Ein fast perfekter Bräutigam - Katie MacAlister - E-Book

Ein fast perfekter Bräutigam E-Book

Katie MacAlister

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Beschreibung

Die verarmte Witwe Lady Charlotte Collins kehrt nach England zurück, wo sie von der feinen Gesellschaft gemieden wird. Um wieder zu Ansehen zu gelangen, muss sie einen reichen Mann heiraten. Als sie dem gut aussehenden Alasdair McGregor begegnet, scheint er für sie die Rettung zu sein. Doch sein Herz zu gewinnen ist leichter gesagt als getan.

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Katie MacAlister bei LYX

Impressum

Katie MacAlister

Ein fast perfekter

Bräutigam

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Britta Lüdemann

Zu diesem Buch

Vier Jahre nachdem Charlotte Collins mit einem italienischen Adligen durchgebrannt ist, kehrt sie als verarmte Witwe nach England zurück. Dort wird sie von ihrer Familie und der feinen Gesellschaft gleichermaßen geschnitten. Aber die unerschrockene Charlotte will sich das nicht gefallen lassen, ganz abgesehen davon, dass sie viel zu jung ist, um mittellos und einsam irgendwo auf dem Land zu versauern. Und sie weiß auch schon, wie sie der hochnäsigen Londoner Gesellschaft ein Schnippchen schlagen kann: Sie wird den gut aussehenden Alasdair McGregor heiraten, den sie bereits als junges Mädchen angehimmelt hat. Die Sache ist allerdings komplizierter als gedacht – schließlich ist Charlotte nirgendwo willkommen, wo der auserkorene Gentleman zu Gast sein könnte. Hinzu kommt, dass McGregor als begehrenswertester Junggeselle der Saison von heiratswilligen jungen Damen geradezu belagert wird – und ihm der Sinn beim besten Willen nicht danach steht, in den Hafen der Ehe einzufahren. Doch Charlotte heckt einen äußerst waghalsigen Plan aus, um McGregor zu überzeugen, dass sie das perfekte Traumpaar wären.

1

»Du kannst mich jetzt nicht im Stich lassen! Ich brauche dich doch! Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein und fortgehen, wenn ich dich am meisten brauche? Ich verbiete es dir! Ich verbiete dir, mich in meiner allergrößten Not alleinzulassen!«

»Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich muss gehen.«

»Pipi, Mama.«

»Rühr dich nicht von der Stelle, Gillian. Wage es ja nicht, noch einen Schritt in Richtung Tür zu gehen!«

»Charlotte, gib mir den Schlüssel.«

»Nein!«

»Mama, ich muss Pipi!«

»Char, du hörst doch, dass Dante noch etwas Dringendes erledigen muss, bevor wir fahren. Wenn dir also ein klein wenig an mir liegt, gib mir jetzt bitte den Schlüssel. Wenn Noble erfährt, dass du uns in seiner Bibliothek eingesperrt hast, wird er vor Wut kochen. Außerdem kann ich dir aus Erfahrung versichern, dass Dante niemals sagen würde, er müsste zum Örtchen, wenn es nicht wirklich dringend wäre.«

Die zierliche Blondine, die sich vor der Tür aus massivem Eichenholz aufgebaut hatte, warf einen zögerlichen Blick auf den Dreijährigen, der vor lauter Dringlichkeit einen kleinen Tanz zu ihren Füßen vollführte. Zwischen ihren dunkelblonden Brauen erschienen zwei schmale Furchen.

»Das ist doch ein Trick. Bestimmt hast du ihm beigebracht, das zu sagen. Du benutzt dein eigenes Kind als Druckmittel gegen mich, Cousine. Was für eine infante Methode!«

»Das heißt infame Methode, Charlotte.« Gillian, Lady Wes­ton, nahm ihren Sohn auf den Arm. »Wenn du nicht sofort die Tür aufschließt und uns gehen lässt, erlaube ich ihm, dich anzupinkeln.«

Das Kind kicherte entzückt. Lady Charlotte di Abalongia, geborene Collins, schnappte entsetzt nach Luft und funkelte ihre Cousine wütend an. »Das wagst du nicht!«

»Gillian? Gillian, wo steckst du? Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um Versteck zu spielen, Gattin. Wir sollten schon vor einer Stunde gefahren sein!« Es rüttelte am Türknauf.

»Papa, ich muss Pipi!« Dante wand sich in den Armen seiner Mutter.

»Jetzt hast du’s geschafft«, verkündete Gillian und trat in kluger Ahnung einige Schritte zurück. »Noble ist verärgert. Ich würde dir raten, nicht an der Tür stehen zu bleiben, weil er sie bestimmt gleich … «

Als kurz hintereinander mehrmals gegen die Tür geschlagen wurde, zuckte Charlotte erschrocken zusammen.

»… eintritt. Wir sind hier drinnen, Liebster«, rief Gillian. »Charlotte hat leider den Schlüssel verlegt. Wir werden ihn aber bestimmt gleich finden.«

»ICHMUSSPIPI!«

»Wie bitte? Charlotte? Was zum Teufel macht die denn hier? Ich dachte, die wäre vor Jahren mit diesem Italiener durchgebrannt?«

»Ich bin nicht durchgebrannt, wir wollten heiraten!«, bellte Charlotte die Tür an. »Wir haben uns in Paris trauen lassen. Das war sehr romantisch!«

»Wie auch immer. Macht die Tür auf! Gillian, wir müssen los. Und zwar jetzt!«

»PIPI!«

»Charlotte«, flehte Gillian leise. Charlottes flüchtiger Blick zur Tür verriet zwar eine gewisse Besorgnis, als der Schwarze Earl weiterhin dagegen hämmerte und verlangte, sofort hereingelassen zu werden, doch es war der strenge Unterton in der Stimme ihrer engsten Freundin und liebsten Verwandten, der sie schließlich aufhorchen ließ. »Ich verstehe ja, warum du so aufgewühlt bist, und ich weiß, welch schwere Zeit du in einem schaurigen, verfallenen Schloss in Italien und auf der Heimreise nach England durchgemacht hast – aber, meine liebe Cousine, ich habe einen Sohn, der nicht mehr lange an sich halten kann. Und ich habe zwei weitere Kinder, die mit ihren Kindermädchen voller Ungeduld in der Kutsche auf uns warten, und ich habe einen Ehemann, der«, sie unterbrach kurz, als ein besonders lauter Schwall von Flüchen das noch heftigere Hämmern an der Tür unterstrich, »in diesem Moment den letzten Rest seiner heute ohnehin schon strapazierten Geduld verliert. Also bitte, Char – bitte gib mir den Schlüssel, ehe Noble sich gezwungen sieht, drastischere Maßnahmen zu ergreifen.«

Charlottes Blick sprang von dem zappelnden Jungen zu dem sorgenvollen Ausdruck in Gillians Smaragdaugen. Mit Tränen war sie in der Vergangenheit immer gut gefahren. Wenn sie dieses bewährte Mittel jetzt einsetzte, würde ihre Cousine begreifen, wie ernst es ihr war. Sie wartete auf das vertraute Brennen hinter den Lidern, das ihr verriet, dass ihre kornblumenblauen Augen gleich voller glänzender Tränen stünden, und verlieh ihrer Stimme den Klang tiefster Verzweiflung. »Gilly, ich brauche dich. Wirklich. Du bist alles, was mir geblieben ist. Es gibt sonst niemanden mehr, an den ich mich wenden kann. Dafür hat Vater schon gesorgt. Ich weiß nicht, wo ich hinsoll, und Geld habe ich auch keines mehr. Ich musste den Rest von Mutters Schmuck verkaufen, um mir ein Kleid und das Ticket für die Überfahrt nach England auf dem Handelsschiff kaufen zu können. Du bist die Einzige der ganzen Familie, die noch zu mir hält, und da du auf dem Weg zu den Westindischen Inseln bist …« Ihre Stimme versagte, während sie sich, selbst ein wenig überrascht, dass ihre Krokodilstränen mitspielten, die Feuchtigkeit von den Wangen wischte. »Ach, Gilly, bitte bleib hier. Hilf mir. Ich bin noch nie allein gewesen. Was soll ich denn nur machen?«

Gillian setzte sich das Kind auf die Hüfte und drückte Charlottes Hand. »Du weißt, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um dir zu helfen – «

Charlotte stieß einen Freudenschrei aus und umarmte ihre Cousine, einschließlich des Kindes mit dem dringenden Bedürfnis. »Ich wusste, du lässt mich nicht im Stich!«

Ein gewaltiges Splittern erschütterte den Raum, als Noble Britton, bekannt unter dem (Charlottes Meinung nach untertriebenen) Namen »der Schwarze Earl«, durch die Tür brach, gefolgt von einem großen Mann mit Perücke und Haken anstelle der linken Hand. Zwei Diener in Livree begleiteten sie zu ihrer Unterstützung.

»Geht es euch gut?«, fragte der Earl seine Countess, während er zu ihr eilte.

Sie lächelte ihm beruhigend zu. »Natürlich, Liebster. Charlotte braucht nur noch ein oder zwei Minuten meiner Zeit, dann können wir uns auf den Weg machen.« Sie kam dem Protest zuvor, der sowohl ihrem Mann als auch ihrer Cousine auf der Zunge lag, indem sie das zappelnde Kind in die Arme seines Vaters drückte, ehe sie Charlotte packte und zu einem in der Nähe stehenden Sofa führte, das mit Damast in Smaragd- und Goldtönen bezogen war. »Während du mit Dante zum Klosett gehst, spreche ich kurz mit Char. Crouch, bitte bringen Sie Lady Charlottes Sachen in die Blaue Suite. Sie wird ein Weilchen hierbleiben. Dickon, Charles, die anderen Kutschen sollen losfahren, wir kommen gleich hinterher.«

Noble sah seine Frau fragend an, ehe er die Stirn runzelte und Charlotte mit einem Blick streifte – die froh war, dass dieser sie nur kurz traf, hatte sie doch der finsteren Miene des Earls noch nie viel entgegensetzen können. Als der Junge ankündigte, sich sofort und auf der Stelle zu erleichtern, verließ der Earl mit ihm eilig die Bibliothek.

»Du hast fünf Minuten, dann muss ich los«, erklärte Gillian ihrer Cousine in strengem Ton. »Wenn du möchtest, kannst du gerne hierbleiben, so lange du willst. Was kann ich sonst noch für dich tun?«

Charlotte drehte sich das Herz auf so eigenartige Weise im Leibe herum, dass sie meinte, es wäre ihr in die Schuhe gerutscht. »Du willst gehen? Du willst mich tatsächlich alleinlassen?«

»Ich habe gar keine andere Wahl«, erklärte Gillian ruhig. Im ersten Augenblick versetzte es Charlotte einen Stich, dass ihre Cousine sich einfach davonmachte, doch nach kurzem Überlegen musste sie zugeben, dass Gillian nicht dableiben konnte, während ihr Mann und ihre Kinder zur familieneigenen Kaffeeplantage segelten. Sie verdrängte das schmerzliche Gefühl des Verlassenseins und konzentrierte ihre gesamte Energie darauf zu beschreiben, in welch ein Trümmerfeld sich ihr Leben verwandelt hatte.

»Du hast doch den Brief erhalten, in dem ich dir schrieb, dass Antonio im November am Schweißfieber verstorben ist?«

Gillian nickte. »Und dass du Villa Abalongia verlassen würdest, weil du es nicht leicht mit seiner Familie hättest. Aber du hast auch geschrieben, dass du nach Paris und nicht nach England zurückwolltest.«

Erneut drohten Charlotte die Tränen zu kommen und unattraktiv geschwollene, rote Augen sowie eine Nase zu hinterlassen, die sicherlich kräftig geputzt werden müsste. »Und ich besitze nicht mal mehr ein Taschentuch«, jammerte sie, als sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Es geschah selten, dass Charlotte echte Tränen vergoss, und sie fühlten sich genauso unangenehm an, wie sie ihr in Erinnerung waren. »Alles ist weg, alles! Die Contessa hat mir alles weggenommen und ihren beiden garstigen, fetten Töchtern gegeben. Sie sagte, dass ich meine feinen Kleider ja nicht bräuchte, solange ich um Antonio trauere, dass ich auf einem winzigen Bauernhof in den Bergen leben und eine Herde stinkender Ziegen hüten sollte und dass man mich nicht mehr in Florenz haben wollte, da ich kein richtiges Familienmitglied wäre, weil ich Antonio keinen Erben geschenkt hätte!«

»Das war wirklich sehr grausam von ihr.«

»Ja«, stimmte Charlotte schniefend zu. »Das war es. Zumal es nicht meine Schuld war. Ich hätte doch gar nichts gegen ein Kind gehabt – deine scheinen dir so viel Freude zu bereiten –, aber Antonio weigerte sich, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen.«

Gillian riss die Augen auf. »Er … er hat sich geweigert?«

Charlotte nickte, während sich ihre Augen bei der Erinnerung an diese himmelschreiende Ungerechtigkeit aufs Neue mit Tränen füllten. »Er musste sich furchtbar anstrengen, um die Ehe zu vollziehen. Und nach diesem einen Mal … ach, Gilly, danach hat er es nicht mal mehr versucht. Und die Contessa hat mir ständig vorgeworfen, dass ich meinen Pflichten nicht richtig nachkäme! Dabei habe ich es versucht, immer wieder! Ich habe unzüchtige Nachthemden getragen und ihm so manches Mal erlaubt, mich noch im Negligé anzutreffen. Sogar eine Metze habe ich um Rat gefragt, um die Leidenschaft von Antonios bestem Stück zu entfachen, aber ohne Erfolg. Sein Ding hat all meinen Bemühungen widerstanden. Ich glaube, es hat mich gehasst«, fügte sie niedergeschlagen hinzu.

»Nein, ich bin sicher, es war nicht – «

»Es wollte nicht mal für mich zucken!«

»Aber, Charlotte.« Gillian wirkte peinlich berührt. »Das ist doch kein Tier, dem man beibringt, auf Kommando zu springen.«

»Das weiß ich ja, aber die Metze sagte, es sollte wenigstens hin und wieder zucken und nicht nur so schlaff und lustlos wie ein nasses Handtuch daliegen. Es hat sich nicht das kleinste bisschen für mich interessiert. Wenn das nicht grausam und dickköpfig von seinem Ding war, dann weiß ich es auch nicht!«

Gillian blinzelte ein- oder zweimal, ehe sie ihrer Cousine tröstend den Arm tätschelte und ihr ein spitzenumsäumtes Taschentuch reichte. Charlotte sah es traurig an. »Solche Taschentücher habe ich auch mal besessen«, weinte sie, ehe sie sich die Augen abtupfte und dann äußerst unfein ausschnaubte. »Aber diese gemeine Frau hat sie mir genommen wie alles andere auch, selbst meinen Ehemann!«

»Ach, seiner Zuneigung für dich hat sie dich bestimmt nicht beraubt – «

»Seiner Zuneigung nicht«, schniefte Charlotte laut. »Er hat mich wirklich sehr gemocht, obwohl er es vor der Contessa nicht so gezeigt hat. Nein, sie hat ihn mir entrissen und seiner schwachen Lungen wegen in eine grässliche Kleinstadt am Mittelmeer geschickt. Und dort ist er dann gestorben!«

»Char, das mit Antonio tut mir sehr leid. Ich weiß, du musst ihn sehr geliebt haben …«

Charlotte hörte auf, sich die Augen zu trocknen, und blickte sie mit großem Erstaunen an. »Geliebt? Wie kommst du denn darauf?«

Gillians tröstende Hand verharrte. »Nun ja … ich meine … du bist doch mit ihm durchgebrannt! Du hast allen Freiern einen Korb gegeben und dich heimlich mit dem Sohn eines unbedeutenden italienischen Edelmannes davongemacht. Warum hättest du alles aufgeben sollen, was dir lieb und teuer war, wenn nicht aus inniger Liebe?«

»Ach das«, erwiderte Charlotte mit einer wegwerfenden Geste und befühlte vorsichtig den Bereich um ihre Augen, um sich zu vergewissern, dass die soeben vergossenen Tränen keine Spuren hinterlassen hatten. »Ich hatte meine dritte Saison, und die Freier jenes Jahres sagten mir alle nicht zu. Antonio aber war wie der Held in Schloss Moldavia oder Das Gespenst des Tanzmeisters. Er war ja so romantisch. Vater aber war viel zu stolz und zu vornehm, um mir die Ehe mit ihm zu erlauben. Stattdessen drohte er, mich zu enterben, sollte ich nicht einen angemessenen Verehrer heiraten. Vater wurde immer anstrengender und die Saison so langweilig, dass ich schließlich das einzig Opptutune tat.«

»Das einzig Opportune?«, korrigierte Gillian automatisch und betrachtete ihre Cousine mit ungläubigem Staunen. »Willst du damit sagen, du hast dich für die heimliche Heirat entschieden, obwohl du wusstest, dass dein Vater gegen deinen Ehemann war und dich enterben würde und dass deine skandalöse Flucht dir die Rückkehr in die Gesellschaft für alle Zeiten verwehren würde? Und das alles nicht aus Liebe, sondern nur, weil dir langweilig war?«

Charlotte zog die Stirn kraus. »Erschweren vielleicht, aber nicht für alle Zeiten verwehren. Und was hat das überhaupt miteinander zu tun? Du hast gesagt, du würdest mir helfen. Ich glaube kaum, dass es mir hilft, wenn wir die mir zugestandenen fünf Minuten damit verschwenden, über die letzten vier Jahre zu streiten. Ich wüsste nicht, welchen Sinn es hätte, mich für etwas zu tadeln, das einige Leute als romantisch und kühn … «

»Sowie rücksichtslos, töricht und überstürzt … «

»… betrachten«, beendete Charlotte, wobei sie die Unterbrechung ignorierte. »Wie ich bereits sagte, ich weiß einfach keinen Ausweg aus diesem fürchterlichen Totuwabotu.«

»Tohuwabohu.« Gillian nagte einen Moment lang an ihrer Unterlippe. Charlotte beobachtete sie voller Hoffnung; immer wenn dieses besondere Leuchten in die Augen ihrer Cousine trat, ersann sie einen ihrer brillanten Pläne. »Was ist mit Lord Collins?«

»Matthew?«, schnaubte Charlotte. »Er ist aus demselben Holz geschnitzt wie Vater. Nach Vaters Tod vor fast vier Jahren hat Matthew es sich zur Aufgabe gemacht, die gesellschaftliche Neun über mich zu verhängen.«

»Gesellschaftliche Acht, Char. Du könntest dir wirklich etwas mehr Mühe geben, die richtigen Worte zu benutzen.«

»Papperlapapp! Sprache sollte flüssig sein; sie sollte mir dienen, und nicht ich ihr. Und schweif bitte nicht ab, mir bleiben nur noch wenige Minuten. Nachdem Antonio seiner schweren Krankheit erlegen war, habe ich Matthew geschrieben, aber alles, was ich von ihm zur Antwort bekam, war eine knappe Nachricht, in der stand, dass ich jetzt das ernten würde, was ich gesät hätte. Vonseiten meines Bruders oder der übrigen Familie habe ich also keinerlei Hilfe zu erwarten.«

»Hmmm. Tja, du hast natürlich ein paar Vorzüge, auf die wir aufbauen können …«

Charlottes dunkle Wimpern flackerten, als sie mit einem bescheidenen Lächeln den Blick auf ihre Hände sinken ließ, eine in ihren Augen äußerst einnehmende Geste. »Gewiss doch; nett, dass du das sagst, vor allem wenn man bedenkt, dass momentan zierliche, blonde Schönheiten gefragt sind, und keine rothaarigen Amazonen mit grünen Augen wie du.«

Gillian sah sie verblüfft an. Charlotte ließ ihre Grübchen auf eine – wie ihr die Herrenwelt schon mehrfach bescheinigt hatte – ausgesprochen entzückende Art und Weise zum Vorschein kommen. »Mein Äußeres also.«

Die Verblüffung in Gillians Gesicht wurde noch deutlicher, als ihre Cousine erklärte: »Du hast von meinen Vorzügen gesprochen, liebste Cousine! Es würde sich nicht schicken, jetzt meine vielfältigen Reize hervorzuheben, doch so überaus bescheiden, dass ich mir ihrer nicht bewusst wäre, bin ich nun auch wieder nicht. Wie du dich vielleicht erinnerst, hat Lord Darnley sogar ein Sonett über meine Augen geschrieben.«

Gillian stöhnte. »Ach das.«

»Er nannte sie kristallklare Tiefen des Azurs, was auch immer das ist. Und Lord Beckstand hat tatsächlich einmal mehrere Zeilen über den goldenen Glanz meines blonden Haars verfasst.«

»Azur bedeutet himmelblau, aber ich habe gar nicht von so etwas Trivialem wie deinem Äußeren geredet, Char. Vielmehr meinte ich deine Werte, deine inneren Werte.«

»Trivial!« Diese Herabwürdigung ließ Charlotte erschaudern. »Trivial! Gillian, die Ehe hat dir die Sinne verwirrt! Das Aussehen eines Menschen kann man doch wohl nicht als trivial bezeichnen. Ohne ein ansprechendes Äußeres hat man schließlich keine Verehrer! Keine inamoratos! Man wäre ein gesellschaftlicher Außenseiter! Man würde nicht zu Bällen, Abendgesellschaften oder einem geselligen Frühstück eingeladen! Man könnte nicht einmal die Oper oder das Theater besuchen und auch nicht erwarten, von Leuten mit Niveau und Geschmack empfangen zu werden …«

Gillian nickte, noch ehe Charlottes Worte verhallt waren. »Sehr richtig. Du bist der Liebreiz in Person und befindest dich dennoch in einer Lage, die ganz genau der entspricht, die du beschrieben hast; daher meine Bemerkung über die Trivialität von etwas so Oberflächlichem wie der Schönheit. Für dich ist es jetzt wichtig, dich auf deine Vorteile zu besinnen, das heißt, auf deinen Status als Witwe, deine gute Herkunft, deine angenehme Art und …«, sie holte tief Luft, »… deine Bereitschaft, wieder zu heiraten.«

»Heiraten?« Charlotte sah ihre Cousine überrascht an. »Wer hat denn hier von Heirat gesprochen? Soeben hast du gesagt, dass meine Witwenschaft ein Vorteil wäre. Warum also sollte ich sie aufgeben?«

Gillian warf einen flüchtigen Blick zur Tür. Vom Flur her waren Stimmen zu hören. »Charlotte, da deine Auswahlmöglichkeiten recht eingeschränkt sind, bemühst du dich jetzt entweder, den Zwist mit deiner Familie beizulegen …«

»Das habe ich ja versucht. Aber Matthew ist genauso ein Dickschädel, wie Vater einer war.«

»… oder du begleitest uns auf die Westindischen Inseln …«

Charlotte stöhnte missbilligend auf. »Da ist es mir zu heiß. Ich würde den ganzen Tag transpirieren, und was kann es Schlimmeres geben als andauernde Transpiration?«

»… oder du nimmst eine Anstellung als Gesellschafterin einer älteren Dame an …«

Dieser Vorschlag wurde mit einem wenig damenhaften Schnauben quittiert.

»… oder du heiratest wieder.«

Charlottes Stirn legte sich in Falten, während sie das triste olivgrüne Kleid glatt strich, das sie für die Reise nach England von ihren begrenzten Mitteln erstanden hatte. »Heiraten. Ans Heiraten hatte ich eigentlich nicht gedacht. Ich wollte nur zurück nach Hause. Heiraten bedeutet doch … na ja, einen Ehemann zu haben, nicht wahr? Ich weiß nicht, ob ich noch einmal einen Mann haben möchte.«

»Na schön, aber was möchtest du dann?«

Charlotte zog einen Schmollmund. »Ich will das, was ich hatte, bevor Antonio mich gepackt und auf dieses gottverlassene italienische Schloss verschleppt hat. Ich will die unangefochtene Königin der Saison sein, ich will einen Schwarm von Verehrern um mich haben, ich will schöne Kleider und ich will tanzen und verstohlene Küsse im Garten!«

»Aber du bist keine achtzehn mehr, Charlotte«, gab ihre Cousine zu bedenken. »Du bist jetzt eine erwachsene Frau. Da verlangt es dich doch gewiss nach Bedeutsamerem als nach dem Glanz und Glitter der vornehmen Gesellschaft.«

»Was ist denn falsch an diesem Glitter?«, fragte Charlotte, deren pikierte Miene sich in ein Stirnrunzeln verwandelte. »Es ist eine strahlende, funkelnde Welt, die hübsch anzusehen ist. Und sie ist unterhaltsam.«

»Und oberflächlich, inhaltslos und absolut unwichtig. Ach, Char. Ich möchte ja, dass du glücklich bist, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie das gehen soll, wenn du nur – «

»GILLIAN!«

Gillian erhob sich, als die Stimme aus der Halle an Schärfe gewann. »Verflixt! Ich muss jetzt wirklich gehen. Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann. Crouch und das übrige Personal werden sich um dich kümmern, solange du hier bist. Bleib in Britton House, solange du willst. Ich sorge dafür, dass dir die Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Und solltest du irgendwie in Bedrängnis geraten und einen Rat brauchen, schreib mir.«

»Es wird eine Ewigkeit dauern, bis ich eine Antwort von dir bekommen werde, und außerdem würdest du mich ohnehin nur bevormunden und mir Ratschläge geben, mit denen ich nichts anfangen kann.« Charlotte zupfte an der hässlichen Zierkante ihres ebenso hässlichen Kleides und versuchte, ihre Cousine nicht um das elegante grün-weiß gestreifte Kleid mit dem passenden grünen Besatz zu beneiden.

»Es würde dir keineswegs schaden, wohlgemeinte Ratschläge anzunehmen, Charlotte. Denk darüber nach, was ich gesagt habe – ich wünsche mir wirklich keine nächste unglückliche Ehe für dich, aber ich sehe beim besten Willen keinen anderen Ausweg als eine Wiederheirat.«

Charlotte nickte traurig und begleitete Gillian in die Halle. Zum Abschied gab sie ihr und Dante einen Kuss auf die Wange und bemühte sich, unter dem ernsten und missbilligenden Blick des Earls nicht zusammenzuzucken. Sie rang sich ein Lächeln ab, als sie der letzten ihr wohlgesinnten Verwandten nachwinkte, die in einer eleganten schwarz-roten Kutsche davonfuhr.

»Sie lässt mich doch tatsächlich mit niemandem als einem Haufen Diener allein zurück. Verflixt!«, fluchte Charlotte, als die Kutsche verschwand.

»Das könn Se laut sagn«, murmelte eine Stimme hinter ihr. Als sie herumwirbelte, um den Urheber dieser Worte zu maßregeln, blickte sie in die Unschuldsmienen des in Reih und Glied angetretenen Personals.

»Hmph«, schnaubte sie und beäugte die versammelte Dienerschaft. »So gern ich angesichts meiner verzweifelten und tragischen Lage auf der Stelle in Tränen ausbrechen würde, hebe ich mir meine wohlverdiente Melancholie für später auf. Jetzt haben andere Dinge Pietät. Crouch, bringen Sie mir Briefpapier, und sorgen Sie dafür, dass die Lakaien bereitstehen.«

»Äh … mein Se etwa Priorität, M’lady?«

Charlotte bedachte den Mann mit dem Blick, mit dem sich Graveltoes, der Butler ihres Vaters, immer hervorragend hatte einschüchtern lassen, doch der von den Westons beschäftigte Riesenpirat war anscheinend aus härterem Holz geschnitzt. Kein Zweifel, dass ihm sein Greifhaken ein Gefühl der Überlegenheit vermittelte. »Ich begreife nicht, warum Sie und Gillian sowie viele andere auch so viel Aufhebens wegen etwas so Unwichtigem wie der Sprache machen, Crouch. Das kann doch nicht gesund sein. Ich gebe Ihnen den dringenden Rat, damit aufzuhören. Und glauben Sie bloß nicht, bei mir könnten Sie sich so aufführen wie bei Gillian. Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Mir reicht’s allmählich. Immerhin plane ich meine grandiose Rückkehr in die Salons und Ballsäle der Crème de la Crème der Gesellschaft.«

Sie scheuchte Crouch davon und stapfte nach oben, um Gillians privates Wohnzimmer in Beschlag zu nehmen. Nach dem Skandal ihres Durchbrennens mit Antonio würde es nicht leicht werden, sich in der Gesellschaft wieder zu etablieren, andererseits lag dieses Ereignis bereits vier Jahre zurück, sodass die Leute die pikanten Einzelheiten vermutlich längst vergessen hatten. Mit ein wenig Geschick und Süßholzgeraspel an der richtigen Adresse würden ihr bestimmt schon bald wieder sämtliche Türen offen stehen. Auch wenn es nicht angenehm werden würde, sich die Leviten von jenen älteren Damen lesen zu lassen, die sie vor all den Jahren als töricht und starrköpfig bezeichnet hatten – ein paar Bemerkungen wie »Ich hatte Sie gewarnt!« würde sie zur Not ertragen können. Außerdem waren es die Herren, denen ihr Augenmerk zu gelten hätte – schließlich besaß sie Charme und Temperament, und obwohl ihre Cousine den Nutzen eines hübschen Gesichts und schlanker Fesseln infrage stellte, hatte sich für Charlotte eines immer wieder bestätigt: dass sie alles haben konnte, was sie wollte, wenn sie nur kräftig mit den Wimpern klimperte und ihre Grübchen zeigte.

»Das wird ein Kinderspiel«, prophezeite sie, als sie sich setzte, um einige Briefe zu schreiben.

»Ich fasse es nicht! Ich fasse es nicht! Was untersteht sie sich, mir einen Korb zu geben! Wie kann sie es wagen, mir zu schreiben, dass ich auf ihrem dummen Maskenball nächste Woche nicht willkommen bin! Was fällt ihr ein zu behaupten, niemand, der etwas auf sich hält, wolle noch etwas mit mir zu tun haben!« Charlotte zerriss ein cremefarbenes Blatt Papier und warf die Schnipsel in den kalten Kamin. »Wer hätte gedacht, dass Lady Jersey ein Gedächtnis wie ein … ein … ein Löwe hat?«

»Wie ein was?«

Charlotte winkte mit beiden Händen ab, während sie vor der Besucherin hin und her lief, die auf dem kleinen blau-goldenen Brokatsofa im Wohnzimmer ihrer Cousine saß.

»Wie ein Löwe, Caro, ein Löwe. Du weißt doch, diese riesigen grauen Biester, die in Afrika leben. Sie besitzen ein erstaunliches Gedächtnis.«

Lady Caroline Beverly wirkte etwas verwirrt. »Bist du sicher? Der Löwe, den ich einmal im Zirkus gesehen habe, hatte ein gelbbraunes Fell und war nicht größer als ein Pony.«

Charlotte drehte auf dem Absatz um und kehrte zum Kamin zurück. »Braun, grau, was macht das schon für einen Unterschied! Sie stammen aus Afrika und haben ein hervorragendes Gedächtnis. So wie Lady Jersey.«

Caroline runzelte die Stirn. »Ich dachte, Lady Jerseys Familie stammt aus Devonshire.«

Charlotte hielt inne, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihre Freundin empört an. »Was um alles in der Welt hat denn Lady Jerseys Familie damit zu tun?«

»Du hast doch von ihr geredet! Du hast gesagt, sie stammten aus Afrika, genau wie die Löwen.«

»Manchmal, meine liebe Caro«, sagte Charlotte und sog geräuschvoll den Atem ein, »bedaure ich es, nach England zurückgekehrt zu sein. Gedächtnis, Caro, ich habe Lady Jersey mit einem Löwen verglichen, weil er so ein hervorragendes Gedächtnis besitzt. Genau wie sie.«

»Ach, tatsächlich? Wofür denn?«

Charlotte warf die Hände in die Luft und setzte ihre Wanderung fort, wobei sie sich ermahnte, nicht über die einzige Person herzufallen, die auf ihr Hilfegesuch reagiert hatte. »Ich kann es mir nicht erlauben, wählerisch zu sein«, brummte sie leise.

»Nein, du hast gesagt, du wärst mittellos, aber das erklärt nicht, warum du dich so wegen Lady Jerseys Gedächtnis aufregst.«

Charlotte atmete tief und langsam ein und ließ sich neben Lady Caroline auf dem kleinen Sofa nieder. »Caroline, jetzt hör mir mal gut zu. Du erinnerst dich doch daran, dass ich England vor vier Jahren verlassen habe, um den ältesten Sohn des Conte di Abalongia zu heiraten?«

Caroline nickte. »Ja, natürlich. Was für ein Skandal! Damals sagte Mutter, die Geschichte würde kein gutes Ende nehmen und dass auch du böse enden würdest und dass ich es mir bloß nicht einfallen lassen sollte, mit meinem Zeichenlehrer Raoul durchzubrennen, was ich natürlich nie vorgehabt hatte, weil doch mein geliebter Algernon kurz davor war, um meine Hand anzuhalten, und warum sollte ich ausreißen und einen Zeichenlehrer heiraten wollen, wenn ich doch stattdessen Viscountess werden konnte? Auch wenn Raouls Schnurrbart sehr attraktiv war – erinnerst du dich noch? Die spitzen Enden waren einfach wundervoll. Und als ich mich einmal bewundernd über den Bart von Sir Ralph Henderson äußerte, wollte mein geliebter Algernon sich mir zuliebe ebenfalls einen Schnurrbart stehen lassen. Leider hatte er kein Glück damit, obwohl ich ihm getreulich Abend für Abend seine Lippe mit Pomade eingerieben habe.«

Charlotte spürte, wie ein schwaches Pochen hinter ihrer Stirn einsetzte. Sie öffnete ein Fenster, das auf den winzigen Garten hinausging, und genoss die herrliche Sommerluft, deren Duft nur durch den allgegenwärtigen Kohlengeruch leicht getrübt wurde.

»Ich muss gestehen, ich war froh, als er es aufgab. Die Pomade enthielt Knoblauch, und du kannst dir sicher vorstellen, dass es unmöglich ist einzuschlafen, wenn neben dir im Bett jemand liegt, der nach Knoblauch riecht.«

Charlottes Kopfschmerzen wurden stärker. »Caroline, meinst du, wir könnten zum Thema zurückkommen, nämlich, dass Lady Jersey auf Schritt und Tritt ihr Gift verspritzt, indem sie überall die Erinnerungen an meine damalige romantisch-kühne Flucht auffrischt?«

»Oh, aber Lady Jersey ist doch gar nicht diejenige, die hier Gift verspritzt«, widersprach Caroline, während sie das weiche graue Ziegenleder ihrer Handschuhe glättete. »Zumindest hat das mein lieber Algernon gesagt, als wir vor zwei Tagen in der Oper waren, wo er sich mit Lord Collins unterhalten hat. Hast du deinen Bruder überhaupt schon gesehen, seit du wieder zu Hause bist? Er hat so einen wundervollen Schnäuzer und ein ganz kurzes Kinnbärtchen, was ich eigentlich gar nicht mag, trotzdem wirst auch du diesen Schnurrbart bestimmt für den letzten Schrei halten. So wird er jetzt von vielen Gentlemen getragen. Von meinem geliebten Algernon natürlich abgesehen. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht noch mehr schlaflose Nächte wegen dieses fürchterlichen Knoblauchgestanks verkraften kann.«

Charlotte runzelte vor lauter Konzentration die Stirn, als sie den Gedankensprüngen ihrer Freundin zu folgen versuchte. »Was hat mein Bruder zu Lord Beverly gesagt?«

»Über seinen Schnurrbart? Nun, anscheinend verwendet er eine spezielle Pomade aus dem Drüsensekret eines – «

»Nein, was hat Matthew über mich gesagt?«

Caroline schürzte die Lippen, während sie die dunklen, staubigen Gänge ihres Gedächtnisses durchsuchte. »Ach so, das. Als mein geliebter Algernon erwähnte, dass ich die Absicht hätte, dich heute zu besuchen, hat Lord Collins ihm gesagt, dass er mir dies unter keinen Umständen erlauben dürfe und dass dein Vater nach ›jenem Vorfall‹ für deine Verbannung aus der Gesellschaft gesorgt hätte und dass dein Bruder es als seine heilige Pflicht betrachte, den Wünschen seines Vaters nachzukommen, und dass er an Lady Jersey und andere wichtige Damen herantreten werde, um sie seine Einstellung wissen zu lassen. Wie du siehst, trifft Lady Jersey gar keine Schuld, dass du gestern so oft geschnitten wurdest, als du unterwegs warst. Ich nehme an, dies alles ist vielmehr das Werk deines ­Bruders.«

»So ein Unmensch!«, fauchte Charlotte und ballte die Fäuste, während sie zum Kamin stapfte. Nachdem sie ein Mal hart mit dem Fuß aufgestampft hatte, fühlte sie sich auch nicht besser, also wirbelte sie herum und marschierte zum anderen Ende des Zimmers, wobei sie vor Zorn nur so sprühte. »Ich wusste zwar, dass er mich nicht mit offenen Armen wieder in die Familie aufnehmen würde, aber meine Aussichten darauf bewusst zu schmälern, nun, das ist … das ist … das ist ein Dasester!«

»Ein Desaster.« Caroline nickte. »Zumal du all deine Hoffnungen an deinen Plan knüpfst, einen Ehemann zu finden. Welcher Gentleman wird noch um deine Hand anhalten wollen, wenn er erfährt, dass sich dein eigener Bruder von dir abgewandt hat?«

Charlotte stieß ein leises Knurren aus und marschierte an der Besucherin vorbei, wobei sie zwei Finger an die Stirn presste.

»Natürlich könntest du immer noch außerhalb der vornehmen Kreise nach einem Ehemann suchen«, räumte Caroline zaghaft ein.

Charlotte blieb abrupt vor ihr stehen und blickte sie aus schmalen Augen stolz an. »Hüte deine Zunge, Caro! Ich bin die Tochter eines Earls, die Witwe des Erben eines Counts, und ich werde die Frau eines Edelmannes werden, komme, was da wolle! Nein, ich werde mich nicht außerhalb der feinen Gesellschaft umsehen, sondern es meinem Bruder zeigen.«

Carolines dunkelgraue Augen verrieten plötzliches Interesse. »Wie willst du das anstellen?«

»Es ist doch offensichtlich, dass er meine Rückkehr nach London nicht stillschweigend hinnimmt. Vielmehr hat er eindeutig damit begonnen, mir ganz gezielt meinen rechtmäßigen Platz vorzuenthalten, indem er mich in seinen Clubs aufs Übels­te verleumdet und alle Junggesellen vor mir warnt.«

»Ich könnte meinen Algernon fragen, ob er irgendetwas gehört hat«, bot Caroline ihr an.

»Mmm.« Charlotte zwirbelte ihr geliehenes Taschentuch, während sie sich wieder in Bewegung setzte und dabei fieberhaft nachdachte. »Es muss doch jemanden geben, den Matthews Plan keinen Schmetterling kümmert. Wer hält sich gerade in der Stadt auf, Caro? Ich meine natürlich nur unverheiratete, wohlhabende Herren mit einem Titel.«

»Pfifferling.«

»Was?«

»Man sagt, keinen Pfifferling kümmert, nicht Schmetterling.«

Charlotte blieb stehen und blickte Caroline vernichtend an. »Du jetzt also auch noch? Was ist nur passiert, als ich in Italien war? Wurdet ihr alle von einer Art Sprachenseuche befallen?«

»Aber – «

»Wolltest du mir nun helfen oder nicht?«

»Ja, sicher, aber – «

»Selbst nachdem mein Bruder deinen Mann vor einem Treffen zwischen dir und mir gewarnt hat?«

»Ja, ich habe dir doch gesagt, ich hätte Algernon versichert, dich träfe überhaupt keine Schuld – «

»Dann konzertiere deine Gedanken bitte auf Wichtigeres, statt dich über solche Nichtigkeiten wie einzelne Worte auszulassen!« Für einen Moment ruhte Charlottes durchdringender Blick auf ihr, ehe sie sich zum Fenster wandte und mehrmals tief Luft holte, um sich zu beruhigen.

»Konzentrieren, nicht konzertieren«, stellte Caroline leise fest.

Charlotte warf sich herum. »Was?«

Caroline errötete und ließ den Blick auf die zwischen ihren Fingern verdrehten Handschuhe sinken. »Nichts. Was willst du über die ledigen Gentlemen wissen?«

»Alles. Wer sich zurzeit in der Stadt aufhält, wer Vermögen und einen Titel besitzt, und natürlich ob wir gemeinsam ein gutes Bild abgäben.«

»Ob ihr gemeinsam ein gutes Bild abgeben würdet?«, wunderte Caroline sich.

»Ja, doch, ob wir gemeinsam ein gutes Bild abgeben würden! Ich meine, ob wir vom äußeren Erscheinungsbild her zusammenpassen. Ob wir einmal gut aussehende Kinder haben. Ich brauche unbedingt einen Mann, der mir gut aussehende Kinder schenkt. Kannst du dir vorstellen, hässliche Kinder zu haben?« Sie erschauderte. »Das kommt überhaupt nicht infrage. Und deshalb brauche ich einen Mann, der nicht nur über Vermögen und eine angemessene gesellschaftliche Stellung verfügt, sondern auch über ein Äußeres, das gut zu meinem passt.«

Caroline starrte sie mit offenem Mund an.

»Nun mach schon, Caro. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Schließlich muss ich Pläne schmieden. Welcher der Junggesellen in der Stadt verfügt über genügend Kapital, einen passenden Titel und ein annehmbares Äußeres, um meinen Ansprüchen gerecht zu werden?«

Carolines Mund klappte hörbar zu. »Ich … du … also … da wäre Sir Everett Dillingham.«

Charlotte setzte sich aufs Sofa und griff nach dem Fächer, der dort abgelegt worden war, und wedelte sich Luft zu. »Everett? Der lebt noch? Zu alt, Caro, viel zu alt. Der muss doch schon mindestens vierzig sein! Lass dir jemand Jüngeren einfallen.«

»Hm.« Caroline biss sich nachdenklich auf die Lippen. »Da hätten wir noch den Sohn des Marquis von Chilton. Er erfreut sich großer Beliebtheit.«

»Sein ältester Sohn? Der Earl von Bramley? Ich dachte, der hätte Lucy Gordonstone geheiratet?«

»Nicht sein ältester Sohn, sondern sein jüngster. Lord Thomas.«

Charlotte starrte ihre Freundin entsetzt an. »Thomas? Der ist erst neunzehn!«

»Du hast doch gesagt, du wolltest jemanden, der jünger ist.«

»Aber doch nicht infantil! Ich bin dreiundzwanzig, Caro. Ich möchte einen Mann meines Alters und keinen, der noch feucht hinter den Ohren ist!«

»Tut mir leid, aber da fällt mir niemand ein.«

Charlotte schloss geräuschvoll den Fächer. »Dann streng dich an. Es muss doch jemanden geben, dessen Titel, Vermögen und Aussehen mich zufriedenstellen.«

»Tjaaa«, sagte Caroline gedehnt, während sie ihrer Freundin argwöhnisch in die Augen blickte. »Ich habe von einem Gentleman gehört, der in der Stadt weilt und dir gefallen könnte, aber er lässt sich nur selten bei Veranstaltungen sehen.«

»Umso besser«, lächelte Charlotte und ließ ihre Grübchen aufblitzen. »Dann wird er nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ich in der Gesellschaft Furore mache, so wie es mir zusteht. Wie heißt er?«

»Er soll schrecklich aufbrausend sein, und von Mutter weiß ich, dass er schon mal ein Duell wegen eines Frauenzimmers hatte.«

»Das zeigt, dass er leidenschaftlich ist und für Bettgeschichten durchaus etwas übrig hat. Ich kann dir versichern, dass er eine nette Abwechslung zu Antonio sein wird. Wer ist dieser Gentleman?«

»Da er ein Earl ist, haben ihn viele Mütter ins Visier genommen«, warnte Caroline. »Du wirst eine Menge ­Konkurrenz ­haben.«

Charlottes Grübchen gruben sich noch tiefer in ihre Wangen. »Das lass nur meine Sorge sein. Nun sag schon, wer ist dieser beeindruckende Earl?«

Caroline zögerte einen Moment. »Jemand, mit dem du vor fünf Jahren schon einmal zu tun hattest.«

»Ach, tatsächlich?« Charlotte klopfte nachdenklich mit den Fingern auf die Lehne des Sofas. »Ein Earl? Ich kann mich nicht erinnern, einen Earl unter meinen Bewunderern gehabt zu haben, bevor ich Antonio kennenlernte. Wie ist sein Name?«

»Streng genommen zählte er auch nicht zu deinen Bewunderern«, erklärte Caroline bedächtig. »Das Interesse war eher einseitig …«

Langsam formte sich ein Gesicht in den Tiefen von Charlottes Gedächtnis, ein schmales, markantes Gesicht, das nach herkömmlichen Maßstäben vielleicht nicht schön, doch sehr prägnant wirkte, ein Gesicht, das sie in den vergangenen fünf Jahren immer wieder in ihren Träumen vor sich gesehen hatte.

»… obwohl es durchaus einige gab, die meinten, du würdest das Unmögliche schaffen und ihn dazu bewegen, dir einen Heiratsantrag zu machen …«

Am stärksten waren ihr seine Augen in Erinnerung geblieben. Ein tiefes Saphirblau, zuweilen so dunkel wie Indigo, die Iris umgeben von einem ausgeprägtem schwarzen Ring. Sein Blick war imstande gewesen, selbst die perfekteste Fassade zu durchschauen und tief in die dahinter liegende Seele zu blicken.

»… doch dann hat deine Cousine geheiratet, und er ist auf seinen Landsitz nach Schottland zurückgekehrt. Ich rede natürlich von – «

»Alasdair McGregor, Lord Carlisle«, hauchte Charlotte und kam Caroline knapp zuvor.

»Ja«, bestätigte Caroline, während sie ihre Freundin sehr genau beobachtete. »Der einzige Mann, der in jener Saison dein Interesse erregt hat.«

»Alasdair«, murmelte Charlotte und hatte das Bild des attraktiven Schotten wieder vor Augen. »Er war so überaus gut aussehend, so schneidig, so geheimnisvoll. Jede Frau hat seine Aufmerksamkeit erringen wollen, und jede wollte an seinem Arm gesehen werden.«

»Du schienst ihm zu gefallen«, ergänzte Caroline langsam.

Charlotte schloss die Augen. Ihr schwindelte leicht, als sie daran dachte, was sie beim Tanzen mit ihm empfunden hatte. Oder als sie auf der Kutschfahrt durch den Park neben ihm gesessen hatte. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, er würde sie küssen, doch sie waren gestört worden, ehe sie hatte herausfinden können, wie sich seine Lippen auf ihren anfühlten. »Alasdair McGregor. Er hatte alles, was ich mir von einem Mann wünschte.«

Sie öffnete die Augen und sah Carolines wissenden Blick auf sich gerichtet. Entschlossen stand Charlotte auf und trat ans Fenster. Wie blind starrte sie in den Garten. »Und daran hat sich nichts geändert.«

2

Alasdair McGregor fühlte sich verfolgt.

Ein Gefühl, das seit seiner Ankunft vor wenigen Tagen in London zu seinem ständigen Begleiter geworden war. Es war seltsam, aber jeden Morgen vertrat sich eine andere junge Dame den Fuß vor seinem Haus (was sie dazu zwang, sich eine gewisse Zeit lang in seinem Haus erholen zu müssen). Und wenn er des Nachmittags einen Ausritt durch einen der Parks Londons unternahm, geschah es hin und wieder, dass eine Frau in einen der zahlreich vorhandenen Teiche oder Tümpel stürzte und wild um sich schlagend laut um Hilfe rief. Und die Abende endeten damit, dass sich leicht bekleidete Witwen in sein Bett stahlen und sich ihm anboten, und zwar ungeachtet der banalen Frage, ob er sie zu sich eingeladen hatte oder ihm der Sinn – oder was auch immer sonst – danach stand.

Dare – er führte den Titel des siebten Earls von Carlisle – hatte in seinem Leben bereits zweiunddreißig Sommer erlebt und war von einer auffallend kräftigen Statur, bei deren Anblick sich seine ungebetenen weiblichen Gäste die Lippen leckten. Vermutlich in der Vorfreude auf das zu erwartende Vergnügen in seinem Bett. All diese Eigenschaften sorgten dafür, dass die Damenwelt ihn als Freiwild betrachtete, vor allem jene Damen, die auf der Suche nach einem Ehemann waren.

»Batsfoam?«

»Ja, Mylord?«

»Ich spüre ein seltsames Kribbeln im Nacken.«

»Schon wieder, Mylord?«

»Ja, leider. Ist sie irgendwo zu sehen?«

Der Butler, der seinem Herrn einen Schritt weit entfernt hinterherhinkte, blieb stehen, um die Straße zu inspizieren. Mit einem leidgeprüften Seufzen und kummervoller Miene wandte er sich dann Carlisle zu. »Südsüdwest, Mylord. In einem Phaeton, dessen Rosa so unglaublich grell ist, dass es in den Augen sticht.«

Dare fluchte leise und machte längere Schritte… »Das muss Mrs Benton sein. Sie versucht schon seit drei Tagen, meine Aufmerksamkeit zu erringen. Wie weit ist sie noch entfernt? Glauben Sie, wir schaffen es bis zu Dunbridge und Storm, bevor sie uns einholt?«

Batsfoam, der eigentlich als Butler eingestellt worden war und aufgrund der angespannten finanziellen Lage seines Herrn inzwischen auch die Aufgaben eines Sekretärs, Kammerdieners und Reinzeichners erfüllte, blinzelte gegen die Nachmittagssonne und schätzte die Entfernung zur Kanzlei der Rechtsanwälte ab. »Unwahrscheinlich.«

»Verflucht!«

Die Schultern des Butlers sanken noch tiefer, als seine ohnehin gebeugte Haltung es bereits vorgab. Mit seinen dunklen Augen, den schwarzen Haaren und seiner in Ton und Textur an eine unreife Zitrone erinnernden Haut wandelte Batsfoam scheinbar dauerhaft inmitten einer düsteren Wolke der Betrübnis. »Wir sind verloren. Es hat keinen Zweck, Mylord, Sie müssen mich zurücklassen. Mein Bein hält Sie nur auf.«

Dare blieb sofort stehen, drehte sich zu seinem Angestellten um und sah ihn fragend an. Batsfoam war Sergeant in Dares Regiment gewesen, als sie bei den 12. Light Dragoons gedient hatten, und hatte damit seinen Beitrag zum Schutze Englands vor Napoleon geleistet, allerdings auf Kosten seines rechten Unterschenkels. »Wieso zum Teufel haben Sie mir nicht gesagt, dass Ihr Bein schmerzt? Dann hätte ich eine Kutsche bestellt.«

Batsfoams Achselzucken drückte außer Unterwürfigkeit und Demut Emotionen aus, die zu bedrückend waren, sie in Worte fassen zu können. »Ich bin doch nur ein unbedeutender Diener, Mylord. Mein einziger Lebensinhalt besteht darin, Ihnen jeden auch noch so kleinen Wunsch zu erfüllen. Ihr Wunsch ist mir Befehl. Und es erfüllt mich mit tiefster Freude, nein, mit Entzücken, dass es mir vergönnt ist, mich auf dem Altar Ihrer Glückseligkeit zu opfern.«

»Mit anderen Worten«, fasste Dare zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, »Sie möchten, dass ich eine Kutsche rufe.«

Der Schleier der allgegenwärtigen Depression lüftete sich für einen kurzen Moment und ließ erkennen, dass Batsfoam sich genau das wünschte, doch so schnell, wie er sich gehoben hatte, legte sich der typisch mürrisch-düstere, unergründliche Ausdruck wieder auf sein Gesicht. »Nicht im Traum würde es mir einfallen, Eure Lordschaft mit solch einem Ansinnen zu belasten. Vielmehr würde es meinem Leben einen tiefen Sinn verleihen, wenn Sie mir gestatten, mich unter die messerscharfen, dröhnenden Hufe von Mrs Bentons Gespann zu werfen und meine schwache sterbliche Hülle zu opfern, um Ihr Entkommen zu gewährleisten, damit Sie sich nicht dem unangenehmen Gefühl aussetzen müssen, das Sie möglicherweise befällt, sähen Sie sich genötigt, die Dame mit einem kurzen Ziehen des Hutes zu grüßen.«

Der Earl verdrehte die Augen. Batsfoam war bereits mehr als sieben Jahre bei ihm, und auch wenn der Mann dazu neigte, ihm so manches Mal nicht mit dem gebührenden Respekt zu begegnen, wollte Dare seinen Diener nicht des Vergnügens berauben, das er in der Zelebrierung seines jämmerlichen Elends fand. »Es freut mich zu sehen, dass Sie zur Abwechslung mal gute Laune haben, Batsfoam. Diese fröhliche Sorglosigkeit steht Ihnen. Ich muss mir merken, Ihnen den Lohn um ein paar Pfund zu kürzen, damit Sie nicht womöglich schon früh am Morgen, wenn Sie sich an die Arbeit machen, ein heiteres Lied anstimmen.«

Batsfoams Mundwinkel zuckten, doch da er seine Mimik fest im Griff hatte, schaffte er es augenblicklich, seinen Mund wieder in die gewohnte griesgrämige Form zu bringen. »Wie Sie wünschen, Mylord. Es ist in der Tat bedauerlich, dass diese seltenen Momente unbeschwerter Heiterkeit dazu auserkoren sind, ihr grausiges Ende durch die unmittelbar bevorstehende Ankunft einer Dame zu finden. Was gedenken Sie zu tun? Soll ich mich in den blutigen und unangenehmen, doch sicheren Tod durch die Hufe dieser Pferde stürzen oder sind Sie bereit, sich dem grausamen Schicksal eines Gentlemans Ihrer vornehmen und ehrbaren Haltung zu stellen und Mrs Benton zu grüßen?«

Dare ignorierte den Sarkasmus, von dem Batsfoams Stimme wie immer förmlich zu triefen schien, und ließ stattdessen den Blick zu besagter Dame schweifen, die soeben ihr Gespann zügelte, um vor ihm anzuhalten. Er straffte die Schultern und fügte sich in das Unvermeidliche. »Auf Ihre Opferbereitschaft werde ich ein anderes Mal zurückkommen, Batsfoam. Und jetzt werde ich Ihrem Rat folgen und so höflich sein, Mrs Benton einen guten Tag zu wünschen.«

»Galant bis in die eleganten Zehenspitzen, Mylord«, murmelte Batsfoam mit einer unterwürfigen Verbeugung. »Dann will ich lieber den Fußweg räumen und mich diskret nach hinten in diesen widerlich stinkenden und von Ratten verseuchten Unrat begeben, der sich anscheinend vornehmlich aus fleischlichen Abfällen und dem zusammensetzt, was nach den Hinterlassenschaften eines unter heftigen Verdauungsstörungen leidenden Pferdes aussieht, um den makellosen Eindruck Ihrer Lordschaft nicht durch meine unwürdige Erscheinung zu trüben.«

Dare fragte sich kurz, was er verbrochen hatte, um mit Batsfoam gestraft zu sein, und ging im Geiste seine größeren Sünden durch, als seine Aufmerksamkeit unerwartet von der Szene gefesselt wurde, die sich direkt vor ihm abspielte. Kurz bevor die rosafarbene Kutsche zum Stillstand kam, scherte ein rot-schwarzer Phaeton davor ein und blieb nur einen Fußbreit von Dares glänzenden Stiefeln entfernt stehen, womit das Karriol dem anderen Gefährt knapp, aber erfolgreich zuvorgekommen war, wenn auch sehr zum lautstark geäußerten Missfallen von dessen Fahrerin.

»Haben Sie je solche Worte aus dem Munde einer Dame vernommen?«, staunte die Fahrerin des Karriols und sah Dare aus kornblumenblauen Augen strahlend an. »Bei dem Benehmen könnte man meinen, sie stamme aus dem Freudenhaus! Was meint sie wohl damit, wenn sie mich eine rüpelhafte Schickse nennt?«

Als Dare das Gesicht unter dem breiten Rand der blauen Haube erkannte, blieb ihm vor Verblüffung der Mund offen stehen. »Sie!«, zischte er. »Sie sind doch in Italien! Durchgebrannt mit dem nichtsnutzigen Sohn eines Counts!«

»Der ist tot. Und hier bin ich wieder.« Charlotte präsentierte ihm ihre Grübchen, ehe sie sich zu dem Phaeton hinter ihr umdrehte. »Mrs Benton, ich muss doch sehr bitten! Den Leuten so dicht auf den Pelz zu rücken! Nicht nur, dass sich so etwas ganz und gar nicht gehört, Ihre Pferde lassen zudem jegliche Erziehung vermissen und haben offensichtlich die Absicht, die Perücke des Butlers meiner Cousine zu verspeisen. Wenn Sie also so freundlich wären, Abstand zu halten!«

»Crotch! Wäre der doch auch nach Italien abgehauen«, zischte Dare, als er den Mann erblickte, der sich an den Sitz des Pferdeknechts klammerte und versuchte, sich zwei Pferde vom Leib zu halten, die reges Interesse an seiner gepuderten Perücke zeigten. Die Augen des Earls verengten sich zu bedrohlichen Schlitzen, als sein Blick zwischen Charlotte und dem Butler hin- und hersprang, während ihn eine unheilvolle Ahnung beim Anblick der hübschen Blondine beschlich.

»Ist das die Möglichkeit, Mylord?«, murmelte sie, während sie ihren Fächer öffnete und eine mädchenhaft unschuldige Miene aufsetzte, was zu ihrem Leidwesen gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war.

»Wie bitte?«, fragte er verwirrt und wich vor Mrs Bentons Pferden zurück, die die Perücke inzwischen verspeist hatten und ihm ihre weiß gepuderten Mäuler zuwandten.

»Haben Sie tatsächlich gerade über Genitalien gesprochen?«

Er starrte sie ungläubig an, wobei er sich vorkam wie ein Stück Treibholz, das von einem Wasserstrudel mitgerissen wurde, aus dem es kein Entrinnen gab. Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Wunsch hinunterzuschlucken, laut loszubrüllen, und mit tiefer, ruhiger Stimme zu fragen: »Wovon zur Hölle reden Sie?«

»Genitalien. Sie brauchen mich gar nicht so überrascht anzusehen, Mylord, schließlich haben doch Sie das Thema aufgebracht. Ich bin eine Dame und würde nie an einen Mann herantreten, um ein Gespräch über derart diskrete Körperregionen zu eröffnen. Nun ja, genau genommen ist das so nicht ganz richtig, unter gewissen Umständen würde ich es vielleicht doch tun, aber keinesfalls ohne dass der Mann das Thema zuerst anschneidet, so wie Sie es gerade getan haben.«

»Etwas Derartiges habe ich nie getan!«, empörte sich Dare angesichts solch offensichtlich falscher Anschuldigungen. Er? Über Genitalien reden? Mit einer Dame? Er schaute zu Batsfoam, um zu sehen, ob sein Diener diese ungeheuerliche Unterstellung mitbekommen hatte, doch der fachsimpelte angeregt mit dem Hakenhand-Piraten Crotch über das Amputieren von Gliedmaßen noch auf dem Schlachtfeld. Ebenjener Crotch, der als Butler, Schläger und Mädchen für alles in Lord Westons Diensten stand.

»Doch, das haben Sie«, widersprach Charlotte energisch. Sie wandte sich auf ihrem Sitz um und rief: »Hat er als Erster dieses Thema angeschnitten oder nicht, Mrs Benton? Genita­lien?«

Dare ignorierte die nicht gerade damenhaften Äußerungen, die aus dem rosafarbenen Phaeton zu hören waren, und versuchte verzweifelt, doch noch abzuwenden, was ein schrecklicher Morgen zu werden drohte. »Ich wollte keineswegs über Zonen sprechen, die niemanden etwas – «

»Das will ich auch sehr hoffen«, unterbrach Charlotte ihn mit einem aufgeregten Flattern ihrer zarten Nasenflügel. Sie strich den Rock über ihrem Schoß glatt. »Meine Genitalien gehen nur mich etwas an, mein Verehrtester. Für Sie sind sie tabu, ganz gleich, wie sehr Sie sich auch bemühen, sie in ein kultiviertes Gespräch einzuflechten. Das heißt, sie haben Sie momentan nicht zu interessieren, was mich zu der Angelegenheit zurückführt, über die ich eigentlich mit Ihnen sprechen wollte.«

Dare fühlte sich wie benommen. Verwirrt schüttelte er den Kopf und versuchte, das Gespräch auf ein weniger verfängliches Thema zu lenken. Ohne Erfolg. »Was hat Crotch denn hier – «, wollte er fragen, wobei er in Richtung der beiden Diener gestikulierte.

»Wer? Von wem reden Sie eigentlich?«, fiel Charlotte ihm ungeduldig ins Wort und ließ ihren Fächer wieder zuschnappen.

Einen Moment lang erwog Dare, dieser Frau kurzerhand den Hals umzudrehen, kam dann aber zu dem Schluss, dass sie es nicht wert war, dafür an den Galgen zu wandern. »Crotch! Ich rede von Crotch! Dem Butler Crotch. Sie werden doch wohl wissen, wen ich meine. Ich spreche von dem Mann mit dem gefährlich aussehenden Greifhaken und der langen Narbe im Gesicht. Westons Butler. Raufbold Crotch!«

»Ich weiß, wen Sie meinen«, lächelte Charlotte ihn ein wenig spröde an. »Aber sein Name ist Crouch, Alasdair, nicht Crotch.«

Dare musterte sie argwöhnisch. »Ach, wirklich?«

»Ja.«

»Sind Sie sicher?«

Charlotte überlegte kurz. »Ziemlich sicher. Ich könnte mich natürlich verhört haben … aber nein, ich bin mir absolut sicher, dass Gillian ›Crouch‹ gesagt hat.«

»Ach. Na, dann.«

»Sehr schön. Dann wäre das endlich geklärt, und über meine Genitalien möchte ich auch nicht mehr in der Öffentlichkeit reden, ganz gleich, wie sehr Sie darauf erpicht sein mögen, diese zum Gegenstand eines Gesprächs zu machen; ich möchte nicht, dass alle Welt darüber redet, auch Sie nicht; andererseits, wenn Sie gerne … doch dazu kommen wir noch früh genug. Sie dürfen mich jetzt um Verzeihung bitten.«

Dare starrte sie fassungslos an. »Sie sind ja völlig übergeschnappt, Madam.«

Nun schnaubte Charlotte vor Wut, doch Dare fiel auf diese Zurschaustellung größter Entrüstung nicht herein. Stattdessen hob er mahnend den Finger. »Sie waren schon immer etwas verrückt, und jetzt habe ich den endgültigen Beweis. Ich habe nie, NIEMALS, über intime Körperregionen gesprochen! Sie hingegen haben mir das Gespräch darüber förmlich aufgedrängt und wollten gar nicht mehr aufhören, davon zu reden! Sie sind ja völlig auf Genitalien fixiert! Nicht nur, dass Sie dieses Thema angeschnitten haben – nachdem Sie knapp einem Zusammenprall mit Mrs Bentons verfressenen Vierbeinern entgangen sind –, ich kann mich auch nicht erinnern, je geäußert zu haben, mich von Ihrem … äh … äh … Schoß angezogen zu fühlen. Das habe ich keinesfalls getan, Lady Charlotte.« Dare holte tief Luft und hatte das Gefühl, sich wieder besser unter Kontrolle zu haben als zu dem Zeitpunkt, als er das erste Mal wieder in Charlottes zauberhafte blaue Augen gesehen hatte. »Vielmehr ist es doch so, dass Sie regelrecht besessen von diesem Thema sind! Und jetzt ersparen Sie mir bitte jedes weitere Wort und gestatten mir, meinen Weg fortzusetzen. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«

Mit einem schroffen Nicken in Charlottes Richtung und einem knappen Gruß an Mrs Bentons Adresse, die es mittlerweile aufgegeben hatte, Charlotte mit Worten zu attackieren, und stattdessen dabei war, ihr Gespann rückwärts zu manövrieren, drehte er sich um und ging energischen Schrittes davon.

»Lord Carlisle, warten Sie!«, rief Charlotte, während sie Nobles Schimmel mit einem kurzen Klatschen der Zügel auf deren gründlich gestriegelte Kruppen antrieb. Crouch und Batsfoam beendeten sofort ihre Unterhaltung über das Für und Wider des Abbindens von Gliedmaßen im Vergleich zum Ausbrennen blutender Wunden und vollführten je einen Sprung, der Crouch auf die vorbeifahrende Kutsche beförderte und Batsfoam in jenen widerwärtigen Unrat, über den er sich noch vor Kurzem ausgelassen hatte. Mit einem Ausdruck, dass es wahrlich ein Kreuz war, Seiner Lordschaft zu dienen, stand er da und schüttelte sich Klumpen der ekelerregenden Masse vom Leibe, ehe er seinem Herrn hinkend folgte.

»Alasdair, so warten Sie doch! Ich muss mit Ihnen reden!«

»Ich kann mich nicht entsinnen, Ihnen angeboten zu haben, mich beim Vornamen zu nennen, Lady Charlotte«, gab Dare freundlich zurück und ignorierte das Gefährt, das jetzt neben ihm auftauchte. Er ging weiter, obwohl er sich der Tatsache durchaus bewusst war, dass die Leute stehen blieben und sprachlos zusahen, wie Charlotte ihn verfolgte. Er wollte jedoch verdammt sein, wenn er ihr Beachtung schenkte. Diese hatte er bereits seinen in Teichen vorgeblich ertrinkenden Verfolgerinnen samt deren verstauchten Knöcheln und den sich in seinem Bett breitmachenden Frauenzimmern verwehrt, da würde er doch jetzt nicht einer Jägerin auf den Leim gehen, die ihr Ziel derart plump anging. »Nun weiß ich, wie sich ein Fuchs fühlen muss«, brummte er vor sich hin.

»Ach ja? Wenn man von einer geifernden Hundemeute in Stücke gerissen und einem anschließend der Schwanz abgeschnitten wird, meinen Sie?«, fragte Charlotte, während die Kutsche im Schritttempo neben ihm dahinrollte.

Dare unterdrückte den Drang zu lächeln. Er musste zugeben, dass Lady Charlotte nichts von ihrem einzigartigen Sinn für Humor verloren hatte, jener Eigenschaft, die ihn vor fünf Jahren fast dazu bewogen hätte, um ihre Hand anzuhalten. Sie war so erfrischend anders als alle anderen Debütantinnen gewesen, wie eine höchst willkommene Brise Witz und Charme in einem Raum voller junger Damen, von denen eine so langweilig wie die andere war. Das schelmische Glitzern ihrer Augen hatte ihn fasziniert, doch noch ehe er um sie werben konnte, hatte das Schicksal sie getrennt. Angesichts des unglücklichen Verlaufs seines Lebens war es vermutlich das Beste gewesen, und er hatte deshalb umso mehr Grund, seine alten Gefühle für sie nicht wieder aufleben zu lassen. Er setzte eine bewusst strenge Miene auf. »Nein. Ich meinte eher, wie man sich fühlt, wenn man verfolgt und gejagt, ja gehetzt wird.« Er betonte die letzten beiden Worte und riskierte einen kurzen Blick, um zu sehen, ob sie ihn verstanden hatte, doch sie sah aus, als überlegte sie.

»Von wem werden Sie denn verfolgt, Alasdair?«

Eine seiner dunkelblonden Augenbrauen hob sich.

»Lord Carlisle«, verbesserte sie sich schnell.

»Zuweilen habe ich das Gefühl, Lady Charlotte – äh – wie war doch gleich der Name Ihres Gatten?«

»Di Abalongia, aber nennen Sie mich doch Char. All meine Freunde nennen mich so.«

»Zuweilen, Mrs di Ablangon … Alban … Lady Charlotte, werde ich das Gefühl nicht los, dass jede heiratsfähige Frau innerhalb der Stadtgrenzen Londons die Jagdsaison eröffnet und mich zu ihrer Beute erklärt hat.«

»Ach die.« Charlotte lenkte ihr Gespann um eine Kutsche herum, die mitten auf der Straße angehalten hatte. »Sie meinen diese fanatischen Mütter, die um jeden Preis ihre Töchter unter die Haube bringen wollen«, sagte sie, als sie wieder neben Dare herfuhr.

»Und die Witwen«, fügte er mit einem vielsagenden Blick hinzu, den er sich bei seiner hübschen Verfolgerin jedoch auch hätte sparen können.

»Sie sind das Opfer von Frauen, die Ihnen nachstellen, um Sie in die Heiratsfalle zu locken?«

»Genau.«

Die Kanzlei seiner Anwälte war nur noch wenige Schritte entfernt. Dare blieb stehen und schickte sich zu einer Verbeugung an, um sich zu verabschieden.

»Und Sie möchten nicht von Ihnen verfolgt werden? Die meisten Gentlemen fühlen sich geschmeichelt, wenn sie im Zentrum des Interesses einer Dame stehen.«

Großer Gott, sie war wirklich eine Schönheit! Das Licht der Morgensonne fing sich in den Locken, die ihr Gesicht umspielten, und ließ sie glänzen wie gesponnenes Gold. Es kribbelte ihn in den Fingern, ihr über das schimmernde Haar zu streichen und ihre von einer zarten Röte überhauchten Wangen zu berühren. Er ballte seine Hände zu Fäusten. »Ich bin aber nicht wie die meisten Gentlemen. Für solche Narretei habe ich keine Zeit. Ich bin momentan mit einem Projekt von allergrößter Bedeutung beschäftigt. Da bleibt mir zwischen meiner Arbeit und der in einer Woche stattfindenden Hochzeit meiner Schwester keine Zeit, um auch noch die für mich ausgelegten Heiratsfallen zu umgehen.«

»Hmm.« Sie tippte sich mit einem Finger an ihre süßen Erdbeerlippen, während sich die Falten auf ihrer Stirn vertieften. »Dann würden Sie sagen, dass Ihre persönlichen Umstände, nämlich dass Sie von heiratswütigen Damen umschwärmt werden, Ihr Leben auf höchst bedauerliche Weise beeinträch­tigen?«

»Das kann man durchaus so sagen, ja. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich bin mit meinen Anwälten verabredet. Batsfoam? Ah, da sind Sie ja. Grundgütiger, Mann, Sie sind ja voller Dung! Haben Sie sich in dem Zeug gewälzt?«

Batsfoams Blick sprang kurz zu Charlotte, ehe er gepeinigt zu seinem Herrn aufschloss.

»Ach, egal, ist nicht so schlimm«, versuchte Dare dem vorzubeugen, was Batsfoam bestimmt gleich sagen würde. »Jedenfalls riechen Sie nicht so streng, dass Sie sich deswegen vor Westons Gäule und damit in den sicheren Tod stürzen müssten. Haben Sie die Dokumente noch? Ausgezeichnet. Können wir?«

»Einen Augenblick, bitte, Lord Carlisle«, rief Charlotte, als Dare sich in Richtung der Kanzlei umdrehte. »Ich glaube, ich weiß eine Lösung für Ihr lästiges Problem.«

Nun runzelte Dare fragend die Stirn. »Sie haben eine Lösung?«

»Ja«, bestätigte Charlotte mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit. »Die habe ich in der Tat. Und eine sehr einfache dazu.«

»Vermutlich raten Sie mir, die Stadt zu verlassen. Das werde ich – «

»Nein, das nicht«, unterbrach Charlotte ihn. »Ich bin mir darüber im Klaren, wie sehr es Ihnen missfallen würde, London zu verlassen, wo die Saison doch auf dem Höhepunkt ist. Nein, mein Vorschlag ist erheblich einfacher, viel wirksamer und bietet zudem noch etliche Vorteile, die Sie bestimmt zu schätzen wissen, wenn Sie erst darüber nachgedacht haben.«

Dare verzichtete auf den Hinweis, dass sie sich gewaltig irrte, wenn sie annahm, er würde es vorziehen, in der Stadt zu bleiben. Im Augenblick hatte er nur den Wunsch, sich in die schummrige, verstaubte Sicherheit der Kanzlei seiner Anwälte zu flüchten. Doch es gelang ihm nicht, sich von der Frau und dem Blick, mit dem sie ihn anstrahlte, loszureißen. Er blieb stehen, wo er stand, und legte sogar die Hand auf die Seitenlehne von Lady Charlottes Sitz. »Na schön, dann lassen Sie mal hören.«

»Meine Lösung ist recht einfach«, wiederholte Charlotte und schenkte ihm ein reizendes Grübchen-Lächeln. »Sie werden verfolgt, weil Sie nicht verheiratet sind. Also heiraten Sie mich, und all Ihre Probleme sind gelöst.«

Dare wusste nicht, welchen Vorschlag er zu hören erwartet hatte, aber dass Lady Charlotte ihm auf den Stufen zur Kanzlei von Dunbridge und Storm einen Heiratsantrag machen würde, ganz sicher nicht. Das Gefühl, hilflos in einem Strudel zu treiben, kehrte zurück. »Ihr Angebot beruht natürlich auf völlig altruistischen Beweggründen, nehme ich an?«

»Aber selbstverständlich. Ich bin immer altraphistisch. Da können Sie alle meine Freunde fragen. Nun, gerade erst letzten Montag hat meine liebe Cousine Gillian – Sie werden sich erinnern: die Frau, an deren Entführung Sie nicht ganz unbeteiligt waren – meine liebe Cousine Gillian sagte also zu mir: ›Char‹, sagte sie, ›du bist die alphatristischste Frau, die ich kenne‹. Ja, so bin ich.«

Dare zählte in Gedanken bis zehn. »Sie haben gar keine Ahnung, was altruistisch bedeutet, oder?«

»Aber natürlich habe ich das!« Charlotte hielt einen Moment lang inne. »Zwar ist mir die genaue Definition im Augenblick leider entfallen, aber ich bin nicht so unwissend, dass mir die geläufigsten Wörter bildfremd wären.«

»Wildfremd.« Dare schüttelte den Kopf. Warum ihn die Art und Weise amüsierte, auf die Lady Charlotte die Sprache so furchtbar zu verunstalten pflegte, hatte er nie begriffen, aber so war es nun einmal, und wenn er sich nicht schleunigst aus dem Staub machte und sich um seine Geschäfte kümmerte, würde er ohne Zweifel bald in großen Schwierigkeiten stecken.

»Was Ihren Vorschlag angeht – «

»Der ist doch ausgezeichnet, nicht wahr? Und das Gute daran ist außerdem, dass er sich zufällig auch noch mit meinen Wünschen deckt, da ich – obwohl es Sie sicher erschüttert zu erfahren, dass ich mich auf der dringenden Suche nach einem Ehemann befinde – der Meinung bin, dass wir ausgesprochen gut zueinanderpassen.« Charlottes Wimpern senkten sich über Augen, deren Blau eine Kornblume vor Neid hätte erblassen lassen, aber Dare hatte nicht drei Wochen lang dem Angriff heiratswütiger Frauen standgehalten, um sich am Ende von blauen Augen, goldenen Locken und Grübchen in den Wangen ködern zu lassen. Mit einem Ruck riss er sich von ihrem Anblick los, trat ein paar Schritte zurück und verbeugte sich höflich.

»So großzügig und selbstlos Ihr Heiratsangebot auch sein mag, ich bedauere, es ablehnen zu müssen. Ich wünsche Ihnen alles Glück der Erde und dass Sie ein anderes Opfer für Ihre Pläne finden mögen, doch die Erfahrungen, die ich mit Ihren verwirrenden Gedankengängen gemacht habe, bringen mich zu der klaren und unwiderruflichen Feststellung, dass meine Ablehnung endgültig ist.«

»Aber, Mylord – «