Chefarzt Dr. Holl 1862 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1862 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Beten um ein Wunder - Der Kampf der Ärzte um ein Leben
Von Katrin Kastell


Friederike Sonnenberg ist eine echte Superfrau. Seit dem frühen Tod ihres Mannes muss sie ihre vier Kinder allein aufziehen und tut dies mit grenzenloser Liebe, Einsatz und Lebensfreude. Damit es Lukas, Kai, Katharina und Lena an nichts fehlt, stemmt sie zudem die Arbeit in der von ihrem Mann ererbten Reitschule, hat als guter Geist für die Probleme sämtlicher kleiner und großer Reitschüler ein offenes Ohr, sitzt im Elternbeirat, tröstet sämtliche Freundinnen über ihre Ehekrisen und nimmt - als wäre das nicht genug - die leicht vergessliche Tante Titi samt Papagei und Hamster in ihrem Haushalt auf.
"Wie macht sie das?", fragen sich Freunde und Verwandte. "Jeder Mensch braucht doch auch mal eine Pause!"
Friederike aber gönnt sich keine. Wenn man sie darauf anspricht, lacht sie ihr gewinnendes Lachen und antwortet, dass sie mit ihrem Leben glücklich ist.
Doch dann beobachtet einer ihrer Reitschüler, wie sie sich in der Sattelkammer an die Wand lehnt und nach Atem ringt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Beten um ein Wunder

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Wavebreakmedia / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8027-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Beten um ein Wunder

Der Kampf der Ärzte um ein Leben

Von Katrin Kastell

Friederike Sonnenberg ist eine echte Superfrau. Seit dem frühen Tod ihres Mannes muss sie ihre vier Kinder allein aufziehen und tut dies mit grenzenloser Liebe, Einsatz und Lebensfreude. Damit es Lukas, Kai, Katharina und Lena an nichts fehlt, stemmt sie zudem die Arbeit in der von ihrem Mann ererbten Reitschule, hat als guter Geist für die Probleme sämtlicher kleiner und großer Reitschüler ein offenes Ohr, sitzt im Elternbeirat, tröstet sämtliche Freundinnen über ihre Ehekrisen und nimmt – als wäre das nicht genug – die leicht vergessliche Tante Titi samt Papagei und Hamster in ihrem Haushalt auf.

„Wie macht sie das?“, fragen sich Freunde und Verwandte. „Jeder Mensch braucht doch auch mal eine Pause!“

Friederike aber gönnt sich keine. Wenn man sie darauf anspricht, lacht sie ihr gewinnendes Lachen und antwortet, dass sie mit ihrem Leben glücklich ist.

Doch dann beobachtet einer ihrer Reitschüler, wie sie sich in der Sattelkammer an die Wand lehnt und nach Atem ringt …

„Bravo, Juju, das war ein fantastischer Galopp!“, lobte Friederike Sonnenberg die junge Reitschülerin, die sofort über das ganze Gesicht zu strahlen begann.

Wie Friederike es den Kindern zuvor erklärt hatte, ließ sie Flora, die sonst eher faule Haflingerstute, erst in Trab und gleich darauf in Schritt fallen, beugte sich vornüber und klopfte ihr überschwänglich den Hals.

Friederike lächelte. Seit zwanzig Jahren unterrichtete sie nun Menschen jeden Alters in der beglückenden Kunst des Reitens.

Sie mochte alle ihre Schüler, musste sich jedoch eingestehen, dass ihr die Kinder die liebsten waren. Sie gingen so liebevoll und unbefangen mit den Pferden um und schlossen ihre großen Freunde mit den freundlichen Augen und den samtweichen Nasen tief ins Herz.

Friederike hatte selbst vier Kinder, wenn diese inzwischen auch schon an der Schwelle zum Erwachsensein standen. So anstrengend es gewesen war, vier quirlige, quicklebendige kleine Menschen als alleinstehende Mutter auf ihrem Weg ins Leben zu begleiten, Friederike hätte keinen einzigen Tag mit ihrer Rasselbande missen wollen. Kinder und Pferde, das war ihr Glück. Welch größeren Reichtum konnte ein Mensch sich wünschen?

„Dauermutter“, nannten ihre Freundinnen Mone und Nelly Friederike mit freundlichem Spott. Oft genug hatte Friederike auch die Kinder der beiden als Übernachtungsgäste im Haus, in dem sich zudem die Schulfreunde ihres Quartetts tummelten. Platz gab es Gott sei Dank genug, und Friedi, wie die Bande sie nannte, hatte genug Mutterliebe für alle.

Auch für ihre Reitschüler. Jeder von ihnen war etwas Besonderes für Friedi, und wenn sie überhaupt spezielle Lieblinge hatte, dann war Juju Holl einer von ihnen. Das fröhliche Mädchen mit den Zöpfen war die jüngste Tochter eines Chefarztes, der in München so etwas wie eine Berühmtheit war.

Friederike kannte sich mit dem Thema nicht aus, sie war kerngesund und ging nie zum Arzt, doch von Dr. Holl, dem Leiter der renommierten Berling-Klinik, hatte selbst sie schon gehört.

Man hätte annehmen können, als Arzttochter wäre Juju verwöhnt und eingebildet dahergekommen, aber nichts lag der Wahrheit ferner. Sie war völlig natürlich, strömte vor Liebe zu Mensch und Tier über und besaß ein wunderbares Gespür für die Gefühle anderer Geschöpfe. Ihr größtes Glück war es, Jupp und Yannis, den Burschen, bei der Stallarbeit zu helfen und ihren geliebten Pferden etwas Gutes zu tun.

„Das war wirklich spitze“, lobte Friederike sie noch einmal, als Juju sich wieder hinten an die Reihe aus fünf jungen Reitern angeschlossen hatte. „In einen so flotten Galopp bekommt unsere Flora sonst keiner. Und nun bist du an der Reihe, Max. Ich bin sicher, auch du wirst uns einen echten Spitzengalopp hinlegen.“

Max Hansen, ein rothaariger, sommersprossiger Junge von zehn Jahren, war in gewisser Hinsicht das Gegenteil von Juju. Während das Mädchen sich voller Abenteuerlust in jede neue Aufgabe stürzte, hockte der Junge steif vor Angst im Sattel des großen Rappen.

„Wie der Affe auf dem Schleifstein“, hätte Peter, Friedis geliebter Mann, gesagt.

Er war vor dreizehn Jahren ganz plötzlich gestorben, ein gesunder, kräftiger, naturliebender Mann von dreißig Jahren, der aus heiterem Himmel einen Herzinfarkt erlitten hatte und nicht mehr zu Bewusstsein gekommen war.

Die Geburt ihrer Zwillinge Kai und Lena, auf die sie sich so sehr gefreut hatten, hatte er nicht mehr erlebt, und seine geliebten „Großen“ – den damals dreijährigen Lukas und die fünfjährige Katharina – hatte er nicht aufwachsen sehen dürfen.

Noch immer, selbst nach dreizehn Jahren, konnte Friedi nicht fassen, dass ihr Peter einfach nicht mehr da war.

Die Reitschule war so etwas wie ihr Liebeserbe. Freunde und Verwandte hatten ihr damals dringend geraten, den arbeitsintensiven Betrieb aufzugeben und sich in ihrem erlernten Beruf als Kauffrau eine Halbtagsstellung zu suchen. Für Friederike aber war das nicht infrage gekommen. Die Reitschule „Sonnenberg“ hatten sie und Peter als jung verliebte Eheleute zusammen aufgebaut, sie war ihr gemeinsamer Traum, in dem ihr Liebster weiterlebte.

Außerdem hätte sie von dem Gehalt einer Halbtagskraft niemals ihr wunderschönes, geräumiges Haus halten oder ihren Kindern das Leben bieten können, das sie gewohnt waren. Und sie hatten doch schon ihren geliebten Papa verloren, sie sollten nicht auch noch aus ihrem Zuhause getrieben werden oder ihre Mama mehr als unbedingt nötig entbehren! Die Reitschule ermöglichte es Friedi, daheim zu arbeiten und trotzdem, wenn nötig, rund um die Uhr für ihr Quartett da zu sein.

Bei Max Hansen sah das leider anders aus. Seine Eltern waren höchst erfolgreiche Rechtsanwälte, und zum Reiten wurde Max stets von einem Au-pair-Mädchen gebracht. Reiten gehörte in der Familie Hansen zum guten Ton, und davon, dass ausgerechnet sein „Stammhalter“ sich vor den großen Tieren fürchtete, wollte Herr Hansen nichts wissen.

Friedi hätte Max als Schüler ablehnen können, aber damit hätte sie dem armen Jungen nicht geholfen. Es hätte ihm höchstens einen Platz in einer anderen Reitschule eingebracht, in der strengere Regeln herrschten. Stattdessen versuchte sie, ihm behutsam die Angst zu nehmen und ihm zu zeigen, dass das Pferd zu den sanftesten Geschöpfen und zu den besten Freunden des Menschen gehörte.

Aus diesem Grund hatte sie ihn auf keines der Ponys gesetzt, die zwar kleiner waren, aber durchaus ihren eigenen Kopf durchzusetzen wussten. Stattdessen hatte sie für Max Karol gesattelt, den schwarzen Trakehner, der für gewöhnlich im Reitschulbetrieb nicht zum Einsatz kam. Karol war Friedis eigenes Pferd. Er war Peters letztes Geschenk an sie gewesen, damals ein langbeiniges Fohlen, das Friederike selbst zureiten wollte.

Als Peter dann so plötzlich von ihrer Seite gerissen worden war, hatte sich der einfühlsame junge Rappe zu ihrem Seelentröster entwickelt. Ganze Nächte hatte sie in der Box des Pferdes verbracht und in das weiche Fell an seinem Hals geweint. Es war, als wäre in diesen schlimmen Wochen und Monaten Peters sanftes, freundliches Wesen auf Karol übergegangen. Als hätte er ihr in dem Tier einen Gruß und eine Spur seiner Liebe hinterlassen wollen.

Jetzt also saß der kleine Max Hansen auf Karols Rücken und umklammerte vor Angst mit steifen Beinen den Pferdeleib.

„Entspann dich, Max“, forderte Friederike ihn mit einem Lächeln auf. „Karol will dir nichts Böses, er freut sich mit dir auf euren ersten gemeinsamen Galopp.“

„Aber ich“, stotterte Max, „ich bin zu schlecht. Juju weiß, wie sie alles richtig machen muss, sie wird mal eine tolle Reiterin werden, die bei Olympia auftritt, aber ich bringe alles durcheinander und mache es falsch.“

Max’ Bewunderung für seine kleine Reiterkameradin rührte Friederike.

„Quatsch!“, rief Juju ihm über die Pferderücken hinweg zu, ehe die Reitlehrerin noch etwas sagen konnte. „Letzte Woche bin ich runtergefallen, weil ich mit dem armen Jupiter viel zu schnell lospreschen wollte, als er noch gar nicht fertig war. Er hat sich erschrocken, einen Satz gemacht, und prompt bin ich über seinen Kopf geflogen. So etwas würde dir nie passieren. Du passt immer gut auf.“

„Juju hat recht“, sagte Friederike und verkniff sich ein Schmunzeln. „Jeder von euch hat andere Dinge, die er gut kann, und solche, die er noch üben muss. Juju ist mutig und hat eine tolle Haltung, aber sie ist oft ein bisschen zu stürmisch. Du dagegen musst noch lernen, dich zu entspannen und deinem Pferd zu vertrauen, aber du hast eine wunderbare Art, mit Tieren umzugehen, und unsere Pferde mögen dich.“

Jetzt war es Max, der über das ganze Gesicht strahlte und sogar errötete. Er war Lob nicht gewöhnt. Seine Eltern geizten damit und waren überzeugt, ihr einziger Sohn würde durch Kritik schneller lernen und für sein Leben abgehärtet werden.

„Du kannst dich auf Karol verlassen“, fuhr Friederike fort. „Die Hilfen hast du geübt, und den Rest lass ihn nur machen. Er will dein Freund sein, Max, er wird dich sicher durch diesen Galopp tragen.“

Noch immer zögernd begann Max, die verkrampften Beine zu entspannen, die Schultern zu lösen und sich auf die Hilfen zum Angaloppieren vorzubereiten. Kaum war der Schenkeldruck erfolgt, fiel Karol in einen weichen, beinahe schwebenden Galopp. Max erschrak kurz, weil es auf einmal so schnell ging, dann aber gelang es ihm, sich den Bewegungen des Pferdes anzupassen und den Ritt zu genießen.

„Schon vorbei?“, entfuhr es ihm, als Karol von selbst in die langsamere Gangart wechselte und sich hinter Juju und Flora wieder einreihte. „Das hat ja richtig Spaß gemacht!“

„Sag ich doch.“ Juju lachte, und Max’ Gesicht glühte vor Stolz. Es war immer wieder aufs Neue ein beinahe magischer Augenblick, wenn ein zutiefst verunsichertes Kind begriff, dass es kein totaler Versager war, sondern sich etwas zutrauen konnte.

„Das hast du wirklich super gemacht“, bemerkte Friederike anerkennend. „Du hast ihm die richtigen Zeichen gegeben, und Karol hat darauf reagiert, wie es ein echter Freund eben tut. Und nun gönnen wir unseren vierbeinigen Freunden alle eine verdiente Pause, bedanken uns bei ihnen und reiten die letzte Runde am langen Zügel.“

„Oooch. Schon zu Ende!“, kam es vielstimmig von den jungen Reiterschülern.

Friederike konnte sie nur zu gut verstehen. Auch sie war eines jener Kinder gewesen, dem keine Reitstunde lang genug gewesen sein konnte und die aus dem Pferdestall nicht wegzubekommen gewesen war. Auf dem Reiterhof hatte sie schließlich auch ihren Peter kennengelernt, der als einziger pferdenärrischer Junge unter lauter Mädchen der Hahn im Korb gewesen war. Max, der offenbar seine Lust am Reiten entdeckt hatte, mochte es eines Tages genauso ergehen.

Wie so oft gerieten Friederikes Gedanken ins Schweifen, während sie den Kindern half, abzusteigen, die Sattelgurte zu lockern und ihre Pferde zu den Stallungen zurückzuführen. Sie wanderten zurück zu jenem Sommer, in dem sie Peter begegnet war und sich auf den ersten Blick in den schneidigen Nachwuchsreiter – und ein bisschen auch in seinen Hengst Wotan – verliebt hatte.

Zarte siebzehn war sie damals gewesen, so alt wie ihre Tochter Katharina heute. Kati war ein bildhübsches, lustiges, selbstbewusstes Mädchen, das sich vor Verehrern nicht retten konnte, doch Friedi wusste, dass unter der fröhlichen Schale ein höchst empfindsamer Kern ruhte. Ihre Erstgeborene hatte ihren Papi vergöttert und seinen Verlust nie verwunden. Die Angst, jemand könnte diese Verletzlichkeit ihrer Tochter ausnutzen, lauerte ständig in Friederikes Hinterkopf.

Auch jetzt, während sie neben Max zum Stall ging und ihm noch einmal zeigte, wie er Karol am Zügel führte, ohne ihn im Maul zu reißen. Hätte eine gute Fee ihr einen Wunsch gewährt, so hätte sie darum gebeten, dass jedes ihrer Kinder mit seinem Partner genau so viel Glück haben sollte wie sie.

Und dass die vier ihr Glück länger behalten dürfen, durchfuhr es sie mit einer Spur Wehmut, die sie sich sonst verbot. Am besten für ein ganzes Leben.

***

„Schwester Sonja?“ Dr. Stefan Holl, der Leiter der Münchner Berling-Klinik, steckte den Kopf in eins der Patientenzimmer und stellte fest, dass Sonja Barduhn, die junge Schwesternschülerin, die seit drei Monaten bei ihnen beschäftigt war, noch immer am Bett der alten Frau Hansemann saß, die sich nach einer Totaloperation nur langsam erholte. „Ihr Dienst ist doch längst beendet. Sie sollten seit einer guten Stunde auf dem Heimweg sein.“

„Herr Doktor Holl! Bitte entschuldigen Sie.“ Regelrecht erschrocken sprang die junge Frau von ihrem Stuhl auf. „Ich weiß ja, ich sollte nicht mehr hier sein, und ich habe mich auch schon bei Schwester Waltraud abgemeldet, aber Frau Hansemann und ich sind so nett ins Plaudern gekommen ...“

Stefan Holl nickte. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass er Sonja Barduhn dabei ertappte, wie sie sich aufopferungsvoll um eine Patientin kümmerte, die keinerlei Besuch bekam.

Frau Hansemann war einer jener traurigen Fälle, die die Welt nun, wo sie sie nicht länger brauchte, vergessen zu haben schien. Organisch schritt die Heilung der pensionierten Lehrerin erstaunlich gut voran, aber für manche Menschen gab es oft nichts und niemanden, für den es sich lohnte, gesund zu werden.

„Es ist meine Schuld!“, rief Frau Hansemann. „Ich habe Schwester Sonja aufgehalten. Habe ihr erzählt, wie ich damals der armen Michaela, die unter schrecklicher Prüfungsangst litt, durchs Abitur geholfen habe. Ich habe ihr einfach erlaubt, ihren Hund mit zur Schule zu bringen. Dackel Raudi war der Einzige, der sie beruhigen konnte, und ich habe ihn in einem Deckelkorb im Lehrerzimmer versteckt. Wo sie nun wusste, dass ihr geliebter vierbeiniger Freund gleich danach auf sie wartete, hat Michaela mit Glanz und Gloria ihre Prüfung bestanden und ist später eine hervorragende Tierärztin geworden.“

Bei dem Wort „Prüfungsangst“ klingelte in Dr. Holls Kopf eine Alarmglocke. Das Thema mochte nicht allein die Patientin beschäftigen, sondern ebenso ihre Pflegerin.

Die junge Sonja war nämlich keine gewöhnliche Schwesternschülerin, sondern die Tochter seines geschätzten Kollegen, des angesehenen Neurochirurgen Christoph Barduhn. Christoph selbst hatte ihn gebeten, Sonja in der Berling-Klinik unter seine Fittiche zu nehmen, nachdem sie ihr Medizinstudium abrupt abgebrochen hatte.

„Ich weiß einfach nicht, was mit meiner Sonni los ist“, hatte er Stefan gestanden. „Sie beherrscht den Stoff aus dem Handgelenk, jeder ihrer Professoren sagt, sie ist die geborene Medizinerin und könnte leicht Jahrgangsbeste sein. Aber vor jeder Prüfung verliert sie vollkommen die Nerven und kann meist nicht einmal antreten.“

Um zu wissen, was mit ihr los ist, müsstest du vielleicht ein bisschen häufiger Zeit für sie haben, hatte Stefan Holl gedacht. Er war selbst Vater von vier Kindern und wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, wie leicht es war, sich als Arzt in einer Spirale aus Arbeit und noch mehr Arbeit zu verfangen, die für die Familie nichts mehr übrig ließ.

In seinem Haus sorgte zu solchen Zeiten Julia zum Glück für Ausgleich, seine wunderbare Frau, die ihre eigene Berufstätigkeit als Kinderärztin zurückgestellt hatte, damit für ihre vier Sprösslinge immer jemand da war. Zudem ermahnte sie ihren Mann beständig, wenn er es mit der Hingabe an seine Arbeit wieder einmal übertrieb.

„Du hast Kinder, Stefan. Sie wüssten ganz gern zumindest so ungefähr, wie ihr Vater aussieht.“

Er war seiner Frau dankbar dafür. Sosehr ihn sein Beruf auch befriedigte, die Zeit, die er seiner Familie widmete, hätte er für nichts auf der Welt missen wollen.

Im Haus der Barduhns gab es keine Frau mehr, die liebevoll mahnend hätte einschreiten können, ehe ihr Mann sich in seinem Beruf völlig aufrieb und ihre Tochter allzu früh erwachsen wurde.

Auch sein Kollege Christoph hatte in einer so glücklichen Ehe gelebt, wie Stefan sie mit Julia führte, doch ein grausamer Unfall hatte seine Frau Kirsten viel zu früh aus dem Leben gerissen.