Stürmische Gefühle - Gabriele Raspel - E-Book

Stürmische Gefühle E-Book

Gabriele Raspel

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Beschreibung

Nach dem Tod ihres geliebten Mannes hat Veronika sich mit ihrer Lodenmanufaktur einen Traum erfüllt, muss jedoch feststellen, dass ein so kleiner Betrieb nicht einfach zu halten ist. Auf der Suche nach einem Nebenverdienst gerät sie an den Autor Tobias Stern, der sie als Assistentin einstellt. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten verstehen sich die beiden immer besser, sehr zum Missfallen von Tobias Freundin Thea. Zwischen Recherche und Korrespondenz beginnt Veronika bald, den Autor mit anderen Augen zu sehen. Auch sie scheint Tobias nicht gleichgültig zu sein. Eine Dienstreise nach Schottland setzt einiges in Bewegung und Veronika muss langsam lernen, die Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2018

© 2018 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: © U. Gernhoefer – Fotolia.com (oben) und

Peter Atkins – Fotolia.com (unten)

Lektorat: Beate Decker, München

Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau

Worum geht es im Buch?

Gabriele Raspel

Stürmische Gefühle

Nach dem Tod ihres geliebten Mannes hat Veronika sich mit ihrer Lodenmanufaktur einen Traum erfüllt, muss jedoch feststellen, dass ein so kleiner Betrieb nicht einfach zu halten ist. Auf der Suche nach einem Nebenverdienst gerät sie an den Autor Tobias Stern, der sie als Assistentin einstellt. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten verstehen sich die beiden immer besser, sehr zum Missfallen von Tobias Freundin Thea.

Zwischen Recherche und Korrespondenz beginnt Veronika bald, den Autor mit anderen Augen zu sehen. Auch sie scheint Tobias nicht gleichgültig zu sein. Eine Dienstreise nach Schottland setzt einiges in Bewegung und Veronika muss langsam lernen, die Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen.

1

Zwar fürchtete Veronika nicht die Stille des Hauses, im Gegenteil. Als sie jedoch in das Halbdunkel des Hausflurs zurückkehrte und außer dem Ticken der Wanduhr kein einziger Laut zu vernehmen war, machte dieses leise Geräusch ihr mit einem Mal bewusst, dass sie von nun an endgültig allein war.

Das sanfte Licht der Wintersonne, die durch das kleine Flurfenster mit den bunten Glasscheiben fiel, warf zarte Farben auf den Steinboden. Einen Augenblick lang blickte Veronika unschlüssig hinaus auf die von hohen Fichten gesäumte Zufahrt des Hauses, wo sie soeben Abschied von ihrer Freundin Lilly und deren Mann genommen hatte, dann gab sie sich einen energischen Ruck: Auf gar keinen Fall würde sie sich erlauben, jetzt in sinnlose Trostlosigkeit zu verfallen. Schließlich hatte es Mühe gekostet, die beiden davon zu überzeugen, dass es absolut keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen. Sie würde schon zurechtkommen.

Entschlossen zog sie sich die neuen Veloursstiefel an, nahm eine wattierte Jacke, schloss die Tür und ging vorsichtig über die Zufahrt, die Willi bereits am frühen Morgen mit dem Unimog von der Schneedecke befreit hatte. Sie wollte hinunter nach Schönberg fahren, das etwa dreihundert Meter tiefer im Tal lag.

Es war der erste Samstag nach Neujahr. Die einsame, vom Schnee geräumte Straße lag ruhig, wie gewöhnlich um diese Zeit. Jetzt, an diesem Wintermorgen, verirrte sich noch kaum jemand in dieses Nest, ein winziges Straßendorf mit 222 Einwohnern. Erst am Vormittag würden zahlreiche Gäste eintreffen, um auf der Naturrodelbahn Schlitten zu fahren. Doch in der Frühe fuhren nur die Pendler hinunter nach Schönberg. Lediglich ein Getränkelieferant, der auf dem Weg in das einzige Gasthaus hier in Waldhaus war, kam Veronika entgegen. Neben der schmalen Waldstraße häuften sich die Schneewälle schon zu beachtlicher Höhe, und die Tannen mit ihren weißen Hauben erinnerten an verzauberte Märchenlandschaften in altmodischen Schneekugeln. Pünktlich zu Weihnachten war endlich der von allen heiß ersehnte Schnee gefallen.

Heute herrschten wie schon in den vergangenen Tagen fast arktische Temperaturen; der Himmel erstrahlte aquamarinblau und ließ die feinen Schneekristalle, die in der trockenen Luft schwebten, funkeln und glitzern.

Nach ungefähr zwanzig Minuten erreichte sie Schönberg. In den engen Straßen des pittoresken Bergdorfes herrschte geschäftiger Wochenendverkehr. Das herrliche Winterwetter versetzte Veronika auf einmal in eine beinahe euphorische Stimmung. Und so tat sie in fast jugendlichem Übermut das, was sie bei anderen immer verabscheute: Sie schnappte einem überdimensionierten schwarzen SUV den einzigen freien Parkplatz weg, indem sie frech direkt vor ihm vorwärts einparkte, während er soeben zu einem Rückwärtsmanöver ausholte. Dass er ihren Fiat bei dieser Aktion nicht in einen milchkaffeefarbenen Schrotthaufen verwandelte, lag allein an der phänomenalen Reaktion des Fahrers.

Er kurbelte das Seitenfenster herunter und rief: »Sagen Sie mal, sind Sie noch bei Trost? Das ist ja eine bodenlose Frechheit! Sie haben doch gesehen, dass ich rückwärts einparken wollte!«

»Aber nein«, antwortete Veronika leichthin. Mit einem raschen Seitenblick nahm sie seine gereizte Miene wahr; die braunen Haare passten zu seiner roten Gesichtsfarbe und zeugten von einem womöglich cholerischen Temperament. Natürlich schämte sie sich. Und natürlich war sie nicht bei Trost. Veronika fand ihr Benehmen ja selbst unmöglich und konnte sich nicht erklären, was sie zu dieser Unhöflichkeit getrieben hatte. Bisher war sie der Meinung gewesen, dass Harmonie über alles ging. Mit Föhnwetterlage jedenfalls konnte sie diese Dreistigkeit nicht entschuldigen. Veronika schrieb es also schlicht ihrer übermütigen Laune zu.

Der Mann signalisierte, dass er ihr in drei Sekunden an die Gurgel gehen würde. Sie verdünnisierte sich, ehe er sie erreicht hatte.

Zügig überquerte Veronika die Straße und betrat den frisch renovierten Schreibwarenladen von Linda Steffens, um sich mit Zeitungen und Lesestoff fürs Wochenende einzudecken. Die Inhaberin, schlank, mit flottem, silbergrauem Kurzhaarschnitt, war im letzten Jahr Witwe geworden, seitdem hatten sich die beiden ein wenig angefreundet.

Obwohl zahlreiche Kunden den Raum füllten, nickte die Ladenchefin Veronika mit einem Lächeln zu, als diese den hellen Raum betrat, in dem noch der leichte Farbgeruch der gestrigen Malerarbeiten hing. Veronika hatte Zeit, suchte ohne Eile und legte dann alles auf den Tresen.

Linda hob strahlend den Kopf. »Ich bin dir ja so dankbar. Ohne deine Hilfe hätte ich heut nicht bereits wieder öffnen können.« Damit überreichte sie Veronika eine Flasche Rotwein und ein kleines Taschenbuch als Dankeschön dafür, dass diese an den vergangenen zwei Nachmittagen geholfen hatte, die Wände des Geschäfts zu streichen. Sie plauderten noch ein wenig zusammen, dann verabschiedeten sie sich voneinander.

Schwungvoll öffnete Veronika die Tür, trat in den strahlenden Morgen – und blieb mit einem ihrer hohen Absätze im Schmutzgitter hängen. Nach einem leisen Schreckensruf fand sie sich eine Sekunde später der Länge nach auf der Erde, genauer gesagt auf einem Mann – einem Prachtexemplar von Mann – liegend wieder. Dieser hatte, gerade als er im Begriff stand, den Laden zu betreten, reaktionsschnell versucht, sie aufzufangen. Er war jedoch auf dem eisigen Boden ausgerutscht, sodass er unsanft auf seinem Hinterteil landete, wobei er sie fest im Arm hielt.

Selbst schuld, was musstest du bei diesen winterlichen Verhältnissen auch Stiefel mit Mörderabsätzen anziehen, fuhr es Veronika durch den Kopf. Ihr Gesicht befand sich nur Zentimeter über dem des Mannes. Lange blonde Haare streiften sein Gesicht, und ein wenig atemlos blickte sie in das braune Augenpaar unter sich. Der mürrische Gesichtsausdruck kam ihr irgendwie bekannt vor, und jetzt merkte sie, dass es der Mann war, dem sie kurz zuvor den Parkplatz weggeschnappt hatte.

»Wenn Sie Ihre Betrachtungen beendet haben, wäre es vielleicht angebracht, sich wieder zu erheben. Diese Position ist für mich nämlich längst nicht so bequem wie für Sie!«

Veronika betrachtete ihn genauer, bevor sie seiner freundlichen Bitte nachkam, doch er war ihr ansonsten unbekannt. Gut, man konnte auch nicht alle Einwohner des Sechshundert-Seelen-Ortes kennen. Die Stimme des Fremden hatte einen heiseren Klang. Wahrscheinlich ist er nicht von hier, dachte sie flüchtig. Außerdem brauchte er nicht so ruppig zu sein, schließlich hatte sie sich nicht absichtlich auf ihn geworfen. Hastig befreite Veronika sich aus der peinlichen Lage.

Als sie aufgestanden war, stutzte er. »Ach, Sie sind das – kein Wunder.«

Veronika schluckte und befand, dass diplomatisches Schweigen in diesem Falle angebracht war. Die Rotweinflasche, die ihr beim Sturz aus der Hand gerutscht war, lag zerbrochen auf der Erde, und der Inhalt war über die Hose des Mannes geflossen. Warum musste er auch bei diesem Wetter eine helle Hose tragen? Sie entschuldigte sich und bot ihm an, die Reinigungsgebühr zu zahlen.

Der Blick des Mannes verdunkelte sich noch ein wenig mehr, als er sie am Arm nahm und leicht zur Seite schob. »Vergessen Sie’s. Ich hab’s eilig.« Mit diesen Worten verschwand er im Laden. Eindeutig kein Frauenversteher!

Einen Moment lang sah Veronika leicht verärgert auf die geschlossene Ladentür, dann siegte ihr Sinn für Humor. Sie würde sich diesen schönen Tag nicht von einem unhöflichen Zeitgenossen verderben lassen. Doch bevor sie weiterkonnte, musste sie noch die Glasscherben und den ausgelaufenen Rotwein beseitigen. Das Malheur war schließlich direkt vor Lindas Laden passiert. Veronika opferte eine der soeben gekauften Tageszeitungen, um damit die Flüssigkeit aufzuwischen und die Bruchstücke der Flasche zusammenzukehren. Schade um den guten Tropfen!

Langsam schlenderte sie zur Hauptstraße und bummelte durch die kleinen Läden. Danach ging Veronika zum Auto zurück, sie wollte noch einen Zwischenstopp zum Tanken einlegen. Nachdem sie die lästige Angelegenheit erledigt hatte, manövrierte sie den Wagen vorsichtig vor die altmodische Waschanlage. Sie hatte Glück, in der Halle stand nur ein Auto. Veronika stieg aus und nahm den Chip zur Hand.

In diesem Augenblick traf sie erneut mit dem Fremden zusammen; die braunen Haare mit einem Stich ins Rot waren nicht zu übersehen. Wieder war er elegant gekleidet, diesmal jedoch mit einer dunklen Hose. Er ging zu seinem fertig gewaschenen SUV und schien ihren Blick zu spüren, denn er drehte sich um, und sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass auch er sie erkannt hatte.

Ihren Gruß ließ er unerwidert. Der Blick aus seinen Augen verwirrte Veronika ein wenig, und während sie schnell zur Seite sah, erkannte sie flüchtig, dass das grüne Licht aufleuchtete, das den Start für das nächste Auto freigab. Ohne weiter nachzudenken, drückte sie die Taste, die Wischer setzten sich erneut in Bewegung und begannen mit dem Waschvorgang. Fast im gleichen Moment wurde ihr bewusst, was sie da angestellt hatte.

Veronika stöhnte auf und starrte auf den Wagen in der Waschhalle, seinen Wagen, der jetzt mit einer erneuten Wäsche verwöhnt wurde. Zu allem Übel beobachtete sie, wie dieser Mensch nun auch noch unverständlicherweise die Wagentür aufriss und tatsächlich durch das sprühende Wasser hindurch aus der Waschkammer lief.

Ihr erster Gedanke war es, kehrtzumachen und zu fliehen. Sie schämte sich fürchterlich angesichts dieser Gedankenlosigkeit. Tödlich verlegen sah sie dem Mann entgegen, der im feuchten Anzug mit wütender Miene auf sie zustürmte.

»He, Sie, Duschen kostet extra«, schrie feixend der junge Tankwart, der dieses Spiel mit frechem Grinsen beobachtet hatte.

»Es tut mir wahnsinnig l-leid, ich …«, stotterte Veronika.

Ein mörderisches Funkeln in den Augen, sah das Opfer ihrer Unaufmerksamkeit sie wild an. »Sagen Sie mal, machen Sie das öfter? Sind Sie etwa betrunken? So etwas ist mir ja noch nie passiert!«

»Ja, mag sein«, erwiderte sie und fügte nochmals ein »Tut-mir-leid« hinzu, ärgerlich über ihre Zerstreutheit. Trotzdem, so etwas konnte schließlich jedem einmal passieren! Warum war er auch ausgestiegen? Wäre er schlicht im Wagen sitzen geblieben, dann hätte er dieses Missgeschick trocken überstanden, dachte Veronika trotzig, verbot sich jedoch jeden weiteren Kommentar, mit dem sie riskiert hätte, dass der Kerl ihr an die Gurgel ging.

In ungemütlichem Schweigen warteten beide die zweite Wäsche des Wagens ab. Zu sagen »in schöner Eintracht« wäre wirklich übertrieben gewesen. Der Versuch, ein Gespräch mit ihm zu führen, blieb erfolglos. Da hätte sie genauso gut mit einem Marsmenschen reden können. Diese fünf Minuten, die der Waschvorgang andauerte, schienen ihr wie die längsten ihres Lebens.

Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, stürmte er endlich zu seinem hochglänzenden SUV und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

Dreist wies der Tankwart sie darauf hin, beim Hinausfahren schön vorsichtig zu sein.

Nie wieder betrete ich diese Tankstelle, dachte sie und machte sich auf den Heimweg.

Veronika freute sich auf den frischen Kaffee und die gekauften Plätzchen, mit denen sie sich trösten würde. Die Sonne schien zumindest noch ebenso strahlend wie zuvor. Während der kurvenreichen Fahrt durch den Hochwald wurde ihr die Komik dieses Vorfalls bewusst, und unvermittelt musste sie lachen. Zwanzig Minuten später erreichte sie das in eintausend Metern Höhe gelegene Örtchen Waldhaus.

Nach einer letzten Biegung hatte sie ihr Zuhause am Waldrand erreicht. Es war das höchstgelegene Haus des Dorfes, und die Straße endete hier. Vorsichtig bog Veronika in die durch die ausladenden Zweige der Fichten fast verborgene Zufahrt zum Haus. Sie stieg aus, nahm die Taschen aus dem Auto und ging die wenigen Schritte zum Eingang, vorbei an der Werkstatt mit dem weißen Emaille-Schild, das sacht im Wind schaukelte. Mit schwarzer Schrift stand dort Lodenmanufaktur Winter geschrieben, was entschieden großartiger klang, als es wirklich der Fall war. Es handelte sich nämlich lediglich um eine bescheidene Handweberei, in der zwei klapprige Webstühle die Grundlage des winzigen Geschäfts bildeten.

Veronika schaute zu dem kleinen Steinhaus empor, dessen oberes Stockwerk mit Holz verkleidet war. Wie sehr sie es liebte – trotz seiner unübersehbaren Makel! Der schwarze Holzanstrich musste dringend erneuert werden, wie so vieles an dem Haus. Aber gerade der Umstand des derart reparaturbedürftigen Gebäudes hatte sie befähigt, den bescheidenen Kaufpreis für Haus und Werkstatt an Frau Apfelbacher aufbringen zu können, die zu ihrer Schwester nach Schönberg gezogen war.

Einen großen Batzen aus der Lebensversicherung, die Veronika nach dem Tod ihres Mannes ausgezahlt bekommen hatte, konnte sie anschließend in die notwendigsten Arbeiten stecken, trotzdem gab es noch viel zu tun.

Das Haus, von der Straße kaum auszumachen, bescherte seinen Bewohnern einen weiten Blick auf die schroffen Felsen des Karwendelgebirges. Es hatte ihr immer schon gefallen, und als es schließlich zum Verkauf stand, hatte Veronika die Wohnung in Schönberg aufgegeben und war herauf nach Waldhaus gezogen, in dem Bestreben, die Weberei von Katharina Apfelbacher fortzuführen. Erst nach und nach konnte sie die beinahe übersteigerte Freude Frau Apfelbachers verstehen, als sie der Dame ihre Kaufbereitschaft kundtat. Der Kaufpreis war weit überhöht gewesen, so schlecht, wie das Geschäft lief, aber trotzdem liebte sie die Manufaktur.

Sie stellte die Einkaufstüten in den Schnee und suchte wie jedes Mal umständlich in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel, wobei sie sich zum hundertsten Mal vornahm, es mit einem Schlüsselanhänger zu versuchen, der sich meldete, wenn man einen leisen Pfiff ausstieß. In Anbetracht der einsamen Lage des Hauses und der Tatsache, dass sie von nun an hier allein leben würde, hatte Veronika die altersgraue Tür gegen eine neue mit stabilem Sicherheitsschloss austauschen lassen, nachdem sie von Lillys Plänen erfahren hatte.

Nach dem Tod von Veronikas Ehemann Martin hatte sich Lilly spontan dazu entschlossen, mit ihr gemeinsam nach Waldhaus zu ziehen. Sie war Veronika in der schweren Zeit eine wichtige Stütze geworden. Lilly – wie gut, dass es sie gab! Sie hieß eigentlich Elisabeth, aber kein Mensch nannte sie so. Ihr Überlebensschild trug die Aufschrift Selbstbewusstsein, Tatkraft, Fröhlichkeit – nur Veronika gehörte zu den wenigen, die Zugang zu dem sensibleren Kern dieser äußerlich so starken und ausgeglichenen Persönlichkeit fand. Sie hatte in Schönberg sofort Arbeit bei einem Steuerberater gefunden, bei dem sie nun nach ihrer Heirat halbtags arbeiten würde.

Und heute hatte Lilly mit ihrem Mann Waldhaus verlassen und war zu ihm nach Schönberg gezogen. Zu ihm, dem neuen Partner des Steuerberaters, für den sie arbeitete. Sechs Monate nach dem Kennenlernen hatten sie geheiratet.

»Ich weiß einfach, dass er der Richtige ist«, versicherte sie Veronika. »Schließlich sind Testjahre auch keine Garantie für den Bestand einer Ehe«, fügte Lilly augenzwinkernd hinzu. »Und du musst dir unbedingt ebenfalls wieder einen Mann suchen«, hatte die Freundin ihr schließlich mit glänzenden Augen ans Herz gelegt – zum wiederholten Mal.

Aber Veronika hatte nur energisch den Kopf geschüttelt. Eine solche Liebe gab es kein zweites Mal, davon war sie fest überzeugt.

Obwohl Veronika hier oben keine Angst vor Dieben hatte, gaben ihr die solide Tür und die ebenfalls erneuerten Fenster ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit, lag doch das Haus der nächsten Nachbarn einige Hundert Meter entfernt die Straße hinunter.

Das Innere des Hauses empfing sie mit wohliger Wärme. Zuerst brachte sie die Getränke hinunter in den alten Gewölbekeller, der sich unter dem gesamten Erdgeschoss erstreckte und beinahe einen Eisschrank ersetzte. Veronika liebte diesen Keller aus rostroten Ziegeln, der ihre Fantasie anfangs so angeregt hatte – dank des etwas unheimlichen Flairs, das er auf den ersten Blick ausstrahlte. Dieses Gefühl legte sich jedoch rasch, nachdem sie ihn in Besitz genommen hatte. Im Gegenteil, jetzt war ihr selbst hier unten heimelig zumute. Sein Eingang an der Treppe war durch eine solide Tür gesichert, sodass man hier unten eine Garnison von Dieben hätte sicherstellen können. Der Tür sei Dank verschwanden auch die anfänglichen Ängste, denn Veronika konnte sich vorstellen, dass sie hier Zuflucht vor jedwedem Gesindel finden konnte, sollte es jemand wagen, ihr Heim zu entern. Nachdem sie den Keller mit Lillys Hilfe entrümpelt hatte, bewahrte sie nun auf den Regalen, die an den Wänden aufgereiht waren, ihre Getränke auf. Auch die Rhabarber-Erdbeer-Marmelade und die hohen Gläser mit den herrlich süßen Kirschen und Schattenmorellen, die Veronika von sehr freundlichen Nachbarinnen geschenkt bekommen und selbst eingemacht hatte, sowie die fünf eigens hergestellten Flaschen Quittenlikör standen auf dem Regal.

Nachdem die Sachen verräumt waren, bereitete sie sich in der Küche einen Kaffee zu. Da sie noch keinen allzu großen Hunger verspürte, begnügte Veronika sich mit dem gerade gekauften Gebäck, stellte alles auf ein Tablett und setzte sich in den kleinen verglasten Erker im Wohnzimmer, um einen kurzen Blick in die Zeitung zu werfen, ehe sie zu einer Skitour aufbrechen wollte.

Plötzlich fiel ihr auf der Seite mit den Stellenangeboten eine größere Annonce ins Auge: Suche schnellstmöglich eine flexible und unabhängige Privatsekretärin mit perfekten Deutsch- und Englischkenntnissen für nachmittags. Die Anzeige war unter Chiffre aufgegeben.

Nachdenklich trank Veronika ihren Kaffee. Das war vielleicht die Lösung ihres Problems. Die Weberei warf einfach nicht genug Geld ab, und ihre Ersparnisse waren in den letzten zwei Jahren so weit zusammengeschrumpft, dass sie es sich schlichtweg nicht leisten konnte, Geld in Werbung oder neue Ideen zu stecken.

Für sie und Willi gab es nicht genug zu tun. Der Verkauf der Lodenwaren ging so schleppend voran, dass es völlig ausreichte, wenn Willi allein an dem einen der beiden handgezimmerten, über einhundert Jahre alten Webstühle arbeitete. In der hinteren dunklen Ecke lagerten schon seit geraumer Zeit sieben Ballen Loden in Grau und Braun, was ungefähr dreihundert Metern entsprach, für die sich kaum noch Abnehmer fanden.

Die romantischen Vorstellungen von einer Weberei hatten sich als Trugschluss erwiesen, aber schließlich waren die Zeiten für Webereien noch nie sonderlich rosig gewesen. Für eine Lodenweberei, die anders als die Webereien in Tirol keine modischen Farben anbot, sondern ausschließlich Loden in den herkömmlichen Tönen herstellte, also in Grau oder Braun, waren die Zeiten erst recht nicht einfach. Im Sommer ging es gerade noch so, doch jetzt im Winter verirrten sich trotz des neu angebrachten Schildes am Dorfeingang nur wenige Touristen herauf. Und für die Gewinnung von Großkunden hatte ihr schlicht die Energie gefehlt.

Jahrzehnte zuvor hatte alles anders ausgesehen. Da hing fast in jedem Schrank eine Kotze oder ein Holzhackermantel. Sie verwendeten die Wolle der Merinoschafe, die stark gewalkt jahrelang hielt und deren Tuchloden mit dem kurzen Flor zu Jäger- oder Sportkleidung taugte, während der Hirtenloden mit dem langen Flor zu Mänteln oder Ponchos verarbeitet wurde.

Veronika seufzte. Als sie die Weberei kaufte, hatte sie sich einfach verschätzt. Klar, dass sie niemals Riesengewinne würde erzielen können. Dennoch war sie der Ansicht gewesen, zumindest imstande zu sein, diese alteingesessene Manufaktur am Leben zu erhalten – ein Irrtum, wie sich langsam, aber sicher herausstellte. Touristen, vor allem jene aus München, hatten stets gern die natürlichen Loden, genauer gesagt Artikel wie Lodenumhänge und -jacken, gekauft sowie Tischsets, die sie von einer älteren Frau aus dem Ort fertigen ließen. Doch der Tourismus war in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Natürlich liefen überall die Geschäfte schlechter, und auch diese Region hatte es schwer, Jahr für Jahr Gäste anzulocken, obwohl man sich alles Mögliche überlegte, wie man die Skisaison, die wegen Schneemangels im vergangenen Jahr sehr kurz gewesen war, durch andere Aktivitäten beleben könnte.

In der Region setzte man auf sanften Tourismus und beschloss, keine Schneekanonen einzusetzen, sondern den Erholung suchenden Gästen Schneeschuh-Touren, Wanderungen und Rodelvergnügen als Ersatz anzubieten. Aber auch im Sommer waren die Wanderer nicht immer so zahlreich heroben eingetroffen, worauf – laut Willis Bekunden – man sich früher immer hatte verlassen können. Die Leute, die an Lodenkleidung interessiert waren, kleideten sich heute in Tirol ein. Eine nach der anderen der zumeist kleinen Webereien, die sich in den letzten dreißig Jahren notdürftig über Wasser gehalten hatten, war gezwungen gewesen, aufzugeben. Auch Veronikas Unternehmen müsste mehr mit der Zeit gehen, farbigen Loden anbieten, vielleicht auch noch modischere Kleidung. Doch das bedeutete Investitionen, für die das Geld fehlte.

Ohne Willi Turmbichler hätte Veronika aufgegeben. Aber so kam das gar nicht in Frage. Sie hing an dem wortkargen alten Mann, der seine Verschlossenheit ihr gegenüber nur langsam abgelegt hatte. Sie genoss es, ihm einfach zuzuschauen, seinen ewig gleichen, zeitlosen Bewegungen, wobei er nie ohne Pfeife im Mund anzutreffen war. Sie waren sicherlich die einzige Manufaktur mit dem unnachahmlichen Markenzeichen von Tabakduft, dachte Veronika schmunzelnd. Doch es störte sie nicht, im Gegenteil. Unmöglich, sich die Werkstatt ohne dieses Gemisch aus ein wenig süßlich riechendem Tabak zusammen mit dem speziellen Geruch des Lodens und dem des wettergegerbten Holzes vorzustellen.

Immer wenn Veronika die Werkstatt betrat, schien es ihr, als tauchte sie ein in ein fernes Leben, eine andere Welt. Die mittlerweile vertrauten Geräusche brachten es mit sich, dass sie sich beim Arbeiten am Webstuhl vollkommen entspannen konnte. Ja, allein Willi bei der Arbeit zu beobachten, der ihr in einem Crashkurs das Weben beigebracht hatte, erfüllte sie mit wohltuender Ruhe. Und seinem vierundzwanzigjährigen Enkel Max, einem hübschen blonden Mann, in dessen Augen immer eine Spur von Schalk zu leuchten schien, ging es ähnlich. Auch ihm hatte Willi dieses alte Handwerk beigebracht.

Veronika musste lächeln. Max kam her, wann immer es seine Zeit erlaubte. Allerdings war er wohl kaum auf der Suche nach Ruhe und Entspannung. Wenn Max da war, schaltete er als Erstes das Radio ein. Und dann begann er, über Gott und die Welt zu reden, über die eigene Arbeit, seine Vorlieben, seine Freunde, über das Leben an sich. Sie genoss diese unbekümmerte Fröhlichkeit und neckte ihn gern mit seinen zahlreichen, ständig wechselnden und stets bildhübschen Freundinnen, die dann und wann hereinschauten und ihm zusahen – was ihn stets zu Höchstleistungen anspornte.

Veronika ließ den Blick auf dem Bilderrahmen aus Wurzelholz ruhen, in dem ein Foto von ihr und ihrem Mann steckte – sein Geschenk an sie zu irgendeinem Hochzeitstag. Es handelte sich dabei um eines ihrer Lieblingsbilder, denn es spiegelte all das wider, was sie einst füreinander empfunden hatten.

Erst einunddreißig Jahre alt, war sie seit nunmehr zwei Jahren Witwe. Während Martin mit dem Finanzamt monatelang im Streit wegen einer hohen Rückzahlung gelegen hatte, war es gleichzeitig mit seiner Radio- und Fernsehwerkstatt stetig bergab gegangen. Noch heute glaubte Veronika, dass diese Sorgen zu seinem tödlichen Schlaganfall mit erst fünfunddreißig Jahren geführt hatten.

Wie sehr Martin ihr noch heute fehlte und wie oft sie seinen Rat benötigte! Sie brauchte ihn, seine Liebe, sein Mitgefühl, brauchte seine Präsenz und nicht zuletzt seine handfeste Hilfe. Veronika dachte an die erste Zeit ohne ihn. Nach der anfänglichen Erschütterung hatte sie ein Vierteljahr später endlich genug Kraft entwickelt, Entschlüsse zu fassen, wie sie ihr weiteres Leben gestalten wollte – was ihr nicht leichtgefallen war, schließlich hatte sie seit ihrer Heirat mit einundzwanzig – viel zu früh nach den Vorstellungen ihrer Eltern – ihr Leben ausschließlich auf ihren Mann abgestimmt. Freiwillig und ohne etwas zu vermissen. Veronika hatte Martin natürlich bei der Buchhaltung geholfen, doch es war eine leichte Arbeit gewesen, die ihr nicht allzu viel Zeit abverlangte.

Nach seinem Tod hatte sie – zuletzt ebenfalls dank des Zuredens von Lilly – nicht dem ersten Drang nachgegeben, nach München zurück zu ihren Eltern zu ziehen, die dort ein großes Haus bewohnten. Dort wäre sie sicherlich mit Kusshand aufgenommen worden, aber Veronika war hier im Karwendel geblieben, in den Bergen, die ihr auf langen Wanderungen stets Trost spendeten. Lilly hatte ihr immer wieder geraten, zuerst einmal zu sich selbst zu finden, um keine übereilten Entschlüsse zu treffen, und Veronika verstand ihren Rat. Irgendwann kam der Wunsch in ihr auf, von Schönberg, wo sich das Geschäft ihres Mannes und die gemeinsame Wohnung befunden hatten, hinauf nach Waldhaus, oberhalb von Schönberg, zu ziehen. In der alten Wohnung fühlte sie sich einsam. Von zahlreichen Ausflügen kannte sie die Lodenmanufaktur und hatte früher auch manchmal hereingeschaut, um etwas zu kaufen.

Veronika war in München geboren und aufgewachsen und hatte Martin auf einem Skiausflug mit Freunden in Schönberg kennengelernt. Anfangs lief sein Radio- und Fernsehgeschäft gut, und sie waren glücklich. Doch so nach und nach verloren sie die Kunden – und Veronika verlor ihren Mann.

Hier in Waldhaus begann sie schließlich, ihr neues Leben aufzubauen. Die Lebensversicherung, die Martin Gott sei Dank abgeschlossen hatte und die sie problemlos ausgezahlt bekam, hatte ihr diesen Einstieg möglich gemacht. Wobei ihre Freundin Lilly, die wie Martin ebenfalls aus Schönberg stammte, ihr half, über die schmerzhafteste erste Zeit der tiefen Einsamkeit hinwegzukommen.

Veronika trank einen Schluck vom heißen Kaffee und las nochmals die Annonce. Unabhängig war sie ja nun, und flexibel, was auch immer das heißen mochte, würde sie schon sein. Flott tippen konnte sie auch, ihre Englischkenntnisse waren noch ganz passabel, und in Spanisch und Französisch konnte sie sich zumindest mündlich leidlich gut verständigen. Entschlossen stellte sie die Tasse auf den Tisch.

Sie würde sich bewerben.

Sofort setzte Veronika ihren Entschluss in die Tat um und entschied, sich nicht per E-Mail zu bewerben, sondern auf die altmodische Art, per Brief. Nach einer Stunde hatte sie die Bewerbung fertiggestellt. Vergnügt steckte sie die Unterlagen in den Umschlag und klebte den Brief zu. Den Weg zum Briefkasten würde sie sich für heute allerdings sparen, denn am Wochenende wurde keine Post mehr befördert; sie konnte bis Montag früh warten.

Zufrieden holte Veronika die Langlaufbretter aus dem kleinen Holzverschlag neben dem Haus, sprühte die Laufflächen mit dem neuen Wachs ein und lief eine Stunde durch den verzauberten Winterwald, bevor es dunkel wurde. Wenn sie allein in der Natur war, fühlte sie sich niemals einsam. Und hier im Wald schon gar nicht. Zudem waren um diese Zeit stets einige Menschen auf der Loipe, sodass sie die Tour in vollen Zügen genoss.

Als Veronika später wohlig müde und mit roten Wangen im Wohnzimmer saß, sah sie für einen Moment nachdenklich aus dem Fenster – sie hatte den ersten Tag allein ohne jegliche Wehmut verbracht, was sie mit ausgesprochener Zufriedenheit erfüllte. Mit einem Mal war sie ergriffen von Unternehmungsgeist, ein Gefühl, das sie schon lange verloren geglaubt hatte.

2

Der Mittwoch, der erste Tag, an dem Veronika theoretisch Antwort auf ihre Bewerbung erhalten konnte, zog sich in die Länge. Obwohl sie morgens am Webstuhl gearbeitet hatte, krochen die Zeiger der Uhr heute besonders langsam voran. Endlich, um halb sechs, klingelte das Handy. Auf dem Display erschien eine ihr unbekannte Nummer. Das musste der Anruf sein, auf den sie gewartet hatte, da war sie ganz sicher.

Veronika drückte auf die Annahmetaste und versuchte, ihre Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen: »Winter.«

»Guten Abend, hier ist Tobias Stern. Spreche ich mit Frau Veronika Winter?«

»Ja, am Apparat.«

»Ich habe Ihre Bewerbung erhalten und würde mich gern mit Ihnen persönlich unterhalten. Könnten Sie morgen um 17 Uhr bei mir vorbeikommen?«

Veronika bejahte und notierte den Namen der Straße – Heckenweg 1, Schönberg. Sie merkte, dass ihre Hände leicht zitterten. Schönberg, das war gut, so würde sie mit dem Wagen nicht allzu lang brauchen, was vor allem im Winter angenehm war. Das Haus, es war das einzige am Heckenweg, kannte sie von außen, und es gefiel ihr. Nachdenklich legte sie auf; die Stimme von Tobias Stern, dunkel, energisch, hatte entfernt Ähnlichkeit mit der des Mannes von der Tankstelle. Veronika musste grinsen. Anscheinend leide ich nach dieser Begegnung unter Verfolgungswahn, dachte sie spöttisch und lenkte dann ihre Gedanken zunächst darauf, was sie zu dem Gespräch anziehen wollte.

Am folgenden Tag war es wärmer als in den vergangenen Tagen und der Himmel bewölkt. Veronika fuhr von der Schönberger Hauptstraße nach rechts in die Schulstraße, die Anhöhe hinauf, an der Kirche vorbei und bog dann links in den Heckenweg. Das Haus von Tobias Stern befand sich am Ende einer Sackgasse. Sie parkte gegenüber dem hübschen schmiedeeisernen Tor. Für das Vorstellungsgespräch hatte sie das sandfarbene Kostüm und die rostrote Bluse ausgewählt, die sie zu Weihnachten von Lilly geschenkt bekommen hatte, die meinte, dass Veronika sich optisch etwas aufpeppen müsste. Sie war ausnahmsweise geschminkt, dezent natürlich, und ihre glatten blonden Haare hatte sie zu einem losen Knoten zusammengebunden. Ein letzter Blick in den Autospiegel: Der hellbraune Lidschatten betonte ihre braunen Augen, das Rouge sah so natürlich aus wie nach einer Langlauftour, und ihre Lippen, mit denen sie zufrieden war, wurden durch das gleiche zarte Rosé betont. Veronika hatte das Beste aus sich gemacht. Jetzt einmal tief durchatmen, dann auf in den Kampf.

Sie stieg aus dem Auto und überquerte mit den leichten Schuhen vorsichtig die Straße, auf der mittlerweile der Schnee festgefahren war. Das Haus war eines der wenigen, vor dem der Schnee auf dem Gehweg geräumt war.

Veronika betrat das Grundstück durch ein halb geöffnetes Tor. Das große Haus, das ein wenig behäbig wirkte, stand auf einem steinernen Fundament. Sein Obergeschoss war aus Holz gebaut, das Haus lag in einem weitläufigen Park, in dem Tannen, Birken, Obstbäume und Sträucher einen lichten Wald bildeten. Bevor sie klingelte, holte Veronika noch einmal tief Luft. Sie war zwar aufgeregt, doch sicherlich würde sich die Nervosität legen, sobald das Vorstellungsgespräch begonnen hatte.

Eine Frau mittleren Alters mit einem Haarschopf ohne erkennbare Frisur und Augen, die signalisierten: Zeit ist Geld, also mach hinne!, öffnete ihr.

»Guten Tag, mein Name ist Veronika Winter, ich bin mit Herrn Stern verabredet.«

Die Frau hielt die stabile Tür auf, die ein wenig über den Boden schleifte, und sagte: »Herr Stern ist noch nicht da. Sie können hier auf ihn warten.«

Ihre Stimme war so wenig einnehmend wie ihr Äußeres. Das Einzige, was auffiel, waren ihre wohlgeformten, schlanken Beine, die in hellgrauen Veloursleder-Schuhen mit halbhohen Absätzen steckten. Sie führte Veronika in einen gemütlichen Raum, eine Kombination aus Wohn- und Arbeitszimmer. Den kühlen Marmorboden bedeckte ein dicker heller Wollteppich, der fast den ganzen Raum einnahm. Zur Gartenseite ließen hohe Fenstertüren viel Licht herein und ermöglichten einen ungehinderten Blick in den Park, dem sich an der Grundstücksgrenze ein Fichtenwald anschloss. Ein riesiger Schreibtisch aus Mahagoniholz am Fenster war vollgepackt mit Büchern und Papieren. Daneben stand ein kleinerer moderner Schreibtisch mit einem zweckmäßigen Bürostuhl davor. Mein zukünftiger Arbeitsplatz, dachte Veronika zuversichtlich. Sie besaß die Gabe, sich in optimistische Stimmung versetzen zu können, wenn die Situation es erforderte.

Die Frau hatte sie auf einem bequemen Sessel Platz nehmen lassen, der neben einem leuchtend gelben Kachelofen mit einer feuerfesten Glasscheibe stand, hinter der ein Holzfeuer flackerte. So hübsch das Zimmer auch sein mochte – das Warten machte den Gast nicht gelassener.

Ungeduldig schaute Veronika auf die Uhr. Zehn nach fünf. Endlich, das gedämpfte Geräusch eines herannahenden Wagens. Kurz darauf bezeugten das Zuschlagen der Autotür und das Knarzen der Haustür den Auftritt des Meisters. Wenig später wurde die Tür geöffnet.

»Grüß Gott, Frau … Sie?!«

Der ungläubige, nahezu entsetzte Klang seiner Stimme vermochte selbst dem größten Optimisten die gute Laune zu nehmen. Veronika betrachtete mehr als bestürzt den Mann im Türrahmen – groß, kräftig, in einem formellen Anzug. Die Stimme am Telefon hätte sie warnen sollen. Vor ihr stand der Mann, den sie umgerannt hatte, der Mann aus der Waschanlage!

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Im Rosenheimer Verlagshaus bereits erschienen

Der Ruf der Heimat

eISBN 978-3-475-54361-6 (epub)

Annes Glück scheint zum Greifen nah: Die hübsche Münchnerin kauft in ihrem Heimatdorf das Haus des verstorbenen Geigenbauers, um sich dort selbstständig zu machen. Voller Elan stellt sie sich dieser neuen Herausforderung. Als ihr Jugendschwarm Peter wieder in ihr Leben tritt, fangen die Turbulenzen erst richtig an. Die beiden ziehen einander magisch an und geraten dennoch von einem Konflikt in den nächsten. Anne muss lernen, dass der Weg zur großen Liebe, wahren Freundschaft und beruflichen Erfüllung von vielen Stolpersteinen gesäumt ist. Entschlossen kämpft sie für ihre Träume.

Kein anderes Leben

eISBN 978-3-475-54389-0 (epub)

Lore und Stefan sind glücklich und glauben fest an ihre Liebe. Doch plötzlich ändert sich ihr Leben: Stefan will in die Stadt, während Lore ihre Heimat niemals verlassen würde. Die beiden trennen sich, obwohl sie sich immer noch lieben. Dann kommt Lores Bruder Markus bei einem Verkehrsunfall ums Leben, und sie versucht alles, um den Hof zu retten. Der Immobilienmakler Dieter Paschke möchte das Grundstück erwerben, um dort ein Hotel zu bauen, und setzt seinen Halbbruder auf Lore an, damit sie verkauft. Wird er Lores Herz für sich gewinnen können, oder ist ihre Liebe zu Stefan noch zu stark?

Kampf um den Astaller-Hof

eISBN 978-3-475-54338-8 (epub)

Franzi muss ihren Hund unter der Woche in eine Tierpension zur Pflege geben, da ihr neuer Chef keine Tiere duldet. Der Besitzer Lenz ist ihr von Anfang an sympathisch, und sie verbringt viel Zeit auf dem Hof. Als Lenz plötzlich stirbt, erfährt Franzi, dass sie zur Erbin des Hofes bestimmt wurde, gemeinsam mit seinem Sohn Simon. Ihn interessieren weder der Hof noch die Tiere. Er möchte möglichst bald verkaufen. Die beiden geraten aneinander und kommen sich dabei näher. Doch das beginnende Glück wird von Jakob gefährdet, der selbst ein Auge auf Franzi und den Hof geworfen hat.

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