Ein unwiderstehlicher Mann - Gabriele Wohmann - E-Book

Ein unwiderstehlicher Mann E-Book

Gabriele Wohmann

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Beschreibung

Gabriele Wohmann erzählt böse und schöne Idyllen des bürgerlichen Lebens, von Allerweltsmenschen in alltäglichen Situationen und von Frauen Ende Dreißig, die von der Gier nach Neuem erfüllt sind.

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Seitenzahl: 198

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Gabriele Wohmann

Ein unwiderstehlicher Mann

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Über dieses Buch

Gabriele Wohmann erzählt böse und schöne Idyllen des bürgerlichen Lebens, von Allerweltsmenschen in alltäglichen Situationen und von Frauen Ende Dreißig, die von der Gier nach Neuem erfüllt sind.

Über Gabriele Wohmann

Gabriele Wohmann, geboren am 21. Mai 1932 in Darmstadt als Tochter eines Pfarrers, studierte Philologie und arbeitete als Lehrerin in einem Internat. Sie veröffentlichte zunächst unter ihrem Mädchennamen Gabriele Guyot den Erzählungsband «Mit einem Messer» (1958). Es folgten Gedichtbände, zahlreiche Romane und Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele. Gabriele Wohmann erhielt mehrere Preise und Stipendien. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.

Inhaltsübersicht

Ein unwiderstehlicher MannWiedersehen in VenedigEine OkkasionEine großartige EroberungDie KlavierstundeDie SchwesternZu BesuchDie FahrtIch SperberDie VerabredungGroße LeidenschaftEin Fall von LeichtsinnHamster, Hamster!Der BruderHeimlich

Ein unwiderstehlicher Mann

Das Ganze liegt jetzt schon ein Jahr zurück, und es ist eigentlich traurig, daß ich mit Weihnachten nichts besseres anzufangen weiß als eine Geschichte zu Papier zu bringen, die ausgesprochen unweihnachtlich ist. Das Weihnachtsfest einer alten Jungfer, die es verschmäht, eine fortschreitende Ergrauung ihrer Haare in Zusammenarbeit mit einem tüchtigen Friseur zu bekämpfen, kann aber vielleicht nicht sinnvoller begangen werden als mit der intensiven Versenkung in eine Vergangenheit, die ihr die Erbärmlichkeit ihres Jungfernstandes recht grausam vor Augen führte.

Ich erinnere mich allzu genau an jenen Weihnachtsabend vor einem Jahr, an Allans nervösen rechten Fuß, der unaufhörlich auf und ab wippte, an Brendas versteinertes Gesicht und an den fatalistischen Ausdruck auf den blassen Zügen der kleinen Wilden, an ihre langen, ineinanderverkrampften Finger mit den dunkelrot gefärbten Nägeln. Und zwischen diesen dreien saß ich und ich weiß noch sehr gut, daß ein unbehagliches Gefühl, das mir meine bloße Anwesenheit in dieser Gesellschaft verursachte, mit einem starken Druck auf den Magen koordiniert war, und daß ich, neben allen anderen Empfindungen, den dringenden Wunsch verspürte, den Reißverschluß meines engen Tweedrockes zu öffnen. Ich tat es schließlich und ich verbarg die schändliche Stelle, die eines der Symptome meines Alterns verriet, mit einem Zipfel meiner schwarzen Stola.

Aber ich muß von vorne anfangen, um die Kontinuität begreiflich zu machen, die diesen verhängnisvollen Abend endlich hervorbrachte. Es begann mit einer Einladung Brendas in ihr kalifornisches Heim, wo ich die Sommerferien verbringen sollte. Ich war damals noch amerikanischer Neuling, ich fühlte mich fremd und isoliert in der kleinen Stadt im mittleren Westen, ich kam mir vor wie ein winziges Pünktchen in einer riesigen, endlosen Unbegreiflichkeit: Amerika. Meine Kollegen vom College behandelten mich mit einer gewissen Distanz, wenn auch nicht ohne jene naive, verständnislose Herzlichkeit, mit der man mir hier überall begegnete. Ich war damals erschöpft und ein wenig enerviert von allem: von der schlechten Aussprache meiner Schüler, von der munteren Fortschrittlichkeit meines Chefs, von den neubarocken Möbeln in meiner winzigen Wohnung und von der amerikanischen Küche. Und hauptsächlich litt ich unter Einsamkeit. Um so angenehmer berührte mich die Einladung Brendas, und wenn ich auch nicht ohne Skepsis gegenüber dem fuhr, was mich erwarten würde, so wußte ich doch mit einem Gefühl der Erleichterung, daß meine Reise mir wenigstens Veränderung und damit eine Unterbrechung meiner Einsamkeit bringen würde.

In der Tat lebte es sich vorzüglich bei den Dennets. Mir zuliebe kochte man französisch, man führte mich überallhin, wo es etwas anzustaunen und zu bewundern gab, man zeigte mir die größten und ältesten Bäume der Welt, den fruchtbarsten Boden, die dicksten Seehunde, das tiefste Tal und den höchsten Berg dieses Staates der Superlative. Und nebenbei verliebte ich mich in den unwiderstehlichsten Mann, der mir je begegnet ist, in Brendas Mann, den vielbeschäftigten Architekten Allan Dennet. Die wenigen Stunden, in denen ich ihn zu Gesicht bekam, genügten, um mich in einen für mein Alter nicht nur lächerlichen und unwürdigen, sondern auch außerordentlich schmerzhaften Zustand zu versetzen. Was mir in neununddreißig Jahren mit der größten Anstrengung nicht gelang, vollzog sich hier unter der Sonne Kaliforniens mühelos und ohne eigenes Dazutun: ich brannte lichterloh, ich durchlitt – allerdings ganz für mich allein – sämtliche Phasen der Leidenschaft und ich verzehrte mich – unsichtbar für die Außenwelt, da ich äußerlich nicht den geringsten Schaden nahm – in einer unzeitgemäßen und absurden Liebesglut für einen Mann, der zwei Jahre jünger war als ich und dessen Frau meine beste Freundin ist. Ich machte damals mein privates Fiasko der Verspätung ganz mit mir allein ab, nachdem ich endgültig hatte erkennen müssen, daß Allan nicht in dem Sinn Augen für mich hatte, wie es die Liebe verlangt. Mit schmerzender Vertraulichkeit pflegte er mir auf die Schulter zu klopfen und ‹meine Alte› zu sagen, und seine evidente Zuneigung äußerte sich in einer kameradschaftlich-brüderlichen Kumpanei, die mich in meinem Zustand um so heftiger verletzen mußte.

Aber ich reiste ab ohne Groll; ich fuhr in mein College in der Erwartung einer entschärften Einsamkeit, denn meinen Gedanken hatte sich durch diese verspätete Liebe ein ganz neuartiges und für mich noch völlig unbekanntes Feld geöffnet. Es müßte nett sein, «an jemanden denken» zu können, während man mit Kollegen zusammensaß, und aufregend, sich allein über der Lektüre in Träume und Erinnerungen zu verlieren. Es wäre ein Ausweg aus der Umklammerung der Langeweile. Endlich hatte ich meine «Liebe», meine «Leidenschaft», wenn sie auch unbestreitbar das war, was man hoffnungslos nennt. Ich hegte keinerlei Zweifel über die Unerfüllbarkeit meiner heimlichen Wünsche und über die Absurdität meiner phantastischen Vorstellungen, die ich mir an langen Herbstabenden in meinem kleinen Zimmer machte und in die ich mich einspann. Ich umgab mich mit einem Filigran von Einbildungen und Zukunftsgemälden, an dem ich mit stillem Vergnügen weiter und weiter knüpfte, ohne doch darüber im Unklaren zu sein, wie sehr ich meine Selbstachtung reduzierte, wie tief sich mein träumendes, verliebtes Ich vor dem beobachtenden, rationalistischen Ich degradierte. Ich ignorierte alles das, was mich vor mir selbst lächerlich machte: den Verstoß gegen die chronologischen Gesetze der Liebe, die Symptome des törichten Backfisches, die ich an mir wahrnahm, die Unproduktivität dieses neuen, sonderlichen Zeitvertreibs. Es genügte mir, daß meine Gedanken von Allan absorbiert waren und daß somit dem Trübsinn und der Beschäftigungslosigkeit meiner Freizeit ein Ende gesetzt war.

Für meine Umwelt blieb ich unverändert: meiner Vermieterin war ich nach wie vor die etwas schrullige Französin, die ihre touristenhaft gefärbten Meinungen über Paris und über die Pariserinnen durch mangelhaftes make-up und durch bescheidene Garderobe bedrohte und enttäuschte. Sie begnügte sich wohl allmählich mit der tröstlichen Verheißung von den Ausnahmen, ohne die keine Regel besteht. Für meine Kollegen blieb ich die intellektuelle Freundin einiger berühmter Literaten, ja ich genoß sogar ein wenig Ansehen, gemixt aus Quartier-Latin-Romantik und Sorbonne-Ruhm. Und meine Schüler bemerkten kein Nachlassen in meinem ostentativen Abscheu vor jedem falschen Klang und keine Verminderung in der Beurteilung des Verbrechens, den Indikativ da zu gebrauchen, wo nur der Konjunktiv stehen darf. Ich machte Frühling, während alle mich mitten im Herbst wähnten, oder doch in einem temperierten Spätsommer.

Weihnachten verging zu meiner Enttäuschung ohne Einladung: die Dennets reisten nach Europa. Ich versuchte vergeblich, ihnen die Nachteile gerade einer winterlichen Reise klarzumachen; sie fuhren ab, und ich sah sie vor dem Sommer nicht wieder.

Da allerdings wurde es herrlich. Allan übertraf sich selbst in dem, was er uns bot: wieder schwamm ich im Pacific, wieder tauchte ich in die dichtesten und höchsten Wälder ein und wieder bewunderte ich Naturschutzparks und feierte Blumenorgien. Und wieder genoß ich vor allem die Nähe eines Mannes, den mir intensive Beschäftigung eines langen Jahres so nahe gebracht hatte, daß ich mich oft wie ertappt fühlte, wenn seine Augen die meinen plötzlich trafen, während sie ihn betrachtet hatten. Ja, ich fürchtete, er möge die fundamentale Kenntnis seiner selbst in meinem in flagranti erwischten Blick erkennen. Aber er war ahnungslos und blind wie alle Männer. Ich erstaunte darüber, wie blind sie sind, wenn sie sich nichts aus der Frau machen, die sie liebt – sie stellen sich schon dumm genug an, wenn es sich um eine amour réciproque handelt.

Eines Abends verriet mir Brenda den Grund ihrer besonderen Heiterkeit, die ich an ihr beobachtet hatte: ihre Reise nach Europa brachte ihnen die erfreuliche Gewißheit, daß sie endlich ein Kind haben konnte. Allan wünschte es sich seit Jahren, und ich erfuhr von einer Gefährdung ihrer Ehe, die in ihrer Kinderlosigkeit gelegen hatte und die mir vielleicht aus einfachem Mangel an Verständnis auch dann noch entgangen wäre, wenn ich mich wirklich um eine Chance bei Allan bemüht hätte. Jetzt würde Brenda ein Kind haben und sie war glücklich.

Ich stand diesem blinden Fortpflanzungswillen ein bißchen verständnislos gegenüber; es erschien mir reichlich albern, nur aus Sehnsucht nach Nachkommenschaft von einem Professor zum andern zu pilgern. Ich versuchte, Allan mit einer gewissen Geringschätzung gegenüberzutreten, die ich tatsächlich empfand, aber es gelang mir nicht: daran erkannte ich den Grad meiner Verliebtheit.

Ich fürchtete, mein Alter und das ausgesprochen weibliche Leben, das ich bis zu der Begegnung mit Allan geführt habe, machten mich besonders empfänglich für seine intensive, konsequente Männlichkeit. An ihm gefiel mir, was mich früher an andren abgestoßen haben würde. Seine unsinnigsten Behauptungen und Forderungen atmeten den Geist männlichen Herrscherbewußtseins. Seine Art, sich zu kleiden, hätte ich bei jedem anderen Mann als aufdringlich extravagant und gar dandyhaft abgelehnt. Aber Allan sah ich gern in seinen engen, schneeweißen Hosen und in den hauchzarten Pullovern, in deren Ausschnitt er bunte Shawls zu tragen pflegte, und ich hegte ehrliche Bewunderung für die feinen Socken, die seine schlanken Knöchel umspannten, und für das erlesene Schuhwerk, das er trug. Er war ein wenig eitel, doch es stand ihm gut. Weil sie mir als der natürliche Ausdruck einer Selbstverständlichkeit schien, bedeutete seine Eitelkeit nichts Unwürdiges, war sie nicht eine Einbuße seiner Herrlichkeit. Ich liebte es, ihn strahlen zu sehen, zu beobachten, wie er sich selbstherrlich in seinem Glanz badete, wie er schritt und sprach und handelte in dem Schutz einer Sicherheit, die allein das Wissen von der eigenen Perfektion verleiht. Mich hatten Mademoiselle Clérémys Gymnastikkurse nicht so «enthemmen» und selbstbewußt machen können, wie Allan das Bewußtsein seiner eigenen kompetenten Männlichkeit.

Wieder mußte ich abreisen und wieder war ich beladen mit Erinnerungen und neuen Eindrücken, die ich mit mir trug in mein stilles Reich einer etwas gewaltsamen Gelehrsamkeit. Ich kehrte zurück in meine vier Wände, die allzu viel Geschmacklosigkeit bargen, um in mir jeweils ein Gefühl des Zuhauseseins wecken zu können. Ich war ziemlich deprimiert nach diesen Ferien und ich konnte nichts Rechtes mehr mit meinem absatzlosen Liebesvorrat anfangen. Ich kam zu dem Schluß, in die Wirklichkeit zurückzukehren und die Allanromantik aufzugeben.

Da kam Brendas Brief. Es war ein Brief, wie ich ihn nie von einem Menschen erwartet hätte, der mir, als ich ihn vor ein paar Wochen verließ, der zufriedenste auf der Welt zu sein schien. Er war ein Hilferuf, ein Flehen um Rat und um ein wenig Trost, und er ließ mich betäubt, zuerst ungläubig und dann fassungslos, ohne Verständnis. Allan betrog seine Frau. «Er behauptet, sie zu lieben; zum erstenmal in seinem Leben empfinde er wahre Leidenschaft, sagt er», hieß es da. «Er brachte sie sogar mit hierher, zu einer Aussprache, wie er sagte. Sie sei sehr zart und ich solle sie schonen, trug er mir auf. Und er wünsche, daß alles im Guten geklärt werde. Aber obwohl ich doch das Kind von ihm habe, weiß ich, daß ich mit so viel Jugend und Unverschämtheit nicht konkurrieren kann». So ging es über fünf Seiten hin. Das junge Objekt von Allans spontaner und elementarer Liebe stellte Brenda mir als Kostümzeichnerin und Bühnenbildnerin vor, deren Ambitionen dem Film gehörten. Da Allan gar keine Beziehungen zum Film hatte, konnte man die Gefühle des Mädchens bedauerlicherweise nicht auf das Gleis von Ehrgeiz und Aufstiegshunger abschieben, und in Allan konnte man nicht den Übertölpelten, Angeführten sehen. Das erschwerte das Problem.

Auf beiden Seiten bot sich das Bild einer ernstzunehmenden Leidenschaft, ernstzunehmend vor allem deshalb, weil sie absurd und nicht zu rechtfertigen und unmotiviert war, und weil sie einen Mann wie Allan überfiel. Einem von der Leidenschaft gezeichneten Allan konnte man als Frau nicht widerstehen, man mußte sich ihm ergeben und ihm folgen, wohin es auch sei. Allan brachte so viel unbewußte Eignung und Geschicklichkeit für das Geschäft des Liebens mit, daß man ihm als Äquivalent absolute Liebe und Hingabe zollen mußte. Zudem schien Allan seine Partnerin gefunden zu haben, die weibliche Frau hatte den männlichen Mann getroffen, und ihre Liebe würde nicht nur Farce sein, sondern ein echter Zweikampf unter Gleichwertigen.

Brenda nannte das junge Mädchen ungezähmt, nicht einmal hübsch, viel zu mager um je den Argwohn einer jener netten, alterlosen und adretten Ehefrauen zu erwecken, zu denen Brenda gehörte. Aber sie sei sehr jung und von einer dreisten Ungeniertheit der rechtmäßigen Besitzerin Allans gegenüber, den sie «nie mehr zu lieben aufhören» könne. Die katastrophale Situation Brendas lag auf der Hand. Auch wenn sie Allan behielte, weil er sich nicht gegen Anstand und Respekt vor einer Frau verginge, die sein Kind zur Welt bringen würde, verlöre sie ihn. Und ich wußte plötzlich, daß sie ihn nie richtig besessen hatte.

Freilich erfordert es schon ein Übermaß an Größenwahn, wenn ein altjüngferliches Geschöpf, wie ich es bin, den Richter über Leute zu machen versucht, die sich auf dem Boden einer realen Praxis bewegen. Und darum hütete ich mich auch, Brenda meine Empfindungen mitzuteilen, die ihr das Gefühl eingegeben hätten, als spräche ich ihr selbst, ihr, der Ungerechtigkeit widerfuhr, die Hauptschuld zu. Ich wollte sie nicht verärgern. Ein echtempfundener Zorn auf Allan, der schließlich nicht nur Brenda, sondern auch mich selbst betrogen hatte, mich selbst und mein wunderschönes Filigran der Einbildungen, produzierte einen teilnahmsvolleren Brief, als rein freundschaftliches Mitgefühl vermocht hätte.

Wir wechselten Briefe ehrlicher Empörung; sie alle waren kleine Manifeste enttäuschter und revolutionierender Weiblichkeit, gerichtet gegen diesen Prototyp »Mann«, gegen das unbekannte Wesen, das uns so ähnlich war, daß man entweder seine Menschlichkeit oder die unsrige in Frage stellen mußte. Hatten meine sowohl fragenden als auch tröstenden Briefe fast ausbeuterischen Charakter, so entbehrten die Litaneien Brendas nicht eines gewissen Neides auf mein unabhängiges und friedliches Ledigsein, den ich ihr nicht zu nehmen versuchte, mit der boshaften Freude daran, einmal im Leben um etwas, und sei es auch noch so nichtswürdig, beneidet zu werden, aber wieviel lieber hätte ich wie Brenda gelitten, als in der Sterilität meines Collegedaseins zu verharren und das Leben wie durch das Objektiv eines Fernrohrs zu beobachten. Allerdings muß ich zugeben, daß es sich recht geruhsam hinter den Palisaden einer weniger rigoros verteidigten als relativ unangefochten gebliebenen Jungfräulichkeit haust, und so sehr ich oft die Eintönigkeit meiner Existenz verabscheue, so wenig zweifle ich doch daran, daß ich mich zu gut an sie gewöhnt habe, um sie nicht doch zu vermissen, wenn ich sie je verlöre. Meine Trostbriefe an Brenda verrieten nichts von der Vielschichtigkeit meiner Gefühle, kein falscher Ton ließ auf einen gewissen Anteil an selbstsüchtiger Neugier schließen. Es waren die Briefe zweier Komplizen in einer Verschwörung gegen die brutale Macht «Mann».

Die Weihnachtsferien rückten näher, und Brenda flehte mich an, sie nicht im Stich zu lassen: ich müsse einfach kommen. Ich ließ mich lange bitten und willigte nur zögernd ein: häßliche Taktik der Unaufrichtigkeit, aber sie schien mir notwendig. Ich wollte nicht, daß Brenda meine aus jahrelanger Einsamkeit geborene Sensationslust erkannte. Daß ich hauptsächlich aus Liebe zu Allan fuhr, hätte sie mir selbst dann nicht geglaubt, wenn ich dumm genug gewesen wäre, es ihr mitzuteilen.

An den ersten beiden Tagen bei den Dennets bekam ich Allan gar nicht zu sehen. Und dann kam schon jener Weihnachtsabend, der so theatralisch-verhängnisvoll enden sollte. Ohne die geringste Anstrengung vermag ich mich in den gediegenen Salon der Dennets zurückzuversetzen: ich sehe wieder die blauen Rauchwolken aus Allans Pfeife emporsteigen und unter dem Schein der Stehlampe zerfließen, ich glaube, das Aroma eines Allanschen Cocktails auf der Zunge zu spüren, und mein Herz klopft wie damals in einer rekonstruierten Anwesenheit dieses Mannes und der beiden Frauen, die Ansprüche auf ihn machten. Dieses äußerlich so harmonische und friedliche Bild einer gemeinsamen Weihnachtsfeier war trügerisch. Allan sollte sich nach dem Willen Brendas an diesem Abend noch entscheiden, er sollte unter den beiden Frauen wählen, die scheinbar gleichgültig in ihren Sesseln saßen und eine Konfrontierung erduldeten, die sie nur durch ihren Zustand hochgradiger Erregung rechtfertigen konnten. Es war nicht schwer zu entscheiden, wer von den beiden die meisten Chancen bei Allan hatte: sein Blick eines verwundeten Tieres bohrte sich in die wirklich bezaubernde Sally Whitebrook. Trotz ihrer Magerkeit und ihrer ein wenig verwilderten Aufmachung war sie reizvoll und von einer unamerikanischen Individualität; sie wirkte erfrischend und wohltuend in der vornehmen, ein bißchen düsteren Steifheit des Salons.

Brenda hatte ihren einzigen Vorsprung in dem Wettrennen um den eigenen Mann verloren: auch Sally erwartete ein Kind. Die Angelegenheit der Dennets hatte sich seit dem Sommer in einer Weise zugespitzt, die mir in Brendas Briefen entgangen war. Ich sah jetzt, daß Brenda manches verschwiegen hatte. Allan war im Herbst mit Sally entflohen, und in irgendeinem verwunschenen Fischernest an der kanadischen Küste hatten sie ekstatische vierzehn Tage der Leidenschaft erlebt. Nach dieser Offenbarung der Liebe weigerte sich Sally noch entschiedener als zuvor, auf Allan zu verzichten. Und außerdem verschaffte ihr das Kind ein gewisses Recht auf ihn, beinah das gleiche Recht wie das seiner Frau. Die Situation war prekär, tragisch und komisch zugleich, und es war mir klar, daß meine Rolle an diesem Abend und für die ganzen Ferien keine rein passive sein sollte. Die Bestätigung meiner Vermutung erfuhr ich von Allan selbst.

Als Brenda und ihr Gast nach oben gegangen waren und auch ich mich zurückziehen wollte, hielt Allan mich am Arm fest und bat mich, noch bei ihm zu bleiben. Er müsse unbedingt mit mir reden. Ich blieb, schwankend zwischen Ärger und Freude. Seine Liebe besaß ich nicht, ich würde für ihn niemals in dem Sinn eine Frau sein, wie ich es gewünscht hätte – so sollte mich wenigstens sein Vertrauen auf die Hilfe, die ich ihm sein könnte, trösten. Aber ich zeigte ihm nur den Ausdruck der negativen Gefühle, die seine Bitte in mir hervorrief, und mit den Anzeichen eines gutmütigen Ungehaltenseins ließ ich mich seufzend wieder in meinem Sessel nieder. Er schritt erregt auf und ab.

Ich erinnere mich noch genau an den Klang seiner Stimme, als er dann zu sprechen begann: sie war anders als sonst, beinah pathetisch, und doch wieder verwirrt und ärgerlich über sich selbst, über ihr verräterisches Unbeherrschtsein. Ich finde es immer verächtlich, wenn Männer nicht den Mut zum Bekenntnis ihrer Gefühle haben – ein Mangel, den sie bei uns Frauen aufs energischste kritisieren. Aber bei Allan gefiel mir einfach alles; ich hätte ihn auch wohl noch geliebt, wenn er schlimmere Proben von Feigheit geliefert hätte. Ich liebte alles an ihm, auch seine Unsicherheit und seine Schwäche. Ich liebte das Aufundabzucken seines Kehlkopfes, das mich an das ängstliche Flügelschlagen eines neugeborenen Vogels erinnerte. Ich liebte die Bewegung seines Unterkiefers, eine Art Malmen – sicheres Anzeichen für Nervosität bei Allan. Ich verlor mich in solche Details, während seine Erklärungen und Beschwörungen an meinem Ohr vorüberrauschten und ich nicht viel mehr von ihnen aufnahm als die Klangfärbung, das plötzliche Schwanken der Stimme, die Modulation des Tons. Allan war kein Rhetoriker und auch kein guter Komödiant. Er war bis in die letzten Tiefen seiner konsequenten Männlichkeit hinein ehrlich, keiner Verstellung fähig. In seiner Liebesgeschichte hatte er sich von Anfang an so ungeschickt angestellt, nur weil er so ehrlich, fast ein wenig dumm, und weil er von keiner amourösen Vergangenheit vorbelastet war. Jetzt tastete er in einem selbst verschuldeten Labyrinth unsicher wie ein Blinder nach dem Ausgang, und ich sollte ihm als Ariadnefaden dienen.

«Du bist Französin, Marcelle», sagte er. «Ihr versteht mehr von der Liebe. Ihr habt mehr Talent dazu. Sag mir, was deine Landsleute in meiner Situation tun würden. Ich bin überzeugt, sie würden sich für die Liebe entscheiden.»

Ich schluckte die Bemerkung über mein französisches Talent für die Liebe – sein Fehlen mag wohl eine deutsche Urgroßmutter verschulden – und sagte scharf:

«Nein. Wir sind Rationalisten und keine Romantiker. Wir tun immer, was sowohl angenehm als auch vernünftig ist.»

«Aber das Angenehme ist niemals vernünftig», rief Allan.

«Für uns eben doch», behauptete ich starr.

Die Problematik Allans jedoch war, daß er nicht einmal mehr wußte, wo der angenehme Weg lag. Die Ankündigung eines zweiten Kindes hatte ihm das Steuer vollends aus den Händen gerissen.

«Du könntest Sallys Kind adoptieren», schlug ich vor. «Es könnte gemeinsam mit dem andern aufwachsen.»

«Und nicht wissen, wer wirklich seine Mutter ist? Niemals wirklich geliebt werden?» brauste Allan auf. «Nein, niemals!»

Er schien mir anfängerhaft pathetisch und ein bißchen lächerlich. Er ließ sich mir gegenüber auf dem Seitenpolster eines Sessels nieder und beugte sich dicht zu mir vor. Das war beinah zu viel. Ich zündete eine Zigarette an und lehnte mich weit zurück.

«Eine andere Möglichkeit wäre, die Entscheidung zu vertagen», sagte Allan langsam und auf einmal ruhig. «Man würde die Geburt der Kinder abwarten. Da ich mir sehr heftig ein Mädchen wünsche, würde ich der Frau gehören, die ein Mädchen zur Welt bringt.»

Ich lachte laut auf. Lotteriespiel mit Embryos: eine aparte Neuheit. Ich hielt dem ahnungslosen Don Juan vor, daß so viel Spannung eventuell dem Gesundheitszustand während der Schwangerschaft abträglich sein könnte und vor allem, daß es ein wenig unfair sei, sich derjenigen zu entziehen, die nicht ganz ohne seine eigene Mitwirkung «nur» mit einem Jungen gesegnet werde.

«Du bist frivol», behauptete Allan, «frivol wie alle Franzosen.»

Er schien nicht zu bemerken, wie paradox gerade dieses Prädikat nach seinem sonderbaren Vorschlag war. Es machte mir Spaß, ihn noch mehr zu verspotten: Liebe existiert nie ganz ohne den Wunsch, zu kränken und zu verletzen, und unerwiderte Liebe grenzt oft an Haß.

«Was aber geschähe, wenn beide Mädchen würden, oder beide Jungen?» fragte ich. «Man müßte die Entscheidung noch von anderen, außergeschlechtlichen Eigenschaften der Kinder abhängig machen: Haarfarbe, Statur, Intelligenz. Man müßte differenzieren …»

«Oh, sei still!» unterbrach mich Allan und sprang wieder auf. Er senkte die Stimme und fuhr feierlich fort: «Ich dachte du wolltest mir helfen. Ich glaubte, du würdest es übernehmen, mit Brenda zu sprechen oder mit Sally, wer immer zurückstehen soll.»

Ich fürchte nichts so sehr wie Sentimentalität, weil sie mir so fern liegt, daß sie mich allein schon aus Neugierde rührt. Ich bemerkte, daß Allan so weit war, hoffnungslos sentimental zu werden. Ich sah ihn mir an, wie er mitten im Zimmer stand, hochgewachsen und schlank, sehr schön und sehr männlich, und ich brannte vor heimlicher bitterer Sehnsucht danach, in einer anderen Art von Intimität hier mit ihm vereint zu sein, als der wenig erfreulichen, die mir beschert worden war, ohne daß ich sie erbeten hatte. Es zuckte um seine Lippen, die nicht dazu erschaffen waren, vernünftige Worte zu formen, sondern deren Bestimmung es einzig schien, Verwirrung anzurichten. Seine ganze männliche Schönheit war in diesem Augenblick negativ; ihre Macht, zu beglücken, war der, zu zerstören, erlegen. Da stand er wie ein Angeklagter, ein Verbrecher wegen einer unverschuldeten Berufung für die Leidenschaft. Nicht nur die beiden Frauen, die ihn liebten, waren seine Opfer – und ganz nebenbei auch ich – er selbst war es in hohem Maße, er war das Opfer seines eigenen, anbetungswürdigen Körpers, seiner männlichen Macht, mit der er mühelos jeden Sieg über die Weiblichkeit erringen mußte.

«Du warst schlau, Marcelle», sagte er trostlos. «Man sollte nicht heiraten. Man kann nicht während eines winzigen Augenblickes, innerhalb der Sekunde, in der man das bedeutungsvolle «ja» spricht, für seine Unverwundbarkeit den Versuchungen eines ganzen Lebens gegenüber einstehen. Es ist eine Idiotie, eine Anmaßung, eine Überbewertung seiner eigenen Widerstandsfähigkeit, die man einfach nicht verantworten kann.»