Dreiländermord - Kurt Lehmkuhl - E-Book

Dreiländermord E-Book

Kurt Lehmkuhl

4,9

Beschreibung

Der Journalist Thomas Geffert aus Düren wird tot aufgefunden, die Polizei geht von Selbstmord aus. Doch da ist sich Rudolf-Günther Böhnke, pensionierter Leiter der Aachener Mordkommission, nicht so sicher. Was hatte der Tote, der in einer Reihe mysteriöser Todesfälle im deutsch-belgisch-niederländischen Dreiländereck recherchiert hatte, herausgefunden? Ehe sich Böhnke versieht, steckt er mitten in einem Strudel aus ungeklärten Morden, vermeintlichen Unfällen und fingierten Selbstmorden. Seine Ermittlungen führen ihn bis nach Fuerteventura, wo er die schwerste Entscheidung seines Lebens treffen muss …

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Kurt Lehmkuhl

Dreiländermord

Kriminalroman

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2010 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/Korrekturen: Daniela Hönig / Doreen Fröhlich, Sven Lang

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © spekulator / sxc.hu

1.

Das Gesicht, das grinsend um die Hausecke lugte, erinnerte Böhnke sehr an einen Bernhardiner.

»Was willst du hier, du Störenfried?«, raunzte er den unangemeldeten, aber nicht unbedingt unerwünschten Besucher an. Ächzend mühte er sich aus dem Liegestuhl, in dem er seinen Mittagsschlaf gehalten hatte, der durch den Eindringling gestört worden war. Herzlich umarmte er den Mann und bot ihm mit einer einladenden Handbewegung einen Sitzplatz auf der windgeschützten Terrasse an.

Der Bernhardiner ging auf die unwirsche Frage nicht ein. »Gut siehst du aus«, meinte er freundlich und blinzelte in die Sonne, die den Herbst zu einem goldenen machte.

Der äußere Schein trog jedoch. Das wusste der Besucher ebenso wie der Hausherr. Sein Freund Böhnke war schwer erkrankt, so schwer, dass er, nicht einmal 60-jährig, in den vorzeitigen Ruhestand geschickt worden war. Gegen seinen Willen hatte Böhnke seine Tätigkeit in der Aachener Mordkommission aufgeben, seinen Schreibtisch aufräumen und das Büro im Polizeipräsidium in der Soers verlassen müssen; geschwächt von einer heimtückischen, plötzlich aufgetretenen Krankheit, für die die Mediziner keine richtige Erklärung hatten und für die sie kein Gegenmittel wussten. Aus Gründen, die bislang unerforscht geblieben waren, transportierte Böhnkes Blut immer weniger Sauerstoff. Irgendwann einmal würde er deswegen sterben.

Wann?

Das war die Frage, die ohne Antwort blieb.

In ein paar Tagen? In einigen Wochen? In mehreren Monaten? Oder gar erst in einem Jahr oder zwei?

Äußerlich machte Böhnke einen agilen, gesunden Eindruck. Wie sein Besucher, ebenfalls an die 60, war er trotz der Jahre noch erstaunlich schlank, groß gewachsen und mit einem Bürstenhaarschnitt versehen, der das graue Haar über dem von der Sonne gebräunten Gesicht kurz hielt. Darin unterschieden sie sich bei aller körperlichen Ähnlichkeit deutlich: Der Berhardiner wies weniger Bräune auf. Er war eben der Büroarbeiter, während Böhnke inzwischen gerne den Aufenthalt in der freien Natur dem in einem Haus vorzog. Böhnke und sein Besucher hätten als Brüder durchgehen können, aber sie waren Kollegen gewesen: Kriminalhauptkommissar Böhnke in Aachen, Kriminalhauptkommissar Küpper, den alle Welt wegen seines melancholischen Hundeblicks nur Bernhardiner nannte, in Düren.

»Und um mir diese irrige Feststellung ins Gesicht zu schleudern, bist du aus deinem heiß geliebten Düren zu mir nach Huppenbroich gekommen?«, argwöhnte Böhnke. Bei aller Freundschaft, die sich in den Jahrzehnten gemeinsamer, wenn auch nicht ständiger Ermittlungsarbeit aus einer herzlichen Kollegialität entwickelt hatte, waren private Besuche stets ausgeblieben.

Warum also sollte Küpper ausgerechnet jetzt in diesen abgelegenen Ort am Nordrand der Eifel kommen? Für viele war Huppenbroich eine gottverdammte Wildnis, doch für Böhnke eine Oase der Ruhe mit über 425 Einwohnern, so stand es jedenfalls auf der ortseigenen Homepage, inmitten einer harmonischen Natur gelegen. Hierhin, in diese nur wenig bevölkerte Idylle, hatte er seinen Lebensmittelpunkt verlegt, nachdem er seinen Beruf in Aachen hatte aufgeben müssen. Das Ferienhaus seiner langjährigen Lebensgefährtin, die weiterhin in der Kaiserstadt im Dreiländereck eine Apotheke betrieb, war zu seinem Hauptwohnsitz geworden. Dass es sich bei dem Haus um einen ehemaligen, von Böhnke umgebauten Hühnerstall handelte, wussten nur die wenigen Einheimischen, bei denen mehr und mehr die Besorgnis wuchs, von den Zweitwohnungsinhabern aus Aachen, Düsseldorf, Köln oder Bonn in die Minderheit gedrängt zu werden.

»Küpper, du bist und bleibst ein ewiger und gleichzeitig miserabler Lügner«, behauptete Böhnke, während er ein Glas mit Mineralwasser füllte und auf dem Gartentisch abstellte. »Dir geht es nicht um mein Äußeres oder um mein Wohlbefinden, sondern um etwas anderes. Oder?«

Er sprach seinen Besucher nur mit dem Familiennamen an. Diese Gepflogenheit hatten sie sich gegenseitig angewöhnt, auch wenn sie sich bereits seit langer Zeit duzten. Wenn er ehrlich war, gestand sich Böhnke ein, kannte er nicht einmal mehr den Vornamen von Küpper.

Der ehemalige Kollege zeigte wieder sein Bernhardinergesicht. »Erstens komme ich nicht aus meinem heiß geliebten Düren und zweitens musst du mir helfen, Böhnke.« Ein gewisses Bedauern schwang in seiner Stimme mit, als er von Düren sprach. Auch er hatte seine Tätigkeit als Leiter des Kommissariats für Tötungsdelikte in der Kreisstadt an der Rur, nicht ganz freiwillig aufgegeben, wenngleich diese Parallelität zu Böhnke einen anderen, keinen gesundheitlichen Hintergrund hatte. Er war vor rund vier Jahren schlichtweg ins Landeskriminalamt hinein befördert worden, als die Kreispolizeibehörde einen neuen Leiter bekommen sollte und Küpper eigentlich davon ausgehen durfte, diese Stelle zu erhalten. Dieser Posten an der Spitze der Behörde wäre der krönende Abschluss seiner beruflichen Karriere gewesen.

Doch blieb ihm dieser Höhepunkt verwehrt. Die politischen Entscheidungsgremien hatten auf den massiven Druck des Landrates hin einem anderen Kommissar den Posten angetragen, einen dem Landrat wohlgesonnenen Zögling, der ursprünglich an Küppers Stelle in der Mordkommission treten sollte. Für den Kollegen Martin Rennickens war es ein reiner Versorgungsposten, hieß es behördenintern, seine gute Bekanntschaft zum Landrat Fritz Pech hätte ihn auf den Stuhl gehievt. In der Öffentlichkeit wurde die Besetzung des Chefsessels anders dargestellt: Küpper strebte der Pensionierung zu, Rennickens war mit seinem Alter Anfang 40 geradezu prädestiniert für dieses Amt und sorgte für eine Kontinuität über viele Jahre hinweg, die bei Küpper wegen dessen fortgeschrittenen Alters nicht gegeben war. So hatte es auch die Presse geschrieben und so schien es plausibel.

Der zunächst favorisierte und qualifiziertere Küpper musste ausgerechnet einem seiner größten Kontrahenten aus dem eigenen Hause den Vorzug lassen, was nicht gerade zu einer Klimaverbesserung in den Behördenräumen an der Nideggener Straße beitrug.

Dass Pech wenige Wochen nach dieser Personalentscheidung an einer Krebserkrankung starb, wurde von vielen Kriminalbeamten als Ironie des Schicksals betrachtet. Der Ausdruck ›Was für ein Pech!‹ bekam eine vielfältige und auch despektierliche Bedeutung. Wäre der Chef der Kreisverwaltung, der zugleich oberster Dienstherr vor Ort für die Polizei war, früher gestorben, wäre der bei ihnen beliebte Küpper ihr Häuptling geworden. Aber so mussten sie sich mit dem vermeintlich schlechteren Vorgesetzten Rennickens arrangieren.

Statt wie erhofft als Polizeichef in Düren saß Küpper derweil hoch dotiert und wenig motiviert auf einem Dozentensessel in Düsseldorf und verlor allmählich den Kontakt zum tatsächlichen Leben, während er immer mehr in die Theorie und die innenpolitische Diskussion eintauchte.

»Böhnke, du musst mir helfen«, wiederholte der Besucher. Dann winkte er ab, als sei ihm etwas Wichtigeres eingefallen. »Zunächst noch was anderes: Ist eigentlich der Mörder dingfest gemacht worden, der hier in deinem Huppenbroich einen Immobilienmakler auf dem Gewissen hat? Wie hieß der nochmal?«

»Keine Ahnung«, brummte Böhnke. Hatte der scheinheilige Freund den Namen des Mörders oder den des Maklers gemeint? Er schenkte sich die Gegenfrage und die Antwort. Ihm schwante, dass Küpper etwas im Schilde führte wie ein gewiefter Schachspieler, der eine Finte vorhatte, um urplötzlich die Strategie zu wechseln. »Der Mord an Puhlmann ist nicht meine Baustelle gewesen.«

»Du hättest bestimmt was herausgekriegt, wenn du gewollt hättest. Oder?«

»Warum sollte ich?« Worauf wollte Küpper bloß raus, fragte Böhnke sich.

Der Bernhardiner grinste. »In der Geschichte gibt es einige Unklarheiten und Ungereimtheiten, wie ich aus gut informierten Kreisen erfahren habe. Natürlich unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit. Der aber ist bekanntermaßen manchmal verdammt kurz.«

»Dein Freund Bahn?« Böhnke ahnte, was geschehen war. Die Journalisten Sümmerling und von den Driesch, mit denen er den Mord an dem Aachener Immobilienmakler aufgeklärt und in gewisser Weise auch vertuscht hatte, hatten sich wahrscheinlich vor ihrem Kollegen aus Düren mit der Geschichte gebrüstet und der neidvolle Bahn hatte sein Wissen prompt an Küpper weitergeleitet. Journalisten waren die größten Tratschtanten auf der Welt, schimpfte Böhnke insgeheim. Dieses Vorurteil schien wieder einmal bestätigt.

Küpper hob beschwichtigend die Hände. »Es bleibt unter uns, zumal nichts zu beweisen ist. Allerdings habe ich Bahn zugesagt, ich würde dich bitten, einmal eine Geschichte nachzuforschen, an der er interessiert ist.«

»Und warum hilfst du ihm denn nicht?«, hielt Böhnke dagegen, wissend, dass diese Frage unbeantwortet bleiben würde.

»Ganz einfach.« Küpper lächelte kurz. »Bahn und ich kommen in Düren einfach nicht weiter. Er hat keinen Vertrauten mehr bei der Kripo und deshalb keinen direkten Zugang zu Informationen. Und ich bin am Rhein verdammt weit weg vom Schuss an der Rur. Außerdem hast du viel mehr Zeit als wir alle zusammen. Du tust ja den lieben langen Tag überhaupt nichts«, lästerte er vergnügt.

»Nicht doch«, stöhnte Böhnke matt. »Ich bin schon lange aus allem raus.«

»Eben deshalb«, konterte Küpper, der noch einen Seitenhieb vorausschickte, bevor er richtig ansetzte. »Richtig raus bist du längst nicht, wie dein nicht gerade makelloses Mitwirken beim Maklermord beweist.« Er schmunzelte wissend. »Und weil du angeblich aus allem raus bist, kommst du in der Geschichte wahrscheinlich weiter als alle anderen.« Er erhob sich. »Sekunde.«

Schnell verschwand Küpper ums Eck. Böhnke hörte das Zuschlagen einer Autotür. Wenige Momente später stand der Besucher wieder vor ihm und hielt einen Aktenordner in der Hand.

»Der ist aus der Redaktion des Dürener Tageblatts«, erläuterte Küpper. »Darin findest du zum einem die gesammelten Werke von Thomas Geffert und zum anderen die zugegebenermaßen äußerst bescheidenen Ergebnisse der Recherche von Bahn auf der Basis dieser Informationen.« Heiter grinsend hielt er Böhnke den Ordner hin. »Du liest so gerne in fremden Akten, ist mir zu Ohren gekommen. Oder hast du bei Puhlmann tatsächlich nur einen Krimi geklaut?«

Der vermaledeite Küpper wusste wahrscheinlich mehr als er preisgab, dachte Böhnke. Er wurde nur äußerst ungern an seine Pleite erinnert, als er beim Einbruch in das Ferienhaus des ermordeten Maklers von den beiden Dorfsheriffs aus Simmerath erwischt worden war.

Küpper war wohl bestens im Bilde. Da wurde es langsam Zeit, selbst einmal zu punkten, sobald ihm Küpper die Gelegenheit dazu bieten würde. Bislang ging die Unterhaltung eindeutig nur zu seinen Lasten, ärgerte sich der Pensionär wider Willen.

»Schieß los!« Böhnke war es langsam leid, von Küpper aufgezogen und wie ein Tanzbär durch den Ring geführt zu werden. »Wo fängt die Geschichte an?«

Der Bernhardiner machte es sich auf dem kleinen Gartenstuhl so bequem, wie es gerade möglich war. »Du hast doch auch mitbekommen, dass unsere Kollegen in Aachen und Heinsberg vor ein paar Wochen eine Mordserie aufgeklärt haben. Oder?«

Selbstverständlich hatte Böhnke von den sogenannten Anhaltermorden gehört. Immerhin hatte es die Nachricht sogar bis in die Nachrichtensendungen aller großen Fernsehanstalten geschafft. Ein bislang Unbekannter hatte in einem Zeitraum von vier Jahren mehrere Frauen umgebracht. Durch einen DNA-Vergleich waren die Ermittler dem Täter auf die Schliche gekommen. Er hatte vor einigen Wochen nach einem Metalldiebstahl auf einem Schrottplatz bei der Kriminalpolizei in Heinsberg eine Speichelprobe abgegeben, obwohl er dazu gar nicht verpflichtet war. Dadurch wurde der Täter, der unterdessen Familienvater war und ein normales Leben führte, ermittelt. Vor knapp zehn Jahren hatte er, den die Presse wegen seiner Verbrechen Anhaltermörder nannte, zum ersten Mal eine junge Frau verschleppt, gefesselt, vergewaltigt und erdrosselt. Die unbekleidete Leiche wurde später gefunden. Insgesamt acht Frauen waren in dem fraglichen Zeitraum an verschiedenen Orten nach ihren Discobesuchen entführt und fast stets auf die gleiche Weise missbraucht und getötet worden. Vermutlich hatten sie alle nach einem vergnüglichen Abend per Anhalter nach Hause gewollt, als der Mörder sie aufgriff. Bis auf eine Leiche wurden alle anderen in entlegenen Waldstücken oder an Flüssen gefunden. Zweimal hatte die Polizei ihre Kleidung an ganz anderen Stellen als an dem Fundort der nackten Leichen aufgespürt. Bei zwei Opfern war eine brauchbare DNA des Täters gesichert worden. Ein routinemäßiger Abgleich der damals gespeicherten mit der aktuellen DNA des Metalldiebs ergab die vollkommene Übereinstimmung.

Schon beim ersten Verhör, in dem er mit den Morden konfrontiert wurde, gestand der mittlerweile 46-jährige Mann sechs der ihm zur Last gelegten Morde. Zwei Taten bestritt er vehement, was ihm die Polizei durchaus glaubte, auch wenn sie es nicht öffentlich bestätigte. In diesen beiden Fällen war der Tathergang in einigen Nuancen anders gewesen und die Frauen entsprachen auch nicht dem typischen Opferbild des Täters. Die sechs Frauen, deren Tötung er gestand, waren allesamt klein und blond gewesen, die beiden anderen hingegen waren größer als er und nicht blond, wie Böhnke von Sümmerling, einem Reporter der Aachener Zeitung, erfahren hatte. Außerdem waren diese Taten nicht im weiteren Umkreis von Aachen geschehen, sondern im Bereich Düsseldorf.

»Wie dem auch sei. Jedenfalls hat ein neues Redaktionsmitglied von Bahn beim Dürener Tageblatt diesen Aufklärungserfolg unserer Kollegen als Aufhänger für eine Recherche genommen«, fuhr Küpper fort. »Thomas Geffert, so sein Name, ist aus Frankfurt an die Rur gekommen. Er wollte im Tageblatt eine Serie über unaufgeklärte und ungewöhnliche Todesfälle in der Region in den letzten zehn Jahren schreiben und hat sich deshalb in die Archive gestürzt.«

»Da konnte er ja in deinem Bericht nicht viel finden«, unterbrach ihn Böhnke.

Das kurze, zornige Aufblitzen in Küppers Augen bestätigte ihm, dass er einen der wenigen wunden Punkte in dessen Karriere getroffen hatte.

Fast immer war Küppers Ermittlungsarbeit erfolgreich gewesen. Die Zahl der Tötungsdelikte, bei denen er den Täter nicht dingfest machen konnte, tendierte zwar gegen null, war aber nicht gleich null. Und damit betrug die Aufklärungsquote nicht 100 Prozent. Nach wie vor machte Küpper der Mord an einem Lebensmittelhändler zu schaffen, der als ungeklärt in den Akten ruhte, obgleich der Tathergang aufgeklärt war, konnten die flüchtigen Mörder bisher nicht identifiziert und folglich auch nicht festgenommen werden. Das ungesühnte Verbrechen schlug sich in seiner Bilanz nieder, weil Küpper zum Tatzeitpunkt Leiter der Abteilung war, auch wenn er sich bei den damaligen Ermittlungen zurückhalten musste. Böhnke hatte ebenfalls in seiner Berufslaufbahn eine fast hundertprozentige Aufklärungsquote erzielt, die jetzt zur absoluten Quote geworden war. Die Festnahme des Discomörders hatte den letzten weißen Flecken auf seiner persönlichen Erfolgsbilanz ausgefüllt, wenngleich sein Nachfolger Schulze-Meyerdieck das Aufklärungsergebnis als seinen Verdienst und Erfolg verbuchte. Dabei verschwieg Schulze-Meyerdieck, dass diese Festnahme ihm dank der Heinsberger Kollegen in den Schoß gelegt worden war.

Der Bernhardiner ging auf die Unterbrechung nicht ein, sondern setzte scheinbar ungerührt seine Schilderung fort. »Geffert hat sich also in die Archive gestürzt. Allerdings ist er nicht allzu weit gekommen.«

»Wo nichts ist, kann ich ja auch nichts finden«, bemerkte Böhnke lakonisch.

»Ob Bahns Kollege etwas gefunden hat oder nicht, kann ich dir nicht sagen. Er hat Schluss gemacht, bevor er eine einzige Zeile über seine Recherche geschrieben hatte.«

Was meinte Küpper damit, der Kollege von Bahn habe Schluss gemacht? Dessen Wortwahl machte Böhnke ebenso stutzig wie dessen Stimmlage und er sah seine Vermutung bestätigt, als der Bernhardiner fortfuhr.

»Geffert hat sich aufgebaumelt. Selbstmord. An einem stabilen Baum im schönen Hürtgenwald. Mit einer stabilen, roten Wäscheleine. Ist gerade einmal eine knappe Woche her. Hat seinen Wagen auf dem Parkplatz am Soldatenfriedhof abgestellt und ist dann ein paar Schritte in den Wald gegangen.«

»Jetzt will dein Freund Bahn die Arbeit seines toten Kollegen fortsetzen?«, folgerte Böhnke. »Und ich soll ihn bei der Recherche unterstützen.«

»Du bist ein richtiger Schnelldenker«, sagte Küpper ironisch. »Du hast die Zeit, die Fantasie und das Kombinationsgeschick«, schmeichelte er seinem Gesprächspartner.

Böhnke hörte über diese Worte hinweg. Hinter Küppers Anliegen musste mehr stecken. Aber was? Ich soll wohl gleichzeitig deinen ungesühnten Mord aufarbeiten, dachte er sich. Das allein konnte es nicht sein. Küpper hatte wahrscheinlich mehr im Sinn, als er preisgab. Böhnke blieb still. Es würde die Zeit kommen, den Bernhardiner deswegen einmal ausführlich zu befragen.

»Hat denn Bahns Kollege überhaupt nichts gesagt über seine Arbeit? Warum hat er damit aufgehört und sich umgebracht? Hat er keine Ergebnisse gefunden oder was? Der muss doch mit Bahn darüber gesprochen haben.«

»Da gibt es nichts«, erwiderte der Bernhardiner und setzte wieder seinen typischen melancholischen Hundeblick auf. »Geffert hat nichts gesagt. Er war als Neuling ziemlich isoliert in der Redaktion und hatte noch keinen großen Kontakt zu den Kollegen aufgebaut. Nur mit Bahn hat er sich gelegentlich unterhalten und anscheinend versucht, über ihn Zugang zu den anderen zu finden. Bahn sollte wohl sein Mentor sein oder werden. Aber jetzt wird er nichts mehr sagen können. Er liegt bekanntermaßen tot in einem Sarg.«

»Warum hat er denn Selbstmord begangen? Hing das etwa mit seiner Recherche zusammen?«

Küpper wirkte ahnungslos. »Wir haben keinen blassen Schimmer. Vielleicht findest du ja etwas heraus. Nein. Du findest bestimmt etwas heraus, mein Freund.« Er zuckte mit den Schultern und griff in seine Hosentasche. »Hier sind die Schlüssel zur Wohnung von Thomas Geffert. Ich habe sie von Bahn, der den Reserveschlüssel von seinem neuen Kollegen erhalten hatte. Der kannte noch keinen anderen Menschen in Düren, als er hier ankam. Außerdem will Bahn sich um die Haushaltsauflösung kümmern. Wie gesagt, er sollte so etwas wie Gefferts Mentor sein, auch wenn er es nicht unbedingt wollte.«

Nachdenklich ergriff Böhnke den Bund und spielte mit den drei verschieden großen Schlüsseln. Ein Aktenordner mit Artikeln und Notizen sowie die Möglichkeit, die Wohnung eines ihm unbekannten Menschen zu betreten; damit solle er sich in ein Abenteuer trauen, von dem er noch nicht einmal wusste, ob es überhaupt ein Abenteuer werden würde?

Langsam trank er aus seinem Wasserglas und betrachtete sein Gegenüber, der mit gespielter Langeweile in den großen, von einer Buchenhecke umsäumten Garten blickte.

»Eine letzte Frage noch, Küpper: Wie kann es eigentlich sein, dass du mich mitten in der Woche besuchen kommst?«

Er lächelte. »Ich habe heute Morgen beschlossen, krank zu sein und mich in Düsseldorf abgemeldet.«

»Es weiß demnach niemand, dass du hier bei mir bist? Natürlich bis auf deinen Busenfreund Bahn.«

»So ist es«, bestätigte der Bernhardiner unumwunden. »Ich brauche doch nicht jedem auf die Nase zu binden, was ich mache. Wenn mich einer fragen sollte, bin ich nie bei dir gewesen.« Er betrachtete Böhnke geradezu besorgt. »Zu deiner und zu meiner Sicherheit, mein alter Freund und Kupferstecher.«

Plötzlich hatte es Küpper verdammt eilig. Er verabschiedete sich kurz und ließ Böhnke allein, bevor der überhaupt zu einer Erwiderung ansetzen konnte.

2.

Er sei einfach unverbesserlich und lerne nicht dazu, urteilte seine Lebensgefährtin leicht angesäuert, als er sie abends per Telefon über Küppers Besuch und seine Absicht, für ihn zu ermitteln, informierte. Er hatte nach dem unvermittelten Aufbruch des ehemaligen Kollegen lange sinniert, ehe er sich zu der Entscheidung durchgerungen hatte, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Er könne froh sei, schimpfte Lieselotte, dass sie nicht in Huppenbroich gewesen sei. Sonst hätte sie den unverschämten Kerl hochkant hinausgeworfen. Allerdings müsse sie notgedrungen in ihrer Apotheke in Aachen über Nacht Notdienst schieben, statt in der Zweitwohnung in der Eifel auf ihren Kommissar aufzupassen. Dass sie an einem gewöhnlichen Abend mitten in der Woche ohnehin nicht nach Huppenbroich kam, darüber ging sie hinweg. Sie beruhigte sich jedoch schnell wieder, wohl wissend, dass Böhnke ein wenig Abwechslung nicht schaden konnte und er niemals lange Zeit tatenlos bleiben konnte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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