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Danara DeVries

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Beschreibung

Weil eine Lüge, welche Absicht sich auch immer dahinter verbirgt, noch immer eine Lüge bleibt. Das Leben in Marshall könnte so einfach sein. Seit 10 Jahren lebt Liv Jenkins zufrieden in der Kleinstadt. Nur ihre Tochter versteht nicht, wieso sie nicht in den Wald darf. Doch eines Tages ist Faiths Neugierde zu groß. Was verbirgt sich dort? Es ist nur ein Wald. Im Streit rennt sie davon und ignoriert Keenans Verbot. Als sie nicht zur vereinbarten Zeit zurückkehrt, ist Liv und Keenan klar, wohin sie gegangen ist. Trotz der Warnung des Wächters betritt Keenan erneut den Wald und setzt damit sein Leben aufs Spiel. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Sowohl in ihrer als auch in der Welt von Keenan, der Feenwelt.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Prolog
[Keenan]
[Liv]
[Keenan]
Kapitel 1
[Faith]
[Liv]
Kapitel 2
[Liv]
Kapitel 3
[Faith]
[Liv]
Kapitel 4
[Keen]
[Liv]
Kapitel 5
[Keenan]
[Liv]
Kapitel 6
[Faith]
[Liv]
[Faith]
Kapitel 7
[Liv]
Kapitel 8
[Liv]
Kapitel 9
[Liv]
Kapitel 10
[Liv]
Kapitel 11
[Keenan]
[Liv]
Kapitel 12
[Faith]
[Keenan]
[Liv]
Kapitel 13
[Liv]
Kapitel 14
[Liv]
[Keenan]
Kapitel 15
[Keenan]
[Liv]
Kapitel 16
[Faith]
[Liv]
Kapitel 17
[Liv]
Kapitel 19
[Keenan]
[Liv]
Kapitel 20
[Liv]
[Keenan]
[Faith]
[Liv]
[Keenan]
Kapitel 22
[Liv]
[Keenan]
Kapitel 23
[Keenan]
[Faith]
[Liv]
Kapitel 24
[Keenan]
Kapitel 25
[Liv]
[Keenan]
Kapitel 26
[Faith]
[Liv]
[Faith]
Kapitel 27
[Liv]
[Keenan]
Kapitel 28
[Liv]
[Keenan]
[Faith]
[Liv]
Kapitel 29
[Faith]
[Liv]
[Faith]
[Liv]
Epilog
[Keenan]
Danksagung
Eine Bitte
Leseempfehlungen

 

 

Lost Wood

 

Von Danara DeVries

 

 

 

 

 

Buchbeschreibung:

Weil eine Lüge, welche Absicht sich auch immer dahinter verbirgt, noch immer eine Lüge bleibt.

 

Das Leben in Marshall könnte so einfach sein. Seit 10 Jahren lebt Liv Jenkins zufrieden in der Kleinstadt. Nur ihre Tochter versteht nicht, wieso sie nicht in den Wald darf. Doch eines Tages ist Faiths Neugierde zu groß. Was verbirgt sich dort? Es ist nur ein Wald.

Im Streit rennt sie davon und ignoriert Keenans Verbot.

Als sie nicht zur vereinbarten Zeit zurückkehrt, ist Liv und Keenan klar, wohin sie gegangen ist. Trotz der Warnung des Wächters betritt Keenan erneut den Wald und setzt damit sein Leben aufs Spiel. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Sowohl in ihrer als auch in der Welt von Keenan, der Feenwelt.

 

 

Über den Autor:

Danara DeVries ist das Pseudonym einer nerdigen Mutter von zwei Nachwuchs-Nerds. Das Schreiben eigener Texte ist ihr liebster Zeitvertreib und wenn sie nicht gerade durch virtuelle Welten hastet und mit Schwertern herumfuchtelt, versinkt sie in dem Kreieren romantischer Beziehungen mit Tragikfaktor.

 

 

 

 

 

 

 

Von Danara DeVries

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage, 2023

© Danara DeVries – alle Rechte vorbehalten.

Danara DeVries

c/o easy-shop

K. Mothes

Schloßstraße 20

06869 Coswig (Anhalt)

 

Email:[email protected]

Web: https://www.danara-devries.de

 

Lektorat: Franziska Schenker

 

Bildnachweis via Adobe Stock: Andrei Kukla, nosyrevy, Nessa

Bildnachweise via Shutterstock: Warm_Tail, Flower 3D

Bildnachweise via Freepik: Icd2020, nattha99, freebirdphotos

Coverdesign: M. D. Hirt

 

Verwendete Schriftarten: Linux Libertine, Times New Roman, Trajan 3 Pro, Arial, Cinzel Decorative

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Deine Danara

Prolog

[Keenan]

Das Leben floss aus ihm heraus. Keenan O’Brian konnte es spüren. Die Kälte kroch durch seine Glieder. Sie begann in den Fingerspitzen, den Händen. Seine Füße fühlten sich taub an. Je weniger Blut in seinen Venen zirkulierte, desto mehr kribbelten seine Gliedmaßen. Der Körper kämpfte ums Überleben und nutzte dazu eine uralte Strategie, hielt den Kreislauf kleiner, sodass nur noch das überlebenswichtige Herz ausreichend Blut zum Arbeiten hatte. Bis es schließlich aufhörte zu schlagen.

Keenan befiel eine seltsame Ruhe. Unzählige Wunden übersäten seinen Körper. Er ging jede Wette ein, dass die Klauen eine Schlagader verletzt hatten. Ihm blieben nur ein paar Minuten. Schmerz verspürte er keinen. Wenn überhaupt bedauerte er, dass ihm nicht genügend Zeit geblieben war. Zehn verdammte Jahre sollten genug sein. Menschen mussten sich mit sehr viel weniger zufriedengeben. Doch er war kein Mensch.

Langsam schloss er die Augen, ohne zu wissen, ob er sie je wieder öffnen würde. Das Weinen seiner Liebsten hörte er kaum. Es spielte auch keine Rolle mehr. Er war so müde vom Kämpfen. Zehn Jahre des Glücks waren mehr, als er sich in seinem restlichen Leben erhofft hatte. Als Gefangener bestand seine Haft aus Einsamkeit und Trostlosigkeit. Er sollte in seinem Schmerz verrotten. Doch er hatte gelebt. Und wie er gelebt hatte. Voller Liebe und Zuneigung. Nun wollte er loslassen und einfach nur schlafen. Es war so einfach.

»Keenan! Nein!«

 

[Liv]

10 Jahre zuvor

 

Wenn meine Gedanken zu meinem Leben vor Faith abdrifteten, dachte ich nicht an all die Partys, die tollen Kleider und das leckere Essen. Manch eine Frau in Marshall beneidete mich um mein Leben in New York an der Seite eines Star-Architekten. Sie sahen nur den Glanz und den Glamour, die Schattenseiten blieben ihnen verborgen. Niemand kannte die leuchtende Stadt so wie ich – und kaum einer in unserem beschaulichen Örtchen konnte sich vorstellen, dass der Ruhm auch seinen Preis hatte. Die Fassade musste stimmen, für die Presse, die Kunden, die Publicity. Niemand sah hinter die Kulissen, niemand wollte sehen, was wirklich passierte.

Fast ein Jahr war nach unserer ersten Flucht aus New York vergangen, ein paar Wochen seit der zweiten. Man tuschelte hinter vorgehaltener Hand, dass ich vielleicht lieber bei meinem tollen Ex-Mann hätte bleiben sollen, statt mir einen griesgrämigen Einsiedler ins Haus zu holen, der noch dazu kaum einen Cent besaß. Doch wenn ich abends auf der Couch saß und meinen mürrischen Mitbewohner betrachtete, wurde mir klar, wie wenig die Menschen in Marshall wussten. Von der Welt, von Keenan und was im Wald passiert war.

Wenn uns Keenan bekochte und danach Faith vorlas, vergaß ich fast, dass er kein Mensch war. Innerhalb der letzten Wochen war er zum Vorzeige-Partner mutiert, wenn man mal von dem fehlenden Einkommen absah. Doch Keenan konnte weder Autofahren noch besaß er einen Führerschein oder sonstige Dokumente. Punkt für Punkt wollten wir unsere persönliche Bucket List für ein Leben hier draußen angehen, doch zunächst konzentrierten wir unsere Aufmerksamkeit auf ein anderes Problem.

Pünktlich auf die Minute.

»MOM!«

Keenan sah von seiner Holzarbeit auf, die er am Küchentisch erledigt – geschnitzte Türknäufe für Laurens neue Küche. Kaum einer in Marshall gab ihm Arbeit. Lauren meinte jedoch, dass es an der Zeit sei, lokale Handwerker zu fördern und ein Kunstwerk in ihren vier Wänden doch die perfekte Zurschaustellung seiner Talente wäre. Daher baute Keenan ihr eine neue Küche, komplett aus Holz. Er ging vollkommen darin auf.

»Es geht wieder los«. Keenan legte die Holzarbeit beiseite. »Ich geh schon.«

Als ich Minuten später mit einer warmen Milch und einem Kräutertee das Kinderzimmer betrat, fand ich das übliche Bild vor. Faith, wie sie sich mit tränennassen Wangen an Keenans Hemd klammerte und seiner beruhigenden Stimme lauschte. Ich platzierte die Milch auf dem Nachttisch und reichte den Kräutertee an Keenan weiter.

»Wieder ein Albtraum?« Sacht strich ich ihr eine Strähne aus der Stirn.

»Da war ein Monster, Mom. Es hatte riesige Klauen und solche Zähne.« Faith machte große Augen.

Ich musste schmunzeln, auch wenn ihre Beschreibung ein wenig übertrieb, der Wächter beherrschte noch immer ihre Erinnerung. Vielsagend blickte ich zu Keenan. Bedauern huschte über seine Züge, er drückte ihr einen Kuss auf das Haar.

»Nur ein Albtraum, Kleine. Schlaf jetzt.«

»Aber vorher erzählst du mir noch von einem echten Monster, ja?«

Keenan seufzte. »Es gibt keine Monster.« Sein Blick bohrte sich in meine Augen. Wir wussten beide, dass er log. Das taten wir für Faith. Kinder vergaßen schnell, wenn man ihre Erinnerung mit neuen Erlebnissen füllte. So ganz funktionierte das bei Faith nicht. Die Albträume blieben. Mit schöner Regelmäßigkeit verbrachten wir die Nächte – manchmal zu zweit, manchmal abwechselnd – im Kinderzimmer. Keine Besserung trat ein und einen Psychologen konnten wir nicht aufsuchen. Denn dann hätten wir die Wahrheit erzählen müssen und wir wären sofort eingewiesen worden. Allesamt. Nein, wir mussten eine andere Lösung finden.

 

[Keenan]

»MOM! KEEN!«

Liv raufte sich die Haare. Die Schreie aus dem Kinderzimmer bestimmten ihren Abend. Manchmal erwachte Faith erst gegen Mitternacht, manchmal schlief sie kaum ein, nur um dann gegen drei Uhr morgens aus dem Schlaf hochzuschrecken. Und das war seine Schuld. Er allein trug die Verantwortung wegen ihrer Albträume. Hätte er nicht so vehement an seiner Vergangenheit festgehalten, würde das Kind nicht regelmäßig aus dem Schlaf erwachen und sie stundenlang wachhalten. Heute schien keine gute Nacht zu werden.

Verzweifelt blickte Liv zu ihm auf. Sie war bereits vor dem Abendessen schrecklich erschöpft gewesen, sodass Keen ein einfaches Mahl zubereitet hatte. Nach dem Essen hatte er die Kleine ins Bett gebracht, ihr fast eine Stunde vorgelesen und sich mit ihr unterhalten, bis sie schließlich eingeschlafen war. Als er zurück ins Wohnzimmer gekehrt war, ruhte Liv mit geschlossenen Augen und einem Buch auf der Brust. Vorsichtig hatte er ihr das Buch abgenommen, es mit einem Lesezeichen versehen auf den Tisch gelegt und sich neben sie gesetzt. Liv war kurz erwacht und hatte sich an ihn geschmiegt. Auf seiner Brust war sie fast sofort wieder eingeschlafen.

»Ich kann das nicht mehr.« Tränen schimmerten in ihren Augen.

Zärtlich kämmte Keenan durch ihr Haar. Schuldgefühle verengten seine Kehle. Die Albträume gingen auf sein Konto. Livs Erschöpfung war seine Schuld. Egal, was er anfasste, solange es nicht aus Holz bestand und mit Menschen zu tun hatte, zerstörte er. Doch es gab eine Möglichkeit, die ihnen Frieden und Ruhe schenken könnte. Auch wenn er sich geschworen hatte, nie wieder zu solch drastischen Mitteln zu greifen, Faiths Zustand ließ ihm keine Wahl. Sie musste schlafen, damit Liv sich endlich erholen konnte. Ihm machte die Schlaflosigkeit wenig aus, aber Liv war ein Mensch und Menschen waren schwach.

Keenan küsste sie auf die Stirn und schob sie sanft auf die Polster, um aufstehen zu können. »Ich kümmere mich darum. Ruh dich aus.«

Im Kinderzimmer bot sich ihm das bekannte Bild. Faith saß aufrecht im Bett, die Wangen von Tränen feucht, die Augen weit aufgerissen. Panik zeichnete ihre Züge. Keenan lächelte sanft. »Hattest du einen Albtraum?«

»Ja, das Monster mit den Klauen und den riesigen Zähnen. Rote Augen. Sie haben geglüht und geglommen. Wie die Kohlestückchen in dem Märchenfilm, den wir letztens geschaut haben. Aber ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Kannst du dich noch erinnern?«

Keenan hob die Decke an. »Nein, ich habe in der Zeit das Essen zubereitet. Na, komm, rutsch runter. Es ist kalt. Ich pack dich warm ein.«

Faith rutschte unter die Bettdecke, damit Keenan sie um ihren Körper feststecken konnte. Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du weißt, dass es nur ein Albtraum war, oder? Dass nichts davon real ist?«

Faith wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg. Sie drehte den Kopf in seine Richtung und starrte ihn an. »Es fühlt sich so echt an. Das Monster ist auf unserer Veranda und es greift dich an. Da war überall Blut, so viel Blut. War das dein Blut, Keen?«

Ihr Blick schnürte ihm die Kehle zu. Auch das noch. Bisher träumte sie nur vom Wächter, von seiner imposanten Gestalt, den Augen und den Klauen. Zugegeben, die Erscheinung konnte ein Kind schon verstören. Aber wenn jetzt auch noch der Angriff des Wächters auf ihn hinzukam ... Keenan wusste nicht mehr weiter. Die Albträume wurden schlimmer, nahmen an Intensität zu. Liv war bereits am Ende ihrer Kräfte und an Faiths Müdigkeit tagsüber wollte er gar nicht erst denken. Ms. Caldwell hatte Liv bereits darauf angesprochen und seine Anwesenheit in Livs Haus dafür verantwortlich gemacht. Die Lehrerin wusste nicht, wie recht sie mit ihrer Vermutung hatte. Er war die Ursache für die Albträume, wenn auch in anderer Weise als der vermuteten. Sein Entschluss stand fest. Wenn er vorhin noch hin- und hergerissen war, überzeugten ihn nun Faiths Worte. Er musste zu drastischen Mitteln greifen. Kein Kind sollte mitansehen müssen, was sie gesehen hatte. Und sie würde nie wieder damit belastet werden.

Keenan legte seinen Daumen auf ihre Stirn. »Vertraust du mir?«

Mit großen Augen musterte ihn das Kind. »Ja, was tust du da?«

Ein Lächeln glitt über seine Lippen. »Ich zaubere.«

Faiths Augen wurden groß. »Weil du ein Fae bist?«

Keenan nickte beklommen. »Ja, weil ich ein Fae bin. Und jetzt schlaf.«

Kapitel 1

10 Jahre später

[Faith]

Die Dunkelheit zog mich magisch an. Wann immer ich an diesem Fleckchen Wald vorbeikam, zwang mich ein inneres Bedürfnis, einen Blick in die tiefe Schwärze hineinzuwerfen. Wie oft wünschte ich mir, zwischen den Bäumen hindurch zu streifen und mich von der Dunkelheit verschlingen zu lassen. Wie fühlte sich die Finsternis an? Ob ich dort frieren würde? Kam wirklich kein Sonnenstrahl durch das dichte Blätterdach? Unzählige Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Und dann sah ich … etwas. In weiter Ferne blitzte es rot auf. Ich kniff die Augen zusammen, um es genauer sehen zu können. Aber es war weg. Hastig wandte ich mich ab. Nur eine Sinnestäuschung.

Urplötzlich erfasste mich eine unsägliche Angst. Kein Schauern oder Frösteln, nein, meine Nackenhaare stellten sich auf, mein Herzschlag beschleunigte. Als würde mein Körper etwas wissen, wovon ich nicht die leiseste Ahnung hatte. Was war nur los mit mir? Die Reaktion irritierte mich. Nur ein paar Bäume! Stoisch ging ich weiter.

»Faith ...« Abbies zitternde Stimme zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie schien es auch zu spüren.

»Was?« Die Anspannung zerrte an meiner Konzentration. Meine Worte klangen härter, als ich normalerweise mit ihr sprach.

Abbies Augen weiteten sich. Ihr Blick ging an mir vorbei, verlor sich in der Finsternis zwischen den Bäumen. Wie ferngesteuert hob sie die Hand und deutete in den Wald. Mein Herzschlag legte noch einen Zahn zu. Ihre Miene ließ keinen anderen Schluss zu. Sie sah irgendetwas Grauenvolles. Mit dem verstörenden Gefühl im Nacken folgte ich ihrem Fingerzeig und spürte im gleichen Moment, wie mein Puls stolperte. Entsetzt sog ich die Luft ein. Die Angst versteinerte meine Glieder, ihr Keuchen nahm ich kaum wahr.

Zwischen den Stämmen starrten mich zwei rote Augen an, glühenden Kohlen gleich, umrahmt von absoluter Finsternis. Mir stockte der Atem. Mein Herz hämmerte heftig gegen die Innenseite meines Brustkorbs. Schmerzgeplagt griff ich mir an die Brust. Jeder Muskel in meinem Körper schrie vor Anspannung auf, rief mir zu, mich umzudrehen und hastig das Weite zu suchen. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Die Kohleaugen hielten mich fest in ihrem Bann, saugten regelrecht an mir.

Mein Sichtfeld krümmte sich zusammen. Das Sonnenlicht, das die Umgebung erhellte, verwischte, als würde das Monster an der Wirklichkeit zerren und mich zu sich saugen. Ich spürte den Zug in jeder Faser meines Körpers. Fester, immer fester, bis ich mein Bein hob, um einen Schritt vorwärtszumachen.

»Faith, nein!« Abbie schrie meinen Namen. Hände packten mich und zerrten mich zurück. Der Bann brach.

Als ich wieder zu mir kam, hockte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf der Bordsteinkante. Abbie saß vor mir und hielt meine Hand. Mein Kopf dröhnte. Ich atmete tief durch und rieb mir die Nasenwurzel. Wie auch immer ich hierhergekommen war, ich konnte mich nicht erinnern. »Was ist passiert?« Die Stimme in meinem Hals klang fremd und surreal.

»Du warst voll weggetreten. Die Augen ...« Abbie schüttelte sich. Verunsichert warf sie einen Blick in den Wald. »Hast du sie gesehen? Die Augen?«

Ich schluckte und nickte. »Was zur Hölle war das?«

Abbie schnaubte wütend. »Wir hätten nicht herkommen sollen. Dir hätte sonst was passieren können ... wenn du da reingegangen wärst.«

Ich betrachtete meine Freundin mit einem Lächeln. Abbie zeichnete sich vielleicht nicht durch besonders großen Mut aus, aber sie besaß ein Kämpferherz und setzte sich für mich ein. Deshalb liebte ich sie auch so sehr.

Mein Blick verlor sich zwischen den Bäumen, doch die Kohleaugen blieben verschwunden. Was genau jagte mir so eine Heidenangst ein? Täuschte ich mich? Abbie hatte die Kohleaugen auch gesehen. »Nein. Du hast recht. Wir hätten nicht herkommen sollen.«

Abbie atmete erleichtert aus.

»Aber mich würde trotzdem interessieren, was das war.«

»Spinnst du?« Abbie ergriff meinen Arm.

Ich seufzte. »Beruhige dich, ich habe nicht vor, dort reinzugehen, aber ich könnte Keenan fragen.« Und zugeben, dass ich wissentlich seine Anweisungen ignorierte? Träum weiter.

»Hast du Schiss?« Ich wackelte mit den Augenbrauen.

»Definitiv. Und du? Als die Augen dich angesehen haben?«

»Eine Scheißangst.«

Abbie kicherte. »Faith Jenkins gibt zu, dass sie Angst hat. Dass ich das noch erleben darf!«

 

[Liv]

Mit einem Teenager im Haus zu leben, bedeutete, ständig auf der Hut zu sein. Jedes Wort, das Keenan oder ich sagten, wurde uns sofort im Mund herumgedreht. Dabei spielte das Thema nicht mal eine besonders wichtige Rolle. Hauptsache, Madame konnte sich streiten. Da kam sie ganz nach mir. In den letzten Monaten wurde mir allerdings klar, dass Faith nicht ewig durchs Haus poltern wird. Irgendwann werden wir uns nicht mehr ständig umsehen müssen, ob sie auch ja nichts mitbekam von Keenans ... Andersartigkeit.

Klar wusste ich, was er vor zehn Jahren getan hatte. Ihr die Erinnerung genommen hatte. Von einen auf den anderen Tag war Faith wie ausgewechselt gewesen. Die Albträume verschwanden spurlos. Sofort sprang mein Mutter-Radar an. Irgendwas war faul an der Sache. Also fuhr ich eines Tages nach der Schule einen Umweg, direkt am Wald entlang und fragte meine Tochter, ob sie denn etwas erkannte. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. Daraufhin stellte ich meinen lieben Freund zur Rede. Natürlich wusste er von nichts. Mein Glück, dass er mir seinen wahren Namen verraten hatte, und vor allem, welche Kraft dieser besaß.

Unter immenser Gegenwehr versuchte er die Wahrheit vor mir zu verheimlichen. Er hatte ihr die Erinnerung genommen.

Eine Gänsehaut überzog meine Arme. Wir sprachen nie über den Vorfall oder aber über das, was er davor getan hatte.

Zu groß war meine Angst, Keenan doch noch nicht verziehen zu haben. Er war damals bereit gewesen, Faith zu opfern, um in seine Welt zurückkehren zu können. Schlussendlich hatte er sich anders, für uns und gegen seine Heimat. Er fühlte sich deswegen auch nach so langer Zeit noch immer schuldig, obwohl er sein Leben für uns geben wollte. Also taten wir so, als ob sie niemals passiert wären, als ob Keenan ein ganz normaler Mann sei und kein ... Fae.

Wenn man mal von seinem wirklich beeindruckenden äußeren Erscheinungsbild absah, deutete nichts auf seine wahre Natur hin. Okay, er verhielt sich hin und wieder recht seltsam. Manche seiner Ansichten erschienen antiquiert und an seiner Akzeptanz von weiblicher Emanzipation arbeiteten wir weiterhin. Wobei ich mir wirklich nicht sicher war, ob sein Verhalten bei einer faeischen Frau ähnlich rückständig wäre. Nein, ich war sogar fest davon überzeugt, dass er eine Frau seiner Art eher wie seinesgleichen behandeln würde. Aber wir arbeiteten daran. Ich liebte ihn aufrichtig und verdankte ihm einiges.

»Liv, bist du da?«

Ich stellte die Kaffeetasse ab und lächelte. Wenn man vom Teufel sprach. Wobei Teufel tatsächlich als Bezeichnung für Keenan passte. Obwohl er sich in den letzten Jahren als äußerst lernfähig und zivilisiert erwies, so war er, was er war. Mein Krieger.

»Schon zurück?«, begrüßte ich ihn, als er sich mit verschränkten Armen gegen den Rahmen der Küchentür lehnte.

»Mmh«, murrte er einsilbig. Keenan sah noch genauso aus wie vor zehn Jahren, als wir uns kennengelernt haben. Er trug das Haar nun etwas länger, sodass er einen ganz ansehnlichen Zopf binden konnte, sein Bart war voller und ein paar winzige Fältchen bildeten sich um seine Augen. Lachfältchen.

Mir hingegen machten zehn Jahre etwas aus. Nun, mit fast Ende dreißig gehörte ich längst nicht zum alten Eisen und ich fühlte mich auf jeden Fall attraktiv, aber es machte schon einen Unterschied, wenn der Partner langsamer alterte – oder es praktisch überhaupt nicht tat.

»Kein Holz?«

Keenan schüttelte den Kopf und stieß sich vom Türrahmen ab. »Beschissene Qualität. Ich muss selber schlagen gehen.« Keenan ging keiner geregelten Arbeit nach, er erschuf Kunstwerke aus Holz und verwendete nur die besten Materialien. Seit er einen Führerschein besaß, fuhr er mit dem Pick-up, den er sich vom Bau von Laurens Küche und dem Erlös einer Ausstellung in Marshall gekauft hatte, Hunderte Meilen für das perfekte Holz. Wenn ich ihn ärgern wollte, bezeichnete ich seinen Perfektionismus als Wahnsinn. Das, was er suchte, existierte kaum. Doch er war unermüdlich. Vor zwei Wochen brach er nach Colorado auf, um sich Tothölzer in einem Nationalpark anzusehen. Intakte Bäume zu fällen verbot sein innerer Ehrenkodex. Fae waren schon manchmal sehr verschroben.

»Ich dachte, du fällst keine Bäume.«

Keenan setzte sich mir gegenüber. »Ich fälle Totholz. Nicht jeder noch stehende Baum lebt.«

Ich nickte. »Wann willst du los?«

Er zuckte mit den Schultern. »Gestern? Ich brauche dringend Nachschub. Wo ist Faith?« Suchend blickte er sich in der Küche um. Normalerweise stürmte sie begeistert die untere Etage, wenn Keenan seine Werkstatt verließ oder – wie heute – von einer Tour zurückkehrte. Zwischen meiner Tochter und ihm existierte eine tiefe Bindung. Es war fast so, als hätte der Ereignisse ein unsichtbares Band zwischen ihnen erschaffen, ohne dass Faith sich erinnern konnte. Aber vielleicht existierte noch ein winziger Rest in ihrem Unterbewusstsein?

»Mit Abbie unterwegs.«

Keenan runzelte die Stirn. »Hat sie ihr Training absolviert?«

Nicht das schon wieder. Normale Männer bildeten ihre Töchter nicht an Pfeil und Bogen aus, doch Keenan war auch nicht Faiths Vater. Trotzdem übernahm er gewissermaßen die Rolle und füllte sie mit für Fae typischen Handlungsweisen. Mit zehn Jahren hatte sie mit dem Bogenschießen begonnen und war bereits nach kurzem Training richtig gut gewesen. Je älter Faith geworden war, desto ausgefeilter waren die Waffen und Techniken geworden. Faith konnte sowohl mit dem Dolch als auch mit einem für ihre Größe passenden Schwert umgehen. Aktuell arbeitete Keenan daran, ihr die Benutzung seiner komplexen Armbrust beizubringen.

Nur fürs Protokoll: Ich war dagegen. Von Anfang an. Kein Kind sollte wissen, wie man mit Waffen hantierte. Doch bei Faiths Erziehung lief nichts normal. Was als Spaß begonnen hatte, war schnell zu einer Art Obsession geworden und ich mochte es eigentlich, dass die beiden Zeit miteinander verbrachten. Nur über das Wie war ich nicht immer glücklich. Umso schöner fand ich es, wenn sie mit Abbie unterwegs war.

»Sie kann auch mal etwas anderes machen, als trainieren. Deine Waffen sind nicht alles.«

Keenan musterte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen, sodass ich meine Meinung revidierte. Sein Waffentick ging ihm über alles.

»Nein, Himmel, du sturer Bock. Jetzt lass sie doch machen, was normale Teenager machen. Ich meine, wir sind allein. Musst du nicht ... duschen? Nach der langen Fahrt?« Vielsagend zupfte ich an seinem verschmutzten Hemd herum.

Keenans Augen weiteten sich, bevor sie einen dunklen Glanz annahmen. In den letzten Jahren hatte ich gelernt, die sich je nach Stimmungslage ändernde Farbe seiner Iris einzuschätzen. War Keenan wütend, konnten sie fast schwarz erscheinen. Stritten wir allerdings miteinander, endete es meistens in strahlendem Grün und das bedeutete ... Lust. Sehr viel Lust.

»Du böses, böses Mädchen«, knurrte er und erhob sich.

»Wir dürfen diese Gelegenheit auf keinen Fall ungenutzt verstreichen lassen. Auch wenn du schrecklich müde bist, mein Lieber.«

Keenan reichte mir die Hand und riss mich schwungvoll auf die Beine. Ich legte die Handfläche auf seine Brust, spürte kräftige Muskeln und einen starken Herzschlag. Wie von selbst spannte er sich unter meiner Berührung an, zog mich enger an sich und umarmte mich. Ich hob den Kopf und spitzte die Lippen.

»Was wird das?« Keenans Brust vibrierte vom tiefen Klang seiner samtigen Stimme.

»Du hast mir noch keinen Begrüßungskuss gegeben. Keine ... Dusche ohne anständige Begrüßung.«

Keenans Lachen verstärkte die Vibrationen unter meiner Hand. »So, so. Du forderst diesen alten Mann ganz schön.«

»Ach was, jetzt bist du auf einmal alt? Früher hat dich das auch nicht gestört und wage es nicht, auf faeische Maßstäbe hinzuweisen. Ich weiß, dass du mindestens 60 Jahre auf dem Buckel hast.«

Keenan grinste. »Eher mehr, aber darauf kommt es nicht an. Und jetzt sei still, sonst muss ich dich zum Schweigen bringen.«

Ich schnurrte hingebungsvoll. »Oh, bitte. Tu dir keinen Zwang an.«

 

*

 

Ich liebte das Zusammenleben mit Keenan und Faith. Mit den beiden wurde es niemals langweilig. Faiths ungestümes Wesen sorgte für kaum eine ruhige Woche und Keenans Andersartigkeit verlieh unserem Zuhause eine würzige Note. Vor allem, wenn wir allein waren. Meine bisherigen Beziehungen konnten Keenan nicht das Wasser reichen. Ich fand, jede Frau auf diesem Planeten verdiente einen Fae. Aber ich hatte tatsächlich einen. Wenn er mich liebte, fühlte ich mich wie eine Königin. Die Zufriedenheit, die das Zusammensein mit ihm in mir auslöste, trug einen Großteil zu meinem ganz persönlichen Glück bei. Wie sollte ich nicht mit so einem Mann ausfüllt sein? Er kochte und putzte. Jeden Wunsch las er mir von den Augen ab. Okay, das könnte mit seinen Fae-Fähigkeiten zu tun haben. Auch wenn Keenan felsenfest behauptete, ohne seine Flügel und den Verlust des Waldes über kein Quäntchen Magie mehr zu verfügen, so glaubte ich doch, dass er ein wenig zurückbehalten hatte. Oder aber eine gehörige Portion Intuition.

Das Wasser rauschte, als ich die Treppen nach oben stieg. Ich gab ihm einen kleinen Vorsprung, weil ich es liebte, hinter ihm in die Dusche zu klettern. Den unordentlichen Kleiderhaufen im Schlafzimmer ignorierte ich großzügig. Kein Mann war perfekt. Er konnte sehr wohl Ordnung halten, nur fand er, dass ich zu viel Zeug besaß. Keenan war eher der Minimalist. Wenn es nach ihm ging, hätten wir genau drei Gabeln. Keenan hingegen gab wenig auf Äußerlichkeiten und das machte ihn umso attraktiver. Zusätzlich zu all den Muskeln.

Ich rollte mit den Augen, entledigte mich meiner Kleidung und ließ sie achtlos auf dem Boden liegen. Ja, okay, ich würde sie später wieder anziehen und auf dem Bett abladen konnte ich sie nicht. Das brauchten wir vielleicht noch. Ich kicherte, lauschte dem verheißungsvollen Rauschen der Dusche, bevor ich durch die angelehnte Badezimmertür schlüpfte und hinter meinem Freund in die Kabine stieg. Dieses Haus besaß viele Vorzüge. Neben dem Badezimmer direkt hinter dem Schlafzimmer auch diese extrem große Dusche, die genug Platz für zwei bot.

Keenan hielt in seinen Bewegungen inne und verharrte in Erwartung. Natürlich registrierte er mich, aber er wusste, wie gern ich mich anschlich, also täuschte er vor, mich nicht bemerkt zu haben. Still lächelte ich in mich hinein und legte meine Hände auf seine schmalen Hüftknochen. Keenans Kopf kippte in den Nacken und ich schmiegte mich an ihn.

»Mhm, wo warst du denn so lange?« Seine Hände verteilten den Seifenschaum über den definierten Muskeln.

Ich nahm Seife auf und glitt tiefer. Keenan spannte sich an.

»Ich wollte dich in der Dusche überraschen.«

Keenan lachte leise. Überheblichkeit schwang in dem Klang mit. Ich könnte ihn nie überlisten und er würde nie aus seiner Haut herausschlüpfen. Arroganz und ein gewisses Maß an Herablassung lag ihm im Blut. »Das ist dir gelungen.« Er passte sein Verhalten an, versuchte, meinen Erwartungen zu entsprechen. Nicht immer gelang es ihm.

»Danke.« Ich küsste seine Schulterblätter.

Instinktiv verkrampfte sich Keenan. Auch noch nach so vielen Jahren kam er nicht über den Verlust seiner Flügel hinweg. Wann immer ich ihn am Rücken berührte, zuckte er zusammen. Doch ich wusste um seine Reaktion und ließ meine Hände tiefer wandern, umschloss ihn und seifte ihn ein. Keenan stöhnte leise und entspannte sich spürbar.

»Oh, Liv.« Er seufzte. »Du hast keine Ahnung, wie viel Glück du mir schenkst. Jeden Tag.«

In meinen Händen wurde er größer, härter. Keine Zauberei, nur simple Lust. Keenans Atem beschleunigte sich. Scharf sog er die Luft ein und drehte sich in meinen Armen um. Seine Hände umschlossen mein Gesicht. Zärtlich strich er über meine Wangen und lächelte mich an. Das Wasser prasselte als sanfter Regen auf uns nieder, unsere Blicke verhakten sich ineinander. Als Keenan meine Lippen mit den seinen berührte, schloss ich hingebungsvoll die Lider und lehnte mich an ihn. Meine Handflächen fuhren über seine Haut, tiefer, bis ich seine kräftigen Pobacken hielt und ihn an mich drückte. Seine Erregung drängte gegen meine Scham. Ich grinste zufrieden. Genau dort wollte ich ihn spüren.

Keenan keuchte in meinen Mund. »Du ... unerhörtes ... Weibsbild.«

Ich lachte und hob ein Bein an. Keenan griff nach meiner Kniekehle und schob mich gegen die Fliesen. Kühle Keramik bildete einen herben Kontrast zu der Hitze meines Körpers. Ich lehnte meinen Kopf an die Wand und vergaß Raum und Zeit. Faeischer Sex war im wahrsten Sinne des Wortes abgehoben.

Kapitel 2

[Liv]

Wohlig rekelte ich mich in Keenans Armen. Die Nachwehen ebbten langsam ab. Wenn er mich nicht festhielt, würde ich auf dem Boden der Dusche zerfließen. Wie heißes Wachs. Zärtlich wanderten meine Finger über seine Oberarme.

»Du solltest niemals mit dem Holzhacken aufhören. Niemals.«

Keens Brust vibrierte sanft. Manchmal kam er mir mit seinem tiefschwarzen Haar, dem dunklen Bart und den angriffslustig blitzenden Augen wie ein gezähmter Keiler vor. Ein Monster, das ich aus dem Wald mit nach Hause genommen und mit sanften Streicheleinheiten zivilisationstauglich gemacht hatte.

»Wie es der Dame beliebt.« Er senkte die Lider, neigte leicht den Kopf und küsste mich. Gott, diesen Mann zu haben verdiente ich nicht.

Während ich erneut in seinen Küssen versank, spürte ich einen Luftzug. Ich schielte zur Badezimmertür, die einen Spalt offen stand. Wenn man so lange in einem Haus wohnte wie wir, kannte man jede Macke. Unser Fenster war angekippt. Sobald jemand die Haustür aufschloss, schob der entstehende Sog die Badezimmertür auf, und das wiederum erzeugte ein bekanntes Knarzen. Es gab nur eine Person, die einen Schlüssel besaß, und die sollte uns nicht unter der Dusche erwischen. Nackt. Knutschend.

Hastig löste ich mich von Keenan. »Faith, sie ist zurück.«

Keenan stieß ein Knurren aus. »Ich war aber noch gar nicht fertig.«

Liebevoll tätschelte ich seine Brust. »Wir machen später weiter.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Tatsächlich? In diesem Haus ist nicht genug Platz für uns und ... Faith. Oder du solltest deine Einstellung überdenken. Sex ist etwas ganz Natürliches und nichts ...«

»... was eine Sechzehnjährige von ihrer Mutter wissen muss. Ich fahre ganz gut damit, dass sie denkt, wir würden ... im Schlafzimmer tatsächlich nur schlafen.« Ich öffnete die Kabinentür und kletterte aus der Dusche.

»Wir müssen nicht schlafen, wenn du leise sein könntest.« Er grinste, während er sich den Rest Seifenschaum von seinem Körper wusch. Dabei wandte er mir den Rücken zu. Mein Blick fiel auf die Narben. Ich war die Einzige, die sie je hatte sehen dürfen. Wir sprachen nie darüber. Ohne seine Flügel sah sich Keenan als Krüppel, doch ich hatte es mit viel Geduld in all den Jahren geschafft, dass er vielleicht glücklich sein konnte. Glaubte ich. Hoffte ich. Wenn nicht, war er ein verdammt guter Schauspieler.

»Willst du damit etwa sagen, dass ich ...?«

Keenan warf mir einen Blick über die Schulter zu. Seine Augen glänzten verrucht. »Nein.«

Ich seufzte ergeben. »Du machst mich irre.«

»MOM!« Faith suchte uns bereits. Entweder ich beeilte mich oder ich konnte mein Vorhaben, nicht von ihr nackt im Bade- oder Schlafzimmer erwischt zu werden, vergessen. Hastig griff ich nach einem Handtuch und wickelte mich ein. »Wir sehen uns unten. Beeil dich.«

Keenan verdrehte die Augen, nickte aber dann. »Wie immer Euch zu Diensten.«

Kichernd verließ ich das Badezimmer, suchte hastig meine Sachen zusammen. In Rekordzeit zog ich mich an und eilte die Treppe hinunter. Faith befand sich in der Küche und schloss gerade die Kühlschranktür. Ich lächelte sanft. Typisch Teenager, immer hungrig. Sie hielt ein Sandwich in der Hand, biss herzhaft hinein.

»Warst du duschen? Am Nachmittag? Sehr untypisch für dich.«

»Ähm ... mir war danach.«

Faith hob eine Augenbraue. »Okay ... kann Abbie heute bei uns schlafen? Wir ...« Sie deutete ins Wohnzimmer, wo ich Abbies braunen Schopf hinter der Lehne erspähte. Auf dem Flatscreen flimmerte bereits die Bedienoberfläche der Spielekonsole. Der Teller in Faiths Hand mit den Sandwiches vom Mittagessen erklärte ihr Vorhaben: Zocken und essen.

»Natürlich. Aber könntet ihr vielleicht am Tisch essen. Ich kann euch auch schnell etwas kochen.« Ich griff nach der Schranktür, hinter der sich die Töpfe verbargen. »Nudeln?«

Faith verzog das Gesicht. »Mom, du kannst nicht kochen.«

Was auch der Grund für die Sandwiches war. Normalerweise schwang Keenan den Kochlöffel und verzauberte unsere Gaumen mit köstlichen, vegetarischen Gerichten. Doch da er die letzten beiden Wochen unterwegs gewesen war, musste meine Tochter notgedrungen mit meinen Kochkünsten vorliebnehmen – oder Sandwiches in sich hineinstopfen.

»Ich kann kochen!«

»Kannst du nicht.« Keenan kam die Treppe herunter und schloss die verdutzt kauende Faith in eine große Umarmung. »Hey, mo dhochas.«

Irgendwann vor zehn Jahren war Keenan dazu übergegangen, Faith nicht länger als das Kind zu bezeichnen. Meistens benutzte er ihren Namen, aber es gab da diese Momente, in denen er in eine andere Sprache verfiel und sie mit Spitznamen betitelte, die keiner von uns verstand. Doch die Bedeutung von mo dhochas kannte ich: meine Hoffnung. Manchmal zerriss es mir das Herz, wenn er sie so nannte.

Faith keuchte in seiner kraftvollen Umarmung. »Keen, lass mich los!« Sie sah zu ihm auf.

Sanft lächelte er auf sie herab, löste sich etwas von ihr und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Ungern.«

Faiths Nase kräuselte sich. »Du warst auch duschen. Was für ein Zufall.« Meine Tochter neigte vielsagend das Kinn in meine Richtung und zog die Augenbrauen hoch.

Ich holte tief Luft, doch Keenan antwortete an meiner Stelle. »Siehst du, du brauchst gar nicht erst versuchen, ihr irgendetwas verheimlichen zu wollen. Sie war schon immer sehr clever. Ganz wie die Mutter.« Keenan grinste breit. »Was wollt ihr essen? Ich habe von einem Markt in Newport frischen Spinat mitgebracht. Was haltet ihr von indisch?«

Faith verzog das Gesicht. »Was hältst du von Makkaroni mit Käse? Du kannst ja deinen Spinat dazu machen.«

Keenan rümpfte die Nase, aber er würde Faith niemals einen Wunsch abschlagen. »Kommt sofort.«

 

*

 

Eine gute Stunde später saßen wir gemeinsam um den großen, ovalen Esstisch und genossen Keenans weltbeste Makkaroni mit Käse und einen herzhaften Spinatsalat. Ich schwelgte in jedem Bissen und seufzte ihn glücklich an. Keenan warf mir über seine Gabel hinweg ständig intensive Blicke zu, die ich ungeniert erwiderte. Mein Körper summte vor ungestillter Erregung. Herrje, ja, wir hatten erst miteinander geschlafen, aber es war nicht genug. Von diesem Mann würde ich niemals die Nase voll haben. Mir fehlten zwei verdammte Wochen, in denen er quer durchs halbe Land für ein paar Blöcke Totholz gefahren war. Ich verspürte dringend Nachholbedarf.

Keenans Blick brannte sich in meine Iris. Er schob sich eine Gabel Spinat in den Mund, kaute und stöhnte auf. Anscheinend schmeckte es ihm. Dabei leckten seine Augen förmlich mein Gesicht ab und ich wünschte mir, seine Zunge würde mich streicheln, statt den Spinat hin und herzuschieben. Unwillkürlich biss ich mir auf die Unterlippe, seufzte und genoss einen weiteren Bissen cremiger Nudeln. Pasta hatte er wirklich drauf. Und sie war sein einziges Zugeständnis an unseren modernen Lebensstil. Er verwendete nicht mal eine normale Gabel, wir benutzten kein Besteck, wie es andere amerikanische Haushalte taten. Nein, wir aßen mit Holz. Sowohl die Teller als auch unser Besteck bestanden aus Bambus. So fehlte auch das übliche Geklapper. Selbstredend, dass auch Holz auf Holz Geräusche erzeugte, doch heute Abend fehlte selbst das.

Irritiert blinzelte ich und musterte die beiden Teenager. Faith und Abbie stocherten lustlos in ihrem Lieblingsessen herum. Da stimmte doch irgendwas nicht.

Mein Blick suchte den meines Mannes. Fae oder Mensch, Keenan bedeutete mir unglaublich viel. Für mich war er mein Mann, ob mit oder ohne Heirat. Ich zog die Augenbrauen hoch, um ihm zu signalisieren, dass ich das Verhalten der Mädchen eigenartig fand. Keenan verzog das Gesicht und grunzte seine Zustimmung. Niemand konnte so viel aussagen, indem er praktisch nichts sagte.

»Alles klar bei euch?« Keen warf einen knappen Blick in die Runde und spießte eine Nudel auf. Er beherrschte es meisterhaft, jede noch so kleine Information aus den Kindern herauszulocken. Mit mir redeten sie nie, aber dem Typen, der sich praktisch kaum für ihre Belange interessierte, erzählten sie alles. Vielleicht weil sie seine so geringe Aufmerksamkeit besonders genießen wollten. Wer verstand schon Teenager?

»Ja, alles paletti«, murmelte Faith und schob ihren halb vollen Teller von sich.

»Ich bin satt.« Abbie legte die Gabel beiseite.

»Dürfen wir auf der Playstation zocken?«

Keenan zog die Augenbrauen hoch und suchte meinen Blick. Alles klar, nichts war klar. Und er bat mich um Rückendeckung. Wortlose Kommunikation wie bei einem alten Ehepaar. Ein warmes Gefühl flutete meine Sinne. Zufrieden lächelte ich in mich hinein. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Zeit, die Spielverderberin zu sein. Als hätte mir Keenan einen unsichtbaren Staffelstab gegeben, übernahm ich das Gespräch. »Gleich. Was habt ihr denn heute Nachmittag gemacht? Keen war zwei Wochen unterwegs. Vielleicht hat er Lust auf ein Gespräch?«

Faith sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an, als sei er schuld daran, dass sie nicht aufstehen durften. »Nur so abgehangen halt.«

»Hier und dort.« Abbie übernahm die Unterstützerrolle. Wie immer.

Keenan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verengte die Augen. Er suchte die Lüge. Manchmal war es schon praktisch, jemanden im Haus zu haben, der anhand der Körpersprache erkennen konnte, wie ein Gegenüber drauf war.

»Und wo genau ist hier und dort?«, bohrte ich nach.

»Wir waren unterwegs! Reicht‘s jetzt, Mom? Was soll dieses Verhör?« Faith sprang auf, was wiederum Keenan dazu veranlasste, die Augenbrauen zusammenzuziehen.

»Setz dich wieder, Faith.« Der bedrohliche Unterton in seiner Stimme ließ sie sofort gehorchen. Abbie zog den Kopf ein.

Faith fixierte mich, bevor sie sich an Keenan wandte und ein Starrduell mit ihm ausfocht.

Wo zur Hölle waren die Mädchen gewesen? Allein durch Faiths Reaktion schloss ich darauf, dass irgendetwas heute Nachmittag schiefgelaufen war. Normalerweise plapperten die zwei munter drauflos. Gerade wenn Keen von einer Reise wiederkam, standen die Münder nicht still. Man musste sie ermahnen, etwas zu essen. Aber heute ... Makkaroni verklebten mir den Magen. Ich spürte jede schwere Nudel rumoren.

»Was ist passiert? Abbie?« Mein Blick fokussierte sich auf die beste Freundin meiner Tochter – und auf das schwächste Glied. Nicht, dass ich Abbie nicht liebte wie mein eigenes Kind und ihr viel zutraute, aber in Sachen Trotzkopf konnte sie Faith nicht das Wasser reichen.

»Mom, das ist total unfair. Du weißt, dass Abbie –«

»Wir waren am Wald«, platzte es aus Abbie heraus.

Keen versteifte sich und drückte den Rücken durch. »Ihr wart wo?«, donnerte er. »Der Wald ist gefährlich. Habt ihr das etwa vergessen?«

Abbie erzitterte und starrte Keenan an wie das sprichwörtliche Kaninchen die Schlange. Wenn er wütend wurde, konnte er richtig bedrohlich wirken. Und ich wollte nicht, dass sich sein Zorn auf Abbie richtete. Sie hatte damit nichts zu tun. Beruhigend legte ich meine Hand auf Keenans Arm.

»Nein, haben wir nicht. Du hast uns nur nie erzählt, was an dem Wald nicht stimmt. Es ist nur ein Wald, verdammt!« Faith trat neben Abbie und drückte ihre Schultern. Mein Herz zog sich vor Rührung zusammen. Trotz der angespannten Situation war ich stolz auf meine Tochter, dass sie sich für ihre Freundin einsetzte und sie verteidigte. Dennoch musste ich ein Machtwort sprechen. Der Wald war gefährlich.

»Faith, ihr sollt nicht am Wald entlanggehen. Du weißt doch, dass dort Gefahren lauern.«

Abbie blinzelte irritiert.

»Nein, weiß ich eben nicht!«

Ich seufzte. »Geht einfach nicht mehr dorthin, ja? Vielleicht lebt dort ein Grizzly? Immerhin sind wir in den Bergen. Hier gibt es Bären.« Mein Blick huschte zu Keenan. Er betrachtete Faith mit einer Mischung aus Sorge und Wut. Ob er sich darüber Gedanken machte, dass sein Erinnerungszauber nachließ? War das überhaupt möglich? Ich riss mich von seinem Anblick los und konzentrierte mich wieder auf Faith.

»Es gibt dort keine Bären, Mom! Ihr habt mir nie erklärt, warum wir nicht in den Wald dürfen. Bei euch gab es immer nur Verbote. Dürfen wir jetzt endlich zocken?«

Ich seufzte und nickte. Die Mädchen erhoben sich, während meine Gedanken Achterbahn fuhren. Himmel, wenn sie in den Wald ging! Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn sie auf den Wächter traf. Mein Magen zog sich zusammen und als ich Keenan anblickte, presste er die Lippen zusammen. Sein Kinn zitterte. Was, wenn der Wächter auf Faith aufmerksam wurde und beschloss, den Wald zu verlassen?

»Keen? Mach dir keine Sorgen. Sie sind hier. Alles ist gut.« Trotz all der ruhigen Jahre vergaßen wir niemals, was dort hauste und damit gedroht hatte, Keenan zu töten, falls er sich jemals wieder dem Wald nähern sollte. Keenan könnte Faith nicht folgen. Sie wäre auf sich allein gestellt. Natürlich hatte er Angst um sie.

Keen hob den Kopf und sah mich an. Er verzog das Gesicht zu einem halben Lächeln. »Natürlich. Aber ihr muss klar sein, dass sie nicht dorthin gehen darf. Es ist zu gefährlich.«

»Ist es. Und Faith zu neugierig. Sie liebt das Abenteuer. Was, wenn sie hineingeht und er ...«

Keenan blickte mich an. »Wir haben es ihr verboten.«

»Teenager neigen dazu, erst richtig neugierig zu werden, sobald man ein Verbot ausspricht. Wir hätten es ihr sagen sollen, irgendwann ... Wir hätten ihr die Wahrheit sagen müssen.«

Keenan starrte mich an. »Wie stellst du dir das bitte vor? Dass wir ihr einfach hätten sagen sollen, was passiert war? Was ich vorhatte zu tun?« Er haute mit der Faust auf den Tisch, atmete laut aus. »Dass sie Albträume hatte von einem Monster mit roten Augen, das nur aus einem schwebenden Oberkörper bestand, mit riesigen Klauenhänden? Dass ich fast hier auf der Veranda gestorben wäre?« Keenan wedelte mit der Hand in die Richtung. »Dass dort, wo jetzt die Rosen blühen, eine Leiche gelegen hatte? Und dass ich ihr deshalb die Erinnerung nehmen musste, weil sie jede Nacht schreiend und panisch aufgewacht ist? Wie stellst du dir das vor?«

Ich stieß einen Seufzer aus. Nein, er hatte recht. Wir hätten es ihr nicht erklären können. Doch bevor ich ihm antworten konnte, unterbrach eine Stimme meine Gedanken.

»Du hast was getan?«

 

Kapitel 3

[Faith]

Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte. Wie war das möglich? Konnte man einem Menschen die Erinnerung nehmen? Ich ging zwar noch zur Schule, aber so naiv, dass ich daran glaubte, war ich nicht. Dennoch, der Schmerz, den Keens Worte hinterließen, fraß sich in meinen Verstand und erzeugten eine noch nie da gewesene Wut. So lange ich denken konnte, verbot er mir, dem Wald auch nur zu nahe zu kommen. Mich quälte dieses Unwissen, dass da etwas zwischen den Stämmen lauerte und ich keine Ahnung hatte, was es war. Und dann bekam ich durch Zufall mit, dass der Mann, den ich für meinen Stiefvater hielt, mir als Kind die Erinnerung genommen hatte?

What the fuck!

»Mom?« Ich schluckte und suchte ihren Blick. »Was ist hier los?«

Mom atmete tief durch. »Wir sollten das morgen besprechen, wenn Abbie –«

»Abbie ist im Bad. Das wird eine Weile dauern. Ich will jetzt wissen, was das zu bedeuten hat.« Mein Zorn rollte sich wie eine Schlange in meinem Magen zusammen und quirlte sich einmal quer durch die Makkaroni. Gott sei Dank hatte mir die Erinnerung an das Erlebte den Appetit verdorben. Nicht auszudenken, wo die Schlange hätte Platz finden sollen, wenn ich mich mit meinem Lieblingsessen vollgestopft hätte. Ich sah Keen an, doch er wich mir aus und die Schlange in meinem Magen hob den Kopf, richtete ihre Aufmerksamkeit uneingeschränkt auf ihn. »Wir werden das jetzt besprechen.« Ich setzte mich wieder an den Tisch und starrte meine Eltern an. Hier würde ich mich nur unter einer Voraussetzung wegbewegen: Wenn ich die Wahrheit kannte, und zwar die Ganze.

Mom lächelte und verdrehte die Augen. »Du hast einen ganz schönen Dickschädel.«

»Ich weiß auch, von wem sie den hat.«

»Nicht lustig.« Ich warf Keenan einen bösen Blick zu. Unbeeindruckt verschränkte er die Arme vor der Brust und erwiderte meinen Blick. Ohne zu blinzeln. Er wollte ein Starrduell? Bitte, das konnte er haben. »Wie kannst du mich etwas vergessen lassen? Tust du das öfter? Mich manipulieren?«

Keen seufzte und sah weg. Ha! »Ich habe dich nicht manipuliert. Ich wollte dich beschützen.«

»Ach? Wie würdest du es denn nennen, wenn jemand in deiner Erinnerung herumpfuscht? Jahrelang habt ihr mir eingetrichtert, dass ich nicht in den Wald darf und ich habe mich immer gefragt, warum eigentlich nicht. Von euch gab es nur Ausreden, keine Gründe. Ich will wissen, was da in dem Wald ist, verdammt!«

»Keine Flüche, Faith!« Mom sah mich eindringlich an.

»Echt jetzt? Er hat Mist gebaut und ich werde angepfiffen? Solltest du nicht lieber ihn anschreien, statt mich wegen eines Schimpfworts anzuzählen!« Wütend deutete ich auf Keenan, der bei jedem Wort zusammenzuckte. Sein bärtiges Kinn zitterte.

»Keenan wollte dich beschützen.«

»Mich beschützen! Herrgott noch mal, Mom! Wer beschützt uns eigentlich vor ihm? Und du wusstest davon? Wie konntest du nur!«

Keenan erhob sich so abrupt, dass ich zusammen fuhr. Sein Blick zitterte, ein feuchter Glanz zeigte sich in seinen Augen. Was ...? »Ich gehe in die Werkstatt«, murrte er und drehte sich auf dem Absatz herum, doch ich war noch nicht fertig. »Was ist in dem Wald passiert? Wenn du mir schon die Erinnerung stiehlst, will ich wissen, was dort war.«

Keenans Schultern verkrampften sich. »Der Tod, Faith, dort im Wald gibt es nur den Tod.«

 

*

 

Fassungslos verfolgte ich Keenans dramatischen Abgang. Ich brauchte mehrere Atemzüge, bis ich die Kontrolle zurückerlangte, um mich meiner Mom zuzuwenden. »Bitte, was ist dort passiert? Wusstest du davon? Sag es mir, bitte!«

Sie starrte noch immer die Tür an, durch die Keen verschwunden war, bevor sie sich einen Ruck gab und mich anlächelte. Dunkle Schatten legten sich über ihre Augen. »Ja, ich wusste es.«

Mein ganzer Körper kribbelte. Sie auch? Verdammt noch mal. »Wie konntest du nur?«

Mom atmete tief durch. »Es ging ihm ... uns ... nur um deine Sicherheit. Woran erinnerst du dich, Liebling? Weißt du, was Keenan ist?«

Ich runzelte die Stirn. »Dein Freund?«

Ihre Augen weiteten sich. »Faith, hast du dich nie gewundert, warum er so hart mit dir trainiert? Warum du bereits mit zehn Jahren einen Bogen benutzen konntest oder weißt, wie man einen deutlich größeren und schwereren Angreifer mit einem Messer ausschaltet?«

Verwirrung breitete sich in mir aus. »Weil er einen Spleen hat?«

»O mein Gott, ich wusste, dass es irgendwann so weit kommt.« Mom erhob sich hastig, ging vor dem Esstisch auf und ab. »Was soll ich ihr erzählen ... was ...«

»Mom! Ich bin fast siebzehn! Ich habe ein Recht, alles zu erfahren, was in diesem Haus passiert.«

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Mom abrupt stehenblieb. »Natürlich, Schätzchen. Es sind so viele schreckliche Dinge passiert. Es war vielleicht falsch von Keen, damals für uns zu entscheiden, aber er wollte dir eine sorgenfreie Kindheit ermöglichen. Und das hat er geschafft.«

Die Wut vernebelte meinen Blick. »Das kann nicht dein Ernst sein! Du nimmst diesen ... diesen Kerl in Schutz? Er sagt, er hat mir die Erinnerung genommen. Wie ist das überhaupt möglich?« Ich schüttelte den Kopf. »Psychologie? Hypnose?«

»Du hast tatsächlich keine Ahnung, wer er ist.« Sie griff nach meinen Händen und ich ließ es geschehen. Stirnrunzelnd sah ich sie an.

»Das ist nicht lustig.«

Ihre Züge glätteten sich. Leicht kräuselten sich ihre Mundwinkeln. »Nein, ist es nicht. Aber ich empfand es als Chance für dich, neu anzufangen. Unbelastet von der Vergangenheit.«

»Mom!« Ich entriss ihr meine Hände. »Spinnst du? Ich will alles wissen. Wer Keenan ist, was passiert ist ... wieso ... Ich hasse diese Ungewissheit!«

Mom seufzte. »In Ordnung. Ich erzähle es dir.«

Glücklich lächelte ich, doch als ich Abbies Stimme im Obergeschoss vernahm, machte sich in mir Enttäuschung breit.

Mom blinzelte. »Morgen.«

Genervt verdrehte ich die Augen. »Mom.«

»Geh zu deiner Freundin, Liebling. Ich rede mit Keenan und morgen setzen wir uns zusammen und reden. In aller Ruhe.«

»Aber ...«

»Ich weiß, du willst es jetzt wissen. Aber es ändert sich nichts, egal, ob du es heute Abend oder morgen erfährst.«

 

[Liv]

In den letzten zehn Jahren erschuf Keenans Vergessenszauber ein ganz neues Leben für Faith, ohne die Schatten der Vergangenheit. Sie war zu jung, um das zu begreifen. Ebendarum erzählte ich ihr noch nichts vom Wächter. Ich wollte erst einmal mit Keenan reden. Der Mann, den ich über alles liebte, fühlte sich von ihren Worten verletzt und das musste ich wieder geraderücken. Das Kind, das er so sehr liebte, hatte ihn mit Worten bedacht, mit denen er nicht umgehen konnte. Auch wenn Keen sich nach außen hin stark gab, verletzten ihn Faiths Worte sehr. Mit ihr konnte ich im Augenblick nicht reden. Ich wollte die Zeit nutzen, um Keenan auf unser Gespräch einzustimmen.

Nachdem ich mir sicher sein konnte, dass die Mädchen zu Bett gegangen waren, verließ ich das Haus, durchquerte bewaffnet mit einer warmen Decke und einer Thermoskanne den Garten. Leise klopfte ich an die Tür der kleinen Hütte, die früher einmal der Geräteschuppen gewesen war. Wir hatten ihn nie benutzt und Keenan hatte ihn kurz nach seinem Einzug in Beschlag genommen, um sich sein eigenes Reich zu erschaffen. Dort verschwand er, wann immer er seinen Freiraum brauchte. Für jemanden wie ihn erwies sich das Leben unter Menschen als tägliche Herausforderung. Manchmal zu laut, zu hektisch, zu viele Personen. Nur weil ich ihm diesen Rückzugsort ließ, funktionierte unser Zusammenleben. Normalerweise hätte ich ihn die Nacht über schmollen lassen, aber Faith verlangte Antworten – und wir mussten uns miteinander abstimmen.

Auf mein Klopfen hin antwortete niemand. Toll. Ich atmete tief durch und öffnete vorsichtig die Tür. Keenan lag auf der Couch, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und blickte in die entgegengesetzte Richtung. Seine Haltung signalisierte mir Ablehnung. Ich sollte gehen. Wirklich. Ihn in Ruhe zu lassen wäre klüger gewesen, aber wir mussten miteinander reden.

»Hey.« Ich stellte die Teekanne auf den Beistelltisch vor der Couch und breitete die Decke über ihn aus.

---ENDE DER LESEPROBE---