Dragon Hunter Diaries - Drachenküssen leicht gemacht - Katie MacAlister - E-Book

Dragon Hunter Diaries - Drachenküssen leicht gemacht E-Book

Katie MacAlister

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Beschreibung

So heiß wie Drachenfeuer!

Als Thaisa Moore eines Nachts zufällig in dem Antiquitätengeschäft, in dem sie jobbt, zwei Einbrecher stellt, ahnt sie nicht, wie grundlegend diese Begegnung ihr Leben verändern wird: Denn einer der beiden Männer ist Archer Andras, Anführer der Schattendrachen - und ihr Seelengefährte. Eine völlig neue, fantastische Welt tut sich vor Thaisa auf, und auf einmal scheint nichts mehr gewiss, außer einer Sache: Archer, der große düstere Drache, bedeutet zu 100% Ärger. Da wird Thaisa von Archers Bruder, dem Oberhaupt des verfeindeten Schattendrachen-Clans entführt, - und ehe sie es sich versieht, ist sie Spielball zweier mächtiger Drachen, die sich in einem Krieg gegenüberstehen ...

"Ein leichtherziges, humorvolles und sexy Lesevergnügen!" BOOKLIST

Band 2 der DRAGON HUNTER DIARIES

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Seitenzahl: 397

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

Die Autorin

Die Romane von Katie MacAlister bei LYX

Impressum

Katie MacAlister

Dragon Hunter Diaries

DRACHENKÜSSEN LEICHT GEMACHT

Roman

Ins Deutsche übertragen von Theda Krohm-Linke

Zu diesem Buch

Thaisa Moore traut ihren Augen nicht, als sie zwei Einbrecher in dem Antiquitätengeschäft, in dem sie arbeitet, überrascht. Die beiden wollen augenscheinlich die verschollen geglaubte Seite eines alten Manuskripts stehlen. Doch schnell entpuppen sich die muskulösen Typen als rechtmäßige Käufer des Artefakts, die nur zu voreilig an ihr Hab und Gut gelangen wollten. Sie hinterlassen dem Laden allerdings nicht nur eine großzügige Kaufsumme, sondern auch einen nachhaltigen Eindruck auf Thaisa. Vor allem Archer Andras hat es der jungen Frau angetan und lässt sie atemlos zurück, hin- und hergerissen zwischen Wut und Verlangen. Als Thaisa daraufhin ihrem jähzornigen Boss von dem guten Preis, den sie für die Manuskriptseite bekommen hat, erzählt, rastet er jedoch aus. Er beginnt, Thaisa und ihre kranke Oma zu bedrohen, wenn sie nicht augenblicklich das Artefakt von Archer zurückholt! Thaisa setzt nun alles daran, den Mann ausfindig zu machen, der ihr seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Als es ihr gelingt, wird Thaisas Welt auf den Kopf gestellt: Sie landet mitten in der Anderwelt, die bevölkert ist von fantastischen Kreaturen. Beispielsweise Drachen – so wie Archer, Anführer des Sturmdrachen-Clans. Thaisa ist völlig überwältigt, aber eines ist gewiss: Zwischen ihr und Archer sprühen mächtig die Funken. Doch da wird sie von Hunter, Archers Bruder und Oberhaupt des verfeindeten Schattendrachen-Clans, entführt. Und ehe es sich Thaisa versieht, ist sie Spielball zweier mächtiger Drachen, die sich in einem Krieg gegenüberstehen – und plötzlich ist nicht nur Thaisas Herz, sondern auch ihr Leben in Gefahr …

Für meine liebe Michelle, die beste Agentin der Welt, weil sie mich davor bewahrt hat, durchzudrehen, als ich am liebsten eine schreibende Eremitin geworden wäre.

1. KAPITEL

Archer Andras’ Tag wäre mit Sicherheit nicht mit fünf Sternen ausgezeichnet worden.

Er hatte schon schlecht angefangen und wurde langsam immer schlimmer.

»Wer ist das?«, fragte Miles an jenem Morgen, als Archer, der vor einem flachen Gezeitentümpel in der Hocke saß, eine Wasserleiche umdrehte und in ein Gesicht blickte, das er kannte.

»Davide.« Er presste die Lippen zusammen, als er das graue Pulver, das die Augen des Mannes, seine Nase, seine Ohren und seinen Mund umgab, berührte. Er brauchte nicht daran zu riechen, um zu wissen, was es war.

»Heiliger Christus«, sagte Miles leise. »Ist er …?«

»Ja.« Archer stand auf und winkte die anderen vier Sturmdrachen zu sich, die eine Segeltuchtrage dabeihatten. »Irgendjemand hat ihn mit dunkler Macht umgebracht.«

»Irgendjemand?« Ein Muskel von Miles’ Kinn zuckte. Die vier Männer breiteten eine Decke über ihren toten Stammesgenossen und hoben ihn auf die Trage. »Ich glaube, wir wissen alle, wer hierfür und für die anderen Fälle verantwortlich ist. Die Frage ist nur, was willst du dagegen unternehmen?«

»Dasselbe wie sonst auch.« Die kalte Wut, die seine Seele erfasst hatte, ließ seine Stimme grimmig klingen. Noch nicht einmal sein Feuer wärmte ihn – er fühlte sich so eiskalt wie das graugrüne Wasser, das in dem Tümpel schwappte. »Versuchen, meinen Stamm zu beschützen. Die zu finden, die uns angreifen. Eine stärkere Abwehr aufzubauen.« Er wies auf das Haus, das auf einer kleinen Anhöhe über dem schmalen Strandstreifen stand. »Bringt ihn in den Keller«, sagte er zu den Männern. »Die Feuerbestattung findet statt, wenn wir seine Familie benachrichtigt haben.«

»Die Schattendrachen werden einiges erklären müssen.« Ioan, einer der Männer, die die Trage trugen, schaute Archer zornig an. »Für diesen Mord müssen sie bezahlen.«

»Sie müssen für alle Morde bezahlen«, antwortete Miles automatisch. Er wartete, bis Ioan den anderen Männern in den Keller gefolgt war, dann packte er Archer am Arm. »Wie viele weitere Mitglieder sollen wir noch verlieren, bevor du endlich etwas unternimmst?«

Archers Drachenfeuer flammte auf, aber er hielt es in Schach und blieb lediglich stehen, um den Mann neben sich mit einem langen Blick zu bedenken. »Du vergisst dich, Cousin.«

Erneut zuckte der Muskel an Miles’ Kinn. Sie waren jetzt allein, die anderen Stammesangehörigen befanden sich außer Hörweite. »Du musst etwas tun«, sagte er schließlich mit gepresster Stimme. »Du musst ihm das Handwerk legen. Wir können nicht einfach nur zuschauen.«

»Glaubst du, mir ist nicht bewusst, dass mein eigenes Volk langsam aber sicher vernichtet wird?«, knurrte Archer und drückte seinen Cousin gegen die weiße Steinmauer des Hauses. »Es ist auch meine Familie, Miles. Meine Familie wird getötet, die Häuser meiner Familie werden zerstört, ihre Geschäfte ruiniert, ihre Schutzvorrichtungen durchbrochen. Ich bin genauso empört wie alle Mitglieder meines Stamms, angefangen bei dir, meinem ältesten Freund, bis hin zum neuesten Drachen, der Schutz in unserer Mitte sucht. Ich tue mein Bestes, damit alle sicher und glücklich leben können, aber ich kann keine Wunder bewirken.«

»Wenn du ihn nur herauslocken könntest …«

»Wie denn?« Archer ließ Miles los. Seine Frustration verstärkte noch das Gefühl der Ohnmacht, das solchen Angriffen folgte. »Ich versuche es seit über hundert Jahren, und mit welchem Ergebnis? Ich kann niemanden bekämpfen, der sich mir nicht offen zeigt.«

»Dann solltest du vielleicht nicht der Herr dieses Stammes sein.« Miles spuckte die Worte förmlich aus. Er versetzte Archer einen harten Stoß an die Schulter, so dass dieser ein paar Meter zurücktaumelte.

Hitze durchschoss Archer, und einen Moment lang überlegte er, ob er seinem Cousin eine Lektion erteilen sollte, aber dann schüttelte er den Kopf. Es hatte genug Tote gegeben. Miles war offensichtlich ebenso frustriert wie er.

»Du hast wenig genug getan, um das Massaker an unserem Stamm aufzuhalten. Wenn ich Herr der Sturmdrachen …«

»Aber du bist es nicht«, hielt Archer langsam und mit einer deutlichen Warnung in der Stimme dagegen. Er kniff die Augen zusammen. Die Eiseskälte seiner Trauer wurde noch nicht einmal von dem Drachenfeuer, das immer in ihm brannte, berührt. »Willst du wirklich ein förmliches Verfahren gegen mich einleiten?«

Er blickte Miles an, bis der Jüngere klein beigab und die Augen niederschlug. Archer wusste genau, wie schwer es Miles fiel, aber er hatte keine andere Wahl. Die Sturmdrachen waren erst seit relativ kurzer Zeit zusammen, erst seit knapp über hundert Jahren, und als ihr erster Herr musste Archer streng denen gegenüber sein, die ihm widersprachen. Die oft widerspenstigen Drachen mussten mit fester Hand geführt werden, weil sie sonst zu einer gesetzlosen Bande verkamen, die an den Rändern der sterblichen und der unsterblichen Welt ihr Dasein fristete.

Und er wollte verdammt sein, wenn er dorthin wieder zurückkehren würde.

»Nein, ich will kein Verfahren gegen dich einleiten«, sagte Miles. Er ließ einen angemessenen Zeitraum verstreichen, bevor er Archer wieder in die Augen blickte. »Ich spekuliere nicht auf deinen Posten.«

»Gut.« Archer lächelte und boxte Miles leicht auf den Arm. »Er ist nämlich auch ein Albtraum, den ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde – und ganz bestimmt nicht meinem leiblichen Cousin.«

Miles’ Mundwinkel zuckten und verzogen sich nach oben, als er die Zuneigung in Archers Stimme hörte. »Aber es muss doch etwas geben, das wir tun können. Irgendwo muss es doch einen Weg geben, um ihn zu besiegen. Wollen wir vielleicht noch einmal eine Versammlung einberufen?«

Niedergeschlagen ging Archer auf das Haus zu. »Wir können noch einmal ein Treffen mit Hunter arrangieren, aber es wird nicht anders ausgehen als die anderen.«

»Vielleicht dieses Mal …«

Zwei Drachen-Patrouillen kamen näher.

»Es wird nicht anders sein als vorher auch«, sagte Archer und behielt die Drachen im Auge. »Die Schattendrachen werden erklären, sie seien unschuldig am Tod unserer Stammesangehörigen. Hunter wird jede Anschuldigung von uns zurückweisen. Wir werden die Versammlung unzufrieden, hoffnungslos und ohne eine Lösung verlassen.«

Die Patrouillen verneigten sich und gingen weiter, und die beiden Männer betraten Archers Haus. Ihre Schritte hallten auf den Steinfliesen, als sie sich ohne Umwege in sein Arbeitszimmer im ersten Stock begaben. Zum Meer hin war das gesamte Haus mit hohen gläsernen Schiebetüren versehen, die sowohl das Licht als auch den salzigen Geruch der Seeluft hineinließen. Er liebte dieses Haus, liebte die Aussicht, liebte es, wie das Licht alles in eine Helligkeit tauchte, die ihn mit Freude erfüllte. Das war seines Vaters Erbe, das Vermächtnis eines blauen Drachen, das die Sehnsucht nach Tagen voller strahlendem Sonnenschein in ihm lebendig erhielt, während das Erbe seiner Mutter, die ein grüner Drache gewesen war, ihn das ewig ruhelose Meer lieben ließ.

Miles Handy piepte, als Archer sich an seinen Laptop setzte und die Unterlagen des Stammes aufrief, um Davides Familie zu finden, damit er ihnen den tragischen Verlust mitteilen konnte. Dabei stellte er fest, dass Davide erst seit zwei Jahren zu ihrem Stamm gehört hatte. Das Herz tat ihm weh bei dem Gedanken, wie wenig er tun konnte, um den Tod zu rächen, wenn er seinem Stamm weiteres Leid ersparen wollte.

»Das ist interessant«, sagte Miles langsam und blickte auf das Display seines Handys. »Vielleicht ist es ja genau das, wonach wir suchen. Erinnerst du dich noch an dieses Manuskript, das letztes Jahr in Venedig aufgetaucht ist?«

»Nein.« Archer rief Davides Akte auf. Erleichtert stellte er fest, dass er keine Angehörigen angegeben hatte. Er glaubte zwar nicht, dass Davide wirklich keine Familie hatte, aber viele Ouroboros-Drachen hatten die Verbindung zu ihren Familien gekappt, als sie verstoßen und aus allen Stammbüchern gelöscht wurden.

Nur die Stämme waren dem nicht aus dem Weg gegangen. Archer betrachtete die große Anzahl der Dateien, und Stolz stieg in ihm auf, weil achtundsiebzig verlorene Drachen ihren Weg zu ihm gefunden hatten.

»Ich habe dir Weihnachten davon erzählt. Ein Pergamentbogen hatte im Umschlag eines alten Zauberbuches aus dem sechzehnten Jahrhundert gesteckt. Es ist so gut wie nicht entzifferbar, aber oben auf dem Manuskriptblatt steht eine Notiz auf Latein, die besagt, es handele sich um die wahre Geschichte des Raisa-Medaillons.« Miles warf Archer einen vielsagenden Blick zu.

»Es gibt kein Raisa-Medaillon«, sagte Archer und wandte sich wieder seinem Laptop zu. »Das Manuskript ist entweder eine neue oder eine alte Fälschung.«

»Das weißt du doch gar nicht«, erwiderte Miles.

»Natürlich würde ich es wissen, wenn meine Mutter einen Drachen-Gegenstand mit unvorstellbaren Kräften geschaffen und mich damit zum ersten Drachenjäger gemacht hätte«, sagte Archer. »Falls es deiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, ich bin kein Drachenjäger. Ich bin ein Drache, weiter nichts.«

»Deine Mutter hat dir ja nur den halben Gegenstand gegeben«, sagte Miles, der immer noch den Text auf seinem Handy-Display las. »Der Legende nach …«

»Ich will deine Märchen nicht hören, danke«, sagte Archer, um das abzuwenden, was jetzt unweigerlich kommen würde, aber wenn Miles sich erst einmal in ein Thema verbissen hatte, dann ließ er so schnell nicht wieder los.

»Raisa, die Tochter des grünen Wyvern, wurde aus der Sippe ausgeschlossen, als sie erklärte, die Partnerin eines blauen Drachen zu sein. Das heißt, deines Vaters.«

Archer klickte auf das Browser-Fenster, um Angelegenheiten, die mit seinem Stamm zu tun hatten, zu überprüfen. »Ich weiß, wer meine Eltern sind. Du brauchst es mir nicht vorzulesen.«

»Du weißt vielleicht, wer sie sind, aber du bist nicht bei ihnen aufgewachsen, und du weigerst dich ja, dir auch nur eine der Angaben über das Raisa-Medaillon anzusehen, die ich gefunden habe.«

»Ich brauche mich nicht mit etwas zu befassen, das so weit in der Vergangenheit liegt. Nur die Gegenwart zählt.«

»Und doch wirkt sich die Vergangenheit auf die Gegenwart aus. Wenn dein Vater nicht auf Geheiß des grünen Wyvern verflucht worden wäre, wäre er nicht zur Hälfte Dämon geworden. Und du wärst natürlich ohne ihn auch nicht der, der du bist …«

Archer versuchte, nicht mehr zuzuhören. »Wie die Zeugung zustande gekommen ist, hat gar nichts damit zu tun.«

»Er war ein brillanter Alchimist«, erklärte Miles. »Wenn er das nicht gewesen wäre, hätte er das Raisa-Medaillon nicht erschaffen können, und darüber reden wir doch gerade. Ich streite mich doch nicht mit dir, nur um meine eigene Stimme zu hören, Archer – diese Geschichte ist für uns wichtig. Nicht nur für die Drachenjäger, die dein Vater erschuf, sondern auch für uns, die Sturmdrachen.«

Archer seufzte. Dann sagte er: »Der Unterschied zwischen uns ist, dass du die Geschichten über das Medaillon glaubst, wohingegen ich weiß, dass sie nichts als vage Hinweise auf Ereignisse sind, die niemals stattgefunden haben.«

»Du bist einfach nur stur«, antwortete Miles sichtlich verärgert darüber, dass Archer auf seine Worte nicht einging.

»Nein, ich bin realistisch. Das ist ein Märchen, Miles, nichts weiter als Fantasien eines gestörten Irren, der die Geschichte umschreiben will, um sein Ego zu befriedigen. Ich bin kein Drachenjäger!«

»Du kannst hervorragend mit dem Schwert umgehen«, sagte Miles lächelnd.

»Mein Vater war ein wahnsinniger, mordlustiger blauer Drache, der meine Mutter aus ihrer Familie geraubt und geschwängert hat. Und als sie schwor, sie würde sich eher umbringen, als sich ihm noch einmal hinzugeben, hat er sie ermordet. Das sind die einzig wichtigen Fakten über meine Eltern«, sagte Archer. Er drängte den Schmerz zurück, den er immer empfand, wenn er von seiner Herkunft sprach.

Es war doch viel besser, sich auf die Familie zu konzentrieren, die er selbst gegründet hatte.

Als hätte Archer gar nichts gesagt, fuhr Miles fort: »Nun, das und die Tatsache, dass deine Mutter dir und deinem Bruder Teile des Medaillons gegeben hat.«

»Und dann diese Söhne noch als Säuglinge prompt verlassen und ohne Schutz, Familie oder auch nur irgendeinen, der sich um sie kümmerte, zurückgelassen hat.« Archer schloss den Deckel des Laptops, stand auf und blickte nach draußen. Die Schiebetür stand offen, so dass der Raum nahtlos in den großen Balkon überging. Er rollte die Schultern, um sie zu lockern, und überlegte kurz, ob er eine Runde im Infinity Pool schwimmen sollte, bevor er zwei neuere Mitglieder, die einfach nicht verstanden, dass sein Wort jetzt für sie Gesetz war, der Stammesjustiz übergab. Seufzend fragte er sich, ob eines Tages wohl alle Stammesmitglieder friedlich zusammenleben würden. Er hatte eine schreckliche Ahnung, dass das zu seinen Lebzeiten nicht mehr passieren würde. »Es gab keine Teile des Medaillons, Miles. Das ist nur eine Geschichte, nichts weiter.«

Archer verbannte seine Familie aus seinen Gedanken. Er hatte über die Jahrhunderte hinweg hart daran gearbeitet, an seinen Zwillingsbruder denken zu können, ohne dass er vor Wut raste. Aber die Tatsache, dass Hunter einen Stamm von Schattendrachen gegründet hatte – und schnell der gefürchtetste aller Ouroboros-Drachen wurde –, gerade als Archer mit dem Sturmstamm begonnen hatte, nagte immer noch an ihm.

»Du solltest dich langsam der Wahrheit über deine Eltern stellen«, sagte Miles. Archer stand mit verschränkten Armen an die offene Tür gelehnt und schaute über das Meer. »Du glaubst vielleicht, dass nichts davon real ist, aber die Fakten sprechen für sich. Du und Hunter, ihr solltet die ersten Drachenjäger sein, aber ihr seid es nicht. Dafür gibt es einen Grund, und dieses venezianische Manuskript könnte uns Aufschluss darüber geben, was vor all diesen Jahrhunderten passiert ist. Warum du und Hunter getrennt worden seid. Was mit euren Eltern passiert ist. Wir brauchen das Manuskript, damit wir es übersetzen lassen können. Es gibt uns vielleicht den Hinweis, den wir brauchen.«

»Selbst wenn die Geschichte einen Funken Wahrheit enthält, nutzt sie mir nichts. Das Medaillon hätte doch keine Macht über unsere Feinde«, sagte Archer und rieb sich den verspannten Nacken. Dann ging er durch die Diele in sein Schlafzimmer. Wenn er schon zu Gericht sitzen musste, dann in etwas anderem als in einer Jeans und einem T-Shirt, die beide schon bessere Tage gesehen hatten. »Das ist doch alles nur die Geschichte toter Drachen.«

»Na ja, aber das weißt du nicht mit Sicherheit. Und jetzt wird es interessant«, sagte Miles, der immer noch den Text auf seinem Display las. Er folgte seinem Cousin ins Schlafzimmer. »Das Manuskript ist hier. In Kalifornien, genauer gesagt in Santa Mar. Ein ortsansässiger Buchhändler hat es auf einer Auktion gekauft und letzte Woche aus Italien hinaus in die USA geschmuggelt.«

»Und was erwartest du jetzt von mir?«, fragte Archer. Er zog seine Kleider aus und ging nackt ins Badezimmer, um sich zu rasieren. »Soll ich das verdammte Ding etwa kaufen? Ich habe dir doch gesagt, dass es nur erfunden ist. Es hat mit der Realität nichts zu tun.«

»Du weißt doch gar nicht, was darin steht.« Miles lächelte. »Und ich finde wirklich, du könntest es kaufen. Dann würden wir es übersetzen lassen und könnten das Raisa-Medaillon finden.«

Normalerweise rollte Archer nicht mit den Augen, wenn ihm jemand etwas vorschlug, was er für unwichtig hielt, aber jetzt tat er es. Er reckte das Kinn vor, damit er um seinen Adamsapfel herumrasieren konnte. »Und was zum Teufel sollen wir mit dem Medaillon machen, wenn es real wäre?«

Miles schwieg einen Moment. Archer senkte das Kinn und warf seinem Cousin einen Blick im Spiegel zu. »Kannst du dir einen besseren Weg vorstellen, um ihn kirre zu machen? Er muss für die Morde bezahlen!«

Archer überlegte einen Moment, aber dann schüttelte er den Kopf. Er spülte den Schaum von seinem Rasiermesser. »Du vergisst einen wichtigen Punkt.«

Miles machte eine verärgerte Geste. »Ich weiß, ich weiß, es gibt keinen Beweis dafür, dass das Medaillon wirklich existiert, aber wenn wir das Blatt wenigstens in die Finger bekämen und übersetzen könnten …«

»Nein.« Archer rasierte sich zu Ende und wischte sich mit einem Handtuch die letzten Schaumreste vom Gesicht. »Wenn es tatsächlich existiert, und wenn es so viel Macht hast, wie du glaubst, dann wird jeder Drache in dieser oder der nächsten Welt versuchen, es in die Hände zu bekommen.«

»Es ist nur für Drachenjäger von Bedeutung«, erwiderte Miles. »Hunter wird natürlich scharf darauf sein, aber andere? Was soll es ihnen denn nützen?«

Archers Schultern zuckten, als er in frische Kleidung schlüpfte. »Glaubst du nicht auch, dass das Raisa-Medaillon, wenn es so etwas gäbe, nicht auch für dunkle Zwecke eingesetzt werden könnte?«

»Nur ein Dämonenjäger könnte damit umgehen«, widersprach Miles.

»Oder ein Dämon.«

Sie blickten sich an.

»Dann müssen wir diejenigen sein, die es erwerben«, sagte Miles düster.

Archer zögerte. Er überlegte, ob sich die Mühe lohnte, sich weiter gegen die Idee zu sträuben. Was war denn das Schlimmste, was passieren konnte, wenn er Miles’ Vorschlag zustimmte, das Manuskript zu kaufen? Er würde es dem Zugriff derjenigen entziehen, die es missbrauchen wollten. Und es lag auch eine gewisse Befriedigung darin, Hunter etwas wegzuschnappen, das er sicher gern selbst haben wollte. »Na gut, ich kaufe das verdammte Ding.«

»Du hast es eigentlich schon gekauft«, erwiderte Miles grinsend. »Ich habe in deinem Namen vor ein paar Minuten einen Vertrag geschlossen, während du noch über der Idee gebrütet hast. Ich erwarte jeden Moment einen Anruf des Buchhändlers, wann wir das Manuskript abholen können. Hast du heute Abend Zeit? Dann könnten wir nach Santa Mar fahren und es abholen.«

»Ja, ich glaube schon, obwohl ich ja eigentlich eher daran arbeiten müsste, einige der Stammesangelegenheiten wieder auf Vordermann zu bringen …«

»Du kennst doch das Sprichwort: Arbeit allein macht Drachen auch nicht glücklich. Wir gehen essen, reißen ein paar Frauen auf und lassen sie unser wildes Tier spüren.«

Archer hätte beinahe wieder die Augen verdreht, aber er willigte ein, sich später mit seinem Cousin im Ort zu treffen. Schließlich, so dachte er, als er seinen Platz im Wohnzimmer einnahm, das jetzt für Stammessitzungen genutzt wurde, würde ja sowieso nichts bei Miles’ großartigen Plänen herauskommen.

Das Raisa-Medaillon war Fiktion. So einfach war das.

Alles andere war undenkbar.

2. KAPITEL

»Mädchen, wir müssen einen Mann für dich finden, und zwar sofort.«

Die Worte tanzten um mich herum, durchdrangen aber zunächst nicht die dunkle Wand meiner Gedanken. Doch dann blickte ich meine Freundin Laura an. »Was? Für mich?«

»Ja.« Sie fächelte sich mit einer flachgedrückten Schachtel Minzdrops Luft zu, als wir das Kino nach der Spätvorstellung verließen und einen Moment lang auf dem Bürgersteig stehen blieben.

Es war unerträglich schwül, kein Lüftchen ging, und ich hatte das Gefühl, von einem unsichtbaren wilden Tier mit einer dicken klebrigen Zunge abgeleckt zu werden.

Schweiß sammelte sich zwischen meinen Schulterblättern und rann mir in kleinen Tropfen den Rücken hinunter. »Wovon redest du? Warum sollte ich einen Mann brauchen?«

Laura zog eine Augenbraue hoch. Bree, die Dritte in unserem Bunde, beobachtete sie genau. Dann zog auch sie eine Augenbraue hoch. »Mann«, sagte sie.

Ich kannte Bree noch nicht lange, im Gegensatz zu meiner besten und ältesten Freundin Laura, aber sie schien nett zu sein, wenn auch vielleicht ein bisschen … exzentrisch.

Zum Glück bin ich auch exzentrisch.

»Du brauchst ganz offensichtlich einen Mann, weil du im Film nicht eine einzige Regung gezeigt hast.« Laura fächelte sich weiterhin Luft zu und zog ihr Handy heraus. »Du bist also nicht mehr in Übung. Wann kommt denn der Fahrer? Er müsste längst hier sein!«

»Ich versuche, in der Öffentlichkeit so wenig Regungen wie möglich zu zeigen«, sagte ich ruhig, wich aber zurück, als eine Gruppe von Männern, die aus einer Bar neben dem Kino stolperten, mit unsicheren Schritten auf uns zukamen.

»Wir haben uns gerade anderthalb Stunden lang den prächtigsten lebenden Männerkörper angeguckt, und du hast nicht einmal geseufzt. Oder bist auf deinem Platz hin und her gerutscht. Du hast noch nicht einmal einen einzigen anzüglichen Kommentar abgegeben«, sagte Laura. Als einer der Männer gegen sie stieß, fuhr sie ihn an: »Verdammt noch mal, der Bürgersteig gehört nicht nur dir allein, du Arsch mit Ohren!«

»Arsch mit Ohren!«, wiederholte Bree und schüttelte die Faust. Der Mann zeigte ihr den Stinkefinger und taumelte hinter seinen Kumpanen her. »Ärsche mit Ohren! Das gefällt mir! Das merke ich mir.«

»Wenn es nach mir ginge, könnte Hollywood sich die ganzen spannenden Plots mit ihren Verwicklungen und Tiefgang sparen und neunzig Minuten lang nur Männer mit nacktem Oberkörper und Kettensäge zeigen. Verdammt, der Fahrer hatte einen kleinen Unfall. Zum Glück nur Blechschaden.« Sie blickte die Straße entlang. »Wir können versuchen, einen anderen zu finden, oder wir gehen zum Pemm Square und nehmen uns dort vor einem der schicken Hotels ein Taxi.«

»Ich habe nichts dagegen, ein bisschen zu laufen«, sagte ich, wobei ich hoffte, dass niemand die Lüge bemerkte. Da ich mir selbst gelobt hatte, meine Ängste zu bekämpfen, fügte ich mit falschem Selbstbewusstsein hinzu: »Zu Fuß ginge es wahrscheinlich auch schneller.«

»Clevere Idee«, sagte Bree und nickte. Sie hatte zwei runde Würstchen aus langen blonden Haaren oben auf dem Kopf zusammengedreht. Es sah aus wie die Ohren eines Anime-Tierchens. »Außerdem kommen wir, wenn wir laufen, bestimmt an einem Laden vorbei, der Alkohol hat. Ich mag Alkohol. Alkohol ist gut.«

»Alkohol ist sehr gut«, stimmte Laura ihr zu und marschierte entschlossen los.

»Äh … du weißt doch sicher, dass du erst mit einundzwanzig legal Alkohol trinken darfst, oder?«, fragte ich Bree. Sie sah aus wie achtzehn oder höchstens neunzehn.

»Ich bin älter, als ich aussehe«, antwortete sie und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Dann wirbelte sie herum und lief hinter Laura her.

Ich verdrängte das leise Unbehagen, dass wir uns den Kommentaren von aufdringlichen Leuten, die vielleicht abends in dieser Gegend unterwegs waren, aussetzten, aber ich hatte trotzdem einen Knoten im Magen.

Zwei Frauen, die sich gerade küssten, fuhren auseinander, als ich an ihnen vorbeilief, um meine Freundinnen einzuholen. Die eine sagte zur anderen: »Heilige Madonna, hast du das Mädchen gesehen?«

Die Antwort wartete ich erst gar nicht ab. Als ich meine Freundinnen erreicht hatte, sagte Laura gerade: »… du hattest schlechte Erfahrungen gemacht mit deinem Ex, der wirklich ein kompletter Arsch mit Ohren war …«

»Arsch mit Ohren«, unterbrach Bree sie grinsend. »Viele Ohren. Noch mehr Ärsche. Was hat er gemacht?«

»Er hat sie nach allen Regeln der Kunst betrogen«, antwortete Laura, bevor ich etwas sagen konnte.

»Beim Kartenspielen?«, fragte Bree und zog die Nase kraus. Sie hakte sich bei mir unter. »Oder sexuell?«

Ich seufzte. Heute war offenbar so ein Abend, an dem mir alles Unbehagen bereitete. »Er ist zweimal mit einer Arbeitskollegin fremdgegangen, aber das war lange her, und eigentlich waren wir da noch gar nicht richtig zusammen.«

»Die Ratte hat dir trotzdem das Herz gebrochen«, warf Laura über ihre Schulter hinweg ein.

Ich sagte nichts. Ich konnte es nicht leugnen.

»Wow. Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte Bree mich.

»Mit ihm gemacht?« Ich warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Du meinst, ob ich mich gerächt habe? Nein. Ich war ziemlich … na ja, am Boden zerstört, ehrlich gesagt, weil ich ihm vertraut hatte und er dieses Vertrauen zerstört hat.«

»Sie hat wochenlang geweint«, sagte Laura und blieb an einer roten Ampel stehen. »Es ist ihr wirklich unter die Haut gegangen. Ich hätte ihm am liebsten die Eier abgeschnitten, aber die kalifornische Rechtsanwaltskammer duldet es nicht, dass ihre Mitglieder Leute in der Öffentlichkeit entmannen. Ganz gleich, wie sehr sie es verdient haben.«

»Ich weiß einen Fluch, mit dem man Schamhaare richtig heftig wachsen lassen kann«, bot Bree an und drückte meinen Arm. »Ich bringe ihn dir bei, wenn du willst.«

Erneut warf ich ihr einen Blick zu. Ich war mir nicht sicher, ob sie Witze machte oder nicht, aber ihr Gesichtsausdruck wirkte besorgt. »Äh … danke, aber wie gesagt, das ist alles lange her. Acht Jahre schon.«

»Acht Jahre, in denen du kein einziges Date hattest«, sagte Laura.

»Mit sich alleine klarzukommen ist doch nicht falsch«, protestierte ich. Ich trottete über die Straße. Bree klebte noch immer an meinem Arm.

»Daran ist gar nichts falsch, wenn du wirklich glücklich damit bist, aber das bist du nicht, und erzähle mir bloß nicht das Gegenteil. Ich kenne dich seit mehr als zwanzig Jahren, und mir kannst du nichts vormachen.«

»Ich werde den richtigen Mann schon noch kennenlernen«, sagte ich würdevoll. »Ich habe mich immer schon auf den ersten Blick verliebt. Ich bin bisher nur noch nicht dem Richtigen begegnet.«

»Bei den vielen Männern in Nordkalifornien? Für meinen Geschmack bist du ein wenig zu abweisend.«

»Für meinen auch«, stimmte Bree ihr zu.

»Phh«, sagte ich abwehrend.

Bevor ich das Gespräch auf ein anderes Thema lenken konnte, fuhr Laura fort: »Du lieber Himmel, wir haben gerade die tollsten Männer in dünnen Superheld-Kostümen gesehen! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass dein Blut nicht wenigstens ein bisschen in Wallung geraten ist. Bei dieser Szene mit Hemsworth im Wasser musste ich in den dritten Gang schalten! Mrrrau!«

»Mmrrrau!«, wiederholte Bree und stieß mich an. Anscheinend erwartete sie eine Reaktion von mir.

»Rrrau! Diese Männer sind doch nicht realistisch«, sagte ich. Als wir um die Ecke bogen, stieg uns der übel riechende Gestank von verrottendem Müll in die Nase. Da der Abend heiß und schwül war, saßen die Leute auf den Treppen vor ihren Häusern, rauchten, lachten, küssten sich, und vor einem Haus wurde sogar gegrillt. Wir stiegen den Hügel hinauf, in ein beliebtes Viertel, in dem zwei der besten Hotels von Santa Mar standen, einer stetig wachsenden Vorstadt an der nordkalifornischen Küste. Mit jedem Schritt wurde die Luft dicker und feuchter. Ich zog den feuchten Stoff meines Kleides von meiner verschwitzten Brust und wünschte mir, ich hätte Lauras Angebot, zusammen mit ihrer neuen Nachbarin ins Kino zu gehen, abgelehnt.

»Superhelden? Nein, natürlich sind sie nicht real«, sagte Laura.

Bree verzog nachdenklich das Gesicht. »Mir gefiel der in diesem Plastikanzug, der herumflog und die Leute erschoss. Wenn ich das könnte, bekäme ich am Tag viel mehr geschafft.«

Wir lachten, aber in ihrer Stimme war ein Unterton, der mich bewog, ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen. Dann sagte ich: »Den Teil mit den Superhelden habe ich am wenigsten unwahrscheinlich gefunden. Ich kann mir bloß nicht vorstellen, dass Männer, die aussehen wie diese Schauspieler, mit ihren perfekten Frisuren, den Sixpacks und überhaupt unglaublich attraktiv, ihre Zeit mit ganz gewöhnlichen Leuten auf der Straße verbringen. Das passiert im realen Leben einfach nicht.«

Laura, die immer noch einen Schritt vor mir und Bree ging, warf mir einen Blick über die Schulter zu. Als wir um die Ecke bogen, lag das erste der exklusiven Hotels vor uns, das Merit, in all seiner Art-déco-Pracht. Auf der geschwungenen Auffahrt stand eine lange Reihe von Autos, von Stretchlimos bis hin zu ein paar schnittigen, teuren Sportwagen und sogar einige normalere Autos und Taxis. »Warum sollten sie nicht mit den Leuten reden? Das waren doch diejenigen, die sie gerettet haben, du Dummchen – die Leute in Metropolis. Oder wie auch immer die Stadt hieß, in der sie sein sollten. Ich habe von den Dialogen nicht so viel mitbekommen, weil ich die ganze Zeit auf die Zuckerstückchen fixiert war.«

Ich schüttelte den Kopf. »Männer, die so aussehen – wie Schauspieler, Models oder einfach nur Typen mit echt guten Genen –, sind nicht an Leuten wie uns interessiert.«

Bree betrachtete mich mit hellen Augen, sagte aber nichts. Da Laura und ich Anfang dreißig und Bree sichtlich jünger war als wir, hatte ich das Gefühl, dass es ihr an Erfahrung mit Männern und Dates mangelte.

»Sei nicht albern! Natürlich tun sie das! Gut aussehende Männer schenken mir am laufenden Band ihre Aufmerksamkeit.«

Ich schwieg, weil ich mich auf einmal noch mehr als Außenseiterin fühlte. Laura war hübsch – natürlich würde sie Männern auffallen, die mir keinen zweiten Blick schenken würden.

»Oh. Die App sagt, der nächste freie Fahrer kommt erst in vierzig Minuten.« Laura steckte ihr Handy in die Tasche und wies auf das Hotel. »Lasst uns reingehen und etwas trinken, während wir warten. In der Bar gibt es bestimmt eine Klimaanlage.«

Bree klatschte fröhlich in die Hände und hüpfte hinter Laura her. Mein Magen zog sich immer mehr zusammen, während ich zögernd meinen Freundinnen folgte. Überall waren schöne Menschen – Frauen in glitzernden kurzen Kleidern, die viel Busen und Beine enthüllten, mit tollen Haaren, perfektem Make-up und unglaublich hohen Absätzen. Die Männer waren genauso elegant gekleidet, sie rochen nach Geld und teurem Eau de Toilette. Sie waren sich ihrer Erscheinung sehr wohl bewusst, und ihren selbstbewussten, zufriedenen Mienen war anzusehen, wie hingerissen sie von ihren Partnerinnen und von ihrem eigenen sicheren Auftreten waren.

Und dann gab es mich. Verschwitzt und merkwürdig stach ich in dieser Umgebung heraus wie ein Daumen unter lauter Zehen.

Hinter uns fuhr leise surrend ein Wagen vor, wahrscheinlich, um ein weiteres attraktives Paar aussteigen zu lassen. Ich machte einen Schritt vorwärts, nahm all meinen Mut zusammen und befahl mir, jetzt einfach in das Hotel zu gehen und mir über nichts Gedanken zu machen.

Plötzlich traf mich ein harter Schlag im Rücken. Ich stolperte ein paar Schritte vorwärts. Dabei verlor ich meine Tasche.

Ein Mann, der um einiges größer war als ich, mit schulterlangen, rötlich braunen Haaren, stand mit seinem Rücken zu mir und half einer eleganten Frau aus dem Auto. Sie hatte die langen Beine und die Haltung eines Models oder einer Schauspielerin, und ihr Kleid mit einem hüfthohen Schlitz floss wie Wasser um sie herum. Ein weiteres langes Bein tauchte aus dem Auto auf, und der Mann, der offensichtlich gegen mich geprallt war, half einem weiteren reizenden Exemplar aus dem Auto. Danach kam noch ein Mann zum Vorschein.

Die erste Frau warf mir einen verärgerten Blick zu, dann setzte sie ein Lächeln auf und schwebte am Arm des ersten Mannes an mir vorbei. Ich verkniff mir einen bissigen Kommentar über Leute, die sich noch nicht einmal entschuldigten, wenn sie einen anrempelten, und bückte mich, um meine Tasche aufzuheben, aber eine andere Hand war schneller.

»Oh, danke«, murmelte ich und empfing meine Tasche aus der Hand des zweiten Mannes. Er war noch größer als der erste, mit unglaublich breiten Schultern. Er sagte nichts, schaute mich nicht einmal an, sondern nickte nur und bot der zweiten Frau seinen Arm. Dann schwebten auch sie ins Hotel.

»Na, wenigstens der hatte Manieren«, murmelte ich, irritiert über meinen Moment der Schwäche.

Was bedeutete es schon, dass ich keinen Mann hatte, der mich behandelte, als wäre ich das Kostbarste auf der ganzen Welt? Ich brauchte keine Hingabe. Mir fehlte vielleicht das Äußere, um wie diese beiden Frauen, die ich gerade gesehen hatte, in teure Hotels zu schreiten, aber das hieß noch lange nicht, dass ich nicht mehr wert war als der Staub unter ihren Füßen.

Ich reckte mein Kinn und betrat die Hotellobby.

»Diese glamourösen Leute machen sowieso, was sie wollen, ganz egal, was ich davon halte. Ich muss allerdings sagen, dass ich ihre Reaktion auf mich nicht präziser hätte voraussagen können«, sagte ich zehn Minuten später zu Laura und Bree, als wir an einem kleinen Tisch in der am wenigsten besuchten der drei Hotelbars saßen. Helles neonblaues Licht hinter der Bar tauchte alles in einen seltsamen Schimmer, aber hier war es wenigstens nicht so laut, so dass wir uns unterhalten konnten, ohne schreien zu müssen. Ich trank einen Schluck von meinem Gin Tonic. »Das beweist genau, was ich vorhin gesagt habe.«

»Was, dass irgend so ein Typ, der dich angerempelt hat, sein Gespräch nicht unterbrochen hat?« Laura zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich hat er es gar nicht gemerkt.«

Ich dachte daran, wie heftig der Schlag in meinen Rücken gewesen war. Er musste es gemerkt haben, daran hatte ich keinen Zweifel.

»Außerdem, ohne dass ich sein unhöfliches Benehmen entschuldigen will, passt du manchmal auch nicht auf, wohin du gehst.«

»Was?«, sagte ich. Ich nahm einen Eiswürfel aus meinem Glas und zerkaute ihn.

Sie machte eine vage Bewegung mit der Hand. »Du läufst ja am liebsten mit gesenktem Kopf durch die Gegend, als ob du ein grässliches Monster wärst, bei dessen Anblick der Verkehr zum Erliegen kommt.«

»Du bist kein grässliches Monster«, sagte Bree zu mir. Irgendwie war es ihr gelungen, sich in den Besitz von drei unterschiedlichen Getränken zu bringen, die alle drei süß und fruchtig waren. Sie trank sie gleichzeitig aus allen drei Strohhalmen. »Ich habe einmal gesehen, wie ein Behemoth von einem Laster überfahren worden ist und den Verkehr zum Erliegen gebracht hat, weil er so scheußlich war. Und auf seinen Gedärmen sind drei Autos ins Schleudern gekommen, und sie haben die Straße blockiert. Ihr könnt mir glauben, das war wirklich scheußlich. Du« – sie zog ein Stück Ananas von einem Plastikspieß in einem der Drinks – »hast nur weiße Flecken auf deinen Haaren und Wimpern und komische Augen.«

»Bree!«, sagte Laura streng. Sie studierte gerade die Karte mit den Snacks und blickte nicht einmal auf, als sie ihre Freundin tadelte. »Man sagt nicht komische Augen. Es heißt andere Augen. Und weiße Haarsträhnen liegen im Moment voll im Trend. Außerdem ist das bei Thaisa genetisch bedingt. Sie hat Polioni. Sie kann gar nichts dagegen tun.«

»Poliosis«, korrigierte ich sie und trank einen großen Schluck von meinem Drink. Der Gin brannte süßlich in meiner Kehle.

»Ja, genau. Sie hat ja schließlich keinen dritten Arm oder so etwas.« Laura wedelte mit der Hand in meine Richtung, während sie ihre Margarita austrank. Dadurch wurde eine Kellnerin auf sie aufmerksam, noch bevor das Glas leer war.

»Willst du denn einen dritten Arm?«, fragte Bree mich interessiert.

Ich riss die Augen auf. »Warum sollte ich das wollen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Es würde die Leute davon abhalten, deine Haare und deine Augen anzusehen.«

Ich blinzelte verwirrt und versuchte Laura mit den Augenbrauen zu signalisieren, dass Bree anscheinend schon zu viel getrunken hatte, aber Laura war immer noch in die Karte vertieft. »Danke, ich glaube, darauf verzichte ich lieber.«

»Wie du willst«, sagte Bree und verrenkte sich den Hals, um zu sehen, was die Leute am Nebentisch bestellt hatten. »Snacks! Mama braucht Snacks!«

»Ich bestelle was. Ich glaube, wir könnten alle eine Unterlage für den Alkohol brauchen.« Laura lächelte. Sie musterte mich einen Moment, dann ergriff sie meine Hand und drückte sie kurz. »Ich finde deine Augen sehr hübsch. Einzigartig, ja, aber das Braun, das Gold und die anderen Farben darin sehen gut aus.«

Ich erwiderte ihr Lächeln. »Danke«, sagte ich. Mir wurde ganz warm vor lauter Freude. Vielleicht lag es am Gin, dass ich hinzufügte: »Du bist eine gute und liebevolle Freundin.«

»Ich sage das nicht nur einfach so – Hi, können wir bitte noch eine Runde bekommen? Oh, und ein paar Chicken Wings, äh … und eine frittierte Zwiebelblüte. Danke. Ich esse das schrecklich gerne«, sagte sie in vertraulichem Ton zu Bree. »Es ist ja nicht gut für einen, aber verdammt, es schmeckt einfach großartig!«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte Bree amüsiert. Ihre Augen funkelten vor Freude, und die zwei kleinen Haarbälle auf ihrem Kopf vibrierten förmlich vor Glück. »Aber ich sehe dir so gerne beim Reden zu.«

»Jahrelange Streitigkeiten mit dem inneren Schweinehund, meine Liebe«, sagte Laura. »Wovon hatten wir es gerade?«

»Von der Tatsache, dass gut aussehende Männer wie der, der mich angerempelt hat, durchschnittliche Personen keines Blickes würdigen«, sagte ich rasch, um das Thema von meinem Äußeren abzulenken. Ich wusste, wie ich aussah – ich hatte keine Lust, mir anzuhören, wie Laura und Bree meine komischen Gene zerpflückten.

»Genau. Betrachten wir das einmal Punkt für Punkt«, sagte Laura.

Ich lachte. »Man merkt, dass du Anwältin bist.«

»Du bist bloß neidisch, weil du nur den ganzen Tag über verstaubten Büchern brütest, während ich in schicken Business-Kostümen teuer auf Kosten des Oberstaatsanwalts essen gehe.« Sie wartete, bis die Kellnerin Getränke und Essen serviert hatte. Dann ergriff sie einen Hühnerflügel von einem der Teller und schüttelte ihn. »Deine Hypothese ist also, dass gut aussehende Schauspieler-Typen keinen Kontakt mit mehr durchschnittlich aussehenden Frauen suchen.«

»Das ist korrekt, Euer Ehren«, sagte ich und unterdrückte ein Kichern. Das lag jetzt aber definitiv am Gin.

»Noch mehr Alkohol! Hervorragend!«, sagte Bree. Mit lauten Schlürfgeräuschen leerte sie das letzte Glas ihrer drei Drinks, um auf dem Tisch Platz für die neuen Gläser zu machen. »Ich hatte letzte Woche einen Freund, aber dann fand ich heraus, dass er mich nur benutzte.«

»Oh, Bree«, sagte ich und tätschelte ihr die Hand. »Das tut mir leid! Männer sind Schweine!«

»Ja, das sind sie wirklich«, stimmte Laura zu und schob mir den Teller mit den Chicken Wings zu. »Iss was, Tha!«

Ich nahm ein Stück Sellerie von dem Teller, das nicht mit der klebrigen roten Sauce bedeckt war. »Hast du dich von ihm getrennt?«, fragte ich Bree. Eigentlich war ich froh darüber, das Gespräch von meinem Leben weglenken zu können.

»Ja, das musste ich.« Sie beugte sich dicht zu mir vor und hauchte: »Er war ein gefallener Engel.«

Ich blinzelte. »Wie bitte?«

»Er war ein gefallener Engel.« Sie zog die Nase kraus. »Nephilim, kennst du ihn?«

»Nein, ich kenne ihn nicht«, sagte ich langsam. Ich wartete, bis sie sich dem Essen zuwandte, dann schickte ich erneut ein Augenbrauen-Fragezeichen an Laura. Dieses Mal bemerkte sie es, interpretierte es jedoch völlig falsch.

»Was? Oh, Entschuldigung, das Essen hat mich abgelenkt. Mit welchem Beweis untermauerst du deine Hypothese?«

Leise seufzend trank ich noch einen Schluck Gin. Den zweiten Drink, der schon vor mir stand, ignorierte ich. Gerade als ich ihr antworten wollte, betrat eine kleine Gruppe von Leuten die Bar. Sie blieben am Eingang stehen und blickten sich um. Die Körpersprache der beiden Männer vermittelte Arroganz und Selbstbewusstsein, als ob ihnen die Bar gehörte. Ich nickte in ihre Richtung. »Euer Ehren, ich rufe in den Zeugenstand Minikleid, Funkelbrust, braunhaarigen Mann ohne Manieren und seinen Freund, groß, dunkelhaarig und möglicherweise gefährlich, aber er ist sich zumindest nicht zu schade, einer Frau die Tasche aufzuheben, auch wenn er sie keines Blickes würdigt, als er sie ihr zurückgibt.«

Laura drehte sich um und musterte die vier. Bree legte beide Hände auf den Tisch und richtete sich auf, um sie anzustarren. »Heilige Scheiße!«, sagte Laura. Hastig stand sie auf und setzte sich neben mich, damit sie sie besser beobachten konnte. »Dieses rote Kleid, das Funkelbusen da trägt, ist wunderschön. Das Minikleid ist auch nicht übel, aber hast du die Männer gesehen? Halleluja! Welcher hat dich angerempelt?«

»Der mit den braunen Haaren«, sagte ich und ergriff die Speisekarte, damit ich die Gruppe nicht so offensichtlich anstarrte. Die Frauen schienen von dieser Bar nicht besonders angetan zu sein, aber der braunhaarige Mann wies nach hinten, und die Damen setzten sich mit diesem Laufsteg-Gang in Bewegung, den ich immer mit Modenschauen assoziierte.

»Mann, der sieht aber gut aus, was? Und der Große ist auch nicht übel!«

»Ich mag groß, dunkelhaarig und gefährlich«, sagte Bree, die immer noch vorgebeugt dasaß. »Er ist hübsch. Wie er die Haare zurückgekämmt hat, das gefällt mir. Männer mit so einer Frisur sind für gewöhnlich echt gute Liebhaber.«

Ich blinzelte sie überrascht an, sagte aber nichts. Sie hatte recht, er hatte tatsächlich schöne Haare. Sie waren glatt und glänzend, und er hatte sie aus der leicht gewölbten Stirn zurückgekämmt. Es juckte mich plötzlich in den Fingern, ihn zu berühren.

»Mir gefallen sie beide«, sagte Laura und gab ein leises, schnurrendes Geräusch von sich, als die vier auf uns zukamen. Anscheinend wollten sie zu den Nischen hinter uns.

»Bree«, flüsterte ich streng und versuchte sie auf ihren Stuhl zurückzuziehen, damit die Leute nicht sahen, wie sie sie anstarrte, aber sie blieb so sitzen und blickte ihnen fröhlich entgegen.

»Oh mein Gott!« Verlegen hielt ich mir die Hand halb vor die Augen.

Laura bekam plötzlich Schluckauf und hielt sich die Karte vor das Gesicht.

Die beiden Frauen gingen vorbei, und man sah ihren selbstzufriedenen Mienen an, wie sehr sie es genossen, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Braune Haare war ihnen dicht auf den Fersen. Über die Schulter sagte er in einer alten ostslawischen Sprache: »Genieße den heutigen Abend, das wird deinen Schmerz lindern.« Der große Mann schlenderte hinter ihnen her. Als er an Bree vorbeikam, warf er ihr einen seltsamen Blick aus den Augenwinkeln zu.

»Hi«, sagte sie und grinste wie eine Irre. »Hübscher Schwanz.«

Der Mann hielt kurz inne. Seine Augen weiteten sich überrascht, aber dann kniff er sie zusammen. Durch die Finger konnte ich sehen, dass er hellblaue Augen hatte. Sie waren sogar so hell, dass es sich eigentlich nur um einen blauen Ring um den äußeren Rand der Iris handelte, der fast sofort zu einem Eisgrau zerschmolz.

Als der Blick des Mannes über Laura und mich glitt, klappte ich sofort meine Finger zusammen, damit sie die Hälfte meiner Augenrauen und Wimpern verdeckten, denen die Pigmentierung fehlte. Zu meiner großen Erleichterung ging er wortlos weiter und setzte sich zu seinen Begleitern, die sich in der Nische niedergelassen hatten.

»Siehst du?«, sagte Bree und winkte den Vieren zu, bevor sie sich wieder zurücklehnte. »Er hat uns bemerkt. Also hast du dich geirrt, Thaisa.«

»Du lieber Himmel, Bree! Ich fasse es nicht, dass du das gemacht hast«, murmelte ich. Ich warf Laura, die wieder auf ihren ursprünglichen Stuhl zurückgekehrt war, vielsagende Blicke zu. »Und dann auch noch etwas über das Geschlechtsteil des Mannes zu sagen … das ist sexuelle Belästigung, weißt du das?«

Brees Augen weiteten sich, und mehr denn je sah sie aus wie ein Anime-Mädchen. »Ich habe doch gar nichts über sein Geschlechtsteil gesagt. Ich habe gesagt, er habe einen schönen Schwanz.«

»Du hast doch gar keinen Schwanz gesehen«, erwiderte ich bissig.

»Nein, so nicht, aber du weißt nie, was sich bei ihm abspielt, wenn keiner hinguckt«, sagte sie weise.

Wieder einmal fiel mir darauf keine Antwort ein. Hilfe suchend blickte ich Laura an.

Ihr Blick glitt an mir vorbei zu den Männern; dann trank sie einen Schluck und zuckte mit den Schultern. »Na ja, du musst zugeben, Bree hat es geschafft, dass die beiden sie angesehen haben. Das widerlegt offiziell deine Hypothese.«

»Bree sieht aus wie neunzehn, ist hinreißend süß und könnte sogar einen lebenslangen Misanthropen bezaubern«, erwiderte ich.

Laura überlegte einen Moment und aß einen weiteren Hühnerflügel. »Ja, aber diese Ausnahme hast du in deinem Eröffnungsplädoyer nicht berücksichtigt.«

»Wir weisen deine Beweisaufnahme zurück«, sagte Bree. Plötzlich hielt sie inne und wand sich auf ihrem Stuhl, als sie in der Tasche ihres schwarz-weiß gestreiften Jerseyrocks kramte. Sie zog etwas heraus, das aussah wie ein paar Stoffstreifen. »Das hatte ich ganz vergessen, ich habe ja Geschenke dabei!«

»Oh …«, sagte ich. Sie legte die bunten Streifen nebeneinander und holte ein Objekt heraus, das ich noch aus meiner Kindheit kannte.

»Freundschaftsarmbänder!«, verkündete sie. Sie reichte Laura ein Stoffarmband in Regenbogenfarben. »Das hier ist für dich, Laura, weil du meine Nachbarin und Freundin bist, und weil du mit mir ins Kino gehst und Alkohol trinkst.«

»Wow, so etwas habe ich seit der fünften Klasse nicht mehr gesehen«, sagte Laura lachend, streifte es sich aber sofort über. »Kannst du dich noch an den Sommer erinnern, als wir uns ständig welche gemacht haben, Tha?«

Ich verzog das Gesicht. »Meine Oma hat heute noch Schachteln mit dem Spitzenband, das wir gekauft haben, im Keller stehen.«

»Und das hier habe ich für dich gemacht, weil du meine neue Freundin bist.« Ich betrachtete den kleinen blaugrünen Kreis, den sie mir hinhielt.

»Oh. Äh … danke.« Sie ließ das gedrehte Stoffarmband auf meine Handfläche fallen. In der Mitte hing ein kleiner, dunkel angelaufener Metallanhänger, etwa so groß wie ein Centstück, aber oval, mit einer grob eingeritzten Sonne auf einer Seite. »Es ist sehr hübsch, aber du musst mir nichts schenken. Ich freue mich auch so, dass du meine neue Freundin bist.«

Bree grinste. »Sasha meinte, ich solle es dir geben, weil man schließlich nie wissen könne.«

»Klar«, sagte ich langsam. Ich wusste nicht so genau, was oder wen sie meinte. »Muss ich Sasha kennen?«

»Nein, aber das ist schon in Ordnung. Du hast ja mich stattdessen. Ich hoffe, es gefällt dir.« Erwartungsvoll blickte sie auf das Armband.

»Es ist sehr hübsch«, sagte ich und legte es rasch an, um ihre Gefühle nicht zu verletzen. Sie war bestimmt schon ein bisschen angesäuselt, aber ich beschloss, ihre seltsame Art einfach zu akzeptieren und gar nicht erst zu versuchen, ihre Gedankensprünge zu verstehen.

»So«, sagte sie zu uns beiden, »jetzt ist unsere Freundschaft besiegelt und kann durch nichts mehr zerstört werden. Ach du lieber Himmel, stimmt die Uhrzeit?«

Ich blickte zu der großen Uhr, die in der Bar hing.

»Sieht so aus«, sagte Laura. Sie hatte ihr Handy herausgeholt und tippte anscheinend einen Text ein. »Viertel nach zwölf. Ja, das stimmt.«

»Ich muss los. Ich werde abgeholt«, sagte Bree und sprang auf. »Danke für den Film. Bis morgen!«

Bevor Laura und ich etwas sagen konnten, war sie weg. Wie eine Gazelle rannte sie auf ihren langen Beinen durch die Bar.

»Warte mal, sie wird abgeholt? Ich habe gar nicht gesehen, dass sie irgendjemandem getextet hat. Sie hat ganz schön viel getrunken … vielleicht sollten wir einmal nachsehen, wer sie da abholt«, sagte ich und erhob mich halb.

»Diese verdammte Staatsanwältin. Wenn sie glaubt, sie kann diese Scheiße mit mir … Hm?« Stirnrunzelnd blickte Laura von ihrem Handy auf.

»Bree.« Ich stieß sie an, ergriff meine Tasche und hängte sie mir quer über die Brust.

»Was ist mit ihr?«

»Wer holt sie ab? Sie ist noch so jung, und sie hat ziemlich viel getrunken. Ich möchte nicht, dass das jemand ausnutzt.« Ich zog mein Portemonnaie heraus und warf ein paar Geldscheine auf den Tisch. »Ich sehe nur nach, ob alles in Ordnung ist, und dann warte ich draußen auf dich, okay?«

»Klar. Gib mir noch fünf Minuten mit dieser Staatsanwältin; dann gucken wir mal, ob wir uns an der Fahrt beteiligen können.«

Ich lief hinaus, hielt jedoch an der Tür noch einmal kurz inne, um einen letzten Blick auf die schicke Vierergruppe zu werfen. Das Licht war in diesem Teil der Bar gedämpft, aber ich konnte sehen, dass Braunhaar die Hand nach Minikleid ausstreckte, weil er sie offensichtlich auf die kleine Tanzfläche führen wollte. Mein Blick glitt zu dem anderen Paar. Funkelbusen hatte sich dem großen Mann zugewandt und sich so vorgebeugt, dass ihre Brüste seinen Arm streiften. Er schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit.

Im Geiste seufzte ich leise und fragte mich, wie es sich wohl anfühlen mochte, von einem solchen Mann so behandelt zu werden, als sei man das Wichtigste in seinem Leben. »Eines Tages vielleicht«, sagte ich laut, um mich ein wenig aufzumuntern. »Ich werde schon noch einen Mann finden, der mich glücklich macht. Schließlich ist das nicht jenseits aller Möglichkeiten.«

Das letzte Wort hatte noch nicht meine Lippen verlassen, als sich der große Mann umdrehte und mich direkt ansah. Seine Augen glühten im gedämpften Licht.