Die Ziellosen - Anthony Powell - E-Book

Die Ziellosen E-Book

Anthony Powell

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Beschreibung

In den zwanziger Jahren zu leben war hart — besonders für einen jungen Mann wie Atwater, dem seine nicht klar definierte Tätigkeit in einem Museum viel Zeit lässt, allen möglichen Gedanken nachzuhängen. Oder für ein Mädchen wie Lola (Atwater lernt sie auf einer der vielen Partys kennen), die Bertrand Russell liest, um sich inspirieren zu lassen. Fotheringham dagegen arbeitet hart, doch wird er den Verdacht nicht los, dass er sein Talent an eine zweifelhafte spiritualistische Zeitschrift verschwendet. Und ebenso hat Barlow, der von allen bewunderte Maler, seine Probleme: Er muss sich — nach dem übernächsten Drink — nun wirklich entscheiden, welches Mädchen er heiraten soll. Genauso geht es auch den anderen, Brisket, Wauchop, Scheigan, aber sie alle schaffen es, dem Abgrund mit einer gewissen positiv rücksichtslosen Fröhlichkeit ins Auge zu sehen. Mit der Übersetzung seines Romandebüts "Afternoon Men" (1931), eines unverschämt komischen Porträts der Londoner Partyszene in der Zeit zwischen den Weltkriegen, setzen wir die Publikation von Anthony Powells Erzählwerk fort.

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Inhalt
Titelseite
Impressum
Motto
Teil 1
Teil 2
Teil 3
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Anthony Powell

Die Ziellosen RomanAus dem Englischen übersetzt von Heinz Feldmann

Elfenbein

Die Originalausgabe erschien 1931unter dem Titel »Afternoon Men« bei Duckworth, London.©John Powell and Tristram Powell, 1952

Der Verlag dankt Peter Baumgärtner für seine großzügige Hilfe bei der Realisierung dieses Buches.

Die Übersetzung dieses Bandes wurde mit freundlicher Unterstützung der Brougier-Seisser-Cleve-Werhahn-Stiftung ermöglicht.

Erste Auflage

© 2021 Elfenbein Verlag, Berlin

Einbandgestaltung: Oda Ruthe

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-96160-064-9 (E-Book)

ISBN 978-3-96160-054-0 (Druckausgabe)

»… als ob sie das Zauberhorn Astolphos hörten, jenes englischen Herzogs in Ariosts Orlando Furioso, das, wenn immer es erklang, die, die es hörten, verrückt machte und aus Furcht sich umbringen ließ … sie sind eine Gruppe von Wirrköpfen, Betrunkenen, Ziellosen.«

Robert Burton: Die Anatomie der Melancholie

Teil1

––––––––––––––

Montage1

»Wann nimmst du es ein?«, fragte Atwater.

Pringle sagte: »Man soll es nach jeder Mahlzeit einnehmen. Aber ich nehme es nur nach dem Frühstück und nach dem Abendessen ein. Ich finde, das genügt.«

Sie blieben unten, wo die Bar war. Im oberen Stockwerk spielte eine Band, aber der Tanz hatte noch nicht so recht begonnen, denn es war noch früh am Abend. Der Raum unten war niedrig. Die Bar nahm eine ganze Seite des Raumes ein, und es gab einige Tische und einige wenige Diwane. Die Fenster in der Wand gegenüber der Bar waren alle geöffnet, aber sie gingen auf einen Lichtschacht hinaus, so dass der Raum ziemlich stickig war und nach Ammoniak roch. Mehrere Bekannte von ihnen saßen an Tischen oder an der Bar, aber sie suchten sich einen Platz in der Ecke des Lokals und setzten sich. Pringle sagte:

»Wenn du diese Runde bezahlst und mir drei Shilling und neun Pence gibst, sind wir quitt.«

Atwater, der an den Brandy dachte, den sie während des Abendessens getrunken hatten, sagte nichts. Der Brandy war von erbärmlicher Qualität gewesen. Aber er gab Pringle eine halbe Krone und drei Pence. Sie redeten nicht miteinander, bis der Kellner am anderen Ende des Lokals die Bestellungen einer großen Gruppe aufgenommen hatte und zu ihnen herüber kam. Pringle sagte:

»Ich bleibe beim Brandy.«

»Doppelte?«, fragte der Kellner.

»Doppelte«, sagte Atwater.

Pringle sagte: »Was mich betrifft, so möchte ich nie wieder eine Frau sehen. Ich möchte mich gerne aufs Land zurückziehen und malen. Genauer gesagt, ich bin gerade in Verhandlungen über ein Haus auf dem Land.«

Atwater antwortete nicht. Er war in eine Zeitung vertieft, die jemand auf dem Tisch liegengelassen hatte. Er las den Comic und danach einen Artikel mit der Überschrift »Aristokratin in einer Auto-Tragödie«. Er war ein schmächtig aussehender junger Mann mit strohblondem Haar und ziemlich langen Beinen, der zweimal durch die Aufnahmeprüfung für das Außenministerium gefallen war. Er trug manchmal eine hellbraune Horn­brille zur Korrektur eines leichten Schielens, und durch Beziehungen hatte er kürzlich einen Job in einem Museum bekommen. Sein Vater war ein pensionierter Beamter, der in der Grafschaft Essex lebte, wo er zusammen mit seiner Frau eine Hühnerfarm betrieb.

»Wie lange gibt es diesen Club hier schon?«, fragte Pringle.

»Nicht lange. Jeder kommt hierher.«

»Wirklich?«

»Meistens.«

Sie hatten sich drei Jahre zuvor in Paris kennengelernt, wo Pringle an der Kunstakademie Colarossi zu lernen versucht hatte, seinen Zeichnungen kurzer Posen mehr Bedeutung zu geben, und Atwater bei einer Familie in Saint-Cloud lebte, wo, wie man annahm, es ihm schließlich doch noch gelingen mochte, Französisch sprechen zu lernen. Es war an einem Abend in der Bar »La Coupole« gewesen. Von Anfang an hatten sie eine gewisse gegenseitige Antipathie empfunden, aber an diesem Abend waren ihnen Landsleute im Vergleich eher als fast erträglich erschienen, als das in anderen Umgebungen der Fall gewesen sein mochte. Doch irgendwie hatte die Bekanntschaft fortbestanden, und sie gingen, lange nachdem sie den ursprünglichen Grund, ihre jeweiligen Capricen zu ertragen, vergessen hatten, ziemlich oft zusammen aus, wenn Pringle sich in London aufhielt. Pringle stammte aus einer fortschrittlichen Familie. Sein Vater, ein Geschäftsmann aus Nordirland, hatte 1911 einen Cézanne gekauft. Das war der Anfang gewesen. Dann hatte er sich von seiner Frau scheiden lassen. Später war er einem religiösen Wahn verfallen und hatte sich von einer Hängebrücke gestürzt. Aber obwohl er seine Kinder während der religiösen Periode schlecht behandelt hatte, hatte er ihnen allen ­einiges Geld hinterlassen, und so bezog Pringle ein komforta­bles Einkommen – von dem sich zu trennen er allerdings auch immer nur wenig Bereitschaft zeigte. Seine Kindheit hatte ihn zu ­einem schmerzlich verklemmten Menschen gemacht, und er war ein von Natur aus schlechter Maler, aber eine schreckliche routinierte Oberflächenglattheit, die er sich in Paris angeeignet hatte, veranlasste die Leute gelegentlich dazu, seine Werke zu kaufen. Pringle war achtundzwanzig, und seine roten Haare, wegen denen er, als er jünger war, oft gehänselt wurde, gaben ihm ganz entschieden das Aussehen des traditio­nellen Judas. Jetzt trug er das blaue Hemd der französischen Arbeiter und Lackschuhe. Hin und wieder zuckte er nervös und fummelte an den Dingen auf dem Tisch herum.

»Das Ärgerliche an Frauen«, sagte er, »ist, dass man ihnen nicht trauen kann.« Es war erst vierzehn Tage her, dass Olga ihn für immer verlassen hatte, und obwohl er dadurch immens viel Geld sparte, entrüstete ihn der Gedanke daran immer noch.

»Sagen Sie ›stopp‹«, sagte der Kellner beim Einschenken.

»Stopp«, sagte Pringle. »Falls ich jetzt aufs Land zöge und dort malte, könnte ich wahrscheinlich im Frühling eine weitere kleine Ausstellung bekommen.«

Atwater bot ihm von seinen Zigaretten an, sah aber nicht von der Geschichte über den Unfall auf. Es handelte sich um die Frau eines Barons, sie war in einem Bentley auf der Straße nach Brighton unterwegs gewesen.

»Was ist deine Meinung?«

Atwater sann über den Cognac während des Dinners nach. Er sagte: »Ich würde das tun.«

»Hast du etwas von Undershaft gehört?«, fragte Pringle, das Thema wechselnd, denn er hatte den Plänen über die beab­sichtigte Reorganisation seines Lebens praktisch nichts hinzuzufügen, und Atwater, der von ihnen schon während des Dinners gehört hatte, war offenkundig nicht bereit, in diesem Augenblick eine aktive Rolle in ihrer erneuten, ausführlicheren Erörterung zu spielen.

»Er ist in New York.«

»Er spielt dort Klavier?«

»Er spielt dort Klavier.«

Atwater legte die Zeitung weg und schaute sich in dem Lokal um. Er sah, dass Harriet Twining an der Bar saß, neben einem Mann mit einem feisten Nacken. Sie trug ein Jackett und einen Rock und sah sehr blond und hinreißend aus. Sie hatte helles Haar und eine leicht dunkle Haut, so dass die Männer oft ganz verrückt wurden, wenn sie sie sahen, und ihr fast augenblicklich einen Heiratsantrag machten. Aber wenn es dann ernst wurde, heiratete sie nie jemanden, weil sie des jeweiligen Mannes, nachdem sie mit ihm zusammen gewesen war, müde war, oder weil der Mann sagte, er könne nicht mehr mithalten oder er habe einfach kein Geld mehr. Sie winkte Atwater zu, der oberflächlich mit ihr bekannt war, und kam zu ihnen herüber. Ohne Pringle zu beachten, sagte sie:

»Kommst du heute Abend zu der Party?«

Atwater sagte: »Ich kann nicht. Ich liege im Sterben. Wessen Party ist es?«

»Du musst kommen.«

»Ich bin nicht eingeladen.«

»Komm mit uns. Wir nehmen dich mit.«

»Wer ist ›wir‹?«

»Ich und mein fetter Freund.«

»Wer ist das, Harriet?«

»Sein Name ist Scheigan.«

»Wirklich?«

»Er ist ein amerikanischer Verleger.«

»Warum ist er hier?«

»Er wird mein Buch verlegen, wenn es fertig ist.«

»Nimmst du ihn mit zu der Party?«

»Ja. Er ist ganz versessen auf Partys. Er sagte, alle Iren seien so. Verrückt nach Vergnügungen.«

Sie ging zurück zu ihrem Hocker an der Bar. Atwater beobachtete sie. Sie schob ihre Schultern ein wenig vor und wiegte sich, auf Wirkung bedacht, leicht in den Hüften, aber nicht sehr. Der Mann mit dem feisten Nacken saß an der Bar, als ob er jeden Augenblick darüberklettern und dabei den Hocker als Stütze benutzen wolle. Er rauchte eine Zigarre. Atwater sagte:

»Kennst du sie nicht?«

»Für mich sehen sie alle gleich aus«, sagte Pringle. »Hat Undershaft dir denn geschrieben?«

»Er lebt mit einer Vietnamesin zusammen.«

»In New York?«

»Er sagt, sie sei ganz toll.«

»Ich kann nicht sagen, dass ich deinen Club besonders mag«, sagte Pringle. »Diese Hitze hier und noch so einiges.«

»Es ist heiß.«

»Und dann die Leute.«

»Also, das sind die üblichen Leute. Du kannst nicht erwarten, dass es andere sind, nur weil es den Club noch nicht lange gibt.«

»Ich mag den Laden nicht.«

»Dann führ mich irgendwo anders hin.«

»Nein«, sagte Pringle. »Wir trinken hier noch einen.«

»Lass uns irgendwo anders hingehen.«

»Nein. Hector ist gerade reingekommen.«

»Ich bestehe darauf, dass du mich irgendwo anders hinführst«, sagte Atwater. Aber Hector Barlow kam quer durch das Lokal zu ihnen herüber. Er wurde von einem anderen Mann begleitet.

»Wie geht es euch beiden?«, fragte er. Er war ein Maler, stämmig, mit hellen Augen und schwarzen Haaren, die in Stoppeln spitz und tief in seine Stirn hinein wuchsen. Er saugte an einer Pfeife und trug dicke, sackfarbene Kleidung. Atwater hatte ihn in Paris durch Pringle kennengelernt, der zusammen mit Barlow auf der Kunstakademie Slade gewesen war. Atwater sagte:

»Komm und setz dich zu uns.«

»Ihr habt nichts dagegen, dass mein Bruder sich auch zu euch setzt, oder?«, sagte Barlow. »Er ist in der Marine. Er ist auf Urlaub und geht morgen zurück.«

»Ja, ich gehe morgen zurück«, sagte der Bruder. Er ähnelte Barlow sehr, war nur sauberer und sah besser aus, und er hatte sein Haar gebürstet, das blond statt schwarz war. Er trug einen blauen, fast wie eine Uniform geschnittenen Anzug.

»Was möchtet ihr trinken?«, fragte Atwater. »Herr Ober, bringen Sie uns ein Antragsformular. Mr. Pringle will Clubmitglied werden.«

»Nein, nein«, sagte Pringle. »Nichts dergleichen.«

»Du musst. Ich kann nicht den ganzen Abend für euch alle bezahlen.«

»Ja, am besten ist, du wirst Mitglied, Raymond«, sagte Barlow. In gesellschaftlichen und intellektuellen Angelegenheiten erwies Pringle Barlows Meinungen eine gequälte Hochachtung, obwohl er stets sagte, er halte ihn für einen undisziplinierten Maler. Schließlich zeigte sich Pringle aber doch immer als der Überlegene, denn er pflegte Barlow Geld zu leihen und es dann zu einer ungelegenen Zeit wieder zurückzufordern. In Perioden jedoch, in denen es Barlow finanziell gutging, widersprach er allem, was Pringle sagte, und zwang ihn, Dinge zu tun, die dieser nicht mochte. Es war sein größter Triumph gewesen, Pringle dazu zu bewegen, eine teure Limousine zu kaufen; als er aber einmal über Weihnachten in Paris war, hatte Pringle sie verkauft und das minderwertige, ihm vertraute Fahrzeug wieder in Betrieb genommen. Nach Barlows Rückkehr hatte dessen schwindende Finanzkraft seinen Einfluss untergraben. Pringle hatte ihn dann während der schlechten Zeit, die folgte, über Wasser gehalten, aber es war ein Pfahl in Barlows Fleisch, dass Pringle nie eines seiner Bilder gekauft hatte. Dies war eine Karte, die zu spielen Barlows ganzes Durchsetzungsvermögen Pringle nie zu zwingen vermochte. Barlow setzte sich auf einen Stuhl neben Atwater. Atwater sagte:

»Wie ist es dir ergangen?«

»Schlecht«, sagte Barlow, »schlecht. Ich musste heute Morgen früh aufstehen.«

»Um die Botschafterin zu malen?

»Genau.«

»Warum sollte ich Mitglied in diesem Club werden?«, sagte Pringle.

Atwater sagte: »Es wird auf die Dauer billiger für dich.« Er sagte zu Barlows Bruder: »Sie kriegen Ihren Gin billig in der Marine, oder?«

»Ich nehme ihn mit zu so einer Art Party heute Abend«, sagte Barlow. »Gehst du auch? Es ist sein letzter Abend an Land und so weiter.«

»Nein.«

»Warum sollte ich Mitglied werden?«, sagte Pringle.

»Es wäre viel besser für dich«, sagte Barlow. »Wir alle möchten, dass du es wirst.«

»Ich nehme an, ich muss es dann wohl tun. William hat einen Brief von Undershaft bekommen. Er ist in New York, lebt mit einer Vietnamesin zusammen und spielt Klavier.«

»Verdient er Geld da?«

»Es geht ihm sehr gut, sagt er.«

Harriet Twining kam wieder von der Bar herüber. Sie sagte:

»Ich muss gelegentlich eine Pause von meinem Freund machen.«

»Bring ihn doch rüber zu uns«, sagte Atwater.

»Wer ist der neue schöne Mann?«, sagte sie, gerade laut genug, dass nur die anderen es hören konnten.

»Hectors Bruder. Er ist in der Marine.«

»Ein Seemann?«

»So etwas Ähnliches.«

»Bring ihn mit zu der Party.«

Atwater sagte: »Ich gehe nicht zu der Party. Ich gehe nach Hause und sterbe.«

»Gib mir einen Shilling«, sagte sie.

»Ich hab keinen Shilling.«

»Du hast ganz sicher einen.«

Atwater fand einen Shilling. Sie steckte ihn in einen Spielautomaten in der Nähe der Bar, zog kräftig an dem Hebel und schlug gegen die Glasscheibe der Vorderseite. Eine Reihe von Rollen mit Bildern von Früchten darauf drehte sich, und etwas Geld fiel in den Schlitz. Sie nahm es heraus und steckte es in ihre Handtasche. Atwater sagte:

»Gib mir meinen Shilling zurück.«

Sie gab ihm eine der Münzen.

»Das ist ein Franc.«

»O verdammt«, sagte sie. »Das sind dann vermutlich alles Francs.«

Sie fand einen Shilling und ging zurück zu ihrem Platz an der Bar. Der Mann mit dem feisten Nacken schob seinen Arm durch ihren. Barlows Bruder sagte:

»Das war eine verdammt hübsche Frau, mit der Sie gerade gesprochen haben.«

»Ich werde Sie ihr später vorstellen.«

»O gut, wirklich?«

»Leihen Sie ihr kein Geld.«

»Bring mir meinen Bruder nicht auf die schiefe Bahn«, sagte Barlow. »Er muss morgen zurück zur See. Sein Urlaub ist um.«

»Wie heißt sie?«, fragte der Bruder.

»Harriet Twining.«

»Sie ist eine gefährliche Frau«, sagte Barlow. »Du hältst dich besser von ihr fern.«

Sein Bruder lachte unsicher. Er schwitzte im Nacken. Das Lokal wurde jetzt sehr voll und zu heiß. Leute kamen herein und suchten nach Sitzplätzen und gingen dann wieder. Einige von denen, die keine Sitzplätze finden konnten, gingen nicht wieder, sondern standen herum und sprachen miteinander oder starrten einander an. Der Geruch von Ammoniak hatte sich nicht verloren, aber Zigarettenrauch hatte ihn im Laufe der Zeit weniger aufdringlich erscheinen lassen. Walter Brisket kam herein. Er sah ein wenig gereizt aus. Er hatte ein kleines, forschendes Gesicht. Er stand da mit einer Hand auf seiner Hüfte und sagte:

»Hallo, William.«

»Hallo.«

»Werde ich dich heute Abend auf der Party sehen?«

»Nein.«

»Wer ist der blonde Mann?«

»Hectors Bruder. Er ist in der Marine.«

»Ach ja, wirklich?«

»Er sagt es jedenfalls.«

»Wird er heute Abend zu der Party kommen?«

»Wir können ihn nicht daran hindern.«

»Ich höre, dass Undershaft in Boston ist und mit einer Farbigen zusammenlebt.«

»Er ist in New York. Ich hab einen Brief von ihm bekommen.«

»Ich werde so ätzend sein, wenn ich ihn sehe.«

»Warum?«

»Er und seine Frauen.«

Pringle sagte: »Der Geruch in diesem Club ist furchtbar.«

»Er ist schlimm.«

»Es riecht hier immer so«, sagte Barlow. »Ich hab einmal den Sekretär darüber befragt. Er sagte, das sei Absicht. Ich hab vergessen, warum.«

Pringle sagte: »Jetzt, wo ich Mitglied geworden bin, werde ich einen Brief schreiben und mich über den Club-Geruch beschweren.«

»Ihr kriegt euren Alkohol billig in der Marine, oder?«, sagte Brisket zu Barlows Bruder. Pringle lehnte sich zu Barlow hinüber.

»Wie geht es Sophy?«, fragte er.

»Nicht übel.«

»Nimmst du sie mit zu der Party heute Abend?«

Barlow sah Pringle langsam an. Er schätzte ab, ob er ausgehorcht wurde oder ob Pringle einfach nur taktlos war.

»Sie geht nicht gerne auf Partys«, sagte er.

Sein Bruder sagte: »Also, wie funktionieren diese Spielautomaten?«

»Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte Brisket. »Aber ist es nicht schon Zeit, zu der Party zu gehen?« Er schob den Ärmel vom Jackett des Bruders zurück, so dass er dessen Armbanduhr sehen konnte. Harriet Twining kam von der Bar herüber. Sie sagte:

»Es ist bald Zeit, zur Party aufzubrechen. Dürfen wir uns zu euch setzen? Ihr müsst meinen amerikanischen Freund kennenlernen. Sein Vorname ist Marquis. Ist das nicht süß?«

Sie lächelte Barlows Bruder bezaubernd an.

»Bring deinen fetten Freund rüber« sagte Barlow. »Er kann auf meinem Knie sitzen. Oder Raymond überlässt ihm seinen Platz und setzt sich auf den Boden.«

Harriet winkte dem Mann mit dem feisten Nacken zu. Er kletterte von seinem Hocker herunter und kam zu ihnen.

»Das ist Mr. Scheigan«, sagte sie.

Sie stellte sie ihm vor. Sie fanden irgendwie einen Stuhl für Mr. Scheigan. Er hatte eine Glatze, schien sich aber gut zu halten. Er brachte eine Flasche Gin mit, aus der jemand bereits eine Menge getrunken hatte, und er setzte seine Füße beim Gehen schwer auf. Er sagte:

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Atwater. Ich hoffe, Sie entschuldigen diese Flasche. Es ist reine Gewohnheit.«

»Vergessen Sie’s. Wir besorgen gleich einige saubere Gläser.«

Mr. Scheigan setzte sich plötzlich, und sie schoben ihm noch gerade rechtzeitig einen Stuhl unter. Er musste etwa fünfzig sein und atmete ein wenig schwer. Er hatte ein blaues Kinn. Er sagte:

»Wir sind ja schließlich alle Menschen.«

Harriet sagte: »Ist es wahr, dass Undershaft in Amerika ist und mit einer Gelben zusammenlebt?«

Brisket fragte: »Das ist die eine Sache. Die andere ist, dass Susan Nunnery Gilbert verlassen hat.«

»Sie sieht so wunderbar aus.«

»Etwas ganz Besonderes.«

»Sie ist süß«, sagte Harriet. »Ich finde sie ganz toll. Meinst du nicht auch, dass sie süß ist, William?«

Atwater sagte: »Ich bin ihr noch nie begegnet.«

»Du musst sie schon gesehen haben.«

»Nein, ich hab sie noch nie gesehen.«

»Sicher doch.«

»Hab ich nicht.«

»Bitte«, sagte Barlows Bruder, »besucht jemand von Ihnen je den Nachtclub Forty-Three?«

»Ach«, sagte Mr. Scheigan, »keinen Klatsch bitte. Lassen Sie uns Spaß haben. Wir wollen uns amüsieren.«

»Erzähl ihm von deinem Museum«, sagte Harriet. »Er liebt Kultur. Wir sollten bald zur Party aufbrechen.«

Atwater sagte: »Wie gefällt es Ihnen in England, Mr. Scheigan?«

Mr. Scheigan sagte: »Verdammt auch, ich habe noch keine richtige Party gegeben, seitdem ich hier drüben bin. Ich habe eine kleine Wohnung in St. James’s, und ihr guten Leute müsst bald alle kommen und eine Flasche Wein da mit mir trinken.«

Pringle, der Harriet aus nächster Nähe angeguckt und nur die letzten paar Wörter gehört hatte, sagte:

»Ist es eine Bottle-Party?«

»Am besten bringst du irgendeine Flasche mit«, sagte Barlow, »für den Fall, dass es da nichts zu trinken gibt.«

»Wird diese blonde Frau auf der Party sein?«, fragte der Bruder Atwater flüsternd. Barlow sagte:

»Ich würde eine Flasche Gin mitbringen, wenn ich du wäre. Du könntest sie hier kaufen.«

»Eine halbe Flasche sollte völlig ausreichen«, sagte Pringle. »Obwohl ich nicht einsehe, warum ich überhaupt etwas mitbringen soll, wo ich doch gar nicht zu der Party eingeladen bin.«

Mr. Scheigan sagte: »Ihr Briten wisst nicht, euch zu amüsieren. Ich möchte ein paar richtige Jungs kennenlernen. Ich möchte Spaß haben.«

»Auf der Party wird es einige davon geben«, sagte Atwater. »Da gibt es Spaß bis zur Schmerzgrenze. Ich wünschte fast, ich ginge auch.«

»Ich glaube, es ist Zeit aufzubrechen«, sagte Harriet.

»Nein, wir werden viel zu früh sein.«

»Lasst uns noch eine Runde trinken, ehe wir gehen. Das ist sicherer. Vielleicht gibt es da ja nichts.«

Mr. Scheigan schüttete die letzten Tropfen aus seiner Flasche in Harriets Glas. Dann ließ er die Flasche auf den Boden fallen. Sie machte eine Menge Lärm, zerbrach aber nicht, sondern rollte etwas weiter unter den Tisch, wo sie liegenblieb, da niemand sich die Mühe machte, sie aufzuheben, obwohl Mr. Scheigan wiederholt darum bat, dass jemand das tun solle, und sogar drohte, selbst aufzustehen. Mr. Scheigan lehnte sich über den Tisch zu Harriet hin. Er sagte:

»Ich muss sagen, du bist wirklich süß.«

»Pass auf«, sagte sie, »wirf den Tisch nicht um.«

Mr. Scheigan nahm wieder ihren Arm. Die Atmosphäre zeitigte langsam ihre Wirkung auf ihn. Er sagte:

»Baby, du bist nur ein kleines Kindchen, ja, das bist du.«

»Sei stille.«

»Baby …«

Atwater las wieder die Zeitung, die er am Anfang des Abends gefunden hatte, aber aus Höflichkeit hielt er sie gefaltet unter dem Tisch. Die Hitze in dem Raum war erdrückend. Barlow sagte:

»Wann ist deine Ausstellung, Raymond?«

»Donnerstag in einer Woche.«

»Vergiss nicht, mir eine Karte zu schicken«, sagte Brisket. »Ich kann es mir nicht leisten, eine Vernissage zu verpassen.«

»Also da haben wir es wieder«, sagte Mr. Scheigan. »Sie reden über Arbeit. Warum können wir nicht alle ein bisschen Spaß haben. Ich möchte irgendwo eine Party geben. Harriet hier möchte eine Party geben. Mr. Atwater möchte eine Party geben. Wir alle möchten eine Party geben. Und doch sitzen wir alle weiter in diesem gottverdammten Loch herum und sprechen über Arbeit. Ich möchte die richtige Clique treffen.«

»Das werden Sie auch«, sagte Barlow. »Sie werden die richtige Clique treffen, Mr. Scheigan. Das haben Sie verdient, nach all der Zeit, die wir in diesem Club verbracht haben.«

Während des allgemeinen Aufbruchs warf Mr. Scheigan zwei Gläser um und zerbrach sie. Aber er konnte noch ohne Schwierigkeiten laufen. Der Kellner sagte:

»Es ist noch eine Rechnung von Ihnen von vorgestern Abend offen, Mr. Barlow. Wollen Sie die jetzt bezahlen?«

»Ungern.«

»Der Sekretär sagte, er wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich dazu entschließen würden.«

»Der einzige Vorschlag, den ich machen kann, ist, dass ich Ihnen einen Scheck ausstelle. Aber es wäre eine Verschwendung unserer beider Zeit.«

»Sie machen einem dauernd Schwierigkeiten in diesem Club«, sagte Brisket. »Sie gönnen dir keinen Augenblick Frieden.«

»Ich glaube nicht, dass man sie ermutigen sollte. Sagen Sie dem Sekretär, ich erledige das, wenn ich das nächste Mal hereinkomme.«

Der Kellner schüttelte missmutig den Kopf und ging weg.

»Also los, Jungs«, sagte Scheigan. »Ich möchte eine Party geben.«

Barlow sagte: »Ja, wir treffen die richtige Clique. Also los dann.«

»Hattest du einen Hut«, sagte Harriet.

»Ich?«, sagte Mr. Scheigan. »Einen Hut?«

»Kann jemand seinen Hut suchen.«

»Hier ist er, Miss«, sagte der Portier.

»Setzen Sie ihn ihm auf«, sagte Harriet. »Ich muss eben meine Nase pudern gehen.«

Sie traten auf die Straße hinaus, wo es noch sehr heiß war. Aber da sie aus dem Club kamen, schien ihnen die Luft frischer zu sein. Zwei Schlägertypen, den Mördern in einem der vielleicht fälschlicherweise Shakespeare zugeschriebenen Dramen ähnlich, lungerten draußen herum und pfiffen jeder ein Taxi heran. Atwater sagte:

»Ich denke immer noch, es wäre klüger, wenn ich nicht mitkäme.«

Sie warteten auf Harriet. Barlows Bruder sagte:

»Sagen Sie, ist es in Ordnung, dass wir keine Abendkleidung tragen?«

Harriet kam heraus.

»Hier ist die Adresse«, sagte sie. »Auf der Rückseite dieses Umschlags.«

Sie und Mr. Scheigan stiegen in eines der Taxis, die übrigen in das andere. Pringle wurde in einen Wortwechsel mit dem Zweiten Mörder darüber verwickelt, ob sich dieser eine Vergütung verdient habe, und wenn ja, ob drei Pence angemessen seien. Pringle zahlte auch für das Taxi, als sie ihr Ziel erreichten, aber es gelang ihm, genug von den anderen zurückzubekommen, um mit Vorteilen aus der gemeinsamen Transaktion hervorzugehen.

2

Die Party hatte bereits angefangen, als sie eintrafen; und es war, außer dass die Wohnung, in der sie stattfand, nicht groß genug war, um alle Leute, die sich entschieden hatten zu kommen, aufnehmen zu können, eine gute Party. Es handelte sich um eine nette Wohnung mit sehr modernen elektrischen Einrichtungen, aber sie war eben nicht groß genug und begann bereits, einen ziemlich mitgenommenen Eindruck zu machen. Einige der Gäste waren kostümiert und mehrere in Abendkleidung. Ein paar von denen in Abendkleidung standen mit erstaunten Gesichtern herum, und für den Gastgeber selbst, einen Mann im Frack und mit rotem Gesicht, waren Partys offenkundig etwas Ungewohntes. Aber seine Frau, die eigent­liche Gastgeberin, wies ihn immer wieder an, mit jemandem zu sprechen oder Getränke herbeizuschaffen, so dass er keine Zeit hatte, einzuschreiten oder sich zu beschweren, wenn jemand etwas tat, das er nicht billigte. Seine Frau war hochgewachsen und in gewisser Weise eine ziemlich großartige Erscheinung. Sie war allerdings nicht dünn genug und hatte eine Nase, die ihr Äußeres beeinträchtigte. Sie trug ein sehr schönes Kleid. Barlows Bruder sagte:

»Ist das in Ordnung, dass wir hier hereinkommen?«

Barlow stellte ihn all den Leuten vor, die in der Nähe standen.

»Dies ist mein Bruder«, sagte er. »Er ist in der Marine. Er muss morgen wieder zurück.«

Danach setzte er sich neben Atwater auf ein Sofa in der hinteren Ecke des Zimmers und sagte:

»Raymond meint, ich sollte Sophy heiraten. Ich gebe zu, er ist ein schlechter Maler, aber er kennt uns beide gut. Oder ist es Eifersucht? Vermutet er, dass das meine Karriere ruinieren würde?«

»Ist es dringend?«

»Wenn ich Sophy heirate«, sagte Barlow, »werde ich nie jemanden außer meinen Freunden sehen. Wenn ich Julia heirate, werde ich nie jemanden außer ihren Freunden sehen. Eine dritte Option wäre Miriam, die mich allerdings vielleicht zurückweist, wenn es wirklich ernst würde. Zudem bedeutete das, ich würde auf dem Land leben.«

»Komfortabel?«

»Zumindest luxuriös.«

»Du musst dich entscheiden, so oder so.«

»Das sind feine Leute, die Juden«, sagte Barlow. »Was ich an ihnen mag, ist, dass sie immer nach klar definierten Prinzipien handeln. Man weiß, wo man mit ihnen dran ist.«

»Sie ist eine nette Frau, Miriam.«

»Ja, ich werde sie heiraten«, sagte Barlow. »Ich werde sie heiraten und ein jüdischer Maler werden. Es gibt keine strukturellen Einwände.«

»Es ist ein gutes Leben.«

»Ich werde es tun.«

»Du bist sehr weise.«

Eine Menge Leute tanzten in der Mitte des Zimmers nach einem Grammofon. Es war jetzt sehr laut, und es roch nach Make-up. Harriet hatte das Interesse an Barlows Bruder verloren, der sich für den Augenblick mit ein paar Leuten in dem Zimmer nebenan amüsierte. Harriet selbst tanzte mit Mr. Scheigan. Jemand hielt das Grammofon an, und Brisket, der schon seit ein paar Minuten am Klavier saß, begann mit einem Synkopensturm unterschiedlicher Lautstärke zu spielen. Barlow stand von dem Sofa auf, um mit jemandem zu tanzen. Pringle, der in der Nähe stand und mit seinem Getränk herumfuchtelte, setzte sich auf den Platz neben Atwater und sagte:

»Armer Hector.«

»Warum armer Hector?«

»Wie ich sicher weiß, hat er letzte Woche drei Frauen einen Heiratsantrag gemacht. Alle drei sind ihm verhältnismäßig fremd. Und alle drei haben ihn akzeptiert.«

»Wirklich?«

»Natürlich weiß man, dass solche Sachen nicht wirklich was bedeuten, aber die Bindungen, die er bereits eingegangen ist, machen die Lage so kompliziert.«

»Ja, Bindungen eingehen, das tut er.«

Pringle sagte: »Das wäre nicht so schlimm, wenn sein Werk vielversprechender wäre.«

Es gab nicht viel Platz auf dem Sofa. Das Zimmer wurde jetzt sehr voll, und die Tanzenden traten einander auf die Füße. Atwater hatte Kopfschmerzen und fragte sich, warum er hergekommen sei. Er sah, dass Barlows Bruder durch die Tür kam und heftig lachte. Er schien eine Menge Freunde gewonnen zu haben. Atwater sagte:

»Was macht Mr. Scheigan?«

»Er ist im Zimmer nebenan. Mit dieser Frau von ihm. Wie, sagtest du, war ihr Name?«

»Harriet Twining.«

»Ich glaube, ich gehe zu ihr und bitte sie, mit mir zu ­tanzen.«

»Gute Idee.«

»Glaubst du, sie wird es tun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was glaubst du denn?«, fragte Pringle. Er war Frauen gegenüber schüchtern, aber hartnäckig, so dass sie ihn manchmal schließlich ertrugen und sogar mochten. Er trennte sich stets von ihnen, wenn sie ihn zu mögen begannen. Das passierte nicht häufig, aber es war ein Umstand, den er verabscheute. Er konnte nicht mit ihnen umgehen, wenn sie so waren. Ja, er hasste sie dann. Olga war nicht so gewesen. Sie hatte ihn ganz schön leiden lassen. Atwater sagte:

»Das ist eine Frage, die ich nicht einmal versuchen kann zu beantworten. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie ablehnt.«

In diesem Augenblick, in dem Pringle über die Möglichkeit seines Erfolges oder Misserfolges bei Harriet spekulierte, wurde ein Glas Bier über seine Beine geschüttet. Es war ein ziemlich volles Glas, das eine Frau, die neben dem Sofa stand, plötzlich in seinen Schoß fallen ließ. Jemand war mit ihr zusammengestoßen und hatte es ihr aus den Händen geschlagen. Das Bier ergoss sich über Pringles Beine und auf den Fußboden.

»Entschuldigung«, sagte die Frau.

Pringle wischte sich das Bier mit einem bereits ziemlich schmuddeligen Taschentuch von den Knien. Ihn überkam ein schreckliches nervöses Zucken, und auf seinem Gesicht erschienen rote Flecken, die einen seltsamen Kontrast zu seinem roten Haar bildeten. Die Frau sagte:

»Es tut mir so leid.«

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war koboldartig, und insgesamt war es diese Qualität, von der es eine gewisse Wirksamkeit erhielt. Sie sah aus wie ein Gnom oder ein frühreifes, bösartiges Kind. Doch unter der Andeutung einer eigentümlichen, wissenden Illusionslosigkeit verbarg sich eine offensichtliche und immens große Leichtgläubigkeit. Ihre eher kaninchenhafte Erscheinung ließ vorstehende Zähne vermuten, aber irgendwie hatte sie solchen entgehen können, obwohl sie die Form ihres Gesichts nicht wesentlich verändert hätten.

»Sitzen Sie auf meiner Tasche?«, fragte sie.

»Nein«, sagte Pringle, »tue ich nicht.«

Er stand auf. Seine Hose klebte an ihm, und er war sehr ärgerlich, sagte aber nichts. Nervös zuckend sah er einfach nur ärgerlich aus. Mit einem wütenden Gesicht bahnte er sich einen Weg durch die Menge der Tänzer. Die Frau saß jetzt auf dem Sofa neben Atwater. Sie sagte:

»Ist Ihr Freund verärgert?«

»Ja.«

»Ich hab nach meiner Tasche gesucht.«

»So?«

»Das Glas wurde mir plötzlich aus der Hand geschlagen, und alles floss über ihn.«

»Er ist sehr nass.«

»Ich vermute, er wird sich irgendwie trocken machen können.«

»Es gibt sicher eine Möglichkeit.«

»Würden Sie mir wohl noch etwas zu trinken holen?«, fragte sie.

»Was denn?«

»Irgendetwas.«

Es wurde zunehmend schwierig, zu dem Tisch zu gelangen, auf dem die Flaschen und Gläser standen. Als Atwater ihn erreichte, gab es dort keine sauberen Gläser. Also nahm er eines, in dem ein rotes Getränk war, und spülte es mit Sodawasser aus. Es dauerte einige Minuten, bis er wieder in die Nähe des Sofas gelangte. Während er darauf wartete, die Leute passieren zu können, beobachtete er die Frau auf dem Sofa. Sie war eher unpassend angezogen, und er meinte, er habe sie schon einmal irgendwo gesehen. Sie mochte eine Kunststudentin sein, die vielleicht jemand unerwartet mitgebracht hatte. Ihre allgemeine Tendenz war, einer frühen Zeichnung von Augustus John zu ähneln, doch hatte sie diesen Stil den Erfordernissen der Mode des Augenblicks angepasst. Das Ensemble war nicht übermäßig gelungen. Er gab ihr das Getränk.

»Mein Name ist Lola.«

»Nein, wirklich?«

»Ja.«

»Wer nennt Sie Lola?«

»Ich nenne mich selbst einfach Lola.«

»Ist das nicht Ihr Taufname?«

»Nein.«

»Aber man muss doch einen Namen haben?«

»Wie ist Ihr Name?«

»William«, sagte Atwater. »So wurde ich getauft. Ich werde immer noch so genannt.«

»William ist ein sehr schöner Name.«

Die Hitze nahm wieder zu. Brisket hatte zu spielen aufgehört und saß vor dem Klavier und schaute auf die Noten. Sein Getränk stand auf den Tasten, und er rauchte. Atwater sah, wie der Gastgeber, der Mann mit dem roten Gesicht, zu Brisket ging. Er hörte ihn sagen:

»Das Grammofon ist defekt. Meine Frau bittet Sie deshalb weiterzuspielen.«

»Es will doch niemand zuhören«, sagte Brisket. »Sie reden doch alle.«

»Sie sagt, das wenigstens könnten Sie tun.«

Brisket wurde ungehalten. Er sagte: »Ich weiß, ich bin nicht eingeladen. Aber ich kann nicht die ganze Zeit spielen.«

»Ich weiß. Sie ist es, die das sagt, nicht ich.«

»Werden denn die Leute zuhören, wenn ich weiterspiele?«

»Ich werde mein Bestes tun, um sie dazu zu bringen.«

»Ich meine, ich spiele nicht einfach nur zu meinem eigenen Vergnügen.«

»Auch nicht zu meinem«, sagte der Gastgeber. »Ich hasse Musik. Sogar Gilbert und Sullivan. Es ist meine Frau.«

Brisket begann wieder zu spielen. Sehr laut und schnell. Lola sagte:

»Ich kenne alle die Leute hier nicht. Wauchop hat mich mitgenommen.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Sind Sie eine Freundin von ihm?«

»Ich besuche seine Klassen.«

»Sind Sie eine Malerin?«

»Ich mache Plakate.«

»Welche Art von Plakaten?«

»Wollen Sie kommen und sich sie ansehen?«

»Natürlich.«

Die Party war weiterhin sehr voll. Mr. Scheigan tanzte mit Harriet an ihnen vorbei. »Du bist einfach mein kleines Baby«, sagte er gerade. »Das ist es, was du bist.« Barlows Bruder bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Er wartete darauf, dass die Musik zu Ende ging, so dass er an Harriet herankommen konnte. Er erreichte sie immer just in dem Augenblick, in dem Brisket wieder zu spielen und Harriet und Scheigan erneut zu tanzen begonnen hatten. Seine Bewegungen nahmen langsam an Entschlossenheit ab. Lola sagte:

»Lesen Sie Bertrand Russell?«

»Warum?«

»Wenn ich mich hoffnungslos fühle, lese ich Bertrand Russell.«

»O Gott.«

»Also, wenn er über geistige Abenteuer spricht. Dann fühle ich mich neu inspiriert.«

»Neu inspiriert wozu?«

»Einfach nur neu inspiriert.«

»Fühlen Sie sich jetzt hoffnungslos?«

»Ziemlich hoffnungslos.«

»Ist das wirklich so?«

»Ein wenig.«

»Kommen Sie mit mir in meine Wohnung«, sagte Atwater, »und trinken Sie da etwas.«

»Warum?«

»Wir könnten miteinander reden.«

»Worüber?«

»Na, Inspiration und so etwas.«

»Können wir nicht hier miteinander reden?«

»Es ist sehr laut hier, oder nicht?«

»Ja, das stimmt.«

Atwater sagte: »Ich besitze einige sehr interessante Erstausgaben. Die würde ich Ihnen gerne zeigen.«

»Nein, ich muss nach Hause gehen. Ich bin müde.«