Ein günstiger Tag - Gabriele Wohmann - E-Book

Ein günstiger Tag E-Book

Gabriele Wohmann

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Beschreibung

Die Erzählerin Gabriele Wohmann wurde berühmt durch den «bösen Blick», mit dem sie in die Menschen hineinsah und hinter die Oberfläche der Erscheinungen. Doch nicht ihr Blick war böse, sondern die Zustände, die sie entdeckte. Der Ekel vor einem Kuß; das Biertischheldentum eines Kriegsteilnehmers; zwei alte Frauen, die ein Dorf auf Trab halten. In ihren zehn Erzählungen finden wir aber auch zaghafte Hoffnung und Liebe.

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Seitenzahl: 86

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Gabriele Wohmann

Ein günstiger Tag

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Über dieses Buch

Die Erzählerin Gabriele Wohmann wurde berühmt durch den «bösen Blick», mit dem sie in die Menschen hineinsieht und hinter die Oberfläche der Erscheinungen. Doch nicht ihr Blick ist böse, sondern die Zustände, die sie entdeckt. Der Ekel vor einem Kuß; das Biertischheldentum eines Kriegsteilnehmers; zwei alte Frauen, die ein Dorf auf Trab halten. In ihren zehn Erzählungen finden wir aber auch zaghafte Hoffnung und Liebe.

Über Gabriele Wohmann

Gabriele Wohmann, geboren am 21. Mai 1932 in Darmstadt als Tochter eines Pfarrers, studierte Philologie und arbeitete als Lehrerin in einem Internat. Sie veröffentlichte zunächst unter ihrem Mädchennamen Gabriele Guyot den Erzählungsband «Mit einem Messer» (1958). Es folgten Gedichtbände, zahlreiche Romane und Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele. Gabriele Wohmann erhielt mehrere Preise und Stipendien. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.

Inhaltsübersicht

Küssen macht SpaßStolze ZeitenTante TännchenDer Herr ist ein FreundDu bist der JosephDer ZahltagDie KieferEin günstiger Tag, der heute verwendbare Herr KleiberWeihrauch mit NelkenEin außergewöhnlicher Abend

Küssen macht Spaß

Da erschrak sie, denn er hatte gesagt: Und jetzt krieg ich meinen Kuß! Mit einer possessiven nörgelnden Zärtlichkeit, meinen Kuß, meinen Kuß – wie rasch das Ungesetzliche sich seine Gesetze schuf, ein Gewohnheitsrecht sich anmaßte. Sie erschrak. Sie trat ein bißchen zurück, lächelte.

 – Nein, nein.

Sie sah seinen schmollenden Mund, seine ängstlichen Augen.

 – Na so was. Warum denn nicht?

 – Na, warum wohl nicht?

Sie grinsten sich ihre hilflosen Grimassen zu. Sie waren wie Schiffbrüchige, nirgendwo ein Ufer, wenn sie so weitermachen würden.

Er kam wieder dicht zu ihr.

 – Nein, sagte sie. Sie wissen doch.

Sie betrachteten sich in freundschaftlicher Feindschaft.

 – So was Strenges! Sie sind ja heut ganz böse!

Kein Ufer, kein Stein, kein Halm. O wäre es doch ein wilder üppiger Strom, warum in einem Brei zäher Langeweile ertrinken müssen, warum?

 – Jaja, ich bin böse, sagte sie.

Nur keinen Kuß. Seine spitzigen Kinderzähne unter der Schneckenhaut der Lippen, sein konvexer Kiefer. Nur keinen Kuß. Nur nicht den faden öligen Spuckegeschmack, nur nicht seine Spucke.

Es muß doch Spaß machen, sagte sie. Ich finde, Küssen muß Spaß machen.

 – Ja macht es Ihnen denn keinen? Seine Finger strichen feucht über ihren Arm. Seine Stimme senkte sich, weichte auf, saugte sich voll mit feuchter Beschwörung: Denken Sie doch nicht dauernd an ihn!

 – Nein, nein, rief sie, keine Sorge! Sie lachte.

Nur keinen Kuß. Nasser kleiner Mund, frecher feiger Mund.

 – Hat es Ihnen nie Spaß gemacht? bettelte er.

Der Kuß ist schlimm, aber schlimmer ist Ertrinken in einem Sumpf der Langeweile und der Appetitlosigkeit und der Grimassenschneiderei.

 – O doch, sagte sie.

Vielleicht war ja aber der Kuß das vielberufene Schilfrohr!

Ihre Lippen: hastig und naß, keck und scheu aufeinandergepreßt.

 – O doch, rief sie, Küssen macht Spaß!

Stolze Zeiten

 – Na, das waren Zeiten, stolze Zeiten, kann ich Ihnen sagen. Und die hatten noch keine MG’s, natürlich. Na, na. Der Greis schnalzt feucht. Sein knorpeliger Finger hämmert; die breite nikotingelbe Kuppe.

 – Bis dahin führte er seine Schwadron, genau bis dahin. Mutige Männer auf mutigen Rössern.

Der lange bräunliche Nagel biegt sich nach innen um, markiert einen Punkt auf der Tischplatte; kratzt leise beim Zurückschnellen.

Geruch von abgestandenem Bier steigt vom Holzboden und von den aufgeschwemmten Tischplatten: naß. Eine schnarrende Radiostimme von jenseits der Theke, ungeräuspert. Hinter der klaffenden Tür zur Küche scheppern die Blechbestecke, klirrt das dicke Gasthausporzellan. Hin und her huschen Schatten vor der Milchglasscheibe.

 – Und das war der Punkt, an dem die andern angriffen. Genau hier.

Der umgebogene Nagel: weich, splittrig.

Ein Mann am Nebentisch stößt auf, rülpst feuchtwarmes Behagen. Gott schuf die Menschen nach Seinem Bilde.

 – Eine wahre Bartholomäusnacht, kann ich Ihnen sagen. So was vonem Gemetzel.

Blut Seiner Kreatur, Pferde- und Menschenblut. Die Fraternisation auf dem Schlachtfeld.

Eine rote rissige Mädchenhand holt aus der Tasche den gelben Kamm: schwarz hockt, klebrig, der Schmutz zwischen den Zinken.

 – Helden waren das, richtige Helden. So was vonem Mut. Und er vorneweg, immer vorneweg. Drückte sich nicht in der Regierung rum, an Konferenztischen, wo sie heut die Kriege führen.

Blut von Heroen. Nach Wärme und Eisen riecht das Gras: heroisch. Därme von Pferd und Mensch kringeln sich zwischen den Regenwürmern. Kinderbeine springen; kühl die Halme, kitzeln die Haut.

 – Son Sieg, mein Lieber, en roter blutiger Sieg.

Die dicke Mädchenhand patscht über die Haare: rot, rot. Unglänzende Locken blitzen auf im Spiegel, kringeln sich: tote Därme.

Hinter den Fensterscheiben hat die Hitze zu atmen aufgehört. Kalt und naß schlägt die Luft in der Trinkstube auf die bierigen Dielen.

 – Machen Sie sich mal einen Begriff von der Kühnheit, was? Hier frontal anzugreifen, in dem Moment. Na, na. Im trüben Nagelbett klemmt der filzige Bierdeckel, reibt sacht gegen das Holz.

Über den Steinboden der Küche schlurren Pantoffeln, träge-geschäftig. Unfreundliche Dunstschwaden ziehen durch den Türspalt, umwispern die Nasengänge.

Der borkenrippige Finger klemmt noch den Bierdeckel im Nagel.

 – Mussen gigantischer Anblick gewesen sein, das Kampffeld, wie? Und er stolz auf dem Schimmel, unverwundbar. War einer, zu dem sie noch aufblicken konnten, wie?

Hackt die blitzenden Hufe seines Schimmels in die ausgedampften Leiber, trabt, stolz, durchs Blut, atmet die verhallten Gemüserülpser seiner Helden: der Unverwundbare.

Die dicken Lippen des Mädchens färben sich rot: tatendurstig.

Aus der offenen Handtasche steigt Geruch von billiger Seife und Fußpuder.

Der Mann am Nebentisch stößt auf, zur Decke gerichtet ist sein friedfertig-glasiger Blick. Weiches, naßduftendes Stoßgebet: Friede sei mit uns!

Tante Tännchen

Sicher werden sie mich quälen, dazubleiben. Wenn dir’s schlecht ist, Tännchen, werden sie sagen.

 – Wo gehn sie denn hin heut abend? fragte Fräulein Schropf: buttermilchig, nahrhafte Oberarme. Das fragile Tännchen schrak zusammen, ein hellrotes Gepünktel von Nervosität verfleckte ihre kleinen runden Backen.

 – Zur Familie meines Bruders, sagte sie artig.

 – Ach, die mit den vielen Kindern? rief Schropf.

 – Vier, sagte Tännchen.

 – Die sie so komisch nennen, das sind doch die, wie?

Tännchen setzte säuberlich gefaltet und geglättet den letzten Kopfkissenbezug dem hohen Stapel auf, fuhr prüfend die gleichmäßige Bahn der Kanten mit den Handflächen ab; schob den schweren Stoß sich auf die Unterarme, mit den gekrümmten Fingern ihn sacht zerrend; schleppte Stoff und Körper zum Schrank.

 – Als Klaus noch nicht ‹Tante Ännchen› sagen konnte, erfand er ‹Tännchen›, sagte sie, kicherte. Eine unverfärbte staubig-blonde Strähne in der Stirn: sie pustete sie weg, das kokette Lippenpärchen, spitz, klein. Wie lang das schon her ist. Fast siebzehn Jahre. Oje oje.

 – Ich hab mich schweren Herzens entschlossen, heut hierzubleiben, sagte Schropf gern, sagte es mühelos. Die armen Altchen wollen Heiligabend auch nicht so ganz allein sein. Aber schwer war’s. Auch auf mich wartet man.

Tännchen nickte mit angestrengtem Beileid. Michelchens weiche süße Ärmchen; sie würde, wenn niemand hinsähe, ihn berühren, drücken; o das warme kleine Fleisch. Sie hatte zuviel Speichel im Mund, wenn sie daran dachte. Und Moni; die Puppe mit den Ziehlocken würde ihr Spaß machen. Klaus und Sabine könnten keine Gesichter ziehen: dieses Jahr hatte sie neutrale Geschenke für die Großen, die sie fürchtete; Bücher, und zwar solche, über die man nicht stritt; etwas Bildendes, Lehrreiches hatte sie verlangt. Für Klaus ‹Gräber und Ruinen›, für Sabine ‹Bretter, die die Welt bedeuten – Geschichten um große Bühnenkünstler›. Damit hätte sie sogar ganz öffentlich ihre unerschrockene moderne Einstellung zu den Berufsplänen der Nichte bekundet.

Im Bügelraum roch es stoffig, zitterte versengte Luft. Schropf knipste ihr Eisen aus: sein heißer Metallbauch knackte.

 – Andrerseits ist’s wieder nicht so schlimm, hierzubleiben, sagte sie mit qualliger Stimme, salbig-weich. Da heißt’s zwar, ach komm doch, wir warten so, sehnen uns, aber im Grund, wenn sie ehrlich sind, können sie einen ganz gut entbehren, sind lieber allein. Für die verheirateten Geschwister ist jemand Lediges immer störend.

Tännchen hatte erschrocken zugehört. Ihr glibberiges Herz klopfte gegen den Leintuchstapel, mit dem sie sich vom Bügeltisch zum Schrank quälte.

 – Nur zum Krankekinderhüten, da sind wir zu gebrauchen, fuhr Schropf fort.

 – Na ich bin ganz froh, heut abend bei den guten armen Altchen zu bleiben, sagte sie froh, einer muß ja den Dienst tun, und dann ist’s auch so lohnend, sie danken’s einem.

Tännchen hastete, trippelte schneller, lud auf, ab; Sabine wird mich großartig finden wegen des Buchs, bei Klaus ist’s ganz neutral, nur ‹vielen Dank›, lang gedehnt, aber bitte, mein Junge. Ihre siebenstöckigen Stapel waren nicht mehr so kantenexakt wie die ersten.

– So, rief sie verschwitzt und lächelte schüchtern: was für eine große riesige weiche Qualle – sie hatte Angst vor Schropf.

 – Geschafft? fragte Schropf mißtrauisch.

 – Ja ja. Tännchen stand ratlos da: ich kann ja gehen, sie ginge ja auch, warum geh ich nicht.

 – Na das freut mich. Für mich gibt’s heut keinen Feierabend. Aber ist’s nicht mal passend, mit Opfer und Pflichterfüllung diese Nacht zu begehn?

 – Ja ja, sagte Tännchen; bebte ein bißchen, schwitzte. Ich werd mich mal umziehn. Na, und einen schönen gesegneten Abend, auf Wiedersehn, rief sie und stürmte hinaus. In der Lesediele saß eine Gruppe der sehr alten Frauen; steifkörprig, deformiert, flüssiges Fleisch zwischen den Haltepflöcken der Knochen. Zahnlose Münder nuschelten, Kiefer schoben hin und her ohne Pause, blasentreibend, sacht blubsend. Tännchen schauderte zurückhaltend, nickte hierhin, dorthin; sie eilte die Treppe hinauf, floh in ihr kleines kühles Zimmer: Geruch von Äpfeln und Blattpflanzen, hölzerne und papierne kleine Lieblinge, kein freies Fleckchen.