Die Zeitreisende, 13. Teil - Hardy Manthey - E-Book

Die Zeitreisende, 13. Teil E-Book

Hardy Manthey

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Beschreibung

Der erste Sender der außerirdischen Macht wurde erfolgreich zerstört. Gemeinsam mit dem zwiespältigen Deutschen Dieter Landauer hat Aphrodite den nächsten Sender schon im Visier. Tief im Regenwald Neu Guineas, das 1935 in ein Territorium unter Kontrolle der Holländer und in ein australisches Völkerbundsmandat aufgeteilt ist, soll der zweite Sender irgendwo versteckt stehen. Auch noch in den dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts ist der Weg von Afrika nach Neu Guinea eine Weltreise voller Gefahren und Strapazen. Was in unserer Zeit nach wenigen Flugstunden gemessen wird, ist eine Reise mit dem Schiff über viele Wochen, gar Monate hinweg. Wird der Mann an ihrer Seite ein zuverlässiger Partner sein, oder eine zusätzliche Gefahr für sie werden? Oder wird sie neue Freunde finden, die ihr weiter helfen? Sind mit dem Tod des Bankers auch endlich ihre letzten Feinde aus dem Weg geräumt? Wird sie sich dem Spannungsfeld des Rassenwahns und der Judenverfolgung entziehen können? Kann sie ungerührt zusehen, wie fanatische Faschisten unschuldige Männer, Frauen und Kinder verfolgen, ausrauben und umbringen. Aus den unterschwelligen Konflikten zwischen Deutschland, Frankreich und England wird sie sich auch nicht heraushalten können. Sie muss zwangsläufig Partei ergreifen für alle Antifaschisten. Vor allem muss sie Maß halten, wenn sie die Waffen aus der Zukunft einsetzt. Die Gefahr, dass Raum und Zeit gestört werden könnten, ist nicht zu unterschätzen. Allein die Vorstellung, dass die Zeitreisende erst 200 Jahre später geboren wird, birgt Fragen über Fragen, für die in Teil 13 zum Teil eine Antwort gefunden wird. Begleiten Sie die Zeitreisende auf ihren zahlreichen neuen Abenteuern!

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Impressum

Hardy Manthey

Die Zeitreisende, 13. Teil

Neu Guinea: Die Suche nach den verborgenen Sendern geht weiter

Ein fantastischer Roman

2., überarbeitete Auflage

ISBN 978-3-86394-615-9 (E-Book)

Titelbild: Ernst Franta unter Verwendung des Gemäldes "Le Passage de Portes de fer en Algére, 18. Oktober 1839“ von Adrien Dauzats.

© 2014, 2017 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Prolog

Der erste Sender der außerirdischen Macht wurde erfolgreich zerstört. Gemeinsam mit dem zwiespältigen Deutschen Dieter Landauer hat Aphrodite den nächsten Sender schon im Visier. Tief im Regenwald Neu Guineas, das 1935 in ein Territorium unter Kontrolle der Holländer und in ein australisches Völkerbundsmandat aufgeteilt ist, soll der zweite Sender irgendwo versteckt stehen. Auch noch in den Dreißigerjahren des 20.Jahrhunderts ist der Weg von Afrika nach Neu Guinea eine Weltreise voller Gefahren und Strapazen. Was in unserer Zeit nach wenigen Flugstunden gemessen wird, ist eine Reise mit dem Schiff über viele Wochen, gar Monate hinweg. Wird der Mann an ihrer Seite ein zuverlässiger Partner sein, oder eine zusätzliche Gefahr für sie werden? Oder wird sie neue Freunde finden, die ihr weiter helfen? Sind mit dem Tod des Bankers auch endliche ihre letzten Feinde aus dem Weg geräumt? Wird sie sich dem Spannungsfeld des Rassenwahns und der Judenverfolgung entziehen können? Kann sie ungerührt zusehen, wie fanatische Faschisten unschuldige Männer, Frauen und Kinder verfolgen, ausrauben und umbringen. Aus den unterschwelligen Konflikten zwischen Deutschland, Frankreich und England wird sie sich auch nicht heraushalten können. Sie muss zwangsläufig Partei ergreifen für alle Antifaschisten. Vor allem muss sie Maß halten, wenn sie die Waffen aus der Zukunft einsetzt. Die Gefahr, dass Raum und Zeit gestört werden könnten, ist nicht zu unterschätzen. Allein die Vorstellung, dass die Zeitreisende erst 200 Jahre später geboren wird, birgt Fragen über Fragen, für die in Teil 13 zum Teil eine Antwort gefunden wird. Begleiten Sie die Zeitreisende auf ihren zahlreichen neuen Abenteuern.

Ich wünsche dem Leser gute Unterhaltung

Hardy Manthey

Die schwarzen Reiter

Es ist alles still und friedlich um sie herum. Sie hat jetzt dem Mann an ihrer Seite die Führung überlassen. Die schwachen Erderschütterungen haben ganz aufgehört. Ihre ziellose Flucht vor dem sich selbst zerstörenden Sender ist beendet. Die Stille ringsum lässt nicht erahnen, dass sich vor wenigen Stunden ein gigantisches technisches Wunderwerk selbst vernichtet hat. Dieter Landauer hat über eine Stunde die Karte studiert und vermutet, dass sie sich bei der wilden Flucht schon in Richtung Rotes Meer bewegt haben. Mehr Informationen liefert die Karte nicht. Die Städte und Häfen im englisch-ägyptischen Sudan am Roten Meer oder Eriträa sind jetzt ihr Ziel. Am liebsten möchte Landauer die Hafenstadt Suakia erreichen. Von dort aus gehen Schiffe in alle Welt. Wo sie wirklich sind, weiß aber auch er nicht. Der Mann an ihrer Seite hat vorerst die Aufgabe übernommen, ein geeignetes Nachtlager für sie beide zu finden. So träumt sie jetzt nur noch hinter ihm her und kann ihren Gedanken freien Lauf lassen.

Es ist wahr, nur sie kann die Sender zerstören. Wer kommt schon auf die verrückte Idee, dass es gar keine Codierung gibt? Dass trotz neun vorhandener Zahlentasten gar keine Zahlenkombination vorgesehen ist? Dass tatsächlich die Aktivierung der Tür nur durch das Drücken aller neun Tasten gleichzeitig funktioniert? Dann dazu noch der Trick, dass alle neun Tasten zweimal mit Zeitverzögerung gedrückt werden müssen. Dass es in der festgelegten Zeitspanne des ausgesprochenen Wortes „Minoser“ geschehen muss. Alle Tastenkombinationen wären gescheitert und hätten eine Umweltkatastrophe biblischen Ausmaßes ausgelöst.

Die Energien, die bei der kontrollierten Selbstzerstörung freigesetzt wurden, lassen vage erahnen, was geschehen wäre, wenn sie den Sender mit dem Stab gewaltsam zerstört hätte. Dass sie dann im Sender eine unerwartete Herausforderung meistern musste, ist die eigentliche Überraschung. Die alte Sprache sprechen und verstehen, hat sie erst zur Auserwählten und Befugten für den Computer des Senders gemacht. Doch wer hat sie dem Sender angekündigt? Geschah das damals schon? Oder haben die Herren der Zeit die Sender manipuliert? Sie weiß es wirklich nicht. Aber sie wird es noch herausfinden.

Sie schaut zu dem Mann auf und gesteht sich ein, dass sie es ohne ihn nicht geschafft hätte. Er hat sich doch letzten Endes als verlässlicher Partner in der Not bewiesen. Auch wenn er für sie immer eine unbekannte Größe in ihrer Planung bleiben wird. Er ist eben ein Mann. Männer sind nicht berechenbar. Sie denken in Kategorien und Werten, die sie als Frau nie bis in letzter Konsequenz erfassen kann. Aber dass sie auf den Mann angewiesen ist, hat sich in den letzten Stunden wieder bewiesen. Er braucht wie alle Männer nur viel Lob und noch mehr Streicheleinheiten. Sie muss als Frau eben mehr auf ihn eingehen und sich eingestehen, dass sie auch nicht unfehlbar ist.

Dieter Landauer reitet auf seinem Kamel vorweg und hat immer noch die Bilder von der gigantischen Sendeanlage im Kopf. Es ist unglaublich, was er sehen durfte. Aphrodite, die wahnsinnig schöne Frau, die sich jetzt wieder brav von ihm führen lässt, hat ein Wunder vollbracht. Noch vor ein paar Stunden hat das Weib ganz selbstbewusst die Technik einer Superzivilisation für immer ausgeschaltet. Eine außerirdische Zivilisation, die uns unendlich weit überlegen ist. Allein die Vorstellung, dass die Frau, die zu ihm gehört, das so souverän tat, macht ihm jetzt wieder Angst. Mit welcher unglaublichen Selbstsicherheit ist sie in den Sender eingedrungen und hat dann, ohne zu zögern, die Selbstzerstörung aktiviert. Mit der Maschine hat sie sogar gesprochen! Gibt es so etwas überhaupt? Unfassbar, was die Frau sich zutraut und vor allem, was sie alles kann. Was ist sie nur für ein Wesen? Sie ist unglaublich schön und ebenso geheimnisvoll. Ist sie wirklich eine Zeitreisende, wie sie selbst behauptet? Dass sie eine normale Frau, biologisch betrachtet, ist, daran gibt es keinen Zweifel. Selbst unter der Burka, dem schwarzen Ganzkörperschleier, kann man eine schöne Frau erahnen. Ob er sie wirklich, wie versprochen, weiter begleiten wird, weiß er noch nicht. Wenn die goldene Statue verkauft ist, könnte er sich von ihr trennen. Die anderen Sender versprechen keine neuen Goldschätze. Es sind für ihn nur unnötige Strapazen und Gefahren. Warum etwas riskieren, wenn die Frau am Ende ihn doch verlassen wird? Er könnte eine ganz legale Grabung am Obelisken organisieren und das ganz große Geld machen. Dann liegen ihm die schönsten Frauen der Welt zu Füßen. Nur eben leider nicht die schönste Frau der Welt.

Landauer schreckt auf. Wie aus dem Nichts kommen zwölf Reiter, ganz in schwarz gehüllt, auf sie zu. Augenblicke später sind sie von den Männern umzingelt und werden mit langläufigen, prächtig verzierten Gewehren bedroht. Es gibt kein Entrinnen. Was nun?

„Schweig, leiste keinen Widerstand, mach, was die Männer sagen!“, raunt ihm Aphrodite zu und steigt von ihrem Kamel. Ihre erste Begegnung mit den schwarzen Reitern endete vor zweitausend Jahren mit vielen Toten und dem eigenen Weg in die Sklaverei. So kann es für sie heute auch enden. Doch sie hat jetzt ein ganz besonderes As im Ärmel. Heute wird ihre Begegnung mit den schwarzen Reitern anders verlaufen.

Landauer sieht Aphrodite auf einen der Männer zugehen. Er vermutet die Eskalation der Lage und springt sofort von seinem Kamel. Vor den Männern verborgen, hält er seine Pistole schussbereit. Wenn sie auf ihn schießen, wird er zurückschießen und sein Leben so teuer verkaufen, wie er es nur kann. Er findet dabei vielleicht Schutz hinter dem Kamel.

Gebannt beobachtet er gleichzeitig die Frau, wie sie sich tief vor dem Mann verbeugt und dabei ihren Schleier lüftet. Ihr langes blondes Haar fällt befreit auf ihre Schultern. Ist die Frau verrückt geworden? Die Männer werden sie jetzt gnadenlos vergewaltigen, ist er sich sicher. Doch die Frau redet mit dem Mann ruhig in einer fremden Sprache. Der Mann antwortet. Sie scheinen langatmige Begrüßungsformeln auszutauschen. Aphrodite zeichnet mit den Fingern im Sand Symbole. Landauer ist erstaunt, dass die Araber überhaupt mit ihr reden. Dann geschieht das Unfassbare. Der schwarze Reiter, mit dem Aphrodite die ganze Zeit verhandelt hat, steigt von seinem Pferd und geht auf Aphrodite zu. Er verneigt sich unterwürfig vor ihr und spricht dabei.

Landauer stutzt, was tut die Frau jetzt? Sie küsst dem Mann die Stirn, scheint ihn zu segnen. Was wird hier vor seinen Augen gespielt? Alle Männer knien nieder und verneigen sich vor ihr. Dann steigen sie wieder auf ihre Pferde. Bis auf einen Reiter verschwinden alle Männer so schnell, wie sie aufgetaucht sind. Sie haben ihnen nichts abgenommen. Die von ihm längst abgeschriebene goldene Statue ist ihnen so auch geblieben.

Aphrodite steigt auf ihr Kamel und ruft: „Steig auch auf, der Mann zeigt uns noch den kürzesten Weg nach Suakia. Nun steig schon auf, ich will endlich weiter!“

Er steigt verwirrt auf sein Kamel. Sie folgen dem schwarzen Reiter, der prompt einen neuen Weg einschlägt.

*

Sie sind schweigend schon einige Stunden unterwegs, als der schwarze Mann mit seinem Gewehr auf einen schmalen Pfad zwischen den Felsen zeigt. Noch einmal grüßt der Mann Aphrodite ehrfürchtig, um dann zwischen den Felsen hinter ihnen zu verschwinden.

Da sie wieder allein sind, hält Landauer das beharrliche Schweigen der Frau nicht mehr länger aus. Es nervt, wenn Frauen ständig reden. Noch schlimmer ist es, wenn sonst geschwätzige Weiber plötzlich schweigen. Das empfindet er wie eine Bedrohung und so lenkt er sein Kamel an ihre Seite sagt: „Ich glaube, jetzt bist du mir eine Erklärung schuldig. Wir sind von den gefährlichsten Banditen Arabiens überfallen worden. Doch oh Wunder, sie haben uns nicht angerührt. Die Briten fürchten die schwarzen Reiter mehr als den Tod. Ich hörte von einem hohen britischen Offizier, das sie raubend, mordend und vergewaltigend durch den Sudan ziehen. Sie machen nie Gefangene. Diese Männer aber waren wie Wachs in deinen Händen. Wenn du jetzt wieder mit Ammenmärchen kommst, trennen sich unsere Wege in Suakia. Ich bin dann nicht mehr an mein Wort, dir zu helfen, gebunden. Rede endlich, Weib!“

Aphrodite überlegt kurz, dann erklärt sie ihm: „Ja, du hast recht, ich bin dir eine Erklärung schuldig. Ich weiß nur noch nicht, wie ich dir das alles erklären soll.“

„Über was habt ihr beide die ganze Zeit geredet? Warum hat er mit einer blonden Europäerin überhaupt gesprochen? Der Offizier behauptete, dass weiße Frauen vergewaltigt und dann hinter ihren Pferden hergeschleift werden, bis nichts mehr am Seil hängt. Hat mir der britische Offizier nur ein Horrormärchen aufgetischt, um sich wichtig zu machen? Wer bist du wirklich?“, fragt Landauer verwirrt und sichtlich aufgebracht.

Aphrodite schüttelt den Kopf und erklärt: „Beruhige dich erst einmal, Dieter. Nein, so einfach kann ich es dir nicht erklären. Du musst alles im Zusammenhang erfahren. Ich muss dir alles von den Ursprüngen her verständlich berichten!“

„Na dann erkläre mir das im Zusammenhang. Versuche es dabei mal mit der Wahrheit. Fang meinetwegen beim Urschleim an. Erst kurz vor Sonnenuntergang machen wir Rast. Also Zeit genug für dich, mir alles ausführlich zu erklären“, hört sie ihn spotten. Kein Wort wird er ihr glauben.

Aphrodite nickt und erklärt: „Es fing damit an, dass hier vor dreitausend Jahren ein kleiner Meteorit niederging. Der Meteorit zerfiel zum Glück für die hier lebenden Menschen in Tausende kleine Teile, die keinen Schaden anrichten konnten. Ein Priester deutete es als ein göttliches Zeichen. Ein Stein, der auf den Tempel des Amun fiel, hätte ihn erleuchtet. So verkündete der Priester, dass eine goldene Frau mit einer Botschaft der Götter zu ihnen kommen wird. Vor zweitausend Jahren ist die Frau dann tatsächlich gekommen. Sie hat die Botschaft der Götter an die Priester übergeben. Da sie selbst göttlicher Abstammung ist, entstand die Legende, dass jeder Mann, der von der goldenen Frau gesegnet wird, auf Glück und ein langes Leben hoffen kann. Alle Priester sollen damals über hundert Jahre alt geworden sein, behaupten alte Schriften!“

„Lass mich raten, du hast dem Trottel erzählt, dass du die goldene Frau bist!“, spottet er und lacht laut auf, dass sein Lachen mehrfach von den Bergen widerhallt.

Aphrodite nickt: „Du hast recht. Denn nur die wahrhaftige goldene Frau kennt auch alle ihre Geheimnisse. Ich habe den Männern bewiesen, dass ich die goldene Frau bin!“

Landauer lacht immer noch und behauptet zweifelnd: „Nur weil du einige geheime Sprüche kanntest, glauben jetzt die Idioten, dass du die goldene Frau bist!“

„Ja“, bestätigt Aphrodite.

Nun doch etwas nervös geworden, fragt Landauer: „So, tun sie das wirklich? Glauben sie wirklich, dass du die goldene Frau bist? Deine blonde Mähne alleine wird den Männern nicht als Beweis ausgereicht haben. Von den Blondinen aus dem Norden wissen sie sicher auch. Ich weiß nicht, was ich von deiner Geschichte halten soll.“

„Sie müssen mir geglaubt haben, denn wir beide leben und wurden auch nicht ausgeraubt“, erwidert sie.

Landauer schweigt betreten. Man spürt seine Unruhe. Haben sie eben nur Glück gehabt?

Er behauptet unsicher: „Es mangelt dir wirklich nicht an Selbstbewusstsein. Das ist etwas, das ich von anderen Frauen so nicht kenne.“

Mehr fällt ihm dazu im Moment nicht ein. Er muss alles erst einmal verarbeiten. Was er ihr wirklich von der Geschichte glauben kann, weiß er noch nicht. Die Frau sucht vielleicht nur ständig nach Anerkennung und erfindet darum solche verrückten Geschichten. Erfolg und Anerkennung ist eine Domäne der Männer. Einem Weib das zuzugestehen, ist für ihn ein Unding. Wird er so eine Frau an seiner Seite aushalten? Welche Rolle wird er für Aphrodite spielen? Wird er von ihr einfach fallen gelassen, wenn er nicht so funktioniert, wie sie es von ihm erwartet?

Landauers Hintern meldet sich unangenehm und verlangt nach einer Rast. Es wird endlich Zeit, ihr Nachtlager aufzubauen. „Wir sollten dort drüben am Felsen unser Nachtlager aufschlagen. Überrascht uns die Dunkelheit, wird es schwer, einen geeigneten Platz zu finden!“

„Klingt vernünftig, mein Führer“, stimmt sie ihm zu. Seine wirren Augen verraten Aphrodite, dass der Mann nicht wirklich ihren Worten glaubt. Schweigend richtet sich jeder getrennt seinen Schlafplatz her. Ein Stück Brot und für jeden eine Dose Schweineschmalz sind das gemeinsame Abendbrot. Schweigend essen sie. Aphrodite hat ständig das Gefühl, dass der Mann ihr langsam entgleitet. Werden sie in Suakia getrennte Wege gehen?

Suakia, am Roten Meer

Die Stadt Suakia empfängt sie mit Lärm und Schmutz, so wie Aphrodite auch die großen Städte Kairo und Karthum in Erinnerung hat. Es geht durch ein Labyrinth aus engen Gassen voller Menschen und Gespanne aller Art. Nur hier direkt am Roten Meer gibt es die Mischung aus arabischer und schwarzafrikanischer Kultur und Lebensart, die noch zu Gunsten der Araber ausfällt. Mekka und Medina, auf der anderen Seite des Roten Meeres, sind nicht weit entfernt. Vor einer kleinen Teestube, im viktorianischen Stil eingerichtet, machen sie beide ihre Kamele fest. An einem kleinen Tischchen mit Blick auf die quirlige Gasse serviert ihnen lächelnd ein kleines Mädchen mit großen dunklen runden Augen, schmutzigem Kopftuch und einer riesigen Zahnlücke den Tee. Erschöpft, aber glücklich, am Ziel zu sein, genießen beide schweigend den nach ihrem Geschmack etwas zu süßen Tee. Das faulige Wasser der letzten zwei Tage war kaum noch zu ertragen. Nur der brennende Durst hat sie beide das Wasser trinken lassen.

Mit Sorge beobachtet sie ihren Partner Dieter Landauer, der den Tee mit Genuss trinkt und dabei auch die Leute beobachtet. In den vergangenen zwei Tagen hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen.

Er will gar nicht wissen, ob sie tatsächlich die Goldene Frau ist. Will er mit ihr zusammen wirklich noch nach dem nächsten Sender suchen? Er vergewissert sich nur ständig, ob die goldene Statue immer noch in seinem Rucksack liegt.

Sie beobachtet ihn dabei argwöhnisch. Wird er, ohne sie zu fragen, die Statue zu Geld machen und dann für immer verschwinden?

„Was hast du?“, fragt Landauer sie und lächelt sie dabei an.

„Wir müssen reden!“

„Ach wirklich? Gut, reden wir“, sagt er und greift schon wieder nach dem Rucksack.

„Ich will heute Nacht in einem ordentlichen Hotelbett schlafen. Davor will ich ein ausgiebiges Bad nehmen. Denn ich fühle mich wie ein wandelnder Zoologischer Garten voller Plagegeister, die Krieg gegen mich führen. Kriegst du das für mich hin?“

Landauer nickt: „Ich war vor Jahren schon hier und habe im Hotel „Mombasa“ übernachtet. Ich weiß, dass die besseren Zimmer dort ein Bad haben. Allerdings hat das seinen Preis!“

„Dann lass uns sofort aufbrechen! Auf dem Weg dorthin können wir weiter reden. Ich halte das Jucken und Beißen nicht mehr länger aus!“, klagt Aphrodite, steht auf, packt den Mann an der Hand und zerrt ihn hinaus.

„Hier entlang müssen wir gehen. Zuerst müssen wir unsere drei Kamele verkaufen. Wir brauchen Geld. Hier in Suakia schon die Statue zu Geld machen, ist vielleicht noch zu riskant!“, erklärt Landauer und zieht die drei aneinander gebundenen Kamele auf der einen Seite und Aphrodite auf der anderen Seite durch die Gassen.

Aphrodite hat Mühe, dem Mann zu folgen.

Sie erreichen endlich das Hotel und Landauer denkt laut: „Wie wahr, Geld fehlt uns nun wirklich, nicht nur für ein schönes Bett und meinetwegen auch für ein Bad. Wir brauchen aber auch Geld, um auf ein Schiff zu kommen, das uns in Richtung Neu Guinea bringt. Die Schiffspassage zum Beispiel nach Bombay oder Goa ist nicht billig.“

„Willst du wirklich mit mir bis Neu Guinea weiterreisen? Womit hast du vor unserer Zeit dein Geld verdient?“, fragt sie ihn.

„Hauptberuflich bin ich Sohn reicher Eltern. Aber seit drei Jahren hatte ich zu meinem Vater keinen Kontakt mehr. Ich hatte keine Lust, die Firma zu übernehmen und im Büro in stupider Arbeit zu ersticken. Mit Pokern, Spekulationen und Pump habe ich mich so durchgeschlagen. Was kannst du denn?“

Aphrodite antwortet ganz offen: „Ursprünglich war ich Ärztin.“

„Ärztinnen sind hier im Land Mangelware und praktisch eine Lizenz zum Gelddrucken!“, sagt er begeistert und kauft ihr die Ärztin nicht ab.

Aphrodite schüttelt den Kopf: „Ich habe die Medizin des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts studiert. Dort arbeitete ich mit Computern und Medikamenten, von denen hier die Ärzte nicht einmal zu träumen wagen. Schlag dir die Ärztin, die dich aushält, aus dem Kopf!“

„Du willst eine Ärztin des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts sein? Du kannst es mit den Lügengeschichten einfach nicht lassen!“, spottet er und zweifelt wieder an ihrer Glaubwürdigkeit.

„Vergiss, was ich eben gesagt habe! Vergiss die Ärztin!“

„Was kannst du noch?“

„Ich habe auch zeitweise als Hebamme gearbeitet. Doch damit verdient man kein Geld. Schon gar nicht so viel, das es für eine Schiffspassage reicht!“, erklärt Aphrodite.

„Die reichen Frauen haben ihre eigenen Hebammen und die armen Frauen können dich oft gar nicht bezahlen. Auch brauchst du eine feste Adresse und kein Hotelzimmer!“

„Was ist, wenn wir erst einmal die drei Kamele verkaufen würden?“, schlägt sie vor.

„Du hast recht, wir gehen erst noch zum Viehmarkt!“

Schweigend ziehen sie los. Der Viehmarkt kündigt sich schon mit Gestank und Lärm an. Bei dem ersten Kamelhändler bleiben sie stehen.

„Halte dich zurück, ich mache das schon!“

Aphrodite stellt sich an eine Hauswand und sieht zu, wie er mit dem Händler lautstark feilscht. Da will sie nicht dabei sein und sagt im Vorbeigehen zu Landauer: „Verkauf du die Kamele! Ich gehe eine Runde um den Markt. Wir treffen uns dort am Brunnen. In Ordnung?“

„Geh schon, aber nicht zu weit weg! Halte deinen Schleier geschlossen! Es muss nicht jeder wissen, dass du eine Blondine bist!“, erwidert er und redet auf Arabisch wieder auf den Händler ein.

Aphrodite schlendert doch nicht über den ganzen Markt. Sie hat Angst, sie könnten sich verlieren. Eine Frau allein lebt hier gefährlich. Sie hockt sich auf den Boden am Brunnen nieder und beobachtet das Markttreiben. Gleichzeitig behält sie Landauer fest im Auge. Er trägt den Rucksack mit der goldenen Statue bei sich. Ist er weg, ist ihre ganze Mission in Gefahr. Ihr fallen zwei blonde Damen mit weißem Hut, weißem Schirm und langen hellblauen Kleidern auf. Sie betrachtet sich und sieht nur ein weites schwarzes, schmutziges und zerrissenes Gewand. Eine vornehme Dame ist sie nun wirklich nicht. Sie steht auf, um sich wenigstens das Gesicht zu waschen. Das Wasser tut ihr gut. Sie schaut sich nach Landauer und dem Händler um. Landauer fuchtelt wild mit den Händen, als wären es Propeller eines Flugzeugs. Aphrodite hockt sich wieder auf den Boden am Brunnen.

Die vornehmen Damen mit den weißen Schirmen gehen an ihr vorbei, schauen Aphrodite nur kurz herablassend an und gehen weiter. Dabei hört sie aus ihrem Gespräch deutsche Worte heraus. Hat sie sich eben verhört? Sie sind schließlich in einer englischen Kolonie. Nur für eine Sekunde hat sie Lust, die Frauen anzusprechen, um das Neueste aus Deutschland von ihnen zu hören. Sie verwirft ihren Plan und sagt sich, dass sie doch viel besser als die beiden über Deutschland Bescheid weiß. Vor allem, was die Zukunft betrifft.

Als die Frauen erneut an ihr vorbeikommen, setzt sie eine leidende Miene auf und hält bettelnd die Hand auf. Zu Aphrodites Überraschung steckt eine der Frauen ihr sogar eine Münze und eine Visitenkarte zu. Dabei erklärt sie in sauberem Deutsch: „Ich suche noch ein Dienstmädchen. Kommen Sie zu der Adresse, ich hätte vielleicht Arbeit für Sie!“

Aphrodite ist echt baff und sagt auch auf Deutsch: „Danke, gnädige Frau!“

„Sie verstehen mich?“, fragt jetzt die Frau überrascht.

Auch ihre Begleiterin ist überrascht: „Sind Sie Deutsche?“

„Ich spreche Deutsch, Englisch, Schwedisch und Latein!“, erwidert Aphrodite auf Deutsch. Überrascht schaut sie auf ein Zwei-Pence-Stück und eine goldumrandete Visitenkarte. Sie liest: Doktor der Geologie Richard Weizmann – Sudan – Straße nach Sinkas Nr.3, Suakia!

Sie schaut zu den Frauen auf, ohne aufzustehen und erklärt höflich: „Danke für Ihr großzügiges Angebot, ich bin leider nur auf der Durchreise!“

Beide Frauen schauen sie ungläubig an und jetzt meint die andere Frau, während sie ihr Taschentuch vor den Mund hält: „So wie die Frau stinkt, hat sie tagelang auf einem Kamel gesessen. Komm Lisa, lass uns gehen. Sonst holen wir uns noch Läuse und Flöhe von ihr!“

Auch die andere Dame hält Abstand, fragt aber neugierig: „Wohin soll denn die Reise gehen, wenn man fragen darf?“

„Man darf fragen, gnädige Frau. Ich will nach Kutsching. Kutsching gehört zu Britisch Borneo!“

Beide Frauen rufen gleichzeitig überrascht: „Großer Gott!“

Die Dame mit dem Taschentuch spricht: „Ich weiß, wo das liegt. Wollen Sie mich nicht bis Bombay begleiten? Keine meiner Dienerinnen will mit mir reisen. In drei Tagen geht es schon los. Wenn Sie Interesse zeigen, kommen Sie doch wirklich in das Haus meiner Schwester. Ein Bad könnten Sie sicher auch gut vertragen. Etwa in einer Stunde können Sie sich dort melden. Dann sind wir von unserem Bummel zurück. Ich würde mich aufrichtig freuen!“

„Ich werde über Ihr großzügiges Angebot nachdenken und wünsche den Damen noch einen schönen Tag!“, erwidert sie höflich.

Die Damen rufen ihr schon im Gehen begriffen nach: „Ebenfalls einen guten Tag noch!“

Kaum haben ihr die beiden den Rücken gekehrt, als Dieter Landauer neben ihr steht und neugierig fragt: „Was haben diese aufgetakelten Schnepfen von dir gewollt?“

„Sie haben mich in ihr Haus eingeladen. In drei Tagen kann ich mit der einen Schnepfe nach Bombay reisen!“, sagt sie nachdenklich.

Er fragt überrascht: „Und ich?“

Aphrodite steht auf und meint zu ihm: „Du hast doch jetzt Geld, die Kamele haben sicher ordentlich was abgeworfen. Oder etwa nicht? Lass uns zurück ins Hotel gehen. Morgen Vormittag bringst du mich bitte zu der Adresse der Damen. Ich werde das Angebot der Frau auf jeden Fall prüfen. Meine tausend Pfund und dein Erlös für die Kamele reichen für dich sicher bis nach Bombay. In Bombay verkaufen wie die Statue, dann sehen wir weiter. Wie stehst du zu meinem Vorschlag?“

„Ich will eine Nacht darüber schlafen“, erwidert er nachdenklich.

Er nimmt sie an die Hand und zusammen verlassen sie mit ihren wenigen Habseligkeiten den Viehmarkt. Schweigend gehen sie schon eine Weile durch die Gassen.

Plötzlich bleibt er stehen und fragt: „Ist das eine Dienstmädchenstelle?“

„Kann so etwas in der Art sein. Ich soll vor allem der Frau auf der langen Reise etwas Gesellschaft leisten. Wieso fragst du?“

Landauer warnt: „Das stinkt mir gewaltig. Auch weil Dienstmädchen dem Hausherren zu Willen sein müssen. Das willst du doch sicher nicht!. Es sind vielleicht Frauen, die Frauen verkaufen. So großzügig ist niemand, eine teure Schiffreise zu verschenken!“

„Schön, dass du so um mich besorgt bist. Aber es ist doch eine echte Alternative zu einem verlustreichen Verkauf der goldenen Statue. Oder etwa nicht?“, meint sie schon entschlossen, auf das Angebot der Frau einzugehen.

Landauer verlangt nervös: „Wenn der leiseste Verdacht aufkommt, dass die Frauen Menschenhändlerinnen sind, gehst du. Das musst du mir versprechen!“

„Ich kann gar nicht glauben, dass du dir so viel Gedanken um mich machst. Wir nehmen heute ein gemeinsames Zimmer. Das Zimmer ist billiger, als wenn jeder ein Zimmer hat!“, schlägt Aphrodite vor und kann schon das verrostete Schild Hotel Mombasa erkennen.

Landauer stimmt ihr zu: „Ein Doppelzimmer ist vernünftig. Wir werden uns schon nicht in die Quere kommen!“

Gemeinsam betreten sie das Hotel. Dieter erledigt die Formalitäten.

„Wir haben das letzte Zimmer mit Bad bekommen. Für drei Tage habe ich im Voraus bezahlt. Wir haben so viel Geld, um noch einmal für drei Tage das Hotelzimmer bezahlen zu können.“

„Du bist wirklich mein Bester!“, freut sich Aphrodite.

*

Entspannt liegt sie jetzt in der Badewanne. Das Wasser ist kalt, aber das ist in dieser drückenden Hitze auch gut so. Der Ventilator im Zimmer sorgt kaum für Kühlung. Sie sucht noch immer mit den Augen das Wasser nach Flöhen und anderen Plagegeistern ab. Doch sie kann keins der kleinen Monster noch ausmachen. Sie muss mit Erfolg auch den letzten kleinen Tyrannen geknackt haben.

Aphrodite überdenkt immer noch das Angebot der fremden Frau. Was für ein Pferdefuß kann hinter dem Angebot tatsächlich stecken? Anders als Landauer glaubt sie nicht, dass die Frauen Menschenhändler sind. Die beiden gehören zu einem Doktor der Geologie Richard Weizmann. Was sucht ein Doktor der Geologie in einem Nest am Rande der zivilisierten Welt? Ist der Mann Jude und vor den Nazis geflohen? Allerdings nicht jeder, der sich Weizmann nennt, ist Jude. Es ist auch recht ungewöhnlich, dass angeblich niemand aus dem Dienstpersonal mitreisen will. Sie muss morgen besonders aufmerksam zuhören. Nicht dass sie wieder in eine dumme Sache gerät. Zu viel ist in den letzten Monaten bei ihr schiefgelaufen. Viele, zu viele Menschen mussten sterben. Eigentlich soll sie sich als Zeitreisende auch mit Eingriffen in Raum und Zeit strikt zurückhalten. Zudem soll sie möglichst wenig Spuren zurücklassen. Jeder Eingriff, besonders jeder gewaltsame Tod, hat nicht selten schwerwiegende Folgen für kommende Generationen. Mit jedem Menschen, der durch sie stirbt, löscht sie vielleicht wichtige Personen späterer Generationen aus, Menschen, die später Geschichte schreiben. Andererseits darf sie ihr Ziel nicht gefährden. Ihr Erfolg steht über allen Entscheidungen. Wieder kommt sie auf die Frage zurück: Braucht sie Dieter Landauer noch? Muss er ihr auch für die weiteren Aufgaben als Partner erhalten bleiben? Sie muss sich schnell entscheiden. Wenn sie ihn nicht mehr braucht, wird sie ihn nur los, wenn die goldene Statue verkauft wurde. Soll sie die Statue schon hier verkaufen?

Als hätte sie den Mann mit ihren Gedanken gerufen, kommt Dieter Landauer in dem Moment ins Bad und grinst sie breit an.

Sie taucht ins trübe Seifenwasser bis zum Hals ab.

„Darf ich dir den Rücken einseifen oder anders behilflich sein?“, fragt er höflich.

„Danke, gerne. Ich weiß, du wirst die Situation nicht ausnutzen. Wir waren viele Tage allein in der Wildnis“, erwidert sie und hält ihm ihren Rücken hin.

Der Mann aus Ostpreußen

Dieter Landauer will angeblich alleine alte Freunde besuchen, oder geht er zu den Huren? Bei Männern weiß man das nie so genau. Aphrodite hat es sich in der Teestube, in einer Ecke nur für Frauen, bequem gemacht. Eine Inderin in farbenfrohem Sari sitzt in der anderen Ecke alleine und trinkt auch Tee. Aphrodite überlegt, ob sie die Frau ansprechen soll.

Ein europäisch gekleideter Mann kommt direkt auf sie zu und grüßt: „Einen schönen guten Tag wünsche ich, Frau Güldner!“

„Guten Tag. Wie kommen Sie hierher? Der Herr von Bootz, der Großgrundbesitzer aus Allenstein in Ostpreußen, ist hier am Ende der Welt. Ich bin wirklich überrascht. Sie hätte ich als Letztes hier erwartet!“, erwidert Aphrodite verwirrt.

Herr von Bootz nimmt neben ihr Platz und erklärt breit grinsend: „Viel, sehr viel ist geschehen, als wir uns im Museumscafé in Berlin das letzte Mal gesehen haben. Unglaublich viele Männer sind seit dieser Zeit in Ihrer Nähe auf unnatürliche Art gestorben. Nur noch Ihr Killer, der Herr Landauer, lebt. Wie lange noch? Von ihrem Gatten konnten Sie sich nicht schnell genug trennen. Ihr Husarenstück haben Sie aber in Assuan abgeliefert. Die Polizei so plump zu bestechen, ist mehr als dreist. Dass Sie sich nie selbst die Finger schmutzig gemacht haben, kaufe ich Ihnen gerne ab. Meine Beweise reichen aus, dass Sie nach Ihrem Prozess, sicher noch am gleichen Tag, gesteinigt werden. Haben Sie schon einmal bei einer Steinigung zugesehen?“

„Nein, noch nicht.“

„Dann hören Sie gut zu“, erwidert er, nippt an dem eben servierten Tee und erzählt: „Vor zwei Wochen durfte ich bei der Vorbereitung und natürlich der Vollstreckung einer Steinigung dabei sein. Eine Frau hat ihren Mann und den eigenen Sohn getötet. Zehn Minuten nach der Urteilsverkündung begannen die Vorbereitungen zur Steinigung. In Anwesenheit zahlreicher Männer musste sie ihre weltlichen Kleider ablegen. Für einen kurzen Augenblick stand vor mir eine schöne junge Frau völlig nackt. Ein weißes Tuch mit einem Loch in der Mitte wurde ihr übergestreift. Dann hat man ihr das schöne lange schwarze Haar abgeschnitten und den Kopf ganz kahl geschoren. So wurde sie nach draußen auf den Platz der Vollstreckung geführt. Dort verlas man, warum sie sterben muss. Dann wurde ein großes weißes Tuch über sie geworfen. Augenblicke später prasselten Hunderte Steine auf sie nieder. Ich sah sie danach, nackt und völlig entstellt, noch einmal vor mir liegen.“

“Warum erzählen Sie mir das?“

„Weil es auch Ihr Schicksal sein wird, wenn Sie mir nicht das geben, was mir zusteht. Geben Sie mir die Statue, die Ihr Paslack gerade verkaufen wollte. Sie bringen mir die Statue in einer halben Stunde auf mein Zimmer. Ich habe die Zimmernummer vierunddreißig“

„Hier im Hotel?“

Von Bootz lacht und versichert ihr: „Natürlich hier im Hotel. In allen Hotels von Suakia und Sudan habe ich Fotos von Ihnen und Ihrem Paladin Dieter Landauer hinterlegt. Ich habe Prämien versprochen, wenn man mir Auskunft erteilt, wo Sie beide abgestiegen sind. Dass ich Sie beide mit dem Tod des Schweizer Bankers Walter Gruber in Assuan verloren hatte, war also ohne Bedeutung. Ich wusste von Anfang an, ich kriege Sie. Sie hätten in Berlin mein Angebot annehmen sollen. Egal, zurück nach Deutschland können Sie nicht. Also blieben nur die Hafenstädte am Roten Meer als Ziel übrig. Wenn Sie zu mir kommen, ziehen Sie sich was Luftiges an. Ich will, dass Sie mich auch noch lieben. Oder verstehst du es besser, wenn ich zu dir sage: ‚Ich will dich Schlampe ficken.’ Also in einer halben Stunde bei mir mit Statue und Kondomen, wenn du nicht schwanger werden willst. Scher dich weg, Schlampe und Mörderin!“

Blass steht Aphrodite auf und geht in ihr Zimmer. Die Statue und Landauer sind nicht da. Landauer will also doch schon hier die Statue zu Geld machen. Was nun? Mechanisch zieht sie sich um. Nur ihr Kleid, sonst nackt, macht sie sich auf den Weg zu Zimmer vierunddreißig. Ihr Stab ist jetzt ein Armreif. Was sie tun wird, weiß sie noch nicht. Sie muss eine Treppe höher gehen. Oben im Gang kommt ihr ein Araber, ganz in Schwarz, entgegen. Er trägt einen langen goldenen Säbel. Nur für einen Augenblick kreuzen sich ihre Blicke. Kalte Augen, die Augen des Todes, haben sie angeschaut. Sie bekommt eine Gänsehaut. Einen kurzen Moment hält sie vor der Tür zu Zimmer vierunddreißig inne. Dann klopft sie an. Nichts tut sich. Sie klopft etwas kräftiger und die Tür geht auf. Die Vorhänge am Fenster sind zugezogen, aber die Fenster sind weit auf. Ein großes Bett mit Moskitonetz beherrscht das Zimmer. Im Halbdunkel ahnt sie, dass auf dem Bett ein Mann liegt. Voller Angst geht sie auf das Bett zu. Die Tür fällt krachend hinter ihr zu. Sie zuckt erschrocken zusammen und fragt: „Soll ich mich gleich ausziehen?“

Schweigen, nur die Vorhänge rascheln. Schweigen ist auch eine Antwort. Sie löst die Träger ihres Kleides und knisternd fällt das Kleid zu Boden. Im Zimmer herrscht eine unangenehme Schwüle und doch friert Aphrodite. Sie geht nackt, wie sie ist, ganz an das Bett heran und schiebt das Moskitonetz beiseite.

Vor ihr liegt Enno von Bootz und sie hört ihn schwer atmen. Blut läuft aus seinem Mund. Seine Brust ist blutüberströmt.

Sie hört ihn röcheln: „Du bist der leibhaftige Teufel. Welche Macht steht hinter dir. Ich, ich ver…“

Es kommen nur noch gurgelnde Laute, dann schweigt der Mann für immer. Aphrodite greift nach ihrem Kleid, streift es sich über und verlässt das Zimmer. Niemand hat gesehen, dass sie in dem Zimmer war. Ihr fällt der schwarze Araber mit dem Säbel ein. Hatte von Bootz noch andere Feinde? Ach ja, er war Gewährsmann des Schweizer Bankers Gruber, das erklärt einiges. Ein besonderer Glücksfall für sie. Die Schande, es mit diesem Schwein zu tun, blieb ihr erspart. Sie hätte es sonst getan, das weiß sie. Von dem Vorfall mit von Bootz will sie Landauer nichts sagen. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.

Das Haus Weizmann

Gestern wurde Enno von Bootz ermordet. Dass die Polizei im Haus war, hat sie nicht mitgekriegt. Oder hat man ihn einfach verschwinden lassen? Egal, heute ist ein neuer Tag. Sie ist mit Landauer unterwegs zur Familie Weizmann. Aphrodite achtet überhaupt nicht auf den Weg. Warum von Bootz sterben musste, hat sie nicht erfahren. Dieter ist spät am Abend mit der Statue zurückgekommen. Sie wollen alle nicht genug zahlen, hat er geklagt. Dass er hinter ihrem Rücken die Statue verkaufen wollte, hat sie ihm übelgenommen und auch so ins Gesicht gesagt. Doch sie hat ihm verziehen, denn noch braucht sie ihn.

Dieter Landauer bleibt stehen, zeigt auf ein Haus und erklärt: „Das müsste das Haus des Doktor Weizmann sein. Soll ich auf dich warten? Die schmeißen dich sowieso gleich wieder raus!“

„Wieso das?“, fragt Aphrodite. Sie ist voller Zuversicht.

Landauer küsst sie auf die Stirn und sagt: „Du passt nicht zu ihnen. Das sind definitiv Juden. Ihre Regeln und religiösen Pflichten werden dir nicht passen.“

„Meinst du wirklich? Ich muss dir leider Recht geben, wenn es Juden sind, wird es mir schwer fallen, nach ihren Regeln zu leben. Ich werde es mir anhören und die Entscheidung mit dir besprechen. Einverstanden?“, fragt sie Landauer. Sie will nur mit ihm zusammen weiterreisen, hat sie eben beschlossen.

„Was ist? Soll ich doch auf dich warten?“

Aphrodite schüttelt den Kopf und meint: „Lieber nicht. Ich will nicht, dass sie gleich von dir wissen. Nicht dass ich mich deiner schämen würde. Ganz im Gegenteil, es ist zu unserer eigenen Sicherheit. So können wir uns besser gegenseitig helfen. Wenn sie wissen, dass ich einen Mann an meiner Seite habe, kann vielleicht aus der Sache nichts werden. Wenn wir beide erst auf dem Schiff sind, finden sich immer Plätze, wo wir uns unbeobachtet treffen können!“

Sie küsst ihn noch einmal flüchtig, dann läuft sie zur Pforte. Davor nimmt sie ihr Kopftuch ab und schüttelt sich ihr langes blondes Haar frei. Sie will gleich klarstellen, dass sie trotz ihrer arabischen Tracht eine Europäerin, eben eine Deutsche ist.

Den Türgriff der Gartenpforte schon in der Hand, dreht sie sich noch einmal nach Landauer um. Aphrodite schenkt ihm noch ein Lächeln, dann betritt sie das gepflegte Grundstück. Die Villa im viktorianischen Stiel und der sehr gepflegter Vorgarten machen auf sie einen guten Eindruck. Sie muss vier weiße Marmorstufen hochgehen, dann schlägt sie den gusseisernen Klopfer an der Tür.

Ein dunkelhäutiges Mädchen mit langem, schwarzen Kleid und großer, weißer Schürze macht auf und fragt: „Sie wünschen?“

Aphrodite reicht dem Mädchen die Visitenkarte und sagt: „Guten Tag, ich bin Aphrodite Mercedes Güldner aus Deutschland. Die Damen haben sich mir nicht vorgestellt, aber mir diese Visitenkarte gegeben und mich eingeladen, sie zu besuchen. Allerdings sollte ich schon gestern kommen!“

Das Mädchen nickt nur und schließt die Tür. Es dauert nicht lange, dann macht es die Tür nur noch einen Spalt auf und erklärt: „Die Damen kennen Sie nicht. Bitte gehen Sie!“

Aphrodite ist enttäuscht: „Entschuldigung, ich gehe gleich. Aber richten Sie bitte den Damen noch aus, dass es sehr schade ist, dass es nun doch nichts aus der gemeinsamen Reise nach Bombay wird. Ich werde ihnen dann aus Kutsching eine Postkarte schreiben!“

Die Frau nickt nur, die Tür fällt wieder zu. Aphrodite macht demonstrativ kehrt, geht aber ganz langsam zur Pforte und hofft auf ein kleines Wunder.

„Die Damen erwarten Sie“, hört sie das Dienstmädchen endlich an der Tür rufen. Sie dreht sich um und folgt dem Dienstmädchen durch eine große Empfangshalle in einen Salon mit Blick auf einen kleinen üppigen, tropischen Blumengarten mit Springbrunnen.

Mit großen Augen wird sie jetzt von den Damen empfangen.

Die ältere Dame geht lächelnd auf sie zu und sagt: „Es ist unfassbar, wie ist die Verwandlung nur möglich? Sie trugen doch so entsetzlich stinkende Sachen.“

„Ich hatte gestern Erholung von dem langen Marsch durch die Nubische Wüste gebraucht. Darum bin ich erst heute zu Ihnen gekommen. So verdreckt wie ich gestern war, wollte ich nicht vor Ihnen erscheinen!“, entschuldigt sich Aphrodite.

„Sie haben gut daran getan. Entschuldigung, wir haben uns noch nicht vorgestellt. Das ist meine liebreizende Schwester Sara und ich bin Lea Weizmann, die älteste Tochter von Doktor Weizmann!“, stellt die ältere Frau sich und ihre Schwester vor.

Aphrodite macht artig ihren Knicks und stellt sich noch einmal vor: „Angenehm, ich bin Aphrodite Mercedes Güldner aus Berlin. Dass ich in der Burka nicht als Europäerin zu erkennen bin, ist durchaus beabsichtigt. Europäer leben im Hinterland gefährlich!“

Mit der rechten Hand führt Lea Weizmann Aphrodite zu einem hohen Korbsesel. Die Frauen setzen sich ihr gegenüber auf eine im gleichen Stil aus Korb geflochtene Bank. Ein Korbtisch mit Glasplatte trennt sie von einander. Die Damen schlagen ihre Beine übereinander und trinken den eben gereichten Tee. Die Frauen fixieren sich schweigend gegenseitig.

Aphrodite hält auch ihre Tasse Tee in der Hand und probiert nur kurz den heißen Trank. Sie kann die Frauen schön beobachten. Lea Weizmann ist ein etwas mütterlicher Frauentyp, über dreißig, mit auffallend weichem rundem Gesicht. Ein Gesicht mit den ersten hässlichen Falten, die Sorgen ihr ins Gesicht brannten. Ihre blauen Augen tanzen nervös herum, als suchten sie nach einer möglichen Gefahr. Die Frau ist heute nicht geschminkt. Anders auf dem Markt, dort hat Schminke ihre Fältchen verschwinden lassen. Das Haar ist modisch kurz gehalten mit leichten Locken. Der breite ausladende Hintern der Frau passt nicht zu ihr. Die jüngere Schwester Sara Weizmann dagegen ist auffallend schlank und hat ein schmales, blasses Gesicht. Sie wird kaum über zwanzig sein. Ihr kurzes schwarzes Haar ist ganz glatt und als Bubikopf, der Mode angepasst, geschnitten. Nur ihre kirschroten Lippen und die blauen Augen bringen etwas Leben in das sonst faltenlose Gesicht. Sara Weizmann wird bei den Männern durch ihre mädchenhafte Art, Typ Lolita, immer gern gesehen sein. Beide tragen trotz der drückenden Hitze seidene Strümpfe. Dass Aphrodite ohne Strümpfe ist und von der Sonne unterhalb der Fußknöchel braune Füße hat, wird von den Damen belächelt. Sie haben endlich einen Schönheitsmakel an ihr entdeckt und vor allem Lea Weizmann nimmt das erleichtert zur Kenntnis. Es ist in dieser Zeit noch nicht Mode, als Frau sonnengebräunte Haut zu zeigen. Aphrodite fühlt sich in ihrer Haut recht wohl und hat überhaupt keine Lust, dieser Mode folgen. Es ist schon schlimm genug, dass sie keine Hosen tragen darf. Dass sie in Wirklichkeit mit Abstand die älteste Frau in der Runde ist, braucht sie ihren Gastgeberinnen auch nicht unter die Nase zu reiben.

Lea Weizmann bricht das langsam peinliche Taxieren und Schweigen der Frauen und fragt Aphrodite: „Wie ist die Wandlung vom Aschenputtel zur wohlhabenden Araberin möglich geworden?“

Aphrodite trinkt noch schnell etwas Tee und erzählt: „Ich war mit meinem Mann, das war Doktor Carsten Güldner, Doktor der Archäologie, von Berlin nach Kairo gereist. Zu meiner Sicherheit bin ich lieber in der traditionellen Tracht muslimischer Frauen unterwegs. Es ist ein guter Schutz vor den Männern. Als wir uns auf dem Viehmarkt trafen, bin ich gerade aus Amara über die Berge hier in der Stadt eingetroffen. Dass ich aus der Nubischen Wüste kam, hatte ich aber schon erklärt!“

Sara Weizmann fragt etwas unsicher: „Das erklärt natürlich den Schmutz und den zerfetzten Stoff. Aber habe ich eben hoffentlich nur einen Versprecher gehört? Sie sagten eben war mit meinem Mann. Sind Sie von Ihrem Mann geschieden?“

„Sie haben schon richtig gehört, es nur falsch gedeutet. Direkt vor den Pyramiden wurde mein Mann von einer Räuberbande kaltblütig ermordet. Ich sah ihn sterben!“, lügt Aphrodite gekonnt. In Wirklichkeit war sie wohl schon im Hotel, als ihrem Mann der Kopf abgeschlagen wurde.

„Großer Gott. Das ist ja entsetzlich“, meinen die beiden Frauen gleichzeitig.

Sara: „Unser aufrichtiges Beileid von uns beiden, Frau Güldner!“

Aphrodite antwortet ehrlich: „Danke für Ihr Mitgefühl, ich bin lange drüber weg. Das Leben muss weitergehen. Ich hatte damit zu tun, schlicht und einfach zu überleben!“

Lea Weizmann fragt: „Wie kommt es, dass Sie jetzt hier in Suakia sind? Von Kairo nach Berlin geht es doch in die entgegengesetzte Richtung?“

Aphrodite nickt lächelnd und erklärt: „Mein Mann und ich waren Mitglieder einer archäologischen Expedition. Die Expedition musste fortgesetzt werden. Das hatten wir am Anfang auch versucht und sind dann doch gescheitert. Uns haben zu mächtige Feinde gejagt. So blieb mir am Ende nur die Flucht in den Süden. In europäischer Kleidung lebt es sich als Frau hier sehr gefährlich!“

Sara nickt und erzählt: „Wir wurden von unserem Herrn Vater auch auf recht drastische Art und Weise darin unterrichtet, die Realitäten der Kultur hier anzuerkennen!“

„Wie unterrichtet?“, fragt Aphrodite interessiert.

Lea meldet sich: „Vater hat uns in Männerkleider gesteckt und gezwungen, hier in der Stadt einem Verkauf von Sklaven beizuwohnen. Vor allem junge Frauen und Knaben wurden völlig nackt zum Verkauf angeboten. Die Käufer, ausschließlich Männer, waren nicht nur Araber. Britische Offiziere boten fleißig mit. Ich erinnere mich an eine dunkle Schönheit. Die Augen der Männer, die sich im Bieten gegenseitig übertrafen, haben geleuchtet. Ein hoher britischer Offizier hat sie ersteigert. Hellhäutige Frauen wurden auch verkauft. Sie sind für solche Männer auch eine begehrte Ware. Ich vermute mal, das wissen Sie schon lange!“

„Das haben Sie richtig erkannt. Darum auch meine Tarnung als Muslimin“, bestätigt ihr Aphrodite.

Sara fragt neugierig: „Sie sind Deutsche, aber wollen weiter nach Kutsching. Warum?“

Aphrodite antwortet ehrlich: „Ich habe nicht die Absicht, jemals wieder nach Deutschland zurückzukehren!“

„Wie sollen wir das jetzt wieder verstehen? Sind Sie etwa auch Jüdin?“, fragt Sara Weizmann überrascht und wird sofort mit bösen Blicken von ihrer Schwester getadelt.

Es sind also doch Juden. Der Name ließ es schon erahnen. Mit den Juden hat sie schon bei den Römern keine schlechten Erfahrungen gemacht. Als Jüdin kann sie sich den Frauen nicht ausgeben, das fliegt sofort auf. So erklärt sie ehrlich: „Eine Jüdin bin ich ganz gewiss nicht. Ich gehöre keiner Religion an. Für mich ist Gott ein abstraktes Überwesen. Eine alles beherrschende Macht. Ich bin nicht an irgendeine Religion gebunden. Gott ist immer und überall für mich da. Für mich gibt es andere gewichtigere Gründe, Deutschland für immer den Rücken zu kehren!“

„Was für gewichtige Gründe sind das?“, fragt ein Mann, der hinter ihr gerade den Salon betritt. Die beiden Frauen drehen sich auch nach dem Mann um und lächeln ihn gewinnend an.

Ein Mann Ende fünfzig, Vollglatze, kleiner Kugelbauch, Nickelbrille, kommt auf Aphrodite zu, reicht ihr die Hand und erklärt: „Kompliment, junge Frau, Sie sehen blendend aus. Gar nicht so, wie meine Töchter Sie mir heute am Mittagstisch beschrieben haben. Sie sind doch die angeblich sprachbegabte Frau vom Viehmarkt? Oder sind Sie das etwa nicht?“

Aphrodite ist von der Ausstrahlung des Mannes beeindruckt. Sein Handkuss zeigt Stil. Sie lächelt ihn freundlich an. Seine leuchtenden Augen sagen, dass der Job ihr so gut wie sicher ist.

Der Mann schiebt sich einen Korbsessel direkt an ihre Seite und erklärt sanft: „Ich bin Doktor Weizmann, der Hausherr und Vater der jungen Damen. Ich hoffe, meine Töchter waren gute Gastgeber!“

„Natürlich haben wir unseren Gast freundlich empfangen!“, protestieren beide Frauen im Chor.

„Ich bin Aphrodite Mercedes Güldner und erlaube mir, Ihnen höflich zu widersprechen. Ihre Töchter sind zwei reizende junge Frauen und hervorragende Gastgeberinnen“, versichert Aphrodite lächelnd dem Mann.

Doktor Weizmann sagt: „Sie haben noch gar nicht meine Frage beantwortet. Was für Gründe gibt es für so eine schöne Frau, dass sie nicht zurück nach Deutschland will, wenn sie keine Jüdin ist? Die Männer in Deutschland liegen Ihnen doch gleich reihenweise zu Füßen!“

Dass sie unterwegs ist, die Sender der Minoser zu zerstören, kann sie ihm nicht erzählen. So greift sie wieder zu ihren immer neuen Lügengeschichten und erklärt: „Die archäologische Expedition, der ich angehörte, ist gescheitert. Es gab am Ende nur zwei Überlebende. Ich selbst will über Bombay – Kutsching – Makasar nach Merauke weiterreisen. Merauke gehört zu Holländisch-Neu Guinea und dort möchte ich mein Erbe antreten!“

Mit offenem Mund staunen die Frauen und auch ihr Vater, Doktor Weizmann, lässt sie überrascht los. Er richtet sich etwas auf, fängt sich aber schnell und sagt: „Wenn jetzt ein Mann vor mir sitzen würde, hätte ich es ihm sogar geglaubt. Aber Sie sind unübersehbar eine Frau, darum kann ich Ihnen das nicht so recht glauben. Was erben sie denn angeblich?“

„Eine hoffentlich riesige Kautschukplantage erwartet mich dort“, lügt Aphrodite ihm offen ins Gesicht, schaut jetzt die Damen an und erklärt weiter: „Leider bin ich auf dem Weg hierher in den Bergen von einer Bande schwarz gekleideter Reiter überfallen und ausgeraubt worden!“

Die Frauen und der Mann schweigen sichtlich betroffen.

Lea Weizmann taxiert Aphrodite ebenso skeptisch und fragt: „Nur ausgeraubt? Nicht vergewaltigt? Außerdem sind die schwarzen Reiter auch Sklavenhändler. Sie sind aber frei!“

Aphrodite begreift, dass sie wieder einen groben Fehler gemacht hat. Sie gibt sich betont nüchtern und lügt munter weiter: „Es war nicht mein erster und sicher auch nicht der letzte Überfall, den ich überstehen musste. In einem unbeobachteten Moment schluckte ich eine Pille, die mich schnell bewusstlos werden ließ. Von ihnen für tot gehalten, ließen mich die Männer in der Wüste einfach zurück!“

Doktor Weizmann scheint etwas Mitleid, vielleicht sogar Verständnis für ihre Situation zu haben. Er steht auf und versucht, das Gehörte zu verarbeiten. Im Stillen betet Aphrodite dafür, dass Doktor Weizmann ihr die Lügengeschichte abnimmt.

Doktor Weizmann räuspert sich, schaut hinaus auf den Garten und meint: „Schlimme Sache, diese Räuberbanden. Mit der Pille haben Sie sich Schlimmes erspart. Kompliment. Überhaupt, junge Frau, wie wollen Sie jetzt, so ganz ohne Geld, weiter reisen? Wie stellen Sie sich das nur vor?“

„Das ist mein Problem: Wie komme ich zu Geld? Darum bin ich zum Beispiel bei Ihnen. Eine andere Alternative habe ich aber auch noch. Ich bin gelernte Hebamme. Ich muss eben hier so lange arbeiten, bis ich das Geld für die Schiffspassage zusammen habe!“, behauptet Aphrodite selbstbewusst.

Doktor Weizmann überlegt.

„Sie wollen sich wirklich Ihr Geld als Hebamme verdienen? Hier leben doch nur arme Leute. Jahre müssten Sie in Ihrem Beruf arbeiten!“, meint Sara überrascht und schlägt dabei die Hände zusammen.

Aphrodite lächelt: „Kinder kommen überall auf die Welt. Meine Hilfe brauchen viele Frauen. Wenn jede werdende Mutter auch nur das geben kann, was sie an Geld hat, kommt einiges zusammen. Weil ich selbst an keine Religion gebunden bin, kann ich allen Frauen helfen!“

„Sie glauben wirklich an keinen Gott?“, fragt Lea erstaunt.

Aphrodite lächelt verlegen und erklärt: „Ganz stimmt das nicht. Auch für mich gibt es irgendwo einen Gott. Doch ich habe mich nicht dem Gott verpflichtet!“

Wieder schweigen die Gastgeber.

Aphrodite mag das Schweigen nicht und fragt darum: „Sie haben mich eingeladen. Warum? Was bieten Sie mir als Alternative zur Arbeit als Hebamme an?“

Doktor Weizmann: „Wir haben für unsere Tochter Sara ein Dienstmädchen und Gesellschafterin für die Reise nach Bombay und darüber hinaus gesucht!“

„Wie und was gibt es darüber hinaus noch?“, hakt Aphrodite gleich nach und hat so ihre Ahnungen. Sind sie doch Menschenhändler?

Doktor Weizmann sucht nach Worten und sagt leicht errötend: „Es geht auch noch um meinen Sohn Isaak. Er soll mit nach Bombay reisen. Er ist, na ja … na ja ist ...!“

„Unser Bruder liebt Männer!“, meldet sich Sara Weizmann und erschrickt wohl selbst über ihre Kühnheit.

Lea ergänzt: „Wir haben eine Frau gesucht, die offiziell als seine Frau ihn begleitet. Es darf nicht auffallen, dass er anders ist. Ist das nicht eine Lösung für Sie? Sie müssten nur so tun, als seien Sie seine Frau. Das Geld stimmt sicher auch!“

„Da ist doch noch etwas? Hier steckt noch mehr dahinter? Es geht Ihnen doch in Wahrheit nicht um so etwas Banales, wie die Ehefrau zu spielen?“, bohrt Aphrodite weiter. Sie spürt deutlich, dass es um mehr geht. Sie ist sich sicher, ihre Intuition täuscht sie bestimmt auch dieses Mal nicht.

Doktor Weizmann nickt: „Sie sind auffallend intelligent für eine blonde Frau. Man kann Ihnen schwer etwas vormachen. Ich glaube, wir sagen es ihr doch gleich. Oder was meint ihr, meine Töchter?“

„Vater, lass es sein! Sie weiß jetzt schon zu viel. Können wir ihr überhaupt vertrauen? Wir kennen sie noch keine volle Stunde. Sie kann hier sogar für die Nazis arbeiten. Vater, lass dich nicht von ihrer Schönheit blenden. Die schönsten Frauen liegen Hitler zu Füßen!“, protestiert Lea und steht vor Aufregung auf. Ganz aufgebracht läuft die Frau jetzt im Raum herum.

Aphrodite schüttelt den Kopf und erklärt: „Sie können mir ruhig vertrauen. Ich beichte ihnen ein schreckliches Geheimnis und vertraue darauf, dass Sie mich nicht an die Deutschen ausliefern. Das dürfte Vertrauensbeweis genug sein!“

Doktor Weizmann setzt sich jetzt wieder zu ihr, nimmt ihre Hand, schaut Aphrodite in die Augen und erklärt: „Sie haben nichts von uns zu befürchten. Wir sind selbst vor vier Wochen aus Deutschland geflohen. Die Villa gehört einem Onkel unserer Familie. Seien Sie ganz offen und ehrlich zu uns! Vielleicht können wir Ihnen sogar Glauben schenken. Sagen Sie, was Sie uns zu sagen haben!“

Aphrodite nickt und behauptet: „In Deutschland wartet das Fallbeil oder der Strick auf mich. Ich bin nicht ganz unbeteiligt am Tod einiger Expeditionsmitglieder, die der SS nahe standen. Zu meinen Opfern gehören auch einheimische Handlanger der Deutschen!“

„Sie töteten Männer? Ich glaube Ihnen nicht“, spottet Doktor Weizmann.

„Ich beherrsche verschiedene Kampfsportarten und bin eine gute Schützin. Soll ich es Ihnen demonstrieren?“, fragt Aphrodite.

Ein junger Mann kommt in dem Moment herein und fragt gleich: „Was soll hier demonstriert werden?“

Doktor Weizmann deutet auf den jungen Mann und erklärt: „Das ist mein Sohn Isaak. Sie können gleich gegen ihn antreten. Er hat ein paar Jahre an der Universität nebenbei recht erfolgreich geboxt!“

Aphrodite betrachtet den sportlichen jungen Mann. Er ist nicht groß, vielleicht nicht ganz ihre Größe, aber schön schlank und wirkt tatsächlich recht sportlich auf sie.

„Wie bitte? Ich soll gegen eine junge Frau kämpfen? Wer ist die blonde Frau überhaupt?“, fragt Isaak Weizmann.

„Sie ist vielleicht bald deine Frau. Darf ich dir vorstellen, das ist Aphrodite Mercedes Güldner. Kämpfe gegen Sie! Zeige ihr, was ein Mann ist!“, fordert Doktor Weizmann nicht ohne Stolz seinen Sohn auf.

„Ich kämpfe nicht gegen eine Frau. Niemals!“, protestiert Isaak Weizmann und gibt sich beleidigt.

Aphrodite schaut dem jungen Mann direkt in die Augen und fragt: „Fürchtet der junge Herr, dass er schmachvoll gegen eine Amazone verlieren könnte?“

„Sie würden tatsächlich gegen mich kämpfen? Sie wollen eine Amazone sein? Zugegeben, wie eine echte Araberin sehen Sie wirklich nicht aus!“, meint Isaak Weizmann überrascht und blickt ihr forschend in die Augen.

Aphrodite nickt: „Ja, ich bin eine Amazone und kämpfe gerne gegen Sie. Wenn Sie mir eine Hose ausleihen würden, könnte der Kampf in ein paar Minuten stattfinden. Mit dem Fummel kann ich nur kämpfen, wenn ich die Nähte weit aufreiße. Ich habe aber nur noch dieses eine ordentliche Gewand!“

„Sie wollen wirklich kämpfen?“, fragt Sara Weizmann entsetzt.

„Ich will es wagen!“, erwidert Aphrodite stolz.

Doktor Weizmann schmunzelt, freut sich auf das Duell und sagt: „Lea, nimm bitte unseren Gast mit. Gib ihr eine von meinen Hosen. Ihr schöner Hintern passt nicht in Isaaks Hosen!“

Aphrodite taxiert Isaak und muss dem Mann zustimmen. Sie folgt Lea Weizmann eine Treppe hoch in ein Schlafzimmer. Lea sucht nach einer Hose. So nach Augenmaß hält sie Aphrodite eine Hose hin und meint: „Papas Hosen sind dir alle am Bauch zu groß, dass sehe ich auch so. Zu kurz sind sie dir auch. Du bist nur sehr rund und eben betont weiblich um den Po herum. Probier die Hose trotzdem einmal an!“

Aphrodite nickt und zieht ihre Burka aus.

Lea Weizmann reicht ihr die Hose, betrachtet die halb nackte Frau und sagt erstaunt: „Bei Gott, Sie sind wirklich eine schöne Frau. Unter der Burka ist das nicht zu erkennen. Die Unterwäsche verrät Sie erst als Deutsche!“

Aphrodite streift sich die Hose über und stellt fest, dass ihr die Hose auch noch im sechsten Schwangerschaftsmonat passen würde. Sie bittet ihre Gastgeberin: „Ich brauche noch einen Gürtel. So verliere ich die Hose sofort.“

„Am Po passt sie Ihnen. Sie haben einen schönen flachen Bauch“, meint Lea Weizmann anerkennend und reicht ihr einen Ledergürtel.

Mit Gürtel, die Schnalle im letzten Loch, bekommt die Hose endlich Halt.

Lea Weizmann reist entsetzt die Augen auf und meint: „Gott, was haben Sie nur für eine Wespentaille. Sie haben ja kein Gramm Fett am Körper.“

„Danke für Ihr Kompliment, aber ich bin immer noch ganz schön fett“, widerspricht Aphrodite.

Ein dünner Pullover wird ihr noch gerecht, der etwas eng am Hals anliegt.

Schon auf dem Weg nach unten fragt Lea: „Sie wollen wirklich gegen meinen Bruder kämpfen?“

„Sicher, warum nicht“, behauptet Aphrodite lächelnd und wird unten im Salon von allen bestaunt.

„Drehen Sie sich bitte einmal“, fordert sie Doktor Weizmann begeistert auf.

Aphrodite dreht sich gleich zweimal.

Doktor Weizmann sagt mit leuchtenden Augen begeistert: „Ihnen steht die Hose. Sie haben eine tolle Figur. Über Ihre atemberaubende Wespentaille schweigen wir lieber!“

„Danke. Ich trage lieber Jeanshosen. Jeans geben dem Po eine schöne Form“, erklärt Aphrodite.

„Sie tragen in der Öffentlichkeit Hosen?“, fragt Lea entsetzt.