Wann kommt die Liebe - Gabriele Wohmann - E-Book
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Wann kommt die Liebe E-Book

Gabriele Wohmann

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Beschreibung

Im ehelichen Irrtümerdickicht. Das Wohmannsche Welttheater ist lustvoll, ironisch und amüsant. Für seine Helden ist es eine tägliche Zumutung, mit ihren »Lieblingsmenschen« und »Existenzzuschauern« zurechtzukommen, und so versuchen sie durch Finten und Tricks, vom Schicksal emotionale Zinsen einzutreiben. Dass sie dabei oft erfolglos sind, macht für den Leser ein Hauptvergnügen aus. Man gibt sich der Freude am ungeschönten Verquersein der Figuren hin, erkennt deren Sorgen wieder und ist erleichtert, manche nur in einer Geschichte zu treffen – wie die ehrgeizige Mutter, die ihren kleinen Sohn einem Erziehungsprogramm zur Genussfähigkeit unterwirft, oder die egozentrische Ehefrau, die von ihrem Mann nur als »mein guter, alter Friedhelm« spricht.

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Seitenzahl: 260

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Gabriele Wohlmann

Wann kommt die Liebe

Erzählungen

Impressum

ISBN 978-3-8412-0022-8

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2010

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2010

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung hißmann, heilmann, hamburg unter Verwendung eines Motivs von plainpicture/Iris Friedrich

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.de

www.aufbau-verlag.de

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Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Impressum

Inhaltsübersicht

Ein Kuss

Pasta Tonnato

Die Feindin

Glück und Unglück

Der Mann hinter der Hecke

Nach Oregon!

Sumpfzypressen

Der Gärtner

Wann kommt die Liebe

Cini Minis

Schneller, schneller

Die Nichtschwimmerin

Büchner war auch nicht drin

Coffein

Der Hebelfuß

Das Kohlrabigrab

Puddingkreppel

Die tägliche Zumutung

Ein Kuss

Eine Erleuchtung: der Drogerie-Markt! Bis dahin müsste sie es schaffen. Nur noch die Ludwigstraße rauf, um die Ecke bei der »Bier-Akademie« und vorbei an der Schnellreinigung, beim Copyshop über die Straße, nun noch Pizza Hut (sie musste ihr Tempo drosseln, merkwürdigerweise war zwischendurch eine langsamere Gangart hilfreicher), die »Apotheke am Elisenbrunnen« – und dann endlich! Schon sah sie sich eintreten. Wann immer sie dort Vitamine und irgendwelchen Quellstoffkram kaufte, nie war im Drogerie-Markt was los. Allerdings wurde man dort mit keinem warm, kein Inhaber oder Filialleiter ließ sich blicken, das Verkaufspersonal wechselte, schaute zu Kunden nicht auf, wenn sie ihre Waren abstellten und zahlten. Die Mädchen heute würden sie für eine Fremde halten.

Eintreten war das nicht, sie stürmte den Laden. Während der letzten Schritte hatte sie auf Passanten nicht mehr achten können, ihre Konzentration wurde auf die körperliche Disziplinierung zusammengezogen. Glücksfall: im Verkaufsraum kein Kunde, und gleich an der dem Eingang nächsten Kasse sortierte ein Mädchen im weißen, blau abgesetzten Kittel der Drogerie-Markt-Kette Reklame-Zeitschriften, Blätter mit Sonderangeboten.

Eine Frage. Sie sprach das Mädchen an, sah in ein teilnahmsloses rundes Gesicht. Ich werde ihr exaltiert vorkommen, ging es ihr durch den Kopf. Diesem Mädchen war sogar Misstrauen zu viel Aufwand. Sie wusste nicht, ob das wirklich günstig wäre. In der Nähe rasselte ein Einkaufswagen, und sie bemerkte ein anderes Mädchen im Kittel. Es räumte Packungen in ein Regal.

Oder mehr eine Bitte: Dürfte ich Ihr WC benutzen? Sie grinste, das musste sein, obwohl sie keine Minute zu verlieren hatte, keine einzige mehr. Sie wissen ja, wie das ist, sagte sie.

Wir haben keine Kundentoilette, sagte das Mädchen. Es klang gleichmütig, als ginge es um eine Information über die architektonischen Verhältnisse des Drogerie-Markts.

Dann vielleicht bitte die fürs Personal? Zu verschenken hatte sie jetzt keine Viertelsekunde mehr.

Tut mir leid, die Personaltoilette ist nur fürs Personal da.

Vorschrift. Das andere Mädchen richtete sich zwischen den Regalen auf und schaute zu ihr hinüber. Also mach schon, feuerte sie sich an, eine Grinsgrimasse auch für diese Sture, gleichzeitig kam ihr eine gewiss nützlichere Idee: Ich habe keine großen Projekte … wenn Sie das meinen, es ist nichts mit der Verdauung, nur der Kaffee.

An der übernächsten Ecke ist ein Café, fiel dem Mädchen an der Kasse ein.

Ich fürchte, ich schaffs nicht mehr bis dorthin. Das Gesicht, das sie jetzt hatte, kannte sie, es sah nach jungem Mädchen aus, hatte etwas Kumpelhaftes. Sie hoffte, es rückte sie um ein paar Altersstufen runter. Manchmal konnte sie auf andere richtig zeitgenössisch wirken.

Über ihren Einfallsreichtum in einem Zwangszustand wie dem ihren zu staunen, war sie kaum noch imstande, wohl aber dazu, recht kess rauszubringen: Wissen Sie, ich hab eine Verabredung, was Spezielles, wir kennen uns noch nicht näher, und da will man nicht mit so was kommen …

Das Mädchen mit dem Einkaufswagen, das hübschere, zog mit dem Einkaufswagen weiter. Pech, ihr war es als das zugänglichere erschienen, obwohl es dafür keinen Grund gab.

Wir haben hier für so etwas nichts vorgesehen. Das Mädchen ging in seinem Verschlag in die Hocke, schichtete Tragetaschen, und jetzt hievte es sich auf seinen hohen Drehstuhl hinter der Kasse. Da erst spürte sie, dass eine Kundin dicht aufrückte.

Oh, sagte sie, unterm ekligsten Leidensdruck immer noch höflich, ich stehe im Weg! Aber bei mir gehts nur um eine WC-Benutzung … Sie hatte mit halber Drehung der Kundin Platz gemacht, und gerade als sie sich Gibs auf befehlen wollte, wurde sie gebremst. Im Einkaufswagen der Kundin thronte über einem Warenhaufen ein Baby – o weh, das Schlimmste kommt erst noch, erkannte sie und gleichzeitig das Baby mit dem winzigen Porzellangesicht, und auch das Baby erkannte sie und gestaltete sofort in seinem minimalen Gesicht ein kommunikatives Lächeln. Sie durfte es nicht enttäuschen, nicht nach allem, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte! Nach ihrem gemeinsamen Flirt an der Busstation beim Gericht, wo sie und Mutter und Kind auf den Dreiundzwanziger gewartet hatten, eine Ewigkeit her, kam es ihr vor, und doch vor kaum mehr als anderthalb Stunden. Und auch die junge Frau durfte sie nicht enttäuschen. Eine Ausnahme-Mutter. Im Unterschied zu allen, deren Babys sie als Fremde gehuldigt hatte, reagierte diese hier erfreut. Man erregte keinen Verdacht, wenn man ihr Baby als Weltwunder pries und sogar hinzufügte, dass der kleine intensive Kontakt zwar vom Baby schnell vergessen würde, aber wahrscheinlich doch nicht folgenlos bliebe, selbst Embryonen sollte man ja herzerwärmende Eindrücke verschaffen, klassische Musik, Harmonie zwischen Menschen, all das.

Schlimm, fürchterlich schlimm, aber jetzt hatte sie einfach keine Zeit, stand unter entsetzlichem Druck, und wenn sie auch nur eine Minute verlöre, bloß um das Baby nicht zu kränken, und Du bist grandios, so wundervoll wiederholen müsste, dann würde es passieren … Der Mutter raunte sie zu: Ich kaufe nichts ein, ich suche nur ein WC. Blöde Situation.

Die junge Frau griff nach ihren Waren auf dem Laufband und baute sie unter dem Hochsitz des Babys in den Einkaufswagen ein; sie lächelte etwas dienstlich, gar nicht mehr so wie an der Busstation, wirklich zerstreut. Doch das Baby, das Wunderwesen, es erwies sich als der einzige Mensch im Drogerie-Markt und auf der ganzen weiten Welt überhaupt. Blitzschnell durchschaute es ihre Pein, hörte auf damit, wieder anzubändeln, wurde ernsthaft, und in sein Porzellanköpfchengesicht trat ein listiger, solidarisch-komplizenhafter Ausdruck. Als der sich in geheimniskrämerischer Egotrip-Konzentration nach innen kehrte, da begriff sie, was das Baby sie lehren wollte: Pass auf, machs wie ich.

Und was machte das Baby? Das Baby machte in seine Windeln.

Ich werde jetzt Ihre Personaltoilette benutzen, verkündete sie mit der vom Baby entfachten Energie, vom Baby ermutigt, strebte sie durch die angrenzende Regalreihe auf die offene Tür irgendwelchen Hinterräumen zu.

Kleiner Lebensretter, dankte sie dem Baby, als sie, nach der Flucht aus dem Drogerie-Markt erschöpft, befreit, erhitzt, ein paar Minuten später Mutter und Kind einholte. Auf dem schmalen Trottoir reichte der Platz nicht für zwei Personen nebeneinander, und auf dem Fahrradweg, den sie benutzte, wand sich ein Radfahrer mit dem Drohzuruf Fahrradweg! an ihr vorbei. Es hat mir wirklich beigestanden, erklärte sie der jungen Frau und heimste ein aussageschwaches Halblächeln ein.

Mein Schätzchen, ich wünsch dir, dass du nie einen Gehirntumor kriegst, nicht mal den gutartigsten. Pardon, sagte sie zur jungen Frau, das klingt vielleicht überspannt oder sogar verrückt, aber von mir ist das zur Zeit … Eine Fahrradklingel schrillte feindselig hinter ihr.

Sie sind auf dem Radweg, sagte die junge Frau.

Oh, ja. Also es ist für mich zur Zeit das Äußerste an Liebesbeweis. Sie können nicht wissen warum, Sie findens vielleicht ekelhaft …

Sie haben sich aufgeregt, sagte die junge Frau, beugte sich, ohne anzuhalten, zum Baby in seinem Gefährt und stopfte unnötig an der Decke über dem Baby herum. Sie sind doch nicht krank?, fragte sie.

Nein nein, ich bin nicht die mit dem Tumor. Aber jemand, den ich … na ja. Ich bin schon gegen alle Leute, und seien es die nettesten, verhärtet oder so was, weil sie stockgesund sind, und nur mein Oberliebling … Mitleid ist was Schreckliches. Zum Abmildern lachte sie und störte schon wieder einen Radfahrer. Ich mag nur noch Menschen, die Sorgen haben. Natürlich ausgenommen Ihr Baby.

Das tut mir leid. Sie haben heute Pech.

Schob die junge Frau die Kinderkutsche schneller? Und was hieß heute? Und klang sie nicht plötzlich so lahm wie die Drogerie-Markt-Mädchen? Sie fühlte sich schmutzig.

Ich bin nicht darin geübt, jemandem lästig zu sein. Und jeder hat sie, irgendwelche Sorgen. Es war ihr geglückt, mit dem faden Ton der anderen Gleichmut abzustrahlen und die gesamte unliebsame Vertraulichkeit wieder zurückzunehmen. Nur einen Blick auf das Porzellankopfbaby musste sie noch werfen, dann aber: nichts wie weg, schnell schnell weg mit ihr, mit dem schädlichen Eindruck.

Das Baby untersuchte, vollbeschäftigt mit der Gewissenhaftigkeit eines Nahrungsmittelprüfers, ein dickes Gebäckbruchstück. Die andere Faust bewegte es ruckhaft auf und ab. Köstlich! Wundervoll! Wie gern sie länger zugeschaut hätte! Was für ein Unglück, sich den verkniffenen Erlaubnis- und Verbotsanordnungen der Erwachsenen zu beugen.

Besser, ich lasse Sie beide endlich in Ruhe, sagte sie.

Ein Blick auf sie genügte dem Baby: Das war nicht die Zeit zum Schäkern.

Danke, du kleiner Bandit! Hast mir sehr geholfen.

Mit seinem redlichen Realismus begutachtete das Baby zuerst das Gebäckstück, dann sie, und es war beide Male derselbe sachverständige Blick. Es grinste ein bisschen, brachte das Gebäckstück an den Mund, und beim Weitergehen, jetzt doch nicht überhastet, überlegte sie, was des Babys letztes Zeichen bedeutete. Ein Kuss? Ich bin noch nicht allein.

Pasta Tonnato

Als sie endlich aus dem Haus war und Marja mit einem Erleichterungs- und Empörungsseufzer zum immer noch abschiedwinkenden Frank zurückkehrte (wie überflüssig langatmig stand er da am Fenster, mit anderen Leuten machte er dieses kitschige Theater überhaupt nicht, waren sie weg, dann knallte er sich in seinen Sessel), da sackte ihr Herz irgendwohin ab, polterte wieder rauf, zu hoch, ein lästiges ungesundes Gerumpel, das Marja genauso beunruhigte, wie Franks Gesichtsausdruck sie ärgerte. Was lächelte er da so in sich gekehrt vor sich hin. Und dieser sorgenvolle Ton, in dem er sagte: Sie hat enorm abgenommen. Diese Geschichte mit ihrer kaputten Ehe nimmt sie mit. Was meinst du, Schatz?

Erst mal find ichs jedes Mal grauenvoll, wenn Menschen die Kehre nicht finden, knurrte Marja.

Was meinst du damit?

Na ja, wenn sies einfach nicht schaffen, die Kurve zu kratzen. Abzuhauen, wenn ihre Zeit um ist.

Sie braucht ein bisschen Trost, scheint mir.

Seit wann hast ausgerechnet du gern Besuch mit Überlänge?

Bei jemandem wie der schönen Eva hat ers ganz bestimmt gern, antwortete sich Marja stumm, während sie die Kaffeetassen ineinanderstellte. Sie regte sich auf und sagte sich: Reg dich ab. Du selbst musst jetzt die Kehre finden. Schluss mit dem eifersüchtigen Ärger. Franks säuselige Art deutete auf Benebelung. Aber Gehirnwäsche, und für die wars höchste Zeit, funktionierte nur indirekt, nur auf Schleichwegen, und absolut nicht mit Wut im Bauch.

Bei ihrem Hin und Her zwischen Sitzplatz und Küche redete sie sich in eine moderate Verfassung: Ist ja auch blöd von mir, mich derartig zu echauffieren. Frank ist ein bisschen verknallt, typisch Mann, und es wird sich wieder geben, denn Männer sind mit etwas Verstand leicht zu handhaben. Als Marjas zweitbeste Freundin würde Eva wie alle ihre Freundinnen selbstverständlich nur von ihr eingeladen, darin war Frank total von ihren Beschlüssen abhängig. Und nun würde sie eben ziemlich lange nicht mehr eingeladen, furchtbar einfach. Nicht, bevor sie nicht wieder zugelegt hätte. Marja würde von Zeit zu Zeit bei einem Stadtgang auf einen Kaffee bei Eva reinschauen (Eva arbeitete als Maklerin in einer Immobilienfirma) und die Lage begutachten. Evalose Wochen, das hieß für Frank wie für alle Männer unter gleichen Bedingungen: Vergessen. Auf die Therapie Aus den Augen folgte nach angemessener Frist die Diagnose Aus dem Sinn.

Vorher und parallel zur Therapie der fehlenden Anschauung die Gesprächstherapie.

Es galt, jede Kritik liebevoll, nett und besorgt-engagiert, gleichzeitig jedoch auch beiläufig, als handle es sich um nichts Weltbewegendes, im wahrsten Wortsinn an den Mann zu bringen. Frank mochte schlanke Frauen, aber mit Busen, und Marja war mollig, aber mit wenig Busen, doch er liebte sie sozusagen wie Humus, aus dem seine Existenz sich versorgte, sie war ganz selbstverständlich sein Boden, in dem seine Wurzeln sich verzweigten und stärkten. Nur in seinem Geäst ließen sich fremde Vögel, Schmetterlinge nieder, aber sie flogen davon, sobald Marja Schädlinge in ihnen erkannte und ihre Maßnahmen ergriff.

Es stimmt, sie hat ein bisschen abgenommen, war ja auch eigentlich wirklich mal nötig, sagte sie mit beinah nicht interessierter Stimme bei grünen Bohnen, zusammengekocht mit ausgelassenem Hackfleisch.

Sie hat ein bisschen zu viel abgenommen. Sie sollte aufpassen. Ihre Immunabwehr taugt nicht viel, ich meine, sie ist hundertmal öfter erkältet als wir beide zusammen.

Marja bekam kaum mit, wie interessant sie das Essen gewürzt hatte. Sehr selten reagierte Frank so wortreich auf ihr in Mitteilungen transportiertes Sinnieren über ihre Freundinnen.

Von der kaputten Ehe kommts übrigens nicht, dass sie dünner geworden ist. Endlich ein bisschen dünner. Nur bedingt kommts davon. Noch Wein?

Bitte, ja. Und wovon dann? Was meinst du mit: nur bedingt?

Verdammt interessiert klang er. Sprang wie ein Motor an, sobald sie den Zündschlüssel im schönen Schloss Eva bewegte. Bestieg – ein Notbehelf, doch Phantasie stand ihm bei – seine Erinnerung an die beinahe drei Stunden Eva-Verzauberung, kaum weiter in der Evolution als ein Schimpansenmännchen, das im Vorteil war und sich den realen Gegenstand seiner Bedürfnisse jederzeit und ohne Umschweife greifen konnte. Marja trank ihr Glas aus.

Mit nur bedingt, sagte sie, meine ich, dass die Ehe zwar hin ist, aber unsere gute Eva voll getröstet wird von einem Liebhaber der Spitzenklasse.

Das war frei erfunden. Und es saß. Frank hielt den Mund, sie spürte aber wie eine Klimaveränderung seine Beunruhigung und seine Neugier. Mit Vergnügen, mein Lieber, dachte Marja, ich mach noch ein bisschen weiter. Nicht aus Kummer nimmt sie ab, was ja nötig war, obwohl diese Art von Blondinen rasch was Müdes und eigentlich Altmachendes kriegen bei Gewichtsverlust, sie nimmt deswegen ab, weil ihr Freund das so will. Sie haben ausgemacht, dass sie auf die Jeansgröße 32 runterschrumpfen soll, er geht in Jeans, weißt du, er macht Werbung, aber eigentlich ist er ein Künstler. Marja lachte ein wenig bösartig amüsiert. Das Erfinden ging jetzt ganz geläufig, es war, als bewerkstellige ihr Mund die Märchenerzählerei selbständig, ihr Gehirn kam ihr sonderbar hohl vor. Und so erfuhr Frank, dieser Liebhaber-Künstler habe nicht lang an Eva rumbohren müssen, ziemlich bald wurde sie sein Modell … und du weißt, was das heißt …

Was heißts denn? Frank tat gleichgültig und so, als studiere er das Abendprogramm in der TV-Zeitschrift.

Nacktheit! Sie sitzt ihm nackt! In Posen, na ja, ich weiß, du bist ein bisschen prüde, also red ich besser nicht davon.

Sags ruhig. Frank täuschte talentlos Gähnen vor.

Schwamm drüber.

Wenn der Kerl ein Schwein ist, solltest du deine Freundin beeinflussen. Was will er denn von ihr? Gibts noch Nachtisch?

Es gab noch Nachtisch, aber in der Sesselgruppe und zu den Fernsehnachrichten. Marja wusste, dass Frank Eva-Nachrichten allem vorzog, was die Tagesschau-Redaktion für ihre dreizehn Minuten Sendezeit ausgewählt hatte – bis auf den Wetterbericht.

Der Junge malt nicht einfach wie ein Kunstschüler oder altmodisch die gesamte weibliche Figur, er ist scharf auf Details. Alles Weitere kannst du dir denken. Was zwischen ihren Beinen los ist und so was. Also, ich an Evas Stelle, ich würds nicht machen.

Plötzlich hielt Marja ihre Phantasien für ein wenig heikel. Es könnte schiefgehen. Sie könnten auch bei Frank Phantasien hervorrufen. Sie kannte ihn lang genug, um zu wissen, er fände diese Geschichte ekelhaft und unmoralisch, und er würde Evas Niedergang wittern, aber gleichzeitig könnte sie ihn ja anregen, siehe Schimpansen, die Evolution hatte die Männer von den Menschenaffen nicht viel weiter befördert und sensibilisiert bis eben auf die Vorstellungskräfte, und die bedeuteten in diesem Fall eher Gefahr, Nachteil. Lieber wieder umschwenken auf den Boden des völlig Alltäglichen.

Beim Zähneputzen, den Mund voll Zahnpasta, schäumte und gurgelte Marja aus sich heraus, ganz recht, sie werde versuchen, Eva zu beeinflussen. Wie Frank es vorgeschlagen habe.

Das nenne ich Freundschaft. Obwohl auch Frank feucht und schaumig artikulierte, hörte er sich feierlich an.

Aber nicht, wie du meinst. Nicht, was den Liebhaber betrifft. Da ist wohl vorerst nichts zu machen. Außerdem macht Liebe schön. Marja spuckte mit einem Schluck Wasser verdünnten Schaum und ein paar Essensreste ins Waschbecken, Frank hinter ihr her, seine Erwartung konnte sie fühlen, fast kams ihr so vor, als drücke seine Hand auf ihr Genick. Zweite Spülung des Munds. Ich werd ihr abraten von diesen Hosen. Seit sie abgenommen hat, was, wie gesagt, einerseits fällig war, andererseits nicht zu ihr passt, also seitdem sollte sie keine Hosen tragen. Es sieht wahnsinnig ungünstig aus. Hast dus nicht gemerkt?

Natürlich hatte Frank es nicht gemerkt, weil es auch überhaupt nicht zu merken gewesen war. Was jetzt kommt, sind lauter Lügen, wusste Marja. Aber es muss sein, es muss nun mal ganz einfach sein. Sie sagte, während sie ihren Bademantel auszog und die Pantoffeln von den Füßen streifte, auf dem Bettrand sitzend, die Armbanduhr auf den Nachttisch legte, den kleinen Stift aus dem Wecker vorzog, damit der am nächsten Morgen sein unerwünschtes Piep piep machen konnte, bei der dritten Wiederholung endlich gestoppt: Eva gehört zu dem Frauentypus, der durch Abnehmen zwar selbstverständlich schlank wird. Das ist klar. Wie sollte es anders sein.

Sie legte sich ins Bett, zog die Decke bis ans Kinn, hasste ihr hastiges Hammerklavierkonzert – ihr Herz –, weil sie Franks Aufmerksamkeit hasste, und fuhr sachkundig fort: Aber dieser Frauentypus à la Eva wird auf eine platte flunderhafte Weise schlank. Ja, sie hat mich an eine Flunder erinnert. Sie ist brettartig schlank. Man merkt auf den ersten Blick die andere Konzeption. Ihr Körper ist anders angelegt. Stell dir vor, du wolltest aus einer Barockkirche eine gotische Kirche machen. Auf solche Frauen gehört einfach mehr Fleisch.

Frank lag jetzt im Bett nebenan. Marja wusste, sie hatte gesiegt. Er musste nämlich lachen. Beim Lichtausknipsen brummte er Weiber Weiber und meinte damit die gesamte Gruppe von Freundinnen um Marja, die ihn bald mehr, bald weniger interessierten, und wenn er bei Weiber Weiber angelangt war, konnte er sie alle miteinander nicht mehr ausstehen.

Als Marja am nächsten Tag um die gewohnte Zeit aus der Redaktion zurückkam, war Frank noch nicht zu Haus. Er hätte aber da sein sollen, er hatte das Auto und früher Dienstschluss bei der Bank.

Was war denn los?, fragte Marja. Fast zwei Stunden später als gewohnt stand Frank in der Diele. Er war verlegen, Marja sah so etwas. Erst recht, wenn er es sich nicht anmerken lassen wollte.

War ein bisschen spazieren.

Spazieren? Allein? Du? Seit wann machst du so was?

Seit heute. Frank ging in sein Arbeitszimmer. Von da aus rief er Marja zu, anscheinend war es so leichter für ihn: Plötzlich stand auf dem Parkplatz Eva vor mir. Sie sagte, das Wetter wäre viel zu schön, um nicht noch ein Stückchen rauszufahren und spazieren zu gehen.

Na, wenn das so ist. Mehr brachte Marja vorerst nicht heraus. Immerhin war das Franks erster Alleingang mit einer anderen Frau und insofern sensationell. Marja fühlte sich paralysiert und gleichzeitig von den Zehen bis hinauf unter die Haarwurzeln von einem Adrenalinschub (oder was sollte das sonst sein?) auf Alarmstufe 1 katapultiert. Ruhe bewahren, Ruhe bewahren: Jetzt hilft dir nur dein Stolz und elegante Ironie. Marja rettete sich in die Küche und wusste nichts mit sich anzufangen. Sie betrachtete die fürs Abendessen bereitgestellten Sachen auf dem Tablett. Nicht Unalltägliches, Salat wie immer, den müsste sie noch anmachen, Käse, Mettwurst, aber als Extras für jeden von ihnen hatte sie, obwohl die Packung laut Aufdruck noch bis zum fernen 27. 6. haltbar bliebe, auf zwei hübschen blauweiß gemusterten Tellern vom Kopenhagener Porzellangeschirr ihrer beider neue große Leidenschaft, Pasta Tonnato, angerichtet. Marja stand da und schaute sich die ganze Bescherung an, aber über die Teller und die kleinen Gefäße und den schon ein wenig bräunlich verfärbten Chicorée in der Salatschüssel sah sie, von der Spätnachmittagssonne beschienen, auf einem Feldweg, den sie gar nicht kannte, Frank und Eva spazieren gehen. Sie gingen nur so nebeneinander her. Frank ziemlich steif und verlegen. Er war von der Situation beduselt, aber er fühlte sich nicht behaglich, er würde Eva gern genießen, und er war in sie verknallt, aber nicht ruhig genug, um es zu merken. Er hatte ein saumäßig schlechtes Gewissen. Er war ein Feigling.

Hör zu, Marja, rief Frank künstlich munter aus seinem Arbeitszimmer oder von werweißwoher zu ihr rüber, ich musste immer an diese Flundern denken, von denen du gesprochen hast, du weißt schon, Frauen, bei denen es nicht passt, wenn sie zu sehr abnehmen, haha.

Haha, machte Marja ihn nach, aber zu leise, Frank würde es kaum hören, und wenn er es hörte, gar nicht bemerken.

Sie hatte ihre ungünstigen Hosen an, haha, rief Frank.

Soso, hatte sie das. Diesmal musste Frank sie verstehen, denn er kam jetzt in die Küche und schnappte sich ein Bier. Marja wusste, dass sie nicht sagen sollte, was ihr auf der Zunge lag, warum also war sie so albern und tat es doch? Sie sagte, zum Glück wenigstens mit einer zu ermüdetem Gleichmut hingezwungenen Stimme: Wie schön für mich, dass ich diesmal ausnahmsweise nicht fragen muss: Was hat sie angehabt. Nie weißt du sonst, wenn du eine Frau gesehen hast, was sie angehabt hat.

Ich weiß es diesmal bloß (Frank saugte das Bier aus der Dose und setzte sie wieder von den Lippen ab), weil ich dauernd an dich und unser Gespräch über Eva und deine Analysen und all das denken musste. Gibts jetzt zu essen?

Übereifrig erbot er sich, den Salat anzumachen, und er tat es auch, ahnungsloser Tölpel, dachte Marja, wie jämmerlich er sich verrät.

Kann ich das Tablett reintragen?

Moment noch. Marja nahm die beiden Teller mit der Pasta Tonnato vom Tablett und stellte sie auf die Ablaufrillen links vom Spülbecken.

Was machst du damit? Frank probierte ein hungrig-lüsternes Schnalzen: Unsere Lieblingsvorspeise. Tolle Idee.

Das war sie. Aber ich hab eben noch mal auf der ausgekratzten Packung nachgelesen: Sie ist verfallen. Haltbarkeitsdatum verpasst. Ich muss sie wegschmeißen. Pech, he?

Pech, ja. Frank tat betrübt, aber Marja war es. Wirklich sonderbar, noch bis in die Nacht hinein, als sie nicht einschlafen konnte, dachte sie nicht an diesen gemeinen Mist von einem Spaziergang, nicht an Eva und nicht an Frank mit oder ohne Eva, nein, nur immer wieder an Pasta Tonnato und ob sie es je wieder so wie früher mit Frank verschmausen könnte, begleitet von all den zärtlichen Kommentaren, dieser wundervollen Gewohnheit.

Die Feindin

Berthilda Escher fühlte sich wie erweckt: In diesem kleinen Hotel war sie die unumstrittene Herrscherin, und als man ihr, zwei Stunden vor der Weiterfahrt, das dicke ledergebundene Gästebuch vorlegte, schrieb sie Kompliment über Kompliment mit großformatiger Schrift auf zwei Seiten. Sie zählte berühmte Hotels auf, Hiltons, Steigenbergers und was ihr noch einfiel, und stellte die Diagnose: Aber vom Kaffee bis zur wundervollen Ruhe und der Freundlichkeit, vor allem der Freundlichkeit, war hier alles noch schöner und besser, und ich würde lieber bleiben. Bis auf lieber bleiben und den Kaffee stimmte das alles sogar. Doch, das mit der Freundlichkeit auch.

Die kleine geschäftige Stadt nicht weit vom Bodensee war vorerst Berthildas letzte Reisestation, und eine längere Phase zu Haus stand bevor, in der Kombination Familienleben, Mitwirkung im Haushalt und Rückzug in ihr allerdings wirklich komfortables Büro, zu dem sie oft Refugium sagte und noch lieber Exil gesagt hätte, aber leider war es kein Exil, jeder hatte Zutritt, und noch nie hatte sie sich ohne wehmütige Nervosität auf eine Rückreise begeben, immer mit Heimweh, nur: Wonach? Wohin? Unterwegs erlebte sie friedliche und auch ausgelassene Stimmungen. Berthilda nannte sich seit einiger Zeit art director. Sie half Geschäftsleuten beim Einrichten ihrer Läden, machte Umbauvorschläge, sie besaß einen Instinkt für die Vereinbarkeit ihres Geschmacks mit dem ihrer Auftraggeber, und ihr Geschmack war besser, viel besser. Doch konnte sie sich gut anpassen, weil sie Profi darin war, wodurch sie beliebt wurde, sogar geliebt, und Profi auch da im Loben, wo es nichts zu loben gab; sie war gut darin, anderen zu schmeicheln, Komplimente auszuteilen, kurz: Sie konnte mogeln. Das machte sie begehrenswert, das brachte Aufträge und Erfolg. Manche Kunden wünschten sich sogar ihren innenarchitektonischen Beistand für ihr familiäres Domizil, sie baten sie in ihre Privatsphäre.

Kein Abschied für länger: So hofft ihr dankbarer Gast Berthilda Escher. Sie lieferte das Gästebuch am kleinen Rezeptionsschalter ab – wo war ihr Zweieinhalb-Tage-Flirt, der junge Hotelier? Kaum wandte sie sich ab und schritt zur Treppe, da fand er sich auch schon ein. Sachverständig lächelte er mit ihr, der das Lächeln, eben herangebildet, schon wieder verging. Denn etwas abseits stand das junge Mädchen mit seiner sicher neuen Strähnchen-Frisur, dem Berthilda viel verdankte. Es war nämlich gestern nachmittags in einem Modekaufhaus so vertieft in eine Unterhaltung mit einer Kollegin gewesen, dass es seine Kundin, Berthilda Escher, vergaß. Ungestört hatte Berthilda zwischen Umkleidekabine, Hosen- und Blusenrondells und Wühltischen umherschweifen, dann weggehen können. Mit etwas aufgetriebener Tasche. Nichtbeachtung schätzte Berthilda nur in Ausnahmefällen.

Das Mädchen sah zu Berthilda hinüber und näherte sich ein paar Schritte dem Schalter, an dem Berthilda zum liebenswürdig ergebenen Hotelier extra laut sagte: Ich habe aber bestimmt noch was zu bezahlen. Ich habe auch das zweite Überlinger getrunken, und der Kaffee war ja auch jedes Mal für zwei Personen.

Aber nein, das ist in Ordnung, geht aufs Haus. Der Hotelier wendete den Kopf zum Mädchen, das noch näher gekommen war. Sein blasses Gesicht nahm zum bisher nur kläglich-verschüchterten noch einen trotzigen Ausdruck an.

Was gibts?, fragte Berthilda mit dem bühnenreifen Lächeln, das ihr vor Fremden immer gelang, nur nie zu Haus bei ihren beiden Männern, Vater und Sohn, denen konnte sie nur wenig vormachen. Verdammtes Pech: Berthilda meinte ihre kleine Familie und auch das Mädchen. Wurde es wärmer in der Lounge? Die war ihr plötzlich zu hell, zu eng. Was gibts denn? Diese Frage stellte sie pro forma. Allzu genau wusste sie, was es gab.

Das Mädchen redete mit einer anschuldigenden und lamentierenden Stimme, ziemlich hoch und lahm: Sie sind mit den Jeans und der karierten Bluse in die Kabine gegangen, und dann …

Der Hotelier unterbrach höflich, aber höflich nur an Berthildas Adresse, und sandte einen unzufriedenen, zurechtstutzenden Blick an das Mädchen ab: Seines Gastes nicht würdig war diese penetrante einheimische Person da. Möchten Sie sich vielleicht in die Veranda zurückziehen? Ich hoffe, die Lappalie erledigt sich schnell, entschuldigen Sie bitte. Er lächelte mit Berthilda. Aber die warf sich (scheinbar) tapfer in die Brandung. Kleine Feindin.

Zum Hotelier sagte sie nachsichtig amüsiert: Lassen Sie nur, die Kleine hat anscheinend Kummer. Sie gab sich leutselig, aufgeschlossen für das Problem des Mädchens, das nur sie lösen konnte. Sofort sogar. Doch das kam nun wirklich überhaupt nicht in Frage. Erstens nicht vor dem jungen Hotelchef, zweitens aus Prinzip. Sie wollte ja schließlich nicht ihren illuminierenden Triumph vom gestrigen Beutezug opfern!

Wissen Sie, ich muss dafür geradestehen, sagte das Mädchen.

Aber wofür denn? Berthilda tauschte mit dem Hotelier einen belustigten Blick. Ihr Herz war ein winziger dünner verirrter Vogel, der in ihrem Rumpf herumzappelte.

Sie haben nicht bezahlt. Sie sind irgendwie weggegangen.

Jajaja, allerdings, du Kleine mit deinen hoffnungsvollen Haarsträhnchenbemühungen, pass auf, das wird dir eine Lehre sein. Berthilda lachte, es klang so ironisch-gutmütig wie beabsichtigt. Natürlich bin ich irgendwie weggegangen, und zwar an der Kasse vorbei ohne Aufenthalt! Natürlich habe ich weder Bluse noch Hose gekauft, zu groß, sie passten ja nicht! Ich habe sie wieder in dieses Rondell aufgehängt. Vielleicht hat man sich irgendwie verzählt … oder sonst jemand … später, nach mir …

So muss es gewesen sein, entschied der Hotelier. Halten Sie meinen Gast nun bitte nicht länger auf.

Es kam aber keine Kundin mehr zu den Jeans, und meine Chefin … ich meine, ich habe den Job vorerst nur auf Probe. Ich muss … Das Mädchen wusste nicht weiter, überlegte, aber Berthilda kam ihr zuvor. Passen Sie auf, wie wirs machen. Ich kann bei Ihrer Chefin ein gutes Wort für Sie einlegen. Berthilda wandte sich nun mehr dem Hotelier zu. Ich kenne sie recht gut, die Chefin von der Kleinen. Ich habe damals zu meinem Pech bei der Konkurrenz gewohnt, ahnte nichts von Ihren Vorzügen – Berthilda gelang eine lächelnde Charme-Offensive, und die war, bei gleichzeitiger Nervosität, ein Kunstwerk mit gutem Erfolg beim Empfänger –, und es ist schon ein paar Jahre her, dass ich das Loggia- und Gardinenproblem dieser Chefin löste. Viel Zeit bleibt mir allerdings nicht, sagte sie diesmal auch zum Mädchen, aber ich will doch helfen, wo ich kann.

Das ist außergewöhnlich liebenswürdig von Ihnen, ich weiß nicht, ob es mir recht ist, sagte der Hotelier.

Das Mädchen starrte Berthilda mit einer Beharrlichkeit an, die schwer zu deuten war, doch garantiert unheimlich. Weniger flehentlich, immer weniger zu unterschätzen, mit immer mehr bescheidwissender Kälte: Ganz gewiss, kein Zweifel, das Mädchen eskalierte zur ernstzunehmenden Feindin.

Mit so einem noch nicht gesicherten Job denkt man natürlich anders übers Geld. Berthilda redete wieder mehr als mit dem Mädchen zu ihrem Verbündeten, dem ihr unverbrüchlich gewogenen, respektvollen jungen Chef des behaglichen kleinen Hotels mit den großen Kaffeeportionen in weißen Thermoskannen; immer schön aufs Haus: Sie selbst dachte sehr gierig ans Geld! Jenseits der Fenster zur Fußgängerzone, über die sie gestern Nachmittag mit ihrem Erfolgshochgefühl nicht allzu rasch, aber doch rasch in die Hotelgeborgenheit geflüchtet war (es sah nicht nach Flucht aus), fing es nun wieder an zu schneien.

Oh, oh, machte sie, der Schnee soll laut Wetterbericht in Regen übergehen, und dann wirds glatt. Ich muss wohl besser ein Taxi vorbestellen. Die Zeit wird knapp, ich sollte mit der Chefin nur telephonieren. Berthilda hatte keine Ahnung, weswegen genau, doch als selbstbewusste Optimistin wusste sie, dass niemals auf jemanden wie sie der Verdacht eines Ladendiebstahls fallen würde. Sie wagte den Blickkontakt mit der Feindin. Würde diese eingeschüchterte Kleine, penetrant, wie sie war, es wagen, darauf zu bestehen, dass Berthilda sie mit ins Zimmer siebzehn ließe und dort ihr Gepäck ausbreitete? Bisher war die halsbrecherische Tour Berthildas Angelegenheit gewesen, und so musste es bleiben. Sie redete sich gut zu, während der Hotelier, sie bekam es kaum mit, ein paar mahnende Sätze zum Mädchen sagte. Dreh bloß nicht durch, Thilda!

Das lästige dumme Ding da ist nicht die Polizei, es hat keinen Hausdurchsuchungsbefehl, was soll der Schwachsinn. Berthilda sagte: Wissen Sie, ich könnte Ihnen ja etwas Geld geben. Nur, meine nächste Station ist wieder mal ein Hilton … ach nein, Kempinski, ich müsste nachschauen, aber wie auch immer, Luxus … – kurzes Auflachen, zum Hotelier hin gelächelt –, und ich fürchte, ich komme nicht mehr rechtzeitig zu einer Bank, hier nicht und dort auch nicht … Schlauer konnte man Bereitwilligkeit nicht zeigen. Fehlte nur, dass jetzt noch der Buchhändler erschiene, bei dem sie, es ging ja von Mal zu Mal leichter, für einen Kriminalroman und zwei kleine Kalender, einen mit englischen und einen mit russischen Sprüchen, und ziemlich viele komische Karten nichts bezahlt hatte: Das war suspense, dort in der Nische! Sie selber hatte diese Buchhandlung so umgestalten lassen, dass es diese einzelnen Regalverborgenheiten gab, und der Buchhändler lobte sie stets aufs Neue dafür, er konnte jetzt mehr unterbringen, es gab Leseplätzchen für die Kunden – ach, wie high sie sich gefühlt hatte!

Ja, ich fürchte auch, Sie sollten nicht noch mehr Zeit verlieren, sagte der Hotelier, der mit Berthilda einen Blick aus lächelnden, interessierten Augen tauschte; diesen Wir-gefallen-einander-Blick aus fremden Gesichtern zu locken, verstand Berthilda Escher sehr gut. Sie gehen jetzt endlich besser, sagte er zu dem Mädchen, und zu seinem Gast: Tut mir leid für meine Landsleute.