Tod eines Wunderfitz' - Ruth M. Fuchs - E-Book

Tod eines Wunderfitz' E-Book

Ruth M Fuchs

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Beschreibung

Kehrwoche, Karpfen und Kommissare – ein Mord im Landkreis Tuttlingen

Quirin Kammermeier, Kriminalhauptkommissar mit niederbayerischem Charme und Lebensart, hat sich seinen ersten Tag in Tuttlingen ruhiger vorgestellt. Statt Einleben heißt es Ermitteln: Ein Angler zieht statt eines Hechts einen toten Rentner aus einem Fischteich. Das Opfer – ein notorischer Besserwisser mit zu viel Neugier und zu wenig Feingefühl – hatte mehr Feinde als Freunde.

An Quirins Seite: sein neuer Partner Akil Pillai, ein junger, pflichtbewusster Schwabe mit tamilischen Wurzeln und einer Leidenschaft für die schwäbische Küche, sowie ein dreiköpfiges Team. Gemeinsam tauchen sie ein in die Abgründe von Vereinsmeierei, Nachbarschaftsneid und Kehrwochendisziplin.

Ein Regionalkrimi mit Witz, Spannung und viel Lokalkolorit – und ein Ermittlerteam, das garantiert niemandem nach dem Mund redet.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ruth M. Fuchs

Tod eines Wunderfitz'

Ein schwäbisch-bayrischer Krimi

Mord im Ländle – mit Augenzwinkern und Maultaschen! Im idyllischen Landkreis Tuttlingen glaubt man, das größte Verbrechen sei ein falsch geparkter Traktor – bis ein Toter am Fischteich gefunden wird. Und plötzlich steckt das beschauliche Schwabenland mitten in einem handfesten Mordfall.

Abschied

Es war kurz vor zwölf. Quirin schaute sich um. Ja, alles schien da zu sein – die Platten mit den Häppchen, verschiedene Getränke, die obligatorische Flasche Sekt, Teller, Besteck, Gläser, Servietten. Das also war jetzt sein Abschied. Schon am Nachmittag würde er sich auf den Weg machen, und morgen begann sein neues Leben. Er bereute seine Entscheidung nicht, aber es wurde ihm schon recht wehmütig ums Herz, weil er die besten Kollegen und Freunde, die ein Mann sich nur wünschen konnte, einfach so zurückließ.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen melancholischen Gedanken. Ein Dutzend Kollegen strömte durch die Tür und begrüßte ihn.

„Eigentlich hast du des gar ned verdient, du treulose Seele!“, erklärte Rolf.

„Ich will nur sicherstellen, dass du auch wirklich gehst.“ Christel lachte.

„War a bleede Entscheidung. Des werd Eahna no leid doa, Sie Haumdaucher“, grummelte Achim Schröder, sein Noch-Chef.

Dann klopfte es noch einmal.

„Sabine!“, rief Quirin. „Dass du für mich extra deine Elternzeit unterbrichst und ins Büro kommst!“

„Das lass ich mir doch nicht entgehen.“ Seine frühere Partnerin grinste von einem Ohr zum anderen. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass du dich einfach so nach Baden-Württemberg verdrücken kannst.“

„Hast du die kleine Christine gar nicht dabei?“, wollte Christel wissen.

„Thorsten passt auf sie auf. Er meint, es wäre besser, sie ist nicht dabei, wenn ihre Mutter sich vor lauter Kummer mit Essen vollstopft, weil ihr bester Freund sie verlässt.“

Quirin spürte einen Stich im Herzen, als Sabine das sagte. Doch da lachte sie ihn an und legte die Hand auf seinen Arm.

„Keine Sorge“, beruhigte sie ihn. „Ich weiß ja, dass du nicht gehst, weil du uns alle nicht mehr leiden kannst, sondern weil deine große Liebe auf dich wartet. Und was sind schon vierhundert Kilometer für eine Freundschaft?“

„Noch dazu in der heutigen Zeit“, nickte Rolf. „Ich schätz mal, ihr werdet jeden Tag videochatten und SMSen, oder wie man da sagt. Und spätestens bei den nächsten Agnes-Bernauer-Festspielen wirst du bestimmt mit deinem Mann vorbeikommen, oder?“

„Nur wenn du nicht wieder mitspielst und unseren Staatsanwalt in seiner Rolle als Herzog aus dem Konzept bringst.“ Quirin schmunzelte.

„Wo ist der eigentlich? Hast du ihn nicht eingeladen?“

„Der hat angerufen und gemeint, es täte ihm schrecklich leid, aber er hätte einen Gerichtstermin. Vielleicht schaut er später noch vorbei.“

„Schon blöd, wenn einem die Arbeit dazwischenkommt.“ Christel wedelte mit der Hand. „Aber dass du das Baby nicht mitgebracht hast, Sabine, das nehm ich dir übel. Ich hatte mich schon darauf gefreut, sie durchzuknuddeln.“

„Du kannst uns jederzeit besuchen“, bot Sabine an. „Und so ganz nebenbei …“, sie grinste, „wir könnten ab und zu einen Babysitter brauchen ...“

„Dass Sie fei ja ned meinen, Sie sind uns jetzt los.“ Schröder erhob sich und klopfte an sein Glas. „Wir hab’n schon Pläne g’macht, wer wann Urlaub bei Ihnen macht. ‘S Donautal ist ja recht schee. Und der Bodensee ist ja aa ned weit weg. Trotzdem ist des schon ausg’schammt, dass Sie einfach so weggehen. Jetzt muss ich jemand Neues einlernen. Dabei hamm Sie mich schon so Nerven ‘kostet. Noch können ‘S des rückgängig macha …“ Er schaute Quirin erwartungsvoll an, der aber nur den Kopf schüttelte. „Dann halt ned!“ Schröder seufzte. „Aber wenn Sie sichs anders überleg’n, hamm wir da a Kleinigkeit für Sie …“ Er reichte Quirin ein kleines Paket. „Und dann is da noch ein Album – da hat jeder von uns ebbs rein g’schrieb’n und a Foto dazu pappt. Und natürlich hoff’n mir, dass Sie ab und zu vorbeischau’n und uns berichten, wie’s so ist im Ausland.“

„Das werde ich machen“, versprach Quirin gerührt.

„So ist's recht.“ Schröder nickte zufrieden und setzte sich wieder. „Aber verzeih’n werd ich Ihnen das nie“, brummte er noch. „Jetzt muss ich an Neuen einlernen. Des dauert wieder ewig, Himmelherrschaftszeitensacklzement. Und was Besser’s kommt selten nach.“

Quirin blätterte durch das Album und öffnete dann das Paket: Ein Kompass.

„Damit du immer herfindest, wenn'st es brauchst“, erklärte Rolf.

„Ich hab ein Navi auf dem Handy …“, wandte Quirin ein.

„Aaaah, genau des is der Punkt!“ Rolf hob den Finger. „Da verlasst du dich drauf und dann … ‘s Auto bricht z’amm, oder der Zug brennt – und du bist in ‘nem Funkloch. Was machst dann?“

„Dann bin ich froh, dass ich einen Kompass habe.“

„Genau!“

„Aber ehrlich, dass du einfach so gehst …“ Sabine schüttelte den Kopf. „Ich sehe das natürlich schon ein – große Liebe und so. Wahrscheinlich hätte ich es genauso gemacht. Aber ehrlich – hättest du dich nicht in einen Straubinger verlieben können?“

„Na ja, wo die Liebe hinfällt.“ Quirin zuckte die Schultern. „Aber wer weiß? Vielleicht ist mein Nachfolger ganz toll. Ungemein gut aussehend, charmanter und eloquenter als ich …“

„Wahrscheinlich. Aber die Umstellung!“

„Was sagt denn deine Vermieterin, die Frau Mühldorfer, dazu?“, wollte Christel wissen.

„Von der hab ich mich schon verabschiedet und bin für ein paar Tage in eine Pension gezogen. Ihre Nichte aus Italien hat mein Zimmer übernommen. Die studiert hier.“

„Dann ist sie wenigstens nicht allein und vermisst den Besserwisser, der bei ihr gewohnt hat.“

„Sag’s ruhig: Du findest, ich bin ein Klugscheißer und kannst mich nicht leiden.“

„Im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Aber … aber du stehst ja nicht auf Frauen.“

Einen Moment lang starrte Quirin Christel an, die ein ernstes Gesicht machte. Doch dann brach sie in Gelächter aus.

„Ha, drangekriegt!“, rief sie fröhlich. „Natürlich halte ich dich für einen Klugscheißer. Aber gib es ruhig zu: Einen Moment hast du’s geglaubt!“

Montag

Neuanfang

Sieht ein wenig wie ein riesiger Werkzeugkasten aus Blech aus, dachte Hauptkommissar Quirin Kammermeier, als er das Gebäude betrachtete, in dem er künftig arbeiten sollte, aber man soll ein Buch ja nicht nach seinem Einband bewerten. Also, auf gehts, schauen wir mal, wie es von innen so aussieht.

Als er die Schleuse passiert hatte, schaute er sich um. Vor ihm führte eine Treppe nach oben, daneben war ein verglaster Lift. Überhaupt war alles Glas und Edelstahl. Nur die Tritte der Treppe waren aus hellem Holz. Ziemlich futuristisch, fand Quirin. Er entschied sich dafür, die Treppe zu nehmen. Ein bisschen Bewegung schadet ja nicht: Das Büro seiner neuen Chefin war in der obersten Etage.

Er fand die richtige Tür, klopfte und trat nach einem ‚Herein‘ ein. Das Büro war hell und für seinen Geschmack etwas zu warm. Mit den Pflanzen am Fenster sah es jedenfalls ganz angenehm aus. Als Quirin eintrat, war von besagter Chefin nichts zu sehen. Da stand lediglich eine Frau mit dem Rücken zu ihm an der Kaffeemaschine. Die war aber sicherlich viel zu jung mit ihrem Minirock und einem feuerroten Pferdeschwanz. Soweit Quirin wusste, musste seine Vorgesetzte um die sechzig sein. Die schlanke Frau vor ihm zählte wohl eher dreißig Jahre oder ein wenig mehr. Doch dann drehte sie sich um und Quirin blickte in ein Gesicht, das wesentlich älter war. Solariumgebräunt, schätzte Quirin mit einem Blick auf die ledrige Haut, mit zu viel schwarzem Kajal und noch mehr Wimperntusche. Aber, na ja, man soll ein Buch ja nicht nach seinem Einband bewerten, sagte Quirin sich einmal mehr.

„Guten Tag, ich bin Hauptkommissar Quirin Kammermeier“, stellte er sich vor. „Frau Roth?“

„Die bin ich. Schön, dass Sie so pünktlich sind.“ Frau Roth stellte einen vollen Kaffeebecher auf ihren Schreibtisch und setzte sich. „Oh, wollen Sie auch einen?“

„Nein danke, nicht im Moment.“

„Schön. Aber setzen Sie sich doch.“

Quirin setzte sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs, während seine künftige Chefin mit ihrer Maus, die links von der Tastatur lag, herum fuhrwerkte.

„Ach, ich bin das noch nicht gewöhnt …“, entschuldigte sie sich. „Ich bin ja eigentlich Rechtshänder, aber es soll besser für das Handgelenk sein, wenn man die Maus mit links benutzt … ah, da haben wir es!“ Sie lehnte sich zufrieden zurück. „Sie sind also aus Straubing in Niederbayern. Ihre Aufklärungsrate ist ausgezeichnet, wie ich sehe. Und jetzt wollen Sie also Baden-Württemberg auf Vordermann bringen?“

„Na ja, das ist vielleicht übertrieben …“

„Sie wissen, dass Ihre übergeordnete Dienststelle in Konstanz ist?“ Frau Roth schaute immer noch nur auf den Bildschirm.

„Ich war gestern dort …“ Quirin hatte den halben Tag bei der Kripo Konstanz verbracht.

„Es ist schön, dass wir die freie Stelle so schnell wieder besetzen konnten“, fuhr Frau Roth unbeirrt fort und wackelte ein wenig mit der Maus. „Himmel, jetzt ist die Akte weg. Ich hoffe, ich habe die jetzt nicht gelöscht.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen und fuhrwerkte noch ein wenig mehr mit der Maus. „Ah“, rief sie dann erleichtert, „alles wieder da. Schön. Also, wie schon gesagt: Schön, dass Sie die Stelle hier so schnell genommen haben. Ihr Vorgänger ist zum Mutterhaus in Konstanz gewechselt. Nicht weil es ihm hier nicht gefallen hätte …“, Frau Roth hob den Kopf und schaute Quirin ernsthaft an, „es war eine Beförderung.“

„So hat man es mir in Konstanz erklärt“, nickte Quirin. Er war ein wenig irritiert, dass seine neue Chefin so sehr Wert auf den Grund des Wechsels legte. Leider hatte er keine Gelegenheit gehabt, seinen Vorgänger persönlich zu sprechen.

„Ach, hat man? Na, umso besser. Sie werden also hier ein Büro haben und zusammen mit ihrem Partner für alle Angelegenheiten im Landkreis Tuttlingen zuständig sein, die etwas mit Gewalt zu tun haben …“

„Ja, das ist in Bayern genauso.“

„Oh. Ach ja. Eigentlich sollten Ihr Partner und der Staatsanwalt inzwischen hier sein. Ich wollte sie Ihnen vorstellen …“ Frau Roth blickte hoffnungsvoll zur Tür, die aber stur geschlossen blieb. „Tja, also …“, auch ein weiterer Blick änderte nichts daran, dass die Tür sich nicht öffnete. „Dann zeige ich Ihnen am besten Ihr Büro und …“

Es klopfte.

„Herein!“, rief Frau Roth sichtlich erleichtert.

Die Tür ging auf, und herein kam ein dunkelhäutiger Mann mit schwarzem Haar und einem kleinen Schnurrbart. Anfang dreißig, schätzte Quirin, sieht ganz nett aus. Sympathische dunkelbraune Augen. Wenn das mein neuer Kollege ist, hab ich’s gut getroffen.

„Grüßgottle“, begrüßte der Neuankömmling Frau Roth und Quirin fröhlich. „Tut mir leid, dass ich z’spät dran bin.“

„Ja, Sie hätten schon vor zwanzig Minuten da sein sollen“, tadelte Frau Roth. „Herr Kammermeier …“, wandte sie sich an Quirin, „das ist Kriminalkommissar Akil Pillai, mit dem Sie künftig zusammenarbeiten werden.“

„Sehr erfreut“, Quirin sprang auf und streckte dem Neuankömmling die Hand hin, „Quirin.“

„Akil.“ Sein neuer Partner schüttelte Quirins Hand kräftig, wobei er mit einem Grinsen zu Quirin aufsah. Er reichte ihm knapp bis zur Nase.

„Am besten führen Sie Herrn Kammermeier gleich herum und zeigen ihm auch sein Büro“, empfahl Frau Roth.

Doch Akil Pillai schüttelte den Kopf.

„Das muss warten. Mir hend ä Leich.“

„Wie bitte?“ Frau Roth riss die Augen auf.

„Draußen bei Dürbä hend se einen aus ‘m Fischweiher ‘zogen.“

„Und wieso erfahre ich das nicht als Erste?“ Frau Roth schüttelte so ungehalten den Kopf, dass der Pferdeschwanz hin und her wippte. „Also, das geht ja gar nicht!“

„Ich war grad in der Zentrale, als der Anruf gemeldet wurde. Die Mail mit dem Gesprächsprotokoll sollten Sie inzwischen haben. Aber nachdem mein Kollege, also Quirin, und ich ja eh sozusagen frei sind, hab ich mir gedacht, mir schau’n uns das gleich mal an.“ Akil zuckte unbekümmert die Schultern. Dass seine Chefin so wenig begeistert von seinem Vorgehen war, schien ihn wenig zu stören. „Den Staatsanwalt hab ich auch gleich informiert. Er meinte, er wär eh in der Gegend und trifft uns am Weiher.“

„Es ist ja wohl meine Aufgabe, Herrn Zepf zu informieren“, stellte Frau Roth eisig fest. „Also, das geht ja gar nicht. Ich habe erst letzte Woche eine Mail an alle geschickt, dass solche Dinge immer über den Vorgesetzten zu laufen haben.“

„Vergessen. Des isch mir jetz arg. Aber ich kenn den Zepf halt recht gut. Na jedenfalls, wir sollten erst mal da hinfahren.“

„Das sollten Sie wohl.“ Frau Roth machte eine abschließende Handbewegung. „Aber in Zukunft halten Sie bitte den Dienstweg ein. Ich habe Ihnen allen doch erst vor Kurzem eine Mail dazu geschickt. Also wirklich. Einfach über meinen Kopf hinweg … das geht ja gar nicht.“

„Können wir deinen Wagen nehmen?“, wollte Akil wissen, als er und Quirin die Treppen hinunterstiegen. „Meiner ischt in der Werkstatt.“

„Klar“, nickte Quirin. „Du musst mir nur sagen, wohin ich fahren soll.“

„Erst mal Richtung Wurmlingen, aber dran vorbei. Durch Weilä nach Rietä und da an der Bahnhofstraße rechts Richtung Dürbä und dann links auf’n Parkplatz vom Weiher …“

„Wurmlingen kenne ich, aber Weilä? Davon hab ich noch nie gehört.“

Akil blieb einen Moment stehen. Dann lachte er.

„Stimmt, du bischt ja ein Ausländer. Also: durch Weilheim durch, in Rietheim rechts, dann hinterm Ort kurz vor …“

„Dürbheim?“

„Heidanei, du bischt ä echtes Käpsele! Das ist recht. Äh, wahrscheinlich muss ich erklären ...“

„Ich weiß, was ein Käpsele ist, ein Blitzmerker!“ Quirin warf seinem Partner einen amüsierten Blick über das Autodach zu. „Mein Mann hat mich schon mal so genannt.“

„Ein guter Anfang“, lachte Akil und stieg ein. „Wir müssen doch einen g’scheiten Schwaben aus dir machen.“

„Ein Bekannter hat mir erklärt, er wohnt seit vierzig Jahren hier und wird von den Tuttlingern immer noch als Reing’schmeckter angesehen“, widersprach Quirin, während er den Motor anließ.

„Na ja, das darf man nicht so eng seh’n.“ Akil zuckte mit den Schultern. „Mir Schwaben sind halt a bissle eigen.“

Quirin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Akil mit seinem Namen und Aussehen fiel bestimmt nicht unter die Kategorie ‚Typischer Schwabe‘. Der eine oder andere seiner Vorfahren war bestimmt kein Schwabe gewesen – vielleicht Inder? Aber das war jetzt nicht so wichtig.

„Was wissen wir über die Leiche?“, fragte er stattdessen.

„Ein Herr Rieger war mit einem Freund beim Angeln am Dürbheimer Fischweiher. Da hat er den Körper an den Haken kriegt und hat ihn raus’zogen. Hat wohl erst denkt, er hätt einen Riesenfisch an der Angel. Und dann war der Schreck groß. Immerhin war er so schlau, gleich den Notruf zu wählen, und dann sind zwei Streifenbeamte hin g’fahren und hab’n g’sehen, dass es tatsächlich ein Mensch ist, den der Rieger da geangelt hat. Die haben dann uns verständigt.“

Der Dürbheimer Fischteich lag ein wenig versteckt ab von der Straße hinter einer Hecke. Akil dirigierte Quirin auf einen Parkplatz, der bereits ziemlich voll war. Neben zwei Streifenwagen standen dort drei Pkws, ein Einsatzwagen des DRK und ein großer Lieferwagen mit offenen Hecktüren. Ein Teil des Ufers war bereits mit weiß-gelbem Flatterband abgesperrt, und einige Polizisten standen dabei, um zu verhindern, dass Unbefugte trotzdem durchkamen. Die Spurensicherung in den typischen weißen Overalls war bei der Arbeit. Ein Fotograf tänzelte eifrig knipsend um den Körper eines Mannes herum, der auf dem Rücken am Ufer lag, die Beine noch im Wasser.

Zwei Männer vom DRK traten zu Quirin und Akil.

„Wir sind gleich hergefahren“, sagte der eine und strich sich den Schnurrbart, „aber der war schon jenseits von Gut und Böse. Nichts mehr zu machen.“

„Wir haben schon den Bestatter angerufen“, meinte der andere. „Also, geht mich ja nichts an, aber der Mann da sieht nicht aus, als wär er ertrunken. Lang im Wasser liegt er auch noch nicht. Auf den ersten Blick gibt's noch keine Verwesung – keine Blasen, keine Hautablösung. Die Fische haben den Körper anscheinend auch noch nicht angeknabbert. Aber da kümmert sich euer Forensiker drum.“

„Ist der noch gar nicht vor Ort?“, wunderte sich Quirin. „In Bayern ist das eigentlich üblich.“

„Neu hier? Aus Bayern? Na ja, andere Länder, andere Sitten.“ Der Schnurrbärtige verzog amüsiert den Mund und nickte dann seinem Kollegen zu.

„Also, wir packen’s wieder“, verabschiedete sich der.

„Wo ist die Forensik eigentlich?“, erkundigte sich Quirin bei Akil.

„In Freiburg“, antwortete der.

„Freiburg?“

„Au net grad der nächschte Weg, schtimmt.“

„Muss da einer von uns hin, wenn die Autopsie gemacht wird?“

„Meistens geht einer von der Technik, also von der SpuSi hin, schon wegen der Spuren und so. Warum?“

„In Bayern … lassen wir das. Ich bin ja froh, wenn ich da nicht hin muss.“

Eine stämmige Frau im Ganzkörperschutzanzug trat zu Quirin und Akil an die Absperrung.

„Guten Morgen, Birgit Storz“, stellte sie sich vor, „Ich bin die Chefin von dem Ganzen. Wie ich seh, hat Akil Sie gut hergelotst.“

„Ja, das hat er.“ Quirin ergriff die angebotene Hand.

„Lassen Sie sich nichts von ihm einreden – wir sind auch zu Ausländern nett.“ Birgit zwinkerte Akil zu, der theatralisch die Arme hob. „Ist ja ein heftiger Anfang, gleich am ersten Tag eine Leiche. Na, dann wollen wir mal sehen …“ Sie duckte sich unter dem Absperrband durch und ging vor der Leiche in die Hocke.

„Wird noch ein bissle dauern, bis wir an den Tatort dürfen“, meinte Akil.

„Stimmt“, nickte Quirin. „Also befragen wir erst einmal die beiden Angler, die die Leiche gefunden haben.“

„Das müssen die zwei da drüben sein!“ Akil deutete auf zwei Männer, die mit je einem Becher in der Hand auf einer Bank saßen, neben sich einen Polizisten in Uniform. „So grün im G’sicht, wie die sind.“

„Gut beobachtet.“

Der eine Mann schaute auf, als die beiden Männer zu ihm traten. Er hielt seinen Becher mit beiden Händen umklammert, als wäre die Flüssigkeit darin ein Lebenselixier. Der Farbe nach war es aber eher Kaffee. Der andere Mann starrte teilnahmslos vor sich hin und nahm lediglich hin und wieder einen Schluck aus seinem Becher. Der Beamte neben ihnen hielt auch noch eine Thermoskanne für eventuellen Nachschub bereit. Er nickte Quirin und Akil zu, sagte aber nichts.

„Sind Sie Herr Rieger? Sie haben uns verständigt“, sprach Akil den gefassteren der beiden an.

„Stefan Rieger, ja.“ Der Mann guckte unsicher von Quirin zu Akil und wieder zurück. „Und der da ist Manfred Siegl.“ Er machte eine Bewegung mit seinem Becher zu dem anderen Mann hin, der jetzt aufschaute. Sein Blick glitt über die beiden Beamten hin und dann zum Ufer, wo die Leiche lag. Er würgte, stürzte dann davon und verschwand hinter dem Schilf, das überall wuchs.

„Ah, der Rest vom Frühstück“, kommentierte Rieger. „‘S ist schon das zweite Mal.“

Der Beamte neben ihm nickte.

„Das ist Kriminalhauptkommissar Kammermeier, und ich bin Kriminalkommissar Pillai“, stellte Akil sich und Quirin vor, als sei nichts geschehen. „Sie also haben den Toten gefunden?“

Quirin spitzte die Ohren. Sein neuer Partner sprach jetzt plötzlich bestes Hochdeutsch.

„G’funden hab ich ihn nicht“, berichtigte Rieger. „Ich hab ihn aus ‘m Wasser ‘zogen. Jetzt, wo die Schonzeit vorbei ist, wollt’ ich einen Hecht rausholen mit einem neuen Gummifisch mit Drilling, und der Manfred wollt mir mit dem Kescher helfen.“

„Verstehe“, nickte Quirin, der keine Ahnung hatte, wovon der Mann da eigentlich sprach. „Also sind Sie heute Vormittag hierher gekommen. Um wie viel Uhr war das denn?“

„So um die zehn. Ich hab die Woche frei, wissen Sie. Ich hab die Angel ausgeworfen, und fast sofort hat der Hecht angebissen. Wenigstens hann i des denkt … aber dann hab ich den Volle raus’zogen … ausgerechnet den. Dass grad mir so ebbs passieren muss! Da zieh ich was Langes, Dickes raus, ich freu mich schon, und dann glotzt mich doch der Volle an!“ Riegers Hand zitterte, als er den Becher hob und einen großen Schluck nahm.

„Der Volle?“ Quirin stutzte. „Sie kennen den Toten?“

„Hoja, klar. Den kennt da jeder! Der ist aktives Mitglied bei uns. Außerdem hat er seine Nase überall neig’steckt. Ein gscheiter Wunderfitz.“

„Wunderfitz?“ Quirin schaute fragend zu Akil.

Der hob die Hände.

„Ein Wunderfitz, das ist … wie soll ich sagen … ein neugieriger, also wunderfitziger Mensch“, übersetzte er dann.

„Neugierig ist gar kein Ausdruck!“, ließ sich da eine tiefe Stimme vernehmen.

Sie gehörte einem stattlichen Mann, der in großen Schritten herankam. Er war breit und massig, aber nicht fett, und eine adrette Erscheinung in seinem Maßanzug, der modischen Brille und dem gepflegten, schwarzen Vollbart.

„Ein Wunderfitz will immer alles von seinen Mitmenschen wissen, bis ins kleinste Detail. Je peinlicher, desto lieber. Man könnte es mit Recht schon eine geradezu krankhafte Neugier nennen.“ Er schaute erst zu Rieger, dann zu Akil und schließlich zu Quirin. „Lukas Zepf, Staatsanwalt“, stellte er sich dann vor.

Manikürte Fingernägel, stellte Quirin fest, als er die angebotene Hand schüttelte.

„Sie müssen Hauptkommissar Quirin Kammermeier sein“, fuhr Zepf fort. „Willkommen im Alemannischen.“ Er lachte laut auf, als er Quirins verdutzte Miene sah. Es war ein tiefes, dröhnendes Lachen. Mit dieser Stimme und diesem Lachen hätte er spielend der Bösewicht aus einem James-Bond-Film sein können, fand Quirin.

„Sie werden noch lernen, dass Schwabe nicht gleich Schwabe ist“, klärte ihn der Staatsanwalt derweil auf. „Der Dialekt hier unterscheidet sich zum Beispiel von dem in der Gegend von Stuttgart. Er hat mehr Ähnlichkeit mit dem in der Schweiz oder dem Elsass. Wobei man natürlich auch sagen muss, dass Tuttlingen mit seiner Grenzlage ein wahrer Schmelztiegel an Dialekten ist ... Aber ich sehe schon, ich überfordere Sie.“ Er lachte wieder.

Quirin fühlte sich eigentlich kein bisschen überfordert, doch er sagte nichts dazu.

„Immerhin haben Sie sich für Ihren ersten Einsatz ein malerisches Fleckchen ausgesucht.“ Zepf machte eine weite Geste. „Jetzt sieht man das noch nicht so. Aber im Sommer, wenn alles grün ist, ist es schon sehr schön hier. Da drüben ist übrigens der Faulenbach. Und jenseits des Teichs kommt das Dürbheimer Moos. Deshalb findet man dort auch oft Störche und Silberreiher. Und dann dieser Ausblick auf den Dreifaltigkeitsberg. Leider kann man von dieser Seite die Kirche nicht sehen …“

„In dem Steinbruch gleich daneben hat es mal einen Mountainbiker zerlegt.“ Akil deutete auf eine Stelle rechts vom Gipfel. „War aber kein Fremdverschulden.“

„Nun, das tut dem erhabenen Anblick keinen Abbruch.“ Der Staatsanwalt warf Akil einen unwilligen Blick zu, den der mit einem Grinsen quittierte.

„Sind Sie auch Angler?“, lenkte Quirin sicherheitshalber ab.

„Ich hab’s mir mal überlegt. Aber bisher wurde nichts draus. Zu wenig Zeit.“ Zepf hob die Hände. „Kann ja noch kommen. Vielleicht, wenn ich mal in Pension bin.“

„Und der Bach heißt Faulenbach? Warum?“

„Ich habe keine Ahnung. Aber das ist eine interessante Frage. Ich werde mal recherchieren.“

Das glaubte Quirin dem Staatsanwalt sofort. Er fühlte sich bei ihm sehr an Stefan Höppner erinnert, den Straubinger Staatsanwalt – das gleiche exorbitante Auftreten, die gleiche makellose Erscheinung. Wenn er jetzt noch anfängt, Verse über Agnes Bernauer zu rezitieren, ist er ein Klon, dachte Quirin.

„Ist es eigentlich üblich, dass der Staatsanwalt am Tatort ist?“, versuchte er stattdessen auf den Fall zurückzukommen.

„Aber nein, wo denken Sie hin“, winkte Zepf ab. „Ich wohne aber in Dürbheim, und als Akil mich anrief, dachte ich mir, ich schau mal vorbei und lerne Sie kennen. Dann können wir uns das Treffen bei Ihrer Chefin sparen.“

Quirin fragte sich, ob es einen bestimmten Grund gab, warum Zepf das Zusammentreffen mit Frau Roth nicht sonderlich am Herzen lag. Doch im Moment gab es Dringenderes.

Das fand Akil wohl auch, denn er wandte sich wieder an Rieger: „Hat der Herr Volle auch einen Vornamen?“

„Herbert“, antwortete der.

Quirin holte sein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber aus der Hosentasche und schrieb das auf. Akil hob eine Augenbraue mit Blick auf das Büchlein. Er selbst bevorzugte es, alles in sein Handy zu tippen oder gleich eine Sprachnachricht aufzunehmen. Aber er sagte nichts, sondern wandte sich wieder an Rieger: „Also hat der Herbert Volle auch hier am Weiher …“

„Es ist ein Teich! Ein Fischteich!“ Rieger sagte das so automatisch, als hätte er das schon unzählige Male erklärt. „Ein Weiher entsteht natürlich und wird nicht gepflegt. Der verlandet dann irgendwann wieder. Ein Teich wird künstlich angelegt und es wird sich drum gekümmert.“

„Verstehe. Und Herr Volle hat hier auch geangelt?“

„Logisch. Da hab ich ihn manchmal ‘troffen. Und natürlich beim Anfischen und bei den Feiern. Die hat er auch mitorganisiert. Na ja, zumindest hat er sich überall eing’mischt und alles besser g’wusst.“

„Ein Gschaftlhuber“, murmelte Quirin.

„Ein was?“

„Ein, hm, Wichtigtuer.“

„A Maulaffe, ja.“

„Wo wohnt er denn?“

„In Tuttlingen. Die Adresse weiß ich aber nicht. Wir waren nicht so eng.“ Rieger wiegte den Kopf, als könne er gar nicht glauben, dass das alles wirklich wahr war.

„War er verheiratet?“

„Der und verheiratet? Bewahre. Er hat bloß a Schwester, glaub ich. Aber so g’nau weiß ich’s nicht.“

„Ich sag mal auf dem Revier Bescheid“, erklärte Akil nach einem fragenden Blick zu Quirin, der nickte, und zog sein Handy heraus. „Vielleicht gibt's ja eine Vermisstenanzeige … Ja, hallo Horst, hier ist Akil. Der Tote aus dem Fischweiher ist höchstwahrscheinlich Herbert Volle und … was? Echt jetzt?“

Quirin schaute seinen Kollegen fragend an. Der signalisierte, dass er ihn gleich aufklären würde.

„Grad eben? Also, wenn das kein Zufall ist … Ja, klar … Schick schon mal die SpuSi hin … ja, auf jeden Fall. Nein, die Suchaktion könnt ihr euch sparen. Wir haben ihn g’funden ... Ja, wir fahren gleich zu ihr. Gib mir mal die Adresse.“

Akil steckte sein Handy ein, nahm Quirin am Arm und führte ihn ein Stück seitwärts. Zepf folgte den beiden.

„Eine Dagmar Bleibtreu hat gerade den Notruf angerufen, dass bei ihrem Bruder eingebrochen wurde. Der Bruder heißt Herbert Volle.“

„Wenn das kein Zufall ist“, kommentierte der Staatsanwalt.

„Ich hab die Kollegen von der SpuSi hing’schickt. Ich hoffe, des ischt in Ordnung?“

„Natürlich“, nickte Quirin.

„Hallo, ihr da drüben!“ Birgit Storz hatte den abgesperrten Bereich wieder verlassen und winkte. Gehorsam gingen Akil, Quirin und Zepf zu ihr.

„Also, nach meiner nichtfachfraulichen Einschätzung ist er noch nicht lange tot“, erklärte sie mit einer Geste zu dem Toten.

„Und wie lange ist nicht lange?“, wollte Akil wissen. „So ungefähr?“

„Das überlasse ich lieber der Forensik. Am End’ könnt’ ich recht haben.“

„Ist er ertrunken?“, fragte Quirin.

„Nach meiner Erfahrung kann ich sagen, dass er nicht wie eine Wasserleiche aussieht. Aber das muss gar nichts heißen. Allerdings hat er eine heftige Wunde am Hinterkopf. Nachdem es hier keine nennenswerte Strömung gibt, die den Körper gegen Felsen oder dergleichen geworfen hat, kann ihm die Wunde durchaus jemand zugefügt haben. Was tatsächlich war, sagt euch dann der Forensiker.“

„Vielleicht findet ihr die Tatwaffe ja irgendwo.“ Quirin schaute sich suchend um.

„Wenn der Täter sie hier weggeworfen hat, finden wir sie!“, nickte Storz.

„Da bin ich sicher“, beeilte sich Quirin zu versichern.

„Ich melde mich dann bei Ihnen, sobald ich Genaueres weiß.“

„Das wäre ganz reizend.“

„Für gut aussehende Männer tu ich doch alles.“ Birgit Storz grinste. Das Grinsen wurde noch breiter, als sie Zepfs erstaunten Gesichtsausdruck sah. „Was denn? Nur weil ich auf die fünfzig zugehe, heißt das nicht, dass ich einen angenehmen Anblick nicht zu schätzen weiß! Glauben Sie, das dürfen nur Männer?“

„Äh, nein, natürlich nicht“, murmelte der Staatsanwalt, sichtlich aus der Fassung gebracht.

Quirin nahm eine unterschwellige Spannung wahr. Was war da wohl zwischen den beiden ... gewesen?

„Jedenfalls sollten wir mal von einem Verbrechen ausgehen“, ließ sich Akil da vernehmen. „Ist dir noch irgendwas aufgefallen?“

„Er hatte ein Päckchen Papiertaschentücher dabei“, zählte Birgit Storz an den Fingern auf, „eine Brille, ein kleines Notizbuch und ein Klapphandy. Die Taschentücher sind nur noch ein Klumpen Zellstoff, und das Notizbuch ist total durchweicht. Ob das Handy wasserfest war, weiß ich nicht. Jedenfalls: keine Brieftasche, kein Geld, keine Kreditkarten, kein Ausweis, keine Schlüssel. Übrigens auch keine Anglerausrüstung. Ich war mal mit einem Angler liiert – neben der Rute müsste da zumindest noch ein Kescher sein, Haken, Schwimmer, ein Stock, um den Fisch zu erschlagen … aber soweit ich das sehen konnte, ist da nichts. Könnte natürlich alles irgendwo im See liegen.“

„Oder er wurde ausgeraubt.“

„Und das Handy?“, gab Zepf zu bedenken.

„Wenn es ein Klapphandy ist, muss es uralt sein. Kein Dieb, der wo was auf sich hält, nimmt so was mit.“ Akil hob die Schultern. „Na, jedenfalls fangen wir mal mit der Routine an … Wenn dir das recht ist ...“

„Aber klar“, nickte Quirin.

„Also dann: Befragung der Anwohner.“

„Soweit ich das sehe oder, besser, nicht sehe, liegt das nächste Haus außer Sichtweite, aber vielleicht hat trotzdem jemand was gemerkt. Womöglich ging gerade einer mit seinem Hund spazieren oder war joggen.“

„Ich veranlasse das“, erklärte Akil. „Wenn’s in der Nacht passiert ist, war möglicherweise auch jemand mit dem Auto auf’m Parkplatz. Hin und wieder treffen sich Pärchen hier, und die letzten Nächte waren recht lauschig.“

„Ich sehe, du kennst dich aus.“

„Na ja, ich war mit meiner Frau auch schon mal da. Als sie noch nicht meine Frau war.“ Akil wurde puterrot. „Ischt scho ä bissle her.“ Er räusperte sich. „Und wir beide werden am besten Mal zur Schwester des Toten fahren.“

„Auf jeden Fall.“ Quirin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Halten Sie mich auf dem Laufenden“, bat Zepf, als wäre nichts geschehen. Er nickte den beiden zu, nach kurzem Zögern auch der immer noch recht fröhlich dreinschauenden Birgit Storz. „Ich bin in meinem Büro.“

Quirin überlegte, ob er sie auf ihre Beziehung zu dem Staatsanwalt ansprechen sollte, entschied sich aber dagegen. Das waren Fragen, die man nicht beim ersten Zusammentreffen stellte.

Er kam auch gar nicht mehr dazu, denn Birgit wurde von der Ankunft der Bestatter abgelenkt, die kamen, um die Leiche abzuholen.

„Du brauchst mich nicht extra um Erlaubnis zu fragen, bevor du etwas machst“, erklärte Quirin auf dem Weg zum Auto.

„Na ja, du bist der Ranghöhere …“ Akil hob die Schultern. „Und mehr Erfahrung hast du auch.“

„Hat mein Vorgänger denn verlangt, dass du alles von ihm absegnen lässt?“

„Hanoi. Des wär dem viel zu anstrengend g’wesen.“

„Hatte er es nicht so mit der Arbeit?“

„Doch. Ich hab mich da falsch aus’drückt. Mir konnten uns aufeinander verlass’n. Des hat er g’wusst und hat’s g’macht.“

Sie erreichten den Wagen und stiegen ein.

„Wie war er denn so? Und warum ist er weggegangen?“

„Lange G’schicht. Kurze Fassung: Er und die Roth konnten net so gut.“

„Verstehe. Na, da musst du mir gelegentlich mehr erzählen. Aber zur Arbeit: Ich hab vielleicht mehr Erfahrung, aber du bist doch auch ned auf der Brennsupp’n daher g’schwommen – wie der Bayer sagt. Außerdem kennst du die Gegend und die Leut. Ich denke, wie werden uns gut ergänzen.“

„Des isch mir recht“, nickte Akil erfreut. „Die Schwester wohnt übrigens in der Wagenstraße in der Möhringer Vorstadt“, erklärte er dann, als Quirin den Motor angelassen hatte.

„Also in Möhringen?“

„Nein, die Möhringer Vorstadt ist ein Stadtteil von Tuttlingen. Sie heißt nur so, weil sie sich auf Möhringer Gemarkung befindet.“

„Aber ich dachte, Möhringen gehört sowieso auch zu Tuttlingen.“ Quirin war verwirrt.

„Aber erst seit der Eingemeindung in den Siebzigern. Und darüber waren die Möhringer gar nicht glücklich. Möhringen ist nämlich im Grunde badisch, Tuttlingen württembergisch. Und Möhringen ist katholisch, Tuttlingen evangelisch. Also, früher mal und grob geschätzt.“

„Ist das nicht ein bisschen kleinlich?“

„Nein, gar nicht. Warum?“

Er wurde respektiert

„Wenn Sie von den Zeugen Jehovas sind, können Sie gleich wieder gehen!“ Ein Mann um die siebzig, mit schütterem grauen Haar und Brille, schaute Akil und Quirin abweisend an. „Und wenn Sie irgendwas sammeln wollen: Wir geben nichts. Und kaufen schon dreimal nicht.“

„Nein, deswegen sind wir nicht hier.“ Akil zückte seinen Ausweis und stellte sich vor. „Und das ist mein Kollege Kammermeier. Sie sind ...“

„Gerhard Bleibtreu. Sie kommen wegen dem Einbruch bei meinem Schwager“, mutmaßte der Mann.

„Nicht nur. Vielleicht könnten wir kurz reinkommen?“, bat Quirin.

Der Mann zögerte einen Moment. Dann schien er zu verstehen und nickte: „Natürlich. Kommen Sie rein. Meine Frau ist im Wohnzimmer.“

„Dagmar, die Herren sind von der Polizei“, sagte Herr Bleibtreu zu einer molligen weißhaarigen Frau, die auf einem Sofa saß und fahrig die Hand im Schoß faltete und wieder öffnete. Sie schreckte auf, schaute einen Moment irritiert drein und richtete den Blick dann auf die beiden Beamten.

„Haben Sie ihn endlich gefunden?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Meinen Bruder, meine ich. So, wie die Wohnung aussah, und er nicht da … ich mach mir solche Sorgen!“

Quirin und Akil tauschten einen Blick.

„Wo war er denn, der Herbert?“, wollte sie besorgt wissen.

„Frau Bleibtreu“, begann Quirin vorsichtig, „am Fischteich Spaichingen-Dürbheim wurde ein Toter gefunden, und wir haben Grund zur Annahme, dass es sich dabei um Ihren Bruder handelt.“

„Tot? Hatte er einen Unfall?“

„Im Moment können wir das noch nicht so genau sagen.“

„Warum nicht? Was ist denn passiert?“

„Der Tote wurde aus dem Fischteich geborgen“, half Akil. „Wir können noch nicht sagen, ob er unglücklich ins Wasser fiel oder freiwillig hineingegangen ist oder ein Verbrechen vorliegt. Der Angler, der ihn gefunden hat, Herr Rieger ...“

„Aus dem Teich? Das kann nicht sein. Nein, das kann nicht sein. Wenn der Herbert angelt, sagt er mir immer vorher Bescheid, weil aus dem Fisch ja schließlich was gemacht werden muss, und der Herbert kann nicht kochen. Und was hätte er denn sonst dort wollen?“

„Wir hatten gehofft, dass Sie uns das sagen können.“

Dagmar Bleibtreu schüttelte irritiert den Kopf: „Wann soll denn das gewesen sein? Ich hab ihn doch letzten Donnerstag noch gesehen. Da ging’s ihm gut.“

„Es tut mir leid, wenn wir Ihnen jetzt so auf die Nerven gehen. Aber fühlen Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten?“

„Ich … natürlich …“ Frau Bleibtreu schlang die Arme um sich und wiegte sich hin und her. Ihre Augen schweiften unruhig hin und her und ruhten höchstens für Sekunden auf Quirin oder Akil. Ihr Mann setzte sich neben sie aufs Sofa und legte den Arm um sie. „Es ging ihm gut“, wiederholte sie derweil. „Er war sogar richtig gut gelaunt.“

„Dann gab es also keinen Grund für einen möglichen Suizid?“ Quirin hielt bereits wieder sein Notizbuch in der Hand. Gegen einen Selbstmord sprach ja schon die Wunde am Hinterkopf. Aber trotzdem musste die Möglichkeit angesprochen werden.

„Der Herbert soll sich selber umgebracht haben?“ Die Frau lachte kurz auf. „Der hat am Leben g’hängt!“

„Sie sagen, Sie haben ihn am Donnerstag zum letzten Mal gesehen. Das war vor vier Tagen. Danach haben Sie nichts mehr von ihm gehört?“

„Nein.“

„Hat Sie das nicht beunruhigt?“

„Nein. Wir waren jetzt nicht so eng. Er hatte sein Leben, ich hatte meins. Aber normalerweise ruft er zwischendurch mal an. Deswegen bin ich heute zu ihm hin – ich hab einen Schlüssel. Ich wollt nur nachsehen, ob er vielleicht krank ist.“ Sie schauderte. Ihr Mann strich ihr beruhigend über den Rücken. „Ich sperre auf, und da war das reinste Chaos. Alles durcheinander. Dabei ist der Herbert so ein Ordentlicher. Ich hab nach ihm gerufen und bin in sein Schlafzimmer. Aber das Bett war leer. Und in der Küche und im Bad war er auch nicht. Da hab ich dann die Polizei angerufen.“

Quirin nickte. Den Bericht würde er sicher auf der Dienststelle finden.

„Wie war Ihr Bruder denn so? Lebte er allein? Hatte er viele Freunde?“

„Der Herbert war ein eingefleischter Junggeselle. Ich glaube, mit dem hätte es auch keine Frau lange ausgehalten. Er war ein Pedant. Alles hatte seinen Platz. Also, mich hätte das wahnsinnig gemacht. Ihm hat das so gepasst. Und das war schließlich die Hauptsache. Ich kann mich erinnern, dass da mal vor Jahren eine Frau war … die Mutter von einem Schüler, glaube ich. Aber es wurde nichts draus. Und Freunde … ich kenne eigentlich niemanden, mit dem er richtig eng war. Er war lieber für sich.“

„Hatte Ihr Bruder mit irgendwem Ärger?“, fragte Akil. „Hatte er Feinde?“

Einen Moment lang schaute Dagmar Bleibtreu ihn direkt an. Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und schüttelte den Kopf.

„Nein. Er wurde überall geachtet. Nicht jeder mochte ihn, das stimmt. Aber da ist nichts dahinter. Manchmal ist der Herbert, wie soll ich sagen, etwas übereifrig. Das war schon so, als wir beide unterrichtet haben.“

„Sie sind Lehrerin?“

„War. Ich bin in Pension. Und Herbert auch. Wir waren beide an der Schildrainschule hier in Tuttlingen. Eine Grundschule. Manchmal …“, sie lächelte wehmütig, „habe ich es bereut, an derselben Schule wie mein Bruder zu sein.“

„Er konnte nicht gut mit den Kollegen?“

„Wenn Herbert etwas macht, ist er gründlich. Und er gibt … gab … gern den Ton an. Er konnte pedantisch sein und hatte feste Moralvorstellungen. Wenn sich jemand danebenbenommen hat, sagte er das auch. Er wollte dabei doch nur das Beste! Na ja, die Kollegen kamen manchmal zu mir und haben sich beschwert. Hin und wieder auch die Eltern …“ Sie unterbrach sich. „Aber alle haben ihn respektiert!“, beeilte sie sich dann zu versichern. „Er wusste immer, wovon er redet, und seine Meinung war allen wichtig. Im Grunde wollte ihm keiner etwas Böses.“

„Wie lange sind Sie schon in Rente?“

„Seit drei Jahren. Und der Herbert seit einem.“

„Dann sind Sie die Ältere?“

„Nein. Ich bin nur so früh wie möglich in den Ruhestand. Mein Mann und ich wollen gemeinsam die Rente genießen.“ Frau Bleibtreu warf ihrem Mann einen liebevollen Blick zu, und er drückte ihre Hand. „Aber der Herbert, der ist praktisch geblieben, bis man ihn raus komplimentiert hat.“

„Der Mann, der ihn gefunden hat, nannte ihn einen Wunderfitz“, warf Akil ein.

„Ja, also … zugegeben, Herbert war neugierig. Nachspioniert hat er aber keinem. Er wusste bloß gern Bescheid über seine Mitmenschen.“ Dagmar Bleibtreu rutschte unbehaglich hin und her.

„Da ist er doch bestimmt dem einen oder anderen auf den Schlips getreten“, mutmaßte Quirin. Er registrierte, dass Volles Schwester nun noch nervöser wurde und es vermied, ihn anzusehen. „Hören Sie, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass jemand Ihren Bruder ermordet hat. Wenn wir denjenigen finden sollen, müssen Sie uns alles sagen. Wenn irgend möglich, bleibt es unter uns.“

Frau Bleibtreu warf ihm einen vorsichtigen Seitenblick zu, schaute aber gleich wieder weg und nagte an ihrer Unterlippe.

„Sag’s ihm“, ließ sich da Gerhard Bleibtreu vernehmen. Er drückte seine Frau kurz an sich. „Erzähl ihnen, was du mir erzählt hast.“

„Das ist doch nicht wichtig“, wehrte Dagmar Bleibtreu unwillig ab. „Das war nichts.“

„Bitte …“, drängte Quirin behutsam. „Sie können ganz offen zu uns sein.“

„Es ist wirklich gar nichts“, flüsterte sie.

„Auch Kleinigkeiten können wichtig sein.“ Akil hob die Hände. „Und wenn es nicht wichtig ist, vergessen wir’s gleich wieder.“

„Sag’s Ihnen“, wiederholte Herr Bleibtreu. „Sonst tu ich’s.“

Seine Frau schaute ihn alarmiert an, gab dann aber mit einem Seufzer nach: „Ja, also … Es ist so: Herbert hat im Moment keinen eigenen Computer. Früher, in der Schule, da hatte er natürlich schon einen. Aber er hat immer drüber geschimpft. Als er dann in Pension war und vor kurzem sein Computer kaputt ging, hat er das Ding entsorgt und Stein und Bein geschworen, dass er sich keinen neuen mehr kauft. Sowas braucht er nicht, hat er gemeint. Na ja, ich kenn ihn ja – in ein oder zwei Wochen hätte er sich’s dann wieder anders überlegt. Aber erstmal war er strikt dagegen.

Prompt kam er letzten Donnerstag zu mir, als er einen Brief schreiben und ausdrucken wollte. Natürlich hab ich ihn gelassen. Ich hab so ein kleines Zimmer, in dem mein Computer steht. Nach einer Weile bin ich zu Herbert, um zu fragen, ob er mit mir Kaffee trinken will. Ich hatte gerade einen Kuchen gebacken und frischen Kaffee gekocht, und Gerhard war beim Boulespielen. Zu Kuchen sagt der Herbert nie nein. Ich geh also in das Zimmer, und er hat gerade was ausgedruckt und vergessen, den Ständer vom Drucker aufzuklappen. Das Papier fiel runter,, und ich habe es aufgehoben. Und da habe ich es gesehen …“

„Was gesehen?“

„Was er ausgedruckt hat. Es war ein Brief an den Franz Wenzel. Der ist im Gemeinderat und im Angelverein wie der Herbert auch. Ich kenne ihn auch, flüchtig. Eigentlich wollte ich den Brief auch gar nicht lesen. Aber der erste Satz fiel mir ins Auge: ‚Ich weiß, was Sie regelmäßig tun!‘ Da hab ich dann doch weiter gelesen …“ Dagmar Bleibtreu schoss das Blut in die Wangen, und sie senkte den Blick auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß immer wieder verschränkte und löste. „Da stand drin, dass der Wenzel eine Freundin hat, die er jede Woche besucht, während seine Frau denkt, er wäre im Fitnessstudio.“ Jetzt, wo es raus war, wurde sie lebhafter und schaute die beiden Polizisten beinahe flehend an. „Der Herbert hat mir den Brief gleich aus der Hand gerissen. Er war ziemlich wütend. Aber ich habe es genau gesehen. Und ich habe ihn gefragt: Warum machst du so was? Aber er meinte nur, dass mich das nichts angeht.“ Dagmar Bleibtreu zuckte mit den Schultern. „Mein Mann kam gerade heim, und ich wollte später noch mal mit Herbert drüber reden. Aber dazu kam es dann nicht mehr. Später habe ich dann Gerhard davon erzählt.“

„Hat Ihr Bruder in dem Brief Geld verlangt? Oder eine Gefälligkeit?“

„Nein. Der Brief war ganz kurz. Lediglich, dass der Herbert weiß, dass der Wenzel seine Frau betrügt und wie schändlich das wäre.“

„In dem Brief stand, von wem er war?“

„Jetzt, wo Sie fragen: Eigentlich nicht. Und ob der Herbert ihn unterschrieben hat, weiß ich nicht.“

Volles Schwester sah nun sehr erleichtert aus. Das alles musste ihr schwer auf der Seele gelegen haben. Ihr Mann nahm ihre Hand.

„Ich wollte ihn auch drauf ansprechen“, erklärte er. „Aber ich hatte keine Gelegenheit mehr.“

„Wissen Sie, ob das der erste Brief dieser Art war?“, erkundigte sich Quirin.

„Das weiß ich wirklich nicht.“ Dagmar Bleibtreu schüttelte den Kopf. „Wenn ja, war’s bestimmt ganz harmlos. Der Herbert wollte nie jemandem was Böses. Er hatte halt eine starke Moral …“

Dazu sagte Quirin lieber nichts.

„Hat Ihr Bruder seine Briefe auf dem Computer abgespeichert?“, erkundigte er sich stattdessen.

„Nein. Er hatte aber so einen USB-Stick dabei. Ich schätze, da hat er alles drauf geladen. So wie früher in der Schule.“

„Dürfen ein paar Kollegen von uns trotzdem ihr Glück mit der Festplatte versuchen?“

„Ja. Ja, natürlich.“

„Wenn der Volle so ein Wunderfitz war, war der Wenzel bestimmt nicht der Einzige, der so einen Brief gekriegt hat“, erklärte Akil, als sie wieder ins Auto stiegen. „Und wenn dem so war, haben wir mit einem Schlag einen Haufen Verdächtige.“

„Stimmt. Er wollte den Leuten wahrscheinlich nur Angst einjagen. Manche Menschen fühlen sich dann überlegen und genießen es. Meistens sind es nur harmlose Kleinigkeiten, die halt ein wenig peinlich sind. Oder es ist am Ende frei erfunden.“

„Auf jeden Fall sollten wir als nächstes diesen Franz Wenzel besuchen.“

„Ganz genau.“

„Ich lass mir mal von der Zentrale die Adresse geben. Vielleicht haben wir Glück, und er ist daheim.“ Akil zückte sein Handy. „Ich wette, dieser Volle war evangelisch“, erklärte er, als er die gewünschte Auskunft erhalten hatte.

„Wie kommst du denn da drauf?“, fragte Quirin verblüfft.

„Na, dieses Ausspionieren und den Leuten dann unter die Nase reiben, das ist das Pietisten-Gen.“

„Das verstehe ich jetzt nicht.“

„Die Gegend hier war tiefes Pietistengebiet, schon seit dem 17. und 18. Jahrhundert. Irgendwe ist es das immer noch. Deswegen gelten die Schwaben ja auch als so fleißig. Fleiß war eine Tugend, genau wie Selbstdisziplin und soziale Verantwortung. Und nicht wenige übertreiben es eben mit der Letzteren. Kampfname: Piet-Kong.

Mei Mutter hät die alle g’fresse. Was meinscht, was die sich von denen hat anhören müsse, weil sie än Tamilen heiratet.“

„Aha“, schmunzelte Quirin. „Ich nehme mal an, du bist nicht evangelisch?“

„Ich bin gar nichts. Meine Mutter war protestantisch, und mein Vater ist Buddhist. Sie haben beschlossen, es ihren Kindern selbst zu überlassen, was sie sein wollen.“

„Klingt sehr weltoffen.“

„Ja, meine Eltern sind toll.“

Einen Moment lang spürte Quirin so etwas wie Neid. Von seiner Familie ließ sich so etwas nicht gerade behaupten. Sein Vater war ganz in Ordnung, aber sein Bruder hatte sofort jeden Kontakt abgebrochen, als Quirin sich geoutet hatte. Und wo seine Mutter war, wusste er überhaupt nicht. Sie hatte die Familie vor dreißig Jahren verlassen.

„Piet-Kong hin oder her“, sage er, nachdem eine Weile Stille geherrscht hatte. „Der Volle könnte wirklich etwas entdeckt haben, das auf keinen Fall an die Öffentlichkeit kommen sollte.“

„Das wird lustig. Hoffen wir, dass der USB-Stick noch da ist. Wenn die Wohnung verwüstet wurde, hat der Mörder bestimmt danach gesucht.“

„Oder er hat ganz allgemein gesucht und wusste von dem Stick gar nichts.“

„Dann könnt’ ihm so was Kleines ausgekommen sein.“

„Hoffen können wir ja mal. Wie ist es? Fahren wir zu diesem Franz Wenzel?“

„Hm, es ist gleich Mittag, und ich hätt Hunger“ Akil lachte. „Weißt du was? Am besten essen wir erst mal was. Der Wenzel läuft uns nicht weg, und in die Wohnung vom Volle können wir auch nicht, solange die SpuSi sich da austobt. Ich weiß da einen Metzger, der macht den besten Fleischkäs in der ganzen Gegend. Zwei Fleischkäsweckle wär’n jetzt genau das Richtige.“

„Du meinst Leberkässemmeln?“

„Ihr tut Leber in den Fleischkäs?“

„Nein, der heißt in Bayern bloß so. Frag mich nicht, warum.“

„Hm. Bleiben wir einfach bei Fleischkäs.“

„In Ordnung. Jedenfalls ist das eine gute Idee. Oh, mach doch mal das Handschuhfach auf und hol aus der Schachtel da drin zwei Tütchen raus.“

Neugierig öffnete Akil wie befohlen die Klappe zum Handschuhfach.

„Hausmachersenf?“, staunte er. „Du fährst mit Senf durch die Gegend?“

„Zu einer Leberkässemmel gehört süßer Senf“, behauptete Quirin nicht ganz im Ernst. „Aber ihr Banausen bietet das ja nicht einmal an.“

„Süßer Senf zu den Weißwürscht, des scho. Oder mal in der Salatsoße. Aber zum Fleischkäs? Den isst man pur!“ Akil war entsetzt. „Alles andere ist ein Sakrileg.“

Quirin lachte nur.

Wenig später saßen die beiden im Auto, jeder mit zwei Brötchen mit je einer dicken Scheibe Fleischkäse. Akil beobachtete skeptisch, wie Quirin seinen Senf verteilte und dann genüsslich in sein Brötchen biss. Doch irgendwann zuckte er nur mit den Schultern und ließ sich sein eigenes Essen schmecken.

„Pfenningguad“, schwärmte Quirin zwischen zwei Bissen.

„Pfenni-was?“

„Pfenningguad. Das sagen wir in Niederbayern, wenn etwas sehr gut schmeckt.“

„Ah, das stammt noch aus der Zeit, als man mit Pfennigen statt Cent bezahlte“, mutmaßte Akil. „Ich weiß noch, wie nervös meine Mutter damals war. Einer der Zeitungsläden hat kurz entschlossen zwei Wochen zugemacht, um der Umrechnerei auszukommen. Ich war da noch ein kleiner Bub, und mir war das alles egal, solange ich meine geliebten Comics bekommen hab.“

„Ja, ging mir ähnlich. Und Perry Rhodan.“

„Der Fleischkäs ist also lecker?“

„Ein Niederbayer würde niemals ‚lecker‘ sagen. Das klingt so niedlich. Essen ist eine ernste Angelegenheit.“

Akil verschluckte sich fast, weil er einen Lachanfall bekam.

„Willst du mal probieren?“ Quirin hielt ihm das Tütchen mit dem süßen Senf hin.

„Na ja, a bissle kann nicht schaden“, meine Akil nach kurzem Zögern und gab ein wenig Senf auf ein Eckchen seines Fleischkäses. „Hm. Kann man essen“, stellte er fest, nachdem er das Eckchen gekostet hatte. Doch als Quirin ihm das Tütchen hinhielt, schüttelte er den Kopf. „Danke, ich ess ihn lieber weiter pur.“

„Du bist also aus Niederbayern“, stellte er etwas später zwischen zwei Bissen fest. „Straubing heißt das Städtle, oder?“

„Ganz genau. Straubing an der Donau – genau wie Tuttlingen nur vierhundert Kilometer flussabwärts.“

„Und du hast hierher gewechselt, weil dein Mann hier wohnt?“

„Ah, hat das schon die Runde gemacht?“

„So was geht schnell rum.“

„Vermutlich. Ist das ein Problem für dich?“

„Hanoi. Wieso denn? Mir ist das egal.“

„Du betonst das ‚mir‘. Wem ist es denn nicht egal?“

„Vermutlich ist es jedem egal.“ Akil machte eine abfällige Handbewegung. „Habt ihr nie überlegt, dass dein Mann zu dir zieht?“

„Das kam nicht infrage. Kurt ist Chirurgiemechaniker von Beruf …“

„Ah ja, da kriegt er außerhalb von Tuttlingen so schnell keinen Job.“

„Richtig. Und dann hat er noch mehrere Streuwiesen und verarbeitet das Obst ...“

„Zu Schnaps.“ Akil schnalzte mit der Zunge. „Wart, das hab ich alles mal gelernt. Wie war das nochmal: ein Stoffbesitzer. Oder macht er das etwa schwarz?“

„Nein, natürlich nicht. Wie könnte ich als aufrechter Polizist mit einem Schwarzbrenner leben!“ Quirin griff sich theatralisch an die Brust.

„So ist’s recht.“ Akil lachte. „Verstehe. Dann bist du also gar nicht hier, weil dir unser schönes Tuttlingen das Herz gerührt hat.“

„Komisch, dass du das sagst. Tatsächlich habe ich mich schon bei meinem ersten Besuch hier besonders wohlgefühlt. Die Leute sind herzlich. Und das viele Grün …“

„Ja, hier geht man, egal wo man grad ist, höchsten eine Viertelstunde und steht im Grünen“, nickte Akil eifrig.

„Obwohl ich ja sagen muss, dass das Grün in Straubing schon viel weiter ist. In Straubing geht die Kirschblüte schon langsam dem Ende zu, und hier fangen die Bäume erst zaghaft an auszutreiben.“

„Ja, hier ist’s eben en Kittel kälter.“

„Einen was?“

„Einen Kittel kälter. Also, ein Kittel ist …“

„Eine Jacke oder ein Mantel. Das heißt im Bayrischen genauso.“

„Ach? Da schau an, dann gibt's ja auch Ähnlichkeiten“, meinte Akil vergnügt. „Also, wenn’s einen Kittel kälter ist, dann ist es halt so, dass man noch einen Mantel anziehen sollte, quasi wie Celsius oder Fahrenheit, halt Kittel. Auf dem Heuberg ist’s einen Kittel kälter als herunten, und hier einen Kittel kälter als in Straubing.“

„Ach so!“ Quirin lachte. „Eigentlich ganz logisch.“

„Aber du hast schon recht, hier ist man bei den Jahreszeiten immer ein bisschen später dran. Aber dafür hat man dann auch länger was davon.“

„Ich sehe schon: Du bist ein Tuttlinger mit Leib und Seele.“

„Na ja, alles ist nicht so toll. Das mit dem Wehr zum Beispiel.“

„Das Wehr an der Donau?“

„Richtig. Das war früher so schön! Wir hatten einen Springbrunnen an der großen Bruck, da beim Scala, beim Kino. Hin und wieder gab's sogar Bootsfahrten. Wenn man jetzt im Sommer hinschaut, ist da kaum noch Wasser, und die Anlegestege hängen alle in der Luft. Irgendwer in der Regierung hat da was gegen Tuttlingen. Die Sigmaringer – die haben ihr Wehr noch …“

„Und du bist hier geboren und aufgewachsen?“, lenkte Quirin lieber ab, bevor sich sein Partner in Rage reden konnte.

„Bin ich. Meine Mama ist eine waschechte Tuttlingerin. Mein Papa ist aus Sri Lanka. Der ist Anfang der Achtziger hierher gekommen. Da hat er meine Mama kennengelernt und ist geblieben.“

„Deine Eltern leben also noch in Tuttlingen?“

„Und wie! Wir wohnen alle zusammen in unserem Haus auf dem Sonnenbuckl – meine Eltern, meine Schwester mit ihrem Mann und deren Tochter, meine Frau und ich … jeder hat seine Wohnung, aber wir machen viel gemeinsam. Bei uns ist immer was los. Du und dein Mann, ihr müsst mal vorbeikommen!“

„Machen wir bestimmt. Aber jetzt sollten wir erst mal diesen Wenzel besuchen und hören, was er zu sagen hat.“

„Ja, des müss’ mer wohl.“ Akil seufzte. „Wetten, dass er von nix weiß?“

Er war eine Plage!

Franz Wenzel wohnte in einem schicken Haus mit Garten. Die angebaute Doppelgarage stand offen. Ein Stellplatz war mit einem weißen Kleinwagen belegt, der andere war leer.

„Irgendjemand müsste daheim sein“, stellte Akil fest. „Wenn ich mir das Auto so anschaue, tippe ich auf die Dame des Hauses. Der Wenzel selber fährt bestimmt einen Benz.“

„Woher weißt du das?“

„Tu ich gar nicht. Bei so einem Haus nehme ich das nur an.“ Akil zuckte die Schultern.

Als er klingelte, öffnete eine Frau in einer geblümten Schürze und mit Gummihandschuhen die Tür und schaute sehr verstört von einem zum anderen, als sie sich vorstellten.

„Sind Sie Frau Wenzel?“, erkundigte sich Akil und hielt ihr seinen Ausweis hin.

„Nein.“

„Und wer sind Sie dann?“

„Ich Putzfrau.“

„Ist Frau Wenzel denn zu sprechen, Frau …“

„Petrović.“

„Frau Petrović. Ist Frau Wenzel da?“

„Ist da.“

„Wir müssten Sie sprechen. Würden Sie uns bitte reinlassen?“

Frau Petrović, die bisher mit dem ausgestreckten Arm die offene Tür blockiert hatte, schaute unschlüssig zwischen den beiden Männern hin und her. Schließlich senkte sie den Arm und trat zur Seite.

„Vielen Dank.“ Quirin schenkte ihr sein freundlichstes Lächeln, erntete aber nur einen ratlosen Blick dafür.

„Wo finden wir denn Frau Wenzel?“, bohrte Akil geduldig weiter.

„In Studio.“ Frau Petrović beschränkte ihre Auskünfte auf das Notwendigste.

„Sehr schön. Und wo ist das?“

„Hinten, hinten.“ Frau Petrović deutete einen Gang hinunter. Und dann entschloss sie sich, noch etwas hinzuzufügen: „Letzte Tür links.“

„Vielen Dank, das war ganz reizend von Ihnen.“ Akil strahlte.

„Sie waren uns eine große Hilfe“, beteuerte auch Quirin.

Dann gingen die beiden in die gewiesene Richtung und ließen Frau Petrović noch ratloser zurück.

„Ein Studio. Ob die wohl Musik macht?“, überlegte Akil laut, bevor er anklopfte.

Als keine Antwort kam, klopfte er noch einmal und drückte dann die Klinke herunter.

Sie traten in einen lichtdurchfluteten Raum.

„Nein, keine Musik“, stellte Quirin fest. „Malerei.“

Um die beiden herum standen Leinwände in verschiedensten Größen auf Staffeleien oder einfach gegen die Wand gelehnt. Auf einem farbbeklecksten Tisch lagen mehrere Tuben und Lappen verstreut, in Gläsern standen Pinsel, und in einem kleinen Metallkanister wurde dem Geruch nach Terpentin aufbewahrt.

Ansonsten war der Raum jedoch leer.

„Hm. Anscheinend ist Frau Wenzel doch nicht da“, stellte Quirin fest.

„Meinst du, die Bilder sind alle von ihr?“ Akil trat vor ein besonders großformatiges. „Guck mal. Das sieht aus wie eins der Schnittmuster, die meine Mutter hatte, als sie uns die Kittel noch selber …“ Er verstummte, als die Tür erneut aufging.

Eine große, schlanke Frau um die vierzig mit langem blonden Haar trat ein.

„Ich nenne es ‚Irrwege des Lebens‘“, sagte sie leichthin. „Und ein Schnittmuster aus einem alten Burdamagazin war tatsächlich meine Inspiration.“

Akil wurde rot und biss sich auf die Lippen.

„Frau Wenzel? Kriminalhauptkommissar Kammermeier“, sprang Quirin ihm bei. „Und das ist mein Kollege Kriminalkommissar Pillai.“

„Ist was mit meinem Mann?“ Frau Wenzel schaute weniger beunruhigt als interessiert von einem zum anderen.

„Nein“, versicherte Quirin. „Wir müssten Ihren Mann nur in einem möglichen Mordfall sprechen. Er könnte ein Zeuge sein.“

„Franz ist im Büro.“ Frau Wenzel zuckte mit den Schultern. „Unsere kleine Baufirma … Soll ich ihn anrufen?“

„Nein, das ist nicht nötig. Aber wenn Sie uns die Adresse geben könnten?“

„Natürlich.“ Sie nannte die Adresse, während sie ihre beiden Besucher neugierig musterte. „Darf ich fragen, worum genau es geht?“

„Im Dürbheimer Fischteich wurde ein Toter gefunden. Es ist noch ein wenig früh, um Genaueres zu sagen.“ Quirin lächelte sie an.

„Verstehe. Besteht die Möglichkeit, dass mein Mann ihn rein gestoßen hat?“

„Äh, also, wie gesagt …“

„Es ist noch zu früh. Ja, das sagten Sie.“ Frau Wenzel machte eine wegwerfende Handbewegung. „Na, ist auch nicht so wichtig.“

„Das war jetzt ä bissle komisch“; kommentierte Akil, als sie wieder im Auto saßen. „Wenn die immer so ist, kann ich den Wenzel fast verstehen.“

„Keine voreiligen Schlüsse“, mahnte Quirin. „Jedenfalls scheint das nicht gerade die glücklichste Ehe zu sein.“

Als die beiden das Bürogebäude der Baufirma betraten, war die Dame am Empfang, eine kleine mollige Frau um die fünfzig, gerade dabei, einen riesigen Blumenstrauß in eine Vase zu stellen.

„Grüß Gott“, begrüßte sie die beiden fröhlich. „Was kann ich für Sie tun?“

„Wir möchten mit Herrn Wenzel sprechen“, erklärte Akil und zückte seinen Ausweis.

„Oh, Polizei“, rief die Dame erschrocken. „Ist etwas passiert?“

„Keine Sorge. Wir kommen nur wegen einer Auskunft“, beruhigte Quirin.

„Ja, also, der Chef ist sehr beschäftigt.“

„Das verstehen wir. Es dauert auch nur eine Minute.“

„Na ja. Es wird wohl was Wichtiges sein, oder?“ Die Dame warf einen unsicheren Blick auf die Tür hinter ihr. „Ich frag mal nach …“

Sie stand auf und klopfte, ehe sie den Kopf ins Zimmer streckte.

„Frau Probst, ich hab Ihnen doch gesagt, ich will nicht gestört werden!“, ließ sich eine unwillige Männerstimme vernehmen.

„Ja, ich weiß“, beschwichtigte Frau Probst beflissen, „aber da sind zwei Herren von der Kriminalpolizei …“

„Polizei? Hm. Das ist natürlich was anderes.“

Frau Probst trat zur Seite, um Quirin und Akil vorbei zu lassen.

Als die beiden eintraten, erhob sich ein untersetzter Mann hinter einem wuchtigen Schreibtisch und streckte ihnen die Hand hin.

„Wenzel. Sehr erfreut. Was kann ich für Sie tun? Gab es Ärger auf einer unserer Baustellen?“

„Nicht, soweit wir wissen“, wehrte Akil ab, während Quirin bereits sein Notizbuch zückte. „Wir kommen wegen Herrn Herbert Volle.“

„Der Herbert?“ Franz Wenzel blinzelte erstaunt. „Warum? Was ist mit dem?“ Wenzel machte eine Handbewegung zu zwei Stühlen, die vor dem Schreibtisch standen, und setzte sich wieder. Auch die beiden Beamten nahmen Platz.

„Er wurde heute Morgen tot aufgefunden.“

„Das ist ja furchtbar. Was ist denn passiert?“

„Das versuchen wir gerade herauszufinden.“

„Und was hat das mit mir zu tun?“

„Wahrscheinlich nichts. Wir befragen nur jeden, der ihn kannte. Und Sie kannten ihn, nicht wahr?“

„Ja, klar. Wir sind im selben Anglerverein. Da sind wir uns natürlich öfter mal über den Weg gelaufen. Aber so richtig kennen … wir waren keine Freunde, lediglich Bekannte. Petri-Jünger, Sie verstehen? Was ist ihm denn passiert, dem Herbert?“

„Das wissen wir noch nicht. Er wurde tot im Fischweiher gefunden.“

„Teich. Es ist ein Teich, kein Weiher. Weiher entstehen natürlich und verlanden mit der Zeit. Teiche sind künstlich und werden gepflegt …“ Wenzel stutzte kurz. „Und der Herbert ist am Fischteich gestorben? Beim Angeln vielleicht?“

„Nicht am Teich, sondern darin, im Teich.“

„Aber … das geht doch gar nicht! Der Teich ist an der tiefsten Stelle gerade mal gute zwei Meter tief! Und soviel ich weiß, kann der Herbert schwimmen. Ich hab ihn mal im TuWass getroffen, da hat er zügig seine Bahnen gezogen.“

„Es könnte sich um ein Verbrechen handeln.“

„Ha, so ‘n Scheiß! Aber wieso kommen Sie denn dann zu mir?“

„Wie gesagt. Wir befragen jeden. Was können Sie uns denn über Herrn Volle sagen? Was für ein Mensch war er?“

„Der Herbert war … alle haben ihn respektiert.“

„Das klingt jetzt aber nicht gerade, als sei er sehr beliebt gewesen.“

„Beliebt. Ja, nein ... Also, nein, beliebt war er nicht.“ Franz Wenzel wand sich ein wenig auf seinem Stuhl. „Man soll ja über Tote nichts Schlechtes reden“, meinte er schließlich lahm.

„Ich sagte ja bereits, wir müssen davon ausgehen, dass möglicherweise ein Verbrechen vorliegt“, gab Quirin zu bedenken. „Natürlich verstehe ich, dass Sie den Toten in Ehren halten wollen. Das ist auch sehr lobenswert. Aber wir müssen eben genau wissen, was für ein Mensch er war und ob er Feinde hatte.“

„Feinde!“, platzte Wenzel da heraus und lachte bitter auf. „Feinde. Der Mann war eine Plage.“

Akil und Quirin tauschten einen Blick.

„Der Kerl hatte an allem was rumzumäkeln.“ Wenzel redete plötzlich wie ein Wasserfall. „Alles wusste er besser. Und in alles hat er seine Nase g’steckt. Der Herr Saubermann hat jedem in die Suppe gespuckt. Dabei war er selber alles andere als unschuldig. Dass er dem Stefan seine Fisch weggefischt hat, war das vielleicht in Ordnung? Und … und … und den Michi, den hat er auf dem Gewissen.“

Wenzel hatte sich in Rage geredet, und nun standen ihm Schweißperlen auf der Stirn, die er unwillig mit einem Taschentuch wegwischte.

„Er hat jemanden umgebracht?“, fragte Akil nach.

„Na ja, nicht direkt.“

„Vielleicht erzählen Sie mal von Anfang an.“

Wenzel schaute nun ziemlich unglücklich drein. Man sah ihm an, dass er sich am liebsten selber in den Hintern getreten hätte.

Akil öffnete den Mund, um etwas anzumerken, doch Quirin gab ihm ein Zeichen, nichts zu sagen. Er wartete einfach.