Eigentlich ... Sonni - Elisa Schwarz - E-Book

Eigentlich ... Sonni E-Book

Elisa Schwarz

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Beschreibung

»Ich komme wieder!« Männer sind gefährlich, das hat Sonni als ehemaliger Stricherjunge bereits am eigenen Leib erfahren müssen. Trotzdem heuert er nach Beendigung seiner Berufsausbildung im Club Black Stage als Callboy an. Nicht grundlos, doch erklären möchte er sich dazu nicht. Eigentlich … Nur hat Sonni nicht mit Sergej gerechnet, einem Security-Mitarbeiter des Clubs, dessen Lebensaufgabe es ist, für die Sicherheit der Boys zu sorgen. Sonni fühlt sich von Sergej provoziert, daher fordert er ihn auf die einzige Art heraus, die er aus dem Milieu kennt: Er bietet sich ihm an und beginnt ein Spiel mit ihm, obwohl er genau weiß, dass auch Sergej eigentlich … mit Vorsicht zu genießen ist. Sonnis Schritte in seinem neuen Leben sind gespickt mit Neugierde, Zweifeln, Selbstüberschätzung, Freundschaften, Mut und Erkenntnis. Und was hat es eigentlich … mit gefräßigen Igeln und Mollys auf sich?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sonni
Vorwort
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog
Vielen Dank fürs Lesen
Leseprobe
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Impressum

1. Auflage ebook – Oktober 2024

1. Auflage Taschenbuch - Oktober 2024

ISBN: 9783754662625

© Elisa Schwarz

Kontakt:

[email protected] Elisa Schwarz Krauseneckstr. 24 d 55252 Mainz-Kastel

Coverdesign: Elisa Schwarz Bildrechte: Depositphotos

Korrektorat: Bernd Frielingsdorf

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Textstellen, sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin gestattet. Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiter veräußert werden.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Eigentlich ... Sonni

Elisa Schwarz

Sonni

Eigentlich wusste ich klar zu benennen,

was mir gefiel und was nicht.

Ob es gehört wurde,

stand auf einem anderen Blatt,

und ich schminkte mich nicht,

um jemanden zu ärgern.

Ich malte meine Lippen nicht blutrot mit dem Hintergedanken an,

mein Gegenüber damit zu provozieren.

Das war nie meine Absicht.

Vorwort

& Content Note

»Herzlich willkommen im Black Stage-Universum. Geben Sie sich Ihrer Fantasie hin und lassen Sie sich verführen. Haben Sie keine Hemmungen, sich in die fähigen Hände unserer Angestellten zu begeben und Ihrer Lust freien Lauf zu lassen.«

Liebe Lesende!

Den Sexclub Black Stage hatte ich bereits in Band 1 Eigentlich ... im Vorwort vorgestellt und weise hiermit noch mal darauf hin, dass dieser Ort in all seinen Eigenschaften und Facetten meiner Fantasie entsprungen ist. Der Kosmos in und rund um das Black Stage ist frei erfunden. Obwohl auch Frauen dort bedienen, liegt das Hauptaugenmerk auf der queeren/schwulen Szene. In diesem Buch von Sonni lade ich euch nach Noahs Geschichte erneut ein, hinter die Kulissen zu blicken. Lasst euch die schönen und unschönen Momente im Club durch Sonnis Augen zeigen und begleitet ihn ein Stück seines Lebens. Ich bin kein Fan von faktenverdrehten, träumerischen Kulissen, daher sollte jedem, der dieses Buch liest, klar sein, dass eine Anstellung in einem Sexclub harte Arbeit ist und immer auch ein Stück Bitterkeit mit sich trägt.

CN - Hinweise zu Inhalten/Erwähnungen, die verstörend wirken könnten: Missbrauch, Vergewaltigung, Zwangsstörung, LGBT-Begriffe verunglimpft, Freier, Zuhälterei, Gewalt, explizite Szenen zwischen Männern.

Dieses Buch ist Band 3 der Reihe Black Stage. Ich empfehle, die Bücher in folgender Reihenfolge zu lesen:

1 Eigentlich … (Roman 1)

2 Eigentlich … festlich (Kurzgeschichten)

3 Eigentlich … Noah (Roman 2)

4 Eigentlich … Sonni (Roman 3)

Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen.

Alles Liebe, Elisa

Inhalt

»Ich komme wieder!«

Männer sind gefährlich, das hat Sonni als ehemaliger Stricherjunge bereits am eigenen Leib erfahren müssen. Trotzdem heuert er nach Beendigung seiner Berufsausbildung im Club Black Stage als Callboy an. Nicht grundlos, doch erklären möchte er sich dazu nicht. Eigentlich …

Nur hat Sonni nicht mit Sergej gerechnet, einem Security-Mitarbeiter des Clubs, dessen Lebensaufgabe es ist, für die Sicherheit der Boys zu sorgen. Sonni fühlt sich von Sergej provoziert, daher fordert er ihn auf die einzige Art heraus, die er aus dem Milieu kennt: Er bietet sich ihm an und beginnt ein Spiel mit ihm, obwohl er genau weiß, dass auch Sergej eigentlich … mit Vorsicht zu genießen ist.

Sonnis Schritte in seinem neuen Leben sind gespickt mit Neugierde, Zweifeln, Selbstüberschätzung, Freundschaften, Mut und Erkenntnis. Und was hat es eigentlich … mit gefräßigen Igeln und Mollys auf sich?

Age Gap Roman

Kapitel 1

Kernseife und ich würden in diesem Leben keine Freunde mehr werden. Kernseife war mit das Schlimmste, was ich meiner Haut antun konnte.

Eigentlich …

Dennoch schrubbte ich mir die Hände unter dem eiskalten Wasser mithilfe der körnigen Seife und einer Wurzelbürste, bis die Haut leicht brannte. Mir halbwegs das Gefühl vermittelte, sauber zu sein.

Während ich den Hahn zudrehte, starrte ich auf meinen Handrücken. Feuerrot war der. Shit. Raus hier, Sonni, sofort! Über mich selbst verärgert zog ich mir einen Pullover an und die Ärmel bis zu den Fingerspitzen herunter. Mit einer derartigen Bekleidung im Hochsommer fiel ich vollkommen aus dem Rahmen. Die Leute auf der Straße würden mich auf dem Nachhauseweg anstarren. Zum Teufel mit diesem Dreck. Zum Teufel mit dieser verfluchten Werkstatt.

Ich schnappte mir den Rucksack und wandte mich dem Büro in der Ecke der Werkstatt zu. »Hannes? Ich bin jetzt weg!« Der Werkstattmeister brüllte ein »Alles klar, bis morgen!« zur Antwort. Ansonsten blieb es mucksmäuschenstill. Die Kollegen waren schon im Feierabend. Wenn die Geräusche von Elektroschraubern und Schweißgeräten nicht in der Luft hingen wie ein summender Bienenschwarm und sich niemand derbe Witze oder Befehle zuwarf, breitete sich in den drei aneinanderhängenden Hallen eine merkwürdige Stille aus.

Nur noch wenige Wochen …

Ich riss die im Rolltor eingelassene Tür auf und trat in den Hinterhof, auf dem sich ein Pkw an den nächsten reihte. Einige schrottreif, einige zur Reparatur abgestellt. Arbeit war immer vorhanden und ich war gut in diesem Job. Den Gesellenbrief zum Kfz-Mechatroniker hatte ich praktisch schon in der Tasche und gedanklich die Lehrstätte bereits hinter mir gelassen. Eigentlich der perfekte Grund, den Feierabend ohne schwere Gedanken zu genießen und all den Dreck, den sichtbaren, vor allem aber den unsichtbaren, für den Moment hinter mir zu lassen. Bald für immer. Ich fühlte mich mehr als bereit dazu.

Ich legte den Kopf in den Nacken und nahm einen tiefen Atemzug. Die Bergluft war klar und rein. Transportierte den Duft sommerblühender Wiesen. Von Weidevieh und Kiefer. Intensiver Kieferngeruch. Ich betrachtete den Kiefernwald, der direkt hinter der Werkstatt begann, und verzog die Lippen zu einem Schmunzeln. Wenn dieses Kaff hier nicht am Arsch der Welt lag, welches denn sonst?

Trotz Sonne war die Luft merklich abgekühlt. Sie schaffte es am späten Nachmittag kaum noch, ihre wärmenden Strahlen ins Tal zu schicken, und auf einmal fühlte ich mich in dem Pullover doch weniger deplatziert als angenommen. In den Nächten wurde es sogar empfindlich kalt und klamm, während in einer Großstadt die Hitze um diese Jahreszeit meist in jedem Hauswinkel festhing und die Temperatur selten Schwankungen zwischen Tag und Nacht aufwies.

Ich kam an dem Wohnhaus an, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein, erklomm die Treppe in den ersten Stock und betrat die Bude, die ich mit zwei weiteren Jungs teilte. Ein tomatenwürziger Duft wehte mir entgegen und Susa blickte um die Ecke der Küche, als ich die Tür der WG ins Schloss kickte.

Ein feines Lächeln hockte in ihrem Gesicht fest. »Geschafft für heute?«

»Heißes Fahrgestell.« Sie trug Unterwäsche. Mehr nicht. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Keine Frage, ob es nicht doch wegen des Kochgeruchs sein könnte. Ich mochte Susas Figur, ihre weiblichen Kurven. Ich fand es schön, mit ihr zusammen zu sein. Sie hier zu wissen, machte den zermürbenden Tag, der hinter mir lag, ein wenig besser.

Sie lachte und schmiss ein Küchenhandtuch nach mir. »Blödmann!«

»Ich habe gar nicht mit dir gerechnet.« Ich hob das Handtuch auf und warf es locker zurück, damit sie es auffangen konnte. »Wenn du mir Bescheid gegeben hättest, wäre ich früher gekommen. Ich geh rasch unter die Dusche.«

»Danach gibt es Essen.«

»Perfekt. Ich bin am Verhungern.«

Susa kam auf mich zu und ich blieb so lässig wie möglich stehen, schob ihr eine der Dreads aus dem Gesicht. Mit ihren gepflegten und immer ein wenig nach Lipgloss schimmernden Lippen küsste sie mich. »Kevin und Adrian haben sich gerade verabschiedet. Kevin wollte zu einem Freund, Adrian … keine Ahnung. Sie haben mich reingelassen.«

»Dinner for two also?«

»Viel wichtiger ist die Frage, ob wir dein Bett nehmen oder später zu mir übersiedeln?«

»Meins«, antwortete ich. »Ich bin müde und möchte nicht mehr durch die Gegend gondeln.« Susa wohnte drei Käffer weiter. Das waren hier, am Fuß der deutschen Alpen nahe der österreichischen Grenze, allerdings ein paar Kilometer. Eine halbe Stunde Fahrzeit. Würden wir ihren Kleinwagen nehmen, müsste ich mitten in der Nacht aufstehen, um mit dem Bus rechtzeitig zurückzukommen. Entschieden schüttelte ich den Kopf. Auf gar keinen Fall.

Susa streichelte über den Ärmel des Pullovers. »Ist dir das nicht zu warm?«

Ich zog die Hände tiefer in den Armabschluss. »In der Werkstatt war es frisch.«

Sie sah auf meine hervorlugenden Fingerspitzen und verzog das Gesicht. Sie ahnte, dass ich einen Kampf mit der Nagelbürste hinter mir hatte. »Geh duschen«, sagte sie. »Wir können hierbleiben. Möchtest du noch für die Gesellenprüfung lernen?«

»Hm, nein, heute nicht.«

»Du hast sowieso schon total viel gepaukt. Das kann ja gar nicht schiefgehen.« Klar freute sie sich auf die gemeinsame Zeit, oft genug hatte ich sie ignoriert und meinen Lehrbüchern den Vorrang gegeben. »Hast du endlich mit Hannes geredet?«

Hannes war nicht nur der Werkstattleiter, sondern auch mein direkter Vorgesetzter. Aufpasser ebenfalls. Zumindest fühlte es sich danach an. Er kontrollierte, wann ich kam, wann ich ging. Ob ich Fehlzeiten hatte, die nicht mit Krankheit, Mittagessen oder anderem Kram erklärbar waren, und ob ich mich anständig benahm. Diese allumfassende Kontrolle ging mir gehörig auf die Nerven. Nur noch wenige Wochen, dann hatte ich das hinter mir. Tief atmete ich durch, behielt meine Euphorie für mich und antwortete belanglos. »Nicht so richtig.«

»Was soll das heißen?« Das Handtuch landete auf meinem Arm. »Mann, Sonni. Bald stehst du auf der Straße und hältst es nicht für nötig, mal zu überlegen, was du nach der Ausbildung machen möchtest. Du bist gut, Hannes übernimmt dich sicher.«

»Das ist eine Lehrwerkstatt, nach mir kommen andere. Ich will da auch gar nicht bleiben. Dieser ganze Dreck fängt gerade an, mir richtig krass auf den Sack zu gehen.«

»Gerade erst? Mach uns nichts vor.« Erneut rutschte ihr Blick von meinem Gesicht nach unten auf meine verdeckten Hände. Das Thema Sauberkeit war kein neues zwischen uns. »Bei diesem Job wirst du mit einem gewissen Grad an Schmutz leben müssen. In den letzten Jahren hat das doch wunderbar funktioniert. Das schaffst du auch weiterhin. Also, klappere die Werkstätten der Umgebung ab und kümmere dich endlich. Hast du wenigstens schon bei den zwei Wohnungsanzeigen angerufen?«

»Hm, nein.« Abwehrend hob ich die Hände, bevor sie erneut schimpfen konnte. »Ich hab was anderes im Blick.«

»Echt?« Überrascht kniff sie die Augen zusammen.

»Ist alles noch nicht sicher.«

»Du hast wirklich eine Wohnung in Aussicht?«

»Nein. Also doch, schon …«

»Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Sag schon.«

»Ich muss dringend duschen. Später, ja?« Unsicher kratzte ich über die Arme, fühlte mich dreckig und unwohl. Mein Reinlichkeitsdrang war nach der Straßenkarriere in den Himmel geschossen. Von null auf hundert explodiert. Nichts ging über Körperhygiene. Allein bei dem Gedanken an stinkende Kleidung, versiffte Hinterhöfe und ranzige Schwänze stieg Magensäure in mir auf. Ölverschmierte Finger waren hingegen kaum nennenswert. Eigentlich …

Wenn man halbwegs normal tickte.

Bei meiner ausweichenden Antwort begann Susa zu schmollen. »Na schön. Ich will dich auch nicht nerven, aber es ist wichtig. Du verbaust dir alles, was du dir die letzten Jahre mühsam erarbeitet hast, wenn du nicht langsam über deine Existenz nachdenkst.«

Das klang dramatisch. »Sieh mich an, ich bin das beste Beispiel dafür, dass es ja doch immer irgendwo und irgendwie weitergeht. Damit sie sich auf die Schulter klopfen können. Ein Jugendlicher weniger auf der Straße krepiert.«

Susa seufzte. »Hast du wenigstens schon mit Peter gesprochen?«

Ich erinnerte mich an einige Gesprächsversuche seitens Peter, dem Sozialarbeiter, der unsere WG betreute. Ich hatte ihn mehrfach abgewimmelt. Letztlich hatte er keine Handhabe, denn meine Zeit unter dem Schutz des Jugendamtes lief mit großen Schritten auf das Ende zu. Danach wurde ich in die weite Welt entlassen. Dummerweise fühlte es sich an, als würden sie mich wie ein Küken aus dem Nest stoßen, obwohl ich nichts sehnlicher wollte, als hier rauszukommen. Nur war ich alles andere als flügge, eine verdammte Schwäche war das.

»Ich geh mal.« Ich deutete auf die Badezimmertür und atmete auf, als ich sie hinter mir abschließen konnte. Hastig riss ich die verdreckte Arbeitskleidung von mir und zog die Socken mit spitzen Fingern aus. Alles landete mitsamt der Unterhose und dem eigentlich frischen Pullover in der Waschmaschine und wenig umweltschonend kippte ich die doppelte Menge Waschpulver in die Kammer. Ein tägliches Ritual. Meine Kleidung roch jeden Morgen frisch und bis auf die Flecken, die selbst eine Waschmaschine nicht mehr rausbekam, war sie sauber und sah gepflegt aus. Dafür hatte ich mir von den Kollegen schon mehrfach Spott eingehandelt, die ihre Arbeitskleidung viele Tage hintereinander trugen. Ungewaschen. Sie waren es, die nach Öl, Abgasen und Schweiß stanken, nicht ich.

Minutenlang stand ich unter dem heißen Wasserstrahl und machte dort weiter, wo ich in der Werkstatt aufgehört hatte. Ich schrubbte die Arme mit Duschgel und einer Handwurzelbürste, schäumte Kopf und Körper dreimal ein und entfernte anschließend sämtliche Haaransätze, die sich seit der letzten Rasur wieder durch die Haut gebohrt hatten. Keine einzige Körperstelle blieb verschont. Was Susa an den Beinen und Armen befremdlich fand, feierte sie in meiner Intimzone. Laut ihrer eigenen Aussage fand sie das gut, einen Schwanz zu blasen, ohne störendes Buschwerk zwischen den Zähnen rauspulen zu müssen. Mir persönlich war das egal, es gehörte eben bei Blowjobs dazu. Nur an mir selbst mochte ich Behaarung nicht.

Mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt sowie einem Glätteisen in der Hand versuchte ich den letzten Wellen, die auch nach dem speziellen Haarpflegeprodukt, dem Föhnen und festem Bürsten nicht verschwunden waren, Herr zu werden. Ich war erst zufrieden, als die Strähnen weich um mein Gesicht fielen. Ich nutzte mehr Deo, als nötig wäre, und trug sogar eine Creme auf, die mein Gefühl von Hautreinheit verstärkte.

Erst als ich damit fertig war, fischte ich das Smartphone aus dem Rucksack, den ich mit ins Bad genommen hatte, und entsperrte es. Aufregung erfasste mich, als ich einen Anrufversuch und eine eingegangene Sprachnachricht sah. Von Christopher Anderson. »Ich erreiche dich nicht, daher vorab: Wir erinnern uns sehr gut an dich. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, je wieder von dir zu hören. Schon gar nicht mit dieser Anfrage. Glückwunsch unsererseits, dass du deine Ausbildung bald hinter dir hast. Deiner Bitte um eine Wohnung kann ich ohne weitere Infos leider nicht nachkommen. Das sollten wir in einem Telefongespräch klären, denn das hängt vor allem von deinem zweiten Wunsch ab, im Club zu arbeiten. Bist du dir überhaupt darüber bewusst, um was du mich bittest? Wie auch immer, wir finden eine Lösung für dich, wenn du zurück in die Stadt möchtest. Ruf mich an.«

Yes! Ich ballte die Hand siegessicher zur Faust. Das war kein Nein, oder? Meine Zukunft hing von einem einzigen Anruf ab. Ich würde Chris überzeugen und anschließend durchstarten. Es wurde höchste Zeit, aus diesem Kaff fortzukommen, den Arsch der Welt hinter mir zu lassen und anonym in der Großstadt abzutauchen. Wie damals! Seit drei Jahren fieberte ich darauf hin, ins Clubleben einzusteigen. Ich hatte nicht vergessen, wie sehr Noah von dem Job geschwärmt hatte. Ich wollte dringend ebenfalls dort arbeiten. Egal wie, egal unter welchen Voraussetzungen und Umständen. Chris würde mich einstellen und ich würde den Ruf des dreckigen Stricherjungen von damals endlich von mir streifen und mich beweisen können.

Eigentlich … wollte ich am liebsten laut losjubeln, stattdessen grinste ich mir im Spiegel entgegen und drückte an den Wangen rum. Ernstere, nahezu männliche Linien waren hinzugekommen. Dennoch wirkte mein Gesicht zart, androgyn. Beinahe feminin. Oft wurde ich auf offener Straße angestarrt und das Stirnrunzeln der Fremden war einer einzigen Frage zuzuordnen: Ist das ein Kerl? Ja, verdammt!

Um die Vorfreude wenigstens ein bisschen zu feiern, beförderte ich ein kleines Täschchen, meinen ureigenen Schatz, aus dem Rucksack und stellte es auf den Waschbeckenrand. Mein Herz raste los, wie immer, wenn ich das Gefühl hatte, etwas zu tun, was gegen die Regeln verstieß. Dazu zählte alles, was auffällig war und mit dem ich aus der Reihe tanzte. Nicht mal Susa wusste hiervon und normalerweise war ich vernünftiger … Aber: Yes. Chris hatte sich gemeldet.

Innehaltend lauschte ich mit einem Ohr in den ruhigen Flur und kramte den Kajalstift und den Lidschatten hervor. Für einen Moment hielt ich sogar die Wimperntusche in der Hand. Die Versuchung war groß, die Vernunft siegte dann doch. Dafür war beim besten Willen keine Zeit. Stattdessen beugte ich mich zum Spiegel und trug den Lidschatten auf, betrachtete immer wieder das Zwischenergebnis. Ich nahm eine weitere Farbe hinzu, und sogar noch eine dritte, bis ich zufrieden war, dann war der Kajalstift an der Reihe. Mit diesem betonte ich meine Augenlidränder und blinzelte mir extra verwegen entgegen. Ich formte einen Kussmund, beschloss, auch noch Lippenstift aufzutragen, in dem Moment klopfte Susa an der Tür. Ertappt zog ich die Hand zurück und wischte damit das Täschchen vom Beckenrand. Das Aufkommen auf dem Boden war verräterisch laut, meine Schminksachen verteilten sich.

»Sonni?« Mehrfach drückte sie den Türgriff herunter. »Ist dir was runtergefallen? Kommst du bald? Das Essen wird kalt.« Abermals betätigte sie die Klinke. »Ich werde nie verstehen, warum du abschließt, wenn wir allein sind.«

Ich stürzte auf die Knie und sammelte die Kosmetiksachen auf. »Macht der Gewohnheit. Ich komme gleich. War nur die Zahnbürste samt Becher, die auf dem Boden gelandet sind.«

»Dann entsorg sie lieber.«

»Mach ich.« Meine Hände zitterten, als ich ein Wattepad aus der Plastikverpackung zog und es mit Make-up-Entferner tränkte. Viel zu fest und hektisch rieb ich mir über die Augen, bis mir ein blasses, jugendliches, kaum männlich zu nennendes Gesicht entgegensah und die Haut um die Augen herum gerötet war. »Du bist ein Idiot«, flüsterte ich meinem Spiegelbild entgegen und verstaute die Sachen ordentlich im Rucksack. Ganz weit unten. Unter dem Ersatz-T-Shirt, der Getränkeflasche und meiner Geldbörse. Das Handy schmiss ich obendrauf und wünschte mir, allein zu sein, dann könnte ich das Telefonat mit Chris sofort führen.

Rasch wischte ich mit einem Handtuch das Becken aus, in dem sich Spuren des Lidschattens befanden, und steckte auch dieses ganz unten in den bereitstehenden Wäschekorb. Ein letzter Rundumblick – das Bad war sauber. Unbemerkt von Susa huschte ich in mein Zimmer, schob den Rucksack mit dem Fuß unter das Bett und zog mich in Windeseile an. Frische Unterhose, frische Jeans, frisches Shirt. Auf Socken verzichtete ich, die Füße würden nicht schmutzig werden, ich hatte gestern gesaugt und feucht gewischt. Auf meine Sauberkeit konnte ich mich verlassen.

Susa war dabei, zwei Teller mit Nudeln und Tomatensoße zu befüllen. Ich schlich mich von hinten an und legte die Arme um sie. Sie erschrak kurz, lehnte dann aber den Kopf an meine Schulter und fasste über meine Hände. »Einen ganzen Abend für uns. Wir sollten uns mit dem Essen beeilen.«

»Hungrig?« Belustigt drückte ich einen Kuss auf ihre glänzenden Lippen. Sie hatte den Lipgloss aufgefrischt, er schimmerte wie kleine, perlende Diamanten. Eifersucht kroch in mir nach oben, weil sie es so selbstverständlich durfte.

»Wie verrückt«, antwortete sie, »aber eher hierauf.« Sie drängelte ihren Hintern an meinen Schritt, ich erwiderte den Druck und strich ihren flachen Bauch hinab und über ihr seidenes Dessous. Zartes Begehren flammte in mir auf. Sex mit Frauen war grundsätzlich okay. Zumindest Sex mit Susa, denn darüber hinaus hatte ich nur eine einzige Erfahrung mit einer Frau gesammelt – kurz nach dem Aus meiner Straßenkarriere. Damals, im Wohnheim. Und dieses Erlebnis war keinen Gedanken mehr wert. Susa hingegen war anschmiegsam und auf vielen Ebenen anders als die Männer, mit denen ich schnellen, schmutzigen Sex in dreckigen Hinterhöfen gehabt hatte, der einzig ihrer Befriedigung diente. Nicht meiner!

Susa genoss körperliche, zärtliche Berührungen und liebte es, verwöhnt zu werden. Ich ebenfalls, was ich lernen musste. Die Beziehung mit ihr hatte mir Dinge vor Augen geführt, die ich zuvor niemals erfahren hatte, und mich ein neues Miteinander gelehrt, das mir gänzlich fremd gewesen war.

Sie rieb meinen Penis durch den Jeansstoff, während ich sie zwischen den Schenkeln streichelte und spürte, wie die Seide feucht wurde. Kurz überlegte ich, ihr das Höschen nach unten zu ziehen und es sofort im Stehen mit ihr zu machen. Sie würde es lieben und das, obwohl ich neben ungenügender Verführungsexpertise auch kein begnadeter Liebhaber war. Ich bemühte mich zwar, hatte aber stets das Gefühl, miserabel zu sein. Nicht Susa gab mir das, sondern mein völlig desolater Selbstwert. Beim Akt zwischen Männern wollte ich damals schon nicht aktiv sein. Bei Susa musste ich!

Ihre Stimme riss mich aus dem Gedanken. »Immer diese Jeans. Wolltest du dir nicht endlich mal Shorts kaufen?«

»Hm«, brummte ich, genoss ihre Berührungen und unterdrückte ein Stöhnen. »Gewohnheit.«

»Ich hasse diesen festen Stoff.«

»Ich liebe Jeans.«

Susa seufzte. »Lass uns essen, ich will sie dir ausziehen.« Sie leckte sich über die Lippen, drückte ein letztes Mal zu und wand sich aus meiner Umarmung. »Nimmst du die Teller?« Sie suchte Besteck aus der Schublade und setzte sich an den Tisch, verfolgte mich aufmerksam. »Du solltest aufhören, dir die Beine zu rasieren.«

»Wieso? Ist doch meine Sache.«

»Ja, schon, ich find’s auch echt scharf an dir und will dir nicht reinreden, aber ich glaube, das ist der Grund, warum du dich nicht traust, in Shorts aus der Wohnung zu gehen. Wir waren zum Beispiel noch nie gemeinsam schwimmen. Dabei ist es megatoll am Badestrand, ich wünschte, du würdest mal mitkommen.«

Ich zuckte mit den Schultern. Was andernorts vermutlich normal war, war hier undenkbar. Dieses Kaff war im tiefsten Homophobien angesiedelt und darüber hinaus im Wunderland. Ehrlich! Männer waren hier noch echte Kerle. Richtige, beinharte Typen eben. Wären sie zumindest gern, denn sie konnten sehr gut aufzählen, was einen echten Mann ausmachte, und Typen wie ich, mit androgyner Optik und rasierten Armen und Beinen, zählten schlicht nicht dazu. Obwohl es viele Sportarten gab, die eine Rasur sogar voraussetzten – der Profiradsport zum Beispiel. Dort rasierten sich die meisten Sportler glatt. Aber ich war kein Biker und hatte entsprechend keine Begründung. Ich blieb also fern von solchen Treffen, wo ich mir dumme Sprüche einfangen würde, und konnte dafür tun und lassen, was ich wollte. Hinter verschlossenen Türen. Auf irgendetwas musste ich eben verzichten. Und auf hässliche Begegnungen, gleich welcher Art, war ich nicht scharf.

Susa musterte mich mit schräg gelegtem Kopf und umkreiste mit dem Finger ihr Auge. »Hast du geweint? Deine Haut ist gerötet.«

Fuck, nein! Kerzengerade setzte ich mich auf. »Hab wohl nicht aufgepasst, mir ist Shampoo in die Augen gelaufen.« Gleichzeitig verfluchte ich mich für die Dummheit, mich zu schminken, wenn ich Minuten später mit Susa zusammen war. Klar fiel ihr das auf!

Nachdenklich drehte sie an einer Dreadlock und ich machte mich auf alles gefasst. »Wegen vorhin noch mal … Ich könnte Paps fragen, ob er uns bei der Wohnungssuche behilflich ist. Der ist doch meist informiert, wenn irgendwo was frei wird, und es wäre superpassend, wenn wir gemeinsam was suchen.« Ihre Augen, so durchbrochen grün wie der Kiefernwald hinter der Werkstatt, strahlten und in mir begann ein nervöses Kribbeln. »Wir zwei zusammen in einer Wohnung. Das wäre klasse.« Nicht! Wo kam diese Idee denn her? Shit! Ich hatte das Ende unserer Beziehung unzureichend durchdacht, als ich Chris angeschrieben hatte. Da kam mir das alles noch irre weit weg vor. Jetzt nicht mehr. Jetzt, wo er sich gemeldet hatte, war das präsent in mir.

Mein Herz klopfte hart, meine Handflächen begannen zu schwitzen. »Das erlaubt dein Paps sicher nicht«, sagte ich vorsichtig. Das bevorstehende Telefonat mit Chris brannte mir plötzlich unter den Nägeln. Seine Frage, ob ich mir bewusst darüber war, um was ich ihn gebeten hatte, wurde irre laut in mir. Keinesfalls konnte Susa mit mir gehen. Druck baute sich hinter meinen Augen auf, rasend schnell. Ich wollte hier weg – ich musste hier weg. Ich musste Susa verlassen! »Ich … du … wartest doch auf Unizusagen«, sagte ich lahm und fühlte mich elendig schlecht dabei. »Am Ende sitzt du in drei Monaten in München und –«

»Ich komme an den Wochenenden nach Hause.«

»Fernbeziehung«, krächzte ich. »Das will ich nicht.«

»Aber, Sonni –«

»Das geht auch nicht.«

»Wieso sollte das nicht gehen? Das muss ja nicht dauerhaft sein.«

»Ja, aber … Ich will das nicht. Es ist so, dass …« Gedanklich ging ich die Sprachnachricht von Chris durch. Er hatte mir nicht zugesagt. Aber ich würde ihn überzeugen. Ich sollte Susa reinen Wein einschenken. Jetzt! Bevor die Verbitterung und Verwirrung sie auffraß. Wir waren seit fast drei Jahren ein Paar. Ich bald fertig mit der Ausbildung, sie selbst hatte ihr Abitur in der Tasche. Wir könnten Pläne machen. Richtige, riesige Pläne. Könnten. Wenn ich nicht schon eigene ganz für mich allein geschmiedet hätte. »Also …« Ich räusperte mich, der Kloß in meinem Hals war ekelhaft. »Also, ich …«

»Jetzt sag schon«, fauchte sie. »Warum nicht?«

»Ich gehe weg von hier. Vermutlich hätte ich dir das schon viel früher sagen sollen, nur … Shit, Susa, ich hatte keinen Kopf dafür und weiß es selbst noch nicht zu hundert Prozent.«

Ihre Gabel klapperte auf den Tellerrand und Spritzer von der Tomatensoße landeten auf dem Tisch. Bei dem Anblick verstärkte sich meine Übelkeit. »Wie meinst du das? Wohin willst du denn?«, fragte sie energisch und ich versuchte mich wieder auf sie zu konzentrieren.

»Zurück in die Großstadt.«

»Hammer! Und das erzählst du mir so nebenbei? Hast du vergessen, was dir dort passiert ist?«

»Nein! Trotzdem will ich zurück.« Gerade deswegen.

Ihr Mund klappte auf! Das Kieferngrün ihrer Augen waberte gefährlich, als würde ein Orkan durch die Baumkronen fegen. »Krass, du bist vergewaltigt worden. Du hattest nicht mal ein Dach über dem Kopf. Was zur Hölle willst du da? Bist du total bescheuert? Was bedeutet das eigentlich … Also, was bedeutet das für uns?« Es wurde irre still am Tisch, bis die erste Träne auf ihrer Wange schimmerte und sich alles in mir zusammenzog. Susa hatte was Besseres verdient. Nicht so einen abgefuckten Kerl wie mich. »Du willst dich von mir trennen?«

»Nein!« Ich schluckte hart, drängte die eigenen Gefühle zurück. »Also doch. Es tut mir leid. Darüber, also über uns, hatte ich nicht wirklich nachgedacht. Für mich war von Anfang an klar gewesen, dass ich zurückgehe.«

»Das kann nicht dein Ernst sein«, wisperte sie, tränenerstickt. »Du stürzt dich wissentlich ins Unglück, dabei könnten wir es richtig gut haben.«

»Ich muss hier weg. Wenn ich eines mit Sicherheit weiß, dann das. Was auch immer mich dort erwartet, aber alles ist besser als dieses Kaff hier. Ich ersticke.«

»Ach.« Schnaubend wischte sie eine nächste Träne weg. »Weil ich dir keine Luft zum Atmen lasse?«

»Darum geht es doch gar nicht.«

»Mann, Sonni… du kannst doch nicht einfach alle Zelte abbrechen. Wohnung und Arbeit fliegen dir nicht zu! Was genau hast du vor? Den Typ zu finden, der dich damals missbraucht hat? Am Ende schlitzt der dich auf.«

»Passiert schon nicht«, sagte ich und zog die Schultern hoch. Ich wusste das erste Mal in meinem Leben, was ich wollte. Dennoch war es ein merkwürdiges Gefühl, einer Beziehung – einer eigentlich echt tollen Beziehung – nur noch wenige Wochen zu geben. Ganz ohne Streit oder Trennungsgrund. Wobei der Streit nahte.

Der Appetit war ihr vergangen. Sie schob den Teller von sich und verschmierte damit die Soßenspritzer auf der Tischplatte. Mich schüttelte es. Ich riss mich hart zusammen, um nicht aufzuspringen und einen Lappen zu holen. Susa bemerkte meinen Ekel. Wenigstens einen der dünnen Tomatenstreifen entfernte sie mit dem Zeigefinger, den sie anschließend ableckte und mich dabei beobachtete. »Du machst also Schluss mit mir? Das wusstest du vorhin noch nicht? Und die letzten Tage und Wochen?« Ich ließ ihren sengenden Blick über mich ergehen, mit jedem Wort wurde sie lauter. Zumindest half das, den Gedanken an einen schmutzigen Tisch beiseitezuschieben, mein übelst schlechtes Gewissen marterte mich. »Scheiße, Sonni! Das ist dir wirklich ernst! Ich kann das gar nicht fassen. Das eröffnest du mir, bevor wir miteinander ins Bett wollen? Deine Prüfungen beginnen bereits in zwei Wochen.«

»Dann bin ich noch lang nicht durch. Mündliche ist erst in einem Monat. Ein paar Wochen bin ich also schon noch hier.« Du bist so abgefuckt scheinheilig! Sie müsste dich richtig anschreien. Jede Oktave höher hättest du verdient.

Statt lauter zu werden, ging ihr die Luft aus. Schreien hatte Susa noch nie befriedigt und eigentlich war es eine der Eigenschaften, die ich an ihr schätzte. Sie schnitt eine Grimasse, ihre Piercings in Nase und Augenbrauen glitzerten dabei im Schein der Tischbeleuchtung. Erschöpft lehnte sie das Kinn auf die Hände. »Was macht das für einen Unterschied?«, fragte sie und klang streitmüde. »Du gibst mir nicht mal die Chance, mitzureden.«

»Du hast ja recht, nur … Ich versaure hier. Mit gerade mal neunzehn. Neunzehn! Hörst du? Ich bin noch jung, ich will raus hier. Oder soll ich deiner Meinung nach bis ans Ende meines Lebens aussätziger Mechatroniker in dieser Einöde sein? Ganz davon abgesehen, glaubst du doch nicht wirklich, dass es irgendjemanden hier gibt, der mir sein Auto hinstellt. Sieh mich doch mal an. Für mich sind viele Adjektive im Umlauf. Das am häufigsten verwendete ist pervers.«Eine fucking perverse Transe! Ein Junge, der zu weibisch aussah. Oder so. Sie fanden keine Erklärung für mich.Genau das stand in den Gesichtern der Leute geschrieben, die nicht verstanden. Nicht genau hinsahen. Gar nicht hinsahen. Lieber wegsahen, wenn jemand schon rein äußerlich nicht in ihr Weltbild passte. Ich untermalte mein Gesagtes mit Anführungszeichen, was nicht notwendig gewesen wäre. Susa verstand, ich sah es ihr an, weil sie selbst nicht hierhergehörte. Sie fiel ebenfalls aus dem Rahmen der Normalität, beginnend bei ihrem Äußeren. Nicht nur ich würde ersticken, auch sie würde irgendwann eingehen. Sie war genauso bereit für die Großstadt. Bereit, alles stehen und liegen zu lassen, sobald sich ihr die Chance bot. Eine Unizusage zum Beispiel. Trotzdem setzte ich noch einen drauf. »Ehrlich, ich gehöre hier nicht hin.«

»Du redest totalen Blödsinn.« Sie lachte schrill auf. Wehrte sich mit aller Gewalt gegen das, was unweigerlich auf uns zukam: eine Trennung.»Gibt es eine Norm für Männlichkeit? Ich kann bestätigen« – theatralisch legte sie eine Hand über ihr Herz – »dass du darin sehr wohl ein Mann bist und kein bisschen pervers.« Wieder lachte sie mit hohem Ton und das fand ich schlimmer als das Schreien zuvor. Kurz war ich versucht, mir die Ohren zuzuhalten. »Du bist eben du und das ist auch gut so. Und klar findest du wieder Arbeit, warum auch nicht? Auch hier, wenn du das möchtest.«

»Na ja, Hannes’ Werkstatt nimmt Auszubildende aus welchen Verhältnissen auch immer auf, um ihnen einen bodenständigen Beruf beizubringen und sie nebenbei zu anständigen Menschen zu erziehen. Er musste mich also nehmen!«

»War das Hannes’ Erziehungsauftrag?«, presste sie prustend hervor. »Oder gar der von Peter? Wenn sie von deinem Vorhaben wüssten, dich erneut in diesen Sumpf von damals zu begeben … Sie haben wohl beide in deiner Erziehung versagt, tut mir leid.«

»Hör auf, Susa! Vergiss das wieder. Ich will nicht genau dahin zurück, aber ich will zurück. Punkt.« Chris würde mich vor Ort unterstützen. Hoffte ich zumindest. »Es wird sich schon ein Job für mich auftun. Ich werde mich bewerben, wie ich es gelernt habe.« Dann log ich eben, wenn sie die Wahrheit nicht hören wollte. War sowieso einfacher. Lügen war schon immer einfacher gewesen. In der Stadt kam man mit der Wahrheit nicht weit. Im Gegenteil: Man verlor. Manche verloren ein ganzes Leben.

»Ja, ach so … du willst dich also doch in deinem Beruf umsehen.« Ihr gingen merklich die Argumente aus. »Dann wirst du sicher auch was finden. Du bist toll im Job. Ich finde das trotzdem krass. Das sind echt merkwürdige Ideen. Ich hatte dich eigentlich für vernünftiger und klüger gehalten.«

»Ist das das Einzige, was dir zu mir einfällt? Unvernunft. Danke auch.«

»Das stimmt nicht und das weißt du auch. Du hast Charme und bist fleißig und hilfsbereit. Darüber hinaus megainteressant«, antwortete sie. »Heiß, sexy, anziehend, witzig. Mit dir ist mir noch nie langweilig geworden. Du gibst dich unter Fremden nämlich ganz anders als mit mir allein. Draußen magst du ja der erzogene, bodenständige Junge sein …« Hier vielleicht!

»Pff, das hilft mir nicht. Die sind froh, dass sie von dem Mädchen da nicht bedient werden. Ein Auto repariert sich nicht von allein, wenn jemand sexy und höflich danebensteht.« Das Thema ärgerte mich maßlos. »Außerdem fehlen mir für ein Mädchen die Titten, damit die Typen mir ihre Karren hinstellen.«

»Du bist echt blöd. Von dem Mädchen da, das gar keins ist lassen sich ziemlich viele bedienen. Eigentlich klingelt ständig einer der Nachbarn hier und jammert über sein defektes Auto.« Mir entwich die Luft und Susa wagte einen weiteren Vorstoß. »Wir sind ein tolles Team. Du darfst nicht gehen und dich möglicherweise in Gefahr bringen. Ehrlich, ich kapier’s nicht.«

»Es tut mir leid, ich muss«, antwortete ich vorsichtig. »Das musst du auch gar nicht verstehen. Ich kenne mich selbst nicht und ich werde mich hier auch nicht finden. Im Gegenteil: Ich war nie weiter von mir entfernt als die letzten Jahre. Ich komme mir vor, als wäre ich fremdgesteuert worden, das muss aufhören, verstehst du?«

»Was vermisst du denn so schrecklich? Oder was glaubst du, woanders zu finden? Du lebst doch gut hier, was meinst du mit Fremdsteuerung?«

»Mein ganzes Leben wurde durchgeplant! Es gab keine einzige Entscheidung, die ich treffen durfte. Immer hat irgendjemand nebendran gestanden und seine Meinung herausposaunt. Es nervt, Susa. Es hängt mir zum Hals raus. Ich war selbstständig, bevor ich herkam. Ich wurde quasi entmündigt.«

»Du warst noch nicht volljährig, natürlich wurde sich um dich gekümmert und das war auch richtig so.«

»Ich muss weg hier, sonst platze ich. Welche Erwartungen ich habe, kann ich dir nicht genau sagen, aber hier fehlt mir die Luft zum Atmen.«

Und Männer fehlten mir. Präziser: Schwänze. Mir fehlten harte, in ihrer ganz eigenen Schönheit imperfekte Schwänze, die ich blasen konnte, mit denen ich gefickt wurde, die ich anfassen durfte. Und zwar so, wie ich es wollte und vor allem dann, wann ich es wollte. Mir war das zu mühselig, mich dafür fünf Käffer weiter zu quälen, um via Dating-App mit viel Glück auf einen Mann zu treffen, der gleichgeschlechtlichen Verkehr wollte. Zweimal hatte das funktioniert, ein drittes Mal war ich reingelegt worden und konnte mich mit dem geliehenen Roller des Mitbewohners gerade rechtzeitig in Sicherheit bringen. Cruising-Areas hatte ich keine ausfindig machen können. Möglicherweise gab es sie, möglicherweise gab es auch ein schwules Netzwerk, aber ich war zu unbegabt, es ausfindig zu machen.

Dann gab es noch etwas, warum ich zurückwollte: Damals, auf der Straße, durfte ich nicht Nein sagen, heute würde ich das durchsetzen. Genau dort! Niemand würde jemals wieder etwas von mir nehmen, zu dem ich nicht bereit war. Zudem wollte ich mich schminken; in einer eigenen Wohnung. Die Tür abschließen und den ganzen Abend nach Lust und Laune rumlaufen, wie ich es mochte, aber noch nie konnte. Nicht vor meinen Mitbewohnern, die so hetero waren wie die Erde rund, und bei allen erdenklichen Gelegenheiten Witze über Schwule rissen. Genau mein Humor. Ich wollte dringend zurück in die Anonymität einer Großstadt. Großstädte boten verlässliche Wohngegenden, um all das umzusetzen.

Neben diesen Wünschen und Träumen, die ich mir erfüllen wollte, musste ich für mich herausfinden, wer ich war und was ich von mir selbst erwartete. Wo sah ich mich in Zukunft? Mit wem vor allem? Sich nach männlicher Zuwendung zu sehnen, war weit entfernt von einer Beziehung mit einer Frau, was ich eigentlich ganz gut meisterte. Jedoch mit einer Frau an meiner Seite konnte ich meine Sehnsüchte nicht stillen und mit einem Mann an meiner Seite sah ich mich nicht. Mein Verhältnis zu Männern war gespalten, mit einem davon Bett und Tisch zu teilen ziemlich erheiternd. Es würde in einem Desaster enden. Ich traute Männern nicht, auf keiner Ebene.

»Ich glaub dir kein Wort«, warf Susa ein. »Du hast weder eine Wohnung noch einen Job, sitzt aber vor mir, als wäre alles bereits beschlossen. Liegt es an mir? Willst du mich loswerden?«

»Es liegt nicht an dir. Du bist mein allerbester Kumpel und meine Freundin. Das wäre nicht so, wenn ich dich nicht in meinem Leben hätte haben wollen. Da ist schlicht viel Ballast von früher, den ich nur aufarbeiten kann, wenn ich vor Ort bin.«

»Slobodan Novak! Hör auf damit. Du bist nicht mehr der Junge von der Straße. Du bist erwachsen und toll und hast dein Trauma verarbeitet. Du warst unzählige Male bei deiner Therapeutin und die Sitzungen waren erfolgreich. Zumindest lässt du es mich glauben. Sieh mal nach vorn und nicht ständig zurück.«

»Du verstehst das nicht. Du wirst das nie verstehen. Verlange ich auch nicht von dir, nur bitte … akzeptiere meine Entscheidung.«

Susa wischte die Tränen aus den Augen und räumte ruppig das Geschirr ab. Meine Hoffnung, wir würden zum gemütlichen Teil des Abends übergehen, zerschlug sie. »Du könntest mich mitnehmen.«

»Das geht auf keinen Fall. Was ist mit deinen Eltern und deinen Freunden? Dein Paps lässt dich nicht gehen, wovon träumst du nachts?« Wütend schleuderte sie den Spüllappen vor mir auf den Tisch und ich griff danach, wischte die Spritzer weg. Gründlich.

»Sei nicht so spießig. Ich bin bereit, alles hinzuschmeißen und abzuhauen. Mit dir zusammen wird das toll. Ich bin fertig mit der Schule und studieren kann ich überall.«

Entschieden winkte ich ab. »Das möchte ich aber nicht! Mach, was du willst, aber mach es ohne mich.«

Statt zu antworten, stand sie auf, kam um den Tisch herum und platzierte sich auf meinen Schenkeln. Sie legte ihre Arme auf meinen Schultern ab und drängte sich an mich. Ihre zotteligen, giftgrünen Dreads, die sie rein aus Protest gegen ihr spießiges Elternhaus trug, sprangen um mein Gesicht herum. Die Augenbraue mit den drei Piercings – der Piercer war verklagt worden, denn sie hatte sie sich bereits mit sechzehn stechen lassen – war provokant in die Höhe gezogen. Ohne weitere Worte verschloss sie meinen Mund. Frauen küssten sanfter. Eindeutig. Männer waren grob. Ich mochte es sehr, wie sie küsste.

Mit einem Mix aus Keuchen und Brummen rutschte ich auf der Sitzecke ein Stück tiefer und streichelte ihre Schenkel entlang. Lust stieg in mir auf. Binnen Sekunden peitschten wir uns höher und vergaßen das Gespräch.

***

Ich packte den schweren, kaum tragbaren Reiserucksack, der meine gesamten Habseligkeiten enthielt, im Zug auf den Boden zwischen vier gegenüberliegenden Sitzen und wählte den Platz in Fahrtrichtung vor dem Tisch. Noch war der Waggon leer und ich wünschte, ich hätte die gesamte Strecke über meine Ruhe. Aber dieses Glück war mir sicher nicht gegönnt. Sobald es in Richtung Zivilisation ging, ich in den ICE umsteigen würde, würde es garantiert rappelvoll werden.

Ich holte den Reiseproviant sowie das Smartphone raus und verkabelte es mit meinen Kopfhörern. Nur noch dreißig Prozent – für knappe sechs Stunden Zugfahrt. Hervorragend. Blind wühlte ich im Rucksack, doch das Ladekabel ertastete ich nicht. Dafür fand ich ein Bild von Susa und mir. Ich zog es raus und je länger ich es ansah, desto unwohler fühlte ich mich. Wir hatten in der Nacht mehr geredet und Sex gehabt, als zu schlafen. Entgegen meiner Vermutung hatte sich das Drama des Abschieds in Grenzen gehalten. Ein bisschen pikste das schon in der Herzgegend. Dafür hatte Susa in den letzten Wochen nichts unversucht gelassen, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Sie hatte sogar den Sozialarbeiter auf mich gehetzt, der mit Engelszungen versucht hatte, mich umzustimmen und die Info aus mir zu locken, was genau ich eigentlich vorhatte. Ich wusste das selbst nicht, Chris war nämlich vage geblieben. Nach einem eher stockenden Telefonat zwischen uns, in dem er mir keine Zusagen gegeben hatte, hatte er mir einige Tage später eine Mitteilung gesendet. Da du von deinem Vorhaben, im Milieu Fuß zu fassen, nicht abzubringen bist und auf Teufel komm raus diese Reise antreten möchtest, habe ich wenigstens eine gute Nachricht für dich. Es ist eine Wohnung frei geworden, die du erst mal für dich nutzen kannst. Wir treffen uns nach deiner Ankunft, sag mir Bescheid, wann das sein wird.

Auf die Bitte, mir einen Job im Club zu geben, war er während des Telefonats gar nicht eingegangen. Aber ich war bereit, dafür zu kämpfen, und fasste beruhigt an die Vordertasche des Rucksacks. Darin war ordentlich in einer Folie mein Gesellenbrief verstaut. Mit ihm könnte ich mich bewerben, sollte Chris es mir schwer machen. Kfz-Mechatroniker wurden immer gebraucht. Auch merkwürdige, dafür aber gute. In der Stadt war es hoffentlich egal, ob die Gesellen rasierte Beine hatten. Alles war besser, als in diesem Kaff zu bleiben, in einer Werkstatt zu versauern und am Ende mit einer Familie gesegnet zu sein, die ausgegrenzt wurde, weil der Vater nicht normal war.

Ich rief meine Kurznachrichten ab, allesamt Abschiedsgrüße diverser Bekannte aus Susas Umfeld, während sich der Zug aus dem Bahnhof quälte. Wieder stach mir die Akkulaufzeit des Geräts in die Augen. Kurzerhand entleerte ich die Hälfte des Rucksacks auf dem Sitz nebenan und durchsuchte die Sachen. Kein Ladegerät! Ich leerte weiteren Inhalt aus und blieb erfolglos. Außer der Schminktasche begegneten mir nur Socken und Unterwäsche. Aus einem Gefühl heraus zog ich das Täschchen mit den Kosmetikutensilien raus und legte es zum Proviant.

Zwei robuste Schuhe gelangten in mein Blickfeld und ich blinzelte nach oben. »Fahrscheinkontrolle.«

»Ähm, ja. Moment.« Rasch entsperrte ich das Smartphone. Zwanzig Prozent. Verdammt! Ich rief die App auf, darin den Fahrschein, und hielt den Code hin.

»Ihren Ausweis benötige ich noch.«

»Ausweis?« Mein Blick flog zum Rucksack – dem Chaos neben mir – dann erinnerte ich mich daran, die Geldbörse im selben Fach wie den Gesellenbrief verstaut zu haben. Auch das war kurz darauf erledigt.

»Räumen Sie den Platz wieder frei, im nächsten Bahnhof steigen Personen zu.« Bestürzt sah ich den Kontrolleur an und kippte, als er sich weggedreht hatte, den restlichen Inhalt des Rucksacks komplett aus. Belegte damit einen dritten Sitz. Letzte Chance, das Ladekabel zu finden. Meine Switch kam mir entgegengeflogen. Das Ladekabel jedoch blieb verschwunden. Wann war es abhandengekommen? Das war fucking ärgerlich.

Der Zug hielt bald darauf und jede Menge Reisende stiegen in den Waggon ein. Den Sitz gegenüber hatte ich bereits aufgeräumt. Vertieft in mein Videospiel nahm ich das Handy und die Schminktasche vom Nachbarsitz und legte beides auf dem Rucksack ab, der zwischen meinen Füßen stand.

Einer der zugestiegenen Gäste setzte sich zu mir, an die andere Seite des Tischs, und ich blickte auf, nickte dem Mann zu. Er erwiderte den stummen Gruß. Langsam senkte ich den Kopf, nicht ohne mein Gegenüber unauffällig zu mustern. Er trug ein graues Hemd, ein Sakko legte er neben sich ab. Die Anzughose saß wie angegossen und die schwarz glänzenden Schuhe sahen hochwertig aus. Typ klassischer Geschäftsmann. So könnten sie aussehen, meine künftigen Kunden. Sauber, frisch geduscht, wohlriechend. Finanziell in der Lage, eine sexuelle Dienstleistung anständig zu entlohnen, sofern der äußere Schein nicht trog. Dummerweise zuckte mein Blick noch einmal nach oben und ich registrierte, wie sich die Lippen des Mannes zu einem Lächeln verzogen. Fuck, Sonni, hör auf zu sabbern. Ich grinste zurück und mir wurde warm. Kaum war ich eine halbe Stunde unterwegs in mein neues Leben, fühlte ich mich freier als all die Monate zuvor. Bezeichnend. Auf eine subtile Art und Weise sogar sehr beruhigend. Das war der Plan gewesen. Er ging offenbar auf.

Ich lenkte die Aufmerksamkeit zurück zur Spielekonsole. In dem Moment wurde meine Figur durch eine Explosion weggeschleudert. Sie ging zu Boden und flimmerte, bis sie sich auflöste. Zum Glück hatte ich genügend Energie gehortet. Wie schön das war, an selber Stelle weiterlaufen zu können und nicht in der Zeit zurückversetzt zu werden und den gesamten mühseligen Weg erneut auf sich nehmen zu müssen. Chris musste einfach einen Job für mich haben! Das ging gar nicht anders. Jetzt war ich so weit gekommen, hatte so viel dafür getan und auf mich genommen, hinter mir gelassen …

Mein Handy gab einen Warnton von sich und ich betrachtete die Akkulaufzeit. Fünfzehn Prozent. Die aufgekommene Euphorie ebbte ab und ich suchte in den Einstellungen nach dem Energiesparmodus. Die Anzeige sackte von fünfzehn auf vierzehn Prozent ab. Gleichzeitig nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie meine Figur erneut auf eine Bombe trat. Mann, war die lebensmüde?

Eine Kurznachricht ging ein. Von Susa. Melde dich wenigstens, wenn du angekommen bist. Ich will alles wissen, hörst du? Lass mich teilhaben, wenn ich schon hier versauern muss. Zwölf Prozent und ein nächster kläglicher Warnton.

»Ach fuck«, entkam mir und das traf auf alles zu.

Der Typ gegenüber lachte auf und ich sah erstaunt hoch. »Brauchst du Strom?« Kurzerhand öffnete er einen altbackenen Aktenordner, der optisch nicht zu seiner Garderobe passte, zog ein Ladekabel heraus und reichte es mir. »Der Anschluss sollte passen. Ich kenne das, es ist ein unangenehmes Gefühl, nicht mehr erreichbar zu sein.«

»Ich bin gerade gestorben«, erwiderte ich lahm, nahm den Stecker entgegen. »Trotzdem danke.«

Er lachte abermals, herzlicher diesmal. »Du siehst quicklebendig aus, wenn ich das so sagen darf.« Musternd und anhaltend betrachtete er mein Gesicht und in mir kribbelte es, als würde sich eine Horde Ameisen formieren. »Wo geht’s denn hin, wenn ich fragen darf?«

Ich schielte auf die Switch, aktivierte weitere Energie, um die Figur zum Weiterlaufen zu bewegen, und sah ihn wieder an. »Ich sprenge mir den Weg in ein neues Leben frei.«

Kapitel 2

Ich blinzelte gegen die tief stehende Sonne an, die langsam hinter den hochgezogenen, karminroten Spitzdächern der Altstadtbauten verschwand, und sah dem Mann entgegen, der geradewegs auf mich zuhielt. Es fiel mir schwer, die Mimik zu kontrollieren, ihn nicht zu offensichtlich anzustarren. Sekunden später kapitulierte ich und starrte extra intensiv. Chris sah wie aus dem Ei gepellt aus. Eine spiegelnde Sonnenbrille umrahmte sein kantiges Gesicht, eine Zigarette glimmte zwischen den Lippen, um den Mund herum hatte sich ein ernster Zug eingefräst. Sein Kurzhaarschnitt war etwas durcheinandergeraten und die langen Schritte zeugten von Ungeduld. Die ruckartigen Bewegungen, als er die Zigarette ausdrückte und die Brille abzog, deuteten darauf hin, dass er dieses Treffen schnellstmöglich hinter sich bringen wollte. Er wollte das hier nicht! Die Erkenntnis schlug bei mir ein wie der Blitz. Automatisch drückte ich die Schultern durch, wappnete mich, rief die Argumente auf, die ich mir für den Worst Case zurechtgelegt hatte. Würde Chris meine Reise wirklich hier enden lassen? Das durfte nicht sein! Chris war meine einzige Chance, meine Pläne durchzuziehen. Er war der Mann, der mir ein neues Leben schenken konnte. Nach drei verdammten, vergeudeten Jahren. Es musste einfach klappen. Ich musste ihn überzeugen.

Chris musterte mich und presste die Lippen aufeinander. Fuck, nein! »Hi«, begrüßte ich ihn und stand auf, reichte ihm die Hand, die er ignorierte. »Ich bin total froh, wieder hier zu sein.«

»Sonni«, murrte er einsilbig und seine Musterung zog sich. Vom Scheitel bis zu meinen Schuhsohlen. »Du hast dich gemacht.« Nach dieser dürftigen Anmerkung atmete er sichtbar durch. »Ich will ehrlich zu dir sein, eigentlich weiß ich nicht, was ich mit dir machen soll.«

»Ich dachte, du hast eine Wohnung für mich. Du hast doch gesagt, es wäre eine frei.«

»Korrekt. Dennoch weiß ich nicht, wieso du dich ausgerechnet an mich wendest. Was genau erhoffst du dir? Werde mal konkreter. Diese Wohnungen sind für Mitarbeiter des Clubs. Übergangsweise kannst du dort unterschlüpfen, aber darüber hinaus?«

»Du hast doch versprochen, dass wir uns zusammensetzen und über einen Job reden werden.«

»Ebenfalls korrekt, du warst ja nicht abzubringen. Aber wie stellst du dir das vor? Sieh dich doch mal an. Richtig, meine ich. Schau in den Spiegel. Vor mir steht ein junger Mann, der einen Gesellenbrief in der Tasche mitführt. Das ist mehr, als manch anderer jemals schafft. Sei verdammt noch mal stolz darauf, was du geleistet hast. Darauf kannst du jederzeit aufsatteln, wenn dir der erlernte Beruf auf Dauer nicht genügt. Deshalb verrate mir, was genau dich so magisch anzieht, dass du geradezu darum bettelst, ins sexuelle Dienstleistungsgewerbe zurückzukommen? Es fällt mir ehrlich schwer, deiner Bitte nachzukommen. Verstehst du das nicht?«

Doch, schon! Ratlos sank ich auf den Stuhl des Cafés und hielt schützend die Jeansjacke vor meiner Brust zusammen. »Begehren«, antwortete ich mit dem letzten Funken Hoffnung, ihn umstimmen zu können. »Befriedigung von Begierde, Sehnsüchten und Gelüsten. Ich will das erleben, ohne das dreckige Image eines Strichers anhaften zu haben. Seit Jahren warte ich auf diesen einen Tag. Einen Job im Black Stage zu bekommen.«

Chris’ Schultern sackten ab, als gäbe er sich geschlagen. Mit der Schuhspitze berührte er meinen Rucksack. »Manchmal habe ich das Gefühl, Typen wie euch wird man nie los. Ich hatte wirklich Hoffnung.« Ja, danke. Ich auch. In dem Moment zog er einen Schlüssel aus der Hosentasche und ließ ihn in seiner Handfläche verschwinden. »Den ehemaligen Wohnblock von Noah kennst du noch? Links daneben im Block, Appartement 4513, steht derzeit leer. Komm erst mal an, vielleicht siehst du in ein paar Tagen klarer.« Er klopfte seine Taschen ab und zündete sich eine nächste Zigarette an. Dann zögerte er, bevor er mir eine vorwitzige Strähne wegstrich, die halb über meinem Auge hing. Diese unerwartet sanfte Berührung ließ mich erschauern. »Mir ist bewusst, dass das ein Dämpfer für dich ist. Alle, die dich kennen und damals involviert waren, hatten geglaubt, dass die letzten Jahre für dich der Start in eine bessere Zukunft waren. Deshalb lass dir Zeit, gönn dir Ruhe und finde dich erst mal zurecht, okay? Jetzt bringe ich dich zur Wohnung.«

»Danke, Chris. Wirklich. Weißt du, es ist … Ich möchte es eben erlebt haben. Ich möchte wissen, wie es ist, in deinem Club zu arbeiten.«

Da keine Antwort kam, wagte ich, den Kopf erneut zu heben. Chris bedachte mich mit einem unmissverständlichen Blick. »Erlebt haben? Wir reden hier nicht von einem vergnüglichen Besuchstag in einem Freizeitpark. Es klingt, als wäre dir tatsächlich nicht bewusst, um was du mich bittest. Dir ein paar Tage Bedenkzeit aufzubrummen, scheint mir wirklich sinnvoll.«

Er lief los und schlug den Weg zu den Wohneinheiten ein. Ich beeilte mich, hinterherzukommen. »Jetzt warte doch mal. Bitte!«

»Was, um Himmels willen, möchtest du erbetteln? Wach auf, Sonni! Geh meinetwegen in den Club und sieh dich um. Wenn du danach immer noch Feuer und Flamme bist und für den Job brennst, reden wir. Aber ich werde nichts übers Knie brechen.« Das war wohl das letzte Wort. Chris ging den gesamten Weg vor mir her, wirkte verärgert. Meinetwegen. Unangenehm berührt lief ich stumm hinterher. Mein Welcome Back hatte ich mir anders vorgestellt. Andererseits war mir noch nie etwas geschenkt worden.

Noahs ehemaliges Zuhause hatte ich größer in Erinnerung, Appartement 4513 war winzig und spiegelverkehrt. Das irritierte mich. Noch mehr irritierte mich, auf dem Bett Wäsche und Bettzeug vorzufinden, und in der Wohnung roch es frisch. Ich drehte mich um die eigene Achse und sah Chris an, der sich mit verschränkten Armen an die Couch gelehnt hatte und mich beobachtete.

»Die Räume wirken kleiner als die von Noah damals.« Kaum ausgesprochen, konnte ich mich nicht mehr beherrschen und grinste breit. Chris steckte ich damit an, er lächelte mir entgegen und schien sich sichtlich zu entspannen, indem er die Beine von sich streckte und überkreuzte. »Das ist richtig geil hier. Danke, danke, danke. Das ist meine erste eigene Wohnung. Am liebsten würde ich dir auf Knien danken.«

»Das heb dir besser für andere Gelegenheiten auf«, erwiderte er lachend. »Jetzt genieße erst mal deine eigenen vier Wände. Die Wohnfläche misst knappe zehn Quadratmeter weniger als die Wohnung damals, deine Erinnerung trügt dich also nicht. Alle Wohnungen rechts der Flure sind kleiner, Noah hatte ein Appartement links vom Treppenhaus. Zwar im anderen Gebäude, aber baugleich.«

»Das stört mich überhaupt nicht. Ehrlich. Ich freu mich total. Hast du hier sauber gemacht?« Ich strich über das weiße, zusammengefaltete Laken und blickte mich abermals um. Es wirkte freundlich und rein. Das schmeichelte meinem Sinn für Sauberkeit.

Chris lachte abermals. »Wo denkst du hin? Dafür gibt es Reinigungsfachkräfte. Das ist ein Standarddurchlauf, wenn wir eine Wohnung rausgeben. Diese hier war vor Kurzem noch besetzt, leer stehen sie eher selten. Du hast schlicht Glück gehabt.« Er klopfte mit den Knöcheln auf die Fensterbank. »So, und jetzt verabschiede ich mich auch direkt. Du kommst klar?«

»Ja, also … Wann sehen wir uns denn?«

Ein Seufzen erfüllte den Raum. Mit wenigen Schritten durchmaß Chris ihn und blieb auf der Schwelle zwischen Flur und Wohnzimmer stehen. »Komm morgen Abend in mein Büro. Ich habe ein paar Adressen, die für deine Jobsuche interessant sein könnten. Kfz-Betriebe meine ich, dass wir uns direkt richtig verstehen. Monatsmiete liegt übrigens bei zweihundertfünfzig warm.«

»Chris!« Mutig ging ich auf ihn zu und nahm mehrmals Anlauf, meinen Satz zu formulieren, während sein mörderisch gutes Aftershave in meine Nase zog. »Ich kann mir das ja mal anhören und die Kontakte notieren, nur … reden wir dann auch direkt über die andere Jobmöglichkeit?«

»Nein. Ankommen heißt, sich einzuleben, das geht nicht von einem Tag auf den anderen.«

»Ich wollte es wenigstens versucht haben«, nuschelte ich ergeben. »Tut mir leid.«

»Du wirst es uns nicht leicht machen, hm?« Wie bereits im Café, strich er mir mit den Fingerspitzen über die Stirn und damit ein paar Strähnen zur Seite und hinters Ohr. Mir kam es so vor, als verließe ihn genauso die Energie wie mich. »Hör mal, Sonni, eigentlich wollte ich nicht davon anfangen, aber du lässt mir keine Wahl. Daher frage ich dich jetzt geradeheraus und erwarte eine ehrliche Antwort. Bist du überhaupt sicher, dass du mit Männern sexuell aktiv sein kannst?«

Unsicherheit flackerte in mir auf, geschockt sah ich ihn an. »Wieso fragst du?«

Chris neigte den Kopf zur Seite. »Ich informiere mich. Immer. Falls mir die Informationen, an die ich komme, nicht ausreichen, kennt Cameron Mittel und Wege. So auch in deinem Fall. Du hattest eine Freundin, richtig? Du kommst aus einer langjährigen Beziehung.«

Shit! Er wusste von Susa. »Ihr habt mich ausspioniert?« Meine Stimme zitterte und ich sah alle meine Felle wegschwimmen. Mit diesem Wissen würde er mir nie, niemals einen Job in seinem Club geben, in dem es einzig darum ging, Männern sexuell gefällig zu sein. »Ich kann das erklären«, krächzte ich und versuchte verzweifelt, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, die mir bereits die Luft zum Atmen nahm. »Ich war mit Susa zusammen, weil … es eben normal war. Dort hatte ein Mann keinen Mann als Freund. Niemand war schwul. Beziehungsweise niemand war geoutet, verstehst du?«

»Nein! So was werde ich nie verstehen.« Weil Chris schillerte. Immer noch! Weil er sich noch nie versteckt hatte und egal wo, egal wie, polarisierte. »Du hast dich also verleugnet?«

»Zum Schutz. Nur deswegen.« Die Verteidigung klang übelst schwach. Chris hatte für vieles Verständnis, nur nicht dafür, seine sexuelle Orientierung zu leugnen. »Ich mochte Susa«, versuchte ich eine nächste Erklärung. »Daher empfand ich es nicht als falsch.«

»Also bist du bi, pan? Oder doch eher heterosexuell und warst nur deswegen mit Männern intim, weil du dazu gezwungen wurdest? Gay for pay? Heteroflexibel fiele mir noch ein.«

»Gott, nein! Keine Ahnung. Für mich gibt es kein Label. Die Beziehung zu Susa war okay für mich und ich denke … na ja, ich glaube, ich kann keine Beziehung mit einem Typ eingehen. Also eine Liebesbeziehung. Dennoch fehlt mir der sexuelle Kontakt zu Männern sehr. Das musst du mir glauben.«

»Das ist der einzige Grund für dich, dich zu prostituieren? Denn nichts anderes ist dieser Job. Eine sexuelle, käufliche Dienstleistung. Laut Gesetz reden wir von Prostitution. Aber das hast du nicht nötig. Du brauchst keinen Club, um dich mit Männern zu treffen. Sex bekommst du an jeder Straßenecke.«

»Aber das ist doch nicht dasselbe! Ich will das als Job machen und eben nicht mehr auf der Straße. Ich will die Sicherheit vom Club. Keine Ahnung, wie ich das noch erklären soll. Ich möchte es eben gern für mich ausprobieren.«

»Such dir lieber einen netten Jungen, wenn es dir um gleichgeschlechtlichen Verkehr geht und einen Brotjob findest du mit deinem Gesellenbrief locker. Wie gesagt, ich habe Adressen an der Hand. Darunter ein sehr guter Kontakt. Schon am nächsten Monatsersten könntest du safe einen Job antreten.«

»Chris, ich war gut in dem, was ich getan habe. Ich denke oft daran zurück.«

»An die Gewalt, die dir angetan wurde? Oder an deinen Zuhälter? An was denkst du gern zurück?« Die Luft wurde immer dünner, während Chris immer tiefer in mich drang. Auf Wunden traf, die ich längst verheilt glaubte. Bilder flimmerten vor meinem inneren Auge. Dreck, Gestank. Rohe Gewalt! Sogar der Geruch stieg in mir auf, als stünde ich mitten in einem Haufen Abfall. Mir schwindelte.

Chris fasste an meinen Arm. »Hey, stehen bleiben. Alles klar?«

»I-ich, ja.«

»Flashbacks?«

»Nein. Ja.« Entschieden schüttelte ich den Kopf und straffte die Schultern. Das war Vergangenheit, ich sollte dringend in die Zukunft sehen. »Gib mir eine Chance, bitte. Ich kann das und ich will das. Das Spiel mit den Freiern lag mir, du wirst es nicht schaffen, mir den Job madig zu reden. Außerdem verdienst du schließlich Geld mit deinen Angestellten. Wieso also willst du mich nicht?«

Chris unterzog mich einer nächsten Musterung. Er wirkte, als fielen in dem Moment Tonnen Ballast von seinen Schultern. Seine Haltung wurde lässiger, seine Mimik weicher. Der ernste Zug um seinen Mund verschwand und machte einem angedeuteten Lächeln Platz. »Grundsätzlich betrachtet, gehen Sexworker oder Callboys oder welche Bezeichnung auch immer genutzt wird, einem steuerpflichtigen Beruf nach und haben eine hohe Frequenz. Es gibt viele Menschen, die diese Dienstleistung für sich nutzen, und es gibt viele Facetten in diesen Jobs. Daher würde ich den Club auch nie aufgeben wollen und stehe voll dahinter. Genau das erwarte ich allerdings auch von meinen Mitarbeitern. Ihr Wohlergehen ist mir wichtig, dafür sorge ich als Vorgesetzter, aber wenn es erst mal eine persönliche Beziehung gab, fällt es mir schwer, jemanden unter Vertrag zu nehmen.« Chris stockte, suchte offenbar nach weiteren Worten, dabei hatte ich die von eben noch gar nicht verdaut. »Du gehörst dazu.« Oh! »Ich wünsche mir für dich etwas anderes, daher bitte ich dich inständig, all das, was nun zwischen uns gesagt wurde, zu überdenken und dir damit Zeit zu lassen. Niemandem ist geholfen, dir schon gar nicht, wenn deine Traumvorstellung oder was auch immer es ist, von der Realität in die Knie gezwungen wird. Dieser Job ist hart und du solltest das von damals wissen. Erinnere dich daran und danach können wir uns zusammensetzen.«

»Chris!«, murmelte ich geschlagen. »Ich wollte mich nicht aufdrängen, es tut mir leid. Das heißt, wir reden morgen nicht?«

»Doch. Komm um neunzehn Uhr an den Hintereingang, dann lasse ich dich rein. Wir reden über deine anderen Fähigkeiten.«

Es war geisterhaft still, als Chris die Tür hinter sich zuzog. Merkwürdig befangen drehte ich mich um die eigene Achse. Wenige Quadratmeter maß der Raum und die Luft wirkte durch die hitzige Diskussion verbraucht. Mechanisch öffnete ich das Flügelfenster zu beiden Seiten, ließ die Geräusche und warme Sommerluft herein. Als wären nicht drei Jahre vergangen, stützte ich mich auf der Fensterbank ab und sah die Gasse entlang. Rechts war eine Hauptverkehrsader der Stadt, links verlor sich der Weg in einer Abzweigung, die in die Flaniermeile hinein führte. Am anderen Ende des alten Stadtkerns hatte das Black Stage seine Räumlichkeiten. Das Gefühl von damals, immer unter Beobachtung zu stehen, legte sich über mich wie die hereinbrechende Nacht über den Tag, und ich atmete die hart erarbeitete und klar vor mir liegende Freiheit tief ein.

Angekommen!

Noch nicht am endgültigen Ziel, aber immerhin auf dem Weg dorthin. Rasten an der Mittelstation. Es ärgerte mich und ich mochte es gleichermaßen, dass Chris sich mir entgegenstellte und gnadenlos dazu zwang, mich mit meinen Wünschen auseinanderzusetzen, die ich nie infrage gestellt hatte. Sie kreisten seit Jahren in mir und prangten wie eine Leuchtreklame das neue Leben an. Doch jetzt war da Chris, der daran rüttelte. Aber noch flackerte der Wunsch in mir.

Die Schatten vor den Fenstern wurden länger, reges Treiben herrschte auf der Gasse. Gruppen Jugendlicher unterhielten sich lautstark, hier und da hetzten vereinzelte Personen vorbei. Keiner der Passanten sah danach aus, als würde er einen anderen Menschen observieren. Ich schüttelte das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, ab und trat vom Fenster weg. Das war drei Jahre her! Aber, und da hatte Chris recht, nicht vergessen. Vergessen würde ich es wohl nie.