Chefarzt Dr. Holl 1823 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1823 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Mit zitternden Händen schließt Schwester Priska die Tür hinter sich. Die schöne Pflegerin möchte dieses Krankenzimmer nie wieder betreten. Der Patient darin heißt Dr. Julius Berwald, Priska kennt ihn von früher, und nun drängen sich furchtbare Bilder zurück in ihr Bewusstsein: Julius Berwalds gieriger Blick, wie er hinter ihr her hetzt, wie er sie am Ende einfach auf dem Boden liegen lässt ...

Nach Tagen der Unsicherheit fasst Priska einen Entschluss: Sie wird Dr. Holl die Wahrheit über Dr. Berwald sagen. Vorher muss sie nur noch kurz zu dem Patienten und ihm seine Medikamente bringen. Sie betritt das Krankenzimmer - und erstarrt. Dort am Bett sitzt Stefan Holl. Er und Julius Berwald klopfen sich lächelnd auf die Schultern, während sie sich gegenseitig freundschaftliche Anekdoten erzählen ...

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Seitenzahl: 123

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Verbrechen des Dr. Justus Berwald

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shapecharge/iStockphoto

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5717-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Verbrechen des Dr. Justus Berwald

Er täuschte alle – auch Dr. Holl

Von Katrin Kastell

Mit zitternden Händen schließt Schwester Priska die Tür hinter sich. Die schöne Pflegerin möchte dieses Krankenzimmer nie wieder betreten. Der Patient darin heißt Dr. Julius Berwald, Priska kennt ihn von früher, und nun drängen sich furchtbare Bilder zurück in ihr Bewusstsein: Julius Berwalds gieriger Blick, wie er hinter ihr her hetzt, wie er sie am Ende einfach auf dem Boden liegen lässt …

Nach Tagen der Unsicherheit fasst Priska einen Entschluss: Sie wird Dr. Holl die Wahrheit über Dr. Berwald sagen. Vorher muss sie nur noch kurz zu dem Patienten und ihm seine Medikamente bringen. Sie betritt das Krankenzimmer – und erstarrt. Dort am Bett sitzt Stefan Holl. Er und Julius Berwald klopfen sich lächelnd auf die Schultern, während sie sich gegenseitig freundschaftliche Anekdoten erzählen …

Wie schön sie war!

Simon betrachtete das schmale Gesicht der Pflegerin, die sich mit Schwester Priska vorgestellt und den Kniebereich seines linken Beins für den Eingriff vorbereitet hatte. Aufmerksam beklopfte sie seinen rechten Handrücken, um eine passende Vene für den Katheter zu finden.

„Hier müsste es gehen“, sagte sie ruhig. „Jetzt werden Sie kurz den Einstich spüren.“

„Es ist vermutlich auszuhalten“, erwiderte er. In Wahrheit aber fürchtete er sich vor der Vollnarkose, die ja ein kompletter Kontrollverlust war, mehr als vor der Operation selbst.

Schon seit etlichen Monaten litt Simon Lohmer, Manager der Jugendmannschaft Harlaching, an Knieproblemen. Eine Zeit lang hatte er es mit Ignorieren versucht, aber dann hatten ihn die Schmerzen doch zum Hausarzt getrieben.

Der wiederum hatte ihn in die Berling-Klinik geschickt. Die dortigen Untersuchungen zeigten einen ausgeprägten Meniskusschaden, der auf Anraten der Ärzte behoben werden musste. Sie sagten, ein Riss dieses scheibenförmigen Knorpels sei wie Sand im Getriebe, würde unbehandelt zu Gelenkentzündungen führen und schließlich das Aus für jede sportliche Betätigung bedeuten.

Hier im Vorbereitungsraum lag der Patient nun in banger Erwartung dessen, was gleich mit ihm geschehen würde.

„Tut mir leid“, sagte Schwester Priska in diesem Moment bedauernd und ein bisschen verlegen. „Das hat nicht geklappt. Ich versuche es noch einmal. Manchmal ist es nicht leicht, ein Gefäß zu treffen.“

Sie warf die Spritze in einen Behälter.

Während sie erneut das Gummiband um seinen Unterarm schlang, die sterile Verpackung einer neuen Nadel entfernte und sie zum zweiten Mal in seinen Handrücken stach, betrachtete er den gesenkten Kopf der Pflegerin. War die rosig schimmernde Gesichtshaut dem kleinen Missgeschick geschuldet – oder sah der Teint immer so frisch aus?

Simon hätte es gern gewusst. Das hochgesteckte braune Haar wurde nur mühsam von einer Haube zusammengehalten. Die Augen verbargen sich hinter den seidigen Wimpern, aber zuvor hatte er schon gesehen, dass sie ebenfalls braun waren.

Achtete Simon in dieser Situation auf solche Nebensächlichkeiten, um sich von seinen Ängsten abzulenken? Er unterdrückte ein Aufseufzen und versuchte, gleichmäßig zu atmen.

Schwester Priska wirkte jung und zerbrechlich und – ja – auch irgendwie schutzbedürftig, doch im nächsten Moment verflog dieser Eindruck wieder.

„So, jetzt sitzt die Kanüle“, stellte sie zufrieden fest und klebte zum besseren Halt noch einen Pflasterstreifen drüber. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr gequält.“

Bevor er darauf antworten konnte, wurde er von einer anderen Frau begrüßt, die sich als Dr. Kellberg vorstellte.

„Ich bin Ihre Anästhesistin“, sagte die Ärztin. „Wir injizieren Ihnen ein Medikament, danach werden Sie sich ein wenig schwindelig fühlen und alles Weitere machen wir dann. Seien Sie unbesorgt.“

Zwei Pfleger schoben das Krankenbett in den gekachelten Raum neben den OP-Tisch. Mit vereinten Kräften hoben sie den schlanken Mann hoch und lagerten ihn auf die feste Unterlage, an deren oberem Ende sich eine Vertiefung für den Kopf befand.

„Liegen Sie bequem?“, erkundigte sich eine männliche Stimme.

„Ja“, murmelte Simon.

Jemand hielt ihm eine Atemmaske vors Gesicht. Er verspürte kurz den angekündigten Schwindel, dann sank er in die Bewusstlosigkeit.

Die Chirurgen betraten den OP. Im Vorgespräch mit dem Patienten hatte man sich darauf verständigt, nach Möglichkeit über eine Gelenkspiegelung den schadhaften Meniskus zu nähen oder, wenn das nicht möglich sein sollte, nur die nicht mehr zu reparierenden Knorpelteile zu entfernen.

Michael Wolfram und Peter Donat arbeiteten Hand in Hand. Sie hatten diesen Eingriff schon mehrfach gemeinsam durchgeführt.

Dr. Wolfram legte kleine Schnitte für die Arthroskopie. Das gesamte Instrumentarium bestand aus einer Kamera und einem röhrenförmigen Endoskop, durch das die OP-Bestecke eingeführt werden konnten.

OP-Schwester Tanja stellte den Bildschirm ein. Nun konnte das Ärzteteam genau verfolgen, was im Inneren des Knies geschah.

Dr. Donat drehte die drei Millimeter große Kamera im Knie hin und her. Alle Augenpaare im OP blickten auf den Bildschirm.

„Wir bereiten das Nähen vor“, sagte Michael nach einigen Sekunden.

Sein Kollege Peter führte die Miniaturschere durch das Endoskop ein und glättete die aufgerauten Ränder des Risses. Dann zog er das Instrument wieder heraus.

Nun kamen Nadel und Fadenhalter zum Einsatz. Mit großer Sorgfalt vernähte Dr. Wolfram den Spalt zwischen den Knorpelteilen.

„Das sollte für die nächsten zwanzig Jahre halten“, meinte er in einem Tonfall, der ein fröhliches Grinsen unter dem Mundschutz verriet. „Andrea, lass ihn wieder selbstständig atmen.“

Der gesamte Eingriff hatte nicht länger als fünfundvierzig Minuten gedauert.

„Herr Lohmer! Aufwachen! Da sind Sie ja wieder. Alles ist gut verlaufen. Wir bringen Sie jetzt in den Aufwachraum.“

***

Priska nahm den Patienten in Empfang und schloss ihn an das Blutdruckmessgerät an, um die Werte ständig beobachten zu können.

„War doch gar nicht schlimm, Herr Lohmer, oder?“

„Ich habe geträumt“, sagte er, als er wieder in das Gesicht schaute, das ihm nun schon so vertraut war. „Kann ich etwas trinken?“

„Noch nicht“, erwiderte die Pflegerin. „Aber ich kann Ihnen den Mund etwas befeuchten.“

Diese Behandlung empfand er als sehr angenehm. Nun waren seine Lippen nicht mehr so trocken.

„Wie lange muss ich hierbleiben?“

„Wenn Ihr Blutdruck weiterhin so stabil bleibt, bringe ich Sie in einer Stunde auf die Station zurück. Wenn Sie Beschwerden verspüren, zum Beispiel Übelkeit, dann sagen Sie es sofort, ja?“

So liebevoll umsorgt zu werden, fühlte sich gut an. Er schloss die Augen und ließ die Geräusche der Umgebung auf sich wirken.

Sein Bett war mit spanischen Wänden gegen fremde Blicke abgeschirmt. Er döste vor sich hin.

Irgendwann spürte er eine leichte Berührung an der Schulter. Zwei Hände befreiten seinen linken Arm von der Blutdruckmanschette.

„Jetzt geht’s auf die Station“, sagte Priska.

„Wie lange werde ich bleiben müssen?“, erkundigte er sich.

„In der Regel zwei oder drei Tage“, erwiderte die Pflegerin. „Während des Heilungsprozesses werden Sie Gehhilfen brauchen. Aber darüber wird Sie der Arzt noch genau informieren. So, da kommt Schwester Marion. Alles Gute, Herr Lohmer.“

„Sehen wir uns denn nicht mehr?“ Simon bemühte sich, seine Enttäuschung zu unterdrücken.

„Morgen habe ich dienstfrei. Aber wenn Sie übermorgen noch da sind, schaue ich bei Ihnen vorbei.“

Und schon wurde er in seinem Bett fortgeschoben. Fort von der angenehmen Stimme, die seine Ohren wie Samtwellen berührte. Fort von dieser aparten Schönheit, die sein Herz träumen ließ.

Priska – ein Name so leicht und frisch wie eine Quelle.

Am Nachmittag kam Dr. Wolfram in Simons Krankenzimmer. Er berichtete kurz vom Ablauf der Operation.

„Morgen wechseln wir den Verband. Wegen der Ruhigstellung des Beins bekommen Sie eine Thrombose-Prophylaxe. Lassen Sie sich noch ein paar Tage hier betreuen. Wenn wir Sie nach Hause schicken, bekommen Sie noch ein paar Regeln mit auf den Weg.“

„Wann kann ich wieder Sport treiben?“

„Damit müssen Sie so lange warten, bis die Naht gut verheilt ist. Das kann einige Wochen dauern.“ Dr. Wolfram stützte sich auf das Fußende des Bettgestells. „Machen Sie Leistungssport?“

„Ich trainiere eine junge Fußballmannschaft. Und das möchte ich in Zukunft natürlich ohne Krücken tun.“

„Keine Sorge, das werden Sie auch bald wieder können. Wie alt sind die Kids denn?“

„Dreizehn bis fünfzehn. Einige von ihnen haben das Zeug zu einer größeren Fußballkarriere und müssen früh gefördert werden.“

„Ich hab auch mal Fußball gespielt“, bekannte der Arzt. „Aber ich war wohl nicht besonders gut. Die anderen wollten mich nämlich bald nicht mehr dabei haben. So bin ich eben Arzt geworden.“

Simon warf Dr. Wolfram einen Blick zu und sah gleich den Schalk in dessen Augen. Beide Männer lachten.

„Sie verstehen was von der ärztlichen Kunst, Doktor. Ich kicke lieber, als in einem Kniegelenk herumzuschnipseln.“

Gut gelaunt verabschiedete sich Dr. Wolfram. Er ging nicht davon aus, dass der Heilungsprozess Komplikationen bringen würde. „Wir sehen uns morgen wieder“, versprach er und verließ das Krankenzimmer.

***

Priska saß in der S-Bahn und genoss den Anblick, den der Frühling bot. In diesem Jahr hatte er lange auf sich warten lassen, doch nun machte er seine Verspätung mit den brillantesten Farben wieder wett. Jeder Baum kündigte mit seiner vollen Blütenpracht den bevorstehenden Sommer an.

Die Fahrt bis zu ihrer kleinen Wohnung in Haidhausen dauerte knappe 20 Minuten. Eigentlich hatte sie sich für diesen Abend vorgenommen, die Fenster zu putzen und ein wenig aufzuräumen. Doch, zu Hause angekommen, verspürte sie keine Lust dazu. Für wen sollte sie sich diese Mühe machen? Seit jenem Tag, an dem die Welt aufgehört hatte, sich zu drehen, fand sie solche Hausarbeiten nicht mehr wichtig.

„Hallo, ihr zwei!“, sagte sie zu dem gerahmten Foto im Bücherregal. „Was habt ihr denn heute so getrieben? Bei mir war nichts Besonderes los. Allerdings habe ich eine Vene verfehlt. Ist mir schon ewig nicht mehr passiert. Zum Glück hat mir der Patient nichts übelgenommen. War ein sympathischer Mensch, überhaupt nicht nachtragend.“

Sie gab dem Foto einen kleinen Schubs mit dem Daumen, damit es nicht gar so kerzengerade und ordentlich im Regal stand.

„Die Ärzte haben sein Knie ganz gut hingekriegt. Hoffentlich kann er bald wieder laufen. Er ist Fußballtrainer, das dürfte dich interessieren, mein Kleiner. In ein paar Jahren kannst du in seiner Mannschaft spielen. Aber bis dahin bleibt ja noch Zeit.“

Priska ging in die Küche und zog die Kühlschranktür auf. Was sie dort sah, kam ihr nicht sehr verlockend vor. Morgen musste sie die Vorräte auffüllen. Dazu hatte sie den ganzen Tag Zeit.

Sie nahm die beiden letzten Eier heraus, schlug sie in eine Tasse und verquirlte sie mit Salz und Pfeffer.

Zum Rührei aß sie ein Stück altes Brot. Gern hätte sie heute mal ein Glas Wein dazu getrunken, aber auch der musste erst noch besorgt werden.

Nicht zum ersten Mal fiel Priska heute auf, dass sie sich herzlich wenig um eine ausgewogene Ernährung kümmerte. Das sollte sie eigentlich ändern.

Wie es wohl dem Patienten Lohmer mit seinem Knie ergehen mochte? Sie sah seine fragenden Augen vor sich. Augen von der tiefblauen Farbe hochgelegener Bergseen an einem schönen Sommertag.

Als ihr Teller leer war, schob sie ihn von sich und stützte das Kinn in die Hand. Schnell waren ihre Gedanken wieder bei dem Fußballtrainer. Um sich abzulenken, holte sie Papier und Bleistift und machte sich Notizen für den morgigen Einkauf.

Doch es gelang ihr nicht wirklich, sich darauf zu konzentrieren. Seine Augen waren von einem ganz ungewöhnlichen Blau. Aber ganz sicher bin ich nicht die Erste, die das bemerkt, dachte sie.

Als sie später ins Wohnzimmer zurückging und den Fernseher einschaltete, vermied sie es, zu dem Foto hinüberzuschauen. Die zwei sollten bloß nicht denken, dass sie sich für einen anderen Menschen interessierte, noch dazu für einen Mann.

Tatsächlich gelang es ihr, die inneren Bilder zurückzudrängen, aber nachts kehrten sie leichtfüßig wieder zurück und beflügelten ihre Träume.

***

Ein Abend voller Überraschungen, dachte Dr. Stefan Holl. Ohne Ankündigung stand plötzlich der Besuch vor der Tür und Stefan hatte eine Weile gebraucht, um den Kommilitonen aus längst vergangenen Studientagen zu erkennen.

Jetzt allerdings fand er, dass Justus Berwald sich kaum verändert hatte. Ja, einige Falten um die Augen, zwei tiefe Furchen von beiden Seiten der Nase zu den Mundwinkeln, ein paar graue Strähnen im Haar, aber ansonsten war er immer noch der alte, etwas großspurig, aber charmant.

„Ich beneide dich um deine Familie“, sagte Justus Berwald und hob sein Glas. „Hoffentlich kann ich Julia noch meine Aufwartung machen.“

Stefan schaute auf die Uhr. „Sie wird sicher bald kommen“, sagte er. „Das Frauentreffen zieht sich immer ein wenig hin. Aber erzähl mal, was ist mit dir? Familie, Kinder?“

Justus zog die Schultern hoch, eine Geste, die leicht bekümmert wirkte.

„Nein. Es gab mal eine, mit der ich gern zusammengeblieben wäre, aber dann ging sie Amerika, traf dort einen anderen und kam nicht mehr zurück. Ob ich noch jemals eine Frau finden werde, die es mit mir aushält, ist fraglich.“

Stefan schmunzelte. „Wieso? Was ist denn mit dir? Du bist doch genau der Typ, auf den Frauen fliegen.“

„Meinst du?“ Justus fühlte sich sichtlich geschmeichelt.

„Ganz ohne Zweifel, du bist ein attraktiver Mann“, stellte Stefan neidlos fest. „Aber erzähl mir mal, wo du dich in all den Jahren rumgetrieben hast.“

Justus Berwald seufzte. „Anfangs hatte ich mit einem Kollegen zusammen eine Gemeinschaftspraxis für Allgemeinmedizin, aber das hat sich dann zerschlagen. Eine Weile war ich im Ausland, danach war ich ein paar Jahre Oberarzt in der Chiemgau-Klinik. Jetzt mache ich Sportmedizin und zwischendurch reise ich als Schiffsarzt auf Kreuzfahrten mit. Das macht großen Spaß und man sieht was von der Welt. Du glaubst ja nicht, was man an Bord so alles erlebt. Ein dickes Buch könnte ich darüber schreiben.“

Stefan hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Das musste Julia sein. Er stand auf, um sie zu begrüßen.

Auch Dr. Berwald erhob sich. Als er Julia sah, nahm er sie gleich in die Arme und drückte ihr zwei herzhafte Küsschen auf die Wangen.

„Du bist ja noch schöner geworden!“, rief er enthusiastisch aus.

Julia trat einen Schritt zurück und betrachtete den Besucher mit geneigtem Kopf.

„Du siehst aus wie immer“, meinte sie lächelnd. „Immer noch der große Charmeur, der Mittelpunkt jeder Party.“

Sofort kehrte die Erinnerung an früher zurück. In einer großen Clique von angehenden Ärzten hatten sie damals Schwabing und Umgebung unsicher gemacht. Und Justus, der große Wortführer, war immer mit dabei.

„Trotzdem habe ich die Richtige noch nicht getroffen, ganz im Gegensatz zu deinem Mann.“ Justus schaute von Julia zu Stefan. „Euch leuchtet das Glück ja aus den Augen.“

Die beiden Eheleute warfen sich einen verschmitzten Blick zu.

„Habt ihr schon silberne Hochzeit gefeiert?“

„Dieses Fest steht uns noch bevor“, erwiderte Stefan, holte ein frisches Glas für seine Frau und schenkte ihr Rotwein ein.

Julia holte aus der Küche noch ein paar Knabbereien.

„Aber jetzt reden wir nicht mehr von mir“, sagte Justus, als alle drei in den bequemen Sesseln saßen. „Wie geht es Euch, was macht der Nachwuchs, wie hat sich die Berling-Klinik entwickelt?“