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Wenn das Leben einen Plan für dich hat, bist du machtlos gegen Gefühle. Als Skylar Lewis in ihre alte Heimat zurückkehrt, entfacht erneut der Streit um das geliebte Diner ihres Vaters. Doch Jake ist schwer erkrankt und auf die Hilfe seiner Tochter angewiesen. Vor einem Jahr verlor Cody Dawson seinen Job. Er ertränkt seinen Frust in Alkohol und befindet sich am Tiefpunkt seines Lebens. Ganz Sun Valley meidet den griesgrämigen, sich ständig prügelnden Mann. Doch Cody hat die Nase voll. Er will wieder auf die Beine kommen. Eines Abends hört er, dass für die Renovierung des alten Lewis-Hauses tatkräftige Unterstützung gesucht wird. Das könnte seine Chance sein. Zur Überraschung aller gibt Skylar ihm den Job. Zwischen ersten Sonnenstrahlen und Frühlingsblühern geht sie ihm ganz langsam unter die Haut und knackt seinen harten Kern, bis die Vergangenheit einen dunklen Schatten über die erwachenden Gefühle wirft. Liebesroman im Kleinstadt-Setting mit Happy End Garantie!
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Von Danara DeVries
1. Auflage, 2024
© Danara DeVries – alle Rechte vorbehalten.
Danara DeVries
c/o easy-shop
K. Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig (Anhalt)
Lektorat: Lektorat Franziska Schenker
Coverdesign: Dream Design - Cover and Art
Bildnachweise: @qimono, pixabay, depositphotos.com
Verwendete Schriften: Moontime, Linus Libertine, Trajan Pro 3
https://www.danara-devries.de
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Kapitel 1
Skylar
Berge und Himmel. Himmel und Berge. So weit das Auge reicht.
Das sind die Bilder, die vor meinem inneren Auge entstehen, wenn ich an Zuhause denke. Nicht die sanften Hügel, die sich mein Freund vorstellt, sobald ich von den Bergen des Sun Valley berichte.
Nein, wenn ich an die Berge denke, dann sehe ich zerklüftete Felsspitzen, schroffe Kanten, anthrazitfarbenes Geröll im Sommer und schneebedeckte Gipfel im Winter.
Doch als ich mich vorbeuge und durch die Windschutzscheibe einen Blick auf die rauen Felsen meiner Kindheit werfen will, versperrt mir ein neu erbautes Gebäude die Sicht.
Ketchum ist eine aufstrebende Kleinstadt, die durch den Tourismus zu einigem Reichtum gekommen ist. Es ist ja nicht so, als wäre es plötzlich vor mir aus dem Boden erwachsen, seinem Aussehen nach zu urteilen, steht es mindestens seit ein paar Jahren an dieser Kreuzung, doch der vierstöckige Neubau überrascht mich trotzdem. In dieser Gegend tat sich früher nie etwas.
Die Ampel springt um und ich gebe sanft Gas, rolle die Sun Valley Road hinauf, vorbei an der Hearts Lodge. Mein Heimatort ist weniger als zwei Meilen entfernt, kaum genug Zeit, um die Gedanken zu ordnen, mir die Worte zurechtzulegen.
Ich lasse Ketchum hinter mir, öffne das Fenster und genieße den sanften Fahrtwind. Zudem vereinnahmt mich die erblühende Natur. Die Sonne strahlt mit dem blauen Himmel um die Wette, die Wiesen beidseitig der Straße übersät ein Meer aus Blumen. Der zarte Geruch des Frühlings dämpft für einen Augenblick meine Sorgen. So habe ich die Welt meiner Kindheit in Erinnerung.
Der Kies knirscht unter den Reifen meines weißen Honda.
Ich will nicht länger bleiben als nötig. Nur mal kurz nach dem Rechten sehen und vielleicht lassen sich mit den richtigen Worten die Wunden der Vergangenheit kitten. Ich hoffe es so sehr.
Der Honda rollt auf den Parkplatz. Ich suche mir eine freie Parklücke, von denen es nicht allzu viele gibt. Fast jeder Platz ist belegt, was mich nur zu einem Schluss kommen lässt. Er ist hier und tut das, was er auf gar keinen Fall machen soll.
Arbeiten.
Das ist wieder einmal total typisch für ihn. Ich bin bereits kurz vor dem Platzen, bevor ich überhaupt ausgestiegen bin. Was für wundervolle Aussichten auf eine baldige Versöhnung.
Ich greife nach dem Rückspiegel, rücke ihn zurecht und kontrolliere mein Äußeres.
Nichts.
Keine rot geweinten Augen. Die Blässe, die seit Wochen mein stiller Begleiter ist, konnte ich an der letzten Raststätte auf dem Highway wegschminken. Sie ist noch da, aber davon braucht er nichts zu erfahren.
Mir geht es gut.
Alles ist gut.
Ich bin seinetwegen hier.
Sonst nichts.
Mit einem tiefen Atemzug fülle ich meine Lunge und reiße mich hastig von meinem Spiegelbild los. Wenn ich es noch länger betrachte, kommen mir nur wieder die Tränen und dann war mein Werk umsonst. Also kratze ich meine Selbstbeherrschung zusammen, greife nach der Handtasche und steige aus.
Nur wenige Augenblicke später stehe ich auf dem blank polierten Parkett meiner Kindheit, nehme den vertrauten Geruch nach Grillfleisch, gebratenen Kartoffeln und frischen Burgerbrötchen wahr. Ein Hauch Barbecue liegt in der Luft.
Automatisch gleitet ein Lächeln über meine Lippen.
Dad hat seine berüchtigte selbst gemachte Soße angesetzt. Die natürlich nur er kochen kann, weil der alte Esel sich beharrlich weigert, das Rezept aufzuschreiben.
So war es zumindest vor acht Jahren und ich gehe fest davon aus, dass sich an seiner Einstellung nichts geändert hat.
Meine Brust zieht sich zusammen. Eilig schiebe ich die Erinnerungen beiseite und marschiere Richtung Theke.
Geräusche durchdringen das Diner, Gäste schwatzen. Hier und da sehe ich ein bekanntes Gesicht aufblitzen, gefolgt von einem Stirnrunzeln und stechenden Augen, die mich beobachten. Die Gedanken, die ihnen durch die Köpfe schießen, kann ich zwar nicht erraten, aber ich habe eine lebhafte Vorstellung, in welche Richtung sie gehen könnten. Zumindest wenn ich mich an meinen Abgang erinnere.
Was will die denn hier?
Wollte sie nicht weg?
Warum ist sie zurück?
Ja, warum wohl.
Säuerlich presse ich die Lippen aufeinander, ignoriere die Blicke, auf dem Weg zum Mund stoppendes Besteck und durchquere die Schwingtür zwischen den beiden Thekenbereichen, die in die Küche führt. Dort begrüßt mich der gleiche Lärm wie im Gastraum, nur diesmal ist der Ton rauer, gestresster.
»Zwei Burger für die sechs!«
»Rührt mal die Soßen um, bevor sie anbrennen!«
»Ich brauch’ noch dreimal Krautsalat, zwei Pizzen mit Schinken und extra Käse, sowie ein Stew mit milder Soße!«
Ein Zischen und Geklapper begleitet befehlsartige Anweisungen.
Der Geruch nach frisch Gebratenem, heißem Fett und der fruchtig-herben Note der Barbecue-Soße, die beinahe alle anderen Düfte überlagert, erfüllt die dunstige Luft, die wie eine Käseglocke über der zentralen Arbeitsinsel hängt.
Ich nehme einen tiefen Atemzug der Erinnerungen, hätte sie sogar genossen, wenn nicht ein älterer Mann meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.
Er sitzt auf einem Barhocker, hat den Arm auf die Kante der Arbeitsinsel gelehnt, ein Geschirrtuch in der einen Hand, die andere hängt lose an seiner Seite herab. Schweiß steht ihm wie jedem in der Küche auf der Stirn, doch ich bin fest davon überzeugt, dass seiner nicht von der Anstrengung her rührt.
Von diesem Thron aus beobachtet er seine Leute mit dem scharfen Blick eines Küchenchefs mit jahrzehntelanger Erfahrung, bellt Anweisungen und nutzt in Abständen die freie Hand, um das Fußvolk zu dirigieren.
Mich hat er noch nicht entdeckt.
Zum Glück.
»Was machen Sie in der Küche?« Ein junger Mann Anfang zwanzig mit einer Gehilfenmütze, weißer Küchenmontur, die schon bessere Zeiten hinter sich hatte, starrt mich an, als sei ich wie ein Pils in diesem Moment aus dem Boden gesprossen.
Abrupt verstummt der typische Küchenlärm menschlichen Ursprungs, nur das Zischen und Brutzeln der unzähligen Töpfe und Pfannen bleibt. Wirklich jedes freie Augenpaar erfasst mich.
Unsicher blicke ich mich um und hebe zögerlich die Hand. »Hi, Leute.« Ich lächle in die Runde, versuche es zumindest, denn in meinem Magen rumort ein Wutmonster epischen Ausmaßes. Bevor ich noch in Verlegenheit gerate, die Angestellten meines Dads in unseren Familienkrieg hineinzuziehen, fokussiere ich mich auf ihn.
Tiefe Falten um seine Augen lassen ihn noch verbitterter wirken. Die Brauen finster zusammengezogen, bilden sich eindrucksvolle Furchen auf seiner Stirn. Die wettergegerbte Haut hat nicht mehr den üblichen, gesunden Bronzeton, der wie selbstverständlich zu meinem Vater gehört.
Nein, seine Haut wirkt wächsern und blass, ja beinahe blutleer.
»Was willst du hier?« Seine Stimme durchschneidet die diesige Dunstwolke über der Kücheninsel mit der Schärfe eines gewohnten Befehlstons.
Ich zucke zusammen, habe fast vergessen, wie abweisend er klingen kann.
Seit der Scheidung ist Jake Lewis ein verbitterter Mann, doch mir erscheint er noch zorniger als bei meinem Weggang, sein Blick hart und unnachgiebig, als wollte er mich mit purer Abweisung verscheuchen.
Mit diesem Jake Lewis komme ich klar, womit ich nicht gerechnet habe, ist die Verletzlichkeit, die er hinter seiner üblichen Härte versteckt.
Was ihm auch gut gelingt.
Wäre nicht die Farbe seiner Haut, der verräterische Schweiß auf der Stirn oder mein Wissen um seine Krankheit. Er hätte mich fast gehabt.
»Ich frage mich eher, was du hier tust, Dad.« Mit verschränkten Armen baue ich mich vor ihm auf und funkle ihn an.
Da er sich einen Barhocker als Thron ausgewählt hat und er mich ohnehin um einen Kopf überragt, kann er mir problemlos in die Augen blicken.
Ich verenge sie zu Schlitzen und fixiere ihn. »Du gehörst in ein Bett. Nicht in die Küche.«
»Sagt die Tochter, die es vorzog, fortzulaufen, statt sich der Familie unterzuordnen.« Er blinzelt nicht einmal.
Mühelos reißt er die alten Wunden wieder auf und ich springe darauf an.
Weil ich nicht anders kann.
In mir beginnt es zu brodeln.
»Ich bin nicht fortgelaufen. Nur weil ich kein Diner leiten will, bedeutet das nicht, dass ich fortlaufe.«
»Ach?!« Dad verschränkt die Arme vor der breiten Brust und richtet sich auf. »Und was willst du dann hier, wenn du dich nicht ums Restaurant kümmern willst?«
Ich schnappe nach Luft.
Ist das sein Ernst?
Wenn er sich nicht an der Edelstahlarbeitsfläche festklammern würde, könnte er sich kaum aus eigener Kraft auf dem Hocker halten. Seine Muskeln zittern bei der leichtesten Anstrengung und der Schweiß steht ihm auf der Stirn.
Nein, das kann er nicht wirklich glauben.
»Du hattest einen Herzinfarkt! Grund genug, dass ich herkomme. Ich bin hier, weil ich weiß, wie du tickst.« Mit jedem Wort werde ich lauter, unterstreiche jedes mit einer heftigen Handbewegung.
Schließlich zeige ich auf ihn und trete näher. »Jemand muss dich zur Vernunft bringen. Du gehörst ins Bett und nicht in die Küche. Der Laden wird auch ohne dich laufen.«
»Ach, meinst du? Schau dich doch mal um. Hier sind nur Dummköpfe am Werk. Wenn ich ihnen nicht sage, wie der Laden läuft, läuft er nicht.« Er sieht sich um.
Sein zorniger Blick schweift über seine Mitarbeitenden. Jeder zuckt bei seinen Worten getroffen zusammen.
Ich hole tief Luft.
Und genau da liegt das Problem.
Keiner traut sich, ihm die Stirn zu bieten.
Deshalb bin ich hier, denn ich kenne dieses Szenario zur Genüge. Dieses Verhalten ist seine Art, mit einer Verletzung, ob nun seelischer oder körperlicher Natur, umzugehen. Wenn ich nur standhaft bleibe, wird er einknicken.
So wie letztes Mal wird es nicht laufen.
Schließlich bin ich nicht mehr seine gerade mal volljährige Tochter. Nein, ich bin eine gestandene Geschäftsfrau, die weiß, wie sie die kompliziertesten Kunden anpacken muss, um ihnen das für sie passende ERP-System zu verkaufen, auch wenn sie anderer Meinung sind. Ich weiß einfach, wie ich schwierige Menschen anfassen muss.
Doch in meiner Rechnung gibt es nur einen winzigen Haken: Mein Dad ist kein Geschäftspartner.
»Sei doch vernünftig. Du musst dich ausruhen, damit du bald wieder im Sattel sitzt.« Ich gehe auf ihn zu, lege ihm eine Hand auf die Schulter, drücke sanft zu.
Eine Aktion, die jeden Mann weichkocht, denn alle sehnen sich nach ein bisschen Verständnis. Und wenn ich ihm noch all die Gründe darlege, weshalb es vernünftiger ist, jetzt zurückzutreten, wird er nachgeben.
Mit einer plötzlichen Bewegung seiner Schulter schüttelt er meine Hand ab und starrt mich an, als ob ich ihn vergiften will. »Fass mich nicht an. Und lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Du bist damals gegangen, also mach das einfach noch mal. Geh, verschwinde. Ich komme sehr gut ohne dich zurecht. Ohne euch alle. Ich brauche niemanden!«
Ich taumle einen Schritt zurück.
Mein Dad war schon immer ein jähzorniger Mensch, verlor oft und schnell die Geduld und vergraulte die Personen, die ihm am nächsten standen.
Aber niemals zu mir.
Das hatte sich erst mit der Scheidung meiner Eltern geändert.
Warum kehre ich zurück?
Ich seufze.
Weil ich nicht dortbleiben kann, wo ich bleiben wollte.
Dies ist mein Zuhause und er braucht meine Hilfe. Lieber sein Problem als meins.
»Dad.« Ich greife mir an die Brust.
»Lass gut sein, Skylar.«
Eine starke Hand legt sich auf meine Schulter. Automatisch drehe ich mich um.
Fletcher Ford steht hinter mir und schenkt mir ein trauriges Lächeln. Sanft schüttelt er den Kopf und deutet mit einem angedeuteten Nicken zur Restauranttür. »Komm, wir müssen reden.«
»Worüber?« In meiner Frage liegt eine ungewollte Härte. Ich will mich jetzt nicht mit dem Sheriff unterhalten, schließlich habe ich keinen Ärger verursacht. »Siehst du nicht, was hier abgeht? Er gehört ins Bett, nach Hause, überallhin, nur nicht in eine Restaurantküche. Er kann sich kaum auf dem Hocker halten.«
Fletcher nickt. »Das wissen wir. Komm trotzdem mit raus, damit wir reden können.« Die tiefen Falten um seine Augen ziehen sich zusammen, als er lächelt. »Schön, dass du hier bist. Du hast uns gefehlt.«
Gedehnt atme ich aus und deute über meine Schulter. »Ihm offenbar nicht.«
»Ihm ganz besonders.« Fletcher dreht sich um und verlässt die Restaurantküche, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen.
Offenbar erwartet er von mir, dass ich ihm folge.
Herrje, er ist der Sheriff.
Was kann er mir schon groß zu sagen haben?
Er kann genauso wenig wissen, was in Dad vorgeht. Ich jedenfalls weiß es nicht. Er ist ein verbitterter alter Mann, der einen Herzinfarkt hatte und sich weigert, Verantwortung abzugeben.
Früher war Fletcher der beste Kumpel meines Dads. Sie sind in etwa gleich alt und waren in einem Jahrgang in der High School in Hailey.
Vielleicht versteht er ihn ja doch besser.
Fletcher sitzt an einem freien Platz neben dem Eingang des Diners, seine Hände liegen gefaltet auf der Tischplatte und er hat sich zurückgelehnt. Schweigend beobachtet er die Leute, die im strahlenden Sonnenschein vor dem wilden Panorama der Berge ihrer Wege gehen.
Ich trete an den Tisch und verschränke die Arme unter der Brust. Mittlerweile bin ich wieder zu Atem gekommen.
»Hier draußen ist die Luft doch gleich viel angenehmer als in dieser stickigen Küche, was?« Fletcher scheint meine Anwesenheit gespürt zu haben, denn er dreht sich nicht einmal nach mir um, sondern sieht weiterhin hinaus auf die Straße.
»Setz dich, Skylar. Ich rede nicht mit dir, wenn du zornig auf mich herabstarrst, als würdest du nur auf eine Gelegenheit warten, mir den Kopf abzureißen.« Nun dreht er sich um und lächelt sein bestes Sheriff-Lächeln.
Dagegen bin ich machtlos. Es sagt mir unmissverständlich, dass ich mich beruhigen soll und lieber das mache, was er von mir verlangt, denn er ist bereit, die Konsequenzen mit aller Härte durchzusetzen.
Genervt stöhne ich auf und lasse mich ihm gegenüber auf die einfache Holzbank gleiten. »Bitte, Fletch, der Tag war zu lang und zu anstrengend für eine Strafpredigt. Ich bin nicht in der Stimmung.« Ich fahre mir durch die Haare, klammere mich an meinen blonden Locken fest und lasse den Kopf auf die Tischplatte sinken.
»Das tut mir sehr leid für dich, Skylar, aber ich muss mit dir reden. Du bist möglicherweise die Einzige, auf die er irgendwann hören wird.« Besorgnis schwingt in seinen Worten mit.
Ich lasse die Arme sinken und mustere den Sheriff.
Er hat den Blick auf die Tischplatte gerichtet und krampft die Finger umeinander, ein Verhalten, das ich von ihm überhaupt nicht gewohnt bin.
Der Sheriff ist für die Stadt wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Wenn es Probleme gibt, kümmert er sich nicht nur, er löst sie. Zur Zufriedenheit aller. Fletcher macht den Job bereits seit vielen, vielen Jahren. So lang ich mich erinnern kann, ist er die Stütze der Gemeinde. Ihn so angeschlagen zu sehen, versetzt meinem Weltbild einen gehörigen Dämpfer.
Automatisch strecke ich die Hand aus und lege sie auf seine Finger. »Was ist los, Fletcher?«
Ein trauriges Lächeln huscht über seine Züge. »Ich muss dir sicher nicht sagen, dass dein Dad seit der Scheidung und deinem Weggang unser aller Leben nicht gerade mit Freundlichkeit bereichert hat.«
Meine Mundwinkel zucken. »Ein Grund, warum ich gegangen bin, warum Mom gegangen ist.«
»Er stand schon immer unter enormem Druck. Es ist nicht einfach, in dieser Gegend sein Geld zu verdienen. Die Krisen haben uns mehr gebeutelt als andere Städte. Erst die Immobilienblase, dann das Wegbleiben der Touristen, die Pandemie.« Er zuckt mit den Schultern. Als wäre das Verhalten meines Vaters damit abgetan. Aber so einfach ist das nicht.
»Es wird immer eine Krise geben, aber das erlaubt ihm nicht, seinen Zorn an anderen auszulassen.«
Vielleicht setze ich mich wieder in mein Auto und fahre zurück nach Portland, suche mir einen neuen Job und bringe mein eigenes Leben in Ordnung.
»Das ist es nicht.« Fletcher sieht mich auf eine Weise an, die mich vermuten lässt, dass er meine Gedanken erraten hat. »Er vermisst dich, Skylar. Und Maggie. Er würde es niemals zugeben, aber der Herzinfarkt vor ein paar Wochen hat ihm eine Scheißangst eingejagt. Er fürchtet sich davor, zu sterben bevor er euch um Verzeihung bitten kann.«
Ich lache trocken auf. »Redest du von dem gleichen Mann, der da drinnen hockt und sein Personal terrorisiert?«
Um Fletchers Mundwinkel graben sich kleine Grübchen ein. »Bleib, Skylar. Er braucht dich. Die Stadt braucht dich, weil wir so langsam nicht mehr wissen, wie wir Jake Lewis das Leben retten sollen. Denn du bist die Einzige, die ihn möglicherweise von seiner Mission abhalten kann.«
»Welche Mission?«
»Sich selbst zu zerstören.«
Kapitel 2
Skylar
Ich folge dem Wagen des Sheriffs zu unserem Haus, das etwas oberhalb der Stadt am Fairway Loop liegt. Die Birken blühen bereits, die Äste hüllen sich in frisches Grün und schwingen sanft im Wind hin und her. Ein friedliches Bild entlang der Straße, die zwar bessere Tage gesehen hat, aber sie ist frei von Schlaglöchern und schlängelt sich seelenruhig den Berg hinauf. Beidseitig schließen sich die großzügigen Grundstücke an.
Ich kenne unsere Nachbarschaft und doch kommt es mir gerade so vor, als wäre ich mit meinen Problemen ganz allein auf diesem Planeten.
Und mit einem Riesenhaufen Arbeit.
Dad hat geschafft, was nicht einmal ich als Kind hinbekommen habe.
Müll türmt sich vor unserer Einfahrt. Die von Mom sorgfältig angelegten Rosenbeete sind total zugewuchert. Die Birken verdecken zwar das Haus, sodass man den Schaden kaum von der Straße aus sehen kann, doch ich erkenne den feinen Unterschied.
Hier ein zerbrochenes Fenster, dort eine ausgerissene Gartentür oder ein paar lose Dielen auf der Veranda. Und das ist nur die Spitze der Liste aller Beschädigungen.
Wie kann das Leben in den vergangenen Jahren nur so aus dem Ruder laufen? Was ist passiert, dass ein Mensch sich dermaßen selbst verlieren kann?
»Das schaffe ich nicht, Fletcher.«
Ich schlinge in einer Art stiller Verzweiflung die Arme um den Körper und frage mich, ob Fletcher nicht zu viel von mir verlangt.
Ob ich nicht einfach nach Portland fliehen darf, meinem Vater sich selbst überlassen soll, bis er seine Mission erfolgreich beendet hat?
Oder ob ich hierbleiben und dabei zu sehen will, wie er sich Stück für Stück umbringt.
Doch da gibt es auch eine dritte Option, die mir angesichts dieses Chaos als vollkommen unmöglich erscheint.
»Doch, tust du.« Fletcher legt seinen Arm um meine Schulter. Mit seiner Stütze schaffe ich es ins Innere des Hauses.
Stickige Luft, geschwängert von fauligen Gerüchen und abgestandenem Qualm, erdrückt mich. Zitternd schüttle ich den Kopf und sehe mich um.
Unser einstmals schöner Flur mit Holzdielen aus Kirschbaum ist total verdreckt. Zentimeterdicke Staubschichten türmen sich auf der Kommode im Eingangsbereich, der Spiegel ist stumpf, der Boden teilweise aufgerissen. Links von mir befindet sich die Küche, aber ich hätte mir nicht die Mühe machen müssen, nach einer Tür zu suchen, denn irgendjemand hat ein Loch in die Wand geschlagen.
»Ich erinnere mich nicht daran, dass hier die Tür war«, murmle ich trocken und steige kurzerhand durch das Loch ein.
Fletcher folgt mir.
Die dereinst hellen Fliesen sind zerhackt, die Oberflächen stehen voll schmutzigem Geschirr und in der Spüle ist irgendein Tier verendet. Ein süßlicher Geruch liegt in der Luft.
Wir verlassen die Küche und schlagen uns ins Wohnzimmer durch, wo sich die Zerstörung fortsetzt. Neben zerschlagenen Möbeln und einem Flachbildfernseher mit einem Loch im Display, finden sich hier auch unzählige geleerte Bierflaschen, Whiskeyflaschen und andere Spirituosen, die ich auf den ersten Blick nicht benennen kann. Auf der Couch liegt eine aufgeschlagene Decke und ein Kissen. Ich falte sie zusammen, doch angesichts des Chaos fühle ich mich überfordert.
Schläft er nicht in seinem Bett?
Ich strebe in den Flur und biege in eines der drei Schlafzimmer, das meine Eltern bewohnten, ab. Fassungslos bleibe ich in der Tür stehen, denn es ist komplett intakt. Offenbar hat seine Zerstörungswut vor diesem Zimmer Halt gemacht. Nach einer weiteren kurzen Besichtigung stelle ich fest, dass er mein Zimmer ebenso in Ruhe gelassen hat.
In beiden Räumen hat sich nichts verändert. Bis auf das milchige Sonnenlicht, das durch die verschmutzten Fensterscheiben dringt, Staubkörnchen glitzern lässt und ein surreales Licht verströmt. Auf Kommoden, Schränken und Decken liegt eine dicke Staubschicht.
Ich hocke mich hin, wische mit dem Finger über den Boden, betrachte den Staub.
Hier ist kein einziger Fußabdruck erkennbar.
Was mich zu dem Schluss kommen lässt: Diese beiden Zimmer hat seit sehr langer Zeit niemand mehr betreten.
Beide Räume liegen wie stumme Zeugen der Vergangenheit in einem Tiefschlaf, den ich nicht zu stören wage. Noch nicht. Spätestens heute Abend werde ich ein Dornröschen wecken, denn irgendwo werde ich schlafen müssen.
Das restliche Haus befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Neben einer kompletten Entkernung bräuchte es eine Sanierung von Grund auf. Das kann ich nicht leisten.
Was ist nur mit meinem Vater passiert?
Fletcher hat recht, er braucht Hilfe.
Aber kann ich das schaffen? Will ich das überhaupt?
Ich wirble herum und fliehe auf die Veranda, nehme die frische Frühlingsluft in mich auf und genieße den herrlichen Blick hinunter ins Tal. Das sanfte Rauschen des Windes, der durch die winzigen Blätter der Birken streift, beruhigt mein aufgewühltes Inneres.
Die im Sonnenschein glitzernde Oberfläche des Sees zieht meine Aufmerksamkeit an. Diesen Ausblick genoss ich schon als Jugendliche, auf dem Vordach sitzend, die Beine in die Tiefe baumelnd, frei sein und atmen.
Mein Körper scheint sich genau daran zu erinnern. Ein paar Sekunden genügen und ich fühle mich besser.
Der Sheriff tritt schweigend an meine Seite. Eine Weile lauschen wir dem Rauschen der Birken.
»Wie konnte das nur passieren, Fletcher?«
Er hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen. »Wir sind schuld, Skylar.«
Ich blinzle. »Das verstehe ich nicht.«
Er stößt den Atem aus. »Jahrelang glaubten wir, es sei alles in Ordnung. Jeder ging seiner Arbeit nach, hatte seine eigenen Probleme zu leben und Jake war immer in der Station. Niemand vermutete irgendetwas. Das Haus …« Er deutet hinter sich. »Ich habe erst letzte Woche bemerkt, wie es hier überhaupt aussah. Er hat es irgendwie immer geschafft, Verabredungen in die Stadt zu verlegen oder sich bei mir zu treffen. Wenn wir so beisammen saßen, dachte ich immer, alles wäre okay. Aber nichts war okay. Im Nachhinein erinnere ich mich an viele Kleinigkeiten, die mich stutzig hätten machen müssen. Er war nicht mehr so trittsicher wie früher, schwankte hin und wieder oder wurde noch zorniger als nach eurem Weggang. Es hat sich irgendwie alles verschlimmert.«
»Und im Restaurant? Wie kann ein Mann so verwahrlosen, wo er doch jeden Tag mit unzähligen Menschen zu tun hat, oder sogar Essen zubereitet?«
Ich will den Gedanken gar nicht weiterverfolgen. Sollten die Leute herausfinden, wie es hier aussieht, würde man meinem Vater das Gesundheitsamt auf den Hals hetzen.
Fletcher blickt mich schweigend an. Ich kann in seinem Gesicht lesen, dass er vielleicht sogar den gleichen Gedanken verfolgt wie ich.
»Scheiße.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Und was soll ich jetzt tun? Mit ein wenig Aufräumen ist es nicht getan. Ich brauche Leute dafür. Handwerker, Zimmerleute. Was weiß ich noch alles. Und Kapital.« Über das ich verfüge.
Ich besitze nicht viel außer dem Honda, habe alles gespart, und zahle regelmäßig meinen Studienkredit zurück. Mein Job wurde verdammt gut bezahlt, sodass sich auf meinem Konto ein hübsches Sümmchen angesammelt hat.
Das war nicht immer so.
Bitter presse ich die Lippen aufeinander und verdränge den Gedanken.
Nein, um Geld möchte ich mir im Augenblick nicht den Kopf zerbrechen, doch besser, wenn ich spare.
Und Dad?
Keine Ahnung, über seine Finanzen muss ich mir erst noch einen Überblick verschaffen.
Ein Lächeln huscht über Fletchers Züge. »Ich kenne die richtigen Leute dafür. Wenn du hierbleibst und dich um deinen Vater kümmerst, dann helfe ich dir. Schließlich gehört die Sun Valley Station zur Stadt, dein Dad ist einer von uns und ich habe nicht vor, ihn noch einmal allein zu lassen.« Er legt seine Hand auf meine Schulter und drückt sie. »Nie wieder.«
»Danke.« Ich nicke beklommen.
Fletchers Unterstützung ehrt ihn, doch damit war es noch lange nicht getan. Das größte Problem sehe ich bereits auf mich zukommen.
Mein Dad.
Wenn er heute Abend nach Hause kommt und mich hier vorfindet.
Cody
Meine Hände gleiten über die Struktur des Holzes. Noch fühlt es sich ein wenig rau an, doch sobald ich es eingeölt habe, wird die Oberfläche glatter sein. Immer wieder streiche ich darüber und genieße das befriedende Gefühl, etwas mit meinen Händen erschaffen zu haben. Etwas, das ich nicht zerstören kann, etwas, worin ich gut bin.
An etwas anderes zu denken, vermeide ich.
Ich muss arbeiten.
Also streiche ich die Seiten des Holzstücks, das ich gerade bearbeite, mit Leim ein und drücke es an ein Stück gleicher Form. So verfahre ich, bis ich alle Teile miteinander verklebt habe. Dann spanne ich das so entstandene Brettchen in einen Schraubstock ein, wobei ich die Seiten mit einem abgenutzten Stück Hartholz schütze. Ich will nicht, dass die teure Olive beschädigt wird.
Ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit breitet sich in mir aus, wenn ich daran denke, wie herrlich es glänzen wird, wie fantastisch sich seine ausdrucksstarke Maserung von der helleren Birke abheben wird, wenn es erst mal eingeölt ist.
Mir kommt die Idee, aus beiden Hölzern ein Muster zu erstellen, das einem Schachbrett ähnelt.
Das wäre der Wahnsinn.
Aber dafür bräuchte ich noch mehr Olivenholz und das ist schwer aufzutreiben, vor allem, jetzt, wo ich endlich einen neuen Job finden muss. Ein Jahr arbeitssuchend ist mehr als genug.
Ich trete von meiner Arbeitsbank zurück und balle die Fäuste, mustere mein Werk und anschließend meinen Wohnwagen, der hinter dem Arbeitsbereich im Freien steht.
Genau das müsste ich tun. Doch der bittere Nachgeschmack der Demütigung lässt mich nicht in Ruhe.
Ich kann erst wieder in die Stadt, wenn … ja, was?
Wenn Gras über die Sache gewachsen ist?
Das wird nicht passieren.
Sun Valley ist ein Dorf und ich kann von Glück reden, dass meine Chefs mich damals nicht angezeigt haben.
Just in dem Moment, als der Gedanke meinen Verstand verlässt, rollt ein Wagen die Auffahrt hinauf. Ich riskiere einen kurzen Blick über die Schulter.
Kein Polizeiauto. Glück gehabt.
Dann wende ich mich einem neuen Stück Holz zu und bearbeite es mit Schleifpapier, um Splitter und lose Stückchen zu entfernen. Ganz in meine Arbeit vertieft, ignoriere ich den herannahenden Wagen. Es wird sich vermutlich nicht um Alex oder seinen verfickten Bruder Ashton handeln, der sich wegen ein paar Holzresten wie der letzte Idiot aufgespielt hat.
Verdorrte Tannennadeln knacken und knistern unter den Rädern des ausrollenden Wagens. Schließlich verstummt das Geräusch, der Motor schnurrt leise ein letztes Mal auf. Mit einem kaum hörbaren Klicken schalten sich die Scheinwerfer ab.
Dort, wo es keinen Straßenlärm gibt, wo nur die natürlichen Geräusche die Stille durchbrechen, erklingt jede Störung wie mit einem Megafon verstärkt.
Die Wagentür wird mit einem dumpfen Quietschen geöffnet, jemand steigt aus, eine schwere Person, denn das Knacken der trockenen Tannennadeln klingt anders, als wenn eine Person mit einer kleinen Lauffläche – eine Frau oder ein Kind – auftritt. Dann fällt die Wagentür mit dem typischen Geräusch ins Schloss und Schritte nähern sich.
Ich arbeite ruhig weiter, will mit niemandem reden. Mir ist klar, dass ich Mist gebaut habe, aber es ist mir egal.
Ein Schatten fällt auf das Stück Birkenholz und ich halte mit dem Schleifen inne, spanne die Schultern an.
»Das sieht hübsch aus.« Fletcher Ford tritt neben mich und mustert das zum Trocknen in den Schraubstock eingeklemmte Brettchen. In seiner Stimme schwingt eine unterschwellige Spannung mit.
Ich richte mich auf und strecke den Rücken durch.
Die vorgebeugte Haltung, die ich beim Zusägen, Schleifen und Bearbeiten der Hölzchen einnehme, tut meinen Bandscheiben nicht gut.
»Was willst du, Sheriff? Du verirrst dich doch nicht in meinen Wald, um mir bei meinem Hobby zuzusehen.«
Er zieht scharf die Luft ein, stemmt die Hand in die Seite und kratzt sich den grauen Haaransatz, der unter seinem braunen Stetson hervorlugt. »Nein. Ehrlich gesagt bat mich Alex Gray darum, mit dir zu reden. Er sagt, es gab einen Streit zwischen dir und seinem Bruder, als du gestern das Lager verlassen hast.«
»Mehr hat er nicht gesagt?«
In meiner Erinnerung sah der sogenannte Streit ein klein wenig anders aus, aber ich werde den Teufel tun und ihm die Wahrheit sagen. Die hat mir in dieser Stadt noch nie geholfen.
»Er meinte, es könnte sein, dass ich bei dir ein paar Edelhölzer finde, die zufällig seinem Lager entstammen könnten.« Fletcher mustert das dunkle Olivenholz in meinem Schraubstock, eine Augenbraue vielsagend hochgezogen.
»Könnte es sein oder hat er handfeste Anschuldigungen vorgebracht?«
Er schnaubte. »Hör zu, Alex will kein böses Blut. Er sagt, wenn du die Hölzer zurückgibst, wird er von einer Anzeige absehen. Aber er möchte sie wiederhaben.«
»Ist das alles, ja? Hat er vielleicht sonst noch irgendetwas erwähnt oder nennt er mich grundlos einen Dieb?« Ich springe auf, fahre mir durchs Haar und umrunde den Arbeitstisch. »Ashton Gray ist ein verdammtes Arschloch. Dabei ist er doch derjenige, der …«
Hastig schüttle ich den Kopf. »Und nun schickt er mir den Sheriff hinterher? Und das, wo er doch die Schuld trägt.« Und ich. Aber das sage ich nicht laut.
Das Holz ist nur die Spitze des Eisberges und eigentlich ist es mir scheißegal, aber ich wollte ihn treffen. Ich wollte ihm wehtun.
Fuck, ich will ihm immer noch die Fresse polieren, für das, was er gesagt hat.
Ich stemme die Hände in die Seiten, starre zu Boden.
Der Sheriff weiß genauso gut wie ich, dass ich mir nicht noch eine Anzeige leisten kann.
»Hast du die Hölzer gestohlen, Cody?« Seine Worte lassen das beruhigende Zwitschern der Vögel verstummen und beschweren die kühle Waldluft mit heftigen Anschuldigungen.
»Ich bin kein Dieb.« Aus dem Augenwinkel beobachte ich ihn.
Fletcher schließt die Augen und atmet tief durch. »Ich bin kein Experte, Cody. Nicht so wie du. Aber für mich sehen diese Hölzer ganz nach denen aus, die Alex vermisst.«
»Ich hab’ sie von seinem Müll! Er hat sie weggeworfen, entsorgt.«
Er nickt beklommen. »Und da dachtest du dir, du könntest sie einfach so mitgehen lassen?«
Mühsam beherrscht verschränke ich die Arme vor der Brust. Entweder das oder ich wüsste nicht, was ich tun würde.
Den Sheriff zu schlagen käme nicht besonders gut an, oder?
»Was sollte dein Verhalten heute Morgen?«
Ein fieses Grinsen umspielt meine Mundwinkel.
Ich weiß, ich hätte besser eine betroffenere Miene aufsetzen sollen.
»Du hast mit Ashton gesprochen? Wie sah er aus? Sieht er noch etwas unter dem Eisbeutel?«
Fletcher funkelt mich scharf an. »Nicht hilfreich. Ich versuche, Ordnung in dieser Gegend zu halten. In Ketchum und Sun Valley. Dafür brauche ich eure Mithilfe. Ich kann nicht ständig hier herumlungern, nur weil du deine persönliche Fehde mit Ashton Gray nicht begraben kannst. Wie viele Jahre soll das noch gehen? Er hat dir doch einen Job gegeben, oder? Was ist nur mit euch beiden los? Man könnte meinen, du trägst einen persönlichen Krieg aus.«
Ich wende mich Richtung Wohnwagen. Auf dieser Basis mit Fletcher diskutieren zu wollen, hat keinen Zweck. Dabei kann ich sowieso nur den Kürzeren ziehen.
»Alex hat mir den Job gegeben, Ashton hat mich letztes Jahr gefeuert und gestern wollte er mir kein Holz geben. Dafür hat er eben eine kassiert. Lass es gut sein, Fletch.« Ich steige die Treppe hinauf und greife nach dem Türgriff.
Ob er mir folgen würde, wenn ich im Inneren verschwinde? Gilt das dann als Hausfriedensbruch? Habe ich dann das Recht, ihm eine zu knallen, weil er unerlaubt meinen Grund und Boden betritt?
Wenn es denn meiner wäre.
Ach, Fuck.
Ich weiß es nicht, doch ehrlich gesagt, ist es mir im Augenblick egal, ob ich damit nicht noch ein weiteres Gesetz übertrete. Mir ist gerade alles egal. Ashton hat mich gefeuert, meinetwegen. Wir können nicht miteinander arbeiten, selbst wenn wir es versuchen.
Aber ich habe ihn nicht deswegen geschlagen, sondern weil er wieder mit der alten Leier angefangen hat. Weswegen wir uns schon vor einem Jahr geprügelt haben. Die eine Sache, wegen dir wir uns immer prügeln.
Ich balle die Faust.
Heute Morgen bin ich wieder ausgerastet. Ich wollte mich beherrschen, wollte mich zusammenreißen, doch dann klopfte der Mistkerl blöde Sprüche. Damit hat er mir ohnehin jede Chance genommen. Das bisschen Holz hätte er mir wenigstens lassen können. Um mich daran abarbeiten zu können – wenn es nicht gerade sein Gesicht sein soll.
Tja, und dann hab ichs halt einfach mitgehen lassen.
Fuck.
»Bleib gefälligst hier, du Idiot! Ich versuche, dir zu helfen.«
Ich verharre mit den Fingern auf dem Türgriff. Meine Muskeln zittern vor unterdrückter Anspannung. Es fehlt nicht viel. Noch ein falsches Wort mehr und ich stürze mich auf Fletcher, der am allerwenigsten etwas für meine Situation kann.
Der Gedanke genügt und ein wenig Wut entweicht.
Doch nicht genug.
Ich zerquetsche beinahe den Türknauf. Der Schmerz kanalisiert meinen Zorn, sodass ich tatsächlich ein paar Worte sagen kann. »Dann sag, was du noch zu sagen hast, was ich tun soll.«
Fletcher schnauft. »Bring das Holz zurück, entschuldige dich bei Ashton und dann kann ich ihn hoffentlich von einer Anzeige wegen Körperverletzung und Diebstahl abhalten.«
Scheiße. Sollte er das wirklich vorhaben, wars das. Dann konnte ich einpacken. Dann …
»Ich kann das nicht, Fletcher. Allein, wenn ich den Kerl sehe, platzt mir die Hutschnur. Was er getan hat, ist unverzeihlich.« Meine Augen brennen und ich bin dankbar dafür, dass ich den Sheriff nicht ansehen muss.
Der atmet tief durch. »Was hat er denn getan? Ja, er war der Freund deiner Schwester. Aber er hatte mit dem Unfall nichts zu tun. Annabelle hätte bestimmt nicht gewollt, dass ihr euch jahrelang zerfleischt.«
Wenn ich nur wegen seines Status als ihr Freund etwas gegen Ashton Gray gehabt hätte, wäre alles so viel einfacher gewesen.
Nein, es war diese dunkle Vorahnung, die mich seit damals fest im Griff hat und gegen Ashton aufbrachte. Der Kerl hat mich angelogen.
Doch über all das will ich nicht mehr nachdenken.
Wütend fahre ich herum. »Annabelle ist verdammt noch mal tot. Sie war alles, was ich hatte. Und nun …«
… geht wieder alles den Bach runter.
Wegen Ashton Gray.
Weil er seine verdammte Fresse aufreißen musste.
In mir tobt ein Sturm, Gefühle, die ich seit dem Tod meiner Schwester unterdrücke, die ich nie wieder an die Oberfläche schwappen lassen wollte, aus Angst, ihnen nicht standhalten zu können.
Meine liebe, kleine Annabelle.
»Okay, Mann. Beruhige dich.« Fletcher hebt die Hände und tritt einen Schritt zurück. »Du hast Ash nicht wegen dem Holz geschlagen, oder?«
Wütend blinzle ich zur Seite. »Nein. Das Veilchen war längst überfällig. Hätte er sie nicht gefahren, wäre sie noch am Leben.« Ich hebe den Kopf und fixiere Fletcher.
Ich weiß genau, was er sagen will.
Was alle in Sun Valley seit Jahren sagen.
Es ist so lange her. Lasst die Sache endlich ruhen. Ihr wart jung und habt Mist gebaut.
Ashton Gray und seine verdammten Worte.
»Ash hat gesagt, nicht mal in der Nähe gewesen zu sein, geschweige denn sie gefahren zu haben.« Fletcher mustert mich. »Und heute hat er das Gegenteil behauptet?«
Widerwillig nicke ich. Das hat er schon vor einem Jahr gesagt und heute hat er seine Worte noch ein wenig ausgeschmückt. Ich höre sie, wann immer ich die Augen schließe.
Deine Schwester war eine Hure.
Mein Magen zieht sich zusammen.
»Du hast sie nicht gefahren?«
Ich sehe auf, mein Kinn zittert. »Auch wenn die ganze Stadt das gern behauptet, ich wars nicht. Ich habe damals nicht gelogen und ich lüge heute nicht. Ich. War. Es. Nicht.«
»Niemand hat je dir die Schuld gegeben, Cody. Das warst du ganz allein.« Er atmet bedächtig aus. »Es gab keine Beweise und du warst so ein wilder Junge, genau wie Annabelle. Die Kleine sorgte ständig für Ärger.« Fletcher lächelt.
Wütend balle ich die Faust.
Selbst wenn er der Sheriff ist, darf er so nicht über sie reden. Nicht über Annabelle.
»Deine Mom war alleinerziehend mit zwei Teenagern und so stolz. Sie wollte sich nicht helfen lassen. Da reden die Leute gern.« Seine Mundwinkel zucken, als er mich wieder ansieht. »Aber Annabelles Sturz war ein Unfall. Wir fanden keine Beweise …«
»Es war kein einfacher Sturz. Er hat sie gefahren und er hätte auf sie aufpassen müssen. Hätte er Verantwortung übernommen, wäre das niemals passiert.« Tränen brennen in meinen Augen.
Und nun wird Ashton Gray wieder dafür verantwortlich sein, dass ich eine Frau verliere. Erneut.
Fletcher starrt mich einen Augenblick an, dann nickt er. »Okay. Ich bringe das Holz zurück und rede mit ihm. Aber du lässt dich in der Stadt nicht blicken. Und Finger weg vom Alkohol. Haben wir uns verstanden?« Er zieht die Brauen zusammen.
Sicher erwartet er eine Antwort, aber ich will ihn nicht belügen. Und dann tue ich es doch.
»Aye, aye, Sir.«
Denn Alkohol klingt verdammt verlockend.
Kapitel 3
Skylar
Vor dem Haus stapelt sich eine ansehnliche Menge Tüten mit Altglas, Papier und nicht zu rettender Kleidung. Außerdem habe ich den Kühlschrank gereinigt, die ersten drei Waschladungen aufgehängt und einen kleinen Dämpfer bekommen, als Rauch aus dem Trockner aufstieg. Aber davon ließ ich mich nicht abhalten, das Haus einer oberflächlichen Reinigung zu unterziehen.
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, stütze meinen Rücken und betrachte zufrieden mein Werk. Der Müll ist gefüllt, die Wäsche gewaschen und die Küche gereinigt.
Als Nächstes nähere ich mich dem Raum hinter der Küche. Mit einer Mülltüte bewaffnet, will ich die Tür öffnen, doch ein Geräusch lässt mich innehalten.
»Was zur Hölle war das?« Ich schlucke beklommen und lege vorsichtig die Finger um den Griff der Schiebetür, die unsere Vorratskammer verschließt.
Ich muss da rein. Die Hälfte der Lebensmittel stammt vermutlich von meiner Mutter und die wohnt seit Jahren nicht mehr hier.
Ein Rascheln lässt mich zusammenzucken.
Mein Puls rast.
»Hallo?« Zögerlich lege ich das Ohr an die Tür. »Ist da jemand?«
Da drinnen ist es absolut still. Mann!
»Skylar Lewis! Jetzt stell dich nicht so an. Wer sollte bitte schön in deiner Vorratskammer herumlungern? Da gibt es weder ein Fenster noch eine andere Tür. Da ist niemand.«
Lautstark rede ich vor mich hin.
Mutig straffe ich die Schultern und reiße die Tür auf.
»So ein Blödsinn!«
Ich erstarre.
Mir direkt gegenüber hockt ein fetter Waschbär von mindestens fünfzig Zentimetern Größe. Er sitzt auf dem Regalbrett und schaut mich an. In seinen Pfoten hält er eine Dose Tomatensoße, eine Kralle in die Metallöse gesteckt.
»Oh mein Gott!«
Entsetzt schreie ich auf, woraufhin das Vieh hektisch mit den Armen wedelt, die Dose fallen lässt und ins Straucheln gerät. Panisch kratzt er über das Holz, streckt sich und will das Regalbrett über ihm erreichen. Er gräbt die Krallen ins Holz und versucht, sich hochzuziehen.
»Pah, du bist viel zu fett. Das hast du jetzt davon!«
Der Waschbär verliert den Halt, stürzt zu Boden und kullert direkt auf mich zu.
Kreischend springe ich zurück, lasse hektisch die Mülltüte fallen und rette mich ins Wohnzimmer. Auf dem Absatz herumwirbelnd, sehe ich gerade noch, wie das Tier durch die Terrassentür an der Westseite flieht, die ich Zwecks Belüftung offenstehen gelassen habe.
Mit hämmerndem Herzen sehe ich ihm hinterher. Erleichtert atme ich aus. »Na toll.«
Die Aufräumlust ist mir gehörig vergangen.
Ich lasse den Müllsack sinken und verlasse hastig das Haus.
Angewidert schüttle ich mich.
Ein Waschbär! Ist das denn zu fassen!
Eigentlich stand die Vorratskammer auf meiner Prioritätenliste, aber wer weiß, welches Geschöpf sich dort noch eingenistet hat. Nein, für den Moment habe ich genug und wende mich lieber dem nächsten Punkt zu. Einkaufen.
Also fahre ich runter in die Stadt und steuere den großen Parkplatz vor der Mall an. Nach der Begegnung mit dem Waschbären brauche ich erst einmal etwas zu essen.
Ich steige aus und schlendere in Richtung Maple’s, das kleine Café von Harriet Matthews. Dort traf ich mich schon immer mit meinen Freundinnen, aß leckere Kuchen, Suppen und Sandwiches ganz außerhalb des Dunstkreises meines Vaters.
Unzählige Geschäfte, Restaurants und Boutiquen tummeln sich in niedrigen, höchstens zweistöckigen Gebäuden, die alle im klassischen gelben Sandstein, der typisch für diese Gegend ist, gehalten sind.
Die Sonne strahlt hell an diesem Frühlingsnachmittag und ich lasse mich von ihren Strahlen wärmen.
In Blickrichtung ein paar Hundert Meter entfernt glitzert und funkelt es. Mich juckt es, weiterzugehen, mich am See niederzulassen und den sanften Wind zu genießen, doch der Hunger treibt mich weiter. Ich biege rechts ab und stehe kurze Zeit später vor dem Maple’s.
Als ich einen Blick in das Café werfe, breitet sich eine Wärme in mir aus, die ich nach dem anstrengenden Vormittag mehr als willkommen heiße. Seit meinem Weggang hat sich nicht viel verändert. Wir in Sun Valley mögen es, wenn alles so bleibt, wie es ist. Der gleiche Geruch nach frisch gebackenen Kuchen, Crêpes, Sandwiches und Kaffee weckt Erinnerungen. Fast fühle ich mich zurück in meine Teenagerzeit versetzt.
Runde Tischchen mit grünen Polsterstühlen verteilen sich rund um die mehrere Meter langen Theke. In der Auslage stehen Muffins, Törtchen und Torten sowie – und das weiß ich aus Erfahrung – leckerer Rührkuchen. Hinter der Theke wuseln mehrere Bedienungen herum, darunter auch Harriet, die mit ihrem roten Dutt nicht zu übersehen ist.
Mein Blick gleitet über die anderen Mitarbeiterinnen und bleibt an einem rotblonden Schopf hängen, der ein vertrautes Gefühl in meiner Magengegend auslöst, das sogar den Hunger überlagert.
Shit. Insgeheim wusste ich, dass sie hier sein würde.
Wohin sollte sie auch gehen?
Ihrer Mutter gehört das Maple’s, also ist es nur recht, dass sie es irgendwann übernehmen wird.