Schatten über dem Enzianhügel - Gabriele Raspel - E-Book

Schatten über dem Enzianhügel E-Book

Gabriele Raspel

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Beschreibung

Kerstin ist glücklich: Sie lebt im elterlichen Hotel am Fuße des idyllischen Enzianhügels, ist mit ihrem langjährigen Freund Nick verlobt und versteht sich blendend mit ihrer besten Freundin Eva und deren Tochter Franzi. Doch dann taucht Mathias, der Vater von Franzi, im Dorf auf. Obwohl er einst mit Eva zusammen war, war Kerstin jahrelang in ihn verliebt. Auch heute spürt sie, dass ihr dieser Mann etwas bedeutet. Bevor sie sich jedoch über ihre Gefühle klar werden kann, erschüttert ein mysteriöser Todesfall das Dorf. Die ersten Anzeichen deuten auf einen Unfall, doch Kerstin glaubt an ein Verbrechen. Auf der Suche nach der Wahrheit kommt sie Mathias immer näher.

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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LESEPROBE zuVollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2014

© 2015 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheimwww.rosenheimer.com

Titelfoto: © Wolfgang Zwanzger – Fotolia.com (oben)und AK-DigiArt – Fotolia.com (unten)Lektorat: Gisela Faller, StuttgartSatz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau

eISBN 978-3-475-54390-6 (epub)

Worum geht es im Buch?

Gabriele Raspel

Schatten über dem Enzianhügel

Kerstin ist glücklich: Sie lebt im elterlichen Hotel am Fuße des idyllischen Enzianhügels, ist mit ihrem langjährigen Freund Nick verlobt und versteht sich blendend mit ihrer besten Freundin Eva und deren Tochter Franzi. Doch dann taucht Mathias, der Vater von Franzi, im Dorf auf. Obwohl er einst mit Eva zusammen war, war Kerstin jahrelang in ihn verliebt. Auch heute spürt sie, dass ihr dieser Mann etwas bedeutet. Bevor sie sich jedoch über ihre Gefühle klar werden kann, erschüttert ein mysteriöser Todesfall das Dorf.

Die ersten Anzeichen deuten auf einen Unfall, doch Kerstin glaubt an ein Verbrechen. Auf der Suche nach der Wahrheit kommt sie Mathias immer näher.

1

Der Thurnerhof am Fuße des Enzianhügels war nicht nur eines der stattlichsten, sondern schlicht das schönste Hotel von Seewinkel, stellte Katharina Pichler gut gelaunt fest, als sie trotz der Sommerhitze, die jetzt um zwölf Uhr die Luft flirren ließ, mit weit ausholenden Schritten von der Hauptstraße in die schmale Gasse abbog, in der ihr Anwesen stand. Sie blieb einen Moment stehen und ließ das Panorama auf sich wirken, während sie sich mit ihrem Stofftaschentuch über die Stirn wischte. Nach einem feinen Essen gestern Abend – Spargelcreme-Suppe, Tafelspitz, Vanillepudding mit Kirschen – hatte sie beschlossen, den Gang zum Frisör heute nicht im Auto, sondern mit Laufschuhen und bewaffnet mit Walking-Stöcken zurückzulegen.

Ihr Hotel lag nicht direkt am See, doch von den Holz-Balkonen im oberbayerischen Stil in der ersten Etage des Haupthauses konnte man ihn durch die Ansammlung der Birken, Föhren und Kiefern hindurchblitzen sehen. Zwischen den Bäumen versteckten sich ihre neue Fass’l-Sauna und der Stadl, der den blitzsauberen und ebenfalls neuen Wellnessbereich beherbergte. Die Entfernung zum See störte niemanden, denn die ruhige Gasse, abseits des Trubels der Seestraße, gewährte den Gästen die erwünschte Ruhe.

Auf der entgegengesetzten Seite des Gartens, der mittlerweile eher einem Park glich, lagen die drei »Alm-Hütten«, die sie als Vier-Sterne-Ferienhäuser vermieteten. Sie sahen aus, als hätten sie einige Jahrhunderte mehr auf dem Buckel als das Haupthaus, das immerhin seit über zweihundert Jahren existierte, waren aber ebenfalls neu erbaut worden.

Seewinkel, der kleine Ort, nicht mehr ganz ein Dorf, aber auch noch nicht ganz eine Stadt, lag eingebettet in saftige Almen und beschützt von den mächtigen Eintausender-Gipfeln des Berchtesgadener Landes. Der See passte in seiner Größe zum Ort. Nicht zu groß und nicht zu klein mit seinem beschaulichen Strandbad am östlichen Ufer, das im vorigen Jahr in ein Naturbad umgewandelt worden war, und dem Schilfgürtel im Westen, der zahlreichen Wasservögeln Schutz bot, war er ein Ort der Behaglichkeit, an dem nicht nur die Urlauber, sondern auch die Einwohner, jung und alt, Vergnügen hatten. Dank der vielen Bänke, die ihn säumten, benutzten nicht nur die Jungen und Verliebten den verträumten Uferweg, sondern auch die älteren Bewohner des Ortes.

Gerade jetzt, zur Zeit der Enzianblüte, die die Matten hinter dem Haus lilafarben aufleuchten ließ, liebte Katharina ihre Heimat ganz besonders. Sie musste an Andreas denken. Obwohl er sonst mit der Natur nicht viel am Hut gehabt hatte, die Zeit der Enzianblüte hatte er gemeinsam mit ihr genossen und sie sogar dann und wann auf ihren Abendspaziergängen begleitet. Daran blieb ihr nur die Erinnerung: Ein unerkannter Herzfehler hatte ihn vor drei Jahren viel zu früh aus dem Leben gerissen.

Katharina setzte ihren Weg fort, denn der Besuch beim Frisör hatte länger gedauert als geplant. Grüßend hob sie die Hand und lächelte Alois Kofler, ihrem Nachbarn, freundlich zu. Er schaute kurz hoch von seiner Arbeit im Bauerngarten, dessen üppige Blumenpracht so manchen Spaziergänger vor dem Jägerzaun Halt machen ließ. Nein, sein Lächeln erschien nicht auf Tastendruck, dachte sie bei sich, weil er so ernst und verhalten dreinsah. Doch wenn, dann ließ es sein Gesicht leuchten, dass es einem warm ums Herz wurde.

Dass dieser schlanke, gut aussehende Mann mit seinen schwarzen Haaren, die jetzt attraktiv an den Schläfen zu ergrauen begannen, nie geheiratet hatte, war allen unbegreiflich. Allen außer mir, dachte sie mit einem Anflug von Eitelkeit. Doch dass er seinen Schwur, nie eine andere als sie zu heiraten, wirklich wahr machen würde, hätte sie sich auch nicht träumen lassen. Ab und zu hatte ja auch ein weibliches Wesen eine Weile an seiner Seite und natürlich zusammen mit seinen Eltern auf dem Hof verbracht. Doch in den letzten Jahren war keine neue Frau mehr mit ihm gesichtet worden – obwohl man im Dorf munkelte, dass es ihm an weiblicher Entspannung nicht mangele.

»Grüaß di, Katharina«, sagte Alois und stützte sich auf seinen Besen, ein Zeichen, dass er zu einem Gespräch aufgelegt war – das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

»Grüaß di, Loisl.«

Sie schüttelte ihr glänzendes Haar, damit es in der Sonne aufleuchten konnte, und sie freute sich, dass sie den Mut aufgebracht hatte, es sich heute zum ersten Mal färben zu lassen.

»Deine Stöcke machen einen Heidenlärm, gib acht, dass du nicht die noblen Herrschaften in deinem Hotel aufweckst.«

»Das lass mal meine Sorge sein«, erwiderte sie. »Außerdem sind diese Herrschaften längst auf den Beinen.«

Mit der Hand strich sie den ungewohnten Pony aus der Stirn, der sie laut Elviras Aussage um zehn Jahre verjüngte. ›Plus die fünf durch die neue Haarfarbe‹, hatte die Frisörin einladend zu Katharina gesagt, und da hatte sie sich in das Abenteuer gestürzt. Nun fühlte sie sich wie ein junges Mädel, was hoffentlich auch der Stoffel vor ihr bemerkt hatte.

»Was hast’ mit deinem Haar gemacht, du siehst ja so verändert aus.«

Das war nicht ganz, was sie sich von ihm erhofft hatte. »Bin in die Rüttelpresse gefallen.«

»Ihr Frauen, dass ihr immer eure Haarfarbe wechseln müsst«, gab er von sich.

»Wir bleiben halt jung durch diese Veränderungen«, knurrte sie. Noch ein Wort, nahm sie sich vor, und sie würde ihm ihre Stöcke in seinen Allerwertesten rammen. Mit der Spitze voran.

»Jedenfalls brauchst’ jetzt abends keine Warnstreifen mehr auf deinen Turnschuhen, du leuchtest auch so mit deinem roten Schopf.«

»Das ist kein Rot, sondern Aubergine«, erwiderte sie, nur mit Mühe den aufkeimenden Ärger unterdrückend, aber ohne ihren finsteren Vorsatz in die Tat umzusetzen. Warum war es nur so schwer, Männern ein Kompliment zu entlocken? Außerdem war ihre Farbe eine raffinierte Kombination aus Rot und Aubergine. Und Braun. Wie auch immer, es sah wunderbar aus.

»Rot oder Lila, was macht das schon für einen Unterschied«, sagte er. »Gefärbt bleibt gefärbt. Ich fand deine alten Haare immer gut genug.«

Na bitte, da hatte sie doch ihr Kompliment.

»Das tut mir jetzt aber leid«, entgegnete sie. »Ich werd sofort zurückgehen und sie wieder in Grau umfärben lassen.«

»Für mich braucht’s des nicht.«

»Na dann eben nicht«, sagte sie. »Einen schönen Tag noch.«

Sie steckte energisch das Taschentuch zurück in die Hosentasche und murmelte: »Trottel.«

Mit diesen Worten machte sie sich wieder auf den Weg. Na ja, sie hatte auch schon mal besser gekontert, aber in ihrer Entrüstung war ihr nichts Passenderes eingefallen.

So ein Depp, so ein damischer. Sie sah aus wie vierzig – höchstens –, statt wie zweiundfünfzig, und ihm fielen nur dumme Sprüche ein. Das war aber auch nicht fair, dass er mit seinen dreiundfünfzig Jahren immer noch attraktiv aussah, und das ohne irgendwelche kosmetischen Hilfsmittel. Alois war ein aussichtsloser Fall. Aus ihm würde nie ein Frauenversteher werden, da konnten die Damen im Ort noch so anders darüber denken.

»Nichts für ungut«, rief er ihr hinterher.

Sie hob wortlos die Faust und reckte den Daumen in die Höhe.

Im Hotel angekommen, ging Katharina schnurstracks in ihre Wohnung, die sich im Nebenhaus im hinteren Teil des Grundstücks befand, das an die Wiesen der Koflers grenzte. Bis ins Frühjahr dieses Jahres hatten die Koflers noch einen Hof mit zwölf Mutterkühen bearbeitet. Doch im letzten Jahr war Ludwig Kofler, der Vater von Alois, tödlich verunglückt. Elisabeth, die Mutter, hatte das in ein tiefes Depressionsloch gestürzt, sodass die ganze Arbeit allein auf den Schultern von Alois lastete. Da der Hof ohnehin verschuldet war, hatte Alois sich kurzerhand entschieden, die Kühe zu verkaufen. Wie sie heute hatte munkeln hören, suchte er auch für einen Teil seiner Wiesen einen Käufer. Da hatte sie natürlich sofort an einen lange gehegten heimlichen Traum gedacht, den sie nun endlich realisieren konnte.

Katharina genoss die Kühle, die ihr über das erhitzte Gesicht strich, als sie in den Flur trat. Beim Bauen hatten Andreas und sie Wert auf solides Material gelegt, das hatte sich schon vielfach bezahlt gemacht. Neben ihr selbst hatten in dem Haus auch Kerstin, ihre jüngere Tochter, und Britta, die Ältere – zusammen mit ihrem Mann Sascha – ihre Wohnungen. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Katharina die Erdgeschosswohnung gegen die kleinere Zwei-Zimmer-Wohnung unterm Dach eingetauscht.

Es polterte auf der Treppe, und ein kleines Mädchen mit glatten, blonden Haaren, eine viel zu große Brille auf der spitzen Nase und dazu blass und schmächtig zum Erbarmen, stürzte ihr entgegen. Jeder versuchte, Franzi zum Essen zu animieren. Doch egal, welche Köstlichkeiten Kerstin und sie, die abends für das Familien-Essen zuständig waren, auch auftischten, das Kind aß immer nur wie ein Vögelchen.

»Oh, hallo, mein Schatz. Was machst du denn schon hier? Hast du um diese Zeit nicht noch Schule?«

Franzi war die Tochter von Eva Breitner und zehn Jahre alt. Ihre Mutter arbeitete im Hotel. Einst hatte Katharina ihr aus Mitleid ein Dachzimmer im Hotel angeboten, als sie mit achtzehn Jahren schwanger gewesen war und ganz alleine dastand – die alkoholkranke Mutter war betrunken vor ein Auto gelaufen, der Vater hatte sich schon lange abgesetzt und nie wieder von sich hören lassen. Irgendwo in Italien sollte er angeblich leben. Auch Luise, Evas Mutter, hatte einmal für das Hotel als Zimmermädchen gearbeitet. Die gute Tat hatte sich für Katharina vielfach bezahlt gemacht. Inzwischen war Eva aus dem Hotel nicht mehr wegzudenken und eher ein Familienmitglied als eine normale Angestellte. Vor allem aber war die kleine Franzi allen ans Herz gewachsen.

»Heut ist Turnen ausgefallen«, kam die fröhliche Antwort. »Die neue Lehrerin ist zwar schon da, aber sie fängt erst nächste Woche an. Und darum haben wir die letzten zwei Stunden frei gehabt.«

Erst dann bemerkte das Mädchen das veränderte Aussehen Katharinas. »Oh, Tante Kathi, du schaust aber schön aus. Deine neue Haarfarbe ist super, die hat die gleiche Farbe wie deine Augen«, sagte sie bewundernd.

Diese Antwort wärmte auf der Stelle Katharinas Seele.

»Das Blau passt so gut zu dir, wo du doch immer so gern alles in Blau hast.«

»Eigentlich ist es ja Aubergine«, sagte Katharina mit leichtem Zweifel in der Stimme und schaute in den großen Flurspiegel.

»Ja, freilich, aber es ist trotzdem schön«, nickte Franzi, reckte sich und strich Katharina übers Haar. »Und der neue Pony ist auch ganz toll.«

»Nicht wahr?«, strahlte Katharina. »Findest du nicht, dass er mich jünger macht?«

»Doch«, erwiderte Franzi eifrig. »Du siehst jetzt so jung wie Mama aus.«

»Nun ja, vielleicht nicht ganz. Aber ich freu mich, dass er dir gefällt«, lachte Katharina. »Was hast du denn gerade vor? Magst du mit mir hinaufkommen? Ich mache dir eine Eisschokolade, mit ganz viel Eis. Ja? Komm mit. Ich spring nur schnell unter die Dusche, dann machen wir es uns auf dem Balkon gemütlich.«

Das Mädchen liebte dieses Refugium unterm Dach ganz besonders, weil die warmen Holzbalken eine kuschelige Nische bildeten und man von hier den schönsten Blick auf den See und die Berge hatte.

Gemeinsam stiegen sie die Holzstufen hinauf. Katharina liebte die Kleine, die ihre Schüchternheit nur im Kreis der Familie und bei ihrer Freundin Annika überwand, einem molligen Irrwisch, die Franzi gleich im ersten Schuljahr unter ihre Fittiche genommen hatte. Franzi wiederum war ein stilles, in sich gekehrtes Persönchen, das sich gern in einen ruhigen Winkel verkroch und las oder mit seinen Puppen spielte. Wie sehr sie darin ihrer jüngsten Tochter glich, Kerstin, die auch anfangs ihre Probleme mit den vielen fremden Menschen im Hotel gehabt hatte! Erst nach und nach hatte sie ihre Scheu verloren, aber noch immer war sie am zufriedensten, wenn sie sich in der Ruhe des Büros mit Papierkram befassen konnte. Britta hingegen, die Ältere, war schon immer nervenstark gewesen und blühte umso mehr auf, je mehr Menschen um sie herumwuselten. Sie hatte Köchin gelernt und leitete heute die Hotelküche, sehr zum Stolz ihrer Mutter.

Sie, Katharina, sorgte für das große Ganze, neckten ihre Töchter sie, denn sie verfügte über keine spezifischen Talente, außer sich nett um ihre Gäste und den reibungslosen Ablauf ihres Vier-Sterne-Hotels zu sorgen. Und die Angestellten im Auge zu behalten, denn ihren scharfen Augen entging nicht der kleinste Schmutzfleck. Doch das tat sie mit Bravour, sodass sie sich über zahlreiche Stammgäste freuen konnten. Ihre Stammgäste waren ihre Freunde – jedenfalls die meisten –, sinnierte Katharina. Sie zahlten zwar einen ordentlichen Batzen Geld für den Aufenthalt in ihrem schönen Haus, aber dennoch waren sie in erster Linie Freunde des Hauses und wurden als solche hochgehalten und geliebt.

Katharina war auch diejenige, die immer wieder neue Ideen hatte, wie man den Hotelbetrieb aufpeppen konnte. Gut, um die Speisekarte kümmerte sich mittlerweile allein Britta. Doch der Wellness-Bereich, auf den sie heute alle zu Recht stolz waren, wäre ohne Katharinas Vision und die Hartnäckigkeit, mit der sie sie verfolgte, nicht entstanden.

Und heute Abend würde sie alle wieder einmal in Erstaunen versetzen. Bei diesem Gedanken musste sie lächeln. Oh ja, dies war ein Projekt, bei dem sie erneut ganz in ihrem Element sein würde. So etwas brauchte sie von Zeit zu Zeit, gewissermaßen als Therapie. Nach dem Tod von Andreas war sie nämlich so in Depressionen versunken, dass sie anfangs kaum aus dem Bett gekommen war. Aber als ihre Töchter sie daran erinnert hatten, dass sie doch schon seit Jahren eine Oase im hinteren Bereich des Parks hatte errichten wollen – was Andreas aber eine zu große Investition gewesen war –, da hatte sie sich mit Haut und Haaren in dieses Projekt gestürzt und sich damit gleichzeitig gewissermaßen an ihren eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen.

Nun, fand sie, war es wieder Zeit für etwas Neues, und das würde sie mit Hilfe von Alois erreichen. Denn mit ihm hieß es zu verhandeln, damit sie ihr Ziel erreichte. Aber ihr Nachbar machte ihr keine Sorgen. Er fraß ihr ja aus der Hand – nun, mehr oder weniger, jedenfalls war auf ihn aber Verlass. Gleich in den nächsten Tagen würde sie ihn aufsuchen, denn hinter seinem brummigen Gehabe versteckte sich eine sensible und sie verehrende Seele. Auch wenn heute davon nicht viel zu spüren gewesen war, dachte sie und verdrehte die Augen.

Katharina duschte in ihrem winzigen Bad und zog sich ein leichtes Sommerkleid an. Dann bereitete sie die Eis-Schokolade zu und setzte sich zu Franzi, die schon auf dem Balkon auf sie wartete. Zum Glück, dachte Katharina, musste man bei diesem Kind nicht mit den Kalorien geizen.

Die eigentliche Arbeit Katharinas sollte heute, da sie den Vormittag dazu genutzt hatte, sich schön machen zu lassen, um Viertel nach drei beginnen, wenn sie sich in ihr Büro begab und all die zahlreichen Telefonate führte und Berge von Papier abarbeitete, die ein so großer Betrieb mit seinen zahlreichen Angestellten mit sich brachte. Kerstin, das Allround-Talent, half ihr dabei. Die jüngere Tochter Katharinas hatte sich auf eine Hotelfach-Ausbildung verlegt und dabei den Betrieb von der Pike auf gelernt. Man konnte sie deshalb überall einsetzen, sie war der Springer, der im Notfall zur Stelle war. Vor allem aber beherrschte sie die Buchhaltung, einen Schwachpunkt Katharinas, aus dem Eff-Eff.

Sechs Uhr war der Fixpunkt des Tages, an dem sich die gesamte Familie in der Küche zum gemeinsamen Abendbrot zusammenfand. Katharina hatte von Anfang an auf dieser gemeinsamen Mahlzeit bestanden, und wie hoch auch die Wogen privat oder im Geschäft gingen, dieses gemeinsame Abendbrot war Pflicht für alle. Den Rest des Tages ging ein jeder seiner Arbeit nach. Auch gefrühstückt wurde nicht gemeinsam, obwohl Kerstin und Katharina oft morgens am Tisch zusammenfanden. Katharina, die nie lange schlafen konnte, stand unter der Woche um sieben Uhr auf, kochte den Kaffee und stellte die Zutaten auf den Tisch. Außerdem bereitete sie die Schulbrote für Franzi. Je nachdem, wie ihr Tag aussehen sollte, setzte sich Kerstin mit an den Frühstückstisch, um halb acht gesellte sich Franzi dazu, und wenn Eva keinen Frühstücksdienst im Hotel hatte, kam auch sie zu ihnen, ansonsten frühstückte sie rasch in der Hotelküche. Britta und Sascha frühstückten morgens dagegen allein in ihrer Wohnung. Sascha Huber, Brittas Ehemann, als einziger Mann in einem reinen Weiberhaushalt, unternahm gar nicht erst den Versuch, sich gegen die ausgeprägten Persönlichkeiten durchzusetzen, die die drei Damen nun einmal waren. Sascha war Lehrer für Mathe und Physik an der Gesamtschule, die Franzi besuchte, und der ruhige Gegenpol Brittas.

Gegen fünf trafen Katharina und Kerstin sich in der Familien-Küche, um das Abendbrot für sich und die anderen zuzubereiten. Die Küche war ein Viereck von gut und gerne dreißig Quadratmetern mit einem Herd, der eine Normal-Küche in seinen Ausmaßen überfordert hätte. Sie verfügten hier über eine Anzahl von Töpfen und Pfannen, die es ermöglicht hätten, auch eine Fußballmannschaft auf einen Schlag zu verköstigen, und an dem Tisch hätte man die Kicker mit ein bisschen Zusammenrücken notfalls auch untergebracht. Der Familie bot er sehr bequem genügend Platz, nicht nur, um darauf zu essen, sondern zur Not auch zu tanzen – was in der Tat schon vorgekommen war, wenn auch erst in früher Morgenstunde, als es wieder einmal etwas zu feiern gegeben hatte.

Katharina liebte diesen Raum und achtete darauf, dass stets frische Blumen und der Jahreszeit entsprechend Obst auf dem großen Familientisch sowie dem kleinen Tisch am Fenster mit Blick auf den hinteren Teil des Gartens zu finden waren. An diesem kleinen Tisch pflegten sie und Kerstin zu frühstücken.

»Ich hab für heute nur einen Salat, Hühnchen und Weißbrot vorgesehen«, sagte Kerstin.

»Du hast recht, das reicht in der Hitze völlig«, stimmte Katharina ihr zu. »Und zur Not könnte ich noch die Gemüsesuppe von gestern aufwärmen.«

Kerstin wusch sich die Hände an dem großen Granit-Spülstein. »Als Nachtisch Obst?«

»Gern. Und vielleicht einen Klacks Vanilleeis dazu?«, kam die rhetorische Rückfrage.

Kerstin lachte. »Ja freilich.«

Sie machten sich an die Arbeit, die reibungslos vonstatten ging, denn sie waren ein seit vielen Jahren eingespieltes Team. Anfangs hatte Britta oft am Essen herumgemäkelt. Sie konnte natürlich alles noch besser, doch dann hatten Katharina und Kerstin sich durchgesetzt.

»Du bist in deiner Küche der Chef, aber hier, zu Hause, da wird gekocht, wie wir es wollen, und wir erwarten keine kritischen Kommentare dazu. Nur positive«, war Katharina schließlich ernsthaft eingeschritten.

»Anfangs habt ihr auch ganz schön mein Essen bekrittelt«, hatte sich Britta verteidigt.

»Aber nur, weil du neben deiner leichten neuen Küche nicht mehr die traditionelle anbieten wolltest, die schließlich ein Großteil unserer Gäste immer noch sehr schätzt«, hatte ihre Mutter erwidert. In jener Frage hatten sie schließlich einen Kompromiss gefunden, mit dem alle einverstanden waren, auch die Gäste. Und auf die kam es ja an.

Heute freute Katharina sich besonders auf das gemeinsame Mahl, weil sie dann die Bombe platzen lassen würde. Sie sah es schon vor sich, wie die anderen sie mit schreckgeweiteten Augen anstarren und allerlei Einwände haben würden. Aber dann würden sie sich fügen und sie gewähren lassen, damit sie sich bei ihrer neuen Idee austoben konnte. Während sie mit Kerstin den Salat zubereitete, erzählte sie natürlich noch nichts davon.

»Übrigens, Mama, heute kommt Nick zum Essen«, riss ihre Tochter sie aus ihren Gedanken. »Wir haben uns lange nicht gesehen, er war in München. Er ist heute erst zurückgekommen, und da hab ich ihn eingeladen. Du hast doch nichts dagegen?«

Diese Frage war rein rhetorisch gemeint, denn natürlich hatte Katharina noch nie etwas dagegen gehabt, wenn die Töchter ihre Freunde mitbrachten. Heute kam es ihr allerdings ein wenig ungelegen, denn bei Nick, einem gelackten Fitnessjünger, den sie nicht sonderlich mochte, fühlte sie stets leichte Hemmungen. Ihre Begeisterungsausbrüche, zu denen sie nun einmal neigte, quittierte er gar zu oft mit einem spöttischen Verziehen der Lippen.

Aber sie wollte ihn ja auch nicht heiraten, und Kerstin schien glücklich mit ihm. Obwohl Katharina sich manchmal fragte, wie man nur einen Mann lieben konnte, der das Essen in homöopathischen Dosen zu sich nahm und seine Freundin maßregelte, wenn sie mehr aß, als er für richtig hielt, oder sich nicht genug bewegte. Was machte ein solcher Mann, wenn seine Frau mit vierzig möglicherweise rundlich wurde – wie es in ihrer Familie gang und gäbe war? Würde er sie dann austauschen? In seinem Beruf als Makler hatte Nick aber großen Erfolg, denn viele Frauen schätzten sein charmantes Auftreten. Er hatte sein Büro in der Nachbargemeinde, und seiner Kleidung nach zu schließen lohnte sich sein Job.

Nun ja, überlegte sie, vielleicht würde sie sich heute ja noch zurückhalten mit ihrer Absicht. Aber sie kannte sich andererseits zu gut, um wirklich daran zu glauben. Wenn etwas unter ihren Nägeln brannte, dann musste es einfach raus.

Das neue Projekt würde sie zum Teil aus ihrer Privatschatulle bezahlen, das würde Sascha, dem Vorsichtigen, den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn es nach ihm gegangen wäre – was Gott sei Dank nicht der Fall war – würden sie ein gemütliches kleines Hotelchen führen – garni, natürlich, denn er war der Meinung, seine Frau arbeite zu viel und gehöre nur in die eigene Küche. Britta sah das zum Glück gar nicht ein. Das Hotel würde auf diese Weise zwar auch laufen, doch die gesamte Familie ernähren könnte es dann natürlich nicht. Vor allem aber würde es ihrem, Katharinas, Drang nach Veränderung und steter Erneuerung Einhalt gebieten, ein Zustand, der sie ersticken ließe.

»Schade, dass Nick gerade heute vorbeikommt, ich habe eigentlich etwas mit euch zu besprechen«, konnte Katharina sich nun doch nicht zurückhalten.

»Ach, was denn?«, fragte Kerstin erstaunt.

»Das erfährst du noch früh genug«, schmunzelte Katharina. »Aber ich kann dir versprechen, es wird der Hammer.«

»Oh weh!« Kerstin krauste die Stirn. »Das letzte Mal kam uns der Hammer ziemlich teuer.«

»Freilich, aber es ist ja auch etwas daraus entstanden. Du musst zugeben, dass die Gästeanzahl seit der Eröffnung des Wellness-Bereiches deutlich gestiegen ist.«

»Ja, und er ist auch ganz toll geworden«, stimmte ihre Tochter bereitwillig zu. »Aber ich habe vor Nick keine Geheimnisse. Irgendwann wird er ja doch zur Familie gehören, da kann er heute ruhig dabei sein.«

»Da hast du eigentlich recht«, sagte Katharina und gab einen Hauch Honig an die fertige Salatsoße.

Gemeinsam deckten sie den Tisch in der Küche, denn draußen störten die Fliegen, die in diesem Jahr wieder einmal extrem lästig waren. Dann holten sie das Mineralwasser, Apfelschorle und einen leichten Weißwein aus dem Kühlschrank. Um Punkt sechs erschien die versammelte Mannschaft und nahm am Tisch Platz. Auch Nick Gschwandner erschien pünktlich, denn Kerstin hatte ihn schon sehr früh an die heilige Regel gewöhnt, dass das Essen pünktlich zu beginnen hatte, damit alle genügend Zeit hatten und auch Britta, die den ganzen Abend in der Küche arbeiten musste, sich nicht abzuhetzen brauchte.

Einen Moment überlegte Katharina, ob sie wirklich heute mit ihrer Neuigkeit ins Haus fallen sollte. Aber wenn sie es nicht tat, musste sie volle 24 Stunden warten, und bis dahin wäre sie bestimmt daran geplatzt. Zu einer anderen Tageszeit war es aber immer schwierig, alle gemeinsam um den Tisch zu bekommen. Die eine Stunde, die sie sich für das gemeinsame Abendessen gönnten, musste reichen, denn einer fehlte immer, wenn sie sich außerhalb dieser Zeit einmal treffen wollten, und an den freien Wochenenden hatte jeder etwas anderes vor und keine Lust auf weitere Familienbesprechungen. Schließlich waren sie ja auch darin bewandert, gleich zur Sache zu kommen und nicht endlose Diskussionen anzuzetteln.

»Haltet euch fest«, begann Kerstin, kaum dass sie Nick mit einem Kuss begrüßt hatte und sie sich alle an den Tisch gesetzt hatten. »Mama plant Neues.«

»Auweia«, sagte Britta grinsend.

Mit ihr würde Katharina keine Schwierigkeiten haben, da war sie sich sicher. Britta war nur daran interessiert, dass genügend Geld für ihre opulenten Lebensmittel-Einkäufe vorhanden war, mit dem Rest konnte ihre Familie schalten und walten, wie sie wollte.

»Ach, Kinder, so schlimm ist es doch gar nicht. Einen großen Teil der Kosten – ich möchte fast behaupten, den größten Teil der Kosten, übernehme ich persönlich, denn für meine neuen Pläne benötige ich einen Teil von dem Grund von Alois.«

Sie machte eine kleine Pause.

»Hört, hört«, unterbrach Sascha die eintretende Stille.

»Das klingt ja interessant«, meinte Kerstin vorsichtig.

Katharina wusste schon jetzt, dass ihre Jüngste ihren Plänen reserviert gegenüberstehen würde. Große Investitionen jagten ihr einen Schreck ein, obwohl das Hotel finanziell bombig dastand. Ihr fehlte oft ein wenig der Mumm, aber sie war ja auch noch jung.

»Ihr wisst, dass ich immer schon gern Golf spielen lernen wollte«, begann sie. Was natürlich gelogen war. Golfen hatte sie noch nie interessiert.

»Tja, Mama, das wussten wir zwar nicht, aber eigentlich bist du gerade im richtigen Alter dafür«, sagte Britta mit einem boshaften Glitzern in den Augen.

»Sag jetzt nicht, dass du einen Golfplatz eröffnen willst«, brachte Sascha mit belegter Stimme hervor. Er ergriff das Wasserglas und Katharina konnte fast fühlen, wie seine feuchten Hände beinahe am Glas abrutschten. »Du lieber Gott!«, gab er theatralisch von sich.

»Du hast es erfasst, lieber Schwiegersohn«, grinste Katharina.

»Einen Golfplatz, Mama, das hätte ich jetzt nie gedacht. Auf was für Ideen du nur kommst«, brachte Kerstin mit großen Augen hervor und nahm ebenfalls einen nervösen Schluck aus ihrem Glas mit der Apfelschorle. Als sie das Glas zurück auf den Tisch stellte, verschüttete sie hektisch ein paar Tropfen, aber die Tischplatte aus Eiche nahm solch ein kleines Malheur nicht krumm.

Katharina betrachtete sie zärtlich. Wieder etwas Neues, womit ihre Jüngste fertig werden musste. Mehrarbeit, neue Überlegungen, Bewegung im täglichen Alltagseinerlei. Vor allem Aufregungen, die mit Sicherheit auf sie zukommen würden und mit denen sie fertig werden musste. Für sie selbst waren dies alles reizvolle Aussichten, für Kerstin jedoch der blanke Horror.

»Ich finde die Idee super«, lachte Britta.

»Und ich auch«, krähte Franzi, die wie ihre Mutter stumm dem Gespräch gelauscht hatte.

»Und wenn Mama alles aus ihrer privaten Tasche zahlen will, was sollte man dagegen haben?« Brittas hellblaue Augen strahlten und sie strich sich ihre blonden Haare aus der Stirn, durch die eine feine Brise fuhr, welche durch die geöffneten Fenster angenehme abendliche Abkühlung brachte. Sie hob ihr Glas mit dem Mineralwasser. »Also meinen Segen hast du.«

»Halt, halt!«, rief Katharina schmunzelnd. »Ich sagte nicht, dass ich alles allein bezahle. Aber den Grund vom Alois, den werde ich privat bezahlen. Ich weiß, dass er seine Wiesen verkaufen will, und ich baue darauf einen wundervollen Golfplatz, der auch internationale Gäste anziehen würde. Mir schwebt aber anstelle eines Golfplatzes für eine kleine elitäre Runde auch ein Golfplatz für alle vor«, begeisterte sich Katharina, »offen für die Bewohner des Dorfes und alle seine Gäste.«

»Du weißt aber schon, dass ein Golfplatz was anderes ist, als ein Fußballplatz?«, grinste Britta. »Und die Bälle, die da durch die Luft fliegen, sind auch alle viel kleiner.«

»Trotzdem können sie hübsche Löcher in die Köpfe der unbeteiligten Spaziergänger schlagen«, kicherte Kerstin.

»Kinder, nun seid doch nicht so pessimistisch, schließlich gibt es für alles Lösungen«, verbat sich Katharina solchen Defätismus. »Und einen verirrten kleinen Ball von den Köpfen Unbeteiligter fernzuhalten, das dürfte für Könner ein Leichtes sein«, setzte sie großspurig hinzu. Sie hatte keine Ahnung, ob so etwas möglich war, aber sie würde schon darauf achten, dass sie keinen abgeschlossenen Park bauten, hinter dem Außenstehende neidisch durch ein Astloch im Zaun schielten.

»Wir könnten«, fuhr sie mit leuchtenden Augen fort, »dazu auch noch unsere eigene Wiese hinter dem Wellness-Bereich nehmen, die ohnehin zu nichts anderem mehr nutze ist, denn Gebäude stehen hier ja nun genügend.«

»Wie wahr«, murmelte Sascha. Er hatte noch jeder Bautätigkeit mit Argusaugen zugeschaut, war aber später mit den Ergebnissen doch ganz zufrieden gewesen. Vor allem, als Andreas noch gelebt hatte und man zu dem Entschluss gekommen war, dass die Familie ein eigenes Refugium benötigte, um wenigstens einen Hauch Abstand zur täglichen Arbeit zu genießen. So war die Familien-Dependance gebaut worden, in der nun alle ausreichend Platz fanden.

Nick fuhr sich durch die gegelten Haare.«Ich muss sagen, ich finde die Idee eurer Mutter wirklich gut«, meldete er sich zu Wort. Sein Hemd mit den feinen grauen Streifen war bis zur halben Brust geöffnet und zeigte eine sorgfältig rasierte Haut. »Golfen ist dermaßen beliebt, ich möchte mit euch wetten, dass ihr damit großen Erfolg haben würdet, denn die Viehweide, die Waldhaus Golfplatz nennt, ist selbst für Nicht-Profis unbespielbar.«

Katharina, die ihm zuerst erfreut gelauscht hatte, ärgerte sich über den Snobismus, den ihr Schwiegersohn in spe an den Tag zu legen beliebte. Von Freunden, die dort spielten, wusste sie, dass sie mit dem Platz vollauf zufrieden waren.

»Natürlich müsstet ihr euch Hilfe aus Schottland holen«, fügte er wichtigtuerisch hinzu.

Sie hob entschieden die Hände. »Schmarr’n. Unsere Architekten sind selber in der Lage, einen gescheiten Golfplatz zu bauen, der den Namen auch verdient. Und bei der Gestaltung hab ich an die Leitners gedacht. Ferdinand ist ein hervorragender Landschaftsgärtner. In ihn und seine Gehilfen hätte ich vollstes Vertrauen.«

Nick verzog keine Miene. »Sicher, ein hiesiger Gärtner würde auch nur den Bruchteil eines Fachmannes aus Schottland kosten.« Es klang fast neutral, wirkte aber dennoch eine winzige Spur abschätzig. »Können Sie denn Golf spielen?«, wollte er von Katharina wissen.

»Keine Spur. Interessiert mich auch nicht.« Dass sie gerade noch das Gegenteil behauptet hatte, hatte sie bereits vergessen. »Aber um einen schönen Platz zu bauen oder bauen zu lassen, muss ich ja nicht das Spiel lernen.«

»Ein guter Plan, Mama«, lachte Britta. »Wer weiß, wohin du in der Lage wärst, so einen Golfball zu schlagen. Wie ich dich kenne, wäre es für alle sicherer, wenn du dich außerhalb der Spielstätte aufhieltest. Ich darf dich nur daran erinnern, wie du Tennis spielst.«

Katharina grinste, als sie an ihr katastrophales Spiel dachte. Tennis hatte sie nie richtig gelernt und erst recht nicht geliebt. Da hatte auch der beste Trainer nichts geholfen. Sie war anscheinend so talentfrei, dass das fast schon wieder Seltenheitswert hatte.

»Ich dachte an einen für alle offenen Platz. Ich will doch nicht, dass die Nicht-Spieler vor dem schönen Park stehen und nur über den Zaun zuschauen dürfen. Das stört mich ja gerade an der Anlage in Waldhaus. Und der Leitner Ferdl hat mir auch gesagt, dass das heute möglich ist.«

»Apropos Leitner«, bemerkte Sascha, der augenscheinlich beschlossen hatte, sich zurückzuhalten – was ihm am besten gelang, wenn er das Thema wechselte. »Heute Morgen hab ich Mathias vor der Schule getroffen. Er ist wieder hierhergezogen und will in die Gärtnerei seines Vaters einsteigen. Hat mich richtig gefreut.«

Im selben Moment schepperte es. Kerstin war der Teller, den sie sich soeben erneut gefüllt hatte, aus den Händen gefallen. Noch knapp zur Hälfte landete er auf der Tischplatte, verlor dann aber umgehend das Gleichgewicht, kippte über den Rand und schlug mit lautem Klirren auf den Steinfußboden auf.

»Da musst du vor Schreck aber nicht gleich das gute Essen fallen lassen«, lachte Katharina, während ihre jüngere Tochter sich bückte und die Scherben aufsammelte. »Nicht, dass Nick meint, du wärst immer noch in den Haudegen verliebt.«

»Entschuldige mein Ungeschick, Mama. Und nein, ich bin nicht in den Haudegen verliebt«, fauchte Kerstin, die mit hochrotem Gesicht wieder unter dem Tisch aufgetaucht war. Die Haare fielen ihr tief ins Gesicht, sodass man nur ahnen konnte, wie heiß es leuchtete.

»Weiß man’s?« kicherte ihre Schwester. »So wie du ihn damals angebetet hast … das vergeht doch nicht so schnell. T’schuldige, Nick«, fügte sie gespielt reumütig in Richtung Kerstins Freund hinzu.

»Mathias war zehn Jahre nicht mehr hier«, kam Eva ihrer Freundin zu Hilfe. »In so einem Zeitraum ändert sich viel.«

Kerstin schenkte sich eine Antwort, ging zum Tresen und nahm die Küchenrolle, um die Bescherung wegzuwischen.

»Kerstin ist verlie … hiebt«, sang Franzi und klatschte freudig in die Hände, was ihr nicht nur einen warnenden Blick ihrer Mutter, sondern auch einen finsteren ihrer großen Freundin einbrachte, die sonst nie mit ihr schimpfte.

»Können wir bitte wieder zum Thema kommen«, fragte sie spitz. »Wir waren beim Bau eines Golfplatzes – abgesehen einmal davon, dass ihr gegenüber meinem Freund nicht gerade sehr taktvoll seid.«

»Ganz recht, mein Kind«, nickte Katharina. »Also versteh ich das jetzt richtig, ihr seid dafür?«

Alle nickten. »Und was sagst du, Eva?«, wandte sie sich an die junge Frau.

»Ach, Kathi, du weißt doch, dass ich alles gut finde, was du dir vornimmst. Außerdem ginge es mich auch gar nichts an, selbst wenn ich dagegen wäre … was ich aber natürlich nicht bin«, fügte Eva rasch mit ihrer sanften Stimme hinzu.

Zurückhaltend und diplomatisch, so wie immer, dachte Katharina. Alles musste man aus ihr erst herauskitzeln. Sie erzählte es nie, wenn sie etwas auf dem Herzen hatte, war viel zu bescheiden und strömte immer über vor Dankbarkeit, dabei war sie fleißiger als Mutter und Töchter zusammen, und kein Cent an sie war zu viel gezahlt. Die zwei Zimmer, eines für sich und eines für Franzi, die sie im Haupthaus bewohnte, waren nicht allzu groß, auch wenn sie sie hübsch eingerichtet hatte. Darin konnte sie gerade einmal Kaffee kochen und nur kleine Gerichte zubereiten. Das war allerdings nicht so schlimm, weil sie und Franzi als Familienmitglieder galten und deshalb in der Regel mit ihnen gemeinsam aßen.

»Dann, ihr Lieben, lasst uns darauf trinken. Der Champagner steht schon kalt.«

»Das ist doch typisch Mama«, sagte Sascha humorlos. »Immer ihrer Zeit voraus.«

»Du irrst, lieber Schwiegersohn. Der Golfplatz wäre von mir auch ohne die Zustimmung meiner Lieben gebaut worden«, korrigierte Katharina ihn. Das war ihr gerade erst eingefallen, doch warum eigentlich nicht? Schließlich war sie die Chefin vom Ganzen.

»Und da wir schon beim Feiern sind: Ich habe euch auch etwas mitzuteilen. Etwas Schönes!« Brittas Gesicht leuchtete auf, während sie sprach.

»Nein, sag bloß …« Katharina hatte sofort ihre Schlussfolgerungen gezogen und klatschte begeistert in die Hände. »Ja mei, des ist aber a Freud!«

Alle lachten.

»Du weißt doch noch gar nicht, was ich … was wir dir sagen wollten, Mama«, schmunzelte Britta.

»Nein! Also sag’s schon«, forderte Katharina sie atemlos auf.

»Ja, wir bekommen ein Baby. Im Dezember ist’s soweit«, sagte Sascha und ergriff die Hand seiner Frau. »Und darum möchte ich euch auch alle bitten, auf meine Frau Rücksicht zu nehmen und sie nicht mit Arbeit zuzuschütten.«

»Aber sie schütten mich doch nicht zu«, fuhr Britta ihn an, und man sah, wie unangenehm berührt sie war.

»Nein, das tun wir wirklich nicht – jedenfalls nicht die nächsten Monate«, versprach Katharina, und ihre große Freude über diese Nachricht verscheuchte sofort ihren Ärger über die Worte ihres Schwiegersohns. »Ach, des is wirklich a Freud’.«

»Ja, das finden wir auch.«

»Aber Champagner kriegst du dann natürlich nicht.«

»Nur einen winzigen Schluck«, bat sich Britta aus.

Katharina stand auf und holte den Champagner, während Kerstin die Gläser auf den Tisch stellte. Katharina füllte die Gläser und schob sie über den Tisch.

»Aber noch etwas hätten wir beinahe vergessen«, meldete sich Sascha noch einmal zu Wort.

Alle blickten gespannt in seine Richtung. Britta war heftig errötet, wie Katharina bemerkte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an.

»Wir haben uns entschieden, uns jetzt, da wir eine eigene Familie haben werden, auch eine eigene Wohnung zu suchen, genauer gesagt … wir haben bereits eine gefunden.«

»Oh«, entfuhr es Katharina. »Aber … warum das denn?«, fragte sie in Brittas Richtung, doch die schlug die Augen nieder. »Ich meine, ihr habt doch schon eine und … und eure Wohnung ist doch wahrlich groß genug.«

»Wir waren der Meinung, dass ein gesunder Abstand zur Familie uns ganz gut tun würde«, sagte Sascha. »Wir glauben, dass dadurch auch ein Riegel vor zu viel Arbeit geschoben wird. Wenn Britta hier ist, kann man sie jederzeit einspannen. Anstatt dass sie sich zum Beispiel jetzt hinlegen und die Beine hochlegen kann, muss sie in die Küche.«

»Ja, nun, wir haben ja nicht gewusst, dass sie schwanger ist«, rief Kerstin.

»Und außerdem bin ich noch lange in der Lage, meine Arbeit zu verrichten«, schaltete Britta sich selbst ein. »Bis zum Mutterschutz dauert es noch monatelang!«

»Trotzdem, Sascha hat recht«, verteidigte Katharina ausnahmsweise ihren Schwiegersohn. »Wir werden sehen, dass du eine Aushilfs-Köchin zur Seite bekommst, damit du dich nicht übernimmst.«

»Nur über meine Leiche«, protestierte Britta.

»Keine Widerrede, Schatz!«, widersprach ihr Mann.

Katharina stöhnte innerlich auf. Ihr Schwiegersohn tat immer so, als beuteten sie ihre älteste Tochter aus, dabei war Britta so mit Leib und Seele Köchin, dass sie in der Küche keine Götter neben sich dulden wollte. Wie oft hatte sie ihr schon angeboten, sich zwei-, dreimal pro Woche vertreten zu lassen! Nun, jetzt würde sich die Herrscherin über Töpfe und Tiegel aber damit abfinden müssen, dass eine Vertretung ins Haus kam, da konnte sie jammern, so viel sie wollte!

Aber den Stachel von Saschas Umzugsplänen beseitigte das nicht.

»Ich hab nicht gewusst, dass wir euch … nun ja … auf die Nerven gegangen sind«, brachte sie etwas gepresst hervor. Womit, da gab sie sich keinen Illusionen hin, Sascha wahrscheinlich allein sie gemeint hatte, denn mit Kerstin hatte er keinerlei Probleme. Das war ja auch nicht weiter schwer, denn Kerstin war pflegeleicht.

Die Nachricht vom Auszug war so unerwartet gekommen, dass sie sich richtig niedergeschmettert fühlte. »Hier zu wohnen, bringt ja nicht nur Nachteile«, fuhr sie fort. Genaugenommen war sie sogar der Meinung, es bringe nur Vorteile. »Wenn ihr euer Baby habt, könnte von uns doch jederzeit einer einspringen, wenn Not am Mann wäre«, sagte sie matt.

»Noch ist ja nichts entschieden«, sagte Britta leise.

»Ach, das klang gestern aber noch ganz anders«, reagierte Sascha scharf. »Die Bruckner-Wohnung wäre perfekt für uns.«

Wohl eher für dich, dachte Katharina. Doch ein wenig war sie jetzt auch erleichtert, denn das Haus der Familie Bruckner lag um die Ecke auf der Seestraße. »Ihr habt den Mietvertrag also noch nicht unterschrieben?«, kombinierte sie.

»Nein«, antwortete Britta in die Stille hinein, die darauf eingetreten war, »das haben wir noch nicht.«

»Halb zugesagt haben wir aber schon!« Sascha wirkte sehr verärgert, und Katharina hatte Mühe, ihre Abneigung gegen ihn so gut wie möglich zu verbergen. Sie holte tief Luft. »Na, dann könnt ihr es euch doch noch einmal in aller Ruhe überlegen.«

»Da gab und da gibt es nichts mehr zu überlegen.« Sascha hob sein Glas, trank und stellte es mit einem vernehmlichen Knall zurück auf den Tisch.

Katharina versuchte die Wogen zu glätten. »Ist ja auch eure Sache, Kinder. Ich bin sicher, ihr werdet die richtige Entscheidung treffen.«

»Unsere Wohnung wäre dann ja auch frei für die Großeltern, und du könntest sie kommen lassen, wie du es geplant hattest«, sagte Britta. In ihren Augen lag eine so große Bitte um Verständnis, dass ihrer Mutter das Herz schmolz, vor allem, da sie erkannte, wie peinlich ihrer Tochter dies alles war. Sie ahnte, dass der Auszug nicht der Wunsch ihrer Ältesten gewesen war. Doch das war nun einmal Sache der Eheleute. Und mit den Großeltern hatte Britta den Nagel auf den Kopf getroffen.

Genaugenommen waren es Katharinas Mutter und ihr Stiefvater, denn ihre Eltern hatten sich schon vor fast zwei Jahrzehnten scheiden lassen. Stefan Wagner, der zweite Mann ihrer Mutter, war exakt fünfzehn Jahre jünger als jene – ganze fünf Jahre älter als Katharina! –, und sie war vor zehn Jahren mit ihm im Schlepptau bei ihnen aufgekreuzt. Die besorgte Tochter hatte lange daran arbeiten müssen, ihn zu akzeptieren – ein Bild von einem Mann, ein charmanter Luftikus, wie sich sehr rasch herausstellte. Aber nicht etwa ein Erbschleicher und Heiratsschwindler, wie man es unter solchen Umständen meinen sollte. Im Gegenteil, er war schon selber reich und willens, sein Leben und seinen Wohlstand mit seiner neuen Flamme zu teilen. Und so hatten die beiden geheiratet.

Das alles hatte Katharinas Misstrauen damals nicht zu lindern vermocht, aber er hatte sich als nicht nur charmanter, sondern auch als liebender Gatte erwiesen, der ihre inzwischen zweiundsiebzigjährige Mutter nicht nur auf Händen trug, sondern vor allem auch auf Trab hielt. Das bekam ihr sehr gut, denn sie hatte sich seinerzeit etliche Kilo aus Frust über die Scheidung angefuttert. Die Liebe kann bekanntlich auch Wunder wirken, und so war es ihr nach und nach gelungen, diese Frustpfunde wieder abzulegen, obwohl Stefan in steter Wiederholung versicherte: »Wegen mir musst du nicht abnehmen, Maria!«

Die beiden schienen mit ihrem Leben rundum glücklich. Katharina sorgte sich dennoch um ihre Mutter, denn sie wurde ja älter. Auch wenn Stefan so viel jünger und noch sehr fit war, sie hätte die beiden gern in ihrer Nähe gewusst.

»Ja, das wäre eine Überlegung wert, freilich«, lächelte Katharina beherrscht und hob ihr Glas. »Egal, wie immer ihr euch entscheidet, erheben wir die Gläser und trinken wir darauf, dass sich alles zum Guten wenden wird, vor allem trinken wir auf eine gesunde Schwangerschaft und Geburt.«

Damit war das strittige Thema vom Tisch, und auf einmal sprachen und lachten alle wieder durcheinander. Nur Katharina hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Da dachte man, alles wäre in Ordnung, und dann verbirgt sich hinter der äußerlich harmonischen Fassade eine so geballte Wut, dass man von ihr völlig überwältigt wird, wenn sie zum Vorschein kommt, dachte sie melancholisch. Nie hätte sie erwartet, dass Britta und Sascha einmal ausziehen würden, denn in ihren Augen war die Situation perfekt. Für alle. Nur nicht für Sascha, dachte sie traurig. Denn wenn sie sich auch bemühte, ihre Abneigung gegen ihn unter Kontrolle zu halten, so hatte er sie sicher gespürt. Sie tat aber gut daran, nicht weiter in Britta zu dringen, damit die sich nicht zwischen zwei Stühlen fühlte.

Aber Katharina wäre nicht Katharina gewesen, wenn es ihr nicht rasch gelungen wäre, ihre Melancholie zu überwinden, indem sie sich auf das Positive konzentrierte: Bald würde ein neues Familienmitglied die Gemeinschaft bereichern! War das etwa nichts?

2

Kerstin bedauerte fast, dass sie Nick zu sich nach Hause eingeladen hatte. Als Nick nach dem Essen gähnte, während er ihr und ihrer Mutter dabei zusah, wie sie die Spülmaschine bestückten und die Küche aufräumten, fragte sie ihn, ob er nicht lieber gleich nach Hause wollte, da er doch so anstrengende Tage hinter sich hatte, er ging jedoch – zu ihrem Leidwesen, wie sie sich beschämt eingestand – nicht darauf ein. Eigentlich hätte sie jetzt nichts lieber getan, als die Füße hochzulegen und den Fernseher anzumachen. Allein! Wenn sie bei Nick gewesen wäre, hätte sie sich mit Müdigkeit entschuldigt und wäre heimgegangen.

Natürlich hatte sie die Nachricht geschockt, dass Mathias wieder hier war. Nach dem Essen hatte ihre Mutter – die geborene Diplomatin – das Thema Mathias Leitner nicht mehr angesprochen, was angesichts der Schwangerschaft und des geplanten Auszugs Brittas natürlich andererseits auch kein diplomatisches Kunststück gewesen war.

Er war wieder da! Allein bei diesem Gedanken verdoppelte sich jetzt wieder ihr Herzschlag, und das bestürzte sie. Wie war das möglich? Sie hatte einen Verlobten, den sie liebte … jedenfalls konnte es ja wohl nicht anders sein, da sie drei harmonische Jahre miteinander verbracht und eine gemeinsame Zukunft geplant hatten. Aber seit sie von Mathias’ Rückkehr erfahren hatte, schien es, als wäre sie wieder die Sechzehnjährige von damals. Natürlich hatte sie sich alle Mühe gegeben, ihm nichts von ihren Gefühlen zu verraten. Schließlich war er schon achtzehn und der Schwarm aller weiblichen Wesen in der Umgebung und sie nur eine kleine sechzehnjährige Schülerin. Zwei Jahre Altersunterschied – mit 26 bemerkte man ihn nicht einmal mehr, aber mit 16 waren das Welten.

Für eine kurze Zeit hatte sie dennoch das Gefühl gehabt, dass sie ihm gefiel, und sich zu fragen begonnen, ob er sich vielleicht ebenfalls in sie verliebt hatte. Aber seine Signale waren alles andere als eindeutig. Auf dem Fest des Skiclubs hatte sie sich so lange die Beine in den Bauch gestanden, bis sie in ihrer Verzweiflung diesem Toni auf die Tanzfläche gefolgt war, einem Raufbold aus dem Nachbarort. Als sie ihn wieder abgeschüttelt hatte, war Mathias verschwunden, und Eva mit ihm. Kerstin musste sich eingestehen, dass sie sich sein Interesse wohl doch nur eingebildet hatte. Kurz darauf war er aus dem Ort weggegangen. Kerstin trauerte, wie nur eine Sechzehnjährige bei Liebeskummer trauern kann. Aber Eva hatte es noch härter getroffen …

Himmel, fiel es Kerstin ein, was musste heute erst in Eva vorgegangen sein, wenn sie selbst schon so durchdrehte? Angemerkt hatte man ihr nichts, und dass sie, die sonst so Zurückhaltende, ihr gegen die Sticheleien ihrer Schwester zu Hilfe geeilt war, das war ganz besonders lieb von ihr gewesen.

Damals hatte Kerstin sich der zwei Jahre älteren heutigen besten Freundin gegenüber plump und dumm gefühlt. Die grazile Eva mit ihrem glänzenden braunen Haar war eine Schönheit gewesen, die sich ihrer Wirkung gar nicht bewusst war. Dass Mathias sich in die gleichaltrige Eva verliebt hatte, die in jeder Hinsicht viel besser als Kerstin zu ihm passte, konnte sie verstehen.

»Hallo, Schatz, womit kann ich dich aufwecken?«, riss sie die Stimme ihres Liebsten aus den Grübeleien. Sie fühlte sich ertappt: »Entschuldige, aber ich bin so müde, ich könnte auf der Stelle einschlafen«, suchte sie hastig eine Ausflucht. »Dazu noch Mamas Eröffnung, dass wir mal wieder Pep in die Bude bringen müssen – das hat mich glatt umgehauen. Von der Schwangerschaft und dem geplanten Wohnungswechsel Brittas ganz zu schweigen …«

»Nun, solange es nicht Saschas Eröffnung war, dass dein alter Schwarm aufgetaucht ist, ist ja alles in Ordnung«, lachte Nick und zog sie noch dichter an sich. Sie saßen auf der großen Couch und hatten die Füße auf eine hohe, gepolsterte Fußbank gelegt. Der kleine Fernseher in der Ecke lief, eine Nachrichtensendung, doch sie bekam kein Wort mit von den Ereignissen in der Welt.

»Geh, hör auf!«, rief sie, um einen natürlichen Klang ihrer Stimme bemüht. »Der Mathias war halt damals der Held der Schule und aller Mütter der Umgebung, nachdem er die kleine Marie im See gerettet hatte. Jedes Mädchen hat ihn angehimmelt. Ich natürlich auch.«

»Ich weiß, ich weiß!« Nick verdrehte die Augen. »Daran erinnere ich mich noch deutlich genug. Es gab Zeiten, da haben die Weiber über niemand andern geredet als über ihn. Er kam ja sogar ins Lokalblatt. Ganz schön übersteigert, wenn du mich fragst, schließlich kann ein jeder ein kleines Mädchen aus dem Wasser ziehen.«

»Aber nicht jeder ist so aufmerksam, um einen solchen Notfall zu bemerken«, verteidigte sie ihren einstigen Schwarm. »Nicht einmal die Mutter hatte mitbekommen, dass die Kleine nicht mehr im Sand gespielt hat.«

Wieder schob sich das Bild ihres damaligen Schwarms vor ihr geistiges Auge. Wie er heute wohl aussah? Bestimmt noch attraktiver als früher, männlicher zumindest. Ob er alleine gekommen war, ohne eine Freundin oder Verlobte?

Sie rief sich zur Ordnung. Mathias war Vergangenheit, und in seiner Vergangenheit hatte sie nie eine nennenswerte Rolle gespielt. Sie musste ihre Gedanken in eine andere Richtung zwingen. Fast jedes Mädchen, vermutete sie, hatte wohl einen alten Schwarm im Hinterstübchen, und genau dort sollte man diesen auch zeitlebens versteckt halten.

»Ich seh, du bist wohl doch noch ganz schön vernarrt in ihn.« Nick klang ein bisschen beleidigt.

»Hör doch auf«, wehrte Kerstin ab. »Natürlich war ich damals in ihn vernarrt, aber wie du schon sagtest, das waren alle Mädchen.«

»Na, dann ist ja gut.«

Sie stand auf und öffnete das Fenster. Die Luft war ein wenig abgekühlt, und die Berge in der Ferne lagen in leichtem Dunst. Morgen würde es sicher genauso heiß werden wie heute. Der Blumen- und Kräutergarten, der hinter ihrem Haus von ihrer Mutter betreut wurde, duftete, wie immer um diese Jahreszeit, betörend. Aus dem Kaminzimmer des Hotels, das dank der Kerzen im Fenster ein stimmungsvolles Licht auf die Terrasse warf, erklang leise Musik. Freitagabends spielte Korbinian bei ihnen auf seiner Zither, und sie liebte die zarten Töne dieses Instruments.

Sie drehte sich zu Nick herum, der sich auf dem Sofa fläzte und seinen Blick an ihrem Körper auf- und abwandern ließ. Sollte er nur! Was er zu sehen bekam, daran konnte er nichts auszusetzen haben! Ja, sie hatte sich bemüht und beherrscht und nicht weiter zugenommen, so, wie er es ihr angeraten hatte. ›Wenn du nicht aufpasst, bist du in Nullkommanichts so dick wie deine Mama‹, hatte er sie gewarnt.

Kerstin fand, dass ihre Mama gut aussah und auch gar nicht mehr die Figur einer Siebzehnjährigen haben musste. Aber er war halt ein Augenmensch, wie er immer wieder betonte, und sie wollte, dass er sie hübsch fand. Die Mädchen im Fitness-Studio, das sie, ebenfalls auf sein Anraten hin, neuerdings besuchte, hatten schließlich auch Augen im Kopf. Er sonnte sich in deren Bewunderung, und sie musste manches Mal lächeln, wenn sie sah, wie ihm dies schmeichelte. Dabei war es ihr selbst eigentlich ganz egal, ob er Muskeln besaß oder nicht.

Sie ging wieder zu ihm und setzte sich neben ihn. Ihre Hand fuhr durch seine braunen Haare, die er zu ihrem Leidwesen mit Gel bearbeitete. Er legte den Arm um sie und küsste sie auf ihren Hals, dessen Linien er bewunderte, ebenso wie ihre wunderbar gerundete Stirn, wie er sich immer ausdrückte.

Sie nahm den Kopf ein wenig zur Seite, weil sein Kuss sie kitzelte.

»Du«, entfuhr es ihr, »wollen wir heiraten?«

Sie hielt erschrocken inne, denn die Worte waren ihr herausgeschlüpft, ohne dass sie groß darüber nachgedacht hätte. Er nahm nicht minder erschrocken den Arm von ihren Schultern. »Aber wir waren doch übereingekommen, dass wir für unsere Liebe keinen Trauschein benötigen!«

Sie seufzte. Er hatte recht; darauf hatten sie sich in der Tat geeinigt. Aber der Gedanke an eine eigene Familie schien ihr auf einmal so verlockend, vor allem jetzt, da Britta sich aus dem, was für Kerstin bislang der Inbegriff von Familie gewesen war, in eine neue, eigene Familie abspalten würde.

»Ich dachte nur …« Sie zögerte, denn so genau wusste sie gar nicht, was sie gedacht hatte. »Ich finde«, gab sie sich dann einen Ruck, »wenn man ein Kind möchte, dann sollte man vielleicht doch heiraten und …«

»Sag, spinnst du?«, unterbrach er sie noch entsetzter als zuvor. »Wir waren doch auch übereingekommen, dass Kinder nicht infrage kommen. Wir wollen frei sein, wir wollen die Welt sehen … Herrgott nochmal!«

Wieder musste sie zugeben, dass Nick recht hatte. Und dennoch …

»Ist es dir ernst damit, dass wir keine Kinder wollen?«, wollte sie wissen.

»Ja freilich! Herrje, Kerstin, ich bin siebenundzwanzig, da denkt man doch nicht an so was.«

»Na, meine Schwester ist achtundzwanzig und schwanger.«

»Ja, deine Schwester ist ja auch verheiratet und …«

»Eben«, erwiderte Kerstin leise. »Sie ist verheiratet.«

Mit einem Mal merkte sie, dass sie ebenfalls verheiratet sein wollte, da konnte Nick das noch so altmodisch oder sonstwas finden. Sie war dann wohl auch altmodisch. Was fand er außerdem an dem Gedanken an Kinder nur so abschreckend?

»Wir sind eine Großfamilie, wir könnten einander helfen«, versuchte sie ihn für ihre Vorstellungen zu erwärmen. »Und Britta und ich verstehen uns gut. Wir könnten die Kinder gegenseitig hüten und …«

Abrupt stand er von der Couch auf.

»Mein lieber Schatz«, rief Nick und klang dabei keineswegs zärtlich. »Ich bin so nun einmal nicht gestrickt. Kinder können wir ja meinetwegen bekommen, irgendwann. Heute bekommen die Frauen mit vierzig ihren Nachwuchs, das reicht völlig. Dann hat man sein Leben hinter sich und kann sich in aller Ruhe zurücklehnen und die Kleinen beim Großwerden beobachten. Aber momentan bin ich dafür noch nicht bereit. Wenn du unbedingt heiraten willst – meinetwegen, aber Kinder zum jetzigen Zeitpunkt? Nein! Nicht mit mir!«

»Also vierzig finde ich wirklich schon spät«, wandte sie ein. »Außerdem kann man sich mit Kindern ganz sicher nicht in aller Ruhe zurücklehnen und Gott einen guten Mann sein lassen.« Sie spürte, dass sie ebenso ärgerlich wie er geworden war. »Aber wenn du nicht willst … es muss ja nicht heute oder morgen sein.« Kerstin hielt inne, immer noch verstimmt. Wieder einmal hatte sie klein beigegeben, wie so häufig in ihrer Beziehung.

Er setzte sich wieder neben sie. »Schau, wir können ja meinetwegen heiraten, wenn es dir so wichtig ist.«

»Oh, schön!«, sagte sie überrascht.

»Aber nicht mehr in diesem Jahr«, wiegelte er sofort ab. »Du weißt, dass ich mein eigenes Makler-Büro eröffnen kann, und dazu muss ich den Kopf frei haben.«

»Ja, freilich, das versteh ich doch«, erwiderte sie hastig.

Damit war das Thema beendet. Sie kuschelte sich in seinen Arm und verfolgte mit ihm den amerikanischen Krimi, der sie nicht im Mindesten interessierte. Gegen neun verabschiedete er sich, ohne seinen Krimi zu Ende zu schauen, was bei ihm selten vorkam. Sie begleitete ihn hinunter zur Tür und wollte gerade wieder zurück in ihr Zimmer, als sie Eva bemerkte, die soeben das Hotel verließ. Sie hatte Kerstin auch entdeckt und kam eilig auf sie zugesteuert.

»Wie schön, dass ich dich noch erwische«, sagte sie hastig. »Hättest du ein wenig Zeit, ich … brauche jemanden, mit dem ich reden kann.«

»Ja freilich. Schläft Franzi schon?«, fragte Kerstin.

»Tief und fest. Du kennst sie ja. Darin ist sie völlig unproblematisch, dabei hat die Schwangerschaft Brittas sie sehr aufgeregt, und ebenso, dass deine Schwester ausziehen möchte.«

Kerstin ahnte, worüber Eva mit ihr reden wollte, und war froh, dass die Freundin noch zu ihr gekommen war. Mit Nick konnte sie schließlich nicht über Mathias reden, der nicht aufhören wollte, ihr im Kopf herumzuspuken. Aber mit Eva schon, schließlich hatte sie ein Kind von Mathias.

»Sollen wir ein wenig spazieren gehen? Es ist ein so schöner Abend«, schlug sie vor.

Sie holten noch ihre Jacken, dann schlenderten sie am Kofler-Hof vorbei, in dem das Wohnzimmer wie immer als einziger Raum beleuchtet war, und gingen die stille Sackgasse hinunter zur Seestraße. Trotz des schönen Abends war auf dem Seeweg niemand mehr unterwegs. Die wenigen Spaziergänger bummelten durch den historischen Ortskern, dessen doppeltürmige Pfarrkirche am Kirchplatz angestrahlt war. Vom alten Wirthaus »Zur Post« erklang im Hintergrund Stimmengewirr und Gelächter. Das Wirtshaus, heute ein renommiertes Sternelokal, war stimmungsvoll beleuchtet, und aufgrund der lauen Abendtemperatur saßen die meisten Menschen draußen vor dem Lokal. Die beiden jungen Frauen gingen westwärts, den Schilfgürtel als ruhigsten Teil des Sees entlang. Es dauerte eine Weile, bis sie zum Grund ihres Spaziergangs kamen.

»Du ahnst natürlich, worüber ich mit dir sprechen will«, begann Eva schließlich.

»Ich kann es mir denken«, antwortete Kerstin. »Mathias …«

»Genau.« Eva zog die Jacke enger, denn am See wehte ein leichter Wind. »Es ist jetzt nicht so, dass ich vor Aufregung kein Auge zumachen könnte, aber … das seltsame Zusammentreffen ist, seit Neuestem fragt mich Franzi ständig nach ihrer Herkunft. Irgendein Mädchen aus ihrer neuen Klasse hat sie nach ihrem Vater gefragt, und da hat Franzi gesagt, dass sie keinen Papa hätte. Und da sagte das Mädchen zu ihr, wenn sie keinen Papa hätte, dann wäre sie unehelich. Da Franzi das Wort noch nie gehört hatte, kam sie zu mir und fragte mich, was das ist. Nun ja, du kannst dir vorstellen, dass nach meiner Antwort die Fragerei erst richtig losging: Wer ihr Papa sei, wie er aussehe, warum ich ihn nicht geheiratet hätte und so weiter und so fort.«

Sie setzten sich auf eine Bank und blickten über den stillen See. Die Dämmerung hatte eingesetzt und sie genossen das diffuse Abendlicht.

»Was hast du ihr denn geantwortet?«

»Na, dass ihr Papa und ich nicht zusammengepasst hätten.«

»Ja, und weiter? Gab sie sich damit zufrieden?«

»Nein, natürlich nicht«, seufzte Eva und strich sich die feinen glatten Haare hinter die Ohren. »Ich war nahe daran, zu behaupten, dass ihr Papa tot sei, aber dann brachte ich es doch nicht übers Herz.«

»Oh, nein, das darfst du auch nicht!« Kerstin war ganz entsetzt.

Außer ihr wusste vermutlich niemand, dass Mathias Franzis Vater war. Da er noch vor der Geburt Franzis, als noch niemand etwas von der Schwangerschaft ahnen konnte, das Dorf verlassen hatte, und Eva sich entschieden hatte, ihn nicht zu informieren, hatte auch er nichts davon erfahren. Kerstin war nicht einverstanden mit Evas Entscheidung, den Vater ihrer Tochter zu verschweigen, doch die ging sie natürlich nichts an.

»Das Dumme ist, dass Franzi sich richtiggehend in das Thema verrannt hat«, fuhr Eva fort. »Und ausgerechnet jetzt erscheint Mathias auf der Matte.«

»Weißt du denn, ob er gebunden ist?«, erkundigte sich Kerstin und bemühte sich, sich das Flattern im Bauch nicht anmerken zu lassen, das sie dabei überkam.

»Ich glaube ja!«, antwortete Eva, und das gab ihr einen unerwartet heftigen Stich. »Jedenfalls munkelt man, dass die neue Turnlehrerin von Franzi seine Freundin ist. Die Erni meinte auch, er hätte eine Freundin mitgebracht.«

Die Erni arbeitete bei den Leitners, dachte Kerstin niedergeschlagen. Also stimmte das vermutlich.

»Und wo wohnt er jetzt?«, erkundigte sie sich in, wie sie hoffte, neutralem Ton.

»Momentan wohl bei den Eltern. Aber er scheint eine Wohnung zu suchen. Seine Freundin ist jedenfalls nicht mit dort eingezogen. Die Erni meint, die Mutter von Mathias verstünde sich nicht mit ihr. Aber du weißt ja, die Erni reimt sich immer allerhand zusammen. Ich glaube eher, in seinem alten Zimmer ist nicht genug Platz für die zwei.«

Vermutlich hatte sich seine Freundin auch etwas anderes vorgestellt, als mit ihm in seinem alten Kinderzimmer zu wohnen, dachte Kerstin.

»Wo wohnt sie dann jetzt?«, erkundigte sie sich.

»Erni sagt, sie hätte in einem Privathaus außerhalb vom Ort ein Zimmer gefunden.«

Sie schwiegen einen Moment.

»Und du?«, fragte Kerstin dann. »Willst du ihn nicht endlich darüber aufklären, dass er der Vater von Franzi ist?«

Eva streckte die langen Beine weit aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ach, Kerstin, das ist alles so lange her. Ich weiß ja nicht, wie er reagieren wird, zumal er ja anscheinend eine Freundin hat. – Nein, lieber nicht. Das gäbe nur sinnlose Verwicklungen, die alle aufregen.«

»Ja, aber über eines musst du dir im Klaren sein«, wandte Kerstin ein. »Wenn Franzi einmal angefangen hat zu fragen, wird sie dich immer weiter löchern, bis du ihr den Namen ihres Vaters nennst. – Und eine andere Sache solltest du vielleicht auch nicht aus den Augen lassen«, fiel ihr auf einmal ein. »Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber …«

»Geh, jetzt hör aber auf«, unterbrach Eva. »Du bist doch meine beste Freundin, also sag schon …«

»Nun, ich meine das Geld. Die Ausbildung Franzis wird Geld kosten, und so hoch ist dein Gehalt ja nun auch nicht.«

»Na, weißt du«, lachte Eva und stieß sie von der Seite an. »Das sagt die Tochter der Chefin. Du kennst mein Gehalt. Es liegt weit über dem eines Zimmermädchens oder einer Hausdame.«

»Ja, weil du ja auch weit mehr bist als eine Hausdame. Und das weißt du auch ganz genau«, erwiderte Kerstin. »Aber glaub mir, du wirst später über jeden Cent glücklich sein. Oder wenn du jetzt das Geld nicht benötigst, so kannst du es für spätere Zeiten sparen. Also ich finde, das ist durchaus ein Punkt, den man in Erwägung ziehen muss.«

Eva seufzte laut. »Ach, Kerstin, Geld ist doch nicht alles. Euer Hotel läuft gut, meine Arbeit bei euch ist also gesichert. Alles andere wäre schwierig, und es gäbe nichts als Gerede und Probleme. Nein, darauf kann ich wirklich verzichten.«

»Mich wundert ohnehin, dass Franzi erst jetzt nach ihm gefragt hat.«

Ihr Freundin nickte. »Jetzt, wo du es sagst, wundert es mich auch. Das kommt sicherlich, weil sie jetzt in der fünften Klasse mit so vielen neuen Kindern in einer Klasse ist. Vorher hat niemand sich etwas dabei gedacht, weil sie keinen Vater hat, denn das war ja schon immer so und damit auch nichts Besonderes. Und die Kinder werden halt größer.«

»Franzi auch. Sie wird nicht locker lassen, glaub mir. Das ist wie bei einem Tsunami – wenn einmal die Welle in Bewegung geraten ist, kann sie nichts mehr aufhalten.«

»Danke, mach mir nur Mut«, sagte Eva bedrückt.

»Ich mein ja nur, dass das doch auch verständlich ist«, sagte Kerstin leise. »Ich finde, ehrlich gesagt, dass auch Mathias ein Recht darauf hat, zu erfahren, dass er Vater ist.«

»Ich habe das Gefühl, du bist immer noch in ihn verliebt«, sagte Eva. »Er war damals übrigens auch in dich verliebt – aber das nur nebenbei.« Sie lächelte.

Kerstin spürte, wie sie rot wurde, und war froh, dass die Dämmerung nun der Nacht gewichen war und Eva sie nicht sehen konnte. »Wirklich? Woher weißt du das?«

»Das hat er mir verraten.«