Ein Happy End kommt selten allein 2 - Jae - E-Book

Ein Happy End kommt selten allein 2 E-Book

Jae

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Beschreibung

Autorin Jae präsentiert eine romantische Sammlung von acht lesbischen Kurzgeschichten, die uns faszinierende Einblicke in das Leben lieb gewonnener Paare aus ihren Romanen geben und dabei beweisen, dass das Happy End im Grunde nur der Anfang ist. Enthaltene Kurzgeschichten: Pusteblumen-Wünsche Ein guter Fang Einfach nur Dee Gelbe Glücksbringerschuhe Ab zur Rektorin Die Nicht-küssen-Regel Feier für zwei Mein Zuhause bist du

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Seitenzahl: 308

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Von Jae außerdem lieferbar

Pusteblumen-Wünsche

Ein guter Fang

Einfach nur Dee

Gelbe Glücksbringerschuhe

Ab zur Rektorin

Die Nicht-küssen-Regel

Feier für zwei

Mein Zuhause bist du

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über Jae

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Von Jae außerdem lieferbar

Bachelorette Nummer zwölf

Kuscheln im Erbe inbegriffen

Eine Mitbewohnerin zum Verlieben

Tintenträume

Ein Happy End kommt selten allein

Alles nur gespielt

Aus dem Gleichgewicht

Hängematte für zwei

Herzklopfen und Granatäpfel

Cabernet und Liebe

Die Gestaltwandler-Serie:

Vollmond über Manhattan

Die Hollywood-Serie:

Liebe à la Hollywood

Im Scheinwerferlicht

Affäre bis Drehschluss

Die Portland-Serie:

Auf schmalem Grat

Rosen für die Staatsanwältin

Die Serie mit Biss:

Zum Anbeißen

Fair-Oaks-Serie:

Perfect Rhythm – Herzen im Einklang

Beziehung ausgeschlossen

Oregon-Serie:

Westwärts ins Glück (Bd. 1 & 2)

Angekommen im Glück

Verborgene Wahrheiten (Bd. 1 & 2)

Unverhofft verliebt:

Vorsicht, Sternschnuppe

Falsche Nummer, richtige Frau

Alles eine Frage der Chemie

Pusteblumen-Wünsche

Das Einzige, was in der Notaufnahme noch schlimmer war als eine Grippe­welle, war die Woche um den Valentinstag. Die meisten von Reginas Kollegen waren da natürlich anderer Meinung. Für sie stand entweder Independence Day oder Silvester ganz oben auf der Liste der meistgehassten Feiertage. Aber für Regina war es der nervigste Tag überhaupt. Ständig musste sie überflüssige Verletzungen behandeln, die nur durch übertriebene Romantik verursacht worden waren.

Einer ihrer Patienten hatte sie in ihrem Glauben bestätigt, indem er das Sprichwort Liebe macht blind etwas zu wörtlich genommen hatte und wegen eines knallenden Sektkorkens fast ein Auge verloren hätte.

Außerdem hatte sie Röntgenaufnahmen für eine Frau angeordnet, die aus­gerutscht und gestürzt war, als sie ihrem Partner einen Heiratsantrag gemacht hatte. Und schließlich hatte sie ein Paar wegen einer Lebensmittelvergiftung behandelt, die von ungekühlten Tiramisu-Resten vom Candlelight-Dinner am Vortag herrührte.

Ihre Schicht war noch längst nicht zu Ende und trotzdem brauchte sie nur noch zwei weitere romantische Missgeschicke und schon hätte sie ein Bingo auf ihrer Valentinswoche-in-der-Notaufnahme-Bingo-Karte erzielt.

Sie sank auf einen Rollhocker an einem der Computerarbeitsplätze, um die digitalen Akten ihrer Patienten zu aktualisieren, und streckte ihre schmerzenden Beine aus.

Ellie kam vom Pflegetresen herüber und lehnte sich neben Regina gegen den Schreibtisch. »Hey, Doc. Ziemlich stressige Schicht, oder?«

Ihr Tonfall war freundlich und doch professionell. Sie hatten vereinbart, in der Notaufnahme rein kollegial miteinander umzugehen, obwohl inzwischen das gesamte Personal des Campbell Medical Center von ihrer Beziehung wusste. Aber irgendwie schaffte es Ellie, Doc wie einen Kosenamen klingen zu lassen.

Insgeheim mochte Regina das, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte. »Das kannst du laut sagen. Ich dachte, wir hätten die Valentinstags-Schäden endlich hinter uns, aber heute ist der fünfzehnte Februar und wir behandeln immer noch allergische Reaktionen auf Schokoherzen und Verbrennungen von verschüttetem Kerzenwachs.« Sie konnte gerade noch ein Augenrollen unterdrücken. »Liebe ist definitiv ein Gesundheitsrisiko.«

Ellie grinste. Ihre großen, braunen Augen funkelten vergnügt. »Du bist echt ein Romantikmuffel.« Ihr Tonfall wurde ein bisschen weniger professionell und deutlich liebevoller.

Regina hob mahnend ihren Finger und sagte leise: »Wohl eher ein ehemaliger Romantikmuffel. Eine äußerst begabte Krankenschwester hat ein Heilmittel für mich gefunden.«

»Ach ja?« Ellies Stimme wurde heiser.

Okay, sie klangen beide nicht mehr wie Kolleginnen, sondern eher wie zwei Frauen, die bis über beide Ohren ineinander verliebt waren.

Regina räusperte sich. »Was kann ich denn für dich tun? Hast du einen Patienten, den ich mir ansehen soll?«

»Nein. Eigentlich bin ich gekommen, um etwas für dich zu tun. Ich dachte, du könntest eine kleine Stärkung gebrauchen.« Ellie zog etwas aus der Tasche ihres OP-Oberteils und legte es neben Reginas Tastatur.

Es war ein Twinkie.

Regina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Vor ihrem inneren Auge sah sie deutlich die erotische Zungenakrobatik vor sich, die sie mit der Creme­füllung des Biskuittörtchens während ihres zweiten Dates angestellt hatte. »Ist das wirklich als Stärkung für mich oder eher als Aufmunterung für dich gedacht?«

Ellie lief rot an und zupfte am V-Ausschnitt ihres Oberteils herum, als drohte sie, plötzlich zu überhitzen. »Für mich. Ich meine, für dich natürlich! Entschuldige. Ich weiß, eigentlich ist es nicht gerade ein angemessener Snack für die Arbeit, zumindest nicht, wenn du den Twinkie isst. Aber scheinbar hat die gesamte Klinik eine stressige Schicht, sodass alles andere in der Cafeteria ausverkauft war.«

»Schon in Ordnung.« Möglichst unauffällig schob Regina das Mini-Törtchen in die Tasche ihres OP-Oberteils, so als ließe sie einen sexy Spitzen­slip verschwinden. Sie würde gleich zur Umkleide gehen und den Snack in ihren Spind legen. »Wie wäre es, wenn wir uns den Twinkie heute Abend teilen? Abendessen bei mir?«

Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Ellies Gesicht aus. »Sehr gern.« Sie wandte ihren Blick ab, um ein paar Kugelschreiber im Stiftehalter neben der Tastatur zurechtzurücken. »Hast du an deinen freien Tagen schon etwas vor?«

Regina sah sich um. Normalerweise sprach sie bei der Arbeit nicht gern über ihr Privatleben, aber keiner ihrer Kollegen war in Hörweite. »Kommt ganz drauf an.«

»Worauf?«

»Darauf, ob du vorhast, bei mir zu übernachten«, sagte Regina. »Deshalb fragst du doch, oder?«

Die Röte auf Ellies Wangen verstärkte sich noch. »Ähm, ja, unter anderem schon. Aber eigentlich war ich nur neugierig und wollte wissen, ob du morgen früh zu Hause bist oder Discgolf spielen gehst.«

Bei der Arbeit fragte Ellie sonst nie so detailliert nach ihren Freizeitplänen – schon gar nicht, während sie den Blick abgewandt hielt und Stifte sortierte, die nicht geordnet werden mussten. Regina musterte sie forschend. »Was ist los?«

»Ich bin echt schlecht darin, dir etwas zu verheimlichen, oder?« Ellie seufzte.

Regina grinste. »Unglaublich schlecht.« Ellie hatte absolut kein Pokerface. Das war eines der Dinge, die Regina an ihr liebte. »Jetzt sag schon, was los ist.«

»Ich habe eine Überraschung für dich bestellt und sie wird morgen früh um zehn zu dir nach Hause geliefert. Der Zusteller muss wissen, ob du da bist oder nicht.«

Eine Überraschung? Verdammt! Hatte Ellie ihr etwa ein Geschenk gekauft, um den Jahrestag der Single-Auktion zu feiern, bei der Ellie versehentlich ein Date-Paket mit ihr ersteigert hatte? Hätte sie Ellie auch etwas besorgen sollen? Aber da sie gestern kleine Geschenke zum Valentinstag ausgetauscht hatten, war Regina gar nicht auf die Idee gekommen. »Oh.«

Ellie strich mit einer Hand leicht über Reginas Schulter. »Keine Sorge«, sagte sie, als könnte sie Reginas Gedanken lesen. »Es ist kein Geschenk zu unserem Jahrestag. Versprochen. Ich habe nur zufällig etwas gesehen und konnte nicht widerstehen, es zu bestellen, weil es einfach perfekt für dein Schlafzimmer ist.«

»Für mein Schlafzimmer?« Regina hob beide Augenbrauen.

Falls Ellies Wangen sich noch dunkler färben würden, müsste Regina sie womöglich wegen eines Hitzschlags behandeln. Es machte unglaublich Spaß, sie zu necken. Selbst nach fast einem Jahr Beziehung brachte Ellies Reaktion sie zum Grinsen – und ihr Herz zum Rasen. Schade, dass sie bei der Arbeit waren, wo sie sich zurückhalten musste.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr und setzte rasch eine professionelle Miene auf. Sie drehte den Kopf und sah, wie Jasmine aus einem Behandlungsraum trat und auf sie zukam.

»Könntest du dir Ms Kim in Raum eins ansehen?«, fragte sie Regina. »Alle Assistenzärzte sind gerade beschäftigt und meiner Meinung nach kann sie entlassen werden. Sie wurde mit Bauchschmerzen und Übelkeit vorstellig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nur zu viel Valentinstags-Schokolade gegessen hat.«

Diesmal rollte Regina tatsächlich mit den Augen. »Ich sehe sie mir mal an.« Mit einem Blick auf Ellie fügte sie hinzu: »Siehst du? Wie ich gesagt habe: ein eindeutiges Gesundheitsrisiko.«

Ellie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, die äußerst begabte Kranken­schwester muss noch etwas an ihrem Heilmittel arbeiten. So ganz hat es noch nicht die gewünschte Wirkung erzielt.«

Jasmine schaute verwirrt zwischen den beiden hin und her. »Gibt es noch einen weiteren Patienten, der untersucht werden muss?«

Ellie tätschelte den Arm ihrer Freundin. »Mach dir keinen Kopf. Um diese ganz spezielle Patientin kümmere ich mich selbst.«

Regina setzte ihre Ärztinnenmiene auf und nickte ihr knapp zu. »Ja, bitte mach das.« Sie stand auf, schob den Twinkie vorsichtig tiefer in die Tasche ihres OP-Oberteils und ging zu Untersuchungsraum eins hinüber.

~ ~ ~

Normalerweise war Ellie die Gelassenere von ihnen beiden, während es Regina oft schwerfiel, ihr auf Hochtouren laufendes Gehirn abzuschalten. Aber um zehn Uhr am nächsten Morgen ging Ellie ungeduldig in Reginas Wohnung auf und ab.

Kopfschüttelnd sah Regina zu, wie Ellie wiederholt auf die Uhr schaute. »Das Paket wird keine Minute früher ankommen, bloß weil du Löcher in die Wohnungstür starrst. Soll ich dich ablenken?«

Ellie ließ sich neben ihr auf die Couch sinken. »Hm, kommt drauf an. Von welcher Art Ablenkung reden wir?«

Regina rutschte näher an sie heran, bis sich ihre Körper von Knie bis Schulter berührten. Mit den Lippen an Ellies Ohr flüsterte sie: »Ich hatte an eine Aktivität gedacht, bei der wir die Hände einsetzen.«

Ein merklicher Schauder lief durch Ellie. »Erzähl mir mehr.« Ihre Stimme klang atemlos. »Bisher klingt es vielversprechend.«

Regina knabberte an ihrem Ohrläppchen und grinste über das leise Stöhnen, das sie Ellie entlockte. »Ich rede davon, die Spülmaschine auszuräumen.«

»Klingt verlockend, aber –«

Es klingelte.

»Endlich!« Ellie sprang auf und eilte zur Tür, wobei sie fast in ihren flauschigen, regenbogenfarbenen Socken ausgerutscht wäre.

»Mach langsam!«, rief Regina ihr hinterher. Sie schwankte zwischen Sorge und Belustigung. Regina folgte ihr in einem weniger halsbrecherischen Tempo und drückte die Taste an der Gegensprechanlage. »Ja?«

»Ich habe drei Pakete für Wohnung 702«, meldete sich eine Männer­stimme.

Regina ließ ihn ins Haus, drehte sich dann zu Ellie um und sah sie erstaunt an. » Drei Pakete? Hattest du nicht gesagt, du hättest eine Überraschung?« Jetzt hatte sie wirklich das Gefühl, dass sie etwas verpasst hatte und Ellie auch ein Geschenk hätte besorgen sollen. Gott, Beziehungen waren unglaublich kompliziert. Sie waren der einzige Bereich ihres Lebens, in dem sie sich nie hervorgetan hatte. Aber jetzt wollte sie es zum ersten Mal richtig machen.

»Es ist wirklich nur eine Überraschung«, versicherte Ellie ihr hastig. »Sie besteht aus drei Teilen, das ist alles.«

Regina öffnete die Wohnungstür.

Ellie zwängte sich neben sie in den Türrahmen und wippte auf den Fuß­ballen auf und ab.

Reginas Mundwinkel hoben sich zu einem nachsichtigen Grinsen, selbst als sie Ellie misstrauisch beäugte. »Du bist ja ganz schön aufgeregt. Hast du mir etwa einen Jahresvorrat an Twinkies bestellt?«

»Nein, es ist das Handbuch für Leute, die die Weltherrschaft erzielen wollen. Ich weiß, das steht schon lange auf deiner Wunschliste«, antwortete Ellie und stupste sie spielerisch mit der Hüfte an.

Insgeheim gefiel es Regina, dass Ellie so schlagfertig war und ihr in nichts nachstand. »Dafür brauche ich kein Handbuch. Wenn ich die Weltherrschaft übernehmen wollte, würde ich es einfach machen.«

Ellie lachte, aber bevor sie antworten konnte, verkündete das mechanische Surren des Aufzugs, dass der Paketbote ihre Etage erreicht hatte.

Die Fahrstuhltüren glitten auf, und der Zusteller hatte Mühe, drei flache, aber riesige Kartons durch die Öffnung zu manövrieren.

Ellie eilte auf ihn zu, um ihm zu helfen. »Vorsichtig, bitte. Die sind zer­brechlich.«

»Dr. R. Novak?«, fragte er.

»Das bin ich«, sagte Regina. Sie schnappte sich ihre Schlüssel, um Ellie und sich nicht versehentlich auszusperren, trat aus der Wohnung und unterschrieb die Empfangsbestätigung.

»Hier, bitte.« Er überreichte ihr die beiden Pakete, die Ellie noch nicht übernommen hatte. »Einen schönen Tag noch.«

»Danke, gleichfalls.« Vorsichtig schleppte Regina die Überraschung in ihre Wohnung. »Die sind ja riesig!«

»Das liegt nur an der Verpackung«, sagte Ellie. Etwas leiser fügte sie hinzu: »Hoffe ich jedenfalls.«

Regina lehnte die Kartons gegen die Couch und musterte sie. Was zum Teufel hatte Ellie ihr gekauft? »Wenn das Sexspielzeuge sind, dann sind das die seltsamsten, die mir je untergekommen sind.«

Eine leichte Röte stieg Ellies Hals empor, was Regina immer genoss. »Du mit deinen schmutzigen Gedanken!«

»Du hast doch gesagt, es ist für mein Schlafzimmer.«

»Dir ist aber schon klar, dass es noch andere Dinge gibt, die man im Schlafzimmer machen kann, oder?«

Regina grinste. »Hm, ja, ich erinnere mich vage.«

Ellie winkte ungeduldig. »Komm schon. Mach sie auf!«

Mit dem kleinen Taschenmesser, das an ihrem Schlüsselbund hing, schnitt Regina durch das Klebeband.

»Vorsichtig«, murmelte Ellie hinter ihr.

»Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit einem Skalpell«, sagte Regina. »Da würde ich mir um das Paket keine Sorgen machen.« Sie öffnete den Karton.

Luftpolsterfolie kam zum Vorschein. Sie zog den großen, flachen Gegen­stand heraus und wickelte ihn aus.

Schließlich hielt sie einen großen Bilderrahmen in den Händen. Ellie hatte ihr einen Kunstdruck gekauft? Regina musste zugeben, dass sie nicht gerade ein Händchen für Innenausstattung hatte und ihre Wände daher ziemlich kahl waren.

Sie drehte den Druck um, sodass sie die Vorderseite sehen konnte. Eigentlich hatte sie mit einem romantischen Sonnenuntergang oder einem ähnlich Ellie-typischen Motiv gerechnet.

Stattdessen sah sie einen weißen Hintergrund, auf dem lediglich sechs Worte in eleganter Schrift standen: Jeder Traum beginnt mit einem Wunsch.

Ähm, okay. Regina wusste nicht, was sie davon halten sollte. »Das ist … nett. Danke.«

Ellie lachte. »Es wird Sinn ergeben, sobald du die beiden anderen Teile ausgepackt hast.«

Während Ellie sie genau beobachtete, öffnete Regina das zweite Paket.

Auf diesem Bild stand kein Spruch. Stattdessen zeigte es Dutzende von flauschigen weißen Samen, die im Wind schwebten.

Oh. Ein Kloß setzte sich in Reginas Hals fest, als sie zu ahnen begann, was das Geschenk beinhaltete. Mit Mühe hielt sie die Hände ruhig und packte den dritten Teil der Überraschung aus.

Der gerahmte Druck zeigte zwei Pusteblumen, die sich sanft im Wind bogen, wobei ein paar ihrer Samen nach rechts flogen.

Als Regina nicht sofort etwas sagte, sondern einfach nur dastand und die Bilder anstarrte, trat Ellie auf sie zu. »Es ist ein Triptychon. Man hängt sie so nebeneinander auf.« Sie lehnte die drei Schwarz-Weiß-Drucke nebeneinander an die Couch, den Teil mit den beiden Pusteblumen ganz links, den Spruch in der Mitte und die dahinschwebenden Samen auf der rechten Seite.

Die Ähnlichkeit mit dem Tattoo, das Reginas Knöchel zierte, war frap­pierend. Ihre Haut kribbelte. Fast konnte sie spüren, wie Ellie auf den tätowierten Löwenzahn blies und ihr dabei sagte, sie solle sich etwas wünschen, so wie sie es am Morgen nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht getan hatte.

Und obwohl Regina nichts von solchen albernen, abergläubischen Bräuchen hielt, war sie der Anweisung nachgekommen und hatte sich etwas gewünscht.

»Danke«, sagte sie.

»Gefällt es dir?« Ellie schaute ihr in die Augen, als wäre sie sich nicht sicher, was sie von Reginas Reaktion halten sollte.

Ohne es selbst zu merken, hatte Regina ihre undurchdringliche Miene aufgesetzt, um sich weniger verletzlich zu machen. Das passierte ihr in Ellies Gegenwart sonst kaum noch. Schnell ließ sie die sachliche Maske fallen und schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. »Es gefällt mir sogar sehr.«

»Aber?«, fragte Ellie.

»Ähm …« Regina ließ ihren Blick zwischen ihrem kleinen Schlafzimmer und den drei Bildern hin und her schweifen. »Ich bin mir nicht sicher, ob es da reinpasst. Weil das Fenster die längste Seite des Raums einnimmt, ist an den Wänden nicht viel Platz.«

Ellie machte ein langes Gesicht. »Oh.«

Ellie dermaßen enttäuscht zu erleben, war schwerer zu ertragen als eine Niederlage bei einem Discgolf-Turnier. Himmel, sie war ein richtiger Softie geworden, zumindest was Ellie betraf.

»Ich habe im Eifer des Gefechts wohl vergessen, auf die Maße zu achten«, sagte Ellie kleinlaut. »Ich gebe zu, es war ein Spontankauf. Ich hab es gesehen und konnte nicht widerstehen. Es ist einfach perfekt für dich.«

»Ja, das ist es tatsächlich.« Andere Leute würden vermutlich ein Bild von Rosen oder Sonnenblumen bevorzugen, aber für Regina waren Pusteblumen etwas ganz Besonderes, weil sie sich nach dem Tod ihres Bruders ein Löwen­zahn-Tattoo hatte stechen lassen.

Ellie rang sich ein Lächeln ab. »Du brauchst ein größeres Schlafzimmer.«

»Das ist das erste Mal, dass du dich über etwas beschwerst, was mit meinem Schlafzimmer zu tun hat«, witzelte Regina, um sie aufzuheitern.

Weder lachte Ellie, noch antwortete sie mit einem Scherz. Sie starrte ins Leere und eine winzige Falte auf ihrer Stirn verriet, dass sie tief in Gedanken versunken war. »Vielleicht können wir gemeinsam einen Platz für das Bild finden«, sagte sie schließlich.

Regina nickte bereitwillig. »Klar. Lass uns nachschauen, ob es über die Couch passt.«

Sie war nicht erpicht darauf, den Kunstdruck im Wohnzimmer aufzu­hängen, wo jeder Besucher ihn sehen konnte. Zwar hatte sie nicht oft Gäste, aber im Vergleich zu früher war die Anzahl der Leute, die ihre Wohnung gesehen hatten, geradezu explodiert. Der Gedanke, dass jemand sie nach der Bedeutung der Pusteblume fragen könnte, verursachte ein Gefühl von Sonnenbrand, als wäre ihre Haut zu empfindlich … zu dünn … zu transparent.

Dennoch würde sie sich das Triptychon ins Wohnzimmer hängen, um den enttäuschten Ausdruck aus Ellies Gesicht zu vertreiben.

Aber Ellie schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht gemeint.« Sie leckte sich die Lippen, als wären sie plötzlich trocken geworden. »Ich rede nicht von einem Platz in deiner Wohnung.«

»Ach so. Gute Idee. Lass uns das Bild bei dir zu Hause aufhängen. Dann kann ich es mir immer ansehen, wenn ich bei dir übernachte.«

Erneut schüttelte Ellie den Kopf. »Ich dachte eher an ein, ähm, konstantes Übernachten. Vielleicht …« Ihr Blick huschte zu Regina, dann wieder weg. »Vielleicht könnten wir uns eine gemeinsame Wohnung suchen.«

Regina hatte ihr Studium an der Harvard Medical School als Klassenbeste abgeschlossen, aber jetzt brauchte sie eine halbe Minute, um einen einfachen Satz zu verarbeiten. Als der Groschen endlich fiel, stockte ihr der Atem. »Willst du damit sagen, du würdest gern mit mir zusammenziehen?«

»Ähm, ja. Ich meine, wir müssen nicht zusammenziehen. Wenn es dir zu schnell geht und du noch nicht so weit bist oder du lieber deine eigenen vier Wände hast, dann ist das völlig in Ordnung. Ich will dich da absolut nicht unter Druck setzen.«

Wieder brauchte Regina einen Moment, um Ellies hastig gesprochene Sätze zu verstehen. Sie starrte Ellie an und hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte.

Eine gemeinsame Wohnung war ein großer Schritt, den sie nie mit einer ihrer Ex-Freundinnen gewagt hatte. Sie hatte immer großen Wert auf ihre Un­abhängigkeit gelegt und darauf, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein und kommen und gehen zu können, wie es ihr gefiel.

Aber jetzt, wo sie darüber nachdachte, spürte sie, dass es bei Ellie anders war. Normalerweise fuhren sie nach der Arbeit zu Ellie und auch die meisten ihrer freien Tage verbrachten sie gemeinsam. Sie hatte es kaum bemerkt, weil Ellie sich so nahtlos in ihr Leben einfügte, obwohl sie in vielerlei Hinsicht völlig verschieden waren.

Durch Ellie hatte sie sich für die Liebe geöffnet, auf eine Weise, die sie nie für möglich gehalten hatte. Und nun wurde ihr klar, dass sie mehr davon wollte – mehr gemeinsame Momente.

Bevor sie ihr das sagen konnte, fuhr Ellie fort: »Wir könnten ohnehin nicht sofort zusammenziehen, weil es sicher eine Weile dauern würde, ein Haus zu finden, das uns beiden gefällt, und außerdem müssten wir meiner Schwester genug Zeit geben, eine neue Mitbewohnerin zu finden. Vielleicht kannst du ja mal darüber nachdenken. Oder auch nicht. Wir können auch einfach so weitermachen wie bisher. Es spricht auch nichts dagegen, zwei getrennte Wohnungen zu haben, falls du das be–«

Regina unterbrach sie mit einem energischen Kopfschütteln. »Hör auf damit.«

Ellie starrte sie mit großen Augen an. »Womit?«

»Mir ständig eine Ausflucht anzubieten«, sagte Regina. »Das hast du von Anfang an gemacht, und ich gebe zu, dass ich es zuerst zu schätzen wusste. Aber jetzt brauche ich das nicht mehr. Ich bin so weit, Nägel mit Köpfen zu machen.«

Ellie hielt ganz still. Nur ihre Augenlider zuckten. »Du … du möchtest mit mir zusammenziehen?«

Regina zuckte mit den Schultern. »Na ja, es ist viel effizienter, als getrennte Haushalte zu führen. Wir könnten uns die Nebenkosten teilen, jede müsste nur die Hälfte der Hausarbeit erledigen und wir würden Zeit sparen, weil wir nicht mehr zwischen unseren Wohnungen hin- und herpendeln müssten.«

Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf Ellies Gesicht aus. »Du willst zusammenziehen, weil es effizienter ist. Nicht, weil du mich gern um dich hast und dein Leben mit mir teilen möchtest.«

Endlich ließ Regina es zu, dass sich die Freude, die in ihr aufstieg, auf ihrem Gesicht zeigte. »Na schön, das ist auch ein Grund.«

Ellie schlang übermütig ihre Arme um Regina, was diese einen Schritt zurückstolpern ließ.

Gemeinsam fielen sie auf die Couch, wobei Ellie auf Regina landete.

Die drei Teile des Kunstwerks, die immer noch an der Couch lehnten, schwankten bedrohlich.

Regina und Ellie erstarrten, aber zum Glück kippten die gerahmten Drucke nicht um.

»Puh!« Ellies Atem strich über Reginas Hals und jagte ihr eine Gänsehaut über den gesamten Körper. Dann folgten ihre Lippen, was die Gänsehaut noch verstärkte. »Wir ziehen zusammen«, murmelte sie dicht an Reginas Haut. Sie hob ihren Kopf und schaute Regina mit ehrfürchtiger Miene an. »Ich kann es nicht fassen! Genau das habe ich mir gewünscht, als wir auf dein Tattoo gepustet haben.«

Regina lehnte ihren Kopf auf dem Sofakissen zurück und musterte Ellies Gesicht. »Ich auch.« Es war ihr ein bisschen peinlich, das zuzugeben, aber sie lernte langsam, sich Ellie zu öffnen.

»Moment mal! Du hast dir auch gewünscht, dass wir zusammenziehen?«

Regina schenkte ihr ein verlegenes Grinsen. »Na ja, in erster Linie habe ich mir gewünscht, dass ich es nicht vermassle und dich vergraule, weil ich unsere Beziehung und unsere Arbeit getrennt halten wollte.«

»Hast du nicht«, sagte Ellie.

»Nein, aber es war schon eine knappe Sache.«

Ellie lächelte auf sie herab. »Ach, als Krankenschwester in der Notauf­nahme bin ich auf knappe Sachen und schwierige Fälle spezialisiert.«

»Ach ja?«

»Ja.« Ellie senkte den Kopf und küsste sie so leidenschaftlich, dass sämt­liche Gedanken an die Vergangenheit verflogen wie Löwenzahnsamen im Wind.

~ ~ ~

Am nächsten Morgen frühstückten sie gemütlich und stiegen dann in Reginas SUV, um zu Ellie nach Hause zu fahren und mit ihrer Schwester zu reden. Auch Vickie hatte heute frei.

Nachdem sie fünf Minuten unterwegs gewesen waren, hatte Ellie noch immer kein Wort gesagt. Selbst als sie Brookside erreichten, blieb sie seltsam still.

Regina blickte zu ihr hinüber.

Ellie beschrieb mit dem Finger Achten auf dem Stoff ihrer Jeans, während ihr Blick auf ihr Wohnviertel gerichtet war, als hätte sie es noch nie zuvor gesehen … oder würde es gerade zum letzten Mal sehen.

Regina nahm eine Hand vom Lenkrad und legte sie auf Ellies Finger. »Alles in Ordnung?«

»Hm, ja.« Ellie klang wehmütig, fast schon traurig. »Mir geht’s gut.«

Das klang nicht sonderlich überzeugend. »Wenn du es dir anders überlegt hast oder lieber noch etwas warten willst, bevor wir es Vickie sagen …«

»Nein!« Ellie verschränkte ihre Finger mit Reginas und drückte sie sanft. »Wenn es nach mir ginge, würden wir schon morgen ein Haus finden. Ich freue mich wirklich darauf, mit dir zusammenzuleben.«

Regina kannte sie inzwischen gut genug, um zu spüren, dass sie irgend­etwas zurückhielt. »Aber?« Sie parkte den Wagen vor Ellies Haus, stellte den Motor ab und wandte sich ihr zu.

»Aber ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich ausziehen werde und Vickie sich eine neue Mitbewohnerin suchen muss.«

»Deine Schwester ist erwachsen«, sagte Regina. »Sie kann damit umgehen.«

»Ich weiß.« Ellie blickte auf ihre verschränkten Hände, dann wieder in Reginas Gesicht. »Außerdem werde ich unser Haus vermissen.« Sie deutete hinüber auf das charmante, zweistöckige Gebäude mit der roten Eingangstür und der breiten, überdachten Veranda.

Regina hatte solche Aussagen immer als übermäßig sentimental abgetan. Sie mochte ihre Wohnung zwar, würde aber keinen weiteren Gedanken an sie verschwenden, sobald sie ausgezogen war.

Aber Ellie war da anders, und Regina schwor sich, das zu respektieren. »Das war doch zu erwarten, oder? Ich meine, du wohnst hier schon seit sechs Jahren. Ich wette, das Haus birgt eine Menge Erinnerungen.«

Ellie legte auch ihre andere Hand auf Reginas. »Ja. Darunter auch viele Erinnerungen an Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben.« Sie deutete auf den hohen Baum neben dem Pfad, der zur Veranda führte. »Dort hat uns Vickie dabei erwischt, wie ich eine Hand unter deinen Pulli geschoben hatte.«

Bei dem Gedanken daran wurde es Regina ganz warm. »Hey, das hört sich an, als hätten wir wild rumgeknutscht, dabei war alles völlig jugendfrei.«

»Ja, aber unser erster Kuss im Badezimmer war es nicht.«

Regina lachte. »Ich weiß. Jedes Mal, wenn ich mir am Waschbecken die Hände wasche, habe ich ziemlich erotische Flashbacks und sehe, wie ich dich dagegen drücke und –«

Ellie löste eine Hand aus Reginas sanfter Umklammerung und legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Das ist jetzt wirklich nicht der geeignete Moment, mich daran zu erinnern, kurz bevor wir mit meiner Schwester reden.«

»Okay, okay. Im neuen Haus werden wir jede Menge neuer Erinnerungen schaffen.«

Ellie richtete sich auf und die Traurigkeit wich aus ihrem Gesicht. »Du hast recht. Es ist nur ein Haus. Mein Zuhause ist, wo auch immer du bist.«

Ein Teil von Regina erschauderte, weil es fürchterlich rührselig klang, aber ein weiterer, größerer Teil von ihr schmolz innerlich dahin. Natürlich würde sie das aber nie zugeben.

Ellie lachte. »Mach nicht so ein Gesicht, Ms Romantikmuffel.«

»Es muss Dr. Romantikmuffel heißen. Komm, lass uns reingehen, bevor Vickie uns sieht und denkt, dass wir hier draußen im Auto noch mehr Erinnerungen schaffen.«

Sie stiegen aus und gingen Hand in Hand zum Haus hinüber.

Ellie schloss die Tür auf. »Vickie? Bist du da?«

Wallys aufgeregtes Bellen schallte durch das Haus. Der Beagle-Yorkshire-Terrier-Mischling kam winselnd aus dem Wohnzimmer gestürmt. Seine Pfoten rutschten über den Parkettboden, als er schlitternd vor Ellie zum Stehen kam. Er wedelte so heftig mit dem Schwanz, dass Regina dachte, er würde jeden Moment umkippen.

Nachdem er Ellie die Hände geleckt hatte, wandte er sich Regina zu und begrüßte sie ebenso überschwänglich.

Zwar hätte sie auf den Hundesabber gut verzichten können, aber sie musste zugeben, dass es schön war, so enthusiastisch begrüßt zu werden. Sie würde es vielleicht sogar ein bisschen vermissen, wenn sie nicht mehr fast jeden Tag vorbeikommen würde.

Verdammt. Der Gedanke war ihr bisher nicht in den Sinn gekommen. »Was passiert mit Wally, wenn du ausziehst?«, flüsterte sie Ellie zu. »Müssen wir ihn bei Vickie lassen?«

Ellie kniete sich hin und vergrub ihr Gesicht einen Moment lang in Wallys Fell. »Ich würde ihn schrecklich vermissen, aber vielleicht wäre es besser für ihn. Das hier ist sein Zuhause. Hier hat er einen eingezäunten Hinterhof und er ist mit dem Golden Retriever des Nachbarn befreundet.«

»Vielleicht könntest du –«

Bevor Regina aussprechen konnte, kam Vickie aus dem Wohnzimmer. »Hallo, Schwesterherz.« Sie nickte Regina zu. »Regina.«

»Vickie.« Regina erwiderte das knappe Nicken.

Die Abneigung zwischen ihnen hatte sich längst gelegt, aber es machte Spaß, so zu tun, als könnten sie sich immer noch nicht ausstehen. Vickie schien das auch so zu sehen.

Ellie rollte mit den Augen und zog Regina ins Wohnzimmer. »Hast du kurz Zeit?«, fragte sie ihre Schwester. »Es gibt etwas, worüber ich … wir gern mit dir reden würden.«

Vickie folgte ihnen bereitwillig. »Ja, klar. Ich wollte auch mit dir reden.« Sie ließ sich auf die Couch fallen und warf Ellie einen erwartungsvollen Blick zu.

»Schieß los. Was wolltest du mir sagen?« Ellie schien froh zu sein, einen Grund zu haben, ihr Thema noch etwas aufschieben zu können.

»Nein, du zuerst.«

Eine Sekunde lang starrten sich die Schwestern an. Offenbar wollte keine als Erste sprechen.

Schließlich ließ sich Ellie neben Vickie auf die Couch sinken. Da sie noch immer Reginas Hand hielt, war diese gezwungen, sich ebenfalls zu setzen. »Ähm, es gibt da etwas, worüber wir gern mit dir reden würden.«

»Hast du eben schon gesagt.« Vickie wedelte mit der Hand. »Raus damit.«

Ellie rutschte auf dem Sofa herum und drückte rhythmisch Reginas Hand.

Hoffentlich war ihr bewusst, dass Reginas Finger kein Stressball waren. Als Notfallmedizinerin brauchte sie zwei voll funktionstüchtige Hände. Sie presste die Lippen zusammen, um das Gespräch nicht an sich zu reißen. Dieses Thema musste sie Ellie überlassen.

»Es geht um etwas, worüber wir schon eine ganze Weile nachgedacht haben«, sagte Ellie. »Na ja, mich beschäftigt es schon eine ganze Weile, aber wie sich herausgestellt hat, steht Regina dem nicht so ablehnend gegenüber, wie ich befürchtet habe. Sie findet meine Idee sogar sehr gut, deshalb hoffe ich, dass du uns dabei unterstützen wirst.«

Eine Furche entstand zwischen Vickies Augenbrauen. »Ich habe keine Ahnung, was du zu sagen versuchst. Es sei denn …« Sie presste beide Hände auf den Mund und stieß einen schrillen Schrei aus. »O mein Gott, du bist schwanger!«

»Was? Nein!«

Vickie ließ ihren Blick über Regina schweifen – oder vielmehr über ihren Bauch.

Regina war mit der Geduld am Ende. Energisch hob sie die Hand. »Hör auf, mich so anzuschauen. Keine von uns ist schwanger. Was Ellie zu sagen versucht, ist …« Sie hielt inne und bedeutete Ellie, weiterzusprechen.

Ellie holte tief Luft. »Regina und ich würden gern zusammenziehen«, platzte es aus ihr heraus.

Vickie starrte sie an.

Ellie ließ Reginas Hand los und griff mit beiden Händen nach dem Arm ihrer Schwester. »Ich weiß, dass es für uns beide eine ziemliche Umstellung sein wird, aber mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht ausziehen, bevor du eine Mitbewohnerin gefunden hast, die –«

»Halt, stopp! Du willst ausziehen?« In Vickies Gesicht arbeitete es.

Einen Moment lang glaubte Regina, sie würde gleich zu weinen beginnen.

Dann brach Vickie in Gelächter aus. »Ich will auch ausziehen!«

»Was?«

Vickie konnte nur mehrfach nicken, bis sie sich endlich im Griff hatte und aufhörte zu lachen. »Brandon hat vor Kurzem ein niedliches Häuschen von seinen Großeltern geerbt und mich gefragt, ob ich bei ihm einziehen will. Ich habe Ja gesagt.«

»Brandon«, murmelte Regina. »Du ziehst also mit dem Typen zusammen, der angeblich gar nicht dein Freund ist. Wie man das eben so macht.«

»Pah. Das war vor acht Monaten«, sagte Vickie. »Beziehungen ändern sich.«

Da musste Regina ihr zustimmen. Noch vor einem Jahr hatte sie Ellie für eine übermäßig sentimentale, ineffiziente Plaudertasche gehalten und angenommen, dass Ellie sie hasste.

Ellie hüpfte auf der Couch auf und ab. »Das ist einfach wunderbar, Vickie!«

Sie umarmten sich und Regina saß einfach nur da und wartete geduldig, bis die Kuschelrunde ein Ende fand.

»Oh!« Ellie wich abrupt zurück. »Wenn du zu Brandon ziehst, heißt das, dass ich hierbleiben kann?« Ihr Blick huschte zu Regina. »Vorausgesetzt, du würdest hier wohnen wollen.«

Regina nickte. »Von mir aus. Ich mag das Bad. Und die Küche.«

Sie grinsten einander an.

»Igitt!« Vickie zog zwei Sofakissen hinter ihrem Rücken hervor und schleuderte sie Ellie und Regina entgegen. »Ich will nicht wissen, wo ihr es überall getrieben habt, herzlichen Dank.«

»Um so was geht es nicht«, sagte Ellie, aber ihre Wangen färbten sich rot. »In der Küche hab ich ihr versehentlich zum ersten Mal gesagt, dass ich sie liebe.«

»Versehentlich?« Vickie lachte. »So wie du bei der Single-Auktion ver­sehentlich auf sie geboten hast?«

»Das lag an der Fliege«, sagten Regina und Ellie unisono. »Sie war ziemlich groß.«

Als sie schließlich aufhörten, einander anzulächeln, blickte Ellie zu ihrer Schwester und wurde ernst. »Was machen wir mit Wally?«

Der Hund hob seinen Kopf, den er auf Ellies Turnschuhe gelegt hatte.

»Ich hatte gehofft, du wärst mit einem gemeinsamen Sorgerecht einverstanden«, sagte Vickie. »Da wir zu viert sind, könnte fast rund um die Uhr jemand zu Hause sein, sodass Mama und Papa nicht mehr den Hundesitter spielen müssen.«

Zu viert? Regina hob die Brauen. Scheinbar war sie gerade zum Hunde-Elternteil befördert worden.

Ellie drehte sich zu Regina um. Ihre großen, braunen Augen erinnerten Regina an Wally, wenn er sie um Futter anbettelte. »Was meinst du? Würdest du zumindest zeitweise mit Wally zusammenleben wollen?«

Regina zuckte mit den Schultern. »Da ich jetzt eine fundierte Meinung über Hunde habe, warum eigentlich nicht?«

Ellie umarmte sie überschwänglich und wich dann zurück, um ihrer Schwester einen erwartungsvollen Blick zuzuwerfen. »Wann ziehst du aus?«

Vickie kicherte. »Kaum zu glauben, dass ich Angst hatte, es dir zu sagen, dabei kannst du es kaum erwarten, mich loszuwerden!«

»Nein, nein, so ist das nicht. Ich bin nur …«

»Glücklich«, sagte Vickie. »Kann ich nachvollziehen. Wie wäre es mit dem ersten März?«

Reginas Mund war plötzlich so trocken wie die Seiten eines medizinischen Lehrbuchs. Bis dahin blieben nicht einmal mehr zwei Wochen! Das ging alles viel schneller, als sie erwartet hatte. War sie wirklich bereit dafür?

Ellie legte ihr eine Hand aufs Knie. »Was hältst du davon? Könntest du überhaupt so schnell einen Nachmieter finden?«

Keine Ausflüchte mehr. Regina straffte ihre Schultern. »Ja, das dürfte kein Problem sein. Die Literary Apartments sind so beliebt, dass ich vermutlich keine Stunde brauchen werde, jemanden zu finden. Das größere Problem wird sein, so kurzfristig ein Umzugsunternehmen zu finden.«

»Umzugsunternehmen?«, wiederholte Ellie, als hätte sie noch nie zuvor von diesem Konzept gehört. »Brauchen wir nicht. Ich wette, Jasmine, Beth und Kayla helfen uns gern. Dylan, Paige, Cait und Mica sicher auch.«

Die meisten dieser Leute arbeiteten im Krankenhaus. Reginas Haut juckte bei dem Gedanken, dass sich Kollegen in ihre Privatangelegenheiten einmischen würden.

Aber wenn das bedeutete, dass sie ihr Leben schon etwas früher mit Ellie teilen konnte, würde sie das in Kauf nehmen.

Sie nickte entschlossen. »Einverstanden. Am ersten März ist Umzugstag.«

~ ~ ~

Einige Tage später musterte Regina kritisch die Donuts im Aufenthaltsraum. War sie verzweifelt genug, das Gebäck zu essen, obwohl es vermutlich vom Vortag stammte, oder hatte sie genug Zeit, um sich einen Snack aus der Cafeteria zu holen?

Bevor sie sich entscheiden konnte, näherten sich Schritte.

Regina drehte sich um.

Kayla ging zur Kaffeemaschine wie eine ausgehungerte Frau, die sich auf ein Büfett stürzte. Nachdem sie eine Tasse unter die Maschine geschoben und den Knopf gedrückt hatte, wandte sie sich an Regina. »Wie läuft’s denn so?«

Regina neigte den Kopf. »Es läuft.«

»Ich habe in letzter Zeit einige interessante Gerüchte gehört«, sagte Kayla über den Lärm der Kaffeemaschine hinweg. »Willst du wissen, was es ist?«

Regina rümpfte die Nase. »Nein, danke. Du weißt doch, was ich von Klatsch halte.« Sie entschied sich gegen die Donuts, schnappte sich ihre Tasse und wandte sich zum Gehen.

»Oh, ich habe so das Gefühl, dieser Klatsch würde dich sehr wohl interes­sieren«, rief Kayla ihr nach. »Es geht um deine Freundin.«

Regina umklammerte ihre Tasse fester, um sie nicht quer durch den Raum zu schleudern. Sie drehte sich um und warf Kayla einen vernichtenden Blick zu. »Wenn diese verdammten Wichtigtuer es wagen, auch nur ein Wort über Ellie zu sagen, schnappe ich mir ein Rektalspekulum und –«

»Mach mal halblang! Niemand sagt etwas Gemeines über Ellie. Nur dass bei ihr der Nestbauinstinkt einsetzt.« Kayla grinste breit und genoss die ganze Sache Reginas Meinung nach etwas zu sehr.

»Nestbauinstinkt?« Regina runzelte die Stirn. »Was soll das denn bitte heißen?«

Kayla machte große Augen. »O Gott! Bitte sag mir, du weißt es schon!«

»Was soll ich wissen?«

»Anscheinend ist Ellie diese Woche in jeder Pause online einkaufen gegangen. Sie hat nach Sachen gesucht, um ihr Zuhause gemütlicher zu machen.«

»Na und?« Ellies Tendenz zu Spontankäufen ging niemanden etwas an. Es war wohl kaum der Rede wert, selbst wenn sie es ein wenig übertrieben und Dinge wie eine Kuscheldecke, einen bunten Teppich und eine neue Leselampe gekauft hatte, obwohl Regina mit ihrem gesamten Hausrat bei ihr einziehen würde.

»Ist doch ganz klar, was das bedeutet! Sie bereitet sich auf die Ankunft des Storchs vor!« Kayla ging zu ihr und klopfte ihr auf die Schulter. »Herzlichen Glückwunsch, Mama!«

Kaffee schwappte über den Rand der Tasse. »Warum zum Teufel denken das immer alle?«

»Andere haben es also auch schon bemerkt?«

»Es gibt nichts zu bemerken! Du solltest deinen Doktortitel zurückgeben, Vaughn! Ellie und ich sind lesbisch, schon vergessen?« Regina deutete auf ihre OP-Hose. »Ich bin werkseitig nicht zum Kinderzeugen ausgestattet.«

Kayla winkte ab. »Ach, meine lesbischen Freundinnen haben es geschafft, ganz ohne diese Ausstattung schwanger zu werden.«

»Ja, aber bestimmt nicht versehentlich. Glaubst du nicht, dass wir heiraten oder zumindest ein Haus kaufen würden, bevor wir auch nur darüber reden, eine Familie zu gründen?«

»Ellie ist also nicht schwanger?«, fragte Kayla.

»Nein! Himmel Herrgott! Muss ich es erst im Mitarbeiter-Newsletter verkünden, damit du mir glaubst?«

»Ähm, nein, ich glaube dir. Aber wenn es nicht daran liegt, was ist dann mit euch los?«

Regina hätte ihr am liebsten gesagt, das ginge sie nichts an. Aber Ellie hatte vor, ihre Kolleginnen und Kollegen um Hilfe beim Umzug zu bitten. Tatsächlich hatte sie schon vor einigen Tagen begonnen, mehrere Leute zu fragen, aber anscheinend hatte sie noch nicht mit Kayla geredet, weil diese normalerweise in der Nachtschicht arbeitete. Regina umklammerte ihre Tasse mit beiden Händen. »Ich ziehe nächste Woche bei Ellie ein.«

Kayla stellte ihre eigene Tasse beiseite und starrte sie an.

Der Gedanke, Ellie könnte schwanger sein, schien sie nicht überrascht zu haben. Warum in aller Welt sah sie dann so schockiert darüber aus, dass sie zusammenziehen wollten? Menschen waren manchmal wirklich seltsam.

»Wow«, sagte Kayla schließlich. »Das ist ein großer Schritt.«

Regina tat gelassen. »Findest du?«

»Komm schon! Es ist ein gewaltiger Schritt! Na ja, vielleicht nicht ganz so gewaltig wie ein Baby, aber immerhin. Vor weniger als einem Jahr hast du Ellie noch gehasst und jetzt setzt bei euch beiden der Nestbautrieb ein.«

Regina schaute sie böse an. »Ich habe keinen Nestbautrieb. Und ich habe Ellie nie gehasst.«

»Ha! Letztes Jahr hast du ihr fast den Kopf abgerissen, nur weil sie am Valentinstag Papierherzen in der Notaufnahme aufgehängt hat, und jetzt wollt ihr zusammenziehen!«

Regina zuckte mit den Schultern. »Es ist einfach praktischer, weil Ellies Haus näher am Discgolf-Parcours liegt, auf dem ich meistens spiele.«