Sing to me: Sad but true - Danara DeVries - E-Book
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Sing to me: Sad but true E-Book

Danara DeVries

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Beschreibung

Das Musikbusiness ist ein hartes Geschäft. Jaakko Salmela weiß, was das bedeutet. Die Auswirkungen hat er bereits am eigenen Leib erfahren. Gesundheitlich schwer angeschlagen trennt er sich im Streit von Moonstuck. Während es für Jaakko bergab geht, könnte es für Max nicht besser laufen. Sad but true zieht die Aufmerksamkeit eines Booking Agents auf sich und findet sich innerhalb kürzester Zeit auf den Bühnen Europas als Vorgruppe einer weltweit gefeierten Rockband wieder. Doch der Erfolg hat einen zu hohen Preis. Wer hochsteigt, kann auch tief fallen. Wer heute als Star gefeiert wird, gerät morgen in Vergessenheit. Können Max und Jaakko in diesem Dschungel aus Drogen, Alkohol und Missbrauch ihren Weg finden? Dies ist der dritte Teil der Sing to me - Reihe. Dabei handelt es sich um einen in sich geschlossenen Liebesroman. Um allerdings die Geschichte richtig genießen zu können, sollte mit dem ersten Band begonnen werden. Band 1: Sing to me: Wicked Love Band 2: Sing to me: Wildchild Band 3: Sing to me: Sad but true

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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»Weltenbrand: Das Erbe des Blutadels«
Danara DeVries
Undercover: Behind blue eyes von Danara DeVries

 

 

 

 

Sing to me – Sad but true

Roman

 

Von Danara DeVries

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mehr Informationen unter:

www.danara-devries.de

Newsletter:

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über die Adresse http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

Der vorliegende Text darf nicht gescannt, kopiert, übersetzt, vervielfältigt, verbreitet oder in anderer Weise ohne Zustimmung des Autors verwendet werden, auch nicht auszugsweise: weder in gedruckter noch elektronischer Form. Jeder Verstoß verletzt das Urheberrecht und kann strafrechtlich verfolgt werden.

 

 

 

 

 

©Danara DeVries – alle Rechte vorbehalten.

c/o easy-shop

K. Mothes

Schloßstraße 20

06869 Coswig (Anhalt)

 

Email: [email protected]

Cover: Coverup - Buchcoverdesign - Bianca Holzmann (www.cover-up-books.de) unter Verwendung der Bilder ©Shutterstock.

Korrektorat / Lektorat Buchstabenpuzzle B. Karwatt, www.buchstabenpuzzle.de

Bildmaterial: Adobe Stockphotos, ©Matthias Enter

Verwendete Schriftarten: Linux Libertine O, Times New Roman, Raustila (TT), Trajan 3 Pro, Arial

 

-- Alle Rechte vorbehalten! --

 

 

 

 

 

 

Lost Trust and a frightened heart,

tearing us apart.

but is a child enough

to handle over ten years of wicked love?

you don’t let me free

you still sing to me!

 

 

 

 

 

Bisher erschienen:

Teil 1

Sing to me: Wicked Love

Teil 2

Sing to me: Wildchild

Teil 3

Sing to me: Sad but true

35 Stunden zuvor

 

Das Wummern der Bässe dröhnte in seinen Ohren. Lärm, so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte, drang aus dem Zuschauerraum vor der Bühne. Die Atmosphäre brannte, das Publikum feierte die Vorband bereits so ekstatisch, dass sie beim Hauptakt voll abdrehen würden. Die Luft stank nach abgestandenem Rauch, schalem Bier und irgendwo hinter der Bühne hatte jemand seinen Magen entleert. Der saure Geruch hing überall. Jede Wette, dass einer der Jungs von der Vorband kurz vor dem Auftritt nah dran gewesen war, in Panik auszubrechen. So ging es ihnen allen. Jaakko hatte schon so viele Gruppen erlebt. Irgendwer verlor immer die Nerven. Er nicht, er stand seit mehr als vierzig Jahren auf diversen Bühnen der Welt. Lampenfieber kannte er nicht. Als er in dem Alter der Jungs war, hatte er seine Ängste im Alkohol ertränkt. Mit Sicherheit fand man in der Pfütze Erbrochenem auch ein paar Bierchen. Vielleicht auch härtere Sachen. Ihm war‘s egal. In letzter Zeit war ihm vieles egal geworden.

»Hey, wo treibst du dich denn rum?« Sam packte ihn wie einen Schuljungen im Nacken und zerrte ihn von der Bühne weg. Der Securitymann verstand absolut keinen Spaß, wenn ihm seine Schützlinge abhanden kamen. Jaakko hasste es, nicht herumlaufen zu können, wie er wollte. Ein Nachteil, seit Moonstuck Erfolg hatte.

»Musste mir die Beine vertreten.« Und die Gedanken sortieren. Das Tourprogramm, das ihr Booking Agent für Nord- und Südamerika zusammengestellt hatte, war mörderisch. Vier Städte in sieben Tagen. Sie arbeiteten mittlerweile mit drei Crews. Eine Crew befand sich bereits am nächsten Veranstaltungsort, eine war mit ihnen unterwegs und eine weitere räumte hinter ihnen her. Nur so war dieses Programm überhaupt zu stemmen. Und dann der ganze Tourtross! So verdammt viele Leute. Früher hatte er alle beim Namen gekannt, eine Crew, maximal zwanzig Personen, plus Band, Koch, zwei Fahrer und Sam. Mittlerweile hatte sogar Sam seine eigenen Leute. Das Einzige, was er an diesen Veränderungen schätzte, waren die Umstände, unter denen sie reisten. Die hatten sich deutlich verbessert. Sie schliefen nicht mehr im Bus oder auf dem Boden. Ein Hotelzimmer reihte sich an das nächste. Sein Rücken dankte es ihm mit weniger Schmerzen. Apropos Schmerzen.

»Dein Rücken?«

Jaakko rollte mit den Augen. Jeder machte sich Sorgen um seinen Rücken, seit er mal umgekippt war. Okay, er war vielleicht der Älteste in der Truppe. Aber so alt war er auch wieder nicht. »Ja.« Eine Lüge, die ihm weiteren Ärger ersparte. Sam schluckte seine Standpauke herunter und führte ihn einfach zurück in den Vorbereitungsraum. Der fast zwei Meter große Finne hatte Hände von den Ausmaßen eines Suppentellers. Wo der hinlangte, wuchs kein Gras mehr. Sich mit ihm anzulegen, war in etwa so klug wie mit dem Hulk in den Ring zu steigen. Sollte man tunlichst lassen, es sei denn, man war ein Donnergott. Jaakko grinste noch über den Gedanken, als Sam ihn durch die Tür schob und sich Jesses finstere Miene auf ihn richtete.

»Sag mal, hast du zu heiß gebadet, oder was? Wir treten in fünf Minuten auf und du hast dich einfach aus dem Staub gemacht. Mann, Jaakko, hör auf mit dem Scheiß!« Jesses durchdringender Blick ging ihm am Arsch vorbei.

»Ja, ja, alles gut. Mach nicht so nen Wind«, murrte er und hob die Arme, damit Chips ihn verkabeln konnte. Jesse starrte ihn finster an.

»Nicht witzig. Ich weiß, dass das Programm stressig ist, aber wir brauchen das für den Erfolg in Nordamerika, klar? Wir müssen als Team an einem Strang ziehen und schließlich füllt der Stress auch deinen Geldbeutel. Immerhin hast du zwei Familien zu versorgen.« Jesse schob das Kinn vor und legte ihm die Hände auf die Schultern. Jaakkos Blick driftete ab, richtete sich in die Ferne, zu den Mädchen und seiner Frau. Verdammt. »Hey, Kumpel, sieh mich an!« Jesse schnippte vor seinen Augen mit den Fingern. Jaakkos Blick zentrierte sich wieder auf ihn.

»Häh?«

»Mach mir keinen Scheiß, klar? Ich brauch dich da draußen.«

Jaakko zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, klar, hab ich je nicht funktioniert?«

Jesse rollte vielsagend mit den Augen und tätschelte freundschaftlich seine Wange. »Nie. Ich mach mir trotzdem Sorgen.«

Jaakko verzog das Gesicht. »Hör auf mich zu bemuttern. Besorg mir lieber was zu trinken.«

Jesses Blick wurde ernst. »Wie bitte?«

»Wasser, Kumpel, ich habe Durst!« Die Phase, in der er Bier und Schnaps vor einem Auftritt kippte, war längst vorbei. Dorthin würde er nie wieder zurückkehren, obwohl er die betäubende Wirkung von Hochprozentigem manchmal vermisste. Doch der Alkohol hatte ihn zu viel gekostet, als das er sich je wieder darauf einlassen würde. Eine Ehe, zwei Kinder, eines davon sah er kaum, das andere hatte er durch glückliche Fügung wiederbekommen. O nein, Alkohol war längst kein Thema mehr. Dazu müsste er schon am Boden liegen.

Ehe seine Gedanken noch weiter in die Richtung drifteten, drückte ihm Jesse ein Soda in die Hand. Hastig kippte er dieses grässliche amerikanische Sprudelwasser herunter und tauschte Bassgitarre gegen leere Getränkedose mit Chips. Jesse hatte seine Lead bereits umgeschnallt.

Irgendwo hinter ihm trällerte Merja eine Tonleiter rauf, dann wieder runter.

»Du hast dich eingesungen?« Allmählich zerrte Jesse gehörig an seinen Nerven.

»Ja, Dad, hab ich.« Hatte er nicht, aber das ging Jesse nichts an. Der rollte mit den Augen.

»Ehrlich, Jaakko, wenn du nicht bald aufhörst zu zicken, leg ich dich übers Knie.«

Jaakkos Augenbraue wanderte nach oben. Es gab mal eine Zeit, da … nein, auch diesen Gedankengang wollte er nicht fortführen. Das war lange vorbei und würde nie wieder stattfinden. Darüber hatten sie geredet. »Ich zicke nicht. Mir geht nur der ganze Stress gegen den Strich. Früher haben wir das auch nicht so gemacht …«

»Moonstuck, ihr seid dran!« Eine junge Frau mit Crewcap und Headset steckte ihren Kopf in die Kabine. Jesse nickte in ihre Richtung und winkte die anderen zu sich. Merja, Tenho und Matti kamen zu ihnen. Gemeinsam bildeten sie einen Kreis, legten dem jeweiligen Nachbarn die Arme auf die Schultern und steckten die Köpfe zusammen. »Hört zu, ich weiß, dass das kein Zuckerschlecken ist, aber in ein paar Wochen haben wir es geschafft und dann machen wir einen drauf. Nur noch das eine Konzert, dann ist Tourpause. Klar?«

»Klar!«, grölten sie einstimmig.

»Und jetzt gehen wir da raus und rocken die Bude!«

»Jeah!«

Sie lösten die Verbindung, klatschten sich gegenseitig ab und verließen die Kabine. Bevor Jaakko den anderen folgen konnte, hielt Jesse ihn noch einmal zurück, zog ihn in eine tiefe Umarmung. »Wenn irgendetwas ist, ich bin für dich da, ja? Du musst das nicht alleine durchstehen. Wir haben schon schlimmeres gemeinsam durchgemacht. Okay?«

Jaakko stieß einen schweren Seufzer aus. »Ja, ich weiß. Alles okay. Mach dir keine Sorgen.«

Jesse drückte ihn noch einmal fest. »Ich mach mir immer Sorgen. Und jetzt tu das, was du am besten kannst und bring die Halle zum Beben!«

Jaakko grinste, fühlte sich für den Moment wieder wie früher. »Alles klar, Boss!«

 

»0,3 Cent pro Download. Ich glaub, ich spinne!« Die Tour war ein voller Erfolg, die Verkaufszahlen ihrer Alben in Nordamerika explodierten. Nur leider kam der Gewinn nicht wirklich bei ihnen an. Die Zahlen lagen schwarz auf weiß direkt vor ihnen. Unzählige Anbieter von nationalen Streamingdiensten strichen den Löwenanteil ein, hinzu kamen die Anteile der Plattenfirma und eine ganze Liste anderer Agents und Firmen, die ebenfalls die Hand aufhielten, so dass unterm Strich pro Titel, der per Streaming über die großen Plattformen lief, nur 0,3 Cent bei ihnen ankamen. Das war unglaublich, aber nichts Neues. Es nur so direkt vorgelegt zu bekommen, ernüchterte ihn schlichtweg.

»Wofür machen wir den Scheiß eigentlich, wenn hintenrum doch nichts rauskommt«, schimpfte Jaakko und knallte die Aufstellung auf den Tisch. »Der ganze Stress, die Tour und alles für die paar Kröten? Ehrlich, dann mähe ich lieber Rasen. Uns bleibt nicht mal Zeit, kreativ zu sein. Nein, wir hetzen von einem Termin zum nächsten und …«

Jesse nahm die Liste an sich und überflog sie flüchtig. »Du hast du Verträge selbst unterschrieben. Du wusstest, wer den Löwenanteil einnimmt. Wenn wir nicht auf allen Plattformen sind, wenn wir nicht Präsenz zeigen, können wir uns die Nummer gleich sparen und weiterhin über europäische Festivals touren. Warst du nicht derjenige, der die Nase gestrichen voll von Festivals hatte?«

Jaakko schüttelte den Kopf. »Mir ist prinzipiell egal, wo wir auftreten, aber ich hätte nur gerne mal wieder etwas Zeit für meine Familie. Weißt du, wann ich Kimmi das letzte Mal gesehen habe? Der Junge wird siebzehn!«

Jesse atmete tief durch. »Jetzt ist erstmal Tourstopp. Morgen fliegen wir nach Hause und …«

Es klopfte, die Tür zum Hotelzimmer wurde geöffnet und Jorma schob seinen blonden Schopf durch den Spalt. »Ich stör euch ja nur ungern, aber ich hab da ein Angebot per Email bekommen und … wäre es möglich, wenn ich euch kurz sprechen könnte?« Der Manager nickte Jaakko und Jesse zu.

Tenho, Matti und Merja verabschiedeten sich mit der Ankündigung, runter in die Hotel-Lounge gehen zu wollen. Jesse versprach, sie würden nachkommen, sobald sie mit Jorma fertig waren. Der Manager verdrehte daraufhin gespielt entrüstet die Augen.

»Was gibt‘s denn so Dringendes, Jorm?« Jesse lehnte sich gegen die Rückenlehne der Couch, auf der es sich Jaakko bequem gemacht hatte, was im Klartext bedeutete, dass Jesse auf der Ecke kauerte und Jaakko sich der Länge nach ausgestreckt hatte. Flach liegen half ihm am allerbesten. Er hätte auch eine Schmerztablette einwerfen können, aber der anstehende Flug würde so viele Medikamente verschlingen, dass er lieber so lange darauf verzichtete wie möglich. Er hatte den Unterarm über die Augen gelegt und konzentrierte sich auf die Atmung.

Der Manager warf Jaakko einen sorgenvollen Blick zu, doch dann gab er sich einen Ruck und wandte sich an Jesse, reichte ihm ein beschriebenes Blatt. Jesse überflog die wenigen Zeilen flüchtig. »Ach du Scheiße«

»Was? Wen hab ich falsch angeguckt?«, murrte Jaakko.

Jesse schüttelte den Kopf. »Niemanden, offensichtlich hast du ganz schön Eindruck gemacht.«

Jaakko räusperte sich, bereute es aber sofort, da jede unbedachte Bewegung zu heftigen Schmerzen in der Lendengegend führte. »Drück dich klar aus.«

Jesse atmete tief durch. »Offensichtlich hatten wir prominenten Besuch auf dem Konzert in Denver.«

»Was? Das waren doch maximal fünftausend. Nichtmal ne Lounge …«

»Tja, sie muss sich unters Volk gemischt haben. Jedenfalls war Scarlett Fox im Publikum und schwer von dir beeindruckt.«

Jaakko lachte flach, um auf gar keinen Fall seinen Rücken zu reizen. »Daddy Issues, oder was? Der Backfisch ist doch maximal fünfundzwanzig.«

»Dreiundzwanzig«, korrigierte ihn Jorma.

»Sag ich doch, Backfisch. Was will sie?«

»Dich, ganz offensichtlich.«

Jaakko prustete verhalten. »Scheiß-Kreuz.« Er holte tief Luft, spannte sich an und drückte sich hoch. Zumindest versuchte er es. Auf halber Höhe verharrte er, weil der Schmerz ihm die Kontrolle über seinen Körper raubte. Jesse schob mit der flachen Hand gegen seine Schulter, so dass er sich mit einiger Mühe aufrichten konnte, die Beine von der Couch bewegte und sich an die Polster lehnte. »Also gib her.«

Hastig überflog Jaakko die Zeilen. »Das ist eine Einladung zu einem verdammten Vorsingen. Ich geh doch zu keinem Vorsingen wie so nen bescheuerter Teenager in ner Casting Show!«

»Scarlett Fox, Jaakko. Sie sucht einen Duett-Partner mit einer rauchigen Stimme und einer düsteren Ausstrahlung. Wenn du das schaffst, sind wir in aller Munde. Denk an die Band, an die Möglichkeiten. Fernsehauftritte, Talkshows, Turner Kimmel.« Jesse zählte die Möglichkeiten an den Fingern ab, inklusive einem Auftritt in der berühmten Tonight-Show.

»Sie singt Pop!« Angewidert verzog Jaakko das Gesicht, als ob das alleine schon ein K.O.-Kriterium wäre.

»Mit dir will sie Rock singen.«

»Pah, die Tussy denkt vermutlich, ich kann nix anderes …«

»Würdest du bitte deine Einstellung gegenüber Popmusik überdenken? Die Amerikaner lieben Pop. Wenn du zwei, drei Songs neben ihrer beliebtesten Sängerin im Fernsehen auftreten musst, dann kannst du das durchaus machen. Das wäre ein unglaublicher Karriereschub für uns. Stell dir nur mal die Hallen vor, die wir füllen könnten … weniger Konzerte, mehr Einnahmen.« Jesse schloss verzückt die Augen.

»Ich sag nur ein Wort: Playback!«

Jesse verzog das Gesicht. »Alter Spielverderber. Vielleicht könntest du ja Einfluss nehmen und …«

»Nein, Kitty erwartet mich, nächste Woche wird Malin 12, ich hab versprochen, da zu sein.«

»Das schaffen wir«, ging Jorma dazwischen. »Der Termin ist so angelegt, dass du in spätestens fünf Tagen im Flieger sitzt.« Genervt starrte er den Manager an.

»Die Antwort ist: Nein. Ich mache kein Casting. Das scheint wohl neuerdings Mode zu sein. Jeder wird erst mal durchgecastet, bis es passt, oder was? Sie hat uns live gesehen, dann soll das Popsternchen eine Entscheidung treffen oder es sein lassen. Darauf sind wir nicht angewiesen. Wir machen Scheiß Heavy Metal, haben eine überragende Sängerin, sind live unschlagbar. Wir brauchen keinen Karriereschub von einer Möchtegern-Madonna.«

Jesse starrte ihn finster an. »Das Popsternchen macht Millionen durch Plattenverkäufe. Kannst du dir in etwa vorstellen, wie viel sie verkaufen muss, um Millionen zu machen? Soll ich dir das vielleicht vorrechnen?«

»Pf«, stieß Jaakko aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Scheiße, Jesse, mein Kreuz tut weh und ich will nach Hause. Mir steht’s bis hier!« Er machte eine angedeutete Bewegung dreißig Zentimeter über seinem Kopf.

»Ich weiß, nur noch ein paar Tage, ja? Ich lass jemanden von den Jungs was für deinen Rücken besorgen, du nimmst ein heißes Bad, irgendwo treibe ich nen Masseur auf und dann ist alles okay. Drei Tage, bitteeeee!«

Jaakko seufzte ergeben. »Und wann sollen die Auftritte stattfinden?«

»Das steht alles noch nicht fest. Erstmal wollen sie den männlichen Part finden.« Jorma rang mit sich. »Ich will dir wirklich nicht zunahe treten, aber das ist eine einmalige Chance. Metal hat in den States nicht den gleichen Stellenwert wie in Europa oder Südamerika. Um hier Fuß zu fassen, musst du schon ne echt große Nummer sein. Ihr rockt die Festivals, seid hin und wieder Headliner, aber euer Bekanntheitsgrad hier drüben ist eher mau. Das wird sich mit der Tour ändern und solltest du die Chance bekommen, mit Scarlett Fox zu performen … Jaakko, das können wir uns nicht entgehen lassen.«

Verblüfft starrte er den ansonsten so ruhigen Jorma an. Ihr letzter Manager hätte sofort zugesagt, ohne sich mit ihnen zu besprechen. Damals war ihr Auftrittspensum eher noch höher gewesen, was ihn letztlich ins Krankenhaus gebracht hatte. Mit Jorma gingen sie die Sache langsamer an. Ja, natürlich wollten sie erfolgreich sein. Das Musikbusiness war eine Blase, die jederzeit zerplatzen konnte, und dann hatte er noch genug Zeit, den Rasen zu mähen. Jaakko rieb sich seufzend den Nacken. »Okay, mit ein wenig Schmerzmitteln krieg ich das schon hin, oder? Und das Po-Sternchen sing ich alle Male an die Wand.«

Jesse seufzte. »Popsternchen, sonst red ich dich in Zukunft mit alter Sack an.«

»Tust du das nicht sowieso schon.«

Jesse lachte, klopfte ihm auf die Schulter und rutschte von der Couch. Jaakko schloss die Augen, legte den Kopf auf die Lehne und genoss den schmerzlosen Moment. Das Polster passte sich perfekt seinem lädierten Kreuz an. Die Nacht war grässlich gewesen. Direkt nach Konzerten war es immer besonders schlimm. Kitty vermutete einen Bandscheibenvorfall durch seine jahrelange schlechte Haltung, die einseitige Belastung und seinen Double Neck. Mehrere Stunden täglich ne zwölf Kilogramm schwere Gitarre herumtragen war eben nicht besonders förderlich. Er trainierte zwar seit ein paar Jahren und baute Rückenmuskulatur auf, aber der Schaden war bereits angerichtet. Wenn er die Chance bekäme, sein jüngeres Ich zurechtzuweisen, würde er sie ergreifen. Sofort. Die Schmerzen waren die Strafe für die vielen Jahre, in denen er seinem Körper nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Das hatte er jetzt davon. Ein Wrack mit fünfundfünfzig. Fuck.

»Besorg Oxy.« Jesse beugte sich zu Jorma, den sorgenvollen Blick auf den halb schlafenden Jaakko gerichtet. »Er wird mich dafür hassen, aber erst danach. Ich brauch ihn zwei, drei Stunden schmerzfrei.«

»Sein Herz?«

Jesse rollte mit den Augen. »Das war kein Herzinfarkt, das war nur das Ergebnis von Randy Häkkinnens Management. Nein, er hat keine Herzprobleme. Nur dieser verdammte Rücken. Oxy und Ibu, besorg das. Und was zu essen.«

Jorma nickte. »Soll ich zusagen?«

Jesse verzog das Gesicht. »Auf jeden Fall!«

 

Am Abend landeten sie bereits in Atlanta. Scarlett Fox hatte dort einen Club gemietet, wo am nächsten Nachmittag ein lockeres Zusammentreffen – wie es ihr Management in der E-Mail genannt hatte – stattfinden würde. Man wolle sich kennenlernen und herausfinden, ob die Chemie passte. Jaakko sollte etwas vorspielen, zwei, drei Songs aus verschiedenen Genres. Im Hotel klimperte er bereits herum und stimmte seine Akustik. Die Zimmer, der Flug, all das hatte die Fox bezahlt, nur damit er herkam. Sein Rücken verhielt sich ruhig. Das Sitzen in der Maschine war zwar anstrengend gewesen, aber er hatte sich gleich nach dem Einchecken im Hotel zurückgezogen, ein paar Stunden geschlafen, gut gefrühstückt und Jesses Schmerzmittel eingeworfen.

»In einer Stunde kommt der Therapeut«, informierte ihn Jorma knapp.

Jaakko sah auf. »Was für ein Therapeut?«

»Jemand, der sich um deinen Rücken kümmert. Er hat Erfahrungen mit Musikern.«

Jaakko hob eine Augenbraue und legte die Gitarre beiseite. »Dir ist es echt ernst, oder?«

Jesse nickte. »Verdammt ernst.« Sie waren nur zu dritt nach Atlanta geflogen. Sie brauchten nicht mit kompletter Besetzung bei Scarlett Fox auftauchen und hatten die anderen Bandmitglieder in den verdienten Urlaub geschickt. Zwei Wochen Pause, danach würde die US-Tour für drei Monate weitergehen. »Was willst du spielen?«

»Was Hartes, was Seichtes und was Zartes.« Jaakko grinste. Jesse erwiderte seinen Blick.

»Du bist unmöglich. Nimm das bitte ernst.«

»Wenn ich keine Witze reiße, setze ich mich in den nächsten Flieger. Diese ganze Sache geht auf deine und Jormas Kappe. Also müsst ihr mich so ertragen, wie ich grad drauf bin. Ich werd die nächsten Stunden nur blöde Sprüche klopfen. Und wenn dich das stört, dann buch doch nen Flug.«

»Jaakko …« Jesse atmete tief durch. »Denk an die Band.«

»Ich bin hier, oder?« Eigentlich hatte er gedacht, drüber hinweg zu sein, dass Jesse und Jorma seinen Urlaub um eine Woche gekürzt hatten, aber tief in seinem Inneren brodelte er wie ein kurz vor dem Ausbruch stehender Vulkan. Kamen dann noch die Schmerzen dazu, konnte er für nichts garantieren. Die letzten Wochen waren unglaublich anstrengend gewesen, was nicht wirklich an seinem Alter lag. Touren war auch für junge Leute eine enorme Belastung und ihr Booking Agent hatte auf ihre Vorgaben keine Rücksicht genommen. Jorma konnte da wenig machen. Sie waren nun mal noch keine große Nummer in den States und nahmen daher, was sie kriegen konnten. Eigentlich. Diese Scarlett-Fox-Sache hätte er liebend gern abgesagt.

»Ja, bist du. Also was hälst du von Thunder, Wicked Love und Time of Change?«

 

Eine gute Stunde später stand die Setlist und Jaakko konnte sich ganz auf die magischen Hände eines dunkelhäutigen Therapeuten einlassen. Der Mann war ein Zauberer und fand die Triggerpunkte in seinem Kreuz, massierte Stück für Stück die Verspannungen raus.

»Ich kann nicht viel tun«, sagte er irgendwann. »Du brauchst nen Orthopäden, vielleicht auch Neurochirurg. Ich möchte mich nicht festlegen, aber die Bandscheiben sind fast nicht mehr vorhanden und Nerven könnten bereits geschädigt sein.«

»Weiß ich alles. Sieh einfach zu, dass ich noch ein paar Tage durchhalte, ja?«

Turner schüttelte den Kopf und tauschte einen Blick mit Jesse, der es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatte und den Therapeuten aufmerksam beobachtete. »Das halte ich für keine gute Idee. Du brauchst jetzt schon ne Menge Schmerzmittel.«

»Nur noch ein paar Tage, ja?«

Turner seufzte. »Ein Arzt wäre sinnvoller. Der würde ihn sofort aus dem Verkehr ziehen.«

Jesse lächelte. »Deswegen bist du hier.«

Turner schüttelte den Kopf und befasste sich intensiver mit Jaakkos Lendenbereich. Er knetete sich durch seine komplette Wirbelsäule. Jaakko hatte das Gefühl, dass er sie mit seinen Händen zu Pudding verwandelte. Zumindest waren die Schmerzen auf ein erträgliches Maß abgeklungen. Als Turner sein Steißbein erreichte, versteifte er sich kurz. Dort tat es immer besonders weh.

Der Masseur hielt inne. »Alles in Ordnung?«

»Ja, klar, mach weiter.« Turner beendete seine Arbeit schließlich und reinigte sich die Hände, während er Jaakko aufmerksam beim Aufsetzen beobachtete. »Und?« Er musterte ihn kritisch.

Jaakko seufzte, streckte sich und bewegte vorsichtig das Becken. »Sehr viel besser.«

»Sei vorsichtig. Deine Muskeln sind locker, leg dich noch etwas hin. Keine ruckartigen Bewegungen bitte.«

»Du bist der Boss.«

Turner rollte mit den Augen und packte seine Liege zusammen. »Wenn ich der Boss wäre, würdest du im Bett liegen. Aber nicht hier herumlaufen und Instrumente durch die Gegend schleppen.« Jaakko winkte lässig ab und verschwand im Schlafzimmer, um sich anzuziehen.

»Wird er es schaffen?« Jesse knetete nervös die Hände.

Turner schloss den Reißverschluss an der tragbaren Massageliege. »Ja, aber seid wirklich vorsichtig. Er braucht ein CT und einen Arzt. Nur der kann euch wirklich sagen, was bei ihm los ist. Ich kann nur für temporäre Erleichterung sorgen.«

Jesse nickte. »Ich weiß. Danke dir, Kumpel.«

Turner klopfte ihm auf die Schulter. »Scarlett Fox ist echt ne große Nummer. Ihr könnt euch glücklich schätzen. Hier ist meine Karte, falls ihr noch länger in Atlanta seid, ruf mich an und ich knete deinen Kumpel noch mal durch.«

Jesse verabschiedete sich freundschaftlich von Turner und brachte ihn zur Tür. »Ganz bestimmt. Man sieht sich!«

 

 

»Was für eine hammergeile Bude«, entfuhr es Jaakko, als sie den Club über den Hintereingang betraten. Die Gitarre geschultert, folgte ihm Jesse. Sie traten hinter der Bühne vor und suchten Jorma. Ihr Manager stand im Zuschauererraum und unterhielt sich mit einem Mann südländischer Herkunft – Zacharias Shaw. Als er Jaakkos Ausruf hörte, wandte er sich in ihre Richtung und winkte ihnen zu.

»Bist du sicher, dass wir das tun sollten?« Scarlett Fox stand bei Jorma und ihrem Manager. Jaakko musterte die blonde, kaum 1,65 Meter große Sängerin. Sie trug einen pinken Jogginganzug mit Glitzerapplikationen an der Seite und sah so gar nicht wie das Popsternchen von den Videos aus, die er sich vorhin reingezogen hatte.

»Ja, sie kann tragen, was sie will. Wenigstens sind ihre Hosen ganz.« Jesse trug wie üblich ein farbenfrohes Einheitsschwarz, lediglich einen Slayeraufdruck auf seinem T-Shirt gestattete er, während Jaakkos Jeans an den Knien aufgerissen und mit einigen Nieten und Bändern verziert war. Dazu trug er ein dunkelrotes Shirt mit schwarzen Camouflageflecken und darüber eine hellgraue Lederjacke. Sein Haar hatte er in einem zweckmäßigen Zopf gebändigt, der ihm bis weit über den Rücken reichte. Scarlett wirkte mit ihrem frechen Kurzhaarschnitt dagegen regelrecht kahlgeschoren.

»Pf.« Jaakko setzte eine finstere Miene auf.

»Showtime.« Jesse schob ihn auf die Gruppe zu. »Hello there!«, wechselte er ins Englisch und begrüßte die Anwesenden mit einem Handschlag. Miteinander unterhielten sie sich ausschließlich in Finnisch.

»Ich bin Jesse Nevalainen. Und das ist Jaakko Salmela.« Nur widerwillig schüttelte Jaakko Scarletts Hand. Ihre Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß.

»Perfekt!« Scarletts lachte ihn so freundlich an, dass er nur säuerlich die Miene verziehen konnte. Wie konnte man überhaupt so fröhlich sein? »Und sein Gesichtsausdruck. Wahnsinn! Guckt der immer so?« Sie wandte sich zu Jesse.

»Der versteht dich recht gut«, entgegnete Jaakko in perfektem Englisch.

Scarlett schlug sich die Hände vors Gesicht. »Oh, sorry, das tut mir leid. Ich wusste ja nicht, dass ihr alle so gut unsere Sprache sprecht.«

»Wir lernen sie bereits in der Schule und Jesses Vater war Englischlehrer. Außerdem singen wir ja in Englisch.«

»Ja, klar. Wunderbar.« Sie zog ein breites Lächeln. Ihre überschminkten Lippen reichten von einem Ohr bis zum anderen. »Also, ich freue mich riesig, dass ihr es einrichten konntet. Wirklich. Das wird eine richtig große Runde. Mann, bin ich aufgeregt. Das wird toll!«

Jaakko murmelte ein paar abschätzige Worte in Finnisch, woraufhin ihm Jesse einen warnenden Blick zuwarf. »Sprich Englisch, es ist unhöflich, in einer Sprache zu sprechen, die nicht alle Anwesenden verstehen können.«

»Vielleicht kann sie ja Finnisch?«

»Dein Verhalten mag jetzt noch ankommen, aber irgendwann wird es ihnen auf die Nerven gehen. Meinetwegen gib auf der Bühne das Arschloch, aber hier unten bist du nett, bitte … Denk an die …«

»… Band, ja, ich weiß. Okay.« Jaakko zwang sich ein übertrieben künstliches Grinsen auf die Lippen, während Scarlett sie kurz herumführte. Es waren noch andere Sänger vor Ort, die mal mehr, mal weniger nach Metall aussahen. Jaakko machte sich erst gar nicht die Mühe, sich ihre Namen zu merken. Scarlett suchte einen Platz für sie aus und verabschiedete sich dann, um andere Neuankömmlinge zu begrüßen.

»Sie macht das normalerweise nicht.« Zack, ihr Manager, folgte ihr mit Blicken. »Üblich wäre, ein Tape einzuschicken und dann sucht sie sich den Kerl nach der Stimme aus. Aber sie wollte unbedingt alle persönlich kennenlernen. Jungs, das ist ne große Sache. Sie ist Scarlett Fox und sie hat euch persönlich eingeladen.« Zack nickte ihnen eindringlich zu, bevor er verschwand.

»Offensichtlich ist das wirklich eine große Sache.« Jesse blickte sich im Zuschauerraum um.

Jaakko zuckte mit den Schultern, rutschte auf die Kante des Stuhls und streckte seine langen Beine aus. »Kann sein, mir egal. Weck mich, wenn ich dran bin. Technisch gesehen habe ich Urlaub.«

Jesse atmete tief durch, sagte aber nichts weiter.

 

Zwei Stunden später waren sie endlich an der Reihe, was nicht etwa daran lag, dass Scarlett so viele Sänger eingeladen hatte, nein, sie nahm sich Zeit, mit jedem zu sprechen, ließ sie die ein oder andere Sache ausprobieren, verlangte einen anderen Song, holte ihren eigenen Song heraus und ließ das Tape vom Band spielen. Einmal sang sie sogar mit dem Typen, doch keiner schien ihren Vorstellungen zu entsprechen. Jesse konnte es an ihrem Gesichtsausdruck sehen. Begeisterung sah anders aus. Das Mädchen war regelrecht ausgeflippt, als sie Jaakko und ihn gesehen hatte. Das ließ Jesse hoffen, dass er den Job so gut wie hatte. Jaakko war zwar mürrisch und mies drauf, aber das lag zu neunzig Prozent an seinem Rücken. Sobald er spielte, besserte sich seine Laune hoffentlich.

»Du bist dran.« Jesse stieß seinen Partner an. Jaakko schreckte hoch. »Hast du tatsächlich gepennt? Du hättest dir die Performances der anderen Bewerber ja wenigstens ansehen können.«

»Wieso?« Jaakko gähnte und streckte sich. »Um mir irgendwas abzugucken, was ich sowieso nicht bin? Wenn das Po-Sternchen mich haben will, nimmt sie mich so wie ich bin.« Ächzend zuckte er zusammen und verzog schmerzhaft das Gesicht. »Fuck.«

Jesse rollte mit den Augen. »Vielleicht hättest du ordentlich sitzen sollen.«

»Vielleicht hätte man mir eine Sänfte bringen sollen. Fick dich, Jesse, fick dich einfach.« Jaakko griff nach seiner Akustik und schlurfte zur Bühne, ohne Jesse eines weiteren Blickes zu würdigen. Die Treppen nahm er, indem er sich am Geländer hochzog. Missmutig starrte er auf die Aufbauten.

»Habt ihr was zum Sitzen?« Jaakko warf einen Blick in die Runde, der jeden – außer ihn – eingeschüchtert zurückweichen ließ. Die Fox allerdings war begeistert. Sie klatschte in die Hände und wies ihren Manager an, Jaakko einen Hocker zu holen. Ein Techniker brachte ihm das Gewünschte, stellte es auf seine Höhe ein. Jaakko ließ sich versuchsweise darauf nieder, rutschte hin und her und stierte den Techniker böse an, als dieser seine Akustik einstöpseln wollte. Jesse griff sich gequält an die Stirn und zwang sich, intensiv den Boden zu studieren. Er wirds absichtlich versauen …

Als Jesse wieder aufsah, taxierte Jaakko gerade den Techniker, der das Mikro auf seine sitzende Höhe einstellen wollte. Der arme Junge tat Jesse jetzt schon leid. Er wusste, wie man mit einem schlechtgelaunten Jaakko umging, der Mann nicht. Aber vielleicht hing die Laune auch an den zwei Oxys, die Jaakko heute Morgen geschluckt hatte … Jesse nahm sich vor, unbedingt die Packungsbeilage zu studieren.

Der Techniker zog sich schließlich zurück und Jaakko schlug einen vollen Akkord an. Seine Züge entspannten sich, ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er begann. Jesse seufzte erleichtert auf. Wie immer, sobald er spielen konnte, vergaß er selbst seine Rückenschmerzen. Der Song war eine ruhige Ballade, eigentlich ein Duett, aber er funktionierte auch so. Jaakko hatte ihn – trotz schlechter Laune – geschickt gewählt. Er zeigte seine sanfte Seite, die man normalerweise auf der Bühne nicht sah. Denn er konnte auch anders. Seine Stimme war ein kräftiger Tenor. Wenn er sang, erreichte er mit einer Leichtigkeit selbst die höchsten Töne. Ob Screams oder Harmonien mit Merja, er kriegte alles hin. Eigentlich sollte er der Frontmann sein, aber sie waren nun mal eine auf eine weibliche Stimme ausgerichtete Band und ihn störte es eigentlich nicht, den Bass zu spielen und Merja nur hin und wieder als Backgroundsänger zu unterstützen.

Als Jaakko mit einem kräftigen Shout endete, erntete er tosenden Applaus. Selbst die anderen Kandidaten nickten ihm anerkennend zu.

»Wow, J, ich darf dich doch J nennen?«, quietschte die Fox und hüpfte vor der Bühne auf und ab.

Jaakko runzelte die Stirn, schenkte ihr aber ein warmes Lächeln. Jesse atmete erleichtert aus. Da war er wieder, Jaakko unvergleichlicher Charme. Beruhigt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und verlegte sich ganz aufs Beobachten. Die Musik hatte ihn wie immer entspannt und die Kleine war zwar ein wenig nervig, da Js – Jesse grinste vielsagend – Tochter in etwa im gleichen Alter war, würde er gut mit Scarlett klarkommen.

»Darf ich ihn haben, Zack? Zack?!« Scarletts Manager rollte mit den Augen.

»Willst du Mr. Salmela nicht erst mal etwas Heftigeres spielen lassen?«

»Ich weiß, wie er klingt. Ich hab sie in Denver gesehen. Das genügt.« Zack seufzte.

»Okay, willst du ihm vielleicht Nothing Left zeigen? Ihr übt ein wenig und dann schauen wir, wie ihr zusammen klingt.« Scarlett schob schmollend die Unterlippe vor.

»Ich finde das eine ziemlich gute Idee. Wo wir schon mal hier sind«, ging Jaakko dazwischen. Die Kleine setzte ein Lächeln auf und kletterte auf die Bühne.

»Gut, dann also so.« Sie ließ sich von Zack die Noten reichen, hielt sie Jaakko hin, der sofort anfing, die Akkorde auszuprobieren. Er hatte das einzigartige Talent, etwas unmittelbar vom Blatt abspielen zu können. Gespannt beobachtete Jesse das Geschehen, erhob sich und trat näher heran. Kurz fing er Jaakkos Blick auf. Nur wenn man ihn so gut kannte wie Jesse, bemerkte man, wie er innerlich die Augen verdrehte. Jesse lächelte und nickte ihm zu. Lass sie machen. Jaakko seufzte und kräuselte die Mundwinkel.

»Okay, Brian, spiel das Tape.« Jesse erstarrte. Böser Fehler. Jaakko war fast so weit und hatte den Song als Akustikversion intus. Jetzt vom Band zu spielen käme für ihn einem Schlag ins Gesicht gleich.

»Nein, kein Tape. Wir machen es so.«

Scarlett hob den Kopf. »Aber du hast den Song doch noch gar nicht geübt, weißt nicht wo deine Einsätze sind«, wehrte sie ab.

Jaakko schüttelte den Kopf. »Geht schon.« Er spielte die ersten Akkorde und nickte ihr für ihren Einsatz zu. Scarlett war so perplex, dass sie ihre Liedzeile verpasste. Jaakko lachte, keine Spur von Ärger oder gar Nervosität. Jesse atmete erleichtert auf und gesellte sich zu Zack und Jorma.

»Okay, noch mal.« Und dann begann etwas, was Jesse schon hunderte Male erlebt hatte. Dieser Zauber, wenn J – er lachte in sich hinein – spielte, riss er die Massen einfach mit. Er konnte ganze Stadien zu einem Kinderlied animieren – oder eine Weltklasse Popkünstlerin wie ein Schulmädchen aussehen lassen. Doch Scarlett war Profi genug, ihre Überraschung zu überspielen. Ein zweites Mal würde sie ihren Einsatz nicht verpassen. Während die beiden probten, wandte sich Zack an ihn.

»Er ist ziemlich talentiert. Vergeudet ihr seine Fähigkeiten nicht, wenn er nicht den Lead übernimmt?«

»Vielleicht. Allerdings sind unsere Songs auf einen weiblichen Gesangspart ausgelegt. Wir haben uns dafür entschieden und Jaakko tut genau das, was die Songs fordern, nicht, zu was er vielleicht fähig wäre. Keiner spielt sich in den Vordergrund, wir sind ein Team.« Zack nickte.

»Trotzdem, er sollte mehr zum Zug kommen.«

»Kann er ja jetzt.«

Eine gute Stunde später war Scarlett zufrieden. »Vielen Dank, Jaakko, das war wundervoll. Du bist ein fantastischer Sänger und Gitarrist.« Sie verpasste ihm einen Kuss auf die Wange, ließ sich von der Bühne gleiten und lief auf Zack zu. »Das war wundervoll. Er ist es. Wenn ihr nichts dagegen habt?«, wandte sie sich an Jorma und Jesse.

Jesse wollte schon einschlagen, doch Jorma hielt ihn zurück. »Wir ziehen es in Erwägung. Natürlich müssen entsprechende Verträge aufgesetzt, terminliche Abstimmungen getroffen und weitere Rahmenbedingungen besprochen werden. In welchem Umfang wird sich Jaakkos Beteiligung bewegen? Wie sehen eure Termine aus? Sind Liveauftritte geplant? Wir haben genauso ein hartes Programm in den nächsten Monaten.«

Scarlett nickte begierig. »Das überlasse ich gerne dem Management. Ich bin nur erst mal glücklich, dass wir so gut zusammen klingen. Ich hätte nie gedacht, dass meine helle Stimme mit seinem rauen Tenor so fantastisch harmoniert.«

»Deswegen sind wir hier.« Jesse verschränkte die Arme.

»Vielen Dank noch mal, dass ihr es ermöglicht habt.«

»Wir lassen euch Terminvorschläge zukommen.« Zack wandte sich zu Jorma. »Ebenso die Verträge …« Die beiden Manager entfernten sich, so dass Jesse mit Scarlett zurückblieb. Ihre Blicke glitten zur Bühne, wo Jaakko umständlich versuchte, vom Hocker zu rutschen.

»Ist alles okay bei ihm?«

Jesse seufzte. »Ja, klar. Alles gut. Mach dir keine Gedanken. Die Tour war verdammt anstrengend und er hat sich das Kreuz verrenkt. Ich geh ihm mal helfen.« Jesse schenkte Scarlett ein Lächeln, welches wohl beschwichtigend wirken sollte. Er konnte nicht sagen, ob er die Sängerin tatsächlich beruhigte. Fakt war, dass Jaakko schon wieder immense Schmerzen zu haben schien. Jesse griff nach dem Bühnenrand und zog sich schwungvoll auf die gut einen Meter höher gelegene Fläche.

»Alles klar?« Jesse musterte Jaakko mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. Seine Erwiderung war knapp und unterkühlt.

»Angeber.« Jaakko drückte ihm die Gitarre in die Hand. Er hätte niemals in Erwägung gezogen, seine teure Fender einfach auf den Boden zu stellen, nur um so etwas Läppisches zu tun, wie aufzustehen. Lieber wäre er auf dem Boden herumgekrochen, das Instrument in Soldatenmanier über den Kopf haltend, nur damit es keinen Schaden nahm. Der klangvolle Holzkörper mit den hochwertigen Saiten kostete mehr als mancher Kleinwagen. Dementsprechend vorsichtig behandelte Jesse das Instrument, trug es zum Kasten und verstaute es sicher in der gepolsterten Aussparung. Sorgfältig schloss er den Deckel, bevor er zu Jaakko zurückkehrte. Dieser saß noch immer auf dem Hocker und trug eine Miene zur Schau wie ein durchnässter Pudel.

»Ich glaube, ich muss kotzen.«

Alarmiert starrte Jesse ihn an. »Nicht hier«, zischte er ihm zu, packte Jaakko unter den Achseln und hievte ihn vom Hocker. Das war nicht das erste Mal, dass Jesse dankbar für seine breiten, vom vielen Training muskulösen Schultern war. Jaakko war nur ein paar Zentimeter kleiner als er, aber er wog gut zwanzig Kilo weniger durch die fehlende Muskelmasse. Jaakko trainierte zwar auch, aber er war ein ganz anderer Typ, eher der sehnige Langstreckenläufer, während Jesse zu austrainierten Muskelsträngen neigte.

»Du hast den Job so gut wie sicher«, raunte er ihm zu und legte ihm einen Arm um die Taille, »aber wenn du mir hier vor die Füße kotzt, war’s das. Reiß dich ja zusammen.« Jesse drehte sich mit ihm um, ließ den Blick durch den Club schweifen. Zum Glück hatte sich Scarlett bereits zurückgezogen. Jorma und ihr Manager saßen ganz hinten in einer Nische und unterhielten sich leise. Perfekter hätte es nicht laufen können. Jesse hievte Jaakko von der Bühne, bückte sich im Vorbeigehen nach dem Gitarrenkoffer und schob ihn Richtung Serviceräume. Dahinter lag der Seitenausgang, der in eine Nebenstraße führte, wo ihr Wagen parkte. Jesse lehnte Jaakko in einer von Zacks Position nicht einsehbaren Stelle gegen die Wand. »Bleib stehen. Bin gleich wieder da.«

Jaakko schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Mauer. »Dreht sich alles.«

»Fuck. Okay, bleib stehen, ich bring dich gleich raus.« Jesse legte ihm eine Hand auf die Brust und stabilisierte ihn. Nicht dass er ihm einfach vor die Füße fiel. Dann hatte er ein echtes, nicht mehr zu verheimlichendes Problem. »Zack, Jorma! Wir müssen los! Nimm dir nen Taxi, Jorm! Wir sehen uns im Hotel!«

Der Manager runzelte verwirrt die Stirn. Nichts dergleichen war abgemacht. Jormas Augen suchten die Bühne ab. Da er weder Jaakko noch seinen Gitarrenkoffer entdecken konnte, kombinierte er richtig. So schien es jedenfalls. Er stellte keine weiteren Fragen, sondern streckte nur den Daumen hoch, zum Zeichen, dass das okay war. So als wäre es das Normalste der Welt, dass sie schon mal vorfuhren.

»Alles klar, wir sehen uns beim Essen!«

Jesse hob die Hand zum Gruß und wandte sich dann wieder Jaakko zu. »So, mein Bester, auf geht’s.« Er legte sich Jaakkos Arm über die Schulter, schlang seine Hand um dessen Taille, schulterte den Gitarrenkoffer auf der anderen Seite und schlurfte mit ihm durch den Hinterausgang. Zum Glück lagen die Räume für die Künstler nicht in dieser Ecke, so dass sie nicht Gefahr liefen, Scarlett zu begegnen. Wie zwei Betrunkene schwankten sie zum Ausgang. Erst als Jesse die schwere Stahltür hinter sich geschlossen hatte, ließ er Jaakko los. Ein fürchterliches Würgen brach sich seine Kehle hinauf und er erbrach sämtlichen Mageninhalt auf die Straße.

»Scheiße!« Jesse stellte den Koffer ab und griff nach Jaakkos Schultern, aus Angst, er könnte jeden Augenblick vornüber in seine eigene Kotze kippen. »Was zur Hölle ist nur los mit dir.« Ein weiterer Schwall ergoss sich auf die Straße. Es dauerte mehrere Minuten, bis sich Jaakkos Magen komplett entleert hatte und er sich wieder aufrichten konnte.

Erschöpft stützte er beide Arme gegen das Mauerwerk und ließ den Kopf hängen. »Mir geht es scheiße, das ist los! Aber du hattest ja nur dieses verfickte Vorsingen im Kopf!«

»Und das hat sich auch gelohnt, du hast den Job!« Jesse strahlte und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

»Ich wollte den Job nicht, ich wollte nur nach Hause.«

»Mal sehen, was Jorma nachher sagt. Wir fliegen, sobald es geht.« Das war doch eine fantastische Idee. Die eingeplante Woche wurde um mehrere Tage verkürzt, so dass Jaakko noch mehr Freizeit hatte.

Jaakkos Miene sprach für sich. Offensichtlich war er überhaupt nicht von der Idee begeistert. Okay, er hatte gerade die Straße vollgekotzt, aber ansonsten …

»Ich frage mich, was mit dir los ist. Früher wäre dir ein solches Vorsingen am Arsch vorbeigegangen. Du hast mich jahrelang in Watte gepackt, aus Angst, ich könnte wieder rückfällig werden. Was soll das hier überhaupt? Mir geht es scheiße! Doch statt die nicht nötigen Termine zu canceln, zerrst du mich durchs halbe Land, pumpst mich mit was weiß ich voll und …« Jaakkos Redeschwall wurde von einem erneuten Würgereiz ausgebremst. Es dauerte mehrere Minuten, bis er sich wieder beruhigt hatte.

»Es geht um die Band!« Jesse trat auf ihn zu. »Wir hatten uns vor der Tour darauf geeinigt, dass wir das durchziehen. Du warst dafür. Dein Rücken hat dich damals auch nicht interessiert.«

»Weil es mir gut ging. Aber, scheiße, Mann, ich bin nicht mehr der Jüngste.«

»Du hast selbst gesagt, dein Alter spielt keine Rolle. Hat es niemals!« Jesse ballte die Fäuste.

»Tut es auch nicht. Rücken kann nämlich jeder haben. Aber weißt du was? Mir ist es egal, mir ist alles scheißegal. Ich will nur noch nach Hause. Mach deinen Scheiß alleine!«

Jaakko stemmte sich mit Schwung von der Wand und griff nach seinem Gitarrenkoffer. »Ich gehe!«

Jesse starrte ihn an, packte ihn an der Schulter. »Du kannst nicht einfach gehen! Du bist Teil dieser Band. Du hast Verpflichtungen!«

»Wenn du so auf mich scheißt, kann ich auch auf die Band scheißen. Lass mich los, Nevalainen!« Jaakko schüttelte Jesses Hand ab.

»Ich scheiß doch gar nicht auf dich, ich habe nur diese eine Sache von dir verlangt. Jetzt lass uns ins Hotel fahren. Du ruhst dich aus, nimmst ein Bad. Wärme hilft dir immer. Ich kann noch mal Turner anrufen, wenn du willst …« Jaakko starrte ihn an.

»Bist du irre? Ich habe gerade auf die Straße gekotzt! Wahrscheinlich vertrag ich nicht mal die Hälfte von dem Zeug, was du mir heute morgen und vorhin im Auto gegeben hast. Nein, Jesse, wir sind fertig. Ich gehe!«

»Du kannst nicht gehen! Wo willst du denn hin?«

»Heim, ich will nur noch nach Hause.« So schnell es sein Zustand zuließ, drehte er sich um und humpelte die Straße herunter.

»Aber die Band, dir gehören zwanzig Prozent!«

Jaakko stieß einen tiefen Seufzer aus, drehte sich ganz langsam um. »Das ist alles, worum es dir geht, oder? Die Band, nur die Band. Es gab mal eine Zeit, da …« Schmerz huschte über seine Züge, unmöglich zu sagen, ob es die Erinnerung war oder ihm sein Rücken zu schaffen machte. Vermutlich eine Mischung aus beidem. Jaakko brach ab und stapfte wieder auf Jesse zu, starrte ihn so finster an, dass er hastig einen Schritt zurückmachte. Jaakko hielt vor ihm an, griff in Jesses Brusttasche und zog einen Kugelschreiber daraus hervor.

»Was …«, stammelte Jesse.

Jaakko hob drohend den Finger, sah sich um und klaubte eine Serviette aus einem Abfallbehälter. »Jaakko, das ist ekelhaft!«

Hastig schüttelte Jaakko den Kopf, legte die Serviette auf den Deckel eines Müllbehälters und kritzelte ein paar Worte darauf. Dann drehte er sich wieder zu Jesse, schob den Kugelschreiber zurück in dessen Brusttasche und drückte ihm die Serviette in die Hand.

»Mach’s gut, Bruder!«

Verblüfft starrte Jesse Jaakko hinterher. Erst als er an ihrem Wagen vorbei die Seitenstraße verlassen hatte, fiel Jesses Blick auf die Serviette und die darauf gekritzelten Worte. »Ich, Jaakko Salmela, überschreibe hiermit all meine Anteile an Moonstuck und sämtliche Rechte der Moonstuck-Songs an das Arschloch Jesse Nevaleinen, gez. Jaakko Salmela.«

Jesse schluckte trocken. Was hatte er nur getan?

Die Sonne brannte mir auf den Rücken. Für Mitte März war es ein erstaunlich warmer Tag. Ich hoffte, dass sich das Wetter noch eine Woche halten würde, denn nächsten Dienstag hatte Malin Geburtstag. Zwölf Jahre wurde sie alt. Zwölf, was im Umkehrschluss bedeutete, dass ihr Vater seit mehr als sechs Jahren tot war. Der Schmerz war seitdem verblasst, doch er war immer noch real. Mittlerweile waren wir darüber hinweg, der Verlust ein Teil von uns geworden. Wir würden ihn jedoch nie vergessen.

Damit genau das nie geschah, führte ich dieses alljährliche Ritual durch, buddelte, jätete, pflanzte. Nicht, dass ich über einen sonderlich grünen Daumen verfügte. Dennis war der Gärtner in der Familie gewesen. Er hatte es geliebt, in der Erde herumzuwühlen. Sobald die ersten Sonnenstrahlen herauskamen und der Winter sich dem Ende neigte – aber allerspätestens im März – begann für ihn die schönste Zeit des Jahres. Und ich führte diese kleine Tradition fort, erinnerte mich so an den gütigsten und liebevollsten Menschen, an denjenigen, der mir in den dunkelsten Stunden meines Lebens beigestanden, mich aufgefangen und mir ein Zuhause gegeben hatte. Auch wenn ich ihn nie so hatte lieben können, wie er es verdiente, so waren wir doch eine Familie gewesen.

Ich wühlte mich gerade durch das Tulpenbeet, befreite die oberflächliche Erde von Unkraut, damit die Zwiebeln in ein paar Wochen sprießen konnten und nicht unter wucherndem Grünzeug begraben wurden, als ich zusammenzuckte. Ein Geräusch aus dem Haus. Automatisch drehte ich den Kopf Richtung Terrasse. Malin konnte unmöglich schon zurück sein. Um diese Zeit war sie in der Schule. Meinen freien Tag hatte ich extra so gelegt, dass ich das gute Wetter für die anstehende Gartenarbeit nutzen konnte. Irritiert blinzelte ich, als es erneut aus dem Haus schepperte. Was – oder besser gesagt – wer konnte das sein?

Ich zog die Gartenhandschuhe aus, überlegte kurz und griff nach der Grabharke. Kurzer Stiel, verzinkte gebogene Enden. Einbrecher oder nicht, das Teil würde jedem Kerl das Fürchten lehren! Ich stemmte mich aus der Hocke und ging mit raumgreifenden Schritten Richtung Terrasse. Die vier Stufen nahm ich mit zwei kurzen Sprüngen. Vor der Tür hielt ich inne. Kurz überlegte ich, ob ich laut rufen und nachfragen sollte, wer da war, doch ich entschied mich dagegen. In Thrillern erwies sich das Rufen nie als besonders gute Idee. Also machte ich lediglich einen großen Schritt über die Schwelle, wich Malins Schuhen und Jaakkos Crocs aus und tänzelte auf Zehenspitzen Richtung Eingang. Ich brauchte nicht weiter als zwei, drei Meter gehen, als ich den Eindringling identifizierte. Ich ließ die Gartenharke sinken und starrte Jaakko verblüfft an. Er kauerte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Fliesen im Türrahmen, klammerte sich an selbigen und ächzte und stöhnte, als hätte er einen Marathon hinter sich.

»Was machst du hier?« Eigentlich hätte ich mich freuen sollen, doch ich war zu erstaunt. Ich erwartete ihn erst in drei Tagen, nach einem unplanmäßigen Umweg über Atlanta.

Jaakko stöhnte. »Wonach sieht es denn aus, Kitty?«

Ich legte den Kopf zur Seite. »Ich habe keine Ahnung.« An seiner Haltung, dem verzerrten Gesicht und den zitternden Muskeln erkannte ich, dass er ziemlich am Ende seiner Kräfte war. Ich legte die Harke beiseite und trat zu ihm. »Aber lass uns dich erst mal reinbringen. Dann kannst du mir erklären, was du hier tust.« Ich schob meine Schultern unter seinen Arm und hievte ihn ins Wohnzimmer. Angenehm roch er nicht, nach zu viel Schweiß und abgestandenem Qualm, aber das Warum konnten wir klären, sobald er auf der Couch lag.

»Och, ich fand die Position in der Tür sehr gemütlich. Hat mal nix wehgetan.« Ah ja, Witze reißen ging noch. Dann konnte es auch nicht so schlimm sein.

»Du riechst schrecklich«, murmelte ich und lud ihn auf der Couch ab. Jaakko seufzte erleichtert und sank augenblicklich zur Seite.

»Sei so gut und zieh mir die Schuhe aus und danach will ich schlafen, für mindestens eine Woche.« Ich zog die Augenbraue hoch. Okay, er war schon öfter von Tour heimgekommen und fix und fertig gewesen, aber das war neu. Ich schnürte seine Stiefel auf, zog sie ihm aus und brachte sie vor die Tür, wobei mir auffiel, dass er nur einen Gitarrenkoffer bei sich hatte. Unwillkürlich erinnerte mich das an Antonio Banderas. Nee, ich schüttelte den Kopf, bückte mich nach dem Koffer und schloss die Haustür.

»Sag mal, wo sind deine Sachen? Dreckwäsche, Tourrucksack, deine anderen Taschen, die du mitgenommen hast?«

Jaakko grunzte. »Ich vermute, in Atlanta.« Ich hatte ja schon viele, eigenartige Antworten von ihm bekommen, aber die stach alle anderen um Längen aus.

»Wie bitte? Warum sind deine Sachen noch in Atlanta?«

»Weil ich keine Lust mehr hatte, ins Hotel zu gehen.«

»Ah, ja.« Ich umrundete die Couch und setzte mich neben ihn. »Was noch?« Ich schnüffelte erneut. Ein sauerer Geruch stieg mir in die Nase. »Ist das … Erbrochenes?«

Jaakko lugte unter seinem Arm, den er sich über die Augen gelegt hatte, hervor. »Jep, meins.«

Langsam wurde es mir zu bunt. »Jaakko Salmela, du sagst mir jetzt auf der Stelle, was passiert ist.Aus deinen kryptischen Antworten kann und will ich mir nichts zusammenreimen.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Die Kurzversion?«

»Fürs erste wird die genügen.«

Er spannte sich an, atmete tief durch und öffnete den Mund. »Ich hab den Job in Atlanta bekommen, aber auf die Straße gekotzt, weil ich die Schmerzmittel nicht vertragen hab oder so nen Scheiß. Und dann hab ich ihm den Laufpass gegeben, ihm die Band überschrieben und bin zum Flughafen gefahren. Deswegen sind meine Sachen noch in Atlanta. Darf ich jetzt bitte schlafen?« Er wälzte sich zur Seite und wandte mir den Rücken zu, nicht ohne wirklich eindrucksvolle Schmerzgeräusche von sich zu geben. Ich blinzelte verstört.

»Wie bitte?«

»Ich wiederhole mich erst morgen früh wieder.«

»Du hast … Schmerzmittel genommen? Was für eines? Wo tut es dir weh? Wie kann ich dir helfen?«

Jaakko ließ sich wieder auf den Rücken fallen, sah mich an, griff nach meinen Händen und zog mich an sich. »Du bist die erste, die mich wirklich fragt, wie es mir geht, Kitty. Alle anderen, Jesse voran, haben die letzten Wochen nur immer gesagt, tu dies, tu jenes, spring höher.« Er grub seine Nase in mein Haar und atmete tief ein. »Gott, ich hab dich so vermisst.«

Ich lächelte und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du stinkst wirklich erbärmlich. Was ist mit der Band? Ist das dein Ernst?« Ich löste mich von ihm und sah ihn kritisch in die Augen. Sein Blick strahlte eine ungewohnte Härte aus.

»Ich musste. Jesse dreht völlig durch. Termine, Termine, Termine. Wie ein Hamsterrad. Das in Atlanta war nur die Spitze des Eisbergs. Ich hab die letzten Wochen nur noch Schmerzmittel gefressen. Das konnte so nicht weitergehen. Entweder ich ziehe die Reißleine oder …« Er brauchte nicht weitersprechen, ich wusste auch so, was er meinte. Der Griff zur Flasche war immer nur einen halben Meter entfernt. Jaakko war seit mehr als zehn Jahren trocken, doch der Alkohol würde sein Leben lang wie ein Damoklesschwert über ihm schweben. Wenn er nicht auf sich achtete, wurde die Versuchung vielleicht irgendwann zu groß. »Ich wollte nicht mein Leben mit dir aufs Spiel setzen, nicht noch mal. Diesmal wollte ich mich richtig entscheiden.«

Ich blickte ihn einen Augenblick an. Er hatte die Band aufgegeben, für uns. Meine Brust zog sich zusammen. Er hatte die Familie über die Band gestellt. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchdrang jede Zelle meines Körpers. Dass er das getan hatte, bedeutete mir unglaublich viel. »Schatz.« Ergriffen zog ich ihn an mich, drückte ihn so fest, dass er schmerzerfüllt stöhnte. »Sorry«, entschuldigte ich mich und ließ ihn sich wieder hinlegen. Er hatte sich für mich, für uns, für seine Familie entschieden, gegen die Band. »Das muss unglaublich schwer für dich gewesen sein.« Zärtlich strich ich ihm über die Wange, zeichnete seine Schläfe nach und kämmte mit den Fingern durch sein Haar.

»Na ja, wenn der Leidensdruck hoch genug ist … Cat, ich hab irgendeinen Scheiß geschluckt, ohne zu wissen, was das war. Da wurde mir klar, dass das so nicht weitergehen konnte. Jesse ist nicht mehr wiederzuerkennen. Noch vor ein paar Jahren hat er mir wegen ein paar Aufputschpillen die Hölle heiß gemacht und den Manager gefeuert, aber dieser Mann war mir völlig fremd. Das war nicht mehr mein Freund.« Er schluckte heftig, schien mit starken Emotionen zu kämpfen. Verständlich. Gemeinsam hatten sie gegen den Alkohol gekämpft … und gewonnen. Um den alten Jesse zurückzubekommen, hätte Jaakko gesund sein müssen, was mich zu meiner ursprünglichen Frage brachte.

»Okay, du hast eine Entscheidung getroffen und wir stehen das durch. Aber zunächst sollten wir uns vielleicht um dein dringlichstes Problem kümmern?«

Jaakko hob die Augenbraue. »Schlaf?«

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Der Geruch. Badezimmer, ausziehen, Wanne. Und dann kümmern wir uns um deinen Rücken.«

»Du hast etwas vergessen.«

»Mh?«

»Sex. Immer wenn ich nach Hause komme kriege ich Sex.« Ich lachte auf.

»Du kriegst Sex, aber ich glaube kaum, dass du ihn genießen kannst.«

Jaakko grunzte, zog mich an sich. »Egal, ich muss dich spüren, jetzt.«

Ich stemmte mich gegen ihn. »Irrtum, Mr., Badewanne, Bett. Und während du den Dreck und Gestank loswirst, können wir reden. Zum Beispiel über die Medikamente.« Jaakko stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Ich habe ein paar verdammt harte Tage hinter mir.«

Ich runzelte die Stirn. »Und du willst nicht reden?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.«

»Auch okay, aber du gehst trotzdem baden. So kommst du nicht in mein Bett.« Ein teuflisches Grinsen huschte über seine Züge und der wahre Jaakko kam hinter all der Abgespanntheit und Erschöpfung zum Vorschein. Seine Augen blitzten angriffslustig, seine Mundwinkel kräuselten sich. Allein dieser Ausdruck ließ ihn gut und gern zehn Jahre jünger erscheinen.

»Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, wer dieses Bett gekauft, unters Dach geschleppt und aufgebaut hat. Im Übrigen gehört mir das Dachgeschoss. Dort oben kann ich tun und lassen, was ich will.« Mein verstorbener Ehemann hatte Jaakko das Dachgeschoss vermacht, sozusagen um ihn an mich zu ketten. Der sprichwörtlich Nachtreter aus dem Jenseits. Damals war ich stinkwütend gewesen, heute nur noch dankbar, dass Dennis sich durchgesetzt hatte. Ohne ihn wären Jaakko und ich uns niemals wieder nähergekommen. Doch ich glaube nicht, dass Dennis‘ Gedanken die gleiche Richtung genommen hatten, wie Jaakkos jetzt, als er ihn ins Dachgeschoss gebracht hatte.

»Und das schließt Sex mit ein?«

»Schmutzigen Sex.«

Ich verdrehte die Augen. »Schmutzigen Sex hat man aber nur, wenn man sauber ist.«

Jaakko stöhnte. »Okay, du bist der Boss. Aber ich fürchte, ich komme nie wieder aus der Badewanne raus, wenn ich erst mal da drinliege.« An der Vermutung konnte etwas dran sein, doch darüber würde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit war.

»Irgendwie kriegen wir dich da auch schon wieder raus. Immerhin hast du dreizehn Stunden Flug durchgestanden.«

Jaakko stemmte sich mit meiner Hilfe in eine sitzende Position, stellte die Füße auf den Boden und atmete ein paar Mal tief durch, wobei er den Kopf leicht gesenkt hielt und sich ausschließlich auf seine Atmung zu konzentrieren schien. »Frag nicht. Der Flug war die Hölle.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Ich setzte mich neben ihn, half ihm, seinen Arm auf meine Schulter zu legen und hievte ihn auf die Beine. Jaakko presste die Zähne zusammen.

»Okay, das hätten wir. Bleibt nur noch die Treppe.« Schritt für Schritt schwankten wir durch das Wohnzimmer und machten schließlich gezwungenermaßen vor dem ersten Absatz Halt. Jaakko stieß einen Seufzer aus und wanderte mit seinem Blick Stufe für Stufe die Treppe hinauf, sah sie an, als hätte sie die Ausmaße des Mount Everest. Die Treppe war so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander gehen konnten. Wann immer man sich auf der Treppe begegnete, einer rauf, der andere runter wollte, musste man einen komplizierten Tanz ausführen oder eben zurückweichen. Kam ich mit einem Wäschekorb von oben, hatte der Entgegenkommende keine Chance. Er musste umkehren. Kurzum, die Treppe war verdammt schmal.

»Ich könnte dich schieben?«, schlug ich vor. Jaakko starrte mich an.

»Einem alten Mann, der sich nicht wehren kann, an den Hintern packen, würde dir gefallen, was?«

Ich grinste unverschämt. »Nichts, was ich nicht schon in der Hand hatte. Du hast keine Alterntive, als dich am Geländer hochzuziehen oder unten zu bleiben.«

»Couch?« Fragend hob er eine Augenbraue.

»Nicht mit diesem Potporie an …« Ich rümpfte die Nase, »… exotischen Gerüchen. Du gehst da hoch.« Jaakko seufzte ergeben.

»Du bist schlimmer als Jesse. Vielleicht hätte ich doch in Atlanta bleiben sollen.

---ENDE DER LESEPROBE---