Garudas Grüße - Kurt Lehmkuhl - E-Book

Garudas Grüße E-Book

Kurt Lehmkuhl

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Beschreibung

Garudas Grüße ist der erste Roman von Kurt Lehmkuhl, den er bereits 1978 verfasst hat und der die Basis für die folgenden wurde. Der Text wurde bislang nicht veröffentlicht. Der Roman erzählt die Geschichte des gescheiterten Jurastudenten Tobias Grundler, der des Mordes verdächtigt wird und der keine Gelegenheit auslässt, um alle gegen sich aufzubringen: seinen Verteidiger ebenso wie den ermittelnden Kommissar, den Staatsanwalt ebenso wie den Vorsitzenden Richter. Fast schon zwangsläufig erfolgt seine Verurteilung. Nach der Haft geläutert, rollt Grundler seinen Fall wieder auf und bringt eine Wahrheit ans Licht, die er selbst nicht glauben möchte.

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Garudas Grüße ist der erste Roman von Kurt Lehmkuhl, den er bereits 1978 verfasst hat und der die Basis für die folgenden wurde. Der Text wurde bislang nicht veröffentlicht. Der Roman erzählt die Geschichte des gescheiterten Jurastudenten Tobias Grundler, der des Mordes verdächtigt wird und der keine Gelegenheit auslässt, um alle gegen sich aufzubringen: seinen Verteidiger ebenso wie den ermittelnden Kommissar, den Staatsanwalt ebenso wie den Vorsitzenden Richter. Fast schon zwangsläufig erfolgt seine Verurteilung.

Nach der Haft geläutert, rollt Grundler seinen Fall wieder auf und bringt eine Wahrheit ans Licht, die er selbst nicht glauben möchte.

*

Kurt Lehmkuhl, 1952 in der Nähe von Aachen geboren, war nach seinem Jurastudium in Bonn jahrzehntelang Redakteur im Zeitungsverlag Aachen. Er ist als Journalist, Schriftsteller und Dozent für Kreatives Schreiben tätig. Neben zahlreichen Romanen hat er auch etliche Kurzgeschichten veröffentlicht und zeichnet als Herausgeber für sechs Anthologien und ein Hörbuch verantwortlich. Seine aktuellen Romane erscheinen unter anderem im Gmeiner-Verlag.

Zur geflissentlichen Kenntnisnahme:

„Garudas Grüße“ ist mein erster Roman. Ich habe ihn 1978 geschrieben und bislang nicht veröffentlicht. Einige Figuren, die in späteren Romanen Hauptrollen spielen, kommen im „Garuda“ vor, allen voran Tobias Grundler. Vielleicht wird durch diesen Roman noch deutlicher, warum der Mann sich bisweilen unangepasst verhält.

Lange habe ich überlegt, ob ich den Text massiv überarbeite, den Inhalt straffe und den Stil verbessere, um dadurch eine leichtere Lesbarkeit zu erreichen. Ich habe mich schlussendlich dagegen entschieden. Eine Veränderung wäre insofern unangemessen, als dass sie – den Text von umständlichem Ballast befreit – über meine damalige Fertigkeiten hinwegtäuschen würde. Sicherlich würde ich heutzutage anders mit dem Text umgehen, die Geschichte anders erzählen, die Handlung flüssiger darstellen, langatmige Passagen straffen, Dialoge kürzen, die Schwerpunkte besser setzen. Ich habe es nicht getan, um das Zeitdokument zu bewahren und den Lesern zu zeigen, wie sehr sich ein Autor verändern kann. Angepasst habe ich lediglich die Rechtschreibung an die aktuell geltenden Regeln.

Die Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

(kl 2019)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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Kapitel

1.

Ich hatte gerade die abschließenden Sätze einer Kurzgeschichte, wie immer mit großer Mühe, auf der Schreibmaschine fein säuberlich ins Reine getippt, räumte nun erleichtert und zufrieden mein Arbeitszeug fort, als es zu meiner Überraschung an der Wohnungstür klingelte. Einen Besucher oder einen Nachbarn erwartete ich heute nicht, für windige Geschäftemacher war es eigentlich schon zu spät.

Neugierig und ahnungslos öffnete ich und blickte auf zwei im Treppenhaus vor mir stehende Männer. Ich kannte sie nicht. Allerdings, ihren Beamtenhabitus, den konnten die beiden nicht verschweigen. Diesen sah ich ihnen auf den ersten Blick an. Die Männer entsprachen dem Klischee, das ich mir von typischen Staatsdienern machte. Sie wirkten durch ihre Unauffälligkeit schon wieder auf ihre Art auffällig. Ihr Auftreten drückte ohne Worte, alleine durch die Gestik aus, dass sie nur ihrem behördlichen Dienst nachkämen, wenn sie mich in meiner Feierabendruhe störten. Pardon, wir können nicht anders, wir müssen dich notgedrungen in Erfüllung unserer dienstlichen Pflichten aufsuchen, sagte mir ihr Benehmen. Trotzdem konnte der jüngere der beiden Unbekannten eine gewisse Schadenfreude nicht verhehlen.

Aber was wollten sie ausgerechnet jetzt um diese Uhrzeit von mir?

Der ältere der beiden Mittelstandsbeamten, ein großgewachsener, sportlicher Typ, Mitte Vierzig nach meiner Einschätzung, mit brauner Kurzhaarfrisur und in einem dunkelgrauen Anzug gekleidet, betrachtete mich zunächst schweigend und abschätzend, zugleich aber auch in stiller Entschuldigung, mit den betrübten, dunklen Augen eines Bernhardiners, dem ein Rehpinscher einen Knochen abgeluchst hatte. Derweil posierte der Jüngere, ein unordentlich gekleideter Endzwanziger mit ungepflegten schwarzen Haaren, in einer Forschheit vor mir, die offensichtlich gekünstelt war und die seine eigentliche Gehemmtheit überdecken sollte. Lässig hatte sich der zur Fettleibigkeit neigende Möchtegern in seinem zerknitterten, dunkelgrauen Trenchcoat gegen die weißgetünchte Flurwand gelehnt, beinahe schon frech grinste er mir ins Gesicht, was bei mir spontan und unwillkürlich eine Antipathie auslöste. Der andere Mann erschien mir vom ersten Moment an vertrauenswürdig; jedenfalls vertrauenswürdiger als der affektierte junge Heini und Columbo-Imitator.

„Herr Grundler?“ Höflich und leise, mit Melancholie in der Stimme fragte mich der Bernhardiner. „Tobias Grundler?“

Ich bejahte wahrheitsgemäß, zugleich aber auch verwundert. Hatten die beiden etwa in meiner Wohnung einen anderen Menschen erwartet? Ich war doch auf dem Namensschildchen am Türrahmen aus Wohnungsinhaber ausgewiesen.

„Guten Abend!“, grüßte er eine Spur freundlicher. „Ich bin Kriminalhauptkommissar Küpper von der Kriminalpolizei Düren, und dies ist mein Kollege, Kriminalkommissar Wenzel.“ Beiläufig wies er auf seinen jüngeren Kollegen.

Beide zückten sie kurz ihre Dienstmarken, wedelten kurz und flüchtig mit ihnen und steckten sie zurück in die Manteltaschen, ehe ich sie überhaupt betrachtet hatte.

„Dürfen wir eintreten? Es spricht sich so schlecht zwischen Tür und Angel.“ Küpper lächelte. „Außerdem hat unsere Gespräch Ihre Nachbarn nicht unbedingt zu interessieren“, forderte er mich mit mildem Druck auf.

In erzwungener Bereitwilligkeit kam ich seinem Wunsch nach. Verwundert und von der Situation völlig überfahren, gewährte ich den beiden Polizisten Einlass.

„Worum handelt es sich denn überhaupt“, wollte ich wissen, während ich die beiden in das Wohnzimmer führte, wo sie sich, interessiert um sich blickend, unaufgefordert auf das Sofa setzten.

„Herr Grundler, ist Ihnen Dr. Müller bekannt?“ Ohne Umschweife führte Wenzel scharfzüngig sofort die Unterhaltung auf den für ihn wohl wesentlichen Punkt. Den leicht tadelnden Blick seines Chefs schien er nicht zu bemerken. „Den Vorstandsvorsitzenden der Papiermaschinenfabrik Masteck?“

„Selbstverständlich“, antwortete ich automatisch. „Erst vor wenigen Tagen hat er mich entlassen.“ „Wissen Sie, warum er Ihnen gekündigt hat? Haben Sie irgendeine Vorstellung?“ Die Fragen kamen mir derart simpel vor, dass ich überhaupt nicht daran dachte, sie nicht zu beantworten.

„Ja und nein. Nun, meine Probezeit in der Firma war abgelaufen. Müller sah sich außerstande, mein Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten.“ Mit nichtssagenden, schmeichelhaften Worten erklärte ich meinen Rausschmiss bei Masteck. „Wie Sie gewiss selbst wissen, erlauben die Gesetze des Arbeitsrechts eine Entlassung des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit ohne eine Angabe von Gründen“, ergänzte ich spitz. „Aber warum fragen Sie danach?“

Ich zündete mir eine Zigarette an und bot die Schachtel zum Zugriff an.

Merkwürdig stumm blickten die beiden Kriminalisten auf die Rauchwaren und lehnten dann dankend ab.

Nach einer kurzen Denkpause antwortete mir Küpper. Offensichtlich hatte er überlegt, ob er meine Frage überhaupt zur Kenntnis nehmen sollte. Kritisch hatte er in der Zwischenzeit wieder seine Augen durch das Wohnzimmer schweifen lassen.

„Dr. Müller ist tot! Er wurde erschossen. Mit drei Kugeln aus einer Pistole niedergestreckt“, offenbarte der Polizist trocken und sachlich. Küpper hatte seinen Blick auf mich gerichtet und musterte mich ernst.

„Tut mir leid für ihn“, kommentierte ich mit innerer Teilnahmslosigkeit. „Und was soll ich mit seinem Tod zu tun haben?“ Fragend schaute ich Küpper und Wenzel abwechselnd an. Irgendwie amüsierte mich die Sache. Küppers strenge Musterung berührte mich nicht.

Gequält lächelnd rang der Kommissar nach einer plausiblen Erklärung. „Es spricht einiges dafür, dass der Täter Dr. Müller aus Rachemotiven, Verzweiflung oder ähnlichem getötet hat. Wir haben uns natürlich bei unserer Recherche die Frage gestellt, mit wem sich das Opfer in der letzten Zeit geschäftlich oder privat auseinanderzusetzen hatte. Dabei stießen wir zwangsläufig auf Ihren Namen, Herr Grundler. Ihre Personalakte lag im Schreibtisch des Verstorbenen in dessen Firmenbüro.“

„Aus diesem Umstand schließen Sie jetzt scharfsinnig, dass ich den Masteck-Boss umgebracht habe?“ Kurz entschlossen unterbrach ich Küpper mit einer ironischen Bemerkung. Der Auftritt der Polizisten in meiner Wohnung nahm langsam humoristische Züge an, wurde zu einem kurzweiligen Intermezzo. Was konnten die mir schon? Und außerdem ließ sich aus dieser unerwarteten Begegnung vielleicht einmal eine Geschichte machen.

„Weil Müller mich entlassen hat, bringe ich ihn um!“ Demonstrativ tippte ich mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Sie müssen doch zugeben, dass diese Vorstellung absurd ist. Wenn jeder Entlassene seinen ehemaligen Arbeitgeber über die Klinge springen lassen würde, dann wäre die Bevölkerung bald auf die Hälfte reduziert“, höhnte ich verächtlich und provozierend.

Wenzel wollte mich wütend zurechtweisen. Anscheinend hatte ich mit meiner Spöttelei über das ausgeprägte polizeiliche Kombinationsgeschick empfindlich an seiner Berufsehre gekratzt.

Doch er kam nicht dazu, umgehend zu kontern. In meinem Arbeitszimmer klingelte das Telefon und unterband damit Wenzel.

Umgehend ließ ich die beiden Beamten allein im Wohnzimmer zurück. Gewohnheitsgemäß ließ ich die Verbindungstür zwischen den beiden Räumen offenstehen. Es war mir überhaupt nicht unangenehm, dass sie mein Gespräch mithören konnten. Am Apparat meldete sich meine Frau. Inga war am Freitag vergangener Woche zu einem Skiurlaub ins Salzburger Land gefahren und rief mich auch heute an, so wie wir es verabredet hatten: an jedem Tag zur gleichen Zeit. Zwanglos erzählten wir uns von den Geschehnissen des Tages, turtelten etwas und ließen bald schon unsere Unterhaltung dabei bewenden. Was sollten wir uns denn auch schon bei den tagtäglichen Telefonaten sagen? Es war doch alles in Ordnung.

Den momentanen Besuch der Kriminalpolizei und den Tod von Müller verschwieg ich ihr. Was sollte sie sich auch mit diesem Unfug belasten? Sie sollte sich schließlich in ihrem Urlaub erholen.

„Ich habe nicht behauptet, dass Sie Dr. Müller erschossen haben, Herr Grundler.“ Küpper empfing mich bei meiner Rückkehr ins große Zimmer mit beschwichtigenden Worten. „Aber wir tappen noch im Dunkeln. Zu Beginn unserer Ermittlungen müssen wir halt jeder auch noch so abwegig erscheinenden Vermutung nachgehen.“ Küpper legte eine Kunstpause ein. „Ich hatte mir eigentlich bei unserem Besuch bei Ihnen nur einige Anhaltspunkte erhofft. Vielleicht neue Impulse und Anregungen, auf keinen Fall mehr.“

Diese Argumentation überzeugte mich beileibe nicht, doch schwieg ich dazu. Für dumm konnten die Polizisten mich nicht verkaufen.

„Herr Grundler, haben Sie vielleicht bei Ihrem letzten Zusammenkommen irgendeine Veränderung an Dr. Müller bemerkt“, fragte mich der Kommissar; überflüssigerweise, wie ich insgeheim meinte. „War er anders als sonst? Waren Personen in seiner Nähe, die Sie vorher noch nicht in seiner Umgebung gesehen haben? Ist Ihnen irgendetwas Außergewöhnliches aufgefallen?“ Küpper beäugte mich, als glaube er, ich könnte die berühmte winzige Nadel aus dem riesigen Heuhaufen hervorzaubern, als könnte ich dem Rehpinscher den Knochen wieder abluchsen.

Ich verstand schon das Interesse der Obrigkeit, das Verbrechen an Müller baldmöglichst aufzuklären. Immerhin galt Müller in unserer Stadt als respektable Persönlichkeit.

Nach kurzer, gespielter Überlegung antwortete ich: „Beim besten Willen, Herr Kommissar, ich kann Ihnen nicht helfen.“ Ich wollte auch nicht. „Bei meiner Entlassung ist mir an Müller oder seiner Umgebung nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Abgesehen davon, dass ich meine Entlassung als nicht normal ansehe“, witzelte ich schwach.

Für mich war damit das Gespräch endgültig beendet, was Küpper auch spürte.

„Na ja, da kann man nichts machen“, stellte er sachlich fest, während er mir in die Augen blickte. Entschlossen erhob er sich vom Sofa. „Wir haben uns wohl verrannt. Unser Besuch ist gewiss ein Schuss in den Ofen, wie man so schön sagt.“ Küpper zeigte wieder sein melancholisches Lächeln. „Eigentlich war es ja auch nicht anders zu erwarten.“ Versöhnlich fügte er hinzu: „Herr Grundler, ich kann Sie beruhigen. Auf mich machen Sie wahrlich nicht den Eindruck ein Mörder zu sein.“

Ob ich ihm glauben konnte?

„Los, Wenzel“, forderte er seinen Kollegen auf.

„Für uns ist jetzt endlich Feierabend!“

Naturgemäß interessierten mich jetzt doch, da ich schon mal die Kriminalpolizei in der Wohnung hocken hatte, die näheren Umstände, unter denen Müller gestorben war. „Wann ist denn mein ehemaliger Chef überhaupt ums Leben gekommen? Warum stand noch nichts davon in der Zeitung?“, fragte ich mit unverhohlener Neugierde den mir sympathischen Bernhardiner. „Oder wurde Müller etwa erst gestern am Abend erschossen?“

Küpper schaute mich erstaunt und prüfend an. Doch dann hob er abweisend die Hände. „Sie werden verstehen, Herr Grundler, dass wir die näheren Umstände des Verbrechens noch nicht bekannt geben wollen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt werden wir die Öffentlichkeit informieren“, meinte er zu mir. „Ich habe die Hoffnung, dass durch unser Schweigen der Täter vielleicht nervös wird und sich verrät.“

Wer's glaubt, wird selig, dachte ich mir insgeheim meinen Teil.

„Es wäre schön, wenn Sie nicht mit anderen über unseren Besuch bei Ihnen reden würden“, bat er mich abschließend, während er mir die Hand zu einem kurzen Gruß reichte.

Wenzel und Küpper verabschiedeten sich flüchtig im Wohnungseingang und stiefelten bereits die Flurtreppe hinunter, als Wenzel noch einmal durch das Geländer zu mir hinaufblickte. „Nichts für ungut, Herr Grundler. Aber wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns eventuell später noch einmal zur Verfügung stehen würden. Vielleicht fällt Ihnen doch noch etwas ein!“

„Gerne“, rief ich ihm etwas verärgert durch das Treppenhaus hinterher. „Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Die meiste Zeit bin ich sowieso zu Hause.“

Wenzels Chef hatte während des Besuches durchaus auf Diskretion geachtet, und dieser Trottel blökte jetzt laut durch den Flur. Das hatte garantiert jemand im Haus mitbekommen. Mit einem erzürnten Kopfschütteln schloss ich die Wohnungstür.

Zwar ging mir das Gespräch noch eine Zeitlang durch den Kopf, ohne dass ich mir etwa ernsthafte Gedanken über den Mord und den polizeilichen Auftritt bei mir gemacht hätte, und als am Abend eine Sportübertragung im Fernseher meine Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte ich bereits den unnatürlichen Tod meines ehemaligen Brötchengebers als uninteressante Nebensächlichkeit abgehakt.

Was betrifft es mich auch schon groß, wenn ein Neureicher abgeknallt wird?

2.

Am nächsten Morgen kaufte ich mir, wie schon seit Jahr und Tag, bei meinem Krämer die obligatorische Schachtel Zigaretten und die Lokalzeitung, die am heutigen Donnerstag mit der reißerischen Aufmachung: „Bekannter Dürener Industrieller ermordet!“ für sich unbezahlbare Reklame machte.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, zündete mir eine Zigarette an und faltete die Zeitung auseinander. Die gemütlichste Stunde des Tages konnte beginnen.

Entgegen meiner Gewohnheit ließ ich heute die Sportseite zunächst außer Acht und suchte den Teil mit den lokalen Berichten.

Meine Verwunderung über die publizistische Offenbarung des Verbrechens konnte ich gewiss nicht leugnen. Ich war erstaunt, dass die Tageszeitung heute ausführlich über das Ableben von Müller berichten konnte, während mir am gestrigen Abend noch Küpper hatte glaubhaft machen wollte, dass die Öffentlichkeit vorläufig nicht informiert werden sollte. Küpper musste mich offensichtlich und mit Absicht getäuscht haben, denn der Besuch der Polizisten bei mir war zu einer Zeit erfolgt, zu der für die heutige Lokalausgabe längst Redaktionsschluss war. Wie ich aus eigener Erfahrung als ehemaliger freier Mitarbeiter des lokalen Blättchens wusste, wurde der Redaktionsschluss spätestens um siebzehn Uhr eingeläutet. Texte, die danach in der Redaktion auf die Tische flatterten, kamen für die nächste Ausgabe nicht mehr in Betracht.

Warum aber hatte mich Küpper bloß an der Nase herumgeführt?

„In seiner Wohnung erschossen aufgefunden!“, lautete die Spannung versprechende Überschrift des spaltenlangen Artikels. Ihn hatte ein Journalist verfasst, der mir wegen seiner spektakulären Berichterstattung zu Lasten der Seriosität schon mehrfach unangenehm aufgefallen war. Sensationen behagten diesem Schreiberling weitaus mehr als ordentlich und sorgfältig recherchierte Berichte.

Interessiert und zugleich skeptisch überflog ich die Zeilen.

„Wie die Dürener Kriminalpolizei in einer gestern überraschend einberufenen Pressekonferenz mitteilte, wurden in den Morgenstunden des vergangenen Montags der bekannte Dürener Industrielle Dr. Müller von seiner Putzfrau im Wohnzimmer ermordet aufgefunden.

Nach dem Obduktionsbericht des kriminalmedizinischen Institutes an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen wurde Dr. Müller, der als Junggeselle ein sehr zurückhaltendes Leben in der Dürener Gesellschaft führte und der nur äußerst selten den geselligen Kontakt zu seinen Mitmenschen suchte, während der Nachmittagsstunden des Sonntags in seiner Wohnung erschossen, mit drei Pistolenkugeln barbarisch niedergestreckt.

Die Polizei geht davon aus, dass der Täter es einzig darauf angelegt hatte, Dr. Müller zu töten, der als geschäftstüchtiger Vorstandsvorsitzender einer bekannten Dürener Papiermaschinenfabrik erheblich an dem erfolgreichen Firmenaufstieg und der allseits bewunderten wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens beteiligt gewesen war. Denn es hat den Anschein, als habe der Mörder keine Wertgegenstände, Geld oder Kunstwerke mit sich genommen, obwohl in der Wohnung von Dr. Müller, der leidenschaftlicher Sammler asiatischer Kunst war und der einen beachtlichen Wert zusammengetragen hatte, in fast allen Zimmer zahlreiche, wertvolle Kostbarkeiten stehen.“

Missmutig rümpfte ich die Nase. Der Journalist ging mir gehörig auf die Nerven mit seiner Art zu schreiben, mit seiner Vermischung von relevanten Fakten und der Beweihräucherung des Verstorbenen. Was hatte Müllers Sammelleidenschaft und der wirtschaftliche Erfolg der Firma mit seinem Tod zu tun, fragte ich mich. Tatsachen wollte ich erfahren, mehr nicht.

Beinahe schon angeödet, las ich weiter: „Nach Angaben von Dr. Schnitzler, dem Leiter der Kriminalpolizei Düren, ist es weiterhin gesicherte Erkenntnis, dass Dr. Müller seinen Mörder gekannt haben muss. Es finden sich nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich der Täter, der noch unbekannt ist, gewaltsam Eintritt in das Haus von Dr. Müller an der Dr.-Overhues-Allee verschafft hat. Wahrscheinlich hat ihn der Industrielle bereitwillig eintreten lassen.

Außerdem könne man durch weitere äußere Umstände der Tat zu diesem Schluss kommen, so die Polizei. Näheres dazu wollte uns jedoch die Kriminalpolizei verständlicherweise nicht mitteilen.“

Dieser dämliche Zeilenfüller, schimpfte ich vor mich hin, während ich eine weitere Zigarette anzündete. Die meisten Sätze des Geschreibsels waren überflüssig und lenkten nur von den wenigen, kärglichen Tatsachen ab.

„Die Staatsanwaltschaft in Aachen hat die Ermittlungen in diesem tragischen Mordfall übernommen“, fuhr ich in dem schmierigen Artikel fort, „und in die bewährten Hände von Staatsanwalt Meyer gelegt. Der in der Aufdeckung von Morddelikten erfahrene und erfolgreiche Jurist meinte bei der Pressekonferenz, dass die am Tatort aufgefundenen Indizien sehr aufschlussreich seien und sicherlich bald zur raschen Identifizierung des Täters beitragen würden. Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgten einige vielversprechende 'heiße' Spuren. Schon in Kürze könne eventuell eine Verhaftung vorgenommen werden. Eine der Tat dringend verdächtigte Person wird, wie wir am Rande der Pressekonferenz aus gut unterrichteten Kreisen erfuhren, von der Polizei unauffällig beobachtet. Ein Haftbefehl soll bereits beim Landgericht Aachen beantragt worden sein.“

Nun doch etwas nachdenklich geworden, blickte ich von der Zeitung auf. Der Kommissar tappte gestern noch im Dunkeln, und gleichzeitig wird, angeblich, der mutmaßliche Täter beobachtet. Wahrscheinlich wird es aber so sein, dass der sensationsgeile Journalist seine Phantasie nicht mehr unter Kontrolle hatte und sich die wohlinformierten Quellen, aus denen er sich seine Fakten herauszapfte, schon bald als meinungsmanipulierende Gerüchteküche entpuppten.

Die Polizei und die Staatsanwaltschaft würden auf diesen Artikel gewiss nicht reagieren; jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Das hatte ich schon in ähnlichen Fällen miterlebt. Dort hatte man wichtigeres zu tun, als der Presse deswegen hinterherzulaufen.

Oder war ich etwa selber die verdächtige Person?

Mit gespielter Besorgnis und zugleich schmunzelnd schaute ich aus dem Zimmerfenster hinaus auf den Parkplatz vor unserem Mietsblock, auf dem zu dieser Morgenstunde nur wenige Fahrzeuge abgestellt waren. Ich konnte sie allesamt als bekannt einordnen, weil sie benachbarten Familien gehörten. Ungewöhnliches spielte sich draußen nicht ab.

Demnach schien ich also nicht verdächtig, was mich insgeheim doch etwas beruhigte, wie ich mir selber zugeben musste. Andererseits waren die Widersprüche zwischen Küppers Besuch bei mir und dem Zeitungsbericht zu zahlreich, als dass sie mich nicht irritiert hätten.

Die nachfolgenden Sätze des Zeitungsberichtes brachten ein überdrüssiges, zeilenschindendes Gelaber ohne wirklich interessante oder wissenswerte Fakten mitzuteilen. Alle Welt sei erschüttert und stehe der grässlichen Tat fassungslos und schockiert gegenüber. Man bedauere den unersetzlichen Verlust eines charaktervollen, lieben Menschen und Bürgers und beklage das viel zu frühe und abrupte Ableben eines intelligenten, hervorragenden Geschäftsmannes. Stellungnahmen mehrere Personen des sogenannten öffentlichen Lebens trugen mit den dick aufgetragenen, salbungsvollen Worten nicht unwesentlich dazu bei, dass ich die Zeitung bald wütend auf den Boden warf.

Was hatten diese posthumen Lobeshymnen eigentlich mit dem Mord zu tun, fragte ich mich verärgert. Hatte das Dürener Käseblättchen tatsächlich nichts Besseres zu tun, als diesen Bockmist zu verzapfen?

Ohne jegliches Bedauern nahm ich die Ermordung meines ehemaligen Chefs als Tatsächlichkeit zur Kenntnis und wandte mich dem erheblich interessanteren Sportteil der Zeitung zu.

Es ist nun beileibe nicht so, dass ich überhaupt einen Mord für gut heißen würde oder ihn als letztlich einziges und geeignetes Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles akzeptieren würde, aber, so fragte ich mich, was geht mich der Mord an Dr. Müller an?

Nichts, absolut nichts, antwortete ich mir selbst. Müller hatte schlicht und einfach Pech gehabt.

Und mit dieser, zugegebenermaßen nicht jedermann zufriedenstellenden, leichtfertigen Feststellung hakte ich das Kapitel als beendet und vergangen endgültig ab.

3.

Gegen neun Uhr am Freitag, ich lag noch im Bett, klingelte das Telefon ausdauernd und nervraubend. Ausgerechnet der Lackaffe Wenzel befand sich am anderen Ende der Leitung.

„Guten Morgen, Herr Grundler“, begrüßte er mich mit übertriebener, falscher Freundlichkeit.

Ich stellte mir bildlich vor, wie er jetzt hämisch grinsend in das Gerät sprach und sich diebisch darüber freute, dass er mich aus dem Bett hatte jagen können.

„Wenn Sie schon einmal wach sind: Hätten Sie heute Zeit für uns? Wir möchten Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen. Vielleicht können Sie uns doch noch bei der Lösung des Falles behilflich sein.“

„Und wenn ich nicht antanzen will, weil ich keine Lust habe“, knurrte ich fragend zurück. Ich war mürrisch und ungehalten über das abrupte Wecken und Aufstehen Müssen. „Außerdem haben Sie doch nach dem Zeitungsbericht von gestern quasi schon den Täter. Was soll ich also noch bei Ihnen?“

„Die Zeitung schreibt viel im Laufe einer Woche“, erwiderte der Inspektor schroff. „Die gesamte Pressekonferenz ist erstunken und erlogen. Der Pressefritze hat irgendwo Lunte gerochen und alle möglichen Leute angerufen. Aus den Antworten hat er sich die Geschichte zusammengezimmert. Aber was sollen wir uns dagegen wehren. Die Pressefreiheit ist doch bei uns leider wichtiger als die Wahrheit.“ Wenzel entrüstete sich, entweder tatsächlich oder aber gut täuschend.

„Wenn Sie allerdings nicht kommen wollen, Herr Grundler“, drohte er mir mit unhöflicher Bestimmtheit, „dann halten Sie in fünf Minuten eine Vorladung für heute in den Händen. Ich bringe sie Ihnen sogar persönlich vorbei und Sie können gleich mit mir fahren.“

Auf dieses Angebot konnte ich getrost verzichten. Ich verabredete mich mit einigem Unwohlsein für zehn Uhr in seinem Dienstzimmer.

Während der Fahrt zum Verwaltungsgebäude der Polizei fragte ich mich fortwährend nach dem Grund, weshalb ich schleunigst anfliegen sollte und was die Grünen speziell von mir erfahren wollten. Woher wusste außerdem die Zeitung von dem Mord? Hatte sie etwa doch bei der Polizei nachgeforscht? Wieder einmal schien sich zu bestätigen, dass die Medien ziemlich alles erfahren. Wahrscheinlich wird irgendein Nachbar von Müller, der sich wichtigmachen wollte, in der Redaktion Bescheid gegeben haben. Daran konnte ich nun auch nichts mehr ändern.

Vielleicht aber hatten die Polizisten mich doch in Verdacht? Aber wieso und warum?

Ich kramte in meiner Erinnerung, um wohlmöglich eine Kleinigkeit auszugraben, die ich bisher übersehen hatte und die mich in irgendeiner Weise verdächtigen oder belasten könnte. Doch meine Gedankenspielereien blieben erfolglos, mussten natürlich erfolglos bleiben, wie ich mir sagte, denn es gab meines Erachtens keinerlei Anhaltspunkte, die auch nur den geringsten Verdacht auf mich lenken konnten.

Verdächtigten mich Küpper und Wenzel vielleicht etwa allein deshalb, weil mich Müller wenige Tage vor seiner Ermordung entlassen hatte? So dämlich konnten sie doch wohl nicht sein! Oder?

Auf dem Weg zur Kripo hatte ich mir noch automatisch und gedankenverloren in meinem Stammladen eine weitere Schachtel Zigaretten gekauft. Kurz vor dem vereinbarten Termin fuhr ich missgelaunt und nachdenklich auf den polizeilichen Besucherparkplatz.

Punkt zehn klopfte ich an die Tür des Dienstzimmers. Auf ein freundlich-bestimmendes „Ja“ spazierte ich mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend in den hellen, modernen Büroraum. Dort erwartete mich neben Wenzel auch Küpper, der mir seinerseits einen dritten Mann vorstellte.

„Herr Grundler, darf ich Sie mit Herrn Staatsanwalt Meyer bekannt machen. Herr Meyer leitet die Ermittlungen im Mordfall Dr. Müller von Seiten der Staatsanwaltschaft aus.“

Diese letzte Ausführung hätte Küpper sich ersparen können. Aber selbstverständlich durfte er mir den Staatsanwalt gerne vorstellen.

Mit einem begrüßenden Nicken blickte ich Meyer an. Er ähnelte auffallend dem Bild, das wir uns in der Studienzeit immer von Staatsanwälten gemacht hatten: ein verhärmtes, mittelalterliches Männchen, sicherlich mit einigen Komplexen, die seiner Arbeit zugutekamen; ein zu guter Jurist, um gezwungenermaßen als unbedeutende Randerscheinung in der Masse der Rechtsanwälte mitzuschwimmen, zugleich aber zu schlecht, um in der freien Wirtschaft richtiges Geld zu verdienen. Meyer saß gewiss mit sich zufrieden auf seinem krisensicheren Posten und rechnete in seinen arbeitslosen Stunden die Bezüge zusammen, die er bis zu seiner Pensionierung noch aus der Staatskasse erhalten würde. In meiner persönlichen, despektierlichen Klassifizierung ordnete ich den Staatsanwalt zwischen den zu klein gewachsenen Riesen und den laufenden Metern ein. Im Gerichtssaal würde Meyer wahrscheinlich, um seinen kleinen Wuchs zu kompensieren, wie ein Wüterich toben.

Meine Nackenhaare sträubten sich gefährlich, als Meyer mir kritisch ins Gesicht blickte. Was soll denn der Staatsanwalt hier, fragte ich mich verstört. Aus reiner Langeweile und zum Zeitvertreib ließ der doch nicht seinen Dienstsessel kalt werden? Und nur, um eine Kleinigkeit zu erfahren, gondelte der bestimmt nicht in die Provinz nach Düren? Darin besteht ja gerade die Aufgabe der Polizei, den Staatsanwalt mit den notwendigen Informationen zu versorgen. Was wollte Meyer also höchstpersönlich hier?

Etwas war im Gange. Aber was?

„Herr Grundler, wo waren Sie am Nachmittag des vergangenen Sonntags?“ Mit piepsender Stimme warf Meyer mir die Frage überfallartig zu. Nervös spielte er mit einem Kugelschreiber, während er auf meine Antwort lauerte.

„Moment mal!“ Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Was soll das? Veranstalten Sie ein Verhör mit mir oder wollen Sie mir etwas anflicken?“ Langsam stieg eine Nervosität in mir auf. Es roch förmlich nach Gefahr.

„Warum wollen Sie meine Frage nicht beantworten“, piepste Meyer zurück. „Sie können uns doch sagen, wo Sie waren. Oder haben Sie etwa etwas zu verbergen?“

Natürlich, diese Logik konnte einfach nicht ausbleiben, dachte ich mir.

„Blödsinn“, antwortete ich unwillig, „aber mir geht es ums Prinzip. Ich will erst wissen, was hier überhaupt gespielt wird. Der Inspektor lockt mich, offensichtlich unter einem Vorwand nach hier, und Sie stürzen auf mich los, als sei ich ein Verbrecher!“ Ärgerlich schaute ich Meyer an. „Hier mache ich nicht mit. Legen Sie die Karten offen auf den Tisch und sagen Sie mir dann, was Sie wissen wollen. Dann bin ich gerne bereit, Ihnen behilflich zu sein. Aber bitte keine krummen Touren!“

Meinen guten Willen zeigend ließ ich spendabel die Zigarettenschachtel kreisen, doch niemand griff zu. „Sie wissen ebenso gut wie ich, dass niemand bei der Polizei Fragen beantworten braucht, weder als Zeuge, geschweige denn als Tatverdächtiger, solange Sie für Ihre Fragen keine rechtliche Grundlage vorweisen können. Beispielsweise eine Vorladung zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung.“ Ich schaute kurz Küpper an, der allerdings wegblickte. „Wenn ich Ihnen also helfe, ist das eine reine Gefälligkeit von mir. Ich bin überhaupt nicht verpflichtet, Ihnen zu antworten.“

Ich zog an meiner Zigarette. Aber sie wollte mir nicht schmecken. Die peinliche Unterhaltung schlug mir langsam auf den Magen. Ich setzte mich auf den Stuhl in der Zimmermitte, den mir Wenzel in gespielter Großzügigkeit angeboten hatte.

„Woher haben Sie denn dieses dumme Zeug“, knurrte der Staatsanwalt verärgert.

Meine Antwort war bestimmt nicht geeignet, dass inzwischen gereizte Klima zu versachlichen: „Aus zwölf Semestern Jura-Studium“, posaunte ich großspurig hinaus.

Der verschrumpelte Vorgartenzwerg rümpfte verächtlich die Nase und schwieg wütend. Anscheinend war er es wohl gewohnt, dass man vor ihm kuschte und munter und leutselig drauf losplapperte.

„Also gut.“ Küpper meldete sich entschieden zu Wort. „Herr Grundler, wir haben hier einen Haftbefehl gegen Sie vorliegen. Sie stehen unter dem dringenden Tatverdacht, Dr. Müller ermordet zu haben!“

Mein Atem stockte bei dieser für mich unfassbaren Verlautbarung, mein Herz pochte laut vor Erschrockenheit, das Blut stieg mir dröhnend in den Kopf. Ich begann zu schwitzen.

Bevor ich vernünftig auf diese Attacke reagieren und überlegen konnte, hatte Küpper weitergeredet: „Und um klar Schiff zu machen: Hier haben wir auch noch einen Hausdurchsuchungsbefehl!“

Der Kommissar überreichte mir zwei Schriftstücke, die ich mit zittrigen Fingern an mich nahm. Mehrmals überflog ich hastig die beiden Blätter. Ich war unfähig, ihren Inhalt zu verstehen und zu verarbeiten. Meinen Namen las ich, Haftbefehl, dringender Tatverdacht, Antrag der Staatsanwaltschaft, Paragraphen zweihundertelf, zweihundertzwölf Strafgesetzbuch, Schwere der Tat, Fluchtgefahr, Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume, Beschlagnahme von Beweismitteln, Paragraphen einhundertzwei und einhundertfünf Strafprozessordnung.

Nur langsam konnte ich mich wieder beruhigen. Die Polizisten hatten mich also doch schon verdächtigt, als sie mich am Mittwoch besucht hatten. Aber wieso? Ich ließ den Besuch noch einmal durchs Gedächtnis laufen. Ich hatte doch keinerlei Anlass geboten, der mich verraten haben könnte.

Der Angriff nach vorne schien mir jetzt das einzig probate Mittel. „Ich soll Dr. Müller ermordet haben“, fragte ich den Staatsanwalt. Die Hände unschuldsbeteuernd vor die Brust geschlagen, betrachtete ich die drei Kriminalisten, die mir mit unbewegten Mienen zuhörten.

„Ich? Das ist doch hirnspinstiger Wahnsinn, den Sie sich da ausgedacht haben, um in der Öffentlichkeit einem Erfolg melden zu können. Wann, wieso, weshalb und warum, frage ich Sie. Der Mensch war mir doch völlig gleichgültig. Ich habe nichts von seinem Tod“, redete ich laut und eindringlich auf die Beamten ein.

Meyer hatte mir nur gelangweilt oder sogar amüsiert zugehört. Dieses Gezeter veranstalteten die meisten, denen er einen Haftbefehl aushändigen ließ. „Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern“, leierte er monoton.

„Ja, ja“, unterbrach ich ihn mit einem gequälten Stöhnen. „Ich weiß. Das einzige, das ich möchte, ist ein Rechtsanwalt, der anwesend ist, wenn Sie sich mit mir unterhalten.“ Es schien mir wenig ratsam, auch nur ein einziges weiteres Wort ohne neutralen Beobachter zu verlieren.

„Warum denn so plötzlich, auf die Schnelle, einen Rechtsanwalt“, hakte der Staatsanwalt ironisch nach. Wie eine neugierige Spitzmaus aus ihrem Loch blickte er hinter seiner Nickelbrille hervor. „Wohl doch Dreck am Stecken, was?“ Auch hier machte er es sich mit anscheinend typischer Kriminalistenlogik sehr einfach.

„Quatsch“, entgegnete ich bissig. „Aber ich weiß genau, was Sie mir alles andichten, beziehungsweise, wie Sie meine Worte verstehen wollen, wenn ich alleine ohne Zeugen gegen Sie anreden soll.“

„Wollen Sie uns etwa unterstellen, wir würden versuchen, Tatsachen zu verfälschen?“ Meyer brauste temperamentvoll auf. „Jetzt werden Sie bloß nicht auch noch unverschämt!“

„Sehen Sie“, erläuterte ich, wobei ich versuchte, ruhig zu bleiben und vernünftig auf ihn einzureden, „Ihre Folgerung beruht schon auf einem Missverständnis. Sie haben meine Worte anders ausgelegt, als ich sie meinte. Nur um diese Gefahr zu verhindern, halte ich es für angebracht, mich mit Ihnen über den Fall, soweit er mich überhaupt betrifft, nur in Anwesenheit eines Anwalts zu unterhalten.“ Ich war Meyer beinahe schon dankbar, dass er mir so leicht die Möglichkeit gab, die Anwesenheit eines Rechtsanwaltes als dringend erforderlich anzusehen.

„Um aber nochmals auf den lächerlichen Haftbefehl zurückzukommen, Herr Staatsanwalt. Sie haben aus Gründen, die ich nicht kenne, einen Haftbefehl gegen mich erwirkt. Also müssen Sie aufgrund irgendwelcher Anhaltspunkte und Folgerungen zu dem Schluss gekommen sein, dass nur ich als Mörder von Dr. Müller angesehen werden kann.“ Meyer hörte mir aufmerksam zu. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir darüber Auskünfte geben könnten.“

Der Haftbefehl war, für sich betrachtet, nach meinem Dafürhalten nur eine lächerliche Farce, die mich zwar kurzzeitig aufgeregt hatte, die mir aber alleine noch keinen dauerhaften Schrecken einjagen konnte. Dazu gehörte schon etwas mehr, dachte ich mir, jetzt, nachdem ich meine Fassung wiedergewonnen hatte.

„Richtig“, bemerkte Küpper ruhig. Er sprach jetzt anstelle von Meyer und bemühte sich besonnen, die Atmosphäre zu versachlichen. „Und ich will, das Einverständnis von Staatsanwalt Meyer vorausgesetzt, Ihnen offen und nüchtern unsere Rekonstruktion der Tat schildern.“

Meyer nickte ihm zustimmend zu. „Nachdem Sie unsere Version gehört haben, Herr Grundler, können Sie sich äußern oder erst auf Ihren Rechtsanwalt warten“, schlug er jovial vor.

„Oder schlicht und einfach schweigen“, fügte ich eine dritte Möglichkeit hinzu.

„Nun gut.“ Küpper überhörte geflissentlich meine Replik. „Wir gehen bei unserer Arbeit im Prinzip immer nach einer bestimmten Faustregel vor, indem wir uns fragen: Wer hat wen, wann und wo, weshalb und warum in irgendeiner strafrechtlich relevanten Weise behelligt? Wir stellen uns nun den Hergang der Tat wie folgt vor: Sie, Herr Grundler, sind am Sonntag kurz vor drei Uhr zu Dr. Müller gefahren. Er ließ Sie in seine Wohnung eintreten, weil er glaubte, Sie wollten wegen Ihrer Entlassung noch einmal mit ihm sprechen. Im Wohnzimmer kam es zwischen Ihnen und Dr. Müller zu einem erhitzten Wortgefecht, und als sie merkten, dass Dr. Müller nicht bereit war, Ihre Entlassung rückgängig zu machen, nahmen Sie Ihre Pistole und schossen auf ihn. Nach der Tat fuhren Sie nach Hause.“ Küpper lächelte schwach: „Das Motiv für Ihr Handeln liegt klar auf der Hand: Sie waren dringend auf die Beschäftigung angewiesen und völlig verzweifelt, weil Dr. Müller Sie entlassen hat. Sie stehen jetzt mittellos auf der Straße. Ihre Frau, die Ihren unsteten Lebenswandel bisher unterstützt hat, ist nicht weiter bereit, für Sie aufzukommen.“

Mit offenem Mund staunte ich den Kommissar einige Zeit lang an. Das war ja die reinste Märchenstunde! Mühsam rang ich nach Worten. „So einfach ist das also, einen Mord aufzuklären? Sie stellen doch nur Behauptungen auf. Die Unterstellung bezüglich meiner Frau ist schlichtweg unverschämt.“ Ich schüttelte den Kopf. „Sie müssen doch Beweise haben für Ihre blödsinnige Konstruktion. Und die haben Sie nicht! Die können Sie einfach nicht haben, weil es sie nicht gibt und nicht geben kann!“

„Wir haben die Beweise.“ Der Staatsanwalt schaltete sich wieder in das Gespräch ein. Er gab sich souverän. „Aber ich sehe keinerlei Veranlassung, Ihnen jetzt unsere Beweismittel vorzulegen. Das hat Zeit für später“, sagte er ungehalten. „Jedenfalls reichen die Beweise vollkommen aus, um gegen Sie einen Haftbefehl zu erwirken, Herr Grundler. Sie müssen also triftig sein.“ Mit weit ausholender Handbewegung lud mich Meyer gönnerhaft und hinterlistig zu einer Gegenrede ein. „Doch jetzt haben Sie die Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Bitte sehr!“

Vehement weigerte ich mich. „Ich denke nicht daran, auch nur ein einziges Wort über Ihre irrsinnige Konstruktion zu verlieren“, erwiderte ich trotzig. Wenn ich jetzt irgendetwas sagte, was gegen seine angeblichen Beweise sprach, hätte er diese Mittel immer noch so frisieren können, dass ich dagegen keine Abwehrmittel gehabt hätte. „Immer noch gilt wohl, dass Sie als Staatsanwalt Beweise für meine Schuld vorlegen müssen. Nicht ich muss meine Unschuld zweifelsfrei beweisen.“ Ich ließ meinen Blick wieder über die drei Männer schweifen, die mich still beobachteten.

„Ich bin unschuldig! Mehr möchte ich hier und heute nicht zu diesem Trauerspiel sagen.“ Mit trotzigem Schweigen lehnte ich mich in dem Stuhl zurück und verschränkte im stillen Protest die Arme vor der Brust. Die können mich allemal, sagte ich mir.

„Ein Gerechtigkeitsfanatiker“, höhnte Wenzel mit seinem arroganten Grinsen, was ihm einen bösen und strengen Blick von Küpper einbrachte. Für mich war der bekloppte Heini endgültig gestorben; er ist und bleibt eben ein Polizist, kein Mensch.

„Staatsanwalt Meyer hat mir den Auftrag erteilt, den Fall Dr. Müller weiterhin zu bearbeiten“, redete der Hauptkommissar erklärend und versöhnlich auf mich ein. „Mir liegt selbstverständlich nichts daran, einen Unschuldigen wegen Mordes hinter Gitter zu bringen.“ Küpper legte wieder eine seiner kleinen Kunstpausen ein. „Aber ich nehme nach meiner persönlichen Überzeugung aufgrund der vorliegenden Aspekte an, Herr Grundler, dass Sie Dr. Müller erschossen haben könnten, und ich werde Ihnen jetzt, obwohl ich dazu beim momentanen Stand der Dinge dazu nicht verpflichtet bin, unsere Beweismittel vorlegen.“

„Wieso sagen Sie das?“ Ich wunderte mich über Küpper, der mir doch noch am Mittwoch versichert hatte, er könne sich mich nicht als Mörder vorstellen.

„Zu dem Zeitpunkt hatten wir auch noch nicht die erdrückenden Beweise, Herr Grundler“, erwiderte der Kommissar kühl.

Voller Skepsis blickte ich ihm in die Augen. Küpper konnte unmöglich hieb- und stichfeste Beweise gegen mich haben.

„Erstens: In der Wohnung von Dr. Müller wurde ein Zigarettenfilter gefunden, der wahrscheinlich Ihre Fingerabdrücke aufweisen wird. Zweitens: ...“ „Moment, Moment!“ Ich unterbrach ihn kurzerhand. „Woher wollen Sie wissen, dass es sich dabei um meine Fingerabdrücke handelt?“ Es konnten doch diejenigen eines anderen sein, warum ausgerechnet die meinen?

„Wir haben bei unserem Besuch in Ihrer Wohnung aus dem Aschenbecher eine brauchbare Zigarettenkippe entnommen und die Fingerabdrücke auf beiden Objekten verglichen“, mischte sich Wenzel übertrieben freundlich in das Gespräch ein. „Allem Anschein nach sind die Profile identisch.“

Diese Eröffnung verschlug mir für einen Moment die Sprache, und Küpper fuhr in seiner Beweisauflistung fort, bevor ich protestieren konnte wegen der unzulässigen Vorgehensweise.

„Zweitens: Ihr Fahrzeug wurde während der Tatzeit in der Nähe der Wohnung von Dr. Müller gesehen, direkt am Rurufer an der Dr.-Overhues-Allee.“

Erneut wollte ich lauthals protestieren, doch wehrte der Kommissar meinen Einspruch mit einer raschen Handbewegung ab.

„Drittens: Auf dem Wohnzimmertisch im Hause des Opfers lag ein schreibmaschinenbeschriebenes Blatt mit der Aufschrift: 'Jetzt bekommst Du Schwein das, was Du verdient hast!' Ein Blatt, von dem wir annehmen, dass Sie es zurückgelassen haben, Herr Grundler, und das darüber hinaus auch das Motiv für Ihre Tat aufdeckt. Wir werden deshalb von Ihnen Fingerabdrücke abnehmen lassen und diese mit denen auf dem Papier vergleichen.“

„Sofort“, schlug ich eilfertig vor. „Die Fingerabdrücke können überhaupt nicht von mir sein, weil ich das Blatt nicht geschrieben und infolgedessen auch nicht in das Wohnzimmer von Müller gelegt habe. Wo können wir die Prozedur vornehmen“, fragte ich mit einem Hoffnungsschimmer.

Sicherlich, der von Küpper vorgelesene Satz war mir nicht unbekannt, weil ich ihn annähernd auch schon einmal vor wenigen Tagen innerhalb einer Kurzgeschichte geschrieben hatte. Aber dieser Umstand besagte meines Erachtens nicht viel, und außerdem hatte die Polizei von meinem Wissen keine Ahnung.

Anscheinend von vornherein auf die Abnahme vorbereitet, entnahm Wenzel seiner Schreibtischschublade ein Stempelkissen und ein Formblatt, auf das ich in die vorgesehenen Kästchen die mit Druckerfarbe geschwärzten Fingerkuppen drückte. „So, das wär's dann wohl“, meinte ich optimistisch. „Jetzt vergleichen Sie mal schön und vor allen Dingen ordentlich.“

„Die Untersuchung wird einige Stunden in Anspruch nehmen“, meldete sich Küpper und dämpfte meine Euphorie gehörig. „Ich schlage vor, wir besuchen in der Zwischenzeit Ihre Wohnung und schauen uns dort ein wenig um.“

Aber diese Aktion ist doch überflüssig, wandte ich protestierend ein. „Es wird sich herausstellen, dass das Papier niemals meine Fingerabdrücke aufweist oder aufweisen kann. Weshalb wollen Sie dann noch ein Durcheinander in meiner Behausung anstellen?“

Meinen Wunsch nach einem Rechtsanwalt hatte ich inzwischen in der Aufregung schon wieder vergessen. Vielleicht war das ja auch die Taktik der Polizei gewesen.

Mein Einwand fand keine Zustimmung. Vielmehr bellte die Spitzmaus von Staatsanwalt wütend los. „Wir haben hier den Hausdurchsuchungsbefehl! Und der gibt uns das Recht, Ihre Wohnung zu durchleuchten. Ob es Ihnen nun passt oder nicht, Herr Grundler, dieses Recht nehmen wir uns jetzt!“ Mit einem zornigen Funkeln verabschiedete er sich von mir und knallte erbost die Bürotür hinter sich zu.

Schulterzuckend ergab ich mich meinem ungünstig gesonnenen Schicksal und trottete hinter Küpper und Wenzel hinterher. Der Lackaffe hätte mir am liebsten Handschellen angelegt. Nur das Eingreifen seines Chefs bewahrte mich vor diesem Ungemach.

In einer Kolonne von vier Streifenwagen fuhr die Polizei mit mir zu meiner Wohnung. Als könnte es nicht anders sein, standen natürlich und rein zufällig einige meiner Nachbarn im Hausflur, die unseren Einzug in stummer Verwunderung beobachteten.

„Was suchen Sie eigentlich?“ Ich wandte mich fragend an Küpper, während er in meinem Wohnzimmer herumstöberte und dabei meine Schallplattensammlung zu meinem Unmut unsanft durch die Regale schob.

„Nun, beispielsweise die Tatwaffe und außerdem einen Gegenstand aus der Kunstsammlung von Müller. Es fehlt darin nämlich ein Amulett, wie wir gestern festgestellt haben. Dr. Müller hatte alle seine Wertgegenstände fotografiert und katalogisiert. Hier, sehen Sie sich dieses Bild an!“ Küpper zog aus seiner Brieftasche eine Fotografie und reichte sie mir.

„Indonesisches Amulett, das im extremen Symbolismus den Gott Garuda zeigt. Wert zirka 25.000 Mark“, las ich auf der Rückseite des Fotos. Ich betrachtete das abgebildete Amulett, eine goldbeschlagene, ineinander verflochtene Figur, die an zwei verknotete Schlangen erinnerte.

Ich musste lächeln. „Wie ein Garuda sieht das Ding aber nicht aus“, bemerkte ich zu Küpper, als ich ihm das Bild zurückgab.

„Wieso? Kennen Sie den Garuda?“ Interessiert betrachtete mich der Kommissar.

„Ja“, gab ich ihm zur Antwort und klärte ihn auf: „Garuda ist der Oberheilige von Indonesien, und im Nebenberuf gibt er der staatlichen Luftfahrtgesellschaft dort ihren Namen. Hinten in der Ecke steht übrigens eine Holzfigur, die den Garuda in seiner normalen, bekannten Form darstellt. Meine Frau hat sie im vorigen Jahr aus ihrem Urlaub mitgebracht.“ Ich zeigte ihm die große Schnitzerei, die wir provisorisch in einer Glasvitrine untergebracht hatten.

Verblüfft und interessiert betrachtete der Kommissar das geschnitzte Stück Holz. „Sie haben recht“, bestätigte er mir nach einer Weile. „Auch ich erkenne keinerlei Ähnlichkeit. Nur weiß ich nicht, welcher von den beiden Garudas dem Original am nächsten kommt.“

Nachdenklich lächelte er mich an. Fast flüsterte er mir zu: „Entweder sind Sie kaltblütig bis in die letzte Spitze Ihres kleinen Zehs oder ...“

„… oder was?“

„… oder Sie sind doch unschuldig, Herr Grundler.“ Erleichtert atmete ich auf, während Küpper weiterredete. „Es verblüfft mich ungemein, mit welch stoischer Ruhe Sie mir von diesem ominösen Gott erzählen, obwohl Sie ganz genau wissen, dass ich gerade ihn in Ihrer Wohnung vermute oder vermutet habe.“

Küpper blickte kurz auf. „Warum ist Ihre Frau eigentlich alleine nach Indonesien gefahren?“

„Sie wollte dorthin und hat das Geld. Ich bin pleite und lag gerade in den letzten Zügen meines Staatsexamens.“

Meine Antwort schien ihm vollauf zu genügen.

Allem Anschein nach war Küpper also doch vernünftig und ich lag mit meiner Einschätzung nicht völlig falsch. Auch wenn er mich eigentlich in die Pfanne gehauen und mich hintergangen hatte, schenkte ich ihm dennoch mein Vertrauen und fand ihn sympathisch. Er würde die Chose schon zu meiner Zufriedenheit schaukeln und rasch erkennen, dass mir der Mord an Dr. Müller nicht so ohne weiteres anzuflicken war. Der erste Schritt in diese Richtung war jedenfalls getan. Lediglich verstand ich nicht, warum Küpper mir seine Analyse ausgerechnet in dieser Situation vortrug. Die Angelegenheit mit dem Garuda schien mir von ihm doch allzu sehr überbewertet zu werden. Oder hatte er etwa seine Erläuterungen gar nicht ernst gemeint? Ich musste weiterhin vorsichtig bleiben. Wenzel unterbrach unser stummes Zwiegespräch. „Chef, kommen Sie bitte her“, rief er aufgeregt aus dem Arbeitszimmer herüber, „ich glaube, ich habe etwas wichtiges gefunden!“

Der Blick von Küpper verdunkelte sich unwillkürlich, als er zu dem Inspektor eilte. Neugierig folgte ich ihm.

Was soll denn das schon wieder, dachte ich mir. Nach meinen Überlegungen konnte er absolut nichts von Belang entdeckt haben.

Wenzel hingegen strafte meinen Gedanken Lügen. Er hielt stolz einen geöffneten Aktenordner in den Händen.

„Hier, lesen Sie 'mal“, forderte er freudig erregt den Kommissar auf und wies auf einem Blatt Papier mit vor Aufregung zitternden Fingern auf eine ihm wichtig erscheinende, bestimmte Stelle.

„Jetzt bekommst Du Schwein das, was Du verdient hast!“, las Küpper laut vor. Nach einer kurzen Besinnungspause wandte er sich an mich. „Kommt Ihnen dieser Satz nicht auch bekannt vor, Herr Grundler?“ Kritisch musterte er mich von unten bis oben.

„Natürlich“, lautete meine offene und ehrliche Antwort. Was konnte mir schon groß passieren? Ich war mir absolut sicher in meiner Position. „Der Satz, den Sie gerade vorgelesen haben, ist der letzte Satz einer Kurzgeschichte, die ich vor einigen Tagen geschrieben habe.“

„Und dies ist ebenfalls der Satz der auf dem Blatt steht, das wir bei Dr. Müller gefunden haben“, erinnerte mich Küpper überflüssigerweise. „Zufall – oder was?“, fragte er mit spürbarer Ironie und er bat mich sogleich, ohne überhaupt auf eine Erklärung von mir zu warten, die Worte mit meiner Schreibmaschine nochmals auf ein frisches, leeres Blatt zu schreiben.

Bereitwillig und zuvorkommend kam ich seiner Bitte nach. Hundertprozentig war ich davon überzeugt, dass sich bei dem Vergleich der verschiedenen Blätter, den der Kommissar sicherlich vornehmen lassen würde, Unterschiede herausstellen würden, die mich entlasten würden. Andererseits: Was hätte ich durch meine Weigerung eigentlich erreicht?

Wenzel nahm meine Schreibprobe behutsam an sich und deponierte sie vorsichtig in einer Plastikhülle.

Stunde über Stunde durchwühlten die Polizeibeamten meine Wohnung. Wie ich nicht anders erwartet hatte, konnten sich nicht einen einzigen Anhaltspunkt finden, der auch nur andeutungsweise auf meine Täterschaft Rückschlüsse zulassen konnte; sehe ich einmal von dem Satz ab, den der blöde Wenzel durch Zufall entdeckt hatte. Aber das beunruhigte mich nicht weiter. Die Pistole oder das Amulett würde die Polizei in meiner Wohnung garantiert nicht finden.

„Das wär's dann wohl“, bemerkte ich hochnäsig, als sich die Durchsuchungstruppe mit einem Anflug von Resignation zurückziehen wollte, „außer Spesen nichts gewesen. Wie wär's denn, wenn Sie jetzt auch noch ein bisschen aufräumen würden?“, fragte ich bissig und wies um mich in die Wohnung. In ihr sah es aus, als hätten mehrere volltrunkene Einbrecher gemeinsam nach einer versteckten Flasche Schnaps gesucht und nach vergeblicher Suche „Blinde Kuh“ gespielt. Papiere und Kleidungsstücke lagen in allen Zimmern verstreut auf dem Boden. Schranktüren standen offen, Schubläden waren bis zu einer riskanten Kippstellung herausgezogen worden. Etliche Möbelstücke befanden sich nicht mehr an ihrem üblichen Platz. Im Arbeitszimmer hatte Wenzel eifrige Arbeit geleistet und mich spüren lassen, wie wenig Rücksichtnahme ich von ihm zu erwarten hatte. Sämtliche Bücher, über tausend Stück, hatte er in seinem Eifer aus den Regalen gerissen, jedes einzelne Blatt aus den zahlreichen Aktenordnern inspiziert und anschließend achtlos auf den Boden geworfen. Anscheinend hatte er alle Kugelschreiber auseinandergebröselt und zu Dekorationszwecken stilvoll auf den geschaffenen Papierteppich verteilt.

Meinen Protest tat Wenzel mit einem hämischen, provokanten Grinsen ab. Er grapschte zudem ungefragt nach dem Telefonapparat, während er mich durch einen Hilfssheriff in die Diele schubsen ließ.

Meine Erregung über das überflüssige Tohuwabohu in meinem Arbeitszimmer war noch nicht abgeklungen, als nach wenigen Augenblicken Küpper mit seinem betrübten Bernhardinerblick auf mich zutrat. Seine Mimik versprach nichts Gutes.

„Tja, Herr Grundler“, begann er mit gefährlicher Langsamkeit, die nichts Gutes erahnen ließ „Wir haben inzwischen Ihre Fingerabdrücke auf dem Revier vergleichen lassen.“

„Und?“ Wissbegierig und hoffend, zugleich aber auch mit Furcht erfüllt und skeptisch starrte ich ihn regungslos verharrend an.

„Die Abdrücke sind identisch!“

Wie vom Blitz getroffen – getroffen, diese abgedroschene Redensart traf hier tatsächlich zu – zuckte ich zusammen. Wieder schlug der dicke Hammer auf mich ein, zum wievielten Male heute eigentlich?

„Das ist doch gar nicht möglich“, stammelte ich ungläubig. „Wieso?“

Küpper wich meinem fragenden Blick aus. „Zweifel sind nahezu ausgeschlossen“, meinte er leise. „Packen Sie die notwendigen Sachen ein, Herr Grundler. Sie kommen ab sofort in Untersuchungshaft!“

Mechanisch, zu keinem vernünftigen Gedanken fähig und begleitet von Wenzels gehässigem Antreiben verstaute ich einige Utensilien in einer Reisetasche und verließ, von dem Inspektor unsanft begleitet, meine Wohnung.

Die Ereignisse waren heute in einer derart immensen Wucht über mich geschwappt, dass ich nicht mehr in der Lage war, noch irgendeinen Widerstand leisten zu können. Ich wollte jetzt nur noch meine Ruhe haben, mich verkriechen, morgen in der Frühe aufwachen und den schlimmen Traum verdrängt haben.

Die schmierige Stimme von Wenzel rief mich in die unbarmherzige Wirklichkeit zurück. Nachdem er die Wohnungstür verschlossen hatte, hakte er sich energisch bei mir unter und drückte mich durch den Hausflur. „Das wär's dann wohl“, echote er voller Spott auf meine frühere Bemerkung.

4.

„Wie kommt die Polizei eigentlich dazu, mich zu verdächtigen? Oder aber, um anders und genauer zu fragen: Wie ist sie gerade auf mich gekommen?“, fragte ich einige Wochen später meinen Rechtsanwalt namens Schulz. Schulz war ein junger Typ, der erst vor kurzem seine Ausbildung beendet hatte und der, der Not gehorchend, sich als Anwalt niederlassen musste. Er machte auf mich beileibe nicht den Eindruck, als könne er auf Dauer in der freien Wildbahn überleben. Schulz war mir vom Gericht als Pflichtverteidiger zur Verfügung gestellt worden, weil ich weder über das nötige Geld verfügte, um mir einen Verteidiger zu kaufen, noch den Namen eines reputierlichen Anwaltes kannte, der meine Verteidigung hätte übernehmen können oder der sich freiwillig für wenig Geld um meine Pflichtverteidigung bemüht hätte. Nun hatte ich mit dem unbeleckten Neuling vorlieb zu nehmen. Sicherlich, wir waren beide ziemlich gleich alt, gleich groß, gleich blond; vielleicht hätten wir sogar als Zwillinge oder Brüder durchgehen können. Doch gab es zwischen uns einen gravierenden Unterschied: Schulz war, im Gegensatz zu mir, ausgebildeter Jurist. Dennoch fühlte ich mich nicht bei ihm in zuverlässiger Obhut. Ich beurteilte Schulz in meiner aufgeregten, übelgelaunten Stimmung als arroganten und unfähigen Dummkopf, der mir nicht das Wasser reichen konnte. Wie sollte der mich bloß verteidigen?

Das Gericht hätte nach meiner Ansicht besser daran getan, mir anstelle dieses Frischlings einen Strafrechtskommentar in die Zelle des Gefängnisses zu schicken, in der ich in Untersuchungshaft saß.

Zu Schulz wollte ich kein Vertrauen haben. Allein schon durch sein Äußeres und sein Gebaren machte er es mir äußerst schwer, ihn als meinen Rechtsvertreter zu akzeptieren. Ich glaubte immer, er könne und wolle mich überhaupt nicht aus der Klemme heraushauen. Er kümmerte sich während der gelegentlichen Besuche bei mir mehr um den schnurgeraden Scheitel, der sein blondes Haar teilte, und die scharfkantigen Bügelfalten seiner Feincordhose als um meine eindringliche Fragerei. Hörte er meinem Lamento überhaupt zu?

Wie ich nicht anders erwartet hatte, konnte Schulz meine Frage nicht zu meiner Zufriedenheit beantworten.

„Keine Ahnung“, bemerkte er mit seiner noch jungenhaften Stimme. „Es gibt zwar in einer Zeitung die Vermutung, die Polizei hätte von einem Unbekannten per Telefon einen Tipp bezüglich Ihrer Person erhalten. Aber dies ist, wie gesagt, eine durch nichts begründete Vermutung. Überdies scheint es mir müßig“, fuhr er mit einem zielenden Blick auf seine Hosenbeine fort, „hierüber Spekulationen anzustellen. Die Tatsachen sprechen eindeutig gegen Sie, Herr Grundler.“

Sein Standpunkt störte mich nicht im Geringsten. Ich ließ nicht locker. „Wegen einer feigen Verdächtigung entlarvt die Polizei mich als Täter. Ohne den Anruf wären die Bullen doch niemals auf meine Spur gekommen. Oder?“

Schulz zeigte wenig Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Meine spekulativen Ausführungen interessierten ihn herzlich wenig, wie er mir deutlich machte. „Erstens ist der Anruf bei der Polizei, an dem Sie sich aufhängen, eine reine Vermutung. Und zweitens sprechen die Tatsachen, ich wiederhole mich jetzt absichtlich, Herr Grundler, eindeutig gegen Sie. Was wollen Sie also?“

Ich kam nicht umhin, ich musste Schulz unumwunden bewundern für seine Kaltschnäuzigkeit, mit der er mir als mein Verteidiger zu verstehen gab, dass der Fall für ihn eindeutig und damit gelaufen sei. Resigniert zuckte ich mit den Schultern. Dieser hochnäsige, blondlockige Jüngling konnte beinahe ein Bruder im Geiste meines speziellen