4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Sie bietet ihm die Couch, doch er nimmt ihr Herz. Nessa Marshall hat die Vergangenheit hinter sich gelassen und ist endlich wieder glücklich. Ihre Lodge ist über die Wintermonate komplett ausgebucht. Aber das war auch zu erwarten. Ketchum ist der ideale Ort, um sich eine Auszeit zu gönnen. Eine dicke Schneeschicht dämpft die Geräusche, klarer Sonnenschein taucht die Berglandschaft in ein glitzerndes Licht und Weihnachten steht kurz bevor. Nichts könnte diese Idylle ruinieren, bis eines Tages der mürrische Remy an ihrer Theke sitzt. Durchgefroren, mittellos und auf der Suche nach einem Bett. Kurzerhand bietet sie ihm ihre Couch an, in der Hoffnung, dass es sich nur um eine Nacht handelt. Leider benötigt die Werkstatt länger und somit ist sie gezwungen, ihn weiterhin als Schlafgast zu akzeptieren. Ihr anfängliches Misstrauen ihm gegenüber löst sich schnell auf, denn Remy entpuppt sich als Gentleman. Er packt an, wo er gebraucht wird, und bringt Nessas Herz zum Schmelzen. Wird er seine Reise fortsetzen oder kann Nessa seinen rastlosen Geist zur Ruhe bringen? Ein zauberhafter Weihnachtsroman im winterlichen Idaho mit Happy End Garantie!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Buchbeschreibung:
Sie bietet ihm die Couch, doch er nimmt ihr Herz.
Nessa Marshall hat die Vergangenheit hinter sich gelassen und ist endlich wieder glücklich. Ihre Lodge ist über die Wintermonate komplett ausgebucht. Aber das war auch zu erwarten. Ketchum ist der ideale Ort, um sich eine Auszeit zu gönnen. Eine dicke Schneeschicht dämpft die Geräusche, klarer Sonnenschein taucht die Berglandschaft in ein glitzerndes Licht und Weihnachten steht kurz bevor. Nichts könnte diese Idylle ruinieren, bis eines Tages der mürrische Remy an ihrer Theke sitzt. Durchgefroren, mittellos und auf der Suche nach einem Bett. Kurzerhand bietet sie ihm ihre Couch an, in der Hoffnung, dass es sich nur um eine Nacht handelt.
Leider benötigt die Werkstatt länger und somit ist sie gezwungen, ihn weiterhin als Schlafgast zu akzeptieren. Ihr anfängliches Misstrauen ihm gegenüber löst sich schnell auf, denn Remy entpuppt sich als Gentleman. Er packt an, wo er gebraucht wird, und bringt Nessas Herz zum Schmelzen.
Wird er seine Reise fortsetzen oder kann Nessa seinen rastlosen Geist zur Ruhe bringen?
Ein zauberhafter Weihnachtsroman im winterlichen Idaho mit Happy End Garantie!
Über die Autorin:
Nerd – Tagträumer – Sonderling. Diese Bezeichnungen haben schon immer ihr Wesen beschrieben. So lange sie denken kann, träumt sie sich in ferne Welten, lässt ihre Gedanken schweifen und erfindet neue Geschichte. Mal taucht sie in ein Fantasy-Rollenspiel ein, mal in ein fantastisches oder romantisches Buch, oder aber sie entschwindet in spannungsgeladene Action – ob in Film, Computerspiel oder Buch ist ihr dabei relativ egal.
Was ihr allerdings nicht egal ist, sind die Geschichten. Sie müssen das gewisse Etwas haben, das Besondere, dürfen niemals langweilig werden und noch nie dagewesen sein. Da sie diese Art von Geschichten selten in der heutigen Buchwelt findet, bleibt ihr nur eines übrig: sie muss die Geschichten, die sie lesen will, selbst schreiben.
Genau so sind ihre Bücher. Nicht langweilig, immer unerwartet, selten so, wie man es gerne hätte.
Mehr über Danara DeVries gibt es hier:
Web: http://www.danara-devries.de
Facebook: https://www.facebook.com/Danara.DeVries/
Newsletteranmeldung: https://www.danara-devries.de/newsletter/
1. Auflage, 2023
© 24.11.2023 Danara DeVries – alle Rechte vorbehalten.
Danara DeVries
c/o easy-shop
K. Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig (Anhalt)
Lektorat: Lektorat Franziska Schenker
Coverdesign: kreationswunder by Katie Weber
Bildnachweise: @qimono, pixabay, depositphotos.com
Verwendete Schriften: Moontime, Linus Libertine
https://www.danara-devries.de
Newsletteranmeldung
Dir gefallen meine Geschichten?
Du möchtest gerne über Neuerscheinungen auf dem Laufenden gehalten werden und kein Buch von mir mehr verpassen?
Dann kannst du dich hier für meinen Newsletter anmelden.
Als kleines Dankeschön gibt es für dich die Bonusgeschichte »Weihnachten im Hause Rosin« und noch vieles mehr wie brisante Releaseinformationen, Coverrelease, Neuigkeiten zu aktuellen Büchern und natürlich weiteres Bonusmaterial!
Sollte der Link nicht funktionieren, nimm einfach den hier. :)
https://www.danara-devries.de/newsletter/
Vielen Dank für deine Anmeldung.
Deine Danara
Prolog
Remy
Der Schweiß rann mir in Strömen über den Rücken. Heiße und kalte Schauer wechselten sich ab. Mein Puls raste und meine Eingeweide zogen sich angewidert zusammen.
Angeline hätte gewusst, wieso meine körperlichen Reaktionen so drastisch ausfielen.
Doch Angeline war nicht mehr hier.
Die Finger bohrte ich in die Handflächen, bis der körperliche Schmerz den Schrei meines Herzens übertönte.
Ich stand hinter meiner Mutter, die in einem barocken Casa Pandrino saß, dessen Bezüge erst vor ein paar Jahren erneuert worden waren. Mit originalen Stickereien aus einer Handarbeitsmanufaktur Nähe Gloucester.
Die Inhaberin war vor Freude aus dem Häuschen gewesen, den Auftrag bekommen zu haben. Bei den Preisen hätte Mutter allerdings darauf verzichten sollen, den Sessel mit ihrem breiten Hinterteil zu malträtieren. Aber Geld spielte in diesem Haus ohnehin keine Rolle.
Angeline hatte es gehasst.
»Lady Jocelyn Somerset of Beaufort, Baroness Raglan.« Eine junge Blondine, höchstens Mitte zwanzig, vollführte einen eleganten Hofknicks und schenkte erst Mutter, dann mir einen hinreißenden Augenaufschlag.
Mein Magen krampfte sich zusammen.
»Lady Jocelyn, wie schön, dass Sie es einrichten konnten.«
»Es ist mir eine Ehre, Euer Gnaden.«
Ich verdrehte die Augen. Natürlich kannte sie die korrekte Ansprache.
Meine Mutter hüstelte und reichte ihr die Hand, die Lady Jocelyn mit einem gehauchten Kuss bedachte. Mutter war entzückt ob der guten Manieren.
Ich wusste in dem Moment, was kommen würde, sobald Lady Jocelyn den Saal betreten hatte. Sie trug ein schlichtes Sommerkleid, geradezu passend für die Grillparty, die nach dem persönlichen Empfang bei der Duchess stattfinden würde.
»Wie reizend. Ich habe Sie hergebeten, Lady Jocelyn, weil ich der Meinung bin, dass mein …«
»Mutter!« Ich krampfte die Finger um die Lehne des Casa Pandrino, bis das teure Mahagoni-Holz knirschte.
Eine Ader an meiner Schläfe meldete sich mit einem unangenehmen Pochen zu Wort, mein Magen rebellierte gänzlich. An Essen war absolut nicht mehr zu denken.
Die Duchess of Gloucester warf mir einen Blick zu, der mich sofort zum Schweigen brachte. Sie verengte die Augen um eine Winzigkeit und ich fühlte mich wie der Achtjährige, der sich die Knie aufgeschlagen hatte und mit aufgeschrammter Haut auf den Fotos für die Presse posieren musste. Was für ein Desaster. Man hätte dem Jungen ja auch einfach lange Hosen anziehen können, aber das ziemte sich nicht für … uns.
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Unterlippe zitterte. Wir wussten beide, warum Jocelyn hier war.
Sie war jung, ledig, wunderschön und aus gutem Hause. Ihr Stammbaum wies die perfekte Linie auf, ganz zu schweigen von der hervorragenden Erziehung. Bei ihr musste niemand mehr Hand anlegen, um ihr den richtigen Schliff zu verleihen. Sie wäre perfekt gewesen und genau das, was sich meine Mutter als Schwiegertochter vorstellte.
Wenn ich denn so weit gewesen wäre.
Aber es war noch zu früh.
Meine Mutter strich sich eine silbergraue Locke hinters Ohr, die sich aus ihrer strengen Hochsteckfrisur gelöst hatte.
Ihre Hausdame tat mir bereits jetzt leid. So etwas durfte nicht passieren.
Dann wandte sie sich mit einer huldvollen Kopfbewegung wieder an Lady Jocelyn. »Meine Liebe, ich fürchte, mein Sohn fühlt sich nicht sonderlich wohl. Wären Sie so freundlich, bereits in den Garten zu gehen? Etterson reicht Erfrischungen und Sie können die Rosen bewundern. Sie blühen in diesem Jahr bereits sehr früh.«
Jocelyn warf mir einen Blick zu, den ich mit distanzierter Ignoranz an mir abprallen ließ. Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ganz, wie Ihr wünscht, Euer Gnaden. Mylord.« Sie erhob sich in einer fließenden Bewegung, machte den obligatorischen Hofknicks, eilte zur Salontür und schlüpfte lautlos hindurch.
Verblüfft sah ich ihr hinterher.
Keiner ihrer Schritte verursachte ein Knarzen, welches das altersschwache Parkett für gewöhnlich von sich gab. Kaum jemand bezwang es. Jocelyn hatte diese Hürde mühelos gemeistert. Sie wäre absolut perfekt für den Job.
»Wie kannst du es wagen?«, donnerte meine Mutter, sobald die Tür – lautlos – ins Schloss gefallen war. »Lady Jocelyn ist von tadellosem Benehmen, absolut hinreißend und würde an deiner Seite eine tadellose Figur machen. Aber du …« Mutter sog scharf die Luft ein. Sie sprang aus dem Casa Pandrino und strich sich das taupefarbene Kostüm glatt.
Die Ader an meiner Schläfe pochte unangenehm. »Ja, ich? Was willst du mir sagen? Dass ich gefälligst heiraten soll? Eine Frau, die ich nicht mal kenne, die aber dafür in den Stammbaum passt?« Zügig verschränkte ich die Hände hinter dem Rücken, wirbelte herum und trat ans Fenster.
Vor mir erstreckte sich ein englischer Landschaftsgarten in seiner Vollendung. Der Rasen exakt getrimmt, die Hecken akkurat geschnitten, dazwischen Kieswege in einheitlichem Gelb. Auf der Achse des Palasts in zweihundert Metern Entfernung schoss ein Springbrunnen seine Fontäne in den blauen Nachmittagshimmel. Kieswege umrundeten kreisförmige Wiesen, eingefasst von zur Kugel geschnittenen Hecken oder zum Kegel geformten Zypressen. Das Ende des Gartens markierte das Teehaus, wo Mutter gern ihren Nachmittagstee nach einem kleinen Spaziergang einnahm.
Dahinter befand sich das eigentliche Paradies. Ungezügelte Natur. Nur von wenigen Wegen durchzogen ein Traumreich. Dort lauerte die Freiheit der Abenteuer meiner Kindheit.
Ich liebte diese Aussicht, doch heute reichte mein Blick nicht weiter als bis zum Teehaus. Die Strenge des Gartens legte mir Fesseln um die Brust und hinderte mich am Atmen.
»Remy?« Mutter trat hinter mich und legte eine Hand auf meine Schulter. »Es wird Zeit. Du bist fast dreißig. Man fragt sich, wann endlich ein Erbe …«
Ich schnaubte abfällig. »Ein Erbe? Ist das alles, worum es euch geht? Dass die Linie gesichert ist?« Hastig wirbelte ich herum und starrte meine Mutter an. »Wach auf, Mutter. Wir leben nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert.«
Sie verengte die Augen. »Mit deinem Geburtsrecht hast du eine Pflicht zu erfüllen.«
»Was? Wie ein Zuchtbulle für viele Babys sorgen?«
»Remy!«
»Darum geht es doch einzig und allein, oder? Dass die Linie gesichert ist, ihr euren Anspruch nicht verliert und die Ländereien nicht an die Krone fallen? Aber weißt du was? Es interessiert mich nicht. Ich will und werde nicht heiraten, weder Jocelyn noch irgendeine andere hübsche Frau, die du anschleppst. Es ist noch zu früh. Kapiere das endlich!«
Meine Mutter warf mir einen eisigen Blick zu. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Ich bin nicht nur deine Mutter, sondern auch deine …«
Schnaubend wandte ich mich ab. »Weißt du was? Es ist mir egal. Ich bin fertig mit dir, mit Vater, mit euch allen!« Hastig wirbelte ich herum und strebte mit raumgreifenden Schritten Richtung Ausgang. Tränen brannten mir in den Augen. Jedes Mal, wenn ich den Absatz aufs Parkett setzte, knarzte es empört auf.
»Remy! Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht wiederkommen! Dein Vater wird dir sämtliche Titel sowie deine Apanage streichen. Verlässt du den Salon, bist du ein Nichts!«
Ich fuhr herum und breitete die Arme aus. »Es ist mir scheißegal, Mutter! Genauso egal, wie Angeline dir war, wie du ihr Andenken mit Füßen trittst. Genauso egal ist mir diese Familie. Und lass endlich dieses verdammte Parkett erneuern!«
Ich riss die Salontür auf, preschte hindurch und lief durch die imposante Eingangshalle, hinaus zu den Garagen. Und endlich – endlich! – konnte ich wieder atmen.
Scheiß auf das Haus, die Titel und die Familie. Ich musste hier raus, fort von den Verpflichtungen, den Zwängen und Etiketten.
Ich brauchte Freiheit.
Mit dem Seesack über der Schulter und der Umhängetasche in der Hand schlug ich die Haustür hinter mir zu und rang nach Luft. Als hätte jemand eiserne Bänder um meine Brust geschlungen und sie stetig fester zog. Mit jedem Atemzug ein wenig mehr. Meine Sicht flirrte, mein Puls raste. Über meiner Stirn pochte ein beklemmender Schmerz und die Worte meiner Mutter hallten wie ein Echo über dem immer lauter werdenden Summen in meinen Ohren wider. Ein Fiepen, das stetig anstieg und sämtliche Umgebungsgeräusche überlagerte. Das Blut rauschte nur so durch meine Adern.
Qualvoll griff ich mir an die Brust.
Das hatte sie nicht wirklich gesagt.
Es wird Zeit. Du bist fast dreißig. Man fragt sich, wann endlich ein Erbe …
Verdammt, Mutter!
Scheiße.
Mühsam stützte ich mich auf den Oberschenkeln ab, ließ den Schmerz zu und unterdrückte den sich in meiner Brust aufbauenden Schrei.
Niemals zeigten wir Gefühle. Das Wissen war so tief in meinem Denken verankert, dass ich selbst jetzt – im Moment größter Qual – keinen Laut von mir geben konnte.
Erstickt griff ich mir an die Brust, öffnete den Mund und schrie lautlos auf. So viel Schmerz prasselte auf mich nieder. Unter der Anstrengung drohte ich zusammenzubrechen, doch irgendwie schaffte ich es, aufrechtzubleiben, klammerte mich an das schmiedeeiserne Geländer.
Wenn ich jetzt nachgab und fiel, würde ich so schnell nicht wieder aufstehen.
Also raffte ich das letzte bisschen Kraft, das ich in meinem gepeinigten Körper fand, zusammen und setzte mühsam einen Fuß vor den anderen.
Nur weg von hier.
Weg von meinen Eltern.
Weg von diesem Haus voller Schmerzen.
Weg von der Erinnerung an meine geliebte Angeline.
Stumm weinte ich, ließ die Tränen laufen, doch ich drehte mich nicht um.
Nicht ein einziges Mal.
Kapitel 1
Nessa
Dicke Schneeflocken fielen vom grauen Nachmittagshimmel auf meine Windschutzscheibe, wodurch meine Scheibenwischer auf Hochtouren liefen. Ich bog vom Supermarktparkplatz ab, rollte die Straße hinunter und blieb an der Stelle stehen, wo ich die Haltelinie vermutete.
Sehen konnte ich sie nicht.
Wenn man allerdings in Ketchum, Idaho, wohnte, war man solche Wetterverhältnisse gewohnt. Schnee war unser täglich Brot. Die Stadt lebte davon, sozusagen.
Statt den Schneefall wie alle anderen zu verfluchen und auf den Räumdienst zu schimpfen, strahlte ich die tiefhängenden Wolken an.
Die Berge, die das Tal umspannten, ließen die Wolken erst ziehen, wenn sie einen Großteil ihrer Schneemassen auf den Gipfeln abgeladen hatten. Und genau wegen dieser hohen Schneemenge boomte der Tourismus in den Wintermonaten.
Ich liebte es, denn Reisende bedeuteten ausgebuchte Zimmer, gefüllte Restaurants und eine Menge Einnahmen für uns.
Hinter mir hupte es.
Na so was?
Ich kurbelte das Fenster herunter und sah mich nach dem Störenfried um.
»Hey, Nessa, vielleicht hörst du mal auf zu träumen und setzt dich in Bewegung. Die Ampel ist seit 'ner halben Minute grün!« Jacob Bell steckte seinen Kopf aus dem Fenster seines Trucks, deutete auf die Ampel ein paar Meter über mir und schickte ein Grinsen hinterher. »Oder aber du kaufst dir ein höheres Fahrzeug und nimmst nicht den altersschwachen Kombi von Violet. Nebenbei gefragt, macht sie heute ihren Rindereintopf? Dann würde ich vielleicht vorbeischauen!«
»Na, wenn du noch 'nen Platz bei uns kriegst, Jacob!« Ich tippte mir grüßend an die Schläfe, kuppelte und schlug das Lenkrad ein.
Langsam rollte der Caprice auf die Main Street. Das Heck des Wagens schlug ein wenig aus, aber das tat er öfter.
Immerhin hatte Jacob mit seiner Behauptung nicht ganz unrecht. Der Wagen hatte dieses Jahr sein Dreißigjähriges gefeiert, verbrauchte Unsummen an Benzin und eierte beim Fahren. Sein einziger Pluspunkt: Die Kälte machte ihm absolut nichts aus.
Behutsam gab ich Gas und fuhr bedächtig die Main Street hinunter. Obwohl es erst früher Nachmittag war, hatten die meisten Geschäfte bereits die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet. Jedes Fenster säumten Lichterketten, die Vorgärten schmückten Szenen mit Santa Claus und seinen Rentieren, die Bäume bogen sich sowohl unter Schneemassen als auch unter der angebrachten Beleuchtung und über der Main Street spannten sich Lichterketten von Haus zu Haus. Ich liebte diese Zeit – und ich hasste sie.
Ein paar Meter weiter bog ich in die Sun Valley Road. Vor mir tauchte ein Volkswagen auf, beziehungsweise das Heck des Wagens. Der Rest von ihm steckte in einer meterhohen Schneewehe.
»Ach du Schreck!« Gerade noch rechtzeitig trat ich auf die Bremse, schlitterte ein paar Meter weiter und touchierte mit dem rechten Kotflügel den Radkasten über dem linken Hinterrad. Ich kämpfte gegen den Reflex, das Lenkrad herumzureißen, ließ den Caprice einfach ausschlittern. Mein Heck streifte den Volkswagen, kam aber allmählich zum Stillstand.
Nicht mein Puls. Der raste, als befände ich mich auf einer Rennstrecke kurz vor der Ziellinie.
Fest umklammerte ich das Leder. Meine Glieder zitterten und ich konnte nur noch geradeaus starren, die Sun Valley Road hinauf.
Jemand klopfte gegen die Scheibe.
»Hey, Nessa, alles okay?« Gedämpft hörte ich eine Stimme.
Ich kurbelte das Fenster herunter und blickte in das freundliche Gesicht des Sheriffs. Fletcher Ford schob sich den Stetson in den Nacken und wischte sich über die zerfurchte Stirn. Unter dem Rand des Hutes lugten ein paar graue Haarbüschel hervor.
»Jaja, Fletcher. Ich war nur etwas überrascht von dem plötzlichen Auftauchen des Autos. Was ist denn passiert?«
»Nicht viel. Nur Blechschaden. Sieh es dir an.« Fletcher trat ein paar Schritte zurück und öffnete mir die Tür.
Ich stellte meine Boots auf die Straße und stieg aus. Der Schnee knirschte unter meinen Sohlen.
Super. Keine Straße. Nur Schnee.
Der Sheriff ging voran, um meinen Wagen herum und deutete auf die Kratzspuren am Heckflügel.
»Nicht die erste Beule«, murmelte ich und strich über die frischen Kratzspuren auf dem anthrazitfarbenen Lack. Es gab kaum ein Auto in Ketchum, das nicht über die ein oder andere Delle verfügte.
Fletcher lachte. »Genau. Wir sagen hier gern, dass ein Auto erst richtig in Ketchum angekommen ist, wenn es mindestens einen Winter überlebt und seine ersten Blechschäden aufweist.«
Nur halbherzig stimmte ich in Fletchers Lachen ein. »Granny wird nicht begeistert sein. Sie liebt diesen Wagen. Welcher Idiot parkt denn direkt hinter der Kurve?«
»Ich. Nicht absichtlich. Ich schwöre.« Ein leichter ausländischer Akzent schwang in den wenigen Worten mit.
Interessiert hob ich den Kopf.
Hinter dem halb in der Schneewehe versenkten Wagen trat ein Typ hervor.
Was mir sofort an ihm auffiel, war sein Kinn, das einen schwarzen Vollbart bedeckte. Er trug Jeans, Boots und ein rot-kariertes Holzfällerhemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, schwarzes Haar behinderte seine Sicht. Es schimmerte feucht, als ob er gerade geduscht hätte.
Er stellte die Schaufel, die er in den Händen hielt, in den Schnee vor sich und stützte sich darauf ab. Dabei spannte er seine Unterarme an. Kräftige Adern zeichneten sich unter seiner Haut ab.
Himmel, wenn schon seine Unterarme so aussahen, wie schaute dann der Rest von ihm aus?
In Anbetracht der breiten Schultern und der Art, wie sich die Knopfleiste seines Hemdes auseinanderzog, an dem hässlichsten Hemd aller Zeiten.
Kein Mensch trug mehr Holzfällerlook. Der war altbacken und vollkommen aus der Mode. Nur Typen in Fernsehserien liefen noch so herum.
Sein Anblick brachte mich total aus der Fassung. Verblüfft starrte ich ihn an.
»Ich bin von der Straße abgekommen. Nur die Schneewehe hat mich gerettet.« Er gestikulierte Richtung Gehweg. »Wäre sie nicht gewesen, hätte ich vermutlich in dem Wohnzimmer des Besitzers geparkt.«
Eindeutig. Ausländer. Vielleicht Brite. Die Art, wie er die Wörter betonte, die akkurate Aussprache und das leichte Rollen der Buchstaben ließ keinen Zweifel aufkommen. Zumindest war er kein Amerikaner und auch kein Australier oder Kanadier. Aber auch das war nichts Ungewöhnliches. Viele Touristen kamen nach Ketchum. Aber niemand versuchte so … amerikanisch auszusehen. Das war seltsam.
Mein Puls beschleunigte sich und es war mir nicht möglich, die Ursache zu benennen.
Okay, ich könnte mich selbst belügen und auf den Beinahe-Zusammenstoß mit dem Jeep plädieren, doch bei solch einem Gegenüber würde nicht mal meine Schwester mir glauben. Der Kerl brachte eindeutig Bewegung in meinen Kreislauf.
»Holly Francis«, entgegnete ich demnach wie aus der Pistole geschossen.
Jedes andere Wort wäre absoluter Unsinn gewesen. Mein Gehirn produzierte nur Dünnschiss.
Der Typ blinzelte. »Häh?«
Offensichtlich war ich nicht allein.
»Das Wohnzimmer.« Ich deutete auf die Schneewehe, meinte allerdings das Gebäude dahinter. »Das Wohnzimmer gehört der über achtzigjährigen Holly Francis. Du hättest sie bei ihrer Lieblingsserie unterbrochen. Und glaube mir, das hätte dir mehr Ärger eingebracht als Fletcher und die Schneewehe.«
Die Mundwinkel des Typen zuckten. »Kann ich mir vorstellen. Also sorry für die Parksituation. Ich bin weg, sobald ich meinen Tiguan freigeschaufelt habe.« Er deutete auf das Heck meines Caprice. »Was bin ich schuldig? Für die Kratzer?«
Lässig winkte ich ab. »Sieh dein Auto an. Ich denke, damit sind wir quitt.«
Er rieb sich zerknirscht den Nacken. »Ich glaube, das kostet mich etwas mehr als ein Lächeln.«
Ich grinste. »Das könnte sein. Fletcher, bin ich noch etwas schuldig? Ich muss die Einkäufe hoch in die Lodge fahren.«
Fletcher hielt seinen Block in der Hand und kratzte sich mit dem Kugelschreiber unter dem Hut. »Nein, fahr ruhig. Wir wissen ohnehin noch nicht, wie der Wagen den Crash mit der Schneewehe überstanden hat. Burke ist informiert.«
»Burke? Ich dachte, Sie hätten den Abschleppdienst gerufen.«
Der Sheriff verzog das Gesicht. »Beckett Burke ist der Abschleppdienst.«
Ich hob die Finger und zählte auf. »Und der Mechaniker, der Reifenwechsler, der Gebrauchtwagenhändler sowie der Inhaber des Schrottplatzes.«
Der Typ machte große Augen.
»Du bist in einer Kleinstadt gelandet, Junge. Hier macht jeder alles und was immer nötig ist. Wo eine helfende Hand gebraucht wird, greift der zu, der gerade verfügbar ist. Beckett ist mein Schwager und hoffentlich bald da.«
»Weil?« Der Kerl mit dem Vollbart neigte ein wenig den Kopf.
Fletcher seufzte. »Weil … er vorhin noch hinter dem Lenkrad eines der Räumfahrzeuge gesessen hat. Du weißt ja …«
Der Kerl schloss gequält die Augen. »Jaja, ich weiß. Weil das hier eine Kleinstadt ist und jeder alles macht.«
Fletcher lachte. »Du hast es kapiert.«
»Na dann, Jungs, ich wünsch’ euch noch viel Spaß. Aber ich muss los. Bis dann.«
Fletcher winkte. »Grüß deine Granny. Vielleicht komme ich heute Abend auf eine Schüssel Eintopf vorbei?«
»Wohl kaum. Wir sind bis auf den letzten Platz ausgebucht.« Ich deutete auf den Schnee. »Sobald der Schnee liegt, fallen sie wie die Heuschrecken über uns her. Aber einen Platz an der Theke haben wir immer für dich frei.« Ich umrundete das Heck des Caprice und ließ mich auf den Fahrersitz fallen, die Stiefel schlug ich ein paar Mal mit den Sohlen zusammen. Der meiste Schnee fiel herunter, doch ein paar hartnäckige Klumpen blieben im Profil hängen.
Ich rutschte auf dem Polster herum und hob die Stiefel in den Wagen.
Bei den Schneemassen konnte man gar nicht verhindern, dass nicht die ein oder anderen Pfütze Schmelzwasser in den Fußmatten landete. Ich sollte mir dringend ein paar Wechselschuhe in den Wagen packen, nur für den Fall, dass ich nicht auf geräumten Parkplätzen aussteigen musste.
»Bis dann, Nessa!« Fletcher winkte mir.
»Bis dann!« Ich zog die Autotür zu, schnallte mich an und startete den Motor. Behutsam rollte ich an, immer einen Fuß auf der Kupplung, den anderen auf dem Gaspedal.
Jahrelanges Training befähigten mich, selbst bei schlechten Wetterbedingungen noch den Berg hinaufzukommen, Allradantrieb und unzählige Übungsstunden mit meinem Grandpa.
Doch heute waren meine Gedanken, wie bei schlechtem Wetter immer, nicht bei William Heart, nein, heute wollte mir ein besonders bärtiges Kinn und ein Paar stechend blauer Augen nicht aus dem Kopf gehen, während ich langsam den Berg hinauffuhr.
Remy
So eine verdammte Scheiße!
»Eins und zwei und drei!« Beckett spähte aus dem Fenster des knallgelben Abschleppwagens und gab sanft Gas.
Die Hinterräder des Schleppers drehten durch, das Heck des Tiguan ruckelte.
Ich stach die Schaufel an der Fahrerseite in den Schnee und schippte eine weitere Ladung der weißen Masse zur Seite. Der Sheriff stand auf der anderen Seite und wühlte sich ebenfalls durch das widerlich weiße Zeug.
Mein Hemd klebte mir am Rücken, der Schweiß lief in Strömen, doch so langsam kamen wir voran. Immerhin bewegte sich der Tiguan bereits.
Ich trat einen Schritt zurück, dachte, jeden Moment würde der Wagen aus der Schneewehe springen, doch dann drehten die Räder des Schleppers durch und gruben sich tiefer in den festgefahrenen Schnee auf der Straße.
»Scheiße, Burke, das wird nichts!«, rief der Sheriff und hob die Hand. »Halt an.«
»Fuck. Und nun? Was schlägst du vor?« Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und warf einen Blick über das Dach des Tiguans hinüber zu Fletcher.
Wir buddelten uns seit geraumer Zeit durch die Schneewehe. Irgendwann in der letzten halben Stunde vor Ankunft des Schleppers waren wir zum Du übergegangen. Überhaupt interessierte sich in dieser Stadt keiner für korrekte Ansprachen. Hier schien jeder ein Freund zu sein. Was mir irgendwie gefiel.
Apropos gefallen. Die Kleine – Nessa – von vorhin trieb sich seit geraumer Zeit in meinem Hinterkopf herum. Immer, wenn ich an ihr Lachen dachte, musste ich intuitiv mitgrinsen. So etwas war mir schon sehr lange nicht mehr passiert.
Burke bremste, stieg bei laufendem Motor aus und zog zwei Fußmatten von der Ladefläche. Eine warf er mir zu. »Hier, platziere das unter den Hinterreifen vom Schlepper. Dann kriegen wir deine Karre raus.«
Meine Karre?
Ich schnaubte. Der Tiguan hatte mich mein restliches Bargeld gekostet. Er war mir ungefähr so lieb und teuer, wie ein guter Freund, hatte mich Tausende von Kilometern durch die Staaten gebracht. Und sah dementsprechend heruntergekommen aus.
Aber eine Karre? Im Leben nicht.
Ich fing die Fußmatte auf und schob sie unter die Hinterräder.
»Wollen wir es hoffen«, murrte ich, nahm meine Schaufel und ging wieder an meine Position auf der Fahrerseite des Tiguan.
Beckett stieg ein und gab sacht Gas. Die Hinterräder des Schleppers griffen und mit einem Ruck schoss der Tiguan aus der Schneewehe.
Der Sheriff klatschte in die Hände und kam um die Motorhaube herum. Beckett jubelte.
»Hey, super. Raus ist er! Hat ja 'nen Riesenloch hinterlassen!« Fletcher lachte und klopfte mir auf die Schulter.
Doch ich konnte nur mein Goldstück anstarren. Oder das, was davon übrig war.
Zerknirscht spähte ich in das Riesenloch.
Tja. Statt wie gehofft einfach in eine Schneewehe gebrettert zu sein, verbarg sich unter dem Riesenhaufen ein Hydrant und der stand wie ein Fels in der Brandung. Mein Kühlergrill gegen den fest in der Erde verankerten Klotz aus Eisen.
Das Drama um die Motorhaube brannte mir schmerzhaft in den Augen. Gequält schloss ich sie und erinnerte mich für einen Moment an die perfekte Eleganz, mit der ich den Gebrauchtwagen erstanden hatte. Nun sah er ganz so aus, wie ich mich seit Beginn dieser Reise fühlte. Zerbeult, zerschlagen und mit den Kräften am Ende.
»Hey, hey. So schlimm ist es vielleicht gar nicht?« Fletcher legte mir einen Arm um die Schulter und drückte sie. »Nur ein paar Beulen und Schrammen. Das kriegt mein Schwager sicher hin. Oder, Beckett?«
Der räusperte sich und rieb sich dann den Nacken. »Versprich nichts, was ich halten muss.«
Der Kühlergrill war komplett eingedrückt, die Motorhaube total zerknautscht und die Frontscheibe gesplittert. An diversen Stellen hatte sie dem Druck des weißen Zeugs nachgegeben.
Das hatte ich schon vermutet, denn nachdem ich die Schneewehe frontal genommen hatte, war ich gezwungen gewesen, den Wagen durch das Heckfenster zu verlassen. Die Schneemassen hatten mir komplett die Sicht genommen, mich regelrecht unter sich begraben. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun gehabt, überhaupt aus dem Auto zu kommen. Aber den Hydranten hatte ich nicht bemerkt.
»Du kriegst das wieder hin, oder?« Hoffnungsvoll sah ich zu Beckett. Höflichkeitsfloskeln waren mir mittlerweile egal.
»Nun ja.« Der Mechaniker stemmte den Arm in die Seite, griff nach seinem Cappy und rieb sich die kahlen Schläfen. Er verzog das Gesicht, als ob er auf einer Zitrone herumkauen würde. »Ich muss Teile bestellen. Neuer Kotflügel, neuer Kühler. Noch weiß ich nicht, was der Motor abgekriegt hat. Beim Tiguan nimmt der Kühler die meiste Last des Aufpralls, aber es könnten trotzdem Haarrisse auftreten. Kurzum, das wird teuer.«
Scheiße.
Mein letztes Geld war für den Wagen draufgegangen. Eine Reparatur konnte ich mir nicht leisten.
Natürlich könnte ich meine Konten anzapfen, aber das war viel zu gefährlich. Doch wenn ich, sobald ich das Geld abgehoben hatte, die Stadt verließ, könnte es funktionieren.
Ich nahm mir einen Moment, um die Situation zu überdenken.
Ja, so ging es.
»Wie viel wird es kosten?« Fragend sah ich Beckett an.
Der Mechaniker schüttelte langsam den Kopf und spitzte die Lippen.
»Wenn es schnell gehen muss?«
»Mit Vorschuss?«
Das war viel zu gefährlich. »Ohne? Dafür in bar?«
»Deal.« Beckett schlug ein. »Wenn du in bar zahlst, mach’ ich dir einen extra guten Preis.«
Ich verdrehte die Augen. »Mir würde schon genügen, wenn du mir überhaupt erst mal einen Preis nennen könntest.«
»Okay, mach’ ich heute Abend. Ich nehm’ den Tiguan an den Haken und sehe ihn mir sofort an.«
Nachdenklich schüttelte ich ihm die Hand. »Was meinst du, wie lange es dauern wird?«
»Eine Woche, vielleicht zwei.«
Scheiße.
»So lange?«
»Jep. Am besten suchst du dir schon mal eine Unterkunft. Weil drunter wird es nicht klappen. Wenn ich Teile bestellen muss …«
Ich winkte ab. »Ja, ja, schon gut. Ich hab’ es verstanden. Irgendein Tipp, wo ich günstig unterkommen kann?«
Und in bar zahlen durfte, wenn ich abreiste? Oder am besten gleich umsonst wohnen und essen durfte?
Verdammter Mist, ich hätte in Portland eine größere Summe abheben sollen, aber ich war viel zu nervös gewesen und hatte versucht, mich lieber mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Bisher hatte das gut funktioniert. Solange der Wagen mitspielte.
»Tja, da liegt das Problem.« Der Sheriff setzte eine zerknirschte Miene auf. »Wir haben Saison. Heißt, Ketchum platzt aus allen Nähten. Touristen überall. Am besten, du klapperst ein Hotel nach dem anderen ab. Vielleicht hat jemand eine Pritsche für dich parat.«
Auch das noch. Meine Laune sank ins Bodenlose.
Wieso musste mir das passieren?
Aber ich wollte nicht in Selbstmitleid verfallen. Schließlich hätte ich mir bei dem Aufprall eine Verletzung zuziehen können und wenn ich erst mal im Krankenhaus gelandet wäre …
Nein, darüber wollte ich lieber nicht so genau nachdenken.
Der Sheriff klopfte mir auf den Rücken. »Na mach‘ nicht so ein Gesicht. Es könnte viel schlimmer sein. Komm, ich fahr’ dich. Während Beckett sich um dein Auto kümmert, können wir schon mal eine Bleibe für dich organisieren.«
Verblüfft starrte ich Fletcher an.
Mich fahren? Aber … wieso?
»Wieso willst du das machen? Wir kennen uns nicht, haben nichts miteinander zu tun. Ich bin nur ein x-beliebiger Durchreisender. Ein Fremder.«
»Weil wir hier in Ketchum sind, Junge. Wer sich zu uns verirrt, der wird kurzerhand von der Stadt adoptiert. Egal, wie fremd er oder sie ist.«
»Das ist … nett.«
Der Sheriff grinste. »So sind wir Hinterwäldler in Idaho eben. Komm, hol dein Zeug. Damit wir endlich loskommen. Du musst dir in deinem Hemdchen ja den Arsch abfrieren.«
»Vielen Dank.« Ich schüttelte gerührt den Kopf und machte mich daran, meinen Seesack samt Umhängetasche und Winterjacke vom Rücksitz zu holen.
Die Tasche war beim Aufprall von den Polstern gerutscht und hatte ihren Inhalt im Fußraum verteilt, sodass ich ein wenig Zeit benötigte, alles wieder an seinen Platz zu stecken.
Da drin war mein Leben, oder besser gesagt, was davon übrig war. Ein Laptop, Fotos, Angelines Pressemappe mit den offiziellen Bildern, die zur Bekanntgabe unserer Verlobung gemacht worden waren.
Mein Blick fiel auf ein besonders gelungenes Bild, das mich noch ohne Bart und in der dunkelblauen Gala-Uniform mit der goldenen Borte und der roten Hose zeigte. Angeline trug ein ebenfalls blaues Kostüm. Sie saß in einem Polstersessel von Casa Padrino, hatte grazil die Beine übereinandergeschlagen und lächelte schüchtern in die Kamera. Sie hatte die Aufmerksamkeit gehasst, war aber bereit gewesen, sich um unserer Liebe willen, daran zu gewöhnen.
Ich hätte für sie darauf verzichtet, auf den ganzen Pomp, die Ehrungen und das Leben. Alles hätte ich für sie aufgegeben. Doch dazu war es nie gekommen.
»Hey, Kumpel!«
Ich presste die Zähne zusammen, stopfte das Bild wieder in die Mappe und verstaute sie samt den restlichen Erinnerungen an mein früheres Leben in der Umhängetasche.
»Ja?« Mit Tasche, Seesack und Jacke kämpfte ich mich vom Rücksitz und sah mich nach demjenigen um, der nach mir gerufen hatte. Der Sheriff grinste mich an.
»Wie heißt du eigentlich? Wir haben fast zwei Stunden versucht, deinen Wagen aus der Schneewehe zu befreien, und ich kenne immer noch nicht deinen Namen.«
Ich erwiderte sein Lächeln und streckte Fletcher die Hand entgegen. »Nenn mich einfach Remy.«
Der Sheriff schlug ein. »Na dann herzlich willkommen in Ketchum, Remy.«
Kapitel 2
Nessa
»Noch einmal vier Mimosenschorlen, Nessa. Aber fix. Die Jungs drüben an Tisch 3 sind schon ganz ausgetrocknet!« Sam platzierte vier leere Krüge vor mir auf dem Tresen und wischte sich mit einem Grinsen den Schweiß von der Stirn. »Endlich brummt der Laden mal.«
»Na dann wollen wir die Herren mal nicht warten lassen, was?« Ich strahlte sie an, platzierte vier gefüllte Krüge mit der für Ketchum typischen Limonade vor ihr und prostete den Männern zwischen zwanzig und dreißig am besagten Tisch zu. Mit Gejohle erwiderten sie meinen Gruß. Die Jungs hatten schon eindeutig mehr intus als nur ein bisschen Limonade.
Sam rollte mit den Augen, nahm die Krüge und schleppte sie unter lautstarkem Jubel zu unseren Gästen. Ich sah ihr zufrieden dabei zu und ließ meinen Blick über das kleine Restaurant schweifen.
Jeder, wirklich jeder der zwölf Tische war belegt. Die Laune der Gäste, beflügelt vom Alkohol und gutem Essen, würde uns heute Abend hohe Umsätze bescheren. Was auch bitternötig war.
Aber ich verbot mir, in Grübeleien zu verfallen. Nicht jetzt. Ich hatte zu tun.
»Nessa, nicht träumen!«
Ich schreckte hoch und wirbelte auf dem Absatz herum.
Granny stellte einen Teller nach dem anderen in die Essensausgabe. »Tisch 6, einmal Schinken-Käse-Burger mit extra Zwiebeln, zweimal den Fowl, einmal Garden, ohne Mayo, dafür extra scharf.«
Es zischte und spritzte hinter ihr, doch sie sah mich unentwegt an. Zwar ging es in ihrer Küche heiß her, aber als routinierte Köchin hatte sie selbst mit ihren 68 Jahren noch alles im Griff.
»Danke. Aber übernimm dich bitte nicht. Die Gäste können auch ein paar Minuten länger warten.«
»Willst du mich etwa aufs Abstellgleis schieben? Ich kann noch gut und gern meine zwanzig bis dreißig Essen pro Stunde rausbringen.« Granny stemmte die Hände in die Hüften und zwinkerte mir liebevoll zu. »Also sieh du lieber zu, dass du sie servierst, du junges Ding.«
»Pah!« Ich erwiderte ihren Blick, spürte die Wärme, die mir aus der Küche entgegenschlug, die vertrauten Gerüche meiner Kindheit.
Auf gar keinen Fall wollte ich, dass Granny sich überarbeitete, wir hatten ja schließlich nur noch sie.
»Na jetzt geh schon, Liebes. Bevor das Essen kalt wird. Es ist alles in Ordnung. Wirklich. Das bisschen Kochen schaffe ich gerade noch.« Granny schenkte mir ein warmes Lächeln und wandte sich mit einer Handbewegung wieder ihren Töpfen zu.
Ich sah ihr noch einen Moment hinterher, bevor ich mich der Teller annahm. Je zwei auf den Unterarmen ich die letzten beiden in die Hand und machte mich auf den Weg. Mit geübten Handgriffen balancierte ich die Gerichte zu Tisch 6. Zwei Pärchen, ebenfalls noch in Ski-Ausrüstung.
Ich wiederholte die gewählten Bestellungen und verteilte die Teller auf die Gäste.
»Oh, das sieht fantastisch aus!« Eine junge Blondine in einer khakifarbenen Ski-Kluft strahlte ihren Garden Burger an.
»Lasst es euch schmecken!« Ich wischte mir die Hände an einem Geschirrtuch trocken und steckte es wieder in den Gürtel, an dem ich das Kassengerät herumtrug.
Die Wangen der Gäste glühten. Viele hatten den Tag auf der Piste verbracht, doch allmählich wurde es ungemütlich draußen.
Ich warf einen besorgten Blick aus dem Fenster. Es schneite. Nicht ungewöhnlich für unsere Gegend. Wir in Ketchum liebten Schnee, denn genau deshalb kamen die Touristen hierher. Aber zu viel von unserem weißen Gold sorgte für Probleme, vor allem wenn die Straßen nicht mehr befahrbar waren.
Beckett hatte ohnehin schon genug zu tun mit dem Räumen der Straße, damit der Verkehr nicht zum Liegen kam. Wenn es allerdings erst richtig schneite und die einzige Zufahrtsstraße durch die Schneemassen blockiert war, dann saßen wir fest und Ketchum musste nebst den Einwohnern auch noch die hier gestrandeten Touristen versorgen.
»Nessa!«
Ich riss mich von dem Schneetreiben vor den Fenstern los und ging zurück zu meinem Platz hinter der Theke.
Granny steckte ihren Kopf aus der Essensausgabe, je vier Schüsseln ihres beliebten Rindereintopfs vor sich. »Tisch 3.«
Diese Frau schaffte mich.
Ich wollte gerade die Schüsseln auf einem Tablett platzieren, als sich die Eingangstür öffnete. Der Wind hob den dicken Wollvorhang, den wir als Windfang aufgehängt hatten, an und stob in den Gastraum. Ein eisiger Hauch vertrieb die von Essensgerüchen geschwängerte Wärme und bescherte den Menschen, die in seiner Nähe saßen, einen kühlen Luftzug.
»Brrrs« und »Ahhhs« machten die Runde.
Dann teilte sich der Vorhang und zwei Männer traten hindurch. Sie klopften sich den Schnee von den Winterjacken und warfen einen Blick durch den Gastraum.
Ich nahm das Tablett mit den Schüsseln und stellte es auf die Theke. »Tisch 3«, sagte ich zu meiner Schwester und schob es ihr zu. »Wärst du so freundlich? Ich muss mich um einen Platz für unsere neuen Gäste kümmern.«
»Noch mehr? Wir platzen bereits aus allen Nähten!« Sie drehte sich zum Eingang und ihre Miene erhellte sich. »Aber für zwei so schnuckelige Herren finden wir sicher einen Platz. Huhu, Sheriff! Wen hast du denn da mitgebracht?« Sam winkte Fletcher, der ihren Gruß mit einem breiten Lächeln erwiderte.
»Bring bitte das Essen an Tisch 3. Ich kümmere mich um Fletcher und seinen Begleiter, den ich übrigens bereits kenne.«
Sams Augen wurden groß. »Was? Und davon erzählst du mir nichts? Du bist eine böse Schwester.«
Ich lachte. »Ich bin die Ältere und übrigens der Boss. Also gehst du jetzt und machst deinen Job oder muss ich mit der Kündigung drohen?«
Sam kicherte. »Na klar! Aber ich will alles wissen über Mr. Bärtig und mies gelaunt.«
Bärtig konnte ich verstehen, aber mies gelaunt?
»Heute Nachmittag war er zumindest noch ganz freundlich gewesen.«
Fletcher trat an die Theke und legte seinen Hut sowie ein paar dick gefütterte Wildlederhandschuhe darauf. Langsam knöpfte er sich den Wintermantel auf.
Sein Begleiter, dessen Name mir nicht einfallen wollte, tat es ihm gleich. Nur dass er weder über Mütze noch Handschuhe verfügte.
Nicht gerade die geeignete Ausrüstung, um sich durch einen ausgewachsenen Schneesturm zu kämpfen.
»Da hat er auch noch nicht gewusst, dass er die nächste Woche in Ketchum bleiben muss,«
Ups. Offensichtlich hatte Fletcher über den Lärm hinweg Sams Worte gehört.
Meine Schwester warf dem Kerl einen mitleidigen Blick zu. »Armer, bärtiger Fremder.«
»Gehst du jetzt endlich?« Ich holte mit dem Handtuch nach ihr aus, ohne sie zu treffen.
Sam griff nach dem Tablett, jedoch nicht, ohne mir zuzuzwinkern.
Innerlich rollte ich mit den Augen.
Oh, nein, liebe Schwester, denk nicht daran!
Drohend hob ich die Brauen, doch Sam lachte nur und zog endlich mit den Suppenschüsseln ab.
»Es steht also so schlimm um dein Auto?«
Der bärtige Kerl warf mir nur einen Blick zu und trat neben den Sheriff, die Hände unter den Achseln verborgen, die Nase rot gefroren vom eisigen Wind. Er schwieg.
Fletcher musterte ihn, doch er schien keine Lust zu haben, meine Frage zu beantworten.
Der Sheriff räusperte sich. »Eine Woche, mindestens. Der Motor hat was abgekriegt, der Kühler ist komplett hinüber und Beckett hat nicht die richtigen Teile vorrätig. Also ja, es dauert. Habt ihr vielleicht noch ein Plätzchen und eine Suppe für uns? Wir haben den ganzen Nachmittag draußen in der Kälte verbracht, Schnee geschippt und dann Hotels abgeklappert.«
»Das hättet ihr euch sparen können. Zu dieser Jahreszeit ist nicht mal eine Abstellkammer frei. Jedes Zimmer ist belegt.« Ich deutete auf die Plätze vor ihnen. »Aber etwas Rindereintopf haben wir immer übrig. Der geht natürlich aufs Haus. Setzt euch, bitte.«
Der Mann nickte mir zu. Dann schob er sich auf einen Barhocker und verschränkte die Hände unter seinem Kinn. Missgelaunt starrte er vor sich hin.
Kein Wunder, wenn man bedachte, dass er noch nicht wusste, wo er die Nacht verbringen würde.
»Danke.«
»Nicht dafür. Schließlich bin ich dir was schuldig, wegen der zusätzlichen Kratzer.«
Der Typ winkte ab. Seine Miene entspannte sich etwas. »Auf die paar mehr kommt es nun auch nicht mehr an.«
»Hey, Fletch, habt ihr Hunger?« Granny steckte ihren Kopf aus der Küche, in jeder Hand eine Schüssel Eintopf. »Hab’ ich zufällig gefunden.«
Ich lachte.
Fletcher seufzte ergeben. »Du bist meine Rettung, Violet. Dein Eintopf ist genau das Richtige, um unsere gefrorenen Hände aufzuwärmen.«
Granny stellte die Schüsseln auf die Essensausgabe.
Ich nahm Löffel und Servietten, platzierte diese vor den beiden Männern. Dann drehte ich mich herum.
Besonders viele Fleischstückchen türmten sich zu einer mehr als ordentlichen Portion. Ich lächelte Granny an, nahm die dampfenden Suppenschüsseln und setzte sie vor den beiden Eisklötzen ab.
Fletcher schloss die Hände um die warme Keramik und inhalierte den köstlichen Duft des deftigen Eintopfs.
»Hier habt ihr noch ein wenig Brot.« Ich stellte ein bereits vorbereitetes Körbchen mit gerösteten Brotscheiben zwischen die beiden.
»Du bist ein Engel.« Fletcher griff nach seinem Löffel.
Der Typ starrte in seine eigene Schüssel, hob dann den Kopf und blinzelte mich an. »Das … ist wirklich sehr freundlich von dir.« Ein zögerliches Lächeln glitt über seine Lippen.
Heute Nachmittag hatte ich nur seinen Körperbau bewundert, aber jetzt, da er an meiner Theke kauerte, nahm ich ihn das erste Mal richtig wahr. Meiner Schwester gegenüber hatte ich ihn als freundlich beschrieben und das war er auch, aber da gab es noch viel mehr.
Er hatte die Arme abgestützt und ließ die Schultern hängen. Sein Blick flackerte und in seinen Augen lag eine Tiefe, die mich wie magisch an ihn fesselte. Er war kein einfacher Reisender, der seinen Tiguan in eine Schneewehe gefahren hatte, nein, dieser Mann hatte einen Grund. Er wirkte verloren und einsam, irgendwie … traurig.
In mir erwachte das Bedürfnis, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren, damit ich ihm etwas von der Last seiner Emotionen nehmen konnte.
Trauerte er wegen seines Autos?
Ganz bestimmt nicht.
Ich blinzelte, riss mich von ihm los und deutete auf den Eintopf. »Iss, bevor er kalt wird. Du kannst etwas gute Hausmannskost vertragen. Mit einem vollen Magen sieht die Welt nicht mehr ganz so tragisch aus. «
Ein tiefer Atemzug hob seine Schultern. »Du hast bestimmt recht.«
Ich setzte ein zuversichtliches Grinsen. »Natürlich hab’ ich das.« Ich beugte mich vor und legte meine Hand auf seinen Arm. Der raue Stoff seines Holzfällerhemdes kratzte angenehm unter meiner Handfläche. »Etwas Heißes hilft immer.«
Unter meiner Hand spannte er sich merklich an und sog scharf die Luft ein. Sein Blick traf mich. Darin lag etwas so Erschütterndes, dass ich ihn intuitiv losließ und einen Schritt zurücktrat.
Hatte ich eine Grenze überschritten?
Oh, Mann. Das war wieder einmal so typisch für mich. Mit Volldampf ins Fettnäpfchen. Ich wollte ihn doch nur etwas trösten. Doch offenbar mochte er Berührungen nicht. Okay.
»Tut mir leid«, murmelte ich und zog den Kopf ein.
»Es ist alles okay.«
»Wirklich? Ich bin manchmal etwas impulsiv und vergesse darüber, dass vielleicht nicht jeder gern angefasst werden möchte.« Zögerlich sah ich ihn an.
»Du hast mich nur überrumpelt. Das ist alles.« Ein Lächeln, das allerdings seine Augen nicht erreichte, glitt über seine Züge. Es wirkte fast wie einstudiert, wie eine Maske, hinter der er sich bei Bedarf verstecken konnte. Wie eigenartig.
»Sicher?«
Er nickte. »Sicher.«
»Es kommt nicht wieder vor, versprochen.«
»Hey, Nessa!«
Nur widerwillig riss ich mich von ihm los. Ich hätte mich gern noch länger mit ihm unterhalten.
Wieso war er hier? Was war der Grund für seine Reise?
Da steckte mehr dahinter als touristische Gründe.
Ich winkte den beiden Männern. »Lasst es euch schmecken!« Dann wandte ich mich meiner Granny zu, deren allzeit fröhliche Miene einen Schatten aufwies. Sie deutete mit dem Kinn ans andere Ende der Theke.
»Während du dich mit dem hübschen Jungen beschäftigt hast«, sie zwinkerte mir zu, »haben wir noch mehr Besuch bekommen.«
»Ich habe mich gar nicht beschäftigt, sondern mich vorbildlich um unsere Gäste gekümmert.« Angesäuert verzog ich das Gesicht.
Granny hob eine Augenbraue. »Siehst du den Mann am Ende der Theke im Anzug, der aussieht, als hätte er sich verlaufen? Der hat sich dort niedergelassen, während du dich um unsere Gäste gekümmert hast.«
Granny wirkte, als ob sie Zahnschmerzen hatte. Und das passte so gar nicht zu der Stichelei, die sie normalerweise gut gelaunt austeilte.
Misstrauisch folgte ich ihrem Blick.
Am Ende der Theke saß ein Mann mit Halbglatze, piekfeiner Anzug, Krawatte, mit passender Aktentasche vor sich auf dem Tresen und einer Miene, die ihn wie ein schmieriger Autoverkäufer wirken ließ. Allein wenn ich ihn sah, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.
Ich kannte ihn. Leider.
»Wie hat der denn bei dem Schneetreiben hergefunden?«, murmelte ich mehr zu mir selbst.
Granny zuckte den Schultern. »Die Haie riechen Blut und sie wollen sich an unserem laben.«
»Granny! Du hast echt einen komischen Humor!«
Sie lachte gackernd und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Kümmere dich um Mr. McBride. Ich scheuche derweil deine Schwester.«
Sam kam gerade mit den Händen voller Krüge hinter die Theke und stellte sie neben die Spüle. »Was will der denn hier?« Ihre Augen schossen winzige Giftpfeile in seine Richtung.
Wenn sie gekonnt hätte, meine Schwester hätte ihn ermordet, auf einer Müllhalde verscharrt und jedes Andenken an ihn per Zauberspruch ausgelöscht.
Deshalb war es für uns besonders wichtig, dass ich mich mit ihm unterhielt, und nicht Sam.
Ich stieß einen ergebenen Seufzer aus. »Das, was er immer will. Geld.« Die Hand an den Arm meiner Schwester gelegt, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Sei brav. Wir ermorden hier keine Bankangestellten. Er tut nur seinen Job.«
»Indem er immer dann kommt, wenn der Laden voll ist?« Sam bugsierte zwei Krüge in das Spülwasser und schrubbte sie mit einer Hingabe, als wollte sie die Glasur von der Keramik entfernen. Sie kniff die Brauen zusammen und starrte ihn an. »Der Kerl will dich bloßstellen. Er will dir vor aller Augen seine Macht demonstrieren und dich in die Knie zwingen. Wenn du nicht Männchen machst, kann er uns vernichten. Einzig darum geht es ihm.«
Zärtlich legte ich meinen Arm um ihre Schultern und drückte sie. »Das kann er ruhig versuchen. Mir ist egal, was die Leute denken. Wir haben Schulden. Daran können wir nun mal nichts ändern. Machen wir das Beste daraus. Immerhin sieht er, dass wir Einnahmen haben. Ich red’ mit ihm, ja? Kümmer dich um die Gäste. Das ist das Allerwichtigste.«
Sam schenkte mir ein zorniges Schnauben, doch ich wusste, dass sie es nicht so meinte. Sie wollte mich beschützen, denn Eugene McBride war ein ekelhafter Zeitgenosse.
»Sei vorsichtig, Schwesterherz. Ich traue ihm nicht.«
»Und du lass deinen Zorn nicht an den Krügen aus. Neue anzuschaffen, kann ich mir nicht leisten.« Ich drückte ihre Schulter, reinigte mir ein weiteres Mal die Hände, während ich zum Ende der Theke ging. Das Geschirrtuch ließ ich auf die Arbeitsplatte fallen.
»Mr. McBride, was verschafft mir die Ehre?« Ich setzte ein neutrales Lächeln auf, einen Gesichtsausdruck, den ich mir in jahrelangem Umgang mit anstrengenden Gästen angewöhnt hatte.
Sam behauptete, dass der Unterschied zum Zähnefletschen fast nicht vorhanden war. Na vielen Dank auch. Ich entspannte meine Gesichtszüge.
»Ms. Marshall, ich freue mich, dass Sie trotz der vielen Arbeit einen Moment Zeit für mich gefunden haben. Das zeigt mir, wie viel Ihnen an unserer Beziehung liegt.« Er grinste mich schmierig an und strich sich über die wenigen Strähnen, die seinen Schädel nur unzureichend bedeckten.
Wie gebannt starrte ich auf die akkurat gelegten Haare. Er muss sie angeklebt haben. Nur so konnte ich mir erklären, wie er es schaffte, sie an Ort und Stelle zu halten. Er war vom Parkplatz in die Lodge gegangen. Diese kurze Distanz hätte genügen müssen, um seiner Frisur den Garaus zu machen. Doch sie hielt. Erstaunlich.
Ich schüttelte den Gedanken ab. »Was kann ich für Sie tun?«
McBride öffnete den Aktenkoffer vor sich und zog eine rote Mappe heraus.
Rot?
Beim letzten Mal war sie noch grau gewesen.
Diese Farbe bescherte mir ein mulmiges Kribbeln in der Magengegend.
Rot war nicht gut. Gar nicht gut.
Er klappte die Mappe auf und überflog die erste Seite. »Ihre Optionen laufen Freitag aus. Also in exakt drei Tagen am 15. Dezember. Bis dahin müssen Sie den Kredit komplett getilgt haben oder wir müssen eine Anschlussfinanzierung abschließen. Natürlich zu neuen Konditionen. Ich bin hier, um mit Ihnen die Bedingungen abzuklären, da Sie es ja offensichtlich nicht schaffen, selbst Termine auszumachen. Kein Wunder, wenn der Laden so brummt.« Er sah sich im Restaurant um, wirkte allerdings alles andere als zufrieden.