Hans im Glück - Frank Höchsmann - E-Book

Hans im Glück E-Book

Frank Höchsmann

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Beschreibung

Das Buch Hans im Glück, Aus anderen Zeiten, besteht aus einem Sammelsurium von Ereignissen und Erzählungen aus mehr als drei Jahrzehnten, die ich erlebt habe. Die Stories aus den neunzehnhundertfünfziger Jahren erzählen von prägenden Ereignissen aus meiner Kindheit, so wie zum Beispiel die Geburt meines Bruders Lothar (Gründonnerstag), unsere Taufe (An einem Sonntag im August) oder Kinderfasching (Hans im Glück) aber auch die frühe Liebe zur Natur (Götzenberg). Die Stories aus den neunzehnhundertsechziger Jahren handeln über Begebenheiten eines heranwachsenden jungen Mannes, der noch seinen Weg sucht (Lieber Studieren als Betonieren oder Und plötzlich Hotelfachmann), Ski fährt (Skifahren im Sommer oder Skilager Prejbe), politische Weltereignisse erleben darf (Sommer der Schande) und sein Mädchen retten muss (Ob Du willst oder nicht). Die Stories aus den neunzehnhundertsiebziger Jahren beschreiben die Militärzeit (Ungewollt und doch dabei oder Gut vernetzt ist halb gewonnen), das Berufsverbot, Lebensmittelbeschaffung (Hungrig -schöne Zeit), Sommergeschichten (Sommer-Sehnsucht- nackte Freiheit oder Abenteuer am Schwarzen Meer). Zu Guter Letzt erzähle ich neuzeitlichere Ereignisse (Drei Jobs, Kirchturm, Sirtaki) oder Geschichten, die in meiner Kindheit beginnen und Anfang der Jahrtausendwende enden (Paula-Goschi: Liebe, Löffel, Lebenskunst). Zum Abschluss wird die American Turkey Story serviert. Ich wünsche Euch Spaß und Entspannung bei der Lektüre dieses Buches.

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Seitenzahl: 116

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Liebe Leserinnen und Leser,

Das Buch „Hans im Glück – Aus anderen Zeiten“ besteht aus einem Sammelsurium von Ereignissen und Erzählungen aus mehr als drei Jahrzehnten, die ich erlebt habe.

Die Stories aus den neunzehnhundertfünfziger Jahren erzählen von prägenden Ereignissen aus meiner Kindheit, so wie zum Beispiel die Geburt meines Bruders Lothar (Gründonnerstag), unsere Taufe (An einem Sonntag im August) oder Kinderfasching (Hans im Glück) aber auch die frühe Liebe zur Natur (Götzenberg).

Die Stories aus den neunzehnhundertsechziger Jahren handeln über Begebenheiten eines heranwachsenden jungen Mannes, der noch seinen Weg sucht (Lieber Studieren als Betonieren oder Und plötzlich Hotelfachmann), Ski fährt (Skifahren im Sommer oder Skilager Prejbe), politische Weltereignisse erleben darf (Sommer der Schande) und sein Mädchen retten muss (Ob Du willst oder nicht).

Die Stories aus den neunzehnhundertsiebziger Jahren und danach beschreiben die Militärzeit (Ungewollt und doch dabei oder Gut vernetzt ist halb gewonnen), das Berufsverbot, Lebensmittelbeschaffung (Hungrig -schöne Zeit), Sommergeschichten (Sommer-Sehnsucht- nackte Freiheit oder Abenteuer am Schwarzen Meer).

Zu Guter Letzt erzähle ich neuzeitlichere Ereignisse (Drei Jobs, Kirchturm, Sirtaki) oder Geschichten, die in meiner Kindheit beginnen und Anfang der Jahrtausendwende enden (Paula-Goschi: Liebe, Löffel, Lebenskunst).

Zum Abschluss wird die American Turkey Story serviert.

Ich wünsche Euch Spaß und Entspannung bei der Lektüre dieses Buches.

Frank Höchsmann, Berlin, den 04.08.2025

Inhalt

Aus den Fünfzigern und davor

Die Zeit in meinen Händen

Der Tag, an dem Hoffnung durch das Radio kam

Gründonnerstag und ein kräftiger Strahl fürs Leben

An einem Sonntag im August

Götzenberg unvergessen

Hans im Glück

Aus den Sechzigern

Zelten statt Parolen – Der 1. Mai 1965

Skifahren im Sommer – ein unvergessliches Abenteuer in den Karpaten

Lieber studieren als betonieren

Damals, als der Schnee noch Geschichten kannte

Rușine – Schande: Der Tag, an dem Rumänien den Atem anhielt

Ob du willst oder nicht

Erwischt, verhört, fast verlobt und befreit

Und plötzlich Hotelfachmann -

Mao Bibel und Beatles -Verbotene Klänge

Bukarest – Le Petit Paris

Aus den Siebzigern

Abenteuer am Schwarzen Meer

Berufsverbot und Flucht durch den Schnee

Ungewollt und doch dabei

Gut vernetzt ist halb gewonnen

Sommer, Sehnsucht, nackte Freiheit

Erinnerungen an eine Hungrig-Schöne Zeit

Danach und doch noch jetzt

Drei Jobs, ein Mann

Flug um den Kirchturm

Paula-Goschi – Liebe, Löffel, Lebenskunst

Zwischen Sirtaki und Systemaudit

American Turkey forever oder die unendliche Weihnachtspute

Der Autor Frank Höchsmann

Ein Leben zwischen Wirtschaft, Welt und Worten

Danksagung

Aus den Fünfzigern und davor

Frank im Rosengarten, kurz vor dem Wanderziel Götzenberg im Zibinsgebirge, am 04.04.1957

Die Zeit in meinen Händen

Josef Höchsmanns Vermächtnis: Vom Uhrmacherlehrling zum Bijouterie-Meister in Siebenbürgen

Ich wurde am 15. Oktober 1860 in Hermannstadt geboren, in einer Zeit, als die Welt sich leise, aber entschieden veränderte. Unser Haus lag in einer schmalen Seitengasse, nicht weit vom Großen Ring entfernt. Die Gassen rochen im Winter nach Rauch und im Frühsommer nach Linden – und immer nach ehrlicher Arbeit.

Mein Vater hatte andere Pläne für mich; er wollte, dass ich Lehrer oder Pfarrer werde. Doch meine Faszination galt früh dem Ticken, dem Drehen, dem Glänzen: Uhren, Zahnräder, das präzise Zusammenspiel der kleinsten Teile – das war meine Welt. So trat ich in die Lehre eines Uhrmachers. Es war eine harte Zeit, geprägt von Disziplin und unermüdlichem Lernen. Doch ich wollte mehr als nur die Grundlagen beherrschen.

Als ich meine Gesellenzeit abgeschlossen hatte, blickte mein Meister mich an und sagte nur: „Du wirst weiterziehen müssen, Bub. Hermannstadt ist zu klein für deinen Blick.“ Es war eine Erkenntnis, die mich ermutigte und gleichzeitig vor eine große Ungewissheit stellte.

So ging ich auf die Wanderschaft, wie es der alte Brauch verlangte. Ich war noch keine zwanzig, als ich 1879 in Wien ankam – der Hauptstadt der Kaiser, der Künste und auch der genauen Handwerke. Dort tauchte ich tiefer in die Geheimnisse der präzisen Zeitmessung ein, aber entdeckte auch die Feinmechanik der Schmuckherstellung – ein Bereich, der mich magisch anzog. Die Eleganz und die künstlerische Freiheit, die in einem filigranen Schmuckstück steckten, faszinierten mich zutiefst.

Von Wien führte mich mein Weg weiter nach Böhmen, ins schöne Turnau, das ihr heute Turnov nennt. Dort lernte ich bei einem Bijouterie-Meister, der sich auf die Verarbeitung des berühmten böhmischen Granats spezialisiert hatte. Er war ein harter, aber ehrlicher Mann. Seine Hände waren rau von der Arbeit, doch seine Fassungen waren von unübertroffener Feinheit.

Als er unerwartet verstarb, stand seine Werkstatt still – und seine Witwe allein da. Julie hieß sie. Sie war eine stolze, kluge Frau von stiller Kraft und bewundernswerter Entschlossenheit. Ich habe sie 1886 geheiratet, nicht nur aus Liebe, sondern auch aus tiefem Respekt vor dem, was wir gemeinsam weiterführen konnten. Wir waren ein gutes Team – im Leben und im Handwerk. Sie brachte ihr kaufmännisches Geschick und ihre unermüdliche Energie in unser gemeinsames Unternehmen ein.

Doch mein Herz blieb in Siebenbürgen verwurzelt, und als unsere ersten Kinder kamen, packten wir alles – Maschinen, Werkzeuge, unsere Erinnerungen und unsere Träume – und kehrten zurück nach Hermannstadt.

Dort eröffnete ich meine eigene Werkstatt und ein gut positioniertes Schmuckgeschäft in der Heltauer Gasse, unweit vom renommierten Hotel Römischer Kaiser. Anfangs war es schwer, das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Viele misstrauten dem „neumodischen Schmuck aus Böhmen“. Doch ich verstand es, die Präzision des Uhrmacherhandwerks mit der Eleganz der Schmuckgestaltung zu verbinden. Bald kamen nicht nur die alteingesessenen Sachsen, sondern auch Ungarn und Rumänen zu mir. Ich fertigte Rosenringe, Siegelringe, Trauringe, edle Taschenuhren, funkelnde Granatbroschen und feine Ketten – für Hochzeiten, Taufen, Jubiläen und alle besonderen Momente im Leben. Mein Geschäft blühte auf, weil ich nicht nur Produkte, sondern auch Werte und bleibende Erinnerungen schuf.

Julie schenkte mir fünf Kinder, jedes anders, jedes kostbar:

Emma

(1887-1955), unsere Erstgeborene, klug und stark, immer eine Stütze der Familie.

Paula

(1889-1986), deine Großmutter, geboren an meinem Geburtstag. Wir waren uns ähnlich und verstanden uns ohne viele Worte.

Emil

(1893-1981), mein Nachfolger im Handwerk und Geschäft.

Viktor

(1895-1968), ein scharfsinniger Rechner und Kaufmann, der unsere Finanzen im Blick behielt.

Ernst

(1898-1945), ein wilder Junge mit großem Herzen, dessen Leben leider viel zu früh im Krieg endete.

Ich bildete Emil streng aus, so wie mein eigener Meister es bei mir getan hatte. Er übernahm den Laden mit Werkstatt, als meine Hände alt und die Augen schwach wurden. Ich konnte beruhigt sein, denn ich wusste, dass mein Lebenswerk in guten Händen war.

Wir überlebten zwei Weltkriege, Hungerperioden, verheerende Inflationen und politische Umwälzungen. Doch der größte Schlag kam nicht durch Krieg, sondern durch Ideologie: Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die Kommunisten Emil alles – Geschäft, Werkstatt, unsere gesamte Lebensleistung. Es war ein bitterer Schlag, der unsere Familie tief traf. Doch Emil war mein Sohn: Er gab nicht auf. Er machte weiter im Verborgenen, reparierte heimlich Uhren und Herzen, und hielt so unsere Tradition am Leben.

Am 18. Januar 1945, pünktlich um halb zehn Uhr, kam der Schlaganfall wie ein alter Bekannter – weder zu früh noch zu spät, sondern mit der Verlässlichkeit eines Uhrwerks, das ich selbst gebaut hatte. Mein Leben endete, doch mein Vermächtnis lebte weiter.

Ich war Josef Höchsmann,

Uhrmacher, Bijouterie-Meister, Vater, Ehemann, Unternehmer.

Ich habe Zeit geschaffen, obwohl sie mir nie gehört hat,

und schönen Schmuck für erlesene Frauen.

Meine Hände formten nicht nur Metall und Uhrwerke, sie formten auch

ein Leben, eine Familie und eine Tradition, die selbst die größten

Stürme überdauerte.

Der Tag, an dem Hoffnung durch das Radio kam

Fußball Deutschland–Ungarn 1954

Als dieses legendäre Fußballspiel stattfand, war ich vier Jahre alt und lebte in Hermannstadt, am Rosenfeldgrund, in der Schullerusstraße, späteren Negoi - Straße, in unserem Haus mit Vorgarten und Garten mit Apfel-, Birnen- und Zwetschenbäumen, Rosen, Flieder und Astern und einem Holzzaun, den mein Vater noch von Hand flickte. Es war Sommer, warm und Rosen Duft lag in der Luft. Ich sollte auch heute – wie jeden Nachmittag – schlafen.

Doch an jenem Tag, Sonntag, den vierten Juli 1954 kam Besuch. Nur Männer. Fußball war schließlich Männersache. Damals.

Da war Herr Jüttner, der Vater meiner Spielkameradin Ursula, stets in gebügelter Hose und mit einer Pfeife zwischen den Lippen. Dann kam Baron Alexander von Baumgarten, unser Nachbar vis-à-vis – ein Herr alter Schule, mit Zigarette und Bernstein-Mundstück, Ehemann von Natascha, der Russin mit den goldenen Händen, die kochte wie eine Meisterköchin. Auch Sportlehrer Schneider war dabei – Vater von vier Kindern, mit denen wir zwischen Tomatenbeeten und Zwetschenbäumen Räuber und Gendarm spielten.

Alle saßen sie im Salon um unseren alten AEG-Radio-Röhrenapparat, ein mächtiges, brummendes Gerät mit einer Rosenholz-Verkleidung. Die "Deutsche Welle" drang wie aus einer anderen Welt durch die Luft – verboten, natürlich, aber dennoch gehört.

Ich lag in meinem Kinderbett, scheinbar brav. Kaum war die Tür zu, sprang ich auf, turnte zwischen Kissen, trat sie wie Bälle, wurde Stürmer und Torwart zugleich. Ich hörte die Männer im Nebenzimmer stöhnen, jubeln, leise fluchen, klatschen. Ihre Stimmen wurden zu Wellen, mal hoch, mal tief, getragen von Hoffnung und Verzweiflung.

Mein Vater wurde gelobt – nicht nur, weil er ein guter Gastgeber war, sondern weil er den wertvollen Radioapparat kurz nach dem Krieg vergraben hatte. Die Behörden hatten damals alles beschlagnahmt, aber mein Vater, der schlaue Fuchs, hatte ein Ersatzgerät abgegeben und den echten Schatz hinten, neben dem Steingarten vergraben.

Zur Halbzeit war der Ribiselwein, den von Baumgarten mitgebracht hatte, längst leer. Mit Feigenlikör von uns, ging es dann bei den Männern in die zweite Halbzeit.

Die Stimmung vor dem Anpfiff war düster – Ungarn, die "Magischen Magyaren", galten als unschlagbar. Sie hatten Deutschland in der Vorrunde mit 8:3 überrollt, und nun lagen sie auch im Finale nach acht Minuten mit 2:0 in Führung. Alles schien seinen vorhergesagten Gang zu gehen.

Doch dann: Deutschland kämpfte sich zurück. Der Ausgleich fiel, und plötzlich war in unserem Wohnzimmer ein Raunen, ein Knistern, als würde ein elektrischer Strom durch die Luft gehen. Als Helmut Rahn das Siegtor schoss, herrschte kurz absolute Stille – dann brach der Jubel los. Ein leiser, gedrückter Jubel, aber voller Glanz in den Augen, ein Funke Hoffnung, eine Ahnung von Stolz.

In Westdeutschland sprach man später vom "Wunder von Bern". Bei uns war es stiller. Kein Wunder, sondern ein leiser Trost. Denn während dort die Trümmer langsam zu blühenden Straßen wurden, begann für uns Siebenbürger Deutsche eine andere Zeit: Ab den 1950er Jahre kamen Repressalien, Enteignungen, Angst vor dem nächsten Klopfen an der Tür.

Doch an diesem Tag – an diesem einen Sommertag im Jahr 1954 – stand die Zeit für einen Moment still. Im Radio jubelte der Reporter, draußen summten die Bienen, und in meinem Kinderbett schoss ich das Siegtor, immer und immer wieder.

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich spürte: Hoffnung kann über Radiowellen kommen. Und ein Fußballspiel kann mehr sein als ein Spiel.

Gründonnerstag und ein kräftiger Strahl fürs Leben

Zur Geburt meines Bruders Lothar – eine Erinnerung

Gründonnerstag, der 29. März 1956 – ein sonniger Frühlingstag in Hermannstadt – war der Tag, an dem du, lieber Lothar, das Licht der Welt erblicktest. Und ich, dein Bruder Frank, erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.

Unsere Mutter lag im Schlafzimmer, Tür zu – schließlich sollten wir Brüder, also Heini und ich, nur das Schöne von deiner Ankunft mitbekommen.

Es war Nachmittag, wir wurden ins Bett geschickt, damit wir bei den Vorbereitungen nicht im Weg standen. Unser Vater öffnete im Wohnzimmer das Fenster – für den Storch, wie er uns versicherte. Ganz logisch.

Kurz nach 14 Uhr kam unsere Haus- und Hofhebamme Frau Fleseriu angeradelt – die uns alle auf die Welt gebracht hatte. Ein Bild für die Ewigkeit: großer, lederner Arztkoffer, graues Haar, ernstes Gesicht – und ein Fahrrad, das fast schon ein technisches Denkmal war.

Ich war fasziniert. Ein Wanderer-Damenrad mit geschwungenem Rahmen, zwei Federungen am Sattel, Verdunkelungslampe noch aus dem Krieg und eine Fahrradnummer zum Herausziehen – darunter stand in fetten Lettern: FURAT – gestohlen. Solche Details ließ ich mir später vom Vater erklären. Für mich war das Fahrrad ein Schatz. Für Frau Fleseriu ein zuverlässiges Transportmittel.

Während drinnen die Geburt begann, schlichen wir uns in den Vorgarten unter das Schlafzimmerfenster. Lauschen. Spähen. Hoffen. Doch da kam – nichts. Also wieder rein. Und dann: Ein kräftiger Schrei durchbrach die Stille! Du warst da!

Kurz darauf öffnete sich die Tür, unser Vater strahlte:

„Ein Junge! Er soll Lothar Erich heißen – zur Erinnerung an die beiden Söhne von Herta und Viktor Höchsmann, die aus russischer Gefangenschaft nicht heimkamen.“

Es war ein feierlicher Moment. Als wir dich endlich sehen durften, wollte ich am liebsten sofort mit dir spielen. Ging nicht – du hattest noch die Augen zugeklebt und warst mit „Überleben lernen“ beschäftigt.

Dafür kamen bald die Gratulanten: Die Schwestern Janka-Neni und Emma-Neni aus dem Banat, die bei uns im requirierten Gästezimmer wohnten, Familie Schneider mit Hilde-Tante, die Jüttners mit Tochter Uschi – sogar Baron Alexander von Baumgarten mit Familie. Alle von vis-à-vis.

Die Nachbarn von nebenan, Wachsmann und Medeck, trudelten erst am nächsten Tag ein – zum Glück, sonst wäre das Wohnzimmer geplatzt.

Du warst unser kleiner Star – mit neuen Klamotten, versteht sich! Im Gegensatz zu mir, der ich die durchgereichten Sachen vom großen Bruder bekam. Aber so ist das eben, wenn man das Mittelkind ist.

Du hattest sogar ein Kindermädchen – die junge Anneliese. Ich war manchmal eifersüchtig und habe sie mit einem Lied geneckt: Anneliese, ach Anneliese, warum bist du böse auf mich?

Anneliese, ach Anneliese, denk doch nur ein kleines bisschen an mich...

Du wurdest von allen geliebt – sogar von unserer Osterlammlieferantin Troanca aus Sibiel, die dich auf dem Wickeltisch so leidenschaftlich abküsste, dass du heute noch einen Knutschfleck am Hintern trägst.

Ach ja – und dann gab es noch die Wickeltisch-Episode, die in die Familiengeschichte einging: