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Wenn sich der größte Kotzbrocken plötzlich als wahrer Gentleman entpuppt und sich Gefühle entwickeln, wo sie eigentlich nicht hingehören. Sam Marshall arbeitet als Barkeeperin im Lamb und hat für jeden ein Lächeln übrig. Selbst für den aroganten Tierarzt Dr. Rhys McKinney, der ihr seit letzten Winter zunehmend auf die Nerven geht. Ständig kritisiert er sie, nörgelt an ihr herum oder beschimpft sie als wandelnde Katastrophe. Befinden die beiden sich in einem Raum, ist Streit vorprogrammiert. Als Sams Schwester einen Junggesellinnenabschied veranstaltet, verirrt sich Sam zufällig in die Arme des verhassten Tierarztes – nur mit einem Handtuch bekleidet! Von da an sieht sie ihn mit anderen Augen. Können beide ihre Vorurteile überwinden oder verschwimmt ihre Anziehungskraft wie die Sicht im Schneesturm? Liebesroman im Kleinstadt-Setting mit Happy-End-Garantie!
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Veröffentlichungsjahr: 2024
1. Auflage, 2024
©Danara DeVries – alle Rechte vorbehalten.
Danara DeVries
c/o easy-shop
K. Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig (Anhalt)
Lektorat: Lektorat Franziska Schenker
Coverdesign: Dream Design - Cover and Art
Bildnachweise: @qimono, pixabay, depositphotos.com
Verwendete Schriften: Great Vibes, Linus Libertine, Trajan Pro 3
https://www.danara-devries.de
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Kapitel 1
Gedämpfte Barmusik schallt aus den Lautsprechern. Stimmen überlagern einander, vermischen sich mit den Klängen gezupfter Bässe, harter Akkorde und schallendem Gesang.
Die Musik ist weniger hip als in der Großstadt, das Grölen lauter, dröhnender, voller Gelächter, schenkelklopfender Scherze und derber Sprüche.
Und über allem die klaren Ansagen der Bardame, die Getränke serviert, gekonnt den sexuellen Anspielungen ausweicht und dennoch für jeden Gast ein Lächeln übrig hat.
Selbst für mich.
Wo ich mich doch mehr wie ein Stück Scheiße fühle.
»Und? Darf es noch etwas für Sie sein, Mr. McKinney?« Samantha Marshall lehnt sich über den Tresen, stützt ihr Kinn in die hohle Hand und schenkt mir ein atemberaubend schönes Lächeln.
Es fährt mir bis tief in die Eingeweide und erzeugt ein Gefühl, welches ich nie wieder wahrnehmen wollte.
Natürlich lächelt sie mich an, doch hat es nichts zu bedeuten.
»Noch einmal das Gleiche, Ms. Marshall.« Ich schiebe ihr mein leeres Bierglas über den Tresen.
Verkehrt herum stülpt sie den Krug ins Spülwasser und zapft mir ein neues Helles.
»Ich habe Sie schon lange nicht mehr hier gesehen. Was treibt Sie den Berg runter, raus aus Ihrer muffigen und einsamen Praxis?« Die spitze Aussage garniert sie mit einem strahlenden Lächeln, doch das schwächt den fiesen Stich in meinem Magen nicht.
»Wenn Sie darauf abzielen, ich könnte einsam sein, das bin ich nicht. Mir geht es ganz hervorragend.« Auf dem Barhocker drücke ich den Rücken durch und straffe die Schultern. »Nicht jeder fühlt sich in dieser Atmosphäre wohl.« Mit einer Geste schließe ich das Lamb ein, wobei meine Worte nicht ganz der Wahrheit entsprechen.
Das Lokal strahlt eine Art Heimeligkeit aus, der ich mich bisher entziehen konnte.
Heute Abend allerdings hat es mich hergezogen.
Keine Ahnung, was ich hier zu finden gehofft habe.
Zumindest nicht Sam Marshalls spitze Bemerkungen.
»Gut.« Sie platziert den Krug vor mir, zieht das benutzte Glasgefäß aus der Spüle und stellt es mit der Öffnung nach unten auf das Abtropfgitter.
»Und das war's? Mehr Reinigung lassen Sie den Gläsern nicht zukommen?« Angewidert greife ich nach meinem neuen Bier und halte das Glas so gegen das Licht, dass ich den Rand nach verräterischen Restspuren untersuchen kann. Nichts.
»Natürlich. So machen wir das schon immer.«
»Also ich weiß nicht.«
»Trinken Sie Ihr Bier oder lassen Sie es bleiben, McKinney. Einen aufs Haus kriegen Sie auf diese Weise nicht.« Die Stirn in Falten gelegt, schiebt sie ihr Kinn vor und mustert mich von oben herab.
Mein Gott, wenn sie mich so ansieht, muss ich achtgeben, dass ich nicht auf sie reagiere.
Hastig winke ich ab.
»Schon gut. Ich will kein Arsch sein.«
»Da haben Sie sich ja was vorgenommen.« Ihr Mundwinkel hebt sich. »Gerade verhalten Sie sich sehr arschig. Die Gläser sind sauber. Sie sind vielleicht nur etwas anderes gewohnt. Dort, wo Sie herkommen.« Mit einem Geschirrtuch greift sie nach dem Krug und poliert ihn geschäftig.
»Was soll denn das heißen? Wo ich herkomme?«
Denkt sie, ich halte mich für etwas Besseres?
»Was weiß ich?« Sie zuckt mit den Schultern. »Man sieht Sie ja kaum hier, noch besuche ich Ihre Praxis. Falls Sie sich erinnern, haben Sie mir verboten, ohne ein Tier bei Ihnen vorbeizuschauen.«
»Weil Sie keins haben! Warum auch sollten Sie zum Tierarzt kommen?«
»Eben!«
Könnte es sein, dass sie sauer ist?
Auf mich?
Weil ich sie damals wegen Lionel zurechtgewiesen habe?
Oh Mann.
Selbstverständlich will ich nichts von ihr, aber es stört mich, dass sie sich gekränkt fühlen könnte.
»Aber Sie haben kein Tier und –«
»Sparen Sie sich die Puste, McKinney. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit Ihnen zu streiten. Schon gar nicht wegen Ihres lächerlichen Verhaltens letzten Januar. Nicht deswegen.«
»Meines lächerlichen Verhaltens?«
»Jawohl.« Schwungvoll wirbelt Sam und lässt mich sitzen.
Mit offenem Mund starre ich ihr hinterher, doch sie dreht sich nicht noch einmal um.
Toll. In ihren Augen bin ich also eine Witzfigur.
Fantastisch.
Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch setze ich das Glas an die Lippen und stürze kühles Bier die Kehle hinunter.
Ah. Das tut gut.
Besänftigt zumindest mein aufgewühltes Inneres.
Scheiße.
Eigentlich war ich hergekommen, um mich zu entspannen, um die Nachricht meiner Mutter zu verdauen.
Aber nein, mir ist nicht mal ein kühles Bier und etwas Ruhe vergönnt.
Mit zusammengekniffenen Augen beobachte ich Sam Marshall.
Kann gar nicht aufhören, sie anzustarren. Ihren knackigen Po zu bewundern, die eleganten Bewegungen, die gezielten Griffe und dieses absurd freundliche Lächeln, welches winzige Risse bekommt, sobald sie in meine Richtung schaut.
Daraufhin zuckt sie zusammen, verharrt für eine Millisekunde auf mir, bevor sie sich hastig und leicht stockend wieder ihrer Arbeit zuwendet.
Jedes Mal, wenn ich mir sicher bin, dass sie mich nicht anschaut, heben sich meine Mundwinkel. Wenn sie in meine Richtung blickt, verstecke ich mein Grinsen hinter dem Bierkrug, sodass er zügig geleert ist.
Als Sam mein Glas in Augenschein nimmt, wendet sie sich in meine Richtung. Bevor sie mich erreicht, schneidet ihr Owen den Weg ab und drückt ihr einen Teller mit Essensresten in die Hand.
»Kannst du das bitte in die Küche bringen?«
»Küche?« Sam nimmt das Besteck und greift nach dem Tellerrand. »Das wäre doch reine Verschwendung.« Zielstrebig steuert sie das Hundekörbchen an, welches neben der Theke steht. Lachend bückt sie sich zu dem Affenpinscher, der aufsteht, mit dem Schwanz wedelt und sich winselnd die Schnauze leckt. »Wenn du nichts dagegen hast, kann doch Lionel die Reste fressen.«
»Bist du sicher? Ist das nicht zu scharf gewürzt?« Unsicherheit schwingt in Owens Stimme mit.
»Ach was.« Gekonnt schiebt Sam ein paar gekochte Nudeln an den Tellerrand. »Ich achte darauf, dass er keine Soße kriegt. Oder nicht zu viel. Aber wenn du das nicht möchtest, dann entsorge ich die Reste.«
Lionel bellt.
»Siehst du. Lionel ist ganz scharf auf die Nudeln.«
Owen seufzt. »Na dann gib sie ihm schon. Herrje. Seit du über dem Lamb wohnst, habe ich überhaupt kein Mitspracherecht mehr bezüglich seiner Ernährung. Du verwöhnst ihn, Sam.« Owen wischt sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und wendet sich dann der Zapfanlage zu. »Mal ganz davon abgesehen, dass er mehr Zeit mit dir als bei mir verbringt.«
»Eifersüchtig?« Aufgeregt hüpft der Fellball um ihre Füße herum.
Ach, Mist!
Ich dachte, Owen setzt sich Sam gegenüber durch.
Sie beugt sich zu Lionels Teller.
Der Kleine wedelt mit dem Schwänzchen und läuft um seine Futterstelle herum, winselt immer wieder.
»Stopp!« Ich rutsche vom Hocker.
Mit zusammengezogenen Brauen hält Sam inne. Finster mustert sie mich wie das Haar in ihrer Suppe.
Gut, damit komme ich klar. Hauptsache, sie vergiftet Lionel nicht.
Meine Boots hinterlassen dumpfe Klänge auf dem Holzboden. »Sie können dem Hund keine Essensreste geben. Die Kohlenhydrate in den Nudeln sind schädlich für seinen Magen.«
»Entschuldigen Sie mal. Lionel ist nicht Ihr Hund, Mr. McKinney.«
Wütend balle ich die Fäuste. »Dr. McKinney, bitte.«
So, schließlich bin ich Tierarzt und sie hat keine Ahnung von Hundeernährung.
»Und außerdem …« Sie erhebt sich aus der Hocke, richtet sich zu ihrer vollen Größe auf und streckt den Hals, so hoch sie kann.
Wetten, dass sie sogar auf den Zehenspitzen steht?
Trotzdem widerstehe ich dem Drang, es nachzuprüfen.
Dennoch muss sie den Kopf in den Nacken legen. Schadet ihr nicht im Geringsten.
Sie sieht atemberaubend aus, erst recht mit der zauberhaften Gewittermiene.
Demonstrativ verschränke ich die Arme vor der Brust. »Ja?«
»Ist Lionel nicht Ihr Hund.« Sie reckt das Kinn. »Owen hats erlaubt und damit basta.«
»Als Lionels Arzt verbiete ich die Fütterung von Nudeln. Kohlenhydrate haben im Magen eines Karnivoren nichts verloren.«
»Karni – was?« Sam blinzelt.
Ihre begriffsstutzige Miene ist bezaubernd.
»Fleischfresser.« Langsam beuge ich mich vor, nur um herauszufinden, ob sie zurückweicht. Tut sie nicht, sodass ich mich mit ihr auf Augenhöhe befinde – ihre Nasenspitze berührt beinahe meine. »Sind Sie doch nicht so allwissend, wie Sie immer tun, Ms. Marshall?«
»Das habe ich nie behauptet. Ich wollte nur Lionel etwas Gutes tun. Er mag Nudeln und –«
»Er ist ein verwöhnter kleiner Affenpinscher, der heute Nacht furzen wird, was das Zeug hält. Ich wollte nur Sie und den Hund vor Schaden bewahren.«
»Mich?« Einen Schritt zurückweichend, greift sie sich an die Brust. »Seit wann interessieren Sie sich denn für mich?«
»Gar nicht. Sie gehen mir gelinde gesagt am Allerwertesten vorbei. Aber Lionel nicht.«
Der Affenpinscher sitzt zu meinen Füßen und wedelt mit dem Schwänzchen. Hingebungsvoll betrachtet er mich. Als ich meine Aufmerksamkeit auf ihn richte, winselt er dramatisch.
Toll. Was für eine Drama-Queen.
»Und du solltest aufhören, Ms. Marshall um den Finger wickeln zu wollen.« Ich bücke mich nach Lionel und nehme ihn auf den Arm, kraule ihm das Kinn. »Nudeln sind kein Hundefutter. Sie tun dir nicht gut. Haben wir uns verstanden?«
»Verstanden.«
Sein Hals wird länger und länger. »Du bist ein hinterlistiger, kleiner Scheißer –«
Was?
Ich blinzle.
Habe ich mich gerade verhört oder hat mir Ms. Marshall zugestimmt.
»Wie bitte?«
Lächelnd zuckt sie mit den Schultern. »Sie haben in allen Punkten recht, Mr. McKinney. Lionel ist ein Meister darin, die Dinge, die er will, zu erbetteln. Und ich bin nicht Frau genug, gegen diese süßen Hundeaugen anzukommen, was?« Sanft fährt sie ihm über das Köpfchen. »Dafür bist du einfach viel zu süß.«
Oh, Gott. Die Art, wie sie mit Lionel umgeht, fährt mir tief in die Eingeweide, sodass ich kaum noch auf sie böse sein kann.
Ihr Lächeln vereinnahmt mich.
Der Moment vergeht, sobald sie den Kopf hebt.
Wenn Blicke töten könnten, würde ich auf der Stelle umfallen.
»Selbstverständlich werde ich Lionel keine Reste geben, wenn es für ihn das Beste ist. Schließlich sind Sie der Experte, Dr. McKinney, nicht wahr?« Sie nimmt mir den Hund aus dem Arm und drückt ihn an ihre Brust.
Mein Magen verkrampft sich, ich grabe die Nägel in die Handflächen. »Das bin ich.«
»Dann werde ich Lionel jetzt richtiges Hundefutter geben. Oder möchten Sie das eventuell auch noch absegnen?«
»Das wird nicht nötig sein.«
Ihre Worte liegen wie eine Schnur um meinen Hals. Langsam zieht sie zu. Ich werde den Teufel tun und zurückweichen. »Ich vertraue auf Owens Kompetenz als Hundebesitzer.«
Sams einzige Erwiderung besteht in einem knappen Nicken, bevor sie herumwirbelt und mit erhobenem Kopf davonstapft.
Mit einem schalen Gefühl lässt sie mich zurück.
Schließlich bin ich unschuldig.
Sie war es, die Lionel Nudeln geben wollte. Ich hingegen habe ihn vor Schaden bewahrt.
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich mich zwar im Recht befinde, mich aber falsch verhalten habe.
Hastig schüttle ich mich und nehme wieder Platz, will meinen Ärger mit einem Schluck Bier herunterspülen. Mein Glas ist leer und nachdem ich mich Sam gegenüber wie ein Arsch aufgeführt habe, weiß ich nicht, ob sie mir heute noch einmal nachschenken wird.
Ist besser so.
Unsere Chemie stimmt nicht.
Und darüber bin ich äußerst dankbar.
Denn wenn ich eines in meinem Leben gelernt habe, dann, dass man sich an Bardamen nur die Finger verbrennt.
Dieser blasierte Arsch!
Was bildet sich der Kerl ein?
Als ob ich nicht wüsste, was gut für Lionel ist und was nicht.
Statt mich weiterhin mit Mr. Oberarsch McKinney anzulegen, habe ich mich für den Rückzug entschieden. Auch wenn Owen ein großartiger Chef ist, will ich ihn nicht in Verlegenheit bringen, indem ich mich vor den Gästen mit einem von ihnen streite.
Dabei spielt es keine Rolle, dass McKinney recht haben könnte.
Es ist seine Art, die mich auf die Palme bringt.
Wie kann er mich nur dermaßen zurechtweisen!
Verdammt, ich kam mir vor wie ein dummes Kind, dem man in Oberlehrermanier etwas erklären muss.
Die Scham brennt in meinem Nacken. Dort, wo sein Blick ruht. Er muss es einfach.
Warum sonst sollte es so brennen?
Scheiße, und warum interessiert mich das?
Pf, tut es nicht.
Minuten später, nachdem mich Lionels zufriedene Fressgeräusche beruhigt haben, kehre ich an den Tresen zurück. McKinney kauert auf dem gleichen Platz wie vorhin, hat die Konzentration tief ins Glas versenkt und scheint den Vorfall vergessen zu haben.
Inständig bete ich, dass der Kerl sich diesen Sitz nicht als seinen neuen Stammplatz auserkoren hat. Darauf, ihn jeden Abend hier hocken zu sehen, kann ich verzichten.
Verstimmt registriere ich sein volles Bier.
Toll, Owen muss Erbarmen mit ihm gehabt haben.
Von mir hätte er heute kein weiteres Getränk bekommen.
Angesäuert wende ich mich dem Spülbecken zu und schrubbe besonders gründlich.
Niemand soll sagen, dass wir im Lamb nicht auf Sauberkeit achten. Die Gläser werden so glänzen, dass man sich darin spiegeln kann.
Jawohl!
»Hey, Sam, übertreib es nicht.« Owen verdreht die Augen. »Schau lieber mal die Nachrichten.«
»Ich schaue kein Fernsehen«, murre ich und reinige gründlich den Rand des Glases, welches ich gerade in der Mangel habe. »Ich habe zu tun.«
Owen stellt sich neben mich und versetzt mir einen Stoß mit der Schulter. »Auch dann nicht, wenn deine Schwester und dein Schwager im Fernsehen zu sehen sind?«
»Remy ist nicht mein Schwager, sie werden erst im April nächsten Jahres heiraten. In England und …« Langsam tröpfelt die Erkenntnis in meinen Verstand. »Im Fernsehen? Wo?«
Owen lacht.
Ich fahre auf dem Absatz herum, nehme eine Ladung Spülwasser mit und verteile sie auf der Gummimatte, die hinter dem Tresen liegt. Den Kopf in den Nacken gelegt, schaue ich zum Fernseher hoch.
Tatsächlich.
Remy und Nessa.
Und in was für einem Aufzug.
Perplex lasse ich die Hände sinken, das Wasser läuft meine Finger herunter und ich starre auf den Monitor.
Auf einem eleganten Sofa in Creme mit goldverzierter Umrandung sitzt Nessa, hat die Beine übereinandergeschlagen und grazil zur Seite gelegt, die Hände sittsam auf den Knien gefaltet. Das dunkelblaue Kostüm steht ihr hervorragend und die Hochsteckfrisur lässt sie um mindestens zehn Jahre älter wirken. Sie trägt außerdem eine cremefarbene Perlenkette mit passenden Ohrsteckern und ein dezentes Make-up.
Neben ihr sitzt Remy, hat die Hand auf ihre Hände gelegt und lächelt charmant in die Kamera. Die dunkelblaue Marineuniform zeichnet ihn als Mitglied der Royal Navy aus.
Ein weißer Hut mit schwarzer Krempe sowie die Handschuhe ruhen an seiner Seite. Derweil unterhält er sich mit einer Frau in einem bordeauxfarbenen Kostüm, die seitlich des Paares auf einem zum Sofa gehörenden Sessel sitzt.
Während des Interviews versprüht das Paar reines Glück.
Ständig zeigt Remy die Zähne und Nessa senkt gelegentlich schüchtern den Kopf.
Man merkt ihr an, wie ungewohnt die Situation für sie ist.
»Hat sie dir davon nichts erzählt?«
Fahrig schüttle ich den Kopf.
»Soll ich lauter machen?«
Geistesabwesend krame ich mich durch meine Gedanken, aber mir will nicht einfallen, ob Nessa irgendetwas von einem Interview gesagt hat.
Owen richtet die Fernbedienung auf den Monitor und schaltet den Ton ein. Es dauert ein paar Sekunden, bis er die Lautstärke dem Geschnatter der Gäste angepasst hat. Je mehr Zeit verstreicht, desto größere Aufmerksamkeit zieht das Interview auf sich. Die Gespräche verstummen. Nach und nach versammeln sich alle um den Tresen.
»Zeigen Sie unserem Publikum den Ring, Nessa?« Die Reporterin beugt sich interessiert vor. »Das klingt jetzt wie ein Klischee und gerade in der heutigen Zeit sollten wir Frauen uns davon lösen, aber ich bin sicher, dass jede Zuschauerin gern einen Blick auf Ihren Verlobungsring werfen würde.«
»Verlobung? Sind die nicht ein bisschen spät?« Owen legt die Fernbedienung beiseite. »Wir wussten schon vor Monaten Bescheid.« Er wendet dem Bildschirm den Rücken zu und wischt geschäftig über die Theke. »Oder etwa nicht?«
»Doch, doch. Wussten wir. Aber ich nehme an, das ist eine Art offizielles Interview?«
Soweit ich mich erinnern kann, trug Nessa einen schlichten Verlobungsring aus mattem Gold, glatt und ohne Stein.
Schüchtern lächelt meine Schwester, als sie den Ring in die Kamera hält, die Aufnahme zoomt heran. Nessas Finger ziert ein anderes Stück mit einem riesigen Stein in der Einfassung.
Wow. Den habe ich noch nie gesehen, aber er muss ein Vermögen wert sein.
»Das ist der Verlobungsring meiner Mutter«, sagt Remy. »Sie hat ihn mir für meine Verlobte gegeben, da sie ihn nicht mehr tragen konnte. Umso glücklicher bin ich, dass ich jetzt die Richtige gefunden habe.«
Die Kamera fährt wieder aus dem Bild und zeigt Remy, der den Arm um Nessa legt und sie strahlend anlächelt.
»Also ist es jetzt offiziell?«
Jemand zupft an meinem Ärmel herum, sodass ich mich umdrehe.
Jon Shaffer.
Na toll.
»Deine Schwester heiratet den englischen Lord und du bist dann quasi eine Adelige?«
»Wie kommst du denn darauf, Jon?«
Zu meiner Überraschung legt er einen Finger an die Lippe und zieht die Stirn kraus.
Denkt er nach?
Nicht Jon Shaffer.
Der Kerl ist seit Jahren nur damit beschäftigt, die nächste Braut klarzumachen.
In seinem Kopf befindet sich keine einzige intakte Gehirnzelle.
»Nein, ist sie nicht.«
Jon und ich zucken gleichzeitig zusammen.
Links von ihm taucht plötzlich Rhys McKinney auf und platziert seinen leeren Bierkrug neben dem halbgefüllten von Jon.
»Ach nein?«, blafft Jon. »Und woher willst du das wissen? Hast wohl Bildung?«
Rhys verzieht das Gesicht. »Im Gegensatz zu dir, Shaffer, hab ich was anderes im Kopf als Frauen.«
»Hört, hört … Also ist Sam nun adelig? Dann würde ich sie gern mal knallen.«
Mit finsterer Miene mustert Rhys Jon, sodass dieser tatsächlich den Kopf zwischen den Schulterblättern einzieht und sich wie ein geprügelter Hund wieder seinem Bier zuwendet.
Bedrohlich beugt sich McKinney vor und packt Jon im Nacken. »Überdenke in Zukunft deine Wortwahl, wenn du mit Ms. Marshall redest?« Er bringt seine Lippen ganz nah an die von Jon. »Ist das klar?«
Der Junge zuckt zusammen und nickt zittrig.
Nicht Mann.
Jon mag fast dreißig sein, aber im Moment kommt er mir vor wie ein pubertierender Fünfzehnjähriger, der von einem Mann – einem ganzen Kerl – auf seinen Platz verwiesen wird.
Wie ein Wolf belauert ihn Rhys, wartet auf eine falsche Bewegung.
»Ja, ist klar.«
»Ja, Sir, bitte.« Fester packt Rhys zu.
Jon erbebt am ganzen Körper. Mit zittriger Stimme antwortet er: »Ja, Sir.«
»Und jetzt hau ab.« Rhys zerrt ihn vom Barhocker und schubst ihn zur Seite.
Jon reibt sich den Nacken und stolpert davon, verschmilzt mit der Menge.
Rhys seufzt und wendet sich wieder mir zu. »Der wird Sie nicht mehr stören.«
»Was zur Hölle sollte diese Aktion?« Ich verschränke die Arme unter meinen Brüsten.
»Ich verstehe nicht.« Seine Hände ballen sich auf dem Tresen zu Fäusten.
»Offensichtlich nicht. Jon war schon immer ein Arsch. Seine Sprüche haben sich in den letzten zwanzig Jahren nicht geändert.« Dann beuge ich mich vor. »Ich komme mit ihm klar, weiß, wie ich auf seine Anmache reagieren soll. Dazu brauche ich keinen versnobten Tierarzt, der sich für etwas Besseres hält. Möglich, dass ich mich nicht mit Hunden auskenne, aber mit aufdringlichen Gästen werde ich fertig.«
Angriffslustig hebt McKinney das Kinn. »Ach? Sie denken also, ich bin versnobt? Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet?«
Wenn ich könnte, würde ich dem Kerl eine scheuern.
Kann ich aber nicht, denn mein Job ist es, jeden noch so penetranten Gast anzulächeln.
Also zimmere ich mir ein Lächeln ins Gesicht und flöte Rhys zuckersüß an. »Nein, und ich möchte es auch nicht wissen. Das Einzige, was ich Ihnen noch zeige, Dr. McKinney, ist die Tür.« Zaghaft lächle ich, hebe die Hand und weise Richtung Ausgang. »Von mir bekommen Sie heute kein Bier mehr.«
»Aber der Kerl, der Sie blöde anmacht, was?« Rhys strahlt so viel Bedrohung aus, dass ich mich am liebsten im Hinterzimmer verkriechen würde.
Doch die Wut in mir hat etwas dagegen und gerade die Oberhand.
»Jon Shaffer ist allein meine Sache. Und Sie gehen jetzt. Denn glauben Sie mir, Sie wollen keine Bekanntschaft mit Owens Fähigkeiten als Rausschmeißer machen.«
»Sie setzen mich vor die Tür? Mich?«
»Schätzchen, ich kann vor die Tür setzen, wen ich will. Das hier ist mein Tresen.« Wenn ich noch länger lächeln muss, versteifen meine Gesichtsmuskeln. »Also soll ich Owen rufen oder gehen Sie freiwillig?«
»Schon gut. Ich weiß, wann ich nicht mehr erwünscht bin.« Mit diesen Worten wendet er mir den Rücken zu und durchquert mit langen Schritten den Schankraum in Richtung Ausgang. Vor ihm teilt sich die versammelte Gästeschaft wie Moses das Meer. Unglaublich.
Mit spürbarem Magengrummeln verfolge ich McKinneys Abgang, aber es tut mir nicht im Geringsten leid.
Überhaupt nicht.
Der Kerl hat sich wie der letzte Arsch verhalten, mich beleidigt, grob zurechtgewiesen.
Okay, könnte sein, dass Jon eine Abreibung gebraucht hat, aber nicht an meinem Tresen. Dort bin ich zuständig.
Nein, McKinney hat sich einfach in meine Zone gedrängt und das konnte ich unmöglich zulassen.
Pf, so ein Arsch!
»Alles okay bei dir?« Owen stupst mich mit dem Ellenbogen an, wobei der bei mir eher in Oberarmhöhe landet.
»Ja, klar.« Ich wende mich wieder dem Spülen der Gläser zu.
Damit meine Wut wenigstens zu irgendetwas gut ist.
»Warum pflaumst du dann McKinney an? Der Mann ist ein guter Kerl, nett, freundlich, immer höflich.«
Entrüstet schnaube ich. »Reden wir von dem gleichen Typen? Mein McKinney verhielt sich gerade wie der letzte Arsch, ist Jon gegenüber handgreiflich geworden.«
Owen hebt eine Augenbraue. »Jon verdient es immer.«
»Aber nicht an meinem Tresen.« Ich platsche die Hände ins Wasser und gehe Owen an. »Oder bist du jetzt auf seiner Seite?«
Mit erhobenen Armen weicht Owen einen Schritt zurück. »Keine Bange, ich bin auf deiner Seite. Schließlich rettest du mir tagtäglich den Arsch.«
»Und du meinen.« Nachsichtig lächle ich ihn an. »Immerhin hast du mir eine Wohnung vermietet, möbliert. Ich hätte nicht gewusst, wo ich hin sollte. Remy und Nessa brauchen einfach Platz. Kein Mensch hält dieses Geturtel auf Dauer aus. Selbst Burke hat irgendwann aufgegeben.«
Schallend lacht Owen. »Dann sei ebenfalls etwas nachsichtiger mit McKinney. Er ist kein schlechter Kerl. Vielleicht hatte er heute nur einen beschissenen Tag.«
»Den hat er ausnahmslos genau dann, wenn wir aufeinandertreffen.«
Owen winkt ab.
Zeit, mir weiter Gedanken über McKinney zu machen, bleibt mir keine mehr. Der Laden brummt.
Aus irgendeinem Grund kribbelt nach wie vor mein Nacken.
Als ob mich jemand beobachtet.
Doch wenn ich mich umdrehe, ist da niemand.
Seltsam.
Kapitel 2
Schwungvoll wuchte ich den schweren Koffer aus dem Kofferraum meines Wagens, stelle ihn auf die Rollen und zerre das zweite nicht weniger kleine Gepäckstück hervor.
Wie lang will die Frau hierbleiben?
Drei Monate?
»Du hättest wirklich nicht im Resort buchen müssen, Mutter. Bei mir ist genug Platz.«
Sie schiebt die Gucci-Handtasche in ihre Armbeuge und richtet den mit Pelz besetzten rostroten Wintermantel. »Ich wollte mir erst einmal ein Bild von deiner Behausung machen. Zudem decken sich unsere Ansprüche nicht. Ich bevorzuge daher einen etwas gehobeneren Standard als deine Couch.«
»Ich habe ein Gästezimmer!« Den zweiten Koffer stelle ich neben den ersten, schiebe sie zur Seite, damit ich die Heckklappe schließen kann.
»Das weiß ich, Schätzchen.« Sie beugt sich vor und legt ihre Hand auf meinen Unterarm. »Trotzdem brauche ich meine Ruhe, meine vier Wände. Wir sind es nicht gewohnt, eng aufeinanderzuhocken.«
»Das Haus hat fast zweihundert Quadratmeter.«
»Und die Hälfte davon entfällt auf die Praxis.« Sie wendet sich dem Hoteleingang zu und winkt mir. Ein untrügliches Zeichen, dass ich ihr mit den beiden Ungetümen von Wandschränken, die sie ihr kleines Reisegepäck nennt, folgen soll.
Natürlich hat Mutter recht. Wir beide funktionieren am besten, wenn uns fünfhundert Meilen trennen. Unter einem Dach zu leben, käme einer Verbindung à la Nitro und Glycerin gleich. Hochgradig explosiv.
Dramatisch seufze ich und folge ihr.
»Streite nicht mit mir, Rhys. Ich bin eine alte Frau und ich bestehe auf meinen Freiraum.«
»Und ich auf meinen«, murmle ich und schließe zu ihr auf. Vor dem Hoteleingang wartet sie auf mich.
Mutter schiebt ihre Hand in meine Armbeuge und drückt meinen Unterarm. »Zufällig weiß ich, wie gern du für dich bist. Dass du meinen Besuch dennoch zulässt, rechne ich dir hoch an. Aber wir müssen es mit der Nähe ja nicht gleich übertreiben.«
Seufzend nicke ich. »Aber das Hotel ist so teuer.«
»Ja, und ich kann es mir leisten.« Sie neigt den Kopf und schaut die Fassade hinauf. »Dein Vater hat einen Großteil seines Barvermögens an mich verloren.« Teuflisch lächelt sie. »Der kann ruhig sehen, wo sein Geld landet.«
»Mutter! Ich schätze es gar nicht, wenn du das Geld zum Fenster hinauswirfst.«
»Das weiß ich doch, Liebling. Aber das ist nicht hinausgeworfen. Ich besuche meinen einzigen Sohn, will schauen, ob du dich gut in dieser …« Sie kräuselt die Nase. »… Provinz eingelebt hast. Also lass mir das bisschen Luxus einer Junior Suite.«
»Suite?« Ich schnappe nach Luft.
Lässig winkt Mutter ab und löst sich von mir, geht weiter. »Ich werde dir nicht verraten, was mich die Nacht kostet, aber denk nicht mal daran, mich auf deiner Couch –«
Ich hebe die Hand, sie die Augenbraue.
»– oder den Verschlag, den du als dein Gästezimmer bezeichnest, unterzubringen. Ich bleibe in diesem Resort. Wer weiß, vielleicht haben sie hier sogar ganz brauchbare Wellnessbehandlungen.«
Vor uns erhebt sich der Eingang des Resorts.
»Ich habe gelesen, Sun Valley war mal Austragungsort der Olympischen Spiele. Was für ein geschichtsträchtiger Ort. Ich bin schon sehr gespannt.« Unter dem imposanten Namenszug bleibt sie stehen und dreht sich nach mir um. »Kommst du jetzt? Ich möchte für heute Abend einen Tisch reservieren. Am liebsten hier im Hotel. Die Reise hat mich doch sehr erschöpft.«
»Natürlich, Mutter.« Mir liegen ein halbes Dutzend Erwiderungen auf der Zunge, doch wie immer kann ich ihr nur zustimmen. Schließlich hat sie mich allein großgezogen und sich für mich mit einem ganzen Bataillon Anwälten angelegt. Damit ich es gut habe.
Okay, vielleicht hat sie auch ein kleines Bisschen für sich selbst gekämpft.
Schätze ich sie dadurch weniger?
Überhaupt nicht.
Irgendwie fühlt es sich … nett an, sie hier zu haben.
In Sun Valley. Nicht unter meinem Dach.
Mutter weiß eben, was das Beste für mich ist.
Sogar als ich vor mir selbst davongelaufen bin.
Mittlerweile steht sie in der prunkvollen Eingangshalle des Vier-Sterne-Hotels.
Gold und edle Verzierungen sucht man im Sun-Valley-Resort jedoch vergeblich. Das Hotel besticht durch einen rustikalen, aber gehobenen Stil. Edle Hölzer, polierte Marmorböden und hochwertige Möbel zieren die Lobby. Hinter dem aus dunklem Holz gefertigten Tresen wuseln Mitarbeitende in einheitlichen Uniformen herum. Männer wie Frauen tragen dunkle Sakkos mit roter Borte und goldenen Knöpfen. Pagen warten auf ihren Einsatz.
Am Tresen zupft sich Mutter die Handschuhe von ihren Händen. »Eine Suite für McKinney, bitte.«
Mit den Koffern im Schlepptau trete ich neben sie.
»Ich bin froh, den Namen deines Vaters abgelegt zu haben. McKinney gefällt mir viel besser als Walker.« Sie schüttelt sich. »Damit du deine schottischen Wurzeln nicht vergisst.«
Während das Personal seine Arbeit verrichtet, schmunzle ich sie an.
»Ich hätte außerdem gern einen Tisch für zwei für heute Abend sowie eine Broschüre mit den von Ihnen angebotenen Wellnessbehandlungen.«
»Natürlich, Ma’am.« Der Angestellte reicht Mutter das Gewünschte. »Wir hätten für heute Abend noch einen Tisch im Caesars. Oder schwebt Ihnen eher ausländische Küche vor? Ich kann Ihnen unser Little Paris empfehlen. Dort servieren wir französische Küche.«
»Vermutlich mit einem französischen Preis«, murmle ich.
Ihren Drohblick belächle ich pflichtschuldig. Was immer sie möchte.
»Magst du lieber französische oder klassisch amerikanische Küche, Liebling?«
»Klassisch, Mutter.« Alles andere sprengt meinen Geldbeutel. »Du bist natürlich eingeladen.« Ich lege meine Hand auf ihre Schulter und drücke sie kurz an mich.
»Ach, was.« Als wäre meine Berührung ihr lästig, schiebt sie meine beiseite. »Ich lade dich ein, dein Vater zahlt.« Sie kichert.
Eigentlich will ich keine Miene verziehen. Ein Großteil meines Lebens bestand darin, niemanden merken zu lassen, wie ich mich fühle, doch wenn Mutter kichert, kann ich gar nicht anders, als mir eine winzige Gefühlsregung zu gestatten.
Der Angestellte verzieht keine Miene. »Sehr wohl, Ma’am.« »Für 19 Uhr?«
»Gern.«
Dann überreicht er die Zimmerschlüssel an meine Mutter und winkt einen Pagen heran, der mir die Koffer abnehmen möchte.
Ich setze eine angriffslustige Miene auf. »Ich bringe meine Mutter auf ihr Zimmer. Danke.«
»Nein, mein Lieber, wirst du nicht.« Sie legt ihre Hand auf meinen Arm und baut sich vor mir auf. »Der junge Mann bringt mich und du wirst dich ausruhen.«
»Aber ich bin nicht müde.«
»Leg dich hin, Rhys. Du siehst total übernächtigt aus. So wie ich dich kenne, arbeitest du von früh bis spät, gönnst dir keine Pause und lässt dich nachts noch zu irgendeiner Geburt rufen.«
»Wir haben Dezember.«
»Und was hat das damit zu tun?«
Den Atem für eine Erklärung spare ich mir. Mutter würde mir ohnehin nicht zuhören.
Ich schnaube. »Gar nichts. Also gut. Treffen wir uns heute Abend hier in der Lobby?«
»Sehr wohl.« Mutter stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Und ruh dich ein bisschen aus, ja? Tu es mir zuliebe.« Zärtlich streicht sie mir durchs Haar.
»Natürlich.« Für einen Augenblick genieße ich ihre Nähe.
Obwohl ich über dreißig bin, bedeutet es nicht, dass ich es nicht mag, wenn sie sich ein wenig um mich kümmert.
Es fühlt sich an wie früher.
Nur sie und ich gegen den Rest der Welt.
»Ich hoffe, du hast deinen Smoking mitgebracht?«
»Was? Wieso?«
»Rhys, mein Lieber.« Mutter belächelt mich. »Das ist ein Vier-Sterne-Restaurant. Natürlich benötigst du dafür passende Abendgarderobe.«
»Ich habe nicht … mein Smoking … also ich wusste nicht, dass ich –«
»Keine Sorge.« Mutter legt ihre Hand auf den größeren ihrer beiden Koffer. »Ich habe ihn mitgebracht. Da ich mir schon dachte, dass du in einer kleinen Provinzstadt nicht damit gerechnet hast, deinen Smoking zu brauchen.«
Mir klappt der Mund auf.
Sie hat für mich gepackt.
Wie alt bin ich?
Vielleicht sollte ich einen Blick auf meinen Führerschein werfen. Nur um sicherzugehen.
»Du könntest dich wenigstens bedanken.« Ein Schatten huscht über Mutters üblicherweise freundliche Züge.
Zurück ist ihr strahlendes Lächeln. »Siehst du. Genau wie früher. Ich kümmere mich eben gern um dich. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie du die letzten Monate ohne mich ausgekommen bist.«
Sehr gut.
Doch ich verkneife mir die Worte. Stattdessen bedanke ich mich artig und suche so schnell wie möglich das Weite.
Heute Abend muss ich wieder hier sein und einen Smoking tragen.
Gott, wie bin ich da nur hineingeraten?
Vom Beifahrersitz aus rufe ich die Liste auf, die ich für Nessas Junggesellinnenabschied erstellt habe.
»Unsere Ankunft am Sun Valley Resort ist für 15 Uhr geplant. Um 15:30 Uhr haben wir eine Massage, danach folgen mehrere Saunagänge und ein leichter Nachmittagssnack, den wir mit Champagner im Ruhebereich einnehmen werden. Ich habe ein Separee mieten können, sodass wir ganz unter uns sind. Uns steht eine Sauna, ein privater Masseur …«
Aus dem Fond des Wagens ertönen undamenhafte Jubelrufe.
»… und eine Kosmetikerin zur Verfügung. Gegen zwanzig Uhr werden wir im Resort essen. Danach werden wir von einer Limousine zu einem mitternächtlichen Fotoshooting im Schnee abgeholt. Ich dachte, mit unseren schwarzen Abendkleidern und den farbigen Stolen gibt das ein paar tolle Erinnerungsfotos.«
Plötzlich schlingt jemand die Arme um meinen Hals und ich werde gegen die Lehne des Sitzes gedrückt.
Zwischen den beiden vorderen Sitzen zwängt sich Nessa hindurch, schmiegt sich an meine Seite und küsst mich auf die Wange. »Danke, danke, danke! Das wird der beste Junggesellinnenabschied meines Lebens!«
Automatisch greife ich nach ihrem Handgelenk und drücke es. »Keine Ursache. Alles für meine Schwester.« Ich neige den Kopf zur Seite und kuschle mich an sie. »Das wird ein unvergesslicher Abend.«
Von der Planung bis zur Umsetzung des Junggesellinnenabschieds vergingen nicht einmal drei Tage.
Peach hat mich gedrängt, Skylar lag mir in den Ohren und Donna konnte es kaum erwarten. Schließlich seien ihre freien Tage gezählt. Meine Freundinnen waren sich einig, dass wir lieber gleich feiern sollten. Bevor Nessa und ich nach Großbritannien abreisen und dann kommen wir nicht mehr dazu.
Über die schneebedeckte Auffahrt steuert Donna den Wagen zum Sun-Valley-Resort hinauf. Um einen kleinen Teich winden sich im Sommer hier gepflasterte Straßen, die aktuell nur durch gefahrene Spuren zu erkennen sind. Pfosten und Bäume zeigen an, wo sich die Wege befinden. Vereinzelt durchbrechen kahle Laubbäume und Tannen die geschlossene Schneedecke.
Geschickt folgt Donna den Hinweisschildern und lenkt den Jeep unter ein Carport, wo kein Schnee liegt und wir problemlos aussteigen können, ohne bis zu den Knöcheln in der weißen Masse zu versinken.
»Ich liebe ja den Schnee«, sagt Nessa, als sie aussteigt und sich ihren braunen Wintermantel fester um die Schultern zieht, »aber wenn ich zwischen hohen Temperaturen und diesem eiskalten Nass wählen könnte, würde ich mich immer für den Sommer entscheiden. Immer.« Sie schüttelt sich.
Hinter ihr klettert Peach aus dem Wagen. »Ach komm, so schlimm ist das nicht. Kuschelige Abende vor dem Kamin, Hände, die auf Wanderschaft gehen.« Genüsslich schließt sie die Augen und reckt die Nase in die kühle Winterluft. »Ich liebe den Winter und meine neue Wohnung. Schön warm eingepackt auf der Couch liegend, Alex neben mir. Es gibt nichts Besseres. Außer vielleicht …« Peach wackelt anzüglich mit den Augenbrauen und handelt sich von Skylar einen leichten Stoß in den Rücken ein, die hinter ihr aus dem Wagen klettern will.
»Mach mal Platz.« Sie schiebt Peach zur Seite und steigt aus. »Seit du Alex hast, geht es nur noch um das eine.«
Wir kichern.