hoffen, dass alles so stimmt. Dann ist angeblich dieses Mal der Frauentausch ohne jedes Risiko? Ist das so?“
Marotti behauptet zuversichtlich: „So wird es wohl dieses Mal sein. Du kannst auch so die Nähe zu deiner Schwester suchen, ohne dich ihr zu offenbaren. Du freundest dich mit ihr an und erfährst so alles, was du wissen willst. Doch jetzt trödele nicht länger herum, die Zeit wird langsam knapp. Ich habe schon im Vorfeld mehr Zeit eingeplant. Ihr Weiber seid immer ein unberechenbarer Faktor. Warum das mit euch Weibern so unberechenbar ist, wird die Wissenschaft wohl nie herausfinden!“
„Ich dulde keine Kritik an uns Frauen! Das sind nur Vorurteile von euch Männern. Ich war schnell genug, basta!“, faucht Aphrodite ihn an. Immer wieder haben die Männer an ihr etwas auszusetzen.
„Genug gekeift. Wir haben wirklich keine Zeit zum Streiten. Folge mir jetzt zur Landekapsel! Unterwegs gibt es noch mehr Informationen für dich. Anders geht es nicht mehr. Die Zeit drängt!“
„Ich laufe doch schon!“, erwidert Aphrodite mürrisch und muss Marotti in einen Fahrstuhl folgen.
Mit leisem Zischen öffnet sich die Schleusentür. Aphrodite quält sich ziemlich ungeschickt aus der Enge der kleinen Landefähre ins Freie heraus. Das Gerät war sicher für die kleinen grünen Marsmännchen gebaut worden. Die Herren der Zeit hätten vorher bei ihr mal Maß nehmen können. Sie sind es doch, die für ihre Oberweite und den drallen Hintern gesorgt haben. Sonst bauen sie Monsterfluggeräte und jetzt wird sie wie eine Ölsardine in eine Konservendose gezwängt. Was soll das?
Von hinten hört sie Marotti noch rufen: „Wir wollten unbedingt unbeobachtet bleiben. Die Amerikaner sehen in jedem Wetterballon und in jeder Leuchtrakete schon ein UFO. Das kleine Ding dagegen könnte an jeder Straßenecke stehen. Dein Gerät halten sie eher für einen originellen Werbegag. Es sieht mit etwas Fantasie wie ein Maiskolben aus!“
Die Schleusentür schließt sich leise hinter ihr. Feuchte kalte, aber angenehm würzige Waldluft weht ihr direkt ins Gesicht. Zur einen Seite sieht sie nur dichten Hochwald. Die andere Seite bedecken Büsche und hohes Gras. Von einer Straße ist hier nichts zu sehen. Vor ihr befindet sich eine kleine Anhöhe mit niedrigem Buschwerk. Sie dreht sich jetzt noch einmal nach ihrem kleinen Raumschiff um. Tatsächlich sieht das Ding mit etwas Fantasie wie ein aufrecht stehender Maiskolben mit etwas zu dickem Blattwerk drum herum aus. In diesem Moment schließen sich die Blätter. Oh, sie muss etwas weg von diesem Ding. Sie läuft einfach in Richtung Hügel. Ihr fällt die Karte ein, die Marotti ihr gezeigt hat. Dort hinter dem Hügel muss die Straße sein. Mühsam, noch immer etwas steif, erklimmt sie die kleine Anhöhe. Es sind kaum fünf Meter Höhe zu überwinden, aber Aphrodite ist echt geschafft. Sie muss unbedingt wieder Sport treiben. Oben angekommen, erblickt sie tatsächlich die Straße. Aber es ist eine Straße ganz ohne Autos. Ein fast unhörbares Surren lässt sie noch einmal den Blick nach hinten werfen. Schiet, den Start hat sie verpasst. Wie ein Kugelblitz saust die Landefähre wieder hoch in den Sternenhimmel, um nach Sekunden völlig zu verschwinden. Das letzte Band zu den Herren der Zeit ist nun gekappt. Das Band in die ferne Zukunft des vierten Jahrtausends und der fernen Welt des weiblichen Planeten ist zerrissen. Sie blickt dem verschwindenden Licht mit einem weinenden und einem lachenden Auge nach. Ist sie wirklich wieder zurück in ihre Welt gebracht worden? Aphrodite ist furchtbar aufgeregt. Doch auch dieses Abenteuer muss und wird sie natürlich meistern. Sie holt tief Luft und will es anpacken. Weil noch kein Auto zu sehen ist, geht sie gedanklich noch mal alles durch. Wie immer in schwierigen oder unbekannten Situationen versucht sich Aphrodite auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was hatte Professor Marotti gesagt?
Sie ist in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wahrscheinlich im Bundesstaat Oregon. Das hier soll die Landstraße zwischen Roseburg und Steamboat kurz vor dem Umbaga-River mitten im Wald sein. Ihre Schwester und ihr Bruder sollen noch leben. Vater, Mutter und Oma sind leider alle schon tot. Das konnten angeblich die Herren der Zeit nicht so organisieren, dass Aphrodite sie alle noch lebend sehen könnte. Sie hätten für sie angeblich das maximal Machbare organisiert. Sie muss es ihnen einfach glauben.
Die genaue Ortszeit war aufgrund der kurzen Zeitschiene nicht mehr für sie zu ermitteln. Die Herren der Zeit haben den Unfall nur nach der Sternzeit registriert und sie auch so geplant hier landen lassen. Zeitabweichungen selbst um eine tausendstel Sekunde sollen völlig ausgeschlossen sein. Die Ortszeit sei auch nicht nötig. Wichtig ist nur, dass sie rechtzeitig am Unfallort ist. Die zeitbesessenen Menschen werden ihr schon früh genug sagen, was die Stunde geschlagen hat, versicherte Marotti spöttisch. Für weitere Erklärungen reichte die Zeit nicht. Er hat sich mehr auf den Unfallort und den Hergang konzentriert. Auf keinen Fall soll sie die Straße betreten. Im unteren Gebüsch soll sie sich verstecken und den Unfall dort in aller Ruhe abwarten. Danach muss sie schnell die tote Frau finden und deren Papiere an sich nehmen. Nach dem Bergen der Papiere hat sie die tote Zielperson mit dem Neutro zu eliminieren. Der Polizei, den Rettungskräften wird sie einen Schock, eine Amnesie vorspielen. Außer dem amtlichen Namen der Verunglückten fehlt so gut wie jegliches Hintergrundwissen über diesen Unfall und noch mehr über die Frau. Vom toten Mann im Wagen wissen sie gar nichts. Keine Akte soll es über den toten Mann geben. Die fehlende Polizeiakte deuten sie so, dass der Mann auch keine Probleme mit den Behörden hatte. Die Frau und der Mann müssten also sauber sein. Sie sieht das anders. Keine Akten können auch bedeuten, dass ihre Akten verschwinden mussten. Noch schlimmer, dass diese Frau sterben musste. Dass gar der Unfall kein Unfall war. Das Fahrzeug wurde womöglich manipuliert, um ihn und diese Frau zu beseitigen. Hoffentlich sieht sie wieder alles nur zu schwarz. Sie ist auf jeden Fall nicht so optimistisch wie die Herren der Zeit. Der Einstieg in diese Welt klingt bei ihnen so einfach! Das, was sie unter einfach verstehen, hat sie oft genug zu spüren bekommen. Soll sie es anders machen? Aber wie? Wäre es wirklich einfacher, es anders zu machen? Es ist eh zu spät. So hat sie sich die Rückkehr in ihre Zeit nicht vorgestellt. Aber wenn sie unbehelligt hier im beginnenden dreiundzwanzigsten Jahrhundert leben will, gibt es wohl doch keine Alternative dazu. Die verschollene Maria Lindström wieder zurück auf der Erde wäre in jedem Fall eine wissenschaftliche Sensation. Man würde sie vielleicht wie ein Versuchskaninchen in einem Labor zerlegen, um zu wissen, wer sie wirklich ist. Oder sie würde zum Medienereignis, sodass sie in einem nie endenden Rummel leben müsste. Da ist diese Variante doch viel besser! Oder etwa nicht? Sie beginnt jetzt wieder am Plan der Herren der Zeit zu zweifeln. Aber dafür ist es jetzt endgültig zu spät. Das flackernde Licht eines ziemlich schnell fahrenden Autos taucht in der Ferne auf. Oder täuscht sich Aphrodite, weil ihr die Erfahrung mit Autos seit langer Zeit fehlen? Wann hat sie das letzte Mal ein schnelles Auto mit Licht fahren sehen? Sie weiß es nicht mehr.
Hinter den Bäumen und Bergen kündigt sich am Horizont der neue Tag an. Es ist erst ein Silberstreifen, der sich langsam ins Dunkel des Sternenhimmels frisst. Das Auto kommt mit einer unglaublich hohen Geschwindigkeit auf sie zu. Die leichte Linkskurve schafft das Auto nicht mehr. Der Wagen, der im Aussehen viel an alte Sportwagen aus dem zwanzigsten Jahrhundert erinnert, fliegt aus der Kurve und dringt mit einem ohrenbetäubenden Knall vielleicht zwanzig Meter vor ihr in die leichte Anhöhe ein. Im Zwielicht sieht sie etwas Großes aus dem Auto durch die Frontscheibe fliegen. Hastig eilt Aphrodite zum Wagen. Der offene Sportwagen hat sich tief in den Hang gebohrt und ist vorne völlig eingedrückt. Doch die Beifahrerseite ist leer. Nur ein Mann sitzt leblos und völlig eingequetscht von den Armaturen im Auto. Wo ist die Frau? Ein Blick durch die zerstörte Frontscheibe zeigt ihr, dass die Frau unterhalb des Gehölzes oben am Hang liegt. Weil die Frau offensichtlich nicht angeschnallt war, ist sie wie ein Geschoss durch die Frontscheibe geflogen. Schnell erreicht sie die Frau, der man an der abnormen Haltung des Kopfes, des ganzen Körpers, selbst als Laie den mehrfachen Genickbruch bescheinigt hätte. Die Frau muss mit dem Kopf zuerst aufgekommen sein und ist dann ein Stück den Hang hinuntergerutscht. Jeansjacke und Rock sind hochgerutscht und entblößen Rücken und Hintern. Wow, die Frau ist unten drunter sogar ganz nackt! Um auf Nummer sicher zu gehen, fühlt sie noch mit der Hand nach dem Puls. Fehlanzeige, die Frau ist zwar noch warm, aber tatsächlich tot. Sie hat sich das Genick gebrochen.
Hastig sucht Aphrodite die tote Frau nach den Papieren ab. Sie findet aber nichts. Die Tote trägt nur eine Jeansjacke, einen sehr kurzen Jeansrock und eine dünne Bluse ohne BH. Was bedeutet das? Fangen jetzt schon die Probleme an? Ach was, das wird ihr Mann sein, der dort im Auto liegt, beruhigt sie sich. Die Jeansjacke zieht sie der Frau schnell aus und tastet alle Taschen ab. Fehlanzeige! Wo sind ihre Papiere? Wo verdammt hat die Frau ihre Handtasche? Jede Frau hat eine Handtasche. Wo ist das Ding? Panik kommt bei ihr auf. Aphrodite überlegt kurz und betrachtet dabei die Tote. Das Gesicht der Frau liegt halb verdeckt und ausdruckslos im Dreck. Der Wind spielt mit dem langen blonden Haar. Tatsächlich ist eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr zu erkennen.
Licht kündigt das Kommen eines anderen Autos an und macht Aphrodite schlagartig klar, dass jetzt Sekunden über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Sie läuft zurück zum Auto. Auf dem Rücksitz entdeckt sie eine Handtasche, einen winzigen Slip und einen spitzenverzierten BH. Schnell nimmt sie alles an sich. Sie läuft zurück zu der Toten. Eilig wirft sie Slip und BH auf die Frau und ohne die Frau noch einmal anzuschauen, wird jetzt der Neutro aktiviert. Nur für einen Bruchteil einer Sekunde wird der Körper vom Neutro zum Leuchten gebracht. Das Unfassbare geschieht, die Frau beginnt immer stärker zu leuchten. Als das Licht langsam erlischt, ist nichts mehr von ihr zu sehen. Das spärliche Gras unter ihr scheint unbeschädigt zu sein. Hastig wird der Neutro auf Selbstzerstörung mit kurzer Zeitverzögerung eingestellt und aktiviert. Das Gerät wirft sie hoch in den Nachthimmel. Ein kurzer Leuchtblitz bestätigt ihr die erfolgreiche Beseitigung des Gerätes. Ein Auto hält an und vier Leute steigen aus. Noch am haltenden Auto hört Aphrodite einen Mann in englischer Sprache über Handy Polizei und Krankenwagen rufen. Zwei Männer kommen auf den Unfallwagen zu. Noch können sie Aphrodite nicht sehen. Aber für Aphrodite ist es unmöglich, nach den Papieren zu schauen, es ist einfach noch zu dunkel. Darum beschließt sie, die geschockte Frau, die sich an nichts erinnert, sofort zu spielen. Mit Amnesie kann man viel vertuschen. Sie weiß doch wirklich nicht, in welchem Jahr, in welchem Monat und schon gar nicht an welchem Tag sie hier gelandet ist.
Ein Mann geht um das Auto herum und sieht Aphrodite am Hang im Gras sitzen.
Er kommt direkt auf sie zu und spricht sie laut an: „Hallo Miss, ist Ihnen was passiert? Wie geht es Ihnen! Kann ich Ihnen helfen?“
Aphrodite beschließt, nichts zu sagen.
Der Mann dreht sich zu seinen Leuten um und ruft ihnen laut zu: „He David, sag noch durch, dass hier eine Frau lebend, aber verstört, ich meine verwirrt, gefunden wurde!“
Jetzt kommt ein anderer Mann zu ihnen und behauptet: „Der Mann im Wagen ist hin. Oh, ein Wunder, die Blondine lebt noch! Ich sage es ja, die Blondinen sind selbst zum Sterben zu blöd.“
„Lass den Unsinn. Du bist immer noch besoffen, Kirk. Aber für mich ist es glasklar, die Tussi hat einen Schock. Fass sie bloß nicht an. Ich hab das einmal gemacht. Die Olle ist wie eine Furie auf mich losgegangen. Ich sag durch, dass unbedingt `ne Psychotante mitkommen soll“, erklärt der Mann direkt vor ihr. Der Mann nimmt seinen Multiplex wieder in die Hand und verschwindet in Richtung Unfallwagen.
Der betrunkene Mann bleibt verlegen mit den Füßen tanzend neben ihr stehen. Sie spürt, dass der Mann sie mit seinen Augen abtastet und auszieht.
Der Mann greift schon nach ihr und fragt lallend: „Was ist, Süße, zeigst du mir mal kurz deine Möpse? Scheinen groß und rund wie Melonen zu sein. Sind die echt oder doch leider nur Silikon wie bei den anderen Weibern?“
Es rächt sich jetzt schon für sie, dass ihr offenherziges Oberteil viel zu viel von ihr preisgibt. Der Ärger mit ihrem schönen Körper fängt schon wieder an.
Der andere Mann kommt im letzten, für sie schon sehr kritischen Moment zurück, reicht seinem Kumpel eine Decke: „Deck sie damit vorsichtig zu. Aber halte dabei gebührenden Abstand! Komm dabei bloß nicht rein zufällig an ihre pralle Oberweite. Sie hat Bomben und keine Brüste, das siehst du doch. Du musst einkalkulieren, sie könnte wie eine Furie auf dich losgehen. Wie schon gesagt, Weiber sind in so einer Situation völlig unberechenbar. Lass die Finger von ihr auch anderswo. Sie könnte wirklich explodieren.“
„Ich, ich weiß, Blondinenalarm!“, witzelt der Besoffene schwankend und Aphrodite wird jetzt tatsächlich von ihm mit gebotener Vorsicht zugedeckt. Doch die Decke reicht ihr angeblich nur bis unter die Brust. Der schon sichtlich erregte Mann will es definitiv nicht anders haben. Mit Spiegeleibrüsten hätte er sie bis hoch zur Nasenspitze zugedeckt, ist sich Aphrodite sicher. Sie spürt seine Augen, wie sie sich in ihrem Dekolleté festsaugen. Aphrodite schielt nach unten und sieht, dass ihre Bluse gefährlich weit offen ist und viel zu viel von ihr preisgibt. Drei entscheidende Knöpfe fehlen. Doch als verwirrte Frau kann sie sich nicht herrichten. Gar auch nur einen Knopf der Bluse schließen, kommt nicht infrage. Das würde sie auf der Stelle als Lügnerin entlarven. Selbst völlig entblößt, hätte sie nichts dagegen tun können. So muss sie ihm den Blick auf das freizügige Dekolleté widerwillig gewähren.
Der Mann steht immer noch über ihr und begafft ihren Busen. Er scheint angestrengt nachzudenken und klagt lüstern: „Donnerwetter, Mädel, du bist oben herum echt gut bestückt. Gott hat es mit dir wirklich gut gemeint. Meine Olle hat nicht einmal die Hälfte von deinen Möpsen. Ich gebe dir meine Nummer. Wenn du wieder gut drauf bist, ruf mich bitte an. Deine dicken Dinger würde ich zu gerne mal ganz blank sehen und mit vollen Händen ordentlich durchkneten!“
Er legt ein Kärtchen in ihre Hand und geht.
Der Mann hat ihr kaum den Rücken zu gedreht, als das Kärtchen im hohen Bogen im Busch landet. So leicht fängt sie hier nichts mit Männern an, das hat sie sich schon vorher fest vorgenommen. Männer bedeuten immer und überall nur Ärger. So ein Mann wie er kommt schon gar nicht für sie infrage.
Blaues Blitzlicht und viel Geheul aus der Ferne kündigen jetzt ihre Rettung an. Polizei und ein Rettungswagen kommen die Straße hoch. Kurz darauf ist der Unfallort taghell erleuchtet. Ein Mann springt aus dem Rettungswagen, folgt dem Hinweis der Männer und hat Aphrodite schnell erreicht.
Er öffnet seinen Koffer und fragt gleichzeitig: „Hallo, ich bin Doktor Midges, wie geht es Ihnen? Haben Sie Schmerzen?“
Aphrodite schüttelt nur leicht mit dem Kopf.
Der Mann holt aus dem Koffer ein kleines handliches Gerät und hält es über sie. Damit scheint er sie zu untersuchen.
Sie hört ihn überrascht den Rettungskräften, die am Unfallwagen beschäftigt sind, ganz laut zurufen: „Ihr habt keine Arbeit. Das ist ein Wunder, die Frau ist völlig unverletzt. Aber sie steht wohl voll unter Schock!“
Der Mann misst ihren Blutdruck und ist mit den gemessenen Werten zufrieden. Mit den Händen tastet er Arme und Beine ab. Auf den Handschlag auf ihr Kniegelenk reagiert sie bewusst nicht. Er steht auf und ruft seinen Leuten erneut zu: „Ihr müsst doch kommen, sie kann vielleicht nicht alleine gehen. Tragt sie bitte in den Rettungswagen! Sie könnte doch noch innere Verletzungen haben. Tragt also die Frau mit gebotener Vorsicht!“
Zwei Männer heben sie behutsam auf eine Trage. Ihr kommt es auf der Trage nicht ganz geheuer vor. Sie möchte hinunter. Doch unsichtbar für sie wurde sie angeschnallt. Auch dort im Wagen ist ihr das Liegen unangenehm. Sie fühlt sich völlig ausgeliefert. Doch zu ihrer Überraschung sind die Fesseln weg. Darum setzt sie sich im Krankenwagen sofort aufrecht hin, lehnt sich an einen Kasten und beobachtet von dort das Treiben der Rettungskräfte.
Von der Seite steigt eine uniformierte Frau in das Fahrzeug. Sie nimmt neben Aphrodite Platz und begrüßt sie freundlich: „Hallo, ich bin Betti Wolter und leite den Rettungseinsatz! Wer sind Sie?“
Aphrodite schweigt beharrlich und versucht betont leidend auszusehen.
Die Frau bemerkt die Handtasche in ihrer Hand. Nach leichtem Widerstand gibt Aphrodite die Tasche frei. Die Tasche wird ins Licht der Wageninnenbeleuchtung gehalten und von der Frau geöffnet. Mit einer Hand greift sie hinein und sucht nach Dokumenten. Zuerst holt sie Lippenstifte, Spiegel, Kondome, diverse Tabletten und Döschen heraus. Dann wird mit Stirnrunzeln ein kleines durchsichtiges Tütchen ans Tageslicht geholt. Die Tüte ist bis auf winzige Mengen eines weißen Pulvers aber leer.
Die Frau ruft: „Doktor Midges, kommen Sie bitte doch noch einmal zu mir! Die Frau hat wahrscheinlich irgendeine Droge genommen. Nehmen Sie ihr sicherheitshalber doch noch Blut ab! Vielleicht ist sie nur zugekifft! Ihr Verhalten hat auch viel von einer Dosis Heroin oder einer dieser neumodischen Designerdrogen!“
Doktor Midges nickt zustimmend und kommt mit einem dicken Stift an. Es dauert nur Sekunden und er hat die Blutprobe genommen.
Die Frau holt aus der Handtasche ein Plastikkärtchen. Sie schiebt die Plastikkarte in den Schlitz eines kleinen Computers. Dann liest sie laut vom Bildschirm die Daten ab: „Braun, Susan. Geboren in Boston am 12.11.2155. Geschieden, ein Kind. Einen Sohn mit Vornamen Isaak! Lehrerin für Deutsch und Latein! Wohnanschrift: Bundesstaat Oregon, Ort Roseburg, sechsundzwanzigste Straße, Hausnummer 8!“
Die Frau blickt sie erstaunt an und fragt zweifelnd: „Sind Sie etwa die Lateinlehrerin und Deutschlehrerin an unserem College?“
Aphrodite kommt vom Foto nicht weg, das der Bildschirm des Computers zeigt. Das ist sie doch! Wie ist das möglich? Die Herren der Zeit sind doch Profis. Lehrerin für Deutsch und Latein passt auch gut. Mutter ist sie auch. Bingo! Lehrerin ist doch eine saubere Sache. Die Herren der Zeit haben dieses Mal doch gute Arbeit geleistet. Ihre Befürchtungen waren also völlig unbegründet.
Laut fragt Aphrodite die Frau: „Ein Kind habe ich auch?“
„Ja, einen Sohn. Nach den Angaben hier ist er aber schon fünfundzwanzig Jahre alt. Oh, Sie haben ja früh angefangen. Er ist am 28.02.2173 geboren. Oh, Florida. Eine Telefonnummer steht hier auch. Er wird umgehend von uns informiert! Wissen Sie wirklich nichts?“, fragt die Frau.
Aphrodite steigert es noch und fragt: „Welcher Tag ist heute?“
Die Frau fragt zweifelnd: „Das wissen Sie auch nicht?“
Aphrodite schüttelt den Kopf und blickt dabei die Frau überbetont leidend an.
Die Frau reicht ihr die Handtasche und blickt zum Arzt, der kaum drei Schritte von Aphrodite steht und fragt: „Was sagt euer Befund, Doktor Midges? Sie wirkt jetzt doch nicht so auf mich, als hätte sie Drogen oder Tabletten genommen!“
„Sie hat das Blut eines Engels. Die Frau ist absolut sauber und kerngesund! Weder Spuren von Drogen noch Alkohol kann ich bei ihr finden. Tabak oder Haschisch raucht sie auch nicht. Sie ist der reinste Gesundheitsapostel! Die Frau leidet offensichtlich nur an einer extremen Amnesie! Nur, wenn ich mir den Unfall als Ganzes so ansehe, verstehe ich einiges nicht. Dass die Frau außer einer Amnesie keine äußerlichen Verletzungen hat, ist eigentlich ein absolutes Unding. Sie muss durch die Frontscheibe geflogen sein. Ihr Höhenflug endete abrupt am Hang. So etwas überleben nur Katzen unbeschadet. Die Frau muss mit einer Armee von Schutzengeln umgeben sein!“, behauptet Doktor Midges kopfschüttelnd.
Die Polizistin stimmt ihm zu und behauptet: „Das ist tatsächlich alles recht merkwürdig. Der Fahrer selbst ist angeschnallt gewesen, aber völlig zerquetscht vom Wagen. Zwischen der Rückenlehne ihres Sitzes und den Armaturen passt keine Hand mehr. Wäre sie an ihrem Platz geblieben, hätte sie nie überlebt. Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass auf beiden Seiten das Airbagsystem versagt hat. Ich vermute, dass der Wagen manipuliert wurde. Weil die Frau nicht angeschnallt war und dank des Versagens des Airbags ist sie durch die Scheibe geflogen. Doch oh Wunder, sie hat keinerlei äußere Verletzungen. Wenn sie dort gelandet ist, wo sie gefunden wurde, ist sie wie ein Vogel geflogen und muss auch so flatternd mit ihren Engelsflügeln gelandet sein. Ihr Schutzengel hat sie dort sanft abgesetzt. Ich rufe lieber die Spurensicherung. Für mich ist hier zu viel faul. Vielleicht war das gar kein normaler Unfall? Die Frau muss sicherheitshalber zur Beobachtung in ein Krankenhaus. Sie ist unsere einzige Zeugin. Ich vermute sogar, dass an diesem Unfall noch ein zweiter Wagen beteiligt war. Bis ihr Sohn sie abholt, solltet ihr sie im Krankenhaus unter Beobachtung halten. Mit großer Wahrscheinlichkeit sollte sie auch sterben.“
Doktor Midges nickt zustimmend: „Dass hier etwas nicht stimmt, sehe ich auch so, Betti. Die Frau muss in jedem Fall für ein paar Tage unter ärztlicher Beobachtung bleiben. Doch mit einer Bewachung, das kannst du locker knicken. Ich bin nur der Notarzt. Das müssen sie in der Klinik entscheiden. Überhaupt, es ist immer noch ein ganz normaler Verkehrsunfall. Noch! Das Gegenteil muss erst bewiesen werden. Der Chefarzt zeigt mir einen Vogel, wenn ich um Personenschutz für sie bitte. Bis sie geheilt raus kann, werden die Ermittlungen sicher auch abgeschlossen sein. Dann wissen wir mit Sicherheit mehr. Nur so viel ist jetzt schon sicher, ihr Fahrer ist kein unbeschriebenes Blatt für uns!“
„Wer ist denn der Musterknabe?“, fragt die Frau und beide gehen dabei zum Unfallwagen. So verliert Aphrodite sie aus den Augen und kann das Gespräch nicht weiter mithören. Sie waren sicher im Gespräch so offen, weil sie fest daran glaubten, dass sie nichts von alledem mitbekommt.
Ein Feuerwehrmann reicht Aphrodite ein Getränk: „Immer schön hier sitzen bleiben, Püppchen! Onkel Tom holt noch seine Sachen, dann fahren wir beide los! Okay Baby?“
Aphrodite nimmt dankend das Getränk an und beobachtet weiterhin interessiert aus den Augenwinkeln das Geschehen um sich herum. Gerade wird der tote Fahrer an ihr vorbei getragen. Zum Glück ist der Mann komplett abgedeckt. Nein, er ist in einem Leichensack. Aphrodite bekommt eine Gänsehaut bei diesem Anblick. Denn vor ihr tauchen wieder die Bilder des eingequetschten Mannes auf. Sie schüttelt sich, als ob sie diese Bilder so loswerden könnte.
Der Feuerwehrmann ist zurück und nickt ihr kurz freundlich zu. Dann steigt er ein und wirft die Wagentür krachend ins Schloss. Der Mann dreht sich noch einmal zu ihr um und fragt: „Können wir los, Kleine?“
Unsicher lächelt Aphrodite ihn an und bestätigt leise: „Wir können!“
Der Mann lächelt zurück und der Wagen fährt los. Vom Wagen aus sieht sie noch, wie ein Metallsarg in einen Leichenwagen getragen wird. Ihr Wagen dagegen scheint zu schweben und fährt praktisch geräuschlos die Landstraße entlang. Tatsächlich wird nach kurzer Fahrt ein Fluss überquert. Schaumkronen auf dem Fluss lassen Aphrodite ein wildes Wasser vermuten.
Der Mann setzt sich jetzt entspannt hin, schaut auf ein handliches Gerät und gibt dort etwas ein. Das Fahrzeug fährt nun mit Automatik. Automatik bedeutet tatsächlich: Das Fahrzeug fährt alleine. Sie erinnert sich: Das war auch schon in ihrer Jugend möglich, das Fahren ohne die helfende Hand des Fahrers. Wow, sie ist in ihrer Zeit tatsächlich angekommen. Dass Autos selbstständig fahren können, hat sie nicht einmal im vierten Jahrtausend auf den Straßen erlebt. Nur die Jacht vor Siziliens Küste und die Flugzeuge wurden wahrscheinlich ohne menschliche Hilfe gesteuert. Was sie wirklich mit eigenen Augen dort sah, waren die schrottreifen, manuell gesteuerten Autos. Auch in Berlin und auf Hawaii wurden die Autos von Menschen gesteuert. Nur die Nobelkarosse der Queen in London war ein echtes Automatikauto.
Sie wird aus ihren Gedanken gerissen, als der Mann vor ihr sich zu ihr umdreht und freundlich sagt: „Miss, Sie haben echt Schwein gehabt. Ihr Fahrer hatte nicht so viel Glück. Diese Halbautomaten sind eben sehr gefährlich. War das Ihr Mann? Tut mir für Sie aufrichtig leid. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe meine Frau auch vor zwei Jahren bei einem tragischen Unfall verloren. So etwas tut verdammt weh. Ich bin seit dieser Zeit in einer Selbsthilfegruppe. Die Psychologen können Ihnen wirklich helfen. Sie können die Nummer meiner Gruppe gerne von mir haben.“
Aphrodite schweigt ihn demonstrativ an. Wenn sie jetzt antwortet, hört der Mann mit dem Quatschen überhaupt nicht mehr auf. Sie will jetzt noch nicht reden. Schon gar nicht mit einem Mann. Alles, was sie jetzt sagen würde, könnte sie entlarven. Schweigen ist ihr einziger Schutz. Wenn sie aufflöge, würde sie wieder wegen Mordes angeklagt. Den Beweis, dass die Tote tatsächlich tödlich verunglückt ist, hat sie ja selbst für immer und ewig vernichtet. Die tragisch endenden Fehler mit den Männern und den Behörden des vierten Jahrtausends sollen sich hier nicht wiederholen.
Er schaut sie etwas verwirrt an. Dass eine Frau, gar eine blonde Frau schweigt, ist ihm wohl noch nicht untergekommen.
Aphrodite weicht seinem Blick bewusst aus. Ja, schweigen ist ein hartes Brot, besonders für sie. Aber noch einmal auf eine Todesstrafe warten und womöglich wieder ertränkt werden, möchte sie auch nicht. Also schweigt sie.
Tatsächlich, der Mann hat es begriffen und lässt sie in Ruhe. Er holt seinen Minicomputer heraus. Damit spielt er herum. Melodien erklingen, wenn er offensichtlich ein Spiel gewonnen hat.
Viele Lichter kündigen im Dämmerlicht eine Stadt an. Vielleicht ist das Roseburg? Auf den Straßen ist noch wenig los. Es geht eine breite Hauptstraße entlang mit unzähligen parkenden Autos auf beiden Seiten. Für Aphrodite, die nun Susan Braun sein soll, ist es ein ungewohntes Bild. Im vierten Jahrtausend waren Autos kaum noch zu sehen. Stattdessen beherrschten öffentliche Verkehrsmittel die Metropolen. Das war im vierten Jahrtausend auch kein Kunststück, nur sehr wenige Menschen fuhren überhaupt noch zur Arbeit. Ihr fällt erst jetzt auf, dass sie auf Hawaii nicht ein einziges Mal mit dem Auto unterwegs war. Warum auch? Der Strand lag zwei Gehminuten vor dem Hotel. Erkennbar als Prostituierte hätten sie sie doch überall nur schief angesehen, wenn sie auf der Insel unterwegs gewesen wäre. Wohin hätte sie auch fahren sollen? Der Strand und das Meer vor dem Hotel, mehr wollte sie doch nicht. Sicher, die immergrünen Wälder und die Feuer speienden Vulkane hätten sie auch interessiert. Aber allein schon der Wunsch reisen zu wollen, hätte ihr sicher Ärger eingebracht. Sie verdrängt die Gedanken aus ihrer Vergangenheit, die jetzt unerreichbar ferne Zukunft ist. Von hier aus gesehen muss sie noch knapp zweitausend Jahre warten, um wieder am Strand von Hawaii mit den Freundinnen baden gehen zu können. Sie lebt schon in einer verrückten Welt.
Sie blickt jetzt wieder aus dem schmalen Fenster des fahrenden Wagens. Die Stadt scheint sehr klein zu sein, denn bis jetzt sind keine Ampeln zu sehen. Dennoch beobachtet sie, dass an einer Kreuzung der Rettungswagen hält, um dann nach links in eine andere Straße abzubiegen. Oder fehlen Ampeln einfach, weil der Verkehr komplett automatisch gesteuert wird? Überraschend steuert der Wagen eine weitere Seitenstraße an, die in einem Tunnel endet. Nach wenigen Metern füllt grelles Licht den Tunnel aus. An mehreren Plätzen werden ähnliche Rettungsfahrzeuge zeitgleich abgefertigt. Die Tür wird aufgerissen, zwei Männer packen Susan und etwas unsanft findet sie sich kurz darauf auf einer Trage wieder. Jetzt wird sie in hohem Tempo durch lange Flure geschoben. In einem Saal, der eher an einen riesigen Schlachthof erinnert als an ein Krankenhaus, kommt sie an. Dort wird sie von zwei Schwestern wortlos übernommen. Wie ein Kleinkind wird sie mit flinken Händen ausgezogen und in ein unförmiges Nachthemd gesteckt. Ihre Kleidung kommt in eine gekennzeichnete Kiste. Anschließend schiebt sie wieder eine der Schwestern einen Flur entlang. Für Minuten wird sie allein gelassen. Sie befindet sich in einem kalten abstoßenden Raum. Eine Tür geht vor ihr auf, eine der Schwestern kommt zurück, und fährt mit ihr weiter. In einem neuen Raum hält sie neben einem riesigen Gerät an. Eine zweite Frau packt mit an und Aphrodite liegt auf einer kalten Matte.
Die Schwestern schieben sie auf der Matte noch etwas zurecht.
„So liegen bleiben! Nicht rühren, Baby! Okay!“, kommandiert die schlanke Schwester.
Nun wird sie in eine Röhre geschoben. Der Koloss um sie herum beginnt sich zu drehen. Lichter flackern, ein leises Brummen ist zu hören.
Es dauert nur eine Minute, dann wird sie wieder herausgefahren. Beide Frauen packen sie und heben sie zurück auf ihre Trage.
Eine dritte, recht füllige, dunkelhäutige Schwester erscheint, schaut auf den Computerauszug und schüttelt mit dem Kopf. Immer wieder wechseln ihre Blicke von ihr zum Computerauszug. Dann meint sie erstaunt: „Herzchen, wenn man wie Sie nach so einem schweren Verkehrsunfall noch so topfit ist, gibt es keinen Zweifel mehr, es gibt doch noch Schutzengel. Überhaupt, Sie sind doch schon Mutter! Woher haben Sie so eine tolle Figur? Sie sind zu beneiden!“
Dann reicht sie ihr ein Stäbchen und sagt: „Viel Spaß bei uns!“
Lachend wird sie im Fahrstuhl von den Schwestern allein gelassen. Verdutzt schaut sie auf das Stäbchen und rätselt erst einmal, was das sein könnte? Das Stäbchen ist höchstens sieben oder acht Zentimeter lang, nicht mal einen Zentimeter breit und zwei oder drei Millimeter stark. Das ganze Ding muss irgendein harter Kunststoff sein, kann vielleicht auch aus kratzfester Keramik bestehen. Eine Seite hat einen roten Punkt. Ist das vielleicht so eine Art Chipkarte? Aber was zum Teufel soll sie mit dem verdammten Ding tun? Aphrodite ist verzweifelt. Auch muss sie sich ständig daran erinnern, eine gewisse Susan Braun zu sein.
In diesem Moment geht die Fahrstuhltür weit auf und die Dicke von vorhin kommt herein: „Sie sind ja immer noch nicht weg! Was machen Sie denn hier? Das ist hier nur der Fahrstuhl, Herzchen, nicht Ihr Zimmer!“
„Ich weiß nicht weiter“, antwortet sie ganz ehrlich.
Ungläubig schaut die Schwester sie an, nimmt ihr das Stäbchen ab und schiebt es in ein Loch an der Trage.
Dann sagt die Dicke noch: „Wenn der Begleiter ein Stück herauskommt, sind Sie am Ziel. Dann nehmen Sie ihn heraus und zeigen ihn immer und überall hier im Haus vor. Ohne den Begleiter läuft für Sie hier gar nichts! Okay!“
Damit verschwindet sie, die Fahrstuhltür schließt sich und setzt sich jetzt tatsächlich von alleine in Bewegung. Nach wenigen Sekunden öffnen sich die Fahrstuhltüren und die Trage fährt alleine weiter. In diesem Flur leuchtet eine riesige Uhr über einer Tür. Nach dieser Uhr ist der Tag heute fünf Stunden und sieben Minuten alt. Es ist der 05.05.2201. Dann wäre Maria Lindström schon 65 Jahre alt. Oh Gott, ihre Zwillingsschwester ist dann tatsächlich 65. Susan Braun ist aber nur sechsundvierzig Jahre. Wie alt ist denn Aphrodite? Aphrodite wird nicht alt. Sie ist vielleicht unsterblich, behaupten ja schon die Herren der Zeit. Die Zeitreisende Maria Lindström, die in ihrem Herzen schon ewig Aphrodite ist, muss ihre wahre Identität leugnen. Zur Abwechslung ist sie eben die Amerikanerin Susan Braun. Wer ist sie nun wirklich? Ist sie überhaupt noch die geborene Maria Lindström? Für all die Menschen und die Medien hier ist Maria Lindström schon lange tot. Ist sie etwa doch die antike Aphrodite? Hier kann und darf sie definitiv keine Aphrodite sein. Als Priesterin und Hure ist sie ihrer Schwester bestimmt nicht willkommen. Hier im prüden Amerika sowieso nicht. Sie wird aus den Gedanken gerissen, als eine Krankenschwester sie anspricht und ihr erklärt: „Patientin Frau Susan Braun, die Zweihundertvier ist Ihr Zimmer! Stört es sie, das Sie Ihr Zimmer mit einer Patientin teilen müssen? Die junge Frau hat wie Sie definitiv nichts Ansteckendes. Sie ist angeblich aus dem Fenster geworfen worden und hat sich dabei nur ein Bein gebrochen! Ist das so okay?“
„Es ist schon okay. Die Frau stört mich nicht“, versichert sie. Sie muss mit jeder Faser ihres Körpers Susan Braun werden. Das totale Umdenken ist angesagt.
„Können Sie alleine ins Zimmer gehen?", fragt die Schwester und scheint keine Antwort zu erwarten. Stattdessen nimmt sie die Kiste vom Wagen und trägt sie ihr vorweg den Flur entlang. Susan Braun nickt nur und steigt von der Trage. Als sich eine Tür vor der Schwester öffnet, sieht sie noch, wie eine glimmende Zigarette aus dem offenen Fenster fliegt. Der Fernseher grölt. Die Frau am Fenster hat feuerrote Haare und ihr Gesicht wird von Tausenden Sommersprossen beherrscht.
Mi einem breiten Grinsen begrüßt die Frau die Schwester und sie.
Susan grüßt freundlich: „Hallo, ich soll Susan Braun sein und werde Ihnen für ein paar Tage Gesellschaft leisten. Angeblich habe ich eine schwere Amnesie. Ursache ist ein schwerer Verkehrsunfall.“
Im Stillen muss sie lachen, denn beim Anblick der Frau muss sie unwillkürlich an ihre Zeit als Lola auf Hawaii denken.
Dabei geht sie auf die Frau zu und reicht ihr freundschaftlich die Hand.
Die Rothaarige gibt ihr auch die Hand und grüßt: „Hallo, ich bin Bea Milder und im Moment etwas unbeweglich, wie du siehst. Das dort ist dein Bett!“
Dabei zeigt die Frau auf ein unbenutztes Bett.
Die Schwester scheint nicht gesehen zu haben, dass die Frau geraucht hat und legt die Kiste auf Aphrodites Bett ab.
Schnell verlässt sie den Raum und kommt kurz darauf mit Getränken zurück.
Die Schwester schnuppert plötzlich wie ein Hund und schimpft gleich los: „Sauerei, hier wurde doch geraucht. Sie wissen doch, dass Rauchen im gesamten Haus streng verboten ist. Wenn ich eine von euch erwische, kostet das hundertfünfzig Dollar Strafe. Dass ich das Bußgeld kassiere, garantiere ich euch beiden!“
Die Schwester verlässt das Zimmer und Bea Milder klagt genervt: „Damit droht die Hexe schon den dritten Tag. Rauchst du auch?“
„Nein!“, versichert Susan und stellt die Kiste auf das Tischchen neben ihrem Bett. Dann macht sie es sich auf dem Bett bequem.
Aphrodite meditiert, sie will in sich kehren und verinnerlichen, dass sie jetzt endgültig diese Susan Braun ist.
Dabei stört sie der grölende Fernseher und sie fragt: „Kann der Fernseher nicht etwas leiser gestellt werden. Ich möchte mich erst einmal ausschlafen!“
Die Rothaarige macht den Fernseher ganz aus und stimmt ihr zu: „Du hast recht, wir beide sollten eine Mütze voll Schlaf nehmen. Ich habe die ganze Nacht vor Schmerzen nicht schlafen können. Vielleicht finde ich jetzt etwas Schlaf!“
Mit den Krücken schleppt sich die Frau zum Bett und legt sich ebenfalls schlafen.
Es ist recht warm im Zimmer. So legt sich sie sich nur oben auf das Bett und schaut aus dem Fenster. Das Zimmer muss im Erdgeschoss liegen. Bäume, Büsche und ungepflegten Rasen sieht sie. Unter den Büschen liegt viel Müll herum. Das soll hier wirklich ein Krankenhaus sein? Sind hier Hygiene, Sauberkeit und Ordnung nicht mehr Bestandteil der Krankenhausordnung? Es wird sicher ein staatliches Krankenhaus sein, das immer weniger Geld zur Unterhaltung des Hauses erhält. Ständige Kürzungen der Mittel sind aber keine Lösung für die Behebung der Probleme. Sie muss also so schnell hier raus, wie es nur irgend geht. Sonst wird sie hier wirklich noch krank. Das Haus ist sicher voll von gefährlichen Viren und Bakterien. Ihr muss der Spagat gelingen, unauffällig schnell ihr Gedächtnis wieder zu finden, gleichzeitig aber ihr fehlendes Wissen über die echte Frau Braun so zu kaschieren, dass es nicht auffällt. Zu allem Ja und Amen zu sagen, wird nicht die Lösung sein.
Plötzlich quasselt die Frau neben ihr drauflos: „Du hast also Amnesie! Kein Bein gebrochen und sonst auch nix. Hätte ich auch gerne. Toll, dann hätte ich meinen Ex-Freund wenigstens vergessen. Weißt du, warum ich aus dem Fenster gefallen bin? Weil mein Scheißfreund mich hinausgeworfen hat. Du wirst nun fragen: Warum? Ich hatte endlich den Mut, nein zu sagen. Der Mistkerl ist seit vier Monaten arbeitslos. Weil ich auch keinen Job hatte und wir Geld brauchten, hat er mich auf den Strich geschickt. Das ist schon schlimm genug. Doch dann schleppte er ständig irgendwelche perverse Schweine an. Ich habe die Sauereien total satt. Als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht mehr anschaffen gehe und nicht mehr diese perversen Schweine befriedigen werde, ist er völlig ausgerastet. Er hat wie wild auf mich eingeschlagen. Dann hat er mich aus dem Fenster geworfen! Leute haben das gesehen, Polizei und den Rettungswagen gerufen. Den Rettungskräften habe ich gleich gesagt, dass der Scheißkerl mich aus dem Fenster geworfen hat. Ich hoffe, sie sperren ihn möglichst lange ein!“
Weil Aphrodite, weil Susan Braun, keine Vorstellung davon hat, was im prüden Amerika pervers ist, will sie es genauer wissen. Hier will sie von Anfang an alles anders und vor allem richtig machen. Sie will es so einrichten, dass sie zu keiner Zeit und für kein Geld der Welt als Prostituierte arbeiten muss. Wenn es der Sache dient, wird sie sogar eine Nonne. Wenn sie als Nonne zu ihrer Schwester käme, würde sie sicher schnell Kontakt zu ihr herstellen können. Wow, das ist ein faszinierender Gedanke. Sie eine Nonne, das löst viele Probleme. Männer wären dann tabu. Eine Vorstellung, die ihren Reiz hat.
Darum fragt sie: „Ich bin neugierig! Was hast du für diese Scheißkerle machen müssen? Was ist hier pervers? Was ist für dich pervers?“
Erfreut, dass ihre Geschichte Interesse findet, erklärt Bea Milder freimütig: „Stell dir nur vor, einige dieser Kerle wollten mich sogar von hinten nackt sehen und dort auch so nehmen. Manchmal hat dabei noch ein anderer Mann zugeschaut und Fotos von mir gemacht. Von hinten, das machen doch nur die Hunde. Das ist doch voll abartig, nicht wahr!“
„Es gibt Schlimmeres“, erwidert Susan erheitert. Sie kann hier wohl deutlich entspannter als Frau leben.
Mit weit aufgerissenen Augen schaut die Frau sie entsetzt an: „Bist du etwa keine aufrichtige Katholikin? He, ich fasse es nicht, du bist eine von den versauten Kommunistenhuren?“
„Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe Amnesie. Aber eine sogenannte Kommunistenhure bin ich ganz gewiss nicht. Gibt es denn in der Stadt Kommunisten?“, fragt sie verwirrt nach dieser Überreaktion der Frau.
Diese Bea Milder hat wohl auch gemerkt, dass sie über das Ziel hinaus geschossen ist, und versichert entschuldigend: „Verzeih mir! So krass war das eben nicht gemeint. Aber mal ganz im Ernst, hast du nicht von den acht irren Frauen gehört, die letzte Woche vor der Pelzhandlung in der Siebenundvierzigsten eine halbe Stunde lang splitternackt demonstriert haben? Zwei der nackten Schlampen haben sogar vor dem Eingang an die Scheibentüren gepinkelt. Erst die Polizei hat der Demonstration der ehrlosen Huren ein Ende gesetzt. Ist das nicht abartig von den Frauen? Sie sind eine Schande für die ganze Nation!“
„Was ist denn hier erlaubt und was ist verboten? Was ist hier gar abartig?“, fragt Susan interessiert weiter.