Ein unvergesslicher Almwinter - Gabriele Raspel - E-Book

Ein unvergesslicher Almwinter E-Book

Gabriele Raspel

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Beschreibung

Mila steht vor dem Nichts. Ihr Verlobter ist gemeinsam mit ihrer besten Freundin und ihrem Sparbuch durchgebrannt. Auch Milas Mutter findet sich plötzlich in der Arbeitslosigkeit wieder. Nachdem die Großmutter stirbt und sie im Nachlass ein Foto der Seiser Alm finden, beschließen sie, dass sie beide sich Urlaub verdient haben. Tatsächlich finden sie auf der Seiser Alm nicht nur die gewünschte Erholung, sondern in Simon, dem jungen Hotelbesitzer, und seinem Onkel Luis Ablenkung und eine überraschende Zukunftsperspektive…

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2019

© 2019 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: © gornostaj – stock.adobe.com (oben) und

Tijana – stock.adobe.com (unten)

Lektorat: Beate Decker, München

Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau

Worum geht es im Buch?

Gabriele Raspel

Ein unvergesslicher Almwinter

Mila steht vor dem Nichts. Ihr Verlobter ist gemeinsam mit ihrer besten Freundin und ihrem Sparbuch durchgebrannt. Auch Milas Mutter findet sich plötzlich in der Arbeitslosigkeit wieder. Nachdem die Großmutter stirbt und sie im Nachlass ein Foto der Seiser Alm finden, beschließen sie, dass sie beide sich Urlaub verdient haben.

Tatsächlich finden sie auf der Seiser Alm nicht nur die gewünschte Erholung, sondern in Simon, dem jungen Hotelbesitzer, und seinem Onkel Luis Ablenkung und eine überraschende Zukunftsperspektive …

1

Es schien ein ganz normaler Freitag Mitte September zu sein, doch Mila kam auch dieser Tag, wie bereits alle Tage zuvor, surreal vor. Automatisch setzte sie einen Fuß vor den anderen und bewegte sich auf ihren langen Beinen ziellos durch die Oldenburger Innenstadt. Die Sonne strahlte, und die milden Temperaturen hatten zu diesem Spaziergang verlockt und damit ihre Antriebslosigkeit unterbrochen, jedenfalls für eine kurze Zeit. Außerdem war Bewegung für sie das einzige Mittel gegen ihre Langeweile und das qualvolle Gedankenkarussell. Zeit hatte Mila reichlich. Zu viel Zeit. Das war aber auch alles, was sie momentan im Überfluss besaß.

Abermals zogen sich ihre Mundwinkel verbittert nach unten. Ungeduldig strich sie das schulterlange blonde Haar zurück, das ihr der Wind immer wieder ins Gesicht blies. Ihr locker sitzender Mantel wärmte ihre schmale Gestalt kaum, vor allem konnte er nicht verheimlichen, dass sie in den letzten Wochen einige Kilos abgenommen hatte.

Was immer sie machte, sie tat es gründlich. Und Fehler hatte sie begangen, da würde ein jeder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wobei sie in diesem Fall ja anfangs lediglich der besten Freundin und dem Verlobten bedingungslos vertraut hatte. Dieses Vertrauen allerdings hatte sie schließlich alles gekostet: ihren Freund, die Freundschaft zu ihrer bis dahin besten Freundin und, nicht zu vergessen, ihre gesamten Ersparnisse, einschließlich ihrer Zukunftsträume. Ach ja, und die Wohnung mit der sogenannten Freundin zu der für sie allein unerschwinglichen Miete war auch verloren. Zum Glück hatte die nette Vermieterin sogleich einen Nachmieter, einen Enkel, parat, sodass Mila sofort zum Monatsende ausziehen konnte.

Alles weg.

Elisabeth – Charly, wie sie sie nannten, die zarte Rothaarige mit den kräftigen, von Sommersprossen übersäten Händen – hatte sich mit Milas Geld auf den Weg in eine eigene Zukunft gemacht. Mit dem Kapital, das ursprünglich die Himmelspforte zu ihrer gemeinsamen Selbstständigkeit, mit ihr als Masseurin und Mila als Physiotherapeutin, öffnen sollte. Ohne Mila logierte sie nun wahrscheinlich auf Mallorca oder Ibiza – ihren »Trauminseln«, wie sie Mila immer vorgeschwärmt hatte. Und um es dort auch recht nett zu haben, war Milas Freund Markus gleich mit ins Reisegepäck eingesackt worden.

Als Mila ihrer Mutter erzählte, dass Charly auch das nicht passwortgeschützte Sparbuch gestohlen hatte, auf welches sie jeden entbehrlichen Cent für die geplante Praxis eingezahlt hatte, legte Konstanze einen Wutausbruch hin wie lange nicht. Sie raste, weil ihre Tochter sich der altmodischsten Form der Vermögensbildung bedient hatte, wie sie das Sparbuch nannte, das einem Sparschwein gleich keine Zinsen brachte und noch dazu jedem, der seiner habhaft wurde, Zugriff auf ihr Geld bot, ohne sich dabei anstrengen zu müssen. »Ich denke, du hast es wenigstens sofort sperren lassen. Das hast du doch?«, schickte sie angesichts Milas Gesichtsausdruck alarmiert hinterher.

»Äh … nein«, antwortete Mila und wurde knallrot. »Als ich auf diese gute Idee kam, war es leider schon zu spät.«

Konstanze fuhr sich geschockt durch die Haare. »Kein Kommentar«, zischte sie dann.

Nach reiflicher Überlegung verzichtete Mila entgegen dem Rat ihrer Mutter auf eine Anzeige, denn sie hielt die Aussichten, die beiden zu finden, für nicht allzu rosig. Konstanze tobte, aber Mila sah sich momentan nicht in der Lage, sich Markus und Charly gegenüber in irgendeiner Form zu wehren. Für die diskrete Arbeit eines Privatdetektivs, den ihr Konstanze schließlich ans Herz legte, hatte sie kein Geld. Das Geld ihrer Mutter dafür in Anspruch zu nehmen, kam gar nicht infrage. Am schlimmsten war die Scham, die Situation nicht durchschaut zu haben. Rein gar nichts hatte sie weder Charly noch Markus angemerkt, als die beiden insgeheim bereits ein Paar waren – was ihr im Nachhinein suspekt erschien und sie ernsthaft überlegen ließ, ob ihre Liebe zu Markus tatsächlich so groß gewesen war, wie sie immer angenommen hatte. Ihn überhaupt zu verdächtigen, gemeinsame Sache mit ihrer Freundin zu machen, auf diesen Gedanken hatte sie erst ihre Vermieterin gebracht, die berichtete, wie sie die beiden öfter gemeinsam die Wohnung hatte verlassen sehen, während Mila noch an ihrer alten Arbeitsstelle arbeitete. Charly hatte da bereits reichlich Freizeit. Die SMS von Markus brachte schließlich Gewissheit: Sei uns nicht böse, wir zahlen dir irgendwann alles wieder zurück. Kuss Markus.

Und Tschüß! Smiley mit Küsschen! Kurz und schmerzlos. Den Verlust ihres prall gefüllten Sparbuchs hatte sie erst später bemerkt. Aber bloß keine Panik, sie bekam ja alles wieder zurückgezahlt. Nun, sie war nicht nur böse, sie war wütend und traurig. Wütend auf sich und traurig über den Verlust dieser beiden Menschen, die ihr so viel bedeutet hatten. Und nun wohnte sie also wieder bei ihrer Mutter und ihrer Oma. Na danke! So lieb sie die beiden hatte, mit fünfundzwanzig war der Rückzug in den Schoß der Mutter aus reiner Not nicht lustig. Wenn sie freiwillig zusammenleben würden, das wäre etwas anderes. Aber so? Ihr blieb nichts, als sich sofort eine neue Arbeit zu suchen. Sie hatte bereits Bewerbungen abgeschickt, doch die Möglichkeiten waren in der Region nicht allzu rosig, und es stand zu überlegen, ob sie die Reichweite ihrer Suche nicht ausdehnen sollte.

Bemüht, den Verdruss nicht länger in aller Öffentlichkeit zur Schau zu stellen, setzte sie sich in ein Café am Kanal. Es lagen Decken aus, warm genug, um draußen zu sitzen, und so bestellte sie einen Kakao, der ihre Seele noch immer zu beleben vermochte.

Ihre engeren Freundinnen waren eingeweiht in ihr Dilemma, doch sie drohte deren Geduld überzustrapazieren, wie der rasche Themenwechsel der Freundinnen, der Milas ersten Sätzen folgte, ihr irgendwann klarmachte. Und so hatte sie sich abgewöhnt, sie ständig mit ihrem Kummer zu belästigen. Außerdem bemerkte sie, dass das Gejammer ihre Seele nicht entlastete, im Gegenteil.

Sie legte die schmalen, weichen Hände in den Schoß, die im Gegensatz zu Charly den Patienten nicht halb tot kneteten und in ihm den Wunsch erweckten, mit zahllosen gebrochenen Rippen die Praxis schnellstens auf allen vieren zu verlassen. Sie zog die sanftere Methode vor, bei der die Patienten vor Wohlbehagen schnurrten, weswegen sie sich auch zusätzlich auf Lymphdrainagen spezialisiert hatte, erlernt bei der Kapazität in dieser Disziplin in Hinterzarten. Trotzdem hätten sie und Charly gut harmoniert, denn es gab tatsächlich auch Patienten, die es mochten, härter rangenommen zu werden.

»Wahrscheinlich, weil es so ein wundervolles Gefühl ist, wenn der Schmerz nachlässt«, hatte Charly immer grinsend gemeint. Und Mila hatte ihr aus voller Brust zugestimmt. Ja, sie wären beide ein prima Team geworden. Beinahe.

Das Schlimmste aber war, dass dieses niederschmetternde Erlebnis sie der Freude auf die Zukunft beraubte, ihren Enthusiasmus wie eine Seifenblase zerplatzen ließ. Alles, was übrig blieb, war eine große Leere. Sie seufzte, ihre Grübelei trug nicht gerade dazu bei, den herrlichen Altweibersommer zu genießen, und ließ den Blick schweifen: Paare auf Schritt und Tritt. Gelöste Gesichter, so weit das Auge schaute. Heiteres Treiben ringsum. Furchtbar! Sie zahlte und verließ das Café.

Nach wenigen Minuten betrat sie das Haus, in dem sie seit dem Desaster ihres Lebens mit ihrer Mutter wohnte, und stieg seufzend die Treppe hinauf.

2

Auch für Milas Mutter Konstanze schien dieser Freitag zunächst ein ganz normaler Arbeitstag zu sein. Und doch war an diesem Spätnachmittag, als bereits alle Kollegen das Büro verlassen hatten, nichts mehr normal. Gerade als sie sich den Schal um den Hals gelegt hatte, um sich auf den Heimweg zu machen, trat der Chef in das Büro.

»Konstanze, hättest du noch ein wenig Zeit? Wir müssen reden … äh … Ich muss mit dir … äh … etwas besprechen.«

In Konstanzes Ohren brauste das Blut. So hatte sie sich zuletzt vor fünf Jahren gefühlt, als sie in Erwartung einer Wurzelbehandlung auf dem Weg zum Zahnarztstuhl in Ohnmacht gefallen war. Der Chef bat sie um eine Unterredung, was ungewöhnlich war, denn sie hatten sich den ganzen Tag gesehen und miteinander gesprochen. »Wir müssen reden …« Fingen so nicht alle Katastrophen an? Na also. Dass es sich hierbei um eine Gehaltserhöhung handelte, war so wahrscheinlich wie der über Nacht eingetretene Weltfriede.

»Aber natürlich. Ich bin in einer Minute bei dir.«

Er nickte stumm und schloss die Tür.

Konstanze nahm ihren Taschenspiegel hervor. Gekonnt frischte sie die blasse Gesichtshaut mit einem Hauch Rouge auf und schminkte die tiefen Augenschatten mit einem hellen Stift fort. Wenn sie zum Schafott eilte, denn das bedeutete diese Unterredung, da war sie ziemlich sicher, dann erhobenen Hauptes und so attraktiv wie möglich. Zum Glück hatte sie ihren Lockenkopf noch vor Kurzem vom besten Friseur richten lassen, die ersten grauen Strähnen im brünetten Haar jedoch ungefärbt gelassen, was sie jetzt bedauerte. Ihre grauen Augen betonte sie mit einem graublauen Konturenstift, zog die Lippen nach und lächelte gequält ihrem Spiegelbild zu. Tja, Konstanze, jetzt gilt es, dem Ende wacker ins Gesicht zu blicken. Und du wirst nicht eine einzige Träne vergießen – jedenfalls nicht hier und jetzt.

Sie stand auf und reckte sich. Heute trug sie ihre neuen Stiefel mit hohem Absatz, die ihre eins fünfundsechzig um sechs Zentimeter vergrößerten. Gut so.

Mit im Schoß gefalteten Händen saß sie eine Minute später hölzern wie eine Marionette, die Knie zusammengepresst, im Sessel, in dem sie so viele Diktate und Anweisungen ihres Chefs Bernhard Matusius entgegengenommen hatte. Aus der Ferne vernahm sie seine Stimme, die tröstliche Worte von sich gab, welche jedoch kaum ihren Verstand erreichten. Der Mann, der ihr im Laufe der Zeit ein väterlicher Freund geworden war und jetzt die Leitung der Firma an den Sohn übergeben hatte, er sprach soeben das Unmögliche aus, das sie bis jetzt so erfolgreich verdrängt hatte.

Ihm war es nicht gelungen, bei Tom durchzusetzen, sie, seine exzellente Assistentin, zu übernehmen. »Dabei habe ich ihm immer wieder klargemacht, wie erfahren du bist, wie sehr die Kunden dich würdigen, und dass sich jeder Chef glücklich schätzen kann, dich als Assistentin zu haben«, wiederholte er.

Sein Mantra hätte er noch tausend Jahre beten können, es hätte den Juniorchef nicht umgestimmt. Der fünfundvierzigjährige Sohn steuerte seine eigenen Ziele an, präzise wie eine Atombombe, hin zu einer zwanzig Jahre Jüngeren, von der getuschelt wurde, dass sie dem Junior bereits vor ihrer Beförderung mehr Anliegen erfüllte als die rein beruflichen.

»Es tut mir schrecklich leid, Konstanze, ich hab alles versucht, aber ich hab’s leider nicht geschafft. Tom ist wirklich manchmal … etwas stur.«

Er ist ein Idiot, dachte sie nur, doch das behielt sie für sich, sie war eben eine wirklich gute Assistentin.

Sie hatte es ja geahnt. Wenn sie jemanden nicht mochte, dann mochte der sie in den meisten Fällen eben auch nicht. Aber sie hatte das Undenkbare nie zu Ende gedacht. Weil es ihr Angst einflößte. Sie war fünfzig. Punkt. Und nun hatte das Unaussprechliche sie eingeholt. Ihr war gekündigt worden. Mit einer großzügigen Abfindung. Dennoch war das Ganze natürlich ein Schock.

»Wer kommt schon gegen eine Fünfundzwanzigjährige an«, entfuhr es ihr, als wäre dies der einzige Grund. Eine Zusammenarbeit zwischen Tom Matusius und ihr hätte ihnen beiden den gleichen Spaß beschert, wie wenn der eine dem anderen ein Stück Seife zwischen die Zähne gesteckt hätte.

»Also ich würde mich immer für dich entscheiden. Auch noch in zwanzig Jahren«, sagte Bernhard Matusius mit einem Lächeln. Mit seinen neunundsechzig sah man ihm jedes seiner Jahre an, was nicht allein an den schütteren Haaren lag, die mittlerweile komplett weiß seinen schmalen Schädel mit der hohen Stirn bedeckten. Auch seine Haltung hatte nichts mehr gemein mit dem jugendlichen Schwung, mit dem er sie über Jahre begeistert und mitgerissen hatte.

Konstanze gab sein Lächeln zurück. Er konnte ja nichts dafür. Sie gönnte es ihm, dass er – und seine Ehefrau nicht zu vergessen – noch etwas mehr erleben wollten. »Es waren gute Jahre, Bernhard. Und ich hoffe, dass du dich jetzt endlich ein wenig schonst und dich mehr dem Golfspielen widmen kannst, wie du es dir immer gewünscht hast.«

Er hob abwehrend die Hände. »Ich fürchte, da steht meine Frau vor«, lachte er. »Außer an den Wochenenden ist mir das Spiel verboten worden.«

»Ich kann deine Frau verstehen.« Sehr sogar, dachte sie, denn außer reichlich Geld hatte Frau Matusius bislang nicht viel von ihrem Mann gehabt. »Ich wünsche euch beiden noch eine gute Zeit. Genießt eure Reisen und euer neues Haus.« Sie stand auf, und sie schüttelten sich die Hände.

»Ich wünsche dir viel Glück, Konstanze. Lass einmal von dir hören«, bat er, doch sie wussten beide, dass es dazu nicht kommen würde.

Sie verließ das Bürogebäude – zum Glück waren die anderen schon gegangen, und sie musste ihnen jetzt keine Fragen beantworten. Sie war ihrem Chef dankbar, dass er mit dieser Sache bis zum Abend gewartet hatte. Zum Glück blieben ihre Augen trocken. Denn zum Schluss war ihr tatsächlich zum Heulen zumute, doch sie hatte nicht nah am Wasser gebaut.

Wehmütig ging sie zu ihrem Wagen. Aber dann ließ sie ihn stehen und spazierte die stille Straße entlang. Sie musste einen Augenblick zu sich kommen, ehe sie ihren beiden Lieben mit der traurigen Nachricht ins Haus schneite.

Nach einer halben Stunde stieg sie ins Auto und quälte sich durch den Wochenendverkehr an den Stadtrand von Oldenburg, wo sie seit vielen Jahren in einer gemütlichen Villa lebte, die vor gut einem Jahr von einem reizenden jungen Ehepaar erworben worden war.

Sie hielt vor dem Haus, stieg aus und blieb einen Moment sinnend stehen. Hier auf der Straße herrschte beschauliche Ruhe. Eine bunte Mischung aus Villen mit altmodischen Charme, die nach und nach restauriert wurden, Doppelhaushälften junger Familien und bescheidene ehemalige Arbeiterhäuschen einer früheren Werkzeugfabrik waren umgeben von Gärten in allen Größen.

Wie gut, dass Mila momentan bei ihnen wohnte. Sie öffnete die Haustür, und der Duft, der ihr entgegenströmte, war ungewohnt, aber nicht unangenehm. Der sich nur langsam verflüchtigende Geruch nach Farbe mischte sich heute mit dem Duft verblühter Blumen und modriger Blätter, der durch das geöffnete Fenster im Parterre hereindrang. In der Woche war der Flur gestrichen worden, und das zarte Gelb der Wände harmonierte hervorragend mit dem Dunkel der Eichentreppe.

Sie stieg die bequemen breiten Holzstufen hinauf in ihre Wohnung. Zum Glück hatte das junge Ehepaar, das nun die Villa besaß, die hübsche Treppe nicht gegen eine moderne getauscht. Die beiden bewiesen ohnehin ein Gespür für den erhaltungswürdigen Stil des Hauses. Die Stuckarbeiten waren nur ausgebessert worden, die alten Fliesen hatten sie gelassen, und auch die Fenster, deren altes Glas das Licht so angenehm filterte. Sie vernahm ihr Lachen und das Quieken des einjährigen Babys. Es war schön, zu wissen, dass sich das Haus, Erbe der rüstigen Tante, die ihr Leben bei einem Verkehrsunfall vor der Haustür verloren hatte, bei den glücklichen jungen Erben in guten Händen befand.

Sie öffnete die Tür, legte ihre Tasche auf die breite, halbhohe Mahagoni-Truhe und folgte dem verlockenden Duft in die Küche. »Hallo, ihr beiden, wo seid ihr?«, fragte sie munter, doch dann sah sie, dass niemand in der Küche die Mahlzeit beaufsichtigte. Rasch trat sie an den Herd und zog den Topf von der Platte, in dem es heftig brodelte. Gerade als sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter oder Mila machen wollte, stürzte die Tochter in die Küche, tränenüberströmt.

»Mama … die Oma … Sie … sie ist tot«, schluchzte Mila.

»Wie, die Oma ist tot?«, wiederholte Konstanze konsterniert.

»Na, sie ist … gestorben eben«, brachte Mila stockend hervor.

Konstanze lief hinaus und ans Ende des Flurs, wo die Mutter ihr Zimmer hatte, aus dem soeben Dr. Burger, der Hausarzt, heraustrat.

»Es tut mir leid, Frau Sandtner. Es … ist zu spät. Sie ist von uns gegangen. Ihre Mutter ist vor zehn Minuten friedlich eingeschlafen.«

»Aber sie war doch vollkommen gesund, Sie haben sie doch selbst noch vor einem Monat untersucht«, stieß Konstanze hervor.

»Es tut mir leid, es war ein Schlaganfall … so etwas kann in diesem Alter immer vorkommen«, entgegnete Dr. Burger leise.

Die nächsten Stunden verlebte Konstanze wie in Trance. Viel zu rasch wurde ihre Mutter fortgebracht. Zu spät, durchzuckte es sie immer wieder. Sie war zu spät gekommen. Der einzige Trost bestand darin, dass Maria nicht hatte leiden müssen. Dennoch traf ihr Tod sie und Mila aufs Schmerzlichste.

Könnte ich sie doch nur noch ein einziges Mal umarmen, durchzuckte es sie, als sie traurig vor sich hinstarrte. Warum hatte sie ihr nie gesagt, wie sehr sie liebte?

Weil sie angenommen hatte, dass ihre Mutter dies wusste? Dass es selbstverständlich war?

Aber wäre es nicht viel schöner gewesen, wenn es ihr jemand gesagt hätte?

3

Die folgenden Tage und Wochen waren trostlos, während ihnen draußen einer der schönsten Altweibersommer geboten wurde. Der Herbst verabschiedete sich ungewohnt trocken in einem Feuer aus Farben, wie sie es lange nicht erlebt hatten. Die Luft war glasklar, das Wetter beständig sonnig, doch wegen der fallenden Temperaturen zogen sie sich bereits jetzt, Mitte November, Mütze und Handschuhe an auf ihren langen Fahrradtouren rund um Oldenburg – sie hatten beide ja so viel Zeit.

Wobei jede für sich die meiste Zeit damit zubrachte, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Doch zig Briefe, Anrufe und Internet-Bewerbungen später lag ihr Optimismus auf Eis. Wenn man überhaupt geantwortet hatte, dann negativ. Im Gegensatz zu Mila rief Konstanze dennoch nach jeder Absage bei der jeweiligen Firma an. Man war zwar wohlwollend und freundlich, lobte ihr exzellentes Zeugnis, das Ergebnis blieb dennoch niederschmetternd. Immer war es die ihrem Alter und ihrer Berufserfahrung angemessene Gehaltsvorstellung, die einer Neuanstellung im Wege stand. Das Gehalt, das man ihr dann auf ihre Frage hin anbot, lag im Bereich ihres Anfangsgehalts von vor drei Jahrzehnten, womit sie heute mit Mühe und Not die Miete hätte bestreiten können. Die zweite Variante war die Ausflucht, dass ihr aufgrund der Tatsache, dass sie bisher nur für einen Arbeitgeber tätig gewesen war, sehr wahrscheinlich die nötige Flexibilität fehlen würde und man sich daher anderweitig entschieden hätte.

Mila hingegen erhielt Absagen auf ihre Initiativbewerbungen, weil einfach keine freie Stelle zur Verfügung stand.

Sie bemühten sich beide, einander guten Mut vorzuspielen und nichts von ihren Ängsten und Zweifeln zu verraten, doch Konstanze kannte Mila gut genug, um deren gespielt fröhliche Miene richtig zu deuten. Und so erinnerte sie immer wieder einmal an die Höhe der Abfindung, mit der sie sich eine lange Zeit über Wasser halten konnten – auch weil es sie selbst beruhigte. Dennoch wich die latente Niedergeschlagenheit selten. Tatsache war, dass sie und Mila gerade ziemlich allein dastanden.

Milas Freund hatte sie sitzen gelassen, gemeinsam mit ihrer besten Freundin. Sie hatte keine Geschwister, der Kontakt zu ihrem dänischen Vater bestand aus einigen Postkarten und gelegentlichen Besuchen bei ihm und seiner jetzigen Frau, mit der er keine Kinder hatte. Die geliebte Großmutter war tot, sie hatte praktisch nur noch ihre Mutter. Nicht gerade viele Menschen, die sie trösten konnten.

Und so hatten sie nur einander, denn auch Konstanze war geschwisterlos, wie auch ihre Eltern. Die Familie ihres Ex-Mannes lebte weit verstreut in Dänemark, und der lose Kontakt blieb nur durch ihr beständiges Bemühen noch eine Weile aufrechterhalten, nachdem ihr Mann sich damals getrennt hatte. Viele Angehörige gab es in der Tat nicht. Da war noch die Schwägerin Siv, die in Kopenhagen ein Dessous-Geschäft leitete. Doch der Kontakt war im Laufe der Jahre ebenfalls zum Erliegen gekommen, obwohl sie sich sympathisch fanden. Ebenso der zu ihren dänischen Schwiegereltern, die auf Bornholm ein Familienhotel führten. Sie hatten kein inniges Verhältnis zueinander aufbauen können, da sie und Jens gerade mal zwei Jahre verheiratet gewesen waren, als Mila auf die Welt kam und Jens sie verließ. Zu groß waren zudem ihre charakterlichen Unterschiede und die Entfremdung, nachdem sich ihr Mann in eine andere Frau verliebt hatte. Natürlich kam die räumliche Entfernung noch hinzu, abgesehen davon, dass die Arbeit als Hoteliers ihnen kaum Zeit für private Kontakte ließ. Außerdem waren seine Eltern ohnehin nicht begeistert gewesen, dass ihr Sohn eine Deutsche geheiratet hatte, gab es doch in Dänemark so viele nette Mädchen, die ihren Sohn gemocht hatten – das bekam Konstanze des Öfteren zu spüren. Und so war die zweite Frau von Jens tatsächlich eine Dänin.

Aber es hatte ja keinen Zweck, dem Vergangenen nachzutrauern. Die Zukunft allein zählte. Konstanze lächelte, als sie zu einem plötzlichen Entschluss kam: Sie würden Urlaub machen. Irgendwie, irgendwo in traumhafter Umgebung dem Alltag entfliehen – der kleinen Erbschaft von ihrer Mutter sei Dank.

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Ein Dirndl zum Verlieben

eISBN 978-3-475-54835-2 (epub)

Schon als junges Mädchen wünschte sich Seraina nichts sehnlicher, als eine Dirndlschneiderei zu betreiben. Jahre später erfüllt sie sich endlich ihren großen Traum und eröffnet einen eigenen Laden in Thaur, am Fuße der Tiroler Alpen, der sofort ein riesiger Erfolg wird. Als sie dann auch noch die beiden Freunde Max und Til kennenlernt, scheint ihr persönliches Glück zum Greifen nah. Obwohl sich Seraina zu beiden Männern hingezogen fühlt, kann letztendlich der lebhafte Steuerberater Max ihr Herz erobern. Ihrer Sache sicher, beschließt die junge Frau, Max zu heiraten. Doch hat Seraina wirklich die richtige Entscheidung getroffen?

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