Espoir heißt Hoffnung - Elisa Schwarz - E-Book

Espoir heißt Hoffnung E-Book

Elisa Schwarz

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Beschreibung

Als Realist handelt Severin von Hohenkamp stets zukunftsorientiert und wirtschaftlich ausgerichtet, um sein Erbe, den Stahlkonzern Hohenkamp AG, erfolgreich weiterzuführen. Privat lebt er zurückgezogen und verfolgt keinerlei Träume. Sie sind ohnehin nicht umsetzbar, auch nicht mit Geld. Bis ihm Enno von Dewitz begegnet und sein Herz berührt, einen Wunsch in ihm erwachen lässt, für den es sich erstmals zu kämpfen lohnt. Doch mit seiner gleichsam direkten wie abweisenden Art stellt Enno Severins Ansichten infrage. Ideale wiegen schwer. Enttäuschungen schmecken bitter. Und wie soll eine gemeinsame Zukunft aussehen, wenn zwischen zwei Leben unüberwindbare Gräben liegen?

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Impressum
Severin von Hohenkamp
Klappentext
1. Hope
2. Schnupperstunde
3. Freundschaften
4. Regenbogenpresse
5. Planlos
6. Bröckelnde Fassade
7. Hohenkamp AG
8. Marc
9. Jetzt oder nie
10. Sei du selbst
11. Über uns die Sterne
12. Der Tag danach
13. Im Hafenviertel
14. Nahende Gewitter
15. Espoir heißt Hoffnung
16. Synergieeffekte
17. Herzenssache
18. Théo
19. Wunder gibt es nicht
20. Ganz nah dran
21. Déjà-vu
22. Du und Ich
23. Zuhause ist …
24. Waldhonigblick
Danke
Mehr von der Autorin
Leseprobe: Herzfrequenz Vol. 3
Leseprobe: Das andere Ende der Brücke

Espoir heißt

Hoffnung

 

 

Elisa Schwarz

Impressum

1. Auflage - November 2018

© by Elisa Schwarz

 

Kontakt:

[email protected]

Elisa Schwarz

Krauseneckstr. 24 d

55252 Mainz-Kastel

 

 

Cover: Jona Dreyer

Bildmaterial: Fotolia, Deposit

Lektorat: Julia Fränkle

Korrektorat: Bernd Frielingsdorf

 

 

 

Severin von Hohenkamp

 

Bewerte mich nicht nach materiellen Dingen.

Ich bin ein gewöhnlicher Mann.

Mehr wollte ich nie sein und

niemals haben mich die Personen,

die mich lieben, spüren lassen,

dass ich wer anders bin.

 

Klappentext

 

Als Realist handelt Severin von Hohenkamp stets zukunftsorientiert und wirtschaftlich ausgerichtet, um sein Erbe, den Stahlkonzern Hohenkamp AG, erfolgreich weiterzuführen. Privat lebt er zurückgezogen und verfolgt keinerlei Träume. Sie sind ohnehin nicht umsetzbar, auch nicht mit Geld. Bis ihm Enno von Dewitz begegnet und dieser sein Herz berührt, einen Wunsch in ihm erwachen lässt, für den es sich erstmals zu kämpfen lohnt. Doch mit seiner gleichsam direkten wie abweisenden Art stellt Enno Severins Ansichten infrage.

 

Ideale wiegen schwer. Enttäuschungen schmecken bitter. Und wie soll eine gemeinsame Zukunft aussehen, wenn zwischen zwei Leben schier unüberwindbare Gräben liegen?

1. Hope

 

„Herr Severin von und zu Hohenkamp, bist du endlich fertig?“

Ich grinse in den Spiegel und sehe in das Gesicht meines langjährigen, besten Freundes Nathan, der die Augen verdreht. Bereits geputzt und geschniegelt wartet er, bis ich ausgehbereit bin.

„Gleich“, antworte ich gelassen. „Drängle nicht so.“

Warum sind alle Menschen, die mich umgeben, ständig in Eile? Sie wirken gehetzt, als würde die Welt untergehen, wenn es mal zehn Minuten länger dauert. Wir sind eine halbe Stunde zu früh, wohlgemerkt.

„Du weißt doch …“

„Sag es nicht!“ Oh ja, ich weiß sogar sehr gut. Nathan ist stets auf der Suche nach dem ultimativen Nachterlebnis. Die Neugierde, wen er sich dieses Mal für sein Sexabenteuer aussucht, hält sich bei mir allerdings in Grenzen. Soll er mal, denke ich und werfe einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel.

„Du bist hübsch genug.“ Nathan drückt seine Lippen auf meinen Nacken und schnuppert an mir. „Um deine dunklen Locken beneide ich dich ja schon mein Leben lang.“

„Schmeichelst du mir schon wieder? Du kannst dich immer und überall sehen lassen, mon ami.“ Ich zupfe noch eine Strähne zurecht, drehe mich um und schenke ihm ein strahlendes Lächeln. „Wir werden die Ersten sein. Was ich an Zeit vertrödle, holen wir unterwegs wieder rein.“

„Ich nehme dich beim Wort.“

„Mach dich locker, Nathan. Wir werden so zeitig da sein, dass du dir in aller Ruhe einen Kerl für dein Schäferstündchen aussuchen kannst.“

Belustigt boxe ich in seine Seite und er zuckt zusammen, bevor ich meinen Arm um seine Schultern lege. Gemeinsam verlassen wir mein Appartement mit dem Fahrstuhl in Richtung Tiefgarage.

„Hast du immer noch keine Lust, mal wieder jemanden mit nach Hause zu nehmen?“ Nathan betrachtet sich im Spiegel der Aufzugkabine, bevor er meinen Blickkontakt sucht.

„Nein. Ich bin zufrieden.“

„Ach, komm schon, Sev! Wann hast du denn das letzte Mal …?“

„Genießer schweigen“, unterbreche ich ihn und ernte ein Schnauben.

Genau dieses Detail weiß Nathan von mir nicht; bester Freund hin oder her. Zudem sind meine Eroberungen leider keinen zweiten Gedanken mehr wert. Zugegeben, Nathan hat schon ein gutes Gespür. Es gab tatsächlich schon längere Zeit keinen Mann mehr in meinem Bett. Mir fehlt schlicht und ergreifend die Lust, jemanden mit nach Hause zu nehmen, den ich am nächsten Morgen nicht mehr loswerde. Meine Gäste finden den Aufenthalt in meinem Appartement zu angenehm oder den Service von Marise, meiner guten Fee und treuen Seele, zu einladend. Früher war sie die Angestellte meiner Eltern, heute pendelt sie mit mir gemeinsam zwischen dem Appartement an der Außenalster und meinem Elternhaus – einem alten Gehöft in der Nähe von Schenefeld. Ihr liebevoll zubereitetes Frühstück ist erstklassig, ihre Aufmerksamkeit allen Gästen gegenüber vollkommen. Vielleicht ist es auch die Reihe an Autos auf meinen Privatparkplätzen in der Tiefgarage, die beim abendlichen Einkehren oftmals lange Blicke auf sich zieht und meine Übernachtungspartner zum Bleiben animiert. Ich weiß es nicht. Denn diese Statussymbole sind mir unwichtig und ich verstehe dieses überschwängliche Interesse an meinem Besitz nicht. Meist hatte ich daher noch beim Kennenlernen beschlossen, dass es eine einmalige Sache bleibt.

Einen Gedanken an eine Beziehung war mir tatsächlich noch keiner von ihnen wert. Wer mich mag, wie ich bin, der hat gute Chancen, mein Freund zu werden. So einfach ist das. Es könnte wenigstens einfach sein, wenn mein Erbe, ein Firmenimperium aus uraltem Familienbesitz, dieser Einfachheit nicht im Weg stehen würde.

Der Fahrstuhl hält in der Tiefgarage und der tiefschwarz glänzende Aston Martin ist unser Ziel. Ich trinke nicht und Nathan nutzt das aus, feiert jede Party sehr exzessiv. Wer hat schon einen Freund, der einen auf jeder Veranstaltung aushält und dafür keine Gegenleistung erwartet? Ich hätte auch gern so einen Freund. Grinsend sehe ich zu Nathan rüber – meinem Besten. Er ist mir wahnsinnig wichtig und genießt mein vollstes Vertrauen. Wir sind füreinander da, ganz egal, wo der Schuh drückt. Das sind die Dinge, auf die ich Wert lege.

Die Straßen sind halbwegs frei und ich lenke den Wagen schneller durch die Innenstadt als erlaubt. Nathan schaut alle fünf Minuten auf die Uhr und wird immer unruhiger auf dem Beifahrersitz. Glücklicherweise haben wir bald darauf den Citysporthafen erreicht und Nathan atmet erleichtert auf, als direkt vor uns ein Parkplatz an den Vorsetzen, der Hafenstraße, frei wird. Er springt aus dem Wagen, wartet ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend, bis ich abgeschlossen habe, und gemeinsam laufen wir über die Brücke und den Steg, die den Jachthafen mit dem Festland verbinden.

Viele Menschen sind hier unterwegs. Touristen flanieren über die Promenade, kommen von den Landungsbrücken, einem Tagesausflug oder einfach einem Spaziergang am Hafen oder der Speicherstadt. Wir gehen vorbei an dem alten Feuerschiff, das hier seit Jahren vor Anker liegt und auf dem reger Restaurantbetrieb herrscht, in Richtung der Anlegestellen, wo die überwiegend schneeweißen, das Sonnenlicht reflektierenden Jachten um Exklusivität streiten und doch friedlich nebeneinander im dunklen Wasser des Hafenbeckens schaukeln. Ein wunderbarer, für mich sehr ästhetischer Anblick. Allerdings ist ein Boot eines der Dinge, für das ich mich überhaupt nicht interessiere. Falls ich irgendwann einmal in die Verlegenheit kommen sollte, eines zu benötigen, würde ich es anmieten. Eine Einladung verachte ich natürlich dennoch nicht.

Die Hope sticht am Ende der Anlegestellen bereits ins Auge. Es wird sicher ein Partyvergnügen der Extraklasse werden. Auch das Wetter spielt mit, heute war es den gesamten Tag über brütend heiß. Ob Jochen einen Pool an Bord hat? Die Größe des Schiffes lässt diese Vermutung durchaus zu. Nathan stößt mich am Arm an und deutet zur Jacht. „Das haben wir nun von deiner Trödelei!“

„Was denn?“

Langsam schiebe ich die Sonnenbrille auf meine Haare und kneife die Augen ein wenig zusammen. Jochen steht an der Reling. Neben ihm zwei weitere, mir durchaus bekannte Gesichter.

„Sind schon welche da!“

„Uhh … dann kannst du ja direkt deinem Hobby nachgehen.“

„Sev …“

„Du klingst wie ein beleidigter, kleiner Junge. Atme mal tief durch, Nathan. Du machst dir selbst Stress.“

Neben mir grummelt es, aber zu einer Antwort kann Nathan glücklicherweise nicht mehr ansetzen. Jochen hat uns entdeckt und kommt uns entgegengelaufen.

„Severin, mein Freund! Nathan! Ich habe mich schon gewundert, wo ihr bleibt. Ihr seid spät für eure Verhältnisse.“

Dieses Mal grummle ich und werfe meinem Nebenmann einen strafenden Blick zu. Das habe ich ihm zu verdanken – das Gerede um das Doppelpack, das immer zu früh auf den angesagten Feiern im Umkreis auftaucht. Mit Handschlag und kurzer Umarmung werden wir beide begrüßt, bevor wir unsere Schuhe ausziehen – auf Deck müssen wir barfuß laufen. Bei den auf Hochglanz polierten Schiffsdielen ist das kein Wunder.

„Ihr kennt euch ja.“ Jochen sieht zwischen uns und seinen Bekannten – Devin von Weihhäuser und Marc Kracher – hin und her und deutet gleich darauf auf zwei weitere Personen etwas abseits. „Dahinten, der, der gerade mit dem Skipper spricht, das ist Enno von Dewitz, ein sehr guter Freund von mir aus Jugendtagen. Macht euch bekannt. Ich muss weitere Gäste begrüßen, wir sehen uns später.“ Nathan nickt schnell und tänzelt bereits von einem Fuß auf den anderen. Er möchte endlich von meiner Seite weichen und ich gönne mir einen längeren Blick auf die beiden Männer, die abseits stehen, begleitet von einer kribbeligen Wärme, die in mir Einzug hält. Enno von Dewitz! Sieh mal einer an! Nicht schlecht!

Die Bilder seiner Eltern tauchen vor meinem inneren Auge auf: Éva, mit dem schulterlangen, blonden Haar, dem perlenden Lachen und diesem unglaublichen Strahlen in den Augen. Jede ihrer Bewegungen war dynamisch und schwungvoll, voller Leben. Ihr Ehemann Louis hingegen wirkte, als sei er dem Drehbuch eines alten Seebären-Streifens entsprungen: mit Fischermütze auf dem braunen Schopf, einem gepflegten Vollbart und einer Pfeife im Mundwinkel, deren Rauch einen kräftigen, würzigen Geruch verströmte, gespickt mit einer hauchfeinen Vanillenote. Ich erinnere mich noch genau, wie sich der Rauch stets im gesamten Haus ausbreitete, wenn die von Dewitz zu Besuch waren. Und auch dem wachsamen Blick von Louis aus klaren, blauen Augen heraus konnte ich mich nur schwer entziehen. Viele Jahre sind vergangen, seit ich die beiden gesehen habe. Seit ich aus meinem Elternhaus ausgezogen bin. Ganz von der Bildfläche sind sie allerdings verschwunden, als sie ihren gesamten Familienbesitz, inklusive der Reederei, wegen Spekulationen an der Börse verloren haben. Das ging vor fünf Jahren nicht nur durch die Presse, als wäre es die Sensation des Jahrhunderts. Meine Firma, die Hohenkamp AG, war sogar involviert. Hat Bestände aufgekauft und unter den Hammer gebracht. Seinerzeit regierte noch mein Vater.

Eine Gänsehaut überkommt mich. Und mit einem Mal fühle ich mich schuldig, schaffe es nicht, Enno weiterhin neugierig anzusehen und schiebe die Sonnenbrille zurück auf meine Nase.

Als hätte er meinen Blick gespürt, dreht er sich kurz zu uns um. Ich lächle gezwungen und wende mich schnell Marc zu, bevor mich weitere Gefühlsduseleien übermannen. Marc kenne ich natürlich. Er mich auch. Bisher hatte ich jedoch selten die Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten, obwohl er rein optisch interessant ist. Er und sein Kumpel Devin kommen in der Regel eher später als zu früh auf diverse Veranstaltungen. Mitunter haben wir uns schon die Klinke in die Hand gegeben. Devin kam gemeinsam mit Marc an und wir – Nathan mit Kerl im Arm, ich als Chauffeur – waren bereit für den Heimweg. Für tief greifende Gespräche gab es kein Zeitfenster.

„Hey, Severin. Wie schön, dass wir mal gemeinsam auf einer Party festgenagelt sind.“

„Grüß dich, Marc.“ Ich strecke ihm die Hand hin, lächle ihm zu und eine erwartungsvolle, kaum merkliche Faszination stiehlt sich für den Bruchteil einer Sekunde auf sein Gesicht. Mein vorhandenes Interesse ebbt augenblicklich ab und zurück bleibt ein bitterer Geschmack, gepaart mit einer Prise Enttäuschung. Schade!

Marc bemerkt meinen leichten Anflug von Unmut nicht, redet einfach los. Devin und Nathan hingegen entfernen sich nach einer knappen Begrüßung und ich verdrehe innerlich die Augen. Noch hat die Hope nicht abgelegt. Ich könnte mich auf festen Boden flüchten und erst wieder an Deck gehen, wenn alle da sind. Marc aus dem Weg gehen, solange es möglich ist.

„… und da habe ich ihn belächelt! Verstehst du?“

„Comment?“ Ich werde unhöflich, merke es noch in dem Moment, in dem ich die Frage stelle. „Ja, ja. Das ist nachvollziehbar“, antworte ich gedehnt. Was hat er gesagt? Doch Marc lächelt mich an und stoppt einen der Kellner. Er nimmt zwei Bier vom Tablett und reicht mir eines.

„Danke, aber ich trinke nicht.“

„Gar nicht? Nicht mal ein Bier?“

„Gar nicht. Nein.“ Wie wenig wir uns untereinander in Wahrheit kennen, fällt mir in diesem Moment auf. „Ich werde mir etwas anderes organisieren. Entschuldige mich bitte.“

„Klar. Kommst du wieder?“

„Es wird kaum möglich sein, hier jemandem aus dem Weg zu gehen“, bemerke ich mit einem Anflug von Zynismus in der Stimme. „So groß ist die Hope leider nicht.“ Das ist stark untertrieben. Ich hoffe also, Marc tatsächlich aus dem Weg gehen zu können. „Misch dich unter die Leute. Ich muss erst mal auf die Suche nach Nathan gehen, der ist schon abgetaucht und ich möchte noch ein paar Worte mit ihm wechseln.“

Ebenso, wie das Interesse an meinem Kontostand über Marcs Gesicht gehuscht war, huscht jetzt Enttäuschung darüber. C’est la vie – so spielt das Leben. Sieh dich um. Es laufen genügend Schnösel herum, die dich aushalten können. Du siehst gut aus, Marc. Wirklich! Aber ich habe kein Interesse. Ein Kerl, der mir die Füße küsst oder mir seinen Hintern hinhält, weil ich ihm zum Geburtstag ein Auto schenken könnte, dümpelt in meiner Skala der möglichen Partner weit unten. Ich schenke gern, aber am liebsten, wenn es unerwartet ist.

Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es erst einundzwanzig Uhr ist. Es dauert eine weitere Stunde, bis alle Gäste an Bord sind, allerdings fehlt von Nathan jede Spur. Viele der Anwesenden kenne ich, bewege ich mich doch regelmäßig in den betuchten Hamburger Kreisen, aber es gibt auch mir unbekannte Gesichter. Keine Ahnung, wo Jochen die ganzen Leute immer auftreibt, Freunde sind es nicht. Entfernte Bekannte vielleicht. Aber einer Einladung von Jochen folgt jeder. Denn das sind in der Regel Feste, die noch lange im Nachgang für Gesprächsstoff sorgen.

Auf der Hope befindet sich heute Testosteron geballt. Die wenigen anwesenden Frauen fallen kaum ins Gewicht. Sie sind vermutlich da, um den Ausgleich für die geladenen heterosexuellen Männer zu schaffen. Das wäre so typisch für Jochen und es macht ihn noch sympathischer, als er ohnehin ist.

Ihre Herkunft sehe ich den meisten Partygästen an. Auch befürchte ich, auf diesem Schiff gibt es heute Abend niemanden, der nicht entweder wohlhabend ist oder gezielt nach einer guten Partie Ausschau hält. Mein Gesicht ist bekannt, da mache ich mir nichts vor, und ich werde mich nicht so frei bewegen können, wie ich das mag. Mitten in der Stadt, unter Hamburgs Einwohnern, funktioniert das in der Regel, ohne aufzufallen wie ein Papagei. Nur auf solchen Veranstaltungen wie heute leider nicht.

Möglicherweise ist es das, was Nathan und mich seit jeher zusammenschweißt: Er sieht meinen Hintergrund nicht, für ihn bin ich einfach der Junge von damals geblieben, den es null interessiert hat, wer seine Eltern waren. Es gab und gibt keine Unterschiede zwischen uns. Auch heute können wir uns mit Liebe und Respekt in die Augen schauen.

Für die Frauen wird es allerdings schwer an diesem Abend. Die Erfahrung zeigt mir, dass sie sich oftmals treffend genau den falschen Gesprächs- oder besser Flirtpartner suchen. Es ist unangenehm, sich dezent outen zu müssen, bevor sich die Damen falsche Hoffnungen machen. Vor allem dann, wenn man keine entsprechenden Signale ausgesendet hat. Ich ahne, dass auch ich heute nicht verschont bleiben werde.

Der Motor wird angeworfen, während ich mir eine frisch zubereitete Limonade organisiere und mich anschließend weiter umschaue, das Zwischendeck mit den gemütlichen Lounges ablaufe und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskomme. Bereits jetzt sehe ich überall nackte Haut, nicht nur die Frauen präsentieren und zeigen sich, nicht nur sie hoffen auf den Jackpot in dieser Nacht. Mal schauen, wie lange es gesittet bleibt. Dieser Ausdruck in den Augen einiger Gäste, die Ausgelassenheit, die vorherrscht und den gesamten Hafenbereich beschallt, deuten leider darauf hin, dass es weitaus freizügiger werden könnte. Somit wäre ich raus! Eher würde ich mir eine Kabine suchen und sie von innen verriegeln. Das verstehe ich nicht unter Spaß. Mitunter liegt es auch daran, dass ich – mit einem alkoholfreien Getränk ausgestattet, auf das ich bis zum letzten Tropfen die Augen halten werde – niemals das Niveau „alles scheißegal“ erreichen werde.

 

Nathan ist mir in den vergangenen Stunden ein paar Mal begegnet. Zuletzt um elf, eng umschlungen mit einem ziemlich hübschen Kerl. Gerade beneide ich ihn, denn ich hänge in den Klauen einer Frau fest, die ohne Unterlass auf mich einredet. Marc erblickt mich im selben Moment wie ich ihn und kommt auf uns zu. Das ist Fluch und Segen zugleich.

„Hey, hier steckst du.“

„Gefunden!“ Glückwunsch, Marc! „Darf ich dir Carlotta vorstellen? Carlotta Lahnstein. Marc Kracher. Marc, sei so gut, löse mich bitte ab und unterhalte Carlotta einen Moment.“

Er mustert die Frau, die aufreizend an der Reling lehnt, und beginnt zu grinsen. Ein bisschen schief, wie ich finde. Seine Pupillen sind jetzt schon groß wie Murmeln, sodass man Schwierigkeiten hat, das Grau seiner Iris zu sehen. Das kann nicht dem Alkohol geschuldet sein, doch bevor ich herausfinde, was Marc alles zu sich genommen hat, flüchte ich lieber. Carlotta hat meinen Wink mit dem Zaunpfahl nämlich auch nicht verstanden. Ich glaube, die beiden passen gut zusammen, rein für einen Plausch, versteht sich. Ihre Pupillen könnten Marcs Konkurrenz machen.

Langsam, aber sicher bewegen wir uns auf eine Uhrzeit zu, zu der ich aufpassen muss, wen ich überhaupt noch ansprechen kann. Vorsichtshalber halte ich nach bekannten Gesichtern Ausschau. Ein weiteres Mal komme ich an Nathan vorbei und wundere mich, dass er noch in der Menge anzutreffen ist.

„Alles gut bei dir?“

Er lacht und zwinkert mir zu. „Der Abend ist noch jung, Sev. Hast du Spaß?“ Ich mustere meinen Freund, der eine leichte Alkoholfahne hat. Nathan kennt meine Abneigung gegen alkoholisierte Personen. Und auch die Angst, ihm könnte der Alkohol ernsthaft schaden, lässt mich nie komplett los. Auf der anderen Seite ist es mir hier auf dem Schiff, auf einer Party, die nicht von mir organisiert wurde, völlig egal, wer sich abschießt, und Nathan kennt seine Grenzen. Meine ebenfalls!

„Geht so“, antworte ich daher gedehnt. „Aber du offenbar schon. Trink nicht so viel, mon ami, du weißt doch …“

„Ja, ja, ich weiß“, murmelt er und sieht in den nachtschwarzen Himmel über uns, weicht meinem prüfenden Blick absichtlich aus.

Ich grinse innerlich, lenke das Thema um, das ihm offensichtlich nicht behagt. „Wieso stehst du hier allein? Wo ist deine Eroberung?“

„Sev …“

„Was denn? Hattest du mit dem was anderes im Sinn?“

„Mann … du bist immer so direkt!“

„Du verträgst die Wahrheit nicht, mein Freund. Das ist alles.“

„Sag mal, bist du sauer?“ Endlich sieht er mich direkt an, die Stirn in Falten gelegt. „Weil ich was getrunken habe?“

„Nein!“ Wirklich nicht. „Aber mir graut es vor den nächsten Stunden.“

„Alle tanzen und amüsieren sich. Mach mit. Du siehst aus, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen. Und was den Süßen angeht … Claas ist nur pinkeln, er wird also gleich zurückkommen. Wir können auch gern Zeit mit dir verbringen, wenn du magst.“

„Auf keinen Fall.“ So weit kommt es noch, dass Nathan mir sein Händchen reicht und ich ihn von seiner heißen Nacht abhalte. „Ich verschwinde, sobald dein Süßer wiederkommt, und sehe mich weiter um. Habe keine Lust, mich diesem freizügigen Geplänkel anzuschließen, das mittlerweile auf Deck herrscht. Schau sie dir doch an, die Hüllen fallen im gleichen Takt, wie die Korken knallen. Es ist erst kurz nach Mitternacht und die Fahrt ist noch jung.“

„Angst, dass dir dein Polohemd aus feinstem Kaschmir abhandenkommt?“ Nathan lächelt schief und meine Laune hebt sich schlagartig.

„Neidisch?“ Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe, schnappe mir ein Glas Wasser von einem Tablett, welches von einer Servicekraft vorbeigetragen wird, und reiche es ihm. „Hier! Runter damit, dann stehe ich dir und deinem Vergnügen nicht mehr im Weg!“

„Spielverderber.“

„Gerne doch!“

Nathan setzt an und ich helfe ihm. Kippe das Glas an seinen Lippen, sodass ihm nichts anderes übrig bleibt, als es zu leeren oder in den Ausschnitt seines Shirts laufen zu lassen.

„Du bist ein Idiot!“

„Je t’aime aussi. Und pass auf dich auf.“ Ich zwinkere ihm zu und er lacht los. Gleich darauf drückt er mir einen feuchten Kuss mitten auf den Mund. Mann, ich liebe den verrückten Kerl.

 

Zwei weitere Stunden später leere ich ein alkoholfreies Weizen und flüchte unter Deck. Die Musik dröhnt über das offene Meer, macht auch vor den Kabinen im Schiffsbauch nicht halt. Es ist gute Musik, gar keine Frage, aber ich habe genug. Die Jacht wird frühestens im Morgengrauen wieder im Hafen einlaufen und ich ärgere mich darüber, hier festzusitzen. Um Nathan später nicht anlügen zu müssen, habe ich mir dennoch die Mühe gemacht, ein wenig Small Talk zu betreiben und nicht ganz so unnahbar zu erscheinen. Zugegeben, es war eher umgekehrt.

Offensichtlich war es heute Programm, dass mir Fremde ihre Namen ungefragt genannt und mir die Hand geschüttelt haben. Die Gespräche sind mir regelrecht aufgedrängt worden. Die dreisteren unter ihnen begrüßten mich mit Kuss links und rechts auf die Wange, als würden sie mich ewig kennen. Ich konnte dieser französischen Begrüßung mit dem wundervoll klingenden Namen‚ „la bise“ nie etwas abgewinnen. Ich bin froh, dass ich das jetzt hinter mir habe.

Das allgemeine „Sehen und Gesehenwerden“ geht auf Deck weiter. Mit einem Unterschied: Die Gäste sind langsam, aber sicher hinüber. In den unteren Räumlichkeiten herrscht jedoch gähnende Leere und ich beginne mit einer Erkundungstour. Je weiter ich ins Schiffsinnere vordringe, umso leiser wird der Beat. Ich erreiche die Schlafkabinen. Fünf Stück, meinte Jochen, mit dem ich mich vorhin unterhalten habe.

Wir kommen gut miteinander aus, und da Jochen heute auch nicht trinkt, was er nie macht, wenn er Gastgeber ist, habe ich seine Gesellschaft genossen.

Thema Nummer eins war natürlich seine vor Kurzem neu erworbene Jacht. Vermutlich könnte ich das Schiff jetzt aus dem Kopf zeichnen. Es ist stolze vierundvierzig Meter lang, hat tatsächlich einen Pool – wenn auch einen kleinen – an Bord und kann mit einem Zwischendeck und einem Hauptdeck bestechen. In dieser Nacht sind genau einundzwanzig Personen an Board, die nicht zur feiernden Gesellschaft gehören, sondern sich um das Wohl der Gäste und um die Jacht zu kümmern haben. Nicht, dass es mich nicht interessiert, aber Autos sind wesentlich interessanter. Der Vorteil ist ganz klar: Ich kann jederzeit aussteigen und habe festen Boden unter den Füßen.

Vorsichtig drücke ich die Klinke einer Kabinentür herunter und trete ein. Ich wundere mich, dass die Tür nicht verschlossen war, Jochen ist meist großzügig mit dem Anbieten von Schlafgelegenheiten. Ein Rückzugsort für mich, umso besser. Dennoch treibt mich die Neugierde um und ich gehe die nächsten Türen ab, hoffe, dass jeder die Funktion der Verriegelung von innen kennt. Keine der Kabinen ist verschlossen, die feuchtfröhliche Party auf Deck hält die Leute anscheinend bei Laune.

Langsam gebe ich die Hoffnung auf, dass Männer wie Frauen in unserem Alter und vor allem aus unserer Schicht diverse unsichtbare Grenzen erkennen und nicht überschreiten. Vor allem nicht, wenn sie am nächsten Tag kein Bild in der Presse von sich finden möchten.

Selbst hier auf der Hope glaube ich nicht an Privatsphäre. Wer sagt mir denn, dass nicht einer oder mehrere der Gäste geschmiert wurden, für das schnelle, mit Sicherheit auch nicht wenig Kleingeld bringende Klatschpressefoto? Vielleicht richten sich gerade in diesem Moment einige Handykameras gezielt auf Szenen, die für niemandes Auge bestimmt sind, nicht mal für die Personen, die drei Meter daneben stehen. Die Presse lässt sich das einiges kosten. Diesen Aufmacher weiden sie dann so lange aus, bis der nächste Skandal den vorhergehenden ablöst. Ich werde nie verstehen, wieso es Menschen gibt, die Meldungen aus der High Society jeden Tag im Detail in sich aufsaugen. Mich interessiert doch auch nicht, was diese Leute treiben.

„Hier steckst du!“

Ich zucke zusammen. Meine Güte! Die Stimme und die lang gezogenen Worte reichen schon, mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken zu jagen. Ich drehe mich dennoch um und hefte mir noch ein Lächeln auf die Lippen. Es nicht zu tun, wäre ein Affront gegenüber der guten Erziehung, die ich genossen habe.

„Marc!“ Er schwankt, stützt sich mit einer Hand an der Wand ab und kommt auf mich zu. „Was machst du hier unten?“

Hat er mich etwa gesucht? Wie deutlich muss ich werden? Zugegeben, ich hätte ihn vorhin nicht bei Carlotta lassen sollen. Männermordender Vamp! Das kommt nicht so gut bei einem Schwulen an.

„Da oben“, lallt er und sieht zur Decke, „… abenteuerlich!“

„Ach!“ Was für eine Neuigkeit. „Warum mischst du nicht mit?“

Um festen Stand bemüht, fällt sein Kopf wieder nach vorn, aus fiebrig glänzenden Augen fixiert er mich. „Nat… Nathan sagt, du brauchst Gesellschaft.“ Er lacht abgehackt, schließt sogleich die Augen. Schwindelig, mein Freund?

Nathan hat vermutlich eher einen Grund gesucht, ungestört zu sein. Muss er Marc deswegen ausgerechnet zu mir schicken? Ich bin davon ausgegangen, dass Nathan heute noch mal mit mir heimfahren will.

„Ich suche jemanden hier unten. Danke, Marc. Aller célébrer – geh feiern. Ich komme zurecht.“

Fassung bewahren. Haltung bewahren. Notlüge benutzen.

„Aaaaber ich …“

„Marc, bitte. Sei nicht traurig.“

Marc verzieht das Gesicht. „Wir könnten Spaß haben, Se-Severin?“

„Nein danke. Und du solltest wohl auch lieber nicht mehr feiern gehen, sondern dich hinlegen, so fertig wie du bist. Die Kabinen sind frei. Leg dich in eines der Betten, ich werde gleich noch mal nach dir schauen.“

„Duuuu …“ Beschämt unterbricht er den Blickkontakt.

„Ja? Ich bringe dir ein Wasser. Aber jetzt leg dich hin. War zu früh für dich, was? Zu viel Zeit, sich die Kante zu geben?“

„Spricht der Herr von Hohenkamp“, murrt er gedehnt, „der immer zu früh geht.“

Sein Zug ist abgefahren, er merkt es und wird pampig. Ich schiebe es auf den Mix aus Drogen und Alkohol in seinem Blutkreislauf.

„Schon blöd“, nuschelt er weiter, „wenn man auf einem Schiff festsitzt und nicht so wegkommt, wie man das gern möchte und gewohnt ist.“

Er torkelt auf mich zu und bleibt dicht vor mir stehen. Sein schlechter Atem schlägt mir ins Gesicht. Hat er es so nötig? Oder möchte er diverse finanzielle Verluste durch eine Nacht mit mir in einen Gewinn umwandeln? Dafür hat er doch Devin an seiner Seite. Der ist neureich, arrogant und gar nicht meine Kragenweite. Er prahlt mir zu viel. Auf seinen Freund Marc hat er aber noch nie etwas kommen lassen. Es wird gemunkelt, dass sie sich auch das Bett teilen. Also, warum macht sich Marc zum Volltrottel vor mir? Glaubt er, mit solchen Sprüchen auf meiner Skala nach oben zu steigen? Kurzerhand lege ich ihm freundschaftlich einen Arm um die Schultern, schiebe ihn in die Schlafkabine vor uns und bringe ihn bis zum Bett.

„Bon nuit. Ich gebe Devin Bescheid, wo er dich finden kann.“

„Severin …“

„Ich bin nichts für dich, Marc.“

„Biste was Besseres?“

„Wenn du das sagst.“ Ich schiele abermals auf meine Uhr, Marc sieht es. Seine Augen werden groß. „Wow … eine Patek Philippe?“

Kurz zucke ich zusammen, atme tief durch, um mich zu sammeln. „Lass gut sein.“ War ja klar, dass er sofort erkennt, welche Marke mein Handgelenk ziert – trotz seines Zustands. Soll ich mich jetzt darüber freuen? Wie gut, dass mich wenigstens Nathan nicht auf meinen Besitz reduziert. Langsam, aber sicher zweifle ich, ob es noch weitere Männer wie ihn gibt. Denn wollen wir mal festhalten, nackt sind wir doch alle gleich.

Marc bleibt brav liegen, seine Augen sind bereits zugefallen. Er ist fertig. Meine Intuition hat mich nicht im Stich gelassen.

Ich begebe mich auf weitere Erkundungstour. Ein paar Blicke streifen mich, als ich die Tür von außen schließe. Neugierige Blicke. Fragende Blicke. „Ist besetzt!“, gebe ich kurz und knapp von mir und stelle mich der halb nackten Frau, die einen ebenso halb nackten Adonis hinter sich her schleift, in den Weg.

„Ihr seid doch fertig, oder?“

„Comment?“ Missbilligend schüttle ich den Kopf und deute mit dem Finger nach oben. „Auf Deck spielt die Party. Das hier sind private Räume.“

„Jochen hat gesagt …“

„Ja, ich weiß, was Jochen gesagt hat“, unterbreche ich sie entschieden. „Dennoch, geht lieber weiterhin auf seine Kosten trinken, bevor der Spuk hier vorbei ist.“

„Du benimmst dich, als gehöre dir der Kutter!“

„Wenn diese Jacht mir gehören würde, wärt ihr nicht an Bord.“ Ich blende die Beschimpfungen aus, die mir hinterhergerufen werden, und drücke die vierte Klinke nach unten. Sofort schallt mir ein „Hau ab!“ entgegen. Nette Begrüßung. Wer ist das denn?

„S’il te plaît?“, hake ich amüsiert nach.

„Hau ab, will allein sein!“

Oh, da lallt noch jemand. Und wie! Ein Häufchen Elend sitzt in der Ecke neben dem Bett und hat sich dermaßen zwischen Armen, Händen und Knien verschanzt, dass ich in dem spärlichen Licht nur den blonden Schopf und einen offenbar der Sonne oft ausgesetzten, gebräunten Nacken sehen kann. Ein weißes Shirt hat er an und eine dreiviertellange, dunkle Segelhose ziert seine Beine. Schöne Beine, das erkenne ich trotz der schlechten Lichtverhältnisse. Ebenfalls sonnenverwöhnt, zudem schlank und muskulös. Wer ist das? Eigentlich kann ich mich an alle Gäste erinnern, die mir heute über die letzten Stunden hinweg auf der Hope begegnet sind. Mir will nicht einfallen, welches Gesicht zu dem blonden Schopf gehört. Im Türrahmen stehend, zögere ich einen Moment. Gehen oder bleiben?

In dem Moment fährt er mich erneut an: „Hörst du schlecht?“ Er stöhnt gepeinigt auf, zieht die Beine enger an seinen Körper. „Will allein sein, hab ich gesagt.“

Der übergibt sich doch gleich! „Qui dit ça?“, hake ich daher nach und schließe nachdrücklich die Tür von innen, gehe auf ihn zu. Stur sein, das kann ich auch. Und wenn ich ihm einen Eimer reichen kann, wird Jochen es mir sicher danken. Oder wenigstens die Reinigungscrew.

„Ein Freund von Jochen“, antwortet er prompt, aber auch sehr mühselig. Ich stocke, verziehe die Lippen zu einem Grinsen. Er versteht meine zweite Muttersprache, wie schön! „Geht es dir nicht gut?“

„Oh doch. Blendend.“

Er regt sich und sieht auf, will wohl wissen, wer der Störenfried ist. Mich trifft ein glasiger Blick aus dunkel schimmernden Augen und ich halte die Luft an. Oh, bitte nicht! Enno von Dewitz! Er schaut durch mich durch und ich habe prompt das Gefühl, er ist nicht mehr fähig, mich richtig wahrnehmen zu können. Wie Marc!

Ennos Stirn kräuselt sich und sein Blick wirkt angestrengt. Meine Neugierde wächst weiter an. Unsere Väter waren langjährige Geschäftspartner, die Beziehungen reichen sogar noch weiter zurück. Unsere Großeltern kannten sich bereits. Warum auch immer, aber der Spross der Familie ist mir bis heute nie begegnet.

Enno hat gerade eine Anziehungskraft auf mich, die ich schon bei der Ankunft auf der Hope nicht leugnen konnte. Warum bin ich nicht gleich zu ihm gegangen? Stattdessen habe ich mich von Marc ablenken lassen. Wo zum Teufel hat Enno die gesamte Nacht gesteckt?

So geräuschlos wie möglich lege ich den restlichen Weg zurück und gehe vor ihm in die Hocke. Ein guter Freund von Jochen also. Wirkliche Freunde sind meist Raritäten und allein das macht ihn mir sympathisch. Grund genug, mich wenigstens kurz nach seinem Wohlbefinden zu erkundigen. Enno blinzelt und stöhnt, seine Gedanken rotieren sichtbar. Alkoholschwangere Luft schlägt mir entgegen, als er den angehaltenen Atem entweichen lässt. Ein Zittern durchläuft seinen unglaublich schlanken Körper. „Kann ich dir helfen?“, frage ich in die Stille und lege eine Hand auf seinen Arm. Seine Haut glüht und dies, gepaart mit dem verkniffenen Gesichtsausdruck sowie den großen, dunklen Augen, mit denen er mich anstarrt, wecken plötzlich eine Sehnsucht in mir, die mir merkwürdig fremd ist. Ich zwinge mich, meine Hand nicht zurückzuziehen, mich auf mein Anliegen zu konzentrieren. „Ein Glas Wasser eventuell? Oder möchtest du etwas vom Buffet, damit dein Magen etwas zu tun hat? Ich bin sicher, dann bist du bald wieder fit.“

Glatte Lüge. Ich weiß es doch besser: Ein Rausch muss ausgeschlafen werden. Ganz egal, welche Droge für ihn verantwortlich ist. Es sei denn, er ist mit einer Sucht verbunden.

Enno schüttelt langsam den Kopf, kneift die Augen zusammen. „Du bist der Hohenkamp, richtig?“

Ich lache leise auf. Schade, ich hatte gehofft, noch ein wenig inkognito bleiben zu können. Meinem Gegenüber geht es zwar offensichtlich schlecht, aber seine Gedanken hat er im Griff.

„C’est vrai – stimmt“, erwidere ich und setze mich seitlich von ihm an den Rahmen des Bettes angelehnt, strecke meine Beine weit von mir. Herrlich entspannend. Schweigend mustern wir uns und je länger sein Blick auf mir liegt, umso klarer wird er. Umso mehr weicht die Anstrengung aus seinen Gesichtszügen. Langsam gewöhne ich mich auch an die indirekte Beleuchtung der Kabine und wirkte zuvor noch alles wie dunkler Einheitsbrei, entpuppen sich seine Augen als honigfarben. Je nachdem, wie er den Kopf bewegt und der Lichteinfall entsprechend ist, schimmern sie in den verschiedensten Tönen.

Erschöpft lehnt er den Kopf an die Wand, seine Mundwinkel allerdings zucken. „Bequem?“

„Sehr“, bestätige ich und muss schmunzeln. Denn gerade merke ich, wie müde ich eigentlich bin und wie dankbar meine Füße sind, mich nicht tragen zu müssen.

„Hätte nicht herkommen sollen“, murmelt er gedehnt.

„Wie meinst du das? Jochen hat erzählt, dass ihr euch schon lange kennt. Warum habe ich dich nie auf einer Feier von ihm gesehen?“

„Wohnen noch nicht so lange hier. Kommen aus Frankreich.“ Ein Anflug von Verbitterung huscht über sein Gesicht, sagt mir, dass er seine Heimat vermisst. Sein Deutsch ist ausgezeichnet, aber der wunderbare französische Akzent ist deutlich herauszuhören. Wie es auch bei meiner Mutter war. Leider verliert die Erinnerung an ihre Stimme täglich mehr von ihrer Klangfarbe. Bis sie ganz verschwunden sein wird. Ich mich nur noch verlassener fühlen werde als ohnehin schon.

„Wer ist denn wir“, erkundige ich mich rasch, um mich abzulenken, „und wo genau in Frankreich habt ihr vorher gelebt?“ Nicht, dass ich es nicht weiß, aber ich möchte die Unterhaltung gern in Gang halten.

Prompt tritt Glanz in Ennos ausdrucksstarke Augen. Gutes Thema, wie mir scheint. Er stützt seinen Kopf schwer auf seine Hand. „Meine Eltern und ich“, antwortet er und beißt sich auf die Unterlippe, atmet tief durch. Er wird immer klarer, wie mir scheint. „Unsere Werft war an der französischen Küste angesiedelt. In Montpellier. Jochens Eltern besaßen dort ein Sommerhaus. Jochen und ich haben also knappe sechs Monate im Jahr gemeinsam verbracht.“

„Und ihr habt dort ganzjährig gelebt oder seid ihr auch gependelt?“

„Es war mein Zuhause. Meine Eltern waren in der Regel auf Geschäftsreisen.“

„Ich weiß“, unterbreche ich ihn leise. „Ich kenne deine Eltern ganz gut. Aber du warst nie dabei, wenn sie geschäftlich bei uns zu tun hatten oder auch mal privat zum Café oder Dîner eingeladen waren. Schade eigentlich. Du hättest mit mir und Nathan sicher jede Menge Spaß gehabt.“

Enno lacht auf, stöhnt allerdings gleich darauf und presst die Lippen zusammen, die Faust davor. Okay, wirklich gut geht es ihm definitiv nicht.

„Bin aus den Geschäften rausgehalten worden“, antwortet er nach einigen Minuten, als er sich seiner selbst offenbar wieder etwas sicherer ist. „War schon in Ordnung. Musste nie die Schule wechseln und hatte meinen festen Freundeskreis. Freiwillig wäre ich ohnehin nicht mitgekommen. Ich habe ihre ständigen Reisen gehasst und nicht verstanden. Das Leben an der Küste war wirklich schön.“ Sein Blick gleitet für den Bruchteil einer Sekunde in die Ferne. Doch er räuspert sich nervös, bevor er mit seinen Gedanken abdriften kann. „Jochen fand die Wechsel auch nicht so gut“, spricht er leise weiter. „Hat immer gejammert, wenn es wieder nach Deutschland ging.“

Seine Sprache wird mit jedem Wort schleppender. Zieht sich wie Kaugummi. Und die Kommunikation mit mir scheint ihn wahnsinnig anzustrengen. Ein Grund mehr für mich, ihm weiterhin Gesellschaft zu leisten. Irgendwie habe ich das Gefühl, er schafft es nicht selbstständig ins Bett, bevor ihm die Augen zufallen. Bis dahin genieße ich seine direkte Nähe, den Berührungspunkt, den er mit seinem nackten Fuß an meinem ausgestreckten Bein aufrechterhält. Er macht keine Anstalten, seine angezogene Haltung aufzugeben. Ob er es überhaupt merkt? Ich selbst habe das Gefühl, dass es an dieser Stelle heißer wird – ein wellenartiges Kribbeln breitet sich von dort in meinem Bein aus und verursacht ein Zucken; wie ein Fluchtreflex.

„Wie dem auch sei, ich freue mich, den Junior von Dewitz auch endlich kennenzulernen. Wieso glaubst du, hättest du nicht herkommen sollen? Gefällt es dir hier nicht? Hamburg hat einiges zu bieten.“

Enno zuckt desinteressiert mit den Schultern. „Großstadtleben halt. Liegt mir nicht besonders. Fühle mich weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe von Hamburgs Einwohnern zugehörig. Meine Zweifel, meinen Eltern überhaupt nach Deutschland zu folgen, waren schon berechtigt.“

Sein Blick wird glasig und geht an mir vorbei, Enno sieht nun doch in die Ferne. Welche Erinnerungen wohl in ihm wohnen? Ein Aufwachsen am Meer, das Rauschen der Wellen stets im Ohr? Die Werftwerkstätten als Kinderspielplatz und die Boote als Matchboxauto-Ersatz? Ja, ich kann es mir vorstellen, wie eine solche Kindheit wunderbare Erinnerungen schaffen kann. Enno wirkt melancholisch, immerhin ein wenig entspannter als wenige Minuten zuvor.

Ich kann nicht darüber klagen, hier aufgewachsen zu sein. Ich kenne es nicht anders. An der weitläufigen Stadtteilgrenze von Schenefeld war es ruhig, beinahe dörflich. Aber inzwischen ziehe ich mein Appartement aufgrund der unmittelbaren Nähe zur Großstadt vor.

„Ich dachte, du bereust einfach nur, hierher aufs Schiff gekommen zu sein.“ Dabei steckt viel mehr dahinter. Man sieht es ihm an. „Aus dir spricht Sehnsucht und Heimweh.“

Enno blinzelt verwirrt, braucht einen Moment, um eine Antwort zu formulieren. „Ich bereue beides. Hier zu leben und hier auf der Hope zu sein. Ich gehöre einfach nicht dazu und hätte meinem Bauchgefühl folgen sollen. Jochen hat mich überredet.“

„Dann gehörst du vermutlich genauso wenig oder viel dazu wie die Hälfte der sich an Bord befindenden Gäste. Mein Vorname ist übrigens Severin.“

Ich halte ihm die Hand hin und nach kurzem Zögern ergreift er sie. Schwitzig legen sich seine Finger um meine und die immense Hitze, die er abstrahlt, zieht sofort meinen Arm hinauf, lässt ihn wie taub werden. Der Druck seiner Hand ist erstaunlich angenehm. Ich schaffe es kaum, ihn wieder loszulassen und bedauere, als er sich zurückzieht. Mechanisch reibe ich meine Hand am Hosenbein, will das Taubheitsgefühl loswerden und das plötzliche Fehlen der Wärme kompensieren. Enno sieht mich dabei argwöhnisch an und schluckt.

„Ich bin Enno. Kein wirklich französischer Name, leider. Wo ist deine Begleitung? Wird er dich nicht suchen, wenn du so lange bei mir bist?“

„Nathan? Nein, der ist froh, wenn er von mir nicht gefunden wird. Der amüsiert sich prächtig.“

Enno mustert mich und langsam, aber sicher bilden sich feine Lachfältchen um seine Mundwinkel herum. „Seid ihr kein Paar?“

„Hat das so ausgesehen? Nein, er ist mein bester Freund.“

„So einer fehlt mir hier.“

„Na ja“, erwidere ich gedehnt, „bisher habe ich ihn kaum gesehen. Es macht also keinen großen Unterschied, ob ich mit oder ohne Freund unterwegs bin. Aber das hast du vermutlich nicht gemeint.“ Enno zuckt die Schultern und ich könnte mir für mein fehlendes Einfühlungsvermögen in den Hintern treten.

Rasch lenke ich ab. „Ich wünschte, das Schiff würde bald einlaufen, mir reicht es nämlich. Dir wohl auch, hm? Was hast du alles genommen?“

„Genommen? Gar nichts!“, erwidert er empört. „Ich habe ein paar Bier getrunken und zwei, drei Schnaps an der Bar. Mehr nicht! Weiß nicht, warum es mir dermaßen scheiße geht.“

„Seekrank?“

„Das wüsste ich aber.“

Der Gedanke an gekaufte Gäste kommt mir erneut in den Sinn. Vielleicht sind nicht nur Menschen an Bord, die für ein Foto oder Video die Freundschaft zu Jochen riskieren, sondern auch solche, die mit Drogen um sich werfen. Wie viele aus der High Society wirklich drogenabhängig sind, kann ich nicht sagen, eigentlich interessiert es mich auch nicht. Aber jemandem das Zeug heimlich in ein Getränk zu mischen würde entschieden zu weit gehen. Enno sieht blass aus. Ich will gar nicht wissen, wie der sich fühlt. Ich glaube ihm seine Version. Der erfindet nichts.

„Also, Enno, ich hole dir jetzt was Alkoholfreies und etwas zum Essen. Meinst du, dein Magen verträgt das?“

Ennos Kopf sinkt, als wäre das ein Stichwort von mir gewesen, zurück auf seine Arme. Abermals schüttelt es ihn und ich befürchte, Essen wäre doch verkehrt.

„Magst du dich hinlegen? Die Betten sehen gemütlich aus.“

„Will Jochen nichts schmutzig machen.“

„Ach, komm schon. Jochen bezieht die Dinger nicht selbst. Worüber machst du dir Gedanken? Ich stell dir einen Eimer hin, wenn es dich beruhigt.“ Kurzerhand stehe ich auf und entflechte Ennos Arme. Packe seine Hände und ziehe ihn auf die Füße. Schwankend steht er vor mir, würgt kurz und dreht den Kopf hastig zur Seite. Seine Nasenflügel blähen sich auf, seine Unterlippe zittert und seine Stirn ist schweißnass. Enno sieht plötzlich aus wie durch den Reißwolf gedreht. Seine direkte Nähe trifft mich allerdings wie ein Stromschlag.

„Wird Zeit, dass du dich ausruhst.“ Der Drang, ihn schnellstmöglich von mir zu stoßen, ringt mit dem Gedanken, ihn noch weiter festzuhalten und ihm näher zu kommen.

Er berührt mich. Nicht nur körperlich, sondern tief in mir drinnen, was mir immer befremdlicher wird. Ich kann mich mit ihm nicht identifizieren. Wir haben nichts gemeinsam, außer dass er genauso hochgewachsen ist wie ich. Er ist der typische Sonnyboy-Typ: blond, groß, sehnig, sportlich. Nur die Augenfarbe will nicht ganz zu dem Rest seiner Erscheinung passen. Ich habe mir diese Surfer-Typen irgendwie blauäugig vorgestellt. Er hat Kraft, das habe ich bemerkt, als er vor mir auf die Füße gekommen ist. An ihm ist nichts weich. Höchstens innerlich. Denn er wirkt melancholisch und in sich zurückgezogen. Kein Wunder, wenn man von der Wiege an durch eine gesellschaftsfähige Familienschule geschickt wird, egal, wie viel Freiraum und Kindheit einem eingeräumt wurde, und am Ende vor dem Nichts steht.

Ich schiebe ihn an mir vorbei und er stolpert mehr, als dass er geht. Aus reinem Reflex packe ich ihn fester an den Hüften und in die Alkoholfahne mischt sich ein wunderbarer Geruch, der von ihm ausgeht. Länger als nötig halte ich ihn vor mir, rieche an seinem Shirt, an seinem Nacken und verdrehe die Augen. Ein verführerischer Duftmix: leicht salzig, als wäre er gerade in der Nordsee baden gewesen, gepaart mit einem Hauch von Minze. Begierde macht sich in mir breit. Ganz schlechtes Timing. Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt auf Männer steht. Dass er mich auf Nathan angesprochen hat, sagt gar nichts aus. Dieses Bewusstsein lässt mich meinen Griff um seinen Leib sofort lockern. Enno gibt einen undefinierbaren Laut von sich, als ich ihn auf die Bettkante schiebe und das Kissen in seinem Rücken aufrichte.

„Hier sitzt du bequemer, schlafen ist keine gute Idee – du wirst Karussell fahren. Die Augen fallen von allein zu, wenn der Körper nach Ruhe verlangt. Ich komme gleich wieder.“

Mit einem Glas Wasser, füge ich in Gedanken hinzu. Auch möchte ich Nathan über meinen Verbleib informieren. Und Jochen sollte ich Bescheid geben. Doch Enno sieht mich unentwegt an, bewegt einladend die Lippen. In mir kocht der Wunsch hoch, meine darauf zu pressen, so verführerisch wirken sie gerade auf mich. Seine Wimpern flattern, seine Augen rollen und er presst die Kiefer zusammen, schnauft aus. Kurzerhand gehe ich in der Kabine auf die Suche nach etwas, das ich ihm als Eimerersatz hinstellen kann. Eine gefüllte Obstschüssel springt mir ins Auge. Perfekt.

„Ich bin dermaßen hinüber“, krächzt er und lacht lieblos bei einem Blick auf mein Mitbringsel auf. Ich drücke ihm das geleerte Gefäß wortlos in die Hand und er nimmt es ohne Protest entgegen. „Kannst du nicht noch einen Moment bleiben?“

Fasziniert sinke ich auf den Rand des Bettes und schaffe es einfach nicht, meinen Blick von ihm zu nehmen. Normalerweise kann ich übermäßigen Konsum leiden wie Halsweh. Aber so könnte er aussehen, mein Partner. Könnte … Wäre er es, würde ich tatsächlich keine Sekunde mehr von ihm weichen. Wäre er es, würde er jetzt aber auch nicht zugedröhnt hier sitzen.

„Stehst du auf Männer, Severin?“ Er fragt leise und schließt kurz die Augen. Sein Blick wirkt danach etwas klarer. Amüsement spielt um seine Mundwinkel, in einem leichenblassen Gesicht. Diese Frage überrascht mich nun nicht, er wird gemerkt haben, dass ich ihn ein paar Sekunden zu lange festgehalten habe, zumal er Nathan und mich als Paar angesehen hat. Dennoch überfährt mich diese winzige Belustigung, die er mir entgegenbringt. Hoffentlich hat er nicht bemerkt, wie ich meine Nase am liebsten in seinem Nackenhaar vergraben hätte. Ich schüttle schnell den Kopf und fasse einen Entschluss: Raus hier, bevor ich beginne, mich für etwas zu rechtfertigen, das keiner Rechtfertigung bedarf.

Homosexueller Magnat verführt heterosexuellen, verarmten Adeligen.

Die Schlagzeile taucht in fetten Buchstaben vor meinem inneren Auge auf und ich ertappe mich dabei, wie ich Ennos Hände absuche, in der Angst, er könnte meine Reaktion mit einem Handy gefilmt haben.

2. Schnupperstunde

 

Seit über einer halben Stunde ist die Bordcrew damit beschäftigt, die Alkoholleichen aufzuwecken und sie darauf hinzuweisen, dass die Jacht sicher im Hafen eingelaufen ist. Die Feier ist vorbei. Nathan habe ich nicht mehr gesehen, Marc auch nicht, sogar Carlotta blieb mir für die restlichen Stunden erspart. Bei Enno bin ich ebenfalls nicht mehr gewesen. Jochen hat ihm das versprochene Glas Wasser gebracht, während ich mir ein lauschiges Plätzchen auf dem oberen Deck gesucht und den Sonnenaufgang beobachtet habe.

Ungläubig betrachte ich den Menschenauflauf in einiger Entfernung vor dem verschlossenen Tor des Cityhafens. Mich erfasst ein unangenehmes Kribbeln am ganzen Körper. Sensationslüsterne Passanten bevölkern die Brücke, die von der Promenade bis zum Hafen und dem Feuerschiff führt. Presse und Paparazzi sind hier. Kameras, Fotoapparate und Mikrofone werden in unsere Richtung gehalten. Unerkannt werde ich heute nicht bleiben. Merde!

Die Hälfte der Gäste ist bereits von Bord gegangen, die andere sammelt sich noch, mit Wasserflaschen in den Händen. Überdimensional große Sonnenbrillen schirmen ihre Augen und die halben Gesichter ab, trotz Morgendämmerung. Noch halte ich mich im Hintergrund, habe eine Basecap von Jochen tief in meine Stirn gezogen und die Sonnenbrille auf. Es wird nicht helfen. Verdammte Meute!

Weitere mir Unbekannte begeben sich wagemutig von Deck und versuchen durch das Tor und durch die dahinter stehende Menge zu kommen. Einige werden mit Desinteresse gestraft, andere wiederum von der Presse gnadenlos verfolgt. Die wenige private Security, die vermutlich mit den abholenden Limousinen gekommen ist, ist machtlos gegen den Andrang. Sie kann nur das Schlimmste verhindern: eindringen in den Bereich des Jachthafens und somit ein Entern der Hope.

Ein Schlag auf meine Schulter lässt mich zusammenzucken. „Na, mein Guter. Du weißt doch, sie finden immer heraus, wo wir uns tummeln.“

„Im wahrsten Sinne des Wortes. Es liegt ja auch nicht ständig eine Jacht dieser Größenordnung direkt im Hafen“, antworte ich und sehe Jochen von der Seite her an. „Habt ihr unter Deck schon nachgesehen und alle aus den Betten geworfen? Ich möchte gehen und vermisse Nathan.“

„Die Anweisung ist raus, ja.“

Jochen strahlt mich an und legt seinen Arm um mich, drückt mich kurz an sich. „War’s okay für dich? Auch ohne Nathan?“

„Es reicht mir für heute.“

„Ein Partylöwe wirst du nicht mehr. Aber es waren ein paar an Bord, die durchaus was für dich wären.“

Ich strafe ihn mit meinem Blick, weiß, er sieht meine Augen aus dieser kurzen Distanz durch die Gläser meiner Brille, und erwidere nichts auf seine Phrase.

Edgar Breitgräber, von Beruf Sohn und der älteste Spross eines Lebensmittelketten-Inhabers, wagt sich soeben in Richtung Tor. Im Arm seine Verlobte Selina, winkt er der Presse entgegen. Die Frau fest an sich gezogen, ihr Gesicht seiner Schulter zugewandt. Sie ist ein High-Society-Mädchen aus den Staaten, das nicht erkannt werden will. Lachhaft! Ein gehässiger Ton kriecht in meiner Kehle empor. Das hat schon was von einer Liveshow, die sich vor unseren Augen abspielt.

„Edgar hat mich zur Hochzeit eingeladen. Kommst du auch?“

„Hm?“

„Hast du eine Einladung? Für die Hochzeit?“, hakt Jochen nun lauter nach und löst sich wieder von mir, um eine Fünfergruppe zu verabschieden, die sich für eine komplette Nacht freie Kost und Logis bedanken möchte.

„Ja, die ist eingetroffen. Aber ich weiß noch nicht, ob ich komme. Wenn, dann wird Nathan mich begleiten“, erwidere ich lahm und ziehe in einer ruckartigen Bewegung die Brille von meiner Nase. Ich starre zur Treppe, die unter Deck führt. Enno lehnt am oberen Teil des Geländers. Standfest sieht anders aus.

„Merde“, entfährt es mir leise und mit wenigen Schritten bin ich bei ihm. „Mann, Enno. Hast du nicht geschlafen?“

Er stöhnt auf, schirmt die Augen mit seinem Arm ab und schwankt kurz. Ich greife nach ihm und drücke ihn auf eine schmale Bank hinab. Kurzerhand entbehre ich die Basecap und ziehe sie ihm über den strähnigen Schopf. Damit schlägt er zwar nicht den optischen Rekord, aber führt eindeutig die Spitze mit an. Enno sieht nach stark durchzechter Nacht aus.

„Danke. Doch, ich muss eingenickt sein, nachdem Jochen bei mir war.“ Erstmals gehen seine Augen kurz auf. Er klingt vorwurfsvoll und sein Blick ist nicht minder anklagend. Ich schlucke und ziehe entschuldigend die Schultern nach oben. Ich konnte einfach nicht.

Enno lässt den Kopf sinken, reibt sich über das Gesicht. „Verflucht hell hier draußen. Und was ist das für ein verdammter Lärm?“ Fest drückt er die Handballen an die Schläfen.

„Regenbogenpresse.“

Ruckartig hebt er den Kopf, Bestürzung spiegelt sich in seiner Mimik wider. Keine Ahnung, wo die auf einmal herkommt. Mit einem Griff zieht er die Basecap tief in die Stirn und steht auf, diesmal etwas fester auf den Beinen. „Wo ist Jochen?“

„Er verabschiedet seine Gäste.“

„Merde!“

Ich lache leise auf und werde von zwei Personen abgelenkt, die sich gegenseitig die Stufen aus dem Schiffsbauch hinaufziehen. Die Hände miteinander verschränkt. Nathan sieht mich, grinst dreckig und lehnt sich gegen seine Eroberung. „Ei, ei, ei … Sev.“

„Bonjour, mon cher. Du alter Schwerenöter. Können wir los?“

„Hab schon gehört, dass Trubel herrscht. Claas nimmt mich mit.“

Eine klare Ansage. Saures steigt in mir hoch und langsam lasse ich meinen Blick über den Kerl an seiner Seite gleiten. Er sieht aus, wie sie alle aussehen, die mit Nathan jemals eine Nacht verbracht haben. Extrem sexy – in Nathans Augen. Möchtegernreich – in meinen. Nichts für mich, stelle ich fest, und wende mich meinem besten Freund zu. „Hat er getrunken?“

„Stocknüchtern“, mischt sich Claas überraschenderweise ein. „Er hat auch einen Namen.“ Unbeirrt streckt er mir seine Hand entgegen. „Claas Borkmann. Freut mich, dich kennenzulernen.“ Ich würde ihn gern ignorieren, habe es aber anerzogen bekommen, genau dies nicht zu tun. Kurz schlage ich daher ein. „Severin von Hohenkamp.“ Mich freut es nicht. „Sieh zu, dass du Nathan sicher nach Hause bringst. Bist du wirklich nüchtern? Wenn du getrunken hast, fahre ich ihn lieber.“

„Sonst?“

„Nichts sonst.“ Nathan rollt die Augen, legt sachte seine Hand auf meinen Arm und hält sich dabei an seiner Eroberung fest. So zumindest wirkt die Geste auf mich. „Uns geht es gut, Sev“, murmelt er beschwörend. „Kein Grund zur Sorge, okay? Allerdings sind wir müde und möchten eigentlich nur noch weg hier. Wir hören später voneinander. Ich rufe dich an.“

Nathan ist erwachsen! Und bei Verstand. Er kennt seine Grenze … Es ist also alles, wie es sein soll. „Tu, was du nicht lassen kannst.“ Knapp nicke ich ihm zu. „Bis später.“ Kein Grund, länger hierzubleiben. Auch für mich nicht. Ich sehe Nathan und Claas nach. Gelassen gehen die beiden Arm in Arm die Docks entlang. Beneidenswert zu wissen, nicht Ziel und Fokus der Presse zu sein.

„Bis dann, Enno“, verabschiede ich mich nun ebenfalls und betrachte mein äußeres Erscheinungsbild kurz im spiegelnden Fensterglas der Brücke. Nach dem ersten Scheitern lasse ich den Versuch sein, die Strähnen zu entwirren. Obwohl mein Haar mäßig kurz gehalten ist, ist es vom Salzgehalt der Luft drahtig und widerspenstig geworden. Zeit für eine Dusche. Ich schiebe die Brille erneut über die Augen. Die Übernächtigung sieht man auch mir an. Meine Hände versenke ich in den Taschen meiner Leinenhose, rufe Jochen noch einen Abschiedsgruß zu und wappne mich innerlich. Die Sicherheitskräfte wurden durch einige Polizisten aufgestockt, immerhin ist dadurch ein schmaler Pfad in der Mitte der Presseleute entstanden.

Die Blitzlichter und Fragen, die auf mich niederprasseln, ignoriere ich. All das ist nichts Ungewöhnliches für mich. Aber ich bin nicht Pressesprecher des Stahlkonzerns und werde es auch in Zukunft nicht sein. Niemals. Ich mag das nicht. Mein Privatleben liegt für die Öffentlichkeit im Dunkeln und da wird es auch bleiben.

Ohne jegliche Nervosität klimpere ich mit dem Wagenschlüssel in der Hosentasche, setze ein Lächeln auf und laufe einfach weiter. Einige wenige von Bord gegangene Gäste stellen sich den Reportern, beantworten die unendlich vielen Fragen, profilieren sich. Ich erkenne in einem von ihnen Devin, Marc in seinem Schatten, und schiebe mich ungesehen vorbei.

In diesem Moment geht ein Raunen durch die Menge, neugierig sehe ich über meine Schulter. Devin wird zur Seite geschoben, die Sicherheitskräfte wirken machtlos gegen die vordrängenden Menschen, die ihre Mikrofone und Kameras, soweit der Arm es zulässt, wie auf Kommando erneut in Richtung Jacht ausrichten. Am Tor werden mehrere Presseleute barsch zurückgedrängt, ärgerliche Ausrufe folgen und ich sehe die Rampe empor.

Enno! Er hat den Kopf tief auf die Brust gesenkt und die Kappe verbirgt weitgehend sein Gesicht. Eine Sonnenbrille schirmt ihn zusätzlich vor Blicken ab. Eigentlich ist von ihm gar nicht mehr viel zu sehen und doch wurde er sofort erkannt. Ein Foto, auch nur ein Wort von dem jüngsten Mitglied der von Dewitz ist offenbar heiß begehrt und hart umkämpft. Wie es aussieht, habe nicht nur ich Interesse an ihm.

Reflexartig mache ich auf dem Absatz kehrt und kämpfe mich zurück. Ich habe sogar Probleme, erneut durch das Tor gelassen zu werden, um die Hope wieder zu erreichen. Mit schnellen Schritten bin ich bei Enno und verstelle ihm den Weg, er hat sich noch nicht weiter nach unten gewagt. Mein Schatten lässt ihn aufschauen, seine Lippen öffnen sich vor Überraschung. „Hast du was vergessen?“

„Dich“, erwidere ich hastig. „Du musst da nicht allein durch.“

Enno lacht auf und schüttelt belustigt den Kopf. „Schon gut. Ich schaffe das allein.“

Es ist offensichtlich, dass er mich nicht braucht. Unsicher sehe ich zwischen ihm und der Pressemeute hin und her. Was habe ich mir nur dabei gedacht, ihm helfen zu wollen?

„Wirst du abgeholt?“, frage ich stattdessen, um meinem leichten Unmut keinen weiteren Raum zu geben und die einsetzende Egal-Einstellung schnellstens wieder beiseitezuschieben.

„Nein. Ich bin mit den Öffentlichen gefahren. Unter Normalsterblichen kann ich mich frei bewegen.“

Dachte ich mir. „Und wie stellst du dir das jetzt vor? Hoffst du, sie lassen dich ungeschoren bis zur Straßenbahn durch?“ Ich nehme die blasse Haut um seine Nase in Augenschein. Es scheint ihm etwas besser zu gehen. Dennoch …

„Du bist noch nicht zu hundert Prozent fit. Ausreden sind also zwecklos und ich glaube, ich habe noch etwas gutzumachen. Komm!“ Ich lege den Arm um seine Schultern und nur widerwillig lässt er sich die ersten Meter mitziehen. Bis ein deutlich spürbarer Ruck durch seinen Körper geht. Unerwartet umfasst er meine Taille und nutzt letztendlich doch meine Schulter, um sein Gesicht von den Kameras abzuwenden. Der Korridor wird breiter, die Sicherheitskräfte geben sich jede Mühe, Enno – und auch mich – zu schützen und tatsächlich schaffen wir es ohne Zwischenfall bis zu meinem Wagen.

„Ein Aston?“ Mit spöttischem Blick sieht er über das Dach in meine Richtung und pfeift leise durch die Zähne. „Nicht schlecht. Brauchst du ihn als Statussymbol?“

Ich blinzle perplex, straffe meine Schultern. Idiot! „Er gefällt mir einfach und es macht Spaß, ihn zu fahren. Hast du ein Problem damit?“

„Nein, nicht wirklich. Du kannst fahren, was du willst“, wiegelt er gedehnt ab und lässt sich tief in den ledernen Sitz auf der Beifahrerseite gleiten. Seine Lippen sind fest zusammengepresst, der amüsierte Zug um den Mund ist geblieben. Ich grummle vor mich hin, warte, bis er sich angeschnallt hat. Trotz seiner nervenden Art, sich in einer Tour über mich lustig zu machen, wächst ein Wunsch in mir heran. Jetzt sagen zu können: „Lass uns nach Hause fahren“, würde mir gefallen und es ist unbegreiflich für mich. Eigentlich hätte er einen Tritt in den Hintern verdient. Ich schüttle allerdings nur den Kopf über mich selbst und fahre los. Der bittere Beigeschmack bleibt.

 

Es ist wie ein innerer Zwang, Enno ständig anschauen zu müssen. Unauffällig bin ich dabei nicht, peinlich mit Sicherheit schon. So viel dazu, für andere meist undurchschaubar zu sein. Er hat die Fahrt über apathisch und stillschweigend aus dem Seitenfenster gesehen, sich nicht geäußert, wo er gern abgesetzt werden möchte, und ich habe einfach nicht gefragt. Jetzt steht er in meinem Appartement und schnalzt mit der Zunge. Tritt immer weiter in den großzügig geschnittenen Raum und sieht sich um. Die Sonnenbrille in der einen, die Basecap in der anderen Hand. „Wow“, entfährt es ihm und er steuert die verglaste Front des Wohnzimmers an. „Nicht schlecht! Mit Blick auf die Außenalster, sehr nobel, Herr von Hohenkamp.“

Deutlich spüre ich, wie sich meine Wangen rot färben. Die Lage meiner Wohnung ist wirklich nichts Besonderes. Aus Ennos Mund bekommt das Kompliment jedoch einen merkwürdigen, negativen Touch.

„Ein Makler hat mir das Appartement besorgt“, rechtfertige ich mich dummerweise. „Wo wohnst du denn?“

Enno lacht leise auf. Der Klang ist so schön, dass er den schalen Beigeschmack in mir beiseite drängt. Ich möchte ihm einfach nur zuhören. Fasziniert beobachte ich, wie die Sonnenstrahlen durch das Panoramafenster goldene Lichtreflexe auf sein Haar setzen, das zerwühlt und genauso strähnig wie meins von seinem Kopf absteht.

Die Sicht auf seinen Nacken lässt mich innerlich vibrieren – feine Härchen kräuseln sich am braun gebrannten Haaransatz. Genau dahin möchte ich meine Lippen drücken, meine Nase in seinen Schopf wühlen und die wunderschönen Schultern mit dem Mund erkunden. Schnell flüchte ich in den Küchenbereich, bevor ich eine Dummheit begehe, die ich bereuen könnte. Die Mitteltheke erweist sich als schützende Barriere zwischen uns.

Mein Abstandnehmen bekommt Enno gar nicht mit, nach wie vor ist sein Blick nach draußen gerichtet. „Meine Eltern haben sich in Blankenese niedergelassen.“

„Blankenese?“ Jetzt bin ich verwirrt. „Auch nicht gerade die billigste Gegend“, entgegne ich schroff. „Du wohnst aber nicht mehr bei ihnen, oder?“ Bitte nicht!

„Nein, wo denkst du hin?“ Wieder klingt er belustigt.

Langsam, aber sicher ist bei mir die Grenze des Ertragbaren erreicht. Was auch immer sein Problem ist, er kann es behalten.

„Ich lebe aber nicht weit entfernt. Am Ortsausgang, nahe der Sülldorfer Landstraße. Zwei Zimmer, Küche und Bad in einem Wohnblock. Ein kleiner Balkon. Alles andere wäre schon Luxus, den brauche ich nicht. So viel zum Thema der teuren Wohngegend.“

Er dreht sich auf der Stelle, sieht mich erstmals an, seit wir hier angekommen sind. Musternd. Forschend. Als wolle er sich herantasten, meine Grenzen visuell erfassen. „Und, Severin? Stehst du nun auf Männer? Dein Schweigen letzte Nacht war nicht unbedingt aussagekräftig.“ Seine Mundwinkel biegen sich bei der Frage leicht nach oben und mir entweicht die Luft. In meiner Brust zieht sich etwas zusammen.

Resigniert seufze ich auf. „Un café? Ou de l’eau minérale? Avec un déjeuner?“

„Sehr gern, Kaffee und Essbares klingen fantastisch. Sollte ich ausnutzen, wenn ich schon mal bei einem von Hohenkamp zu Gast bin.“

Er könnte jeden Tag kommen und mir Gesellschaft leisten, zum Reden oder … Sein Spott sorgt allerdings dafür, dass ich den Gedanken direkt wieder fallen lasse. „Setz dich, Enno.“

„Darf ich duschen, bevor ich mich von dir verwöhnen lasse?“

Schlagartig wird mir anders. Seine Zweideutigkeiten tragen nicht dazu bei, dass der Drang in mir, ihn zu berühren, aufhört. Der fortwährende Druck auf meinem Brustkorb wird durch Herzrasen ersetzt. Ich schlucke schwer und kann den Kloß in meinem Hals doch nicht vertreiben. Enno! Nackt! Unter meiner Dusche? Ich möchte ihn tatsächlich verwöhnen. Nicht nur mit Café oder einem verdammten Frühstück. Kann er sich das nicht denken?

„Geh nur“, krächze ich heiser und deute nach rechts. „Zweite Tür. Handtücher liegen im Regal. Brauchst du frische Kleidung?“

„Dein Zeug könnte mir passen, was?“

Ganz sicher sogar! Meine eigene Hose passt allerdings nicht mehr lange. Sie beginnt langsam zu spannen. Zum Glück kann er es nicht sehen. Ich atme flach, will mir die aufkommende innere Unruhe nicht anmerken lassen. „Ich bringe dir gleich was.“

„Gut. Ich schließe nicht ab.“

Angestrengt und viel zu fest drücke ich auf den Knopf des Kaffeevollautomaten und lausche dem Mahlen der Bohnen. Ennos Schritte sind leise, dennoch höre ich, wie er sich entfernt und erst dann gönne ich es mir, geräuschvoll auszuatmen. Enno flirtet mit mir. Schön! Aber wieso schwingt immerfort Spott in seinem Tonfall mit?