Heimat-Roman Treueband 12 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 12 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.

Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 170: Das verlorene Glück der Pranners
Bergkristall 251: Der Bergführer vom Matterhorn
Der Bergdoktor 1697: Einsame Stunden
Der Bergdoktor 1698: Weil die Berge Heimat sind
Das Berghotel 107: Ein Schatten fällt aufs Berghotel

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 619

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Bastei Verlag/Michael Wolf ISBN 978-3-7325-9243-2

Rosi Wallner, Kristina Brunner, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 12 - Sammelband

Inhalt

Rosi WallnerAlpengold - Folge 170Sie lebten in Wohlstand und Harmonie, bis das Schicksal ihnen alles nahm. Der tragische Tod des Hoferben Sebastian zerstört das Glück der wohlhabenden Familie Pranner jäh, und auch Sina, Sebis schöne Verlobte, droht zu verzweifeln. Sie schwört, niemals einen anderen Mann als ihn zu lieben - schon gar nicht Markus, Sebis jüngeren Bruder, der scheu um sie zu werben beginnt ... Doch darf es wirklich nie mehr Frohsinn und Lachen auf dem Pranner-Hof geben?Jetzt lesen
Kristina BrunnerBergkristall - Folge 251Die Sonne nähert sich dem Horizont und taucht die Bergwelt in eine vielfarbige Palette aus Licht. Das gleißende Weiß verschwindet und macht einer Sinfonie aus Gelb, Orange, Rot, Violett und Blau Platz, bis die Sonne schließlich hinter einem kargen Grat im Westen ganz verschwindet. Mit angehaltenem Atem beobachtet die schöne Maria das Naturschauspiel, fest umschlungen von Toni Kesslers starken Armen. Ja, das Matterhorn ist ihnen beiden zum Schicksal geworden: In seinen Höhen sind sie der großen Liebe begegnet, und zu Füßen des mächtigen Berges - bei ihrem geliebten Toni - wird Maria auch bald zu Hause sein ... Nur kurz will sie nach München zurückkehren, um dort alle Zelte hinter sich abzubrechen und dann für immer nach Zermatt zu gehen. Doch da werden Maria Gerüchte zugetragen, die sie an Tonis Treue zweifeln lassen. Hat er etwa nur mit ihr gespielt?Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1697Ein Mann in der Hölle der Verzweiflung. Der Unfalltod seiner schönen jungen Frau vor über einem Jahr hat Achim Weidacher völlig aus der Bahn geworfen. Zwar sind die Leute in St. Christoph immer zur Stelle, um dem verzweifelten Witwer auf dem Hof zu helfen, doch Achims innere Einsamkeit kann niemand durchdringen. Sobald er abends allein ist, grübelt er darüber, was Susanne ihm mit ihren letzten Worten noch sagen wollte. Sie wollte ihm ein Geheimnis anvertrauen, aber der Tod war schneller. Achim weiß, dass er erst Ruhe findet, wenn er die Wahrheit kennt. Ob Dr. Burger ihm weiterhelfen kann?Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1698Dramatischer Roman einer schicksalhaften Entscheidung Seit die süße Moser-Valerie einen romantischen Abend mit dem gut aussehenden Musiker Julian Grindler verbracht hat, steckt sie ständig mit dem Kopf in den Wolken und träumt. Jedenfalls ist es nur so erklären, dass ihr ständig irgendwelche Missgeschicke passieren. Mal stößt sie beim Einkaufen eine Pyramide aus Teeschachteln um oder sie tritt daheim der Katze auf die Pfötchen. Doch auch in der Praxis von Dr. Burger, wo Valerie zurzeit ein Praktikum macht, sorgt sie mit ihrer Schusseligkeit für manche Aufregung. Gerade hätte sie fast einen Becher mit Kakao umgestoßen, der vor ihr an der Rezeption stand. Der Bergdoktor hat längst den Verdacht, dass das Madel nicht bloß ungeschickt ist, sondern Schwierigkeiten beim Sehen hat. Er drängt Valerie zu einer Untersuchung, doch sie weigert sich verzweifelt...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 107In einer sturmumtosten Nacht steht vor dem Privathaus der Kastlers plötzlich ein völlig durchnässtes Madel. Die junge Frau, die sich als Mary Miller aus Amerika vorstellt, erklärt ihnen, sie sei eine entfernte Nichte von Andi und habe keine sonstigen Verwandten mehr. Hedi und Andi, die selbst keine Kinder haben, nehmen Mary liebevoll bei sich auf. Alles scheint gut - doch dann verändert sich Andi plötzlich. Der sonst so umsichtige Hotelchef lässt seine Arbeit unerledigt liegen, verbringt jede freie Minute mit der neugewonnenen Nichte und trifft eigenmächtig wichtige Entscheidungen, ohne sich mit seiner Frau abzusprechen. Hedi ist verzweifelt, sie kennt ihren geliebten Andi nicht mehr wieder. Die Hotelchefin ahnt jedoch nicht, dass alles noch viel schlimmer kommen wird: Mary verbirgt nämlich ein erschütterndes Geheimnis, und bald steht nicht nur die Ehe der Kastlers auf dem Spiel ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Das verlorene Glück der Pranners

Vorschau

Das verlorene Glück der Pranners

Sie lebten in Wohlstand und Harmonie, bis das Schicksal ihnen alles nahm

Von Rosi Wallner

Bei einer waghalsigen Klettertour an der Kreuzwand stürzt der junge Pranner-Sebastian in den Tod – und mit ihm verlassen Freude und Lachen den einstmals so reichen Pranner-Hof. Vor allem Sebis Mutter Ruth kann den Verlust nicht verwinden und vergräbt sich in ihrem Leid. Einzig Sebis Verlobter Sina gelingt es noch, zu ihr vorzudringen, und so kümmert sich das Madel aufopferungsvoll um die verzweifelte Nachbarin.

Doch als dann Sebis jüngerer Bruder Markus heimkehrt, um die Hofführung zu übernehmen, flammen Hass und Eifersucht in Sina auf! Obwohl aus Markus ein fescher Bursch geworden ist, kann sie ihn nur verachten: Schließlich ist er nun der Nutznießer von Sebis Tod!

Und Markus? Gegen jede Vernunft verliebt er sich unsterblich in die schöne Verlobte seines toten Bruders! Doch können sich seine Hoffnungen auf ein Glück mit Sina je erfüllen?

»Komm ins Haus, Ruth, es ist doch schon viel zu kühl!«, sagte Anton Pranner zu seiner Frau und half ihr behutsam von der Gartenbank hoch, auf der sie, in sich zusammengesunken, gesessen hatte.

Pranners sonst immer befehlsgewohnte Stimme klang sanft und zärtlich, wenn er mit seiner Frau sprach. Obwohl sie schon Silberhochzeit gefeiert hatten, liebte er sie noch genauso wie am ersten Tag der Ehe, sogar fast noch mehr.

Es erfüllte ihn mit tiefer Sorge, dass Ruth immer wieder diesen Platz aufsuchte und dort stundenlang verharrte. Es war nicht die wunderbare Aussicht auf das gewaltige Gebirgsmassiv, die das Hochtal umgab, von der sich Ruth Pranner nicht losreißen konnte, sondern vor allem die Steilwand, die nur von hier aus zu sehen war.

Die Kreuzwand, von der ihr Sohn Sebastian abgestürzt war.

Sein Tod hatte das Glück der Pranners jäh zerstört. Anton Pranner wusste nur zu gut, dass er nicht nur wegen seines Wohlstands und weitreichenden Einflusses beneidet worden war, sondern vor allem wegen seiner glücklichen Ehe und der zwei wohlgeratenen Söhne.

Pranner hatte sich in sehr jungen Jahren in Ruth Weiland, die Tochter des Bürgermeisters, verliebt, und sie hatte seine Gefühle von ganzem Herzen erwidert. Sie war gerade achtzehn und er Anfang zwanzig gewesen, als sie heirateten, eine große Hochzeit mit einem schönen und glücklichen Paar. Aber dennoch gab es viele, die unkten, dass dieses Glück nicht von Dauer sein würde, weil beide viel zu jung seien und bald die frühe Bindung bereuen würden.

Doch darin sahen sich alle getäuscht, die glaubten, dass die Liebe des jungen Paares nur von kurzer Dauer sei und bald Zank und Hader auf dem Pranner-Hof einziehen würden. Es gelang den Pranners, die Schwierigkeiten, die sich in jeder Ehe ergeben, durch die Kraft ihrer Liebe zu umschiffen. Die Geburt der beiden Söhne steigerte ihr Eheglück nur noch, und sie hatten viel Freude mit den beiden lebhaften Kindern.

Sebastian, von allen »Sebi« genannt, der älteste Sohn und zukünftige Hoferbe, war über die Grenzen des Tals hinaus bekannt geworden. Er war ein waghalsiger Bergsteiger und Kletterer, dessen Weg ihn bis nach Nepal führte. Vor keiner Gefahr schreckte er zurück, und die Vorhaltungen seiner besorgten Mutter lachte er einfach hinweg.

»Mach dir keine Gedanken, Mutterl! Ich bin an einem Sonntag geboren, also ein Glückskind«, versuchte er immer, sie zu beruhigen, und sie hatte diesem Lebensmut nichts entgegenzusetzen.

Sebastian Pranner war ein Mensch gewesen, dessen Ausstrahlung so überwältigend war, dass ihm alle Herzen zugeflogen waren. Selbst seine Neider konnten sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen, und ihn umgab immer ein Schwarm von Spezis und jungen Frauen, die in ihn verliebt waren.

Dazu kam noch ein bestechendes Äußeres – hochgewachsen, mit dunkelblondem, dichtem Haar und schönen, ebenmäßigen Zügen. Ja, der Pranner-Sebi war »ein Bild von einem Mann«. Doch er stand nicht im Ruf eines Schürzenjägers, denn er war mit Sina Inthaler, der Nachbarstochter und Kindheitsfreundin, verlobt. Bald sollte geheiratet werden, und dann würde es auch ruhiger um ihn werden, das hatte er ihr versprochen.

Doch es kam ganz anders.

Sebi hatte die Kreuzwand immer als »Tummelplatz vor dem Haus« bezeichnet und hatte sie oft erklettert, ohne ausreichend abgesichert zu sein. Viele Mutmaßungen gab es später über das Unglück; ob er durch irgendetwas abgelenkt worden sei oder dass ein Felsenteil, an dem er sonst Halt gefunden hätte, möglicherweise durch Wettereinwirkungen gelockert gewesen sei.

Niemand konnte sich erklären, warum er plötzlich abgestürzt war, denn trotz seines Wagemutes war er doch erfahren und neigte nicht zum Leichtsinn.

Als die Suchmannschaft ihn schließlich fand, war sein schönes Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt und sein starker Körper zerschmettert. Es hieß, dass einige der abgehärteten Männer bei seinem Anblick in Tränen ausgebrochen seien.

Die Schreie seiner Mutter, als sie die Botschaft überbringen mussten, gellten noch lange in ihren Ohren. Und dann klagte sie in einem fort, dass sie nicht Abschied nehmen durfte von ihrem geliebten Sebi, ihm noch nicht einmal die Augen schließen.

Allen, die bei der Beerdigung am Grab von Sebastian Pranner standen, war klar, dass mit seinem Tod das Familienglück der Pranners zerbrochen war. Die schöne, lebensfrohe Ruth Pranner war kaum noch bei Sinnen und musste von ihrem Mann, dessen Gesicht aschfahl war, gehalten werden. Auf der anderen Seite wurde sie von ihrem jüngeren Sohn Markus gestützt, der einen völlig verstörten Eindruck machte.

Markus, der in Passau Jura studierte, hatte die Todesnachricht kurz nach einer Prüfung ereilt, und er war sofort, ohne auf das Ergebnis zu warten, nach Hause gefahren. Die beiden Brüder hatten sich trotz aller Wesensunterschiede immer sehr nah gestanden. Es war unfassbar für ihn.

Als der Sarg mit Erde bedeckt wurde, wurde es schwarz vor Ruths Augen, dann aber fasste sie sich wieder mit äußerster Anstrengung. Doch es schien, als würde damit die letzte Lebenskraft aus ihr weichen.

Sina Inthaler verharrte still neben ihrem Vater. Ihre Züge zeigten keine Regung, aber ihre Augen waren wie erloschen.

Ruth Pranner verfiel nach der Beerdigung in ein heftiges Nervenfieber, sodass Zweifel bestanden, ob sie sich überhaupt jemals davon erholen würde. Anton pflegte sie aufopfernd, auch Sina kam jeden Tag auf den Hof, und langsam wichen die dunklen Schatten. Doch Ruth war danach gebrochen, ihre Seele hatte sich verdüstert.

Und so war ihr Mann, der ihr Weggefährte und ihr Geliebter gewesen war, zu ihrem Hüter geworden, der darauf achtete, dass sie sich nicht völlig ihrem Schmerz überließ und sich vom Leben abkehrte.

»Komm, Ruth!«, wiederholte er, als sie sich noch einmal umwandte und zu der Gebirgswand hochsah.

Nun ließ sie sich widerstandslos in das Wohnhaus führen und stieg die Treppe hinauf, die zur Schlafkammer führte. Während sie sich auskleidete, ging er noch einmal in die Küche hinunter und holte einen Schlaftrunk, denn Ruth war ihm schon den ganzen Tag über sehr unruhig erschienen.

Er blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war, dann ging er in den Nebenraum, in dem er seine Schlafstatt aufgeschlagen hatte. Denn das Unglück hatte auch ihr Eheglück zerstört, Ruth konnte niemanden mehr in ihrer Nähe ertragen.

Anton Pranner bemühte sich, die quälenden Erinnerungen, die immer wieder vor seinem geistigen Auge aufstiegen, zu verbannen, bis die Erschöpfung Oberhand gewann und er in einen bleischweren Schlaf sank.

***

Am nächsten Morgen fand Ruth Pranner wieder nicht die Kraft, aufzustehen. Sie blieb liegen, dämmerte immer wieder weg und wünschte sich, nie mehr erwachen zu müssen. Damit dieser bohrende Schmerz endlich vorbei war …

»Soll ich dir helfen?«

Sinas helle Stimme klang nach oben, doch sie fühlte sich nicht imstande zu antworten. Schließlich hörte sie die leichten Schritte des Mädchens auf der Stiege, und gleich darauf betrat Sina den abgedunkelten Raum.

»Heute geht es dir nicht gut«, stellte Sina fest.

Sie unternahm erst gar nicht den Versuch, die Bäuerin zum Aufstehen zu bewegen, denn wenn sich Ruth in diesem Zustand befand, war es am besten, sie völlig in Ruhe zu lassen.

»Setz dich ein bisserl her zu mir«, bat Ruth das junge Mädchen.

Sina gehorchte, und die Kranke ergriff ihre Hand. So saßen sie still da, vereint in der Trauer um den Menschen, den beide so innig geliebt hatten. Für Ruth war Sina die Tochter, die ihr versagt geblieben war, und auch die junge Frau hatte sich nach dem frühen Tod ihrer Mutter eng an die Pranner-Bäuerin angeschlossen.

Ruth war die einzige Tochter der Inthalers, denen der Nachbarhof gehörte, und sie und die Pranners waren eng miteinander befreundet. Auch die Kinder, die Pranner-Buben und das Mädchen, waren unzertrennlich, und es war den Eltern bald aufgefallen, dass Sebi und die kleine Sina schon früh damit anfingen, »Hochzeit« zu spielen, während Markus immer nur für den Pfarrer herhalten musste.

Und so keimte in ihnen der Gedanke, dass aus den beiden später tatsächlich ein Paar werden sollte. Denn Ruth wünschte sich nichts mehr, als dass Sina ihre Schwiegertochter wurde, und der geschäftstüchtige Anton Pranner sah einen großen Gewinn darin, wenn die beiden Höfe durch die Heirat zusammenfielen.

Sina liebte ihren Sebi von Kindheit an, und all ihr Denken und Fühlen war darauf ausgerichtet, seine Frau und damit Pranner-Bäuerin zu werden. Denn eigentlich fühlte sie sich auf dem Pranner-Hof zu Hause, nicht bei ihrem Vater, der nach dem Tod der Mutter immer verschlossener geworden war.

Genauso selbstverständlich war es für Sebi gewesen, sich mit ihr zu verloben, denn auch er konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass Sina seine Bäuerin werden würde. Das hatte sich so ergeben, aus den kindlichen Spielen, den Reden seiner Eltern und nicht zuletzt, weil »alles passte«.

Und aus dem mageren kleinen Wesen, das am liebsten mit den zwei wilden Pranner-Buben spielte, war zu seiner Überraschung ein schönes junges Mädchen geworden, das viele Verehrer hatte. Mit ihr hatte er die passende Frau an seiner Seite gefunden.

»Denkst an den Sebi?«, klang die matte Stimme der Pranner-Bäuerin neben ihr auf, und Sina seufzte unwillkürlich.

»Immerzu«, erwiderte Sina leise.

Auch in ihrem jungen Gesicht hatte das Leid Spuren hinterlassen. Ein großer Ernst, ungewöhnlich für ihr Alter, lag auf ihren Zügen, und ihre schönen goldbraunen Augen hatten allen Glanz verloren. Die sanfte, sommerliche Bräune, die ihr so gut stand, hatte einer fahlen Blässe Platz gemacht, was durch ihre schwarzen Haare, die glatt und üppig über ihre Schultern flossen, noch verstärkt wurde.

Sinas Nähe schien Ruth gutzutun, und nach einer Weile sagte sie: »Ich will doch aufstehen. Es ist eh ein Elend, dass ich zu überhaupt nichts mehr tauge, dabei bin ich noch net mal fünfzig.«

»Red net so! Ich komm wieder hoch, wenn du so weit bist.«

Ruth neigte zu plötzlichen Schwindelanfällen, und so half ihr Sina später die Treppe hinunter und führte sie in die Küche, wo die Bäuerin sich ratlos umblickte. Dann sank sie kraftlos auf der Eckbank zusammen, unfähig, etwas in Angriff zu nehmen.

Doch Sina hatte einen großen Topf Gemüsesuppe mitgebracht, den sie jetzt aufsetzte, sodass bald ein angenehmer Duft die Küche durchzog. Auch Obstsalat hatte sie vorbereitet, den sie jetzt in kleine Schüsseln verteilte. Danach räumte sie mit flinken Bewegungen auf und deckte den Mittagstisch in der Stube.

Als Anton Pranner vom Feld nach Hause kam, war ihm beinahe so, als wäre alles so wie früher. Wohlgerüche empfingen ihn, und der Tisch in der Stube war wieder ansprechend gedeckt. Doch dann sah er seine ausgezehrte Frau, die sich erst erheben wollte, als sie ihn erblickte, es dann aber unterließ.

»Schön, dass du unten bist«, sagte er freundlich und küsste sie auf die Wange.

Sina trug die Suppenterrine herein und schnitt Brot auf, er verfolgte mit den Augen ihre anmutigen Bewegungen. Wie gern er Sina als Schwiegertochter gehabt hätte!

Und plötzlich durchfuhr ihn ein Gedanke, den er zunächst als ungeheuerlich empfand, der dann aber immer mehr Raum in ihm einnahm. War es so vermessen, auf diese Möglichkeit zurückzugreifen, um vielleicht noch weiteres Unglück abzuwehren? Denn irgendwann würde Sina ihre Trauer überwinden und sich einem anderen Mann zuwenden. Vielleicht würde sie sogar ihre Heimat verlassen, um den schmerzlichen Erinnerungen zu entfliehen.

Einen weiteren Verlust würde Ruth nicht ertragen. Sina war ihr ganzer Halt.

Anton Pranner aber fing an, zu sinnen und zu planen, und zu seiner eigenen Überraschung spürte er, dass ein wenig von seiner früheren Spannkraft in ihn zurückkehrte.

***

Markus Pranner schritt nachdenklich durch die Altstadt von Passau. Er liebte diese von Flüssen umschlossene Stadt mit der fast südlich anmutenden Uferpromenade, dem Dom und den schmalen kopfsteingepflasterten Gassen. Schließlich setzte er sich in der stillen Wallfahrtskirche, die die Gebeine der heiligen Gisela barg, auf eine Bank und ließ sich von seinen Gedanken davontragen.

Es war der Wunsch seines Vaters gewesen, dass er Jura studierte, denn der Hof stand dem Erstgeborenen zu. Obwohl Sebastian sich nur widerwillig mit der Landwirtschaft befasst hatte und von einem unbändigen Freiheitsdrang beseelt war, gab es nichts daran zu rütteln. Markus hingegen liebte das ländliche Leben – den Wechsel der Jahreszeiten, die Arbeit auf dem Feld und den Geruch der Erde.

Auch wenn er Sebastian nie das Erbe geneidet hatte, sehnte er sich nach dem bäuerlichen Leben. Doch er hatte diesen unerfüllbaren Wunsch tief in seinem Herzen verschlossen und sich dem Willen des Vaters gebeugt. Denn Markus liebte seine Eltern, auch den Vater, trotz dessen unbeugsamer Strenge.

Zunächst hatte Markus das Studium wider Erwarten große Freude bereitet, und er schnitt bei den Prüfungen ausgezeichnet ab. Doch nachdem er tieferen Einblick gewonnen hatte, stellte sich eine zunehmende Unzufriedenheit bei ihm ein, denn sein Gerechtigkeitsgefühl ließ sich oft nicht mit den bestehenden Gesetzen in Einklang bringen.

Das vergällte ihm sein Studium, und oft verlor er allen Mut, dann aber nahm er seine ganze Kraft zusammen und schalt sich einfältig. Er würde auf jeden Fall zu Ende bringen, was er angefangen hatte.

Seit Sebastians Tod fühlte er sich wie betäubt, und es fiel ihm immer schwerer, sich aus dieser Niedergeschlagenheit zu befreien. Dann wieder stürzte er sich in die Arbeit, um Vergessen zu finden und nicht mehr an seinen Bruder und das Unglück seiner Familie zu denken.

Und das beschloss er auch jetzt. Er würde zu Hause das Vorlesungsmaterial durcharbeiten und sich auf die Abschlussprüfung vorbereiten, das allein konnte ihn von seinen selbstquälerischen Grübeleien ablenken. Er stand auf, holte sich noch einen Imbiss und ließ sich in seinem kleinen Studentenzimmer am Schreibtisch nieder.

Und tatsächlich konnte er so seinen Schmerz überwinden, indem er sich in seine Aufzeichnungen vertiefte. Er vergaß Zeit und Raum, schließlich sank sein Kopf auf die Bücher und Hefte nieder, und Markus schlief ein.

Er wurde davon geweckt, als seine etwas unwirsche Wirtin heftig an die Tür hämmerte und laut rief: »Ja, Sie sind zu Haus, ich weiß es doch. Warum machen Sie denn net die Tür auf? Es ist bald Mittag!«

Verwirrt blickte er auf die Uhr, es war tatsächlich kurz vor zwölf Uhr. Er musste irgendwann in den tiefen Schlaf der Erschöpfung gefallen sein, denn in der letzten Zeit hatte er nachts oft keine Ruhe gefunden. Er stand taumelnd auf und öffnete die Tür, wo Frau Koflinger mit vorwurfsvoller Miene auf dem Flur stand.

»Ich hab die ganze Nacht durchgearbeitet«, murmelte er schlaftrunken, und ihr Gesichtsausdruck milderte sich etwas.

»Sie haben Besuch. Ihr Herr Vater.«

Anton Pranners hohe Gestalt und sein herrisches Auftreten hatten die kämpferische Wirtin sichtlich beeindruckt. Er trug ländliche Tracht, einen dunkler Anzug mit Spenzer und Hut, und alles an ihm strahlte Bodenständigkeit und Reichtum aus.

»Ist etwas zu Hause?«, fragte Markus erschrocken, denn sein Vater hatte ihn noch nie an seinem Studienort besucht. Verwirrt strich er sich das volle dunkelblonde Lockenhaar aus der Stirn und ordnete seine Kleidung. Es war ihm sehr unangenehm, dass sein Vater ihn in diesem Zustand vorgefunden hatte.

»Nein, es ist eben, wie es ist. Der Mutter geht es immer noch net besser, wer weiß, ob sie jemals drüber hinwegkommt! Die Sina kümmert sich um sie«, gab Pranner Auskunft, und Markus befreite schnell einen Stuhl von Kleidungsstücken, damit sich sein Vater darauf niederlassen konnte.

»Die Sina ist ein gutes Madel«, fügte Pranner senior hinzu.

Schweigen entstand zwischen Vater und Sohn, das schließlich von Anton Pranner gebrochen wurde.

»Du arbeitest also viel.«

»Bald sind die letzten Prüfungen, und ich hab halt einiges versäumt«, gab Markus, dem der Grund des väterlichen Besuchs nicht klar war, zurück.

Anton Pranner bewegte sich unruhig auf seinem Platz und schien sich sichtlich unbehaglich zu fühlen. Markus war davon überzeugt, dass sein Vater sich zu Hause jedes Wort zurechtgelegt hatte, und doch zögerte er. Das war ungewöhnlich, denn Anton Pranner wusste immer ganz genau, was und wann er etwas zu sagen hatte.

»Es freut mich, dass du dein Studium nicht vernachlässigst, obwohl ich weiß, dass dir vielleicht etwas anderes lieber gewesen wäre.«

»War meinst du damit, Vater?«

»Nun, ich hab schon gesehen, dass du lieber den Hof übernommen hättest als der …« Pranner räusperte sich, es war immer noch schmerzlich für ihn, den Namen seines verstorbenen Sohnes auszusprechen.

»Das hat dem Sebi zugestanden, und ich hab mich ja gut ins Studium eingefunden«, erwiderte Markus abwehrend.

»Mag sein. Aber hast du net Heimweh nach dem Hof? Ich kann mir doch net vorstellen, dass du in der Stadt lebst und Akten dein täglich Brot sind.«

»Was willst du von mir, Vater?«

»Ich will, dass du nach Haus kommst, für immer. Und dass du später den Hof übernimmst, wie das Schicksal es bestimmt hat. Vielleicht ist das irgendwann auch ein Trost für die Mutter«, setzte er noch eindringlich hinzu.

Ein Zucken ging durch Markus Pranners schlanke Gestalt, und er wandte sich ab, damit sein Vater nicht sehen sollte, dass ihm Tränen in die Augen gestiegen waren.

»Da hast du aber net lang gewartet, den Sebi durch mich zu ersetzen. Ich bin kein Lückenbüßer«, stieß Markus heftig hervor. Noch nie hatte er es gewagt, in diesem Ton mit seinem Vater zu sprechen, aber Pranner nahm es hin.

»Ich verstehe, dass es dir so vorkommen muss, aber es ist net so. Mein Erstgeborener wird immer in meinem und im Herzen seiner Mutter sein. Du bist so ganz anders als er, immer schon gewesen, also kann man net davon sprechen, dass du ihn ersetzt. Du wirst auch alles ganz anders angehen, davon bin ich überzeugt. Ich bitte dich als Vater, deine Eltern nicht allein zu lassen in ihrem Schmerz, sodass wir wieder eine Familie werden können. Denn so ist es kein Leben mehr auf dem Hof.«

Die Eindringlichkeit und Aufrichtigkeit, mit der sein Vater zu ihm sprach, verfehlte nicht seine Wirkung auf Markus. Der Pranner-Hof, das Gebirgstal, in dem das kleine Dorf eingebettet war, stieg vor seinem geistigen Auge auf, und heftiges Heimweh, das er so lange verdrängt hatte, befiel ihn.

»Ich möchte gern nach Hause kommen«, sagte er heiser. »Aber vorher will ich mein Studium zu Ende bringen.«

»Das seh ich ein, das ehrt dich.«

Tiefe Erleichterung spiegelte sich auf Pranners markanten Zügen, und Markus hatte sogar den Eindruck, dass Tränen in seine Augen gestiegen waren.

Er erhob sich, als fiele ihm jede Bewegung schwer.

»Willst du net noch bleiben? Wir können gemeinsam essen gehen und anschließend vielleicht die Stadt besichtigen«, schlug Markus vor.

»Nein, ich will so schnell wie möglich nach Hause und nach der Mutter sehen«, wehrte sein Vater sofort ab. Dann aber umarmte er kurz seinen Sohn und murmelte ein undeutliches »Dank dir, Bub.«

Markus blieb verwirrt zurück, die widersprüchlichsten Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Wie hatte er so schnell einwilligen können, nach Hause zurückzukehren, obwohl er sich doch schon mit seiner Zukunft als Jurist abgefunden hatte?

Dann aber verspürte er eine jähe Freude bei der Vorstellung, endlich das tun zu können, wonach er sich schon immer gesehnt hatte und wozu er seiner Meinung nach am besten geeignet war. Er würde Pranner-Bauer werden, wie es ihm von seinen Vorfahren her im Blut lag. Unvermittelt schlug seine Stimmung jedoch um, heftige Schuldgefühle brandeten in ihm auf. Sebastian, sein Bruder, war tot …

Der Preis für sein neues Leben war zu hoch.

Als Anton Pranner spätabends erschöpft zu Hause ankam, führte ihn sein Weg zuerst zu seiner Frau, die bereits zu Bett gegangen war. Doch wie gewöhnlich hatte sie noch keinen Schlaf gefunden und sah ihm im milden Schein des Nachtlichts beunruhigt entgegen.

»Wo bist du den ganzen Tag gewesen? Ich hab mir schon Sorgen gemacht«, empfing sie ihn und bedeutete ihm, sich an ihrer Bettseite niederzulassen.

Pranner hatte seiner Frau nur unklar angekündigt, dass er den Tag über weg sei, und Sina gebeten, sich um die Kranke zu kümmern. Wahrscheinlich, weil er fürchtete, dass seine Mission zum Scheitern verurteilt sei und sein jüngerer Sohn sich weigern würde, Sebastians Stelle einzunehmen.

»Ich war in Passau bei Markus.«

Ruths Gesicht belebte sich ein wenig, und sie richtete sich auf.

»Es geht ihm doch gut?«, fragte sie angstvoll, als drohte Gefahr, dass sie auch noch ihren zweiten Sohn verlieren könnte, ihren ruhigen, klugen Markus, der immer ein wenig im Schatten seines Bruders gestanden hatte.

»Ja, aber er hat natürlich viel für die Prüfungen zu lernen, das Examen wird den jungen Leuten net nachgeworfen.« Er schilderte kurz, in welchem Zustand er Markus vorgefunden hatte, wobei er absichtlich leicht übertrieb.

»Der arme Bub!«, rief Ruth aus, und Anton stellte mit Genugtuung fest, dass sie endlich einmal wieder Interesse an etwas zeigte.

»Er wird’s überstehen, der Markus ist auf seine Art sehr ausdauernd. Ich hab mit ihm gesprochen …« Anton Pranner zögerte.

»Ja?«, drängte ihn seine Frau schließlich zum Weitersprechen.

»Der Markus wird sein Studium zu Ende bringen, dann kommt er nach Hause. Für immer«, setzte er nachdrücklich hinzu.

Ein heller, freudiger Schein huschte über ihr blasses, vergrämtes Gesicht, erlosch aber sofort wieder.

»Will er denn net als Anwalt arbeiten? Er würde dann ja alles aufgeben, wofür er sich die ganze letzte Zeit abgemüht hat.«

»Ich hab ihn zu nichts gezwungen. Im Grund genommen war Markus derjenige, der am liebsten Hofbauer geworden wäre. Aber er hat halt gewusst, dass ihm das net zustand, und das Studium war ja auch keine Qual für ihn. Nun hat ihm das Schicksal doch seine eigentliche Bestimmung zugespielt, auch wenn wir alle wünschen, dass es anders gekommen wär.«

Das war eine lange Rede für einen Mann, der sonst keine großen Worte machte, und seine Frau nahm sie gierig in sich auf.

»Der Markus kommt zurück, das ist gut«, murmelte sie vor sich hin, und sie saßen noch eine Weile schweigend beisammen. Unvermittelt fielen ihr die Augen zu, und sie sank in einen tiefen Schlaf, der die ganze Nacht durch andauerte.

***

»Hast du gehört, Sina, der Markus kommt nach dem Examen wieder ganz auf den Hof zurück«, eröffnete die Bäuerin der jungen Frau am nächsten Tag.

»So«, sagte Sina ohne Anteilnahme.

Sie hatte Markus schon lange nicht mehr gesehen, seine kurzen Besuche bei seinen Eltern meistens verpasst. Sie wusste kaum noch, wie er aussah, denn Sebi hatte ihn schon immer überstrahlt. Da hat es einer aber eilig, die Nachfolge anzutreten!, dachte sie abfällig, ließ aber kein Wort davon verlauten.

»Er ist ein guter Bub, der Markus, er hat sich nie darüber beklagt, dass er vielleicht immer ein wenig zu kurz gekommen ist«, fügte Ruth hinzu.

»Immerhin hat er studieren dürfen«, meinte Sina trocken.

»Aber schon als Kind hat er sich für die Landwirtschaft interessiert. Immer war er im Stall zu finden oder er hat seinem Vater geholfen, die Zäune auszubessern. Trotzdem hat er seinem Bruder das Erbe net geneidet.«

Eine böse Bemerkung lag auf Sinas Lippen, doch sie beherrschte sich gerade noch. Ohne Zweifel wirkte sich die Aussicht auf die Rückkehr ihres jüngsten Sohnes heilsam auf die Bäuerin aus, die Erstarrung, in der sich Ruth so lange befunden hatte, schien von ihr zu weichen.

Und von da an besserte sich Ruth Pranners Zustand so weit, dass sie jeden Morgen aufstand und sich mühte, einen Teil ihrer Pflichten wieder aufzunehmen. Aber es kam immer wieder zu Schwankungen, sodass sich eine plötzliche Düsternis über sie senkte und sie sich ganz in sich zurückzog.

Nur noch selten und meist heimlich suchte sie den Platz im Garten auf, von wo aus sie die Kreuzwand sehen konnte. Anton glaubte, sie käme langsam über ihren Schmerz hinweg, doch sie vergrub ihn nur tiefer in ihrem Herzen. Einzig Sina vertraute sie sich manchmal an. Die treue, zuverlässige Sina, die immer noch auf den Hof kam, um ihr zur Hand zu gehen oder ihre Stelle einzunehmen, wenn es ihr schlechter ging.

Mit dem warmen, hellen Sommerwetter kehrte auch Ruths körperliche Gesundheit zurück, aber nicht ihre seelische. Ihr Gemüt blieb verdunkelt, nach wie vor schlief sie allein in dem großen Ehebett, sehr zum Leidwesen ihres Mannes, der sich nach seiner Frau zu sehnen begann und ihre frühere Vertrautheit vermisste.

Ihr erster Gang, als sie wieder bei Kräften war, führte Ruth Pranner in Begleitung Sinas auf den Dorffriedhof. Im Garten hatten sie weiße Rosen von dem alten Busch, der viele eisigkalte Bergwinter überdauert hatte, geschnitten und sie zu einem Strauß gebunden.

Als sie über die Dorfstraße gingen, zum ersten Mal seit dem Unglück, folgten ihnen viele neugierige und mitleidige Blicke. Ruth Pranner, vor Kurzem noch eine Frau auf dem Höhepunkt ihrer reifen Schönheit, wirkte um Jahre gealtert und geradezu hinfällig, was durch die schwarze Kleidung noch unterstrichen wurde. Auch Sina war dunkel gekleidet, ihr Haar war streng zurückgebunden. Sie wirkte wie eine junge Frau, die viel zu früh Witwe geworden war und nichts mehr vom Leben erhoffte.

Stumm standen die beiden Frauen dann vor dem Grab und bekreuzigten sich. Ruth wollte den Namen des geliebten Sohnes aussprechen, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Sie starrte auf das kunstvoll geschmiedete Kreuz, in dessen Mitte ein ovales Bild von Sebastian Pranner angebracht war.

Wie glücklich er darauf lachte und wie seine Augen strahlten, als stünde ihm die ganze Welt offen. Nichts ahnend war er gewesen …

Auch Sinas Augen waren auf das Bild geheftet, und sie dachte voller Sehnsucht an die letzten Stunden zurück, die sie mit ihm verbracht hatte. An seine Zärtlichkeit, seine Umarmung …

»Sebi«, murmelte sie.

Manchmal träumte sie von ihm, hörte sein übermütiges Lachen, wollte sich in seine Arme schmiegen, doch dann wachte sie auf, und ihre Wangen waren nass von Tränen. Er war alles für sie gewesen, kein anderer Mann würde ähnliche Gefühle in ihr hervorrufen wie Sebastian.

Mit ihm war auch ihre Jugend dahingeschwunden.

Ruth stieß einen schmerzlichen Seufzer aus, ihre schmale Gestalt schien zu schwanken. Rasch führte sie die Bäuerin zu einer beschatteten Bank in der Nähe, von wo sie jedoch Sebastians Grab im Auge behalten konnte.

Schließlich begann Sina damit, das Grab ein wenig herzurichten, die verwelkten Gebinde, die auch noch nachträglich abgelegt worden waren, zu entfernen und die Blumenschalen zu gießen. Nachdem sie den verdorrten Strauß entfernt und das Wasser ausgetauscht hatte, ordnete sie die weißen Rosen in einer Vase an, die sie unterhalb des Grabkreuzes in die Erde steckte.

Noch fehlte die steinerne Umrandung, und der Grabschmuck wirkte willkürlich, aber später würde Sebastian eine würdige Grabstätte haben. Ein Schauder überlief Sina, und sie wandte sich ab und setzte sich zu Ruth Pranner auf die schmale Bank.

»Hochwürden hat zu mir gesagt, dass der Sebi ein kurzes, aber auch schönes Leben gehabt habe. Er habe so viel erlebt und sei in jungen Jahren schon berühmt gewesen, daran müsse ich denken, hat er gemeint. Und von dir ist er geliebt worden, das ist wichtiger als die ganze Berühmtheit. Hochwürden hat mich trösten wollen. Aber …« Ruth verstummte.

»Ich weiß, was du sagen willst. Es gibt keinen Trost. Und ich werde keinen anderen Mann lieben als ihn.« Sinas Worte klangen wie ein Schwur, muteten seltsam fremd an aus dem Mund eines so jungen Mädchens.

Sie verweilten in der Stille und dem Frieden des kleinen Bergfriedhofs, bis eine gewisse Unruhe aufkam, da die Totengräber ein Grab für eine anstehende Beerdigung vorbereiteten. Dumpf polterte die Erde von ihren Spaten, einer von ihnen machte einen Witz und lachte, der andere fiel in das Lachen ein.

Ruth Pranner erhob sich, und Sina stützte sie ein wenig, bis sie sicher war, dass die Bäuerin nicht das Gleichgewicht verlieren würde. Nun hatte Ruth es eilig, nach Hause zu kommen, um dort Zuflucht zu suchen.

Danach gingen Ruth und Sina regelmäßig zusammen auf den Friedhof, es wurde zu einem Ritual, das zu ihrer Seelenruhe beitrug. Die Dörfler gewöhnten sich an den Anblick der beiden Frauen, und so sehr sie auch Ruth Pranner um den Verlust ihres Sohnes bedauerten, so erfüllte sie doch Sinas witwenhafte Erscheinung mit noch größerem Mitgefühl.

***

Markus Pranner hatte das Examen besser bestanden, als er zu hoffen gewagt hatte. Er hatte sein Zimmer, in dem er seine Studienzeit verbracht hatte, gekündigt und seine Habseligkeiten daraus entfernt. Die meisten seiner Sachen – Lehrbücher, abgetragene Kleider und Schuhe – hatte er hergegeben, und es war nur ein prall gefüllter Rucksack übrig geblieben, mit dem er die Heimreise antreten wollte.

Seiner sonst immer so barschen Wirtin fiel es sichtlich schwer, von ihm Abschied zu nehmen, und sie vergoss sogar ein paar Tränen.

»Sie waren mir der liebste Mieter, den ich hatte. Ich hab gehofft, Sie würden sich vielleicht in Passau niederlassen.«

Markus gab ihr spontan einen Kuss auf die rosige Wange, was sie zum Erröten brachte, und nahm dann seinen Rucksack auf. Ihre Segenswünsche hallten ihm noch nach, als er die enge Stiege hinunterstürmte, denn er musste sich nun beeilen, den Zug nach München zu bekommen, wo er umzusteigen hatte.

Nach einer ermüdenden Fahrt mit langen Wartezeiten, da ein Anschluss nicht zustande gekommen war, hatte Markus schließlich seinen Heimatort erreicht und schritt über die Dorfstraße. Der vertraute Anblick – die blumengeschmückten Häuser mit der Lüftlmalerei, der Marktplatz und das prächtige Wirtshaus – hob sein Herz.

Und er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Von der Landstraße aus nahm er eine Abkürzung zum Pranner-Hof, die durch einen kleinen Bergwald führte und dann ziemlich steil wurde.

»Endlich wieder daheim!«, murmelte er vor sich hin, als der Pranner-Hof vor ihm auftauchte, und ein tiefes Glücksgefühl erfüllte ihn.

Ein Glücksgefühl, das sofort wieder von Beschämung abgelöst wurde, denn es war das Unglück seines Bruders, das sein Leben so grundlegend verändert hatte und ihn in den Besitz des Hofes bringen würde.

Markus verdrängte diese Gedanken und hielt inne, um das Bild, das sich seinen Augen bot, ganz in sich aufzunehmen. Das breit hingelagerte Wohnhaus mit den Holzbalustraden, von denen Geranien herabflammten, die Nebengebäude, die rechts und links aufwuchsen und gut instand gehalten waren, und der alte Brunnen auf dem Hofplatz. Eine hohe Baumgruppe ragte hinter dem Dach auf, die uralten »Hausbäume« der Pranners.

Es war ein stattlicher Hof, der größte in der Umgebung, und Anton Pranner hatte noch einigen Grund und Boden dazu erworben. Außerdem befand sich ein großes Waldstück in seinem Besitz, und es war eine herbe Enttäuschung für ihn gewesen, dass seine beiden Söhne seine Jagdleidenschaft nicht teilten.

Lange blieb er stehen, doch er hob nicht den Blick zum Gebirge, denn von hier aus sah man die Kreuzwand besonders deutlich. Die verfluchte Kreuzwand, die seinem Bruder das Leben gekostet hatte …

Dann ging er mit schnellen Schritten durch das Tor, überquerte den Hofplatz und blieb vor der Haustür stehen, die mit einem Kranz und einem Willkommensgruß geschmückt war. Er hatte den Eltern seine Ankunft mitgeteilt, denn unvorhergesehene Ereignisse waren nicht gut für den Seelenzustand seiner Mutter.

Eine jähe Rührung stieg in ihm auf. Man schien sich wirklich aufrichtig über seine Rückkehr zu freuen, und das Leid, das die Familie erdulden musste, trat vielleicht für diesen Tag in den Hintergrund.

Markus ging ins Haus, und der vertraute Geruch umfing ihn. Seine Eltern warteten in der Stube auf ihn, der Kaffeetisch war festlich gedeckt, was sonst nur an Feiertagen oder bei Besuchen üblich war.

Markus Pranners Herz zog sich zusammen, als er seine Mutter erblickte, auf deren müden Zügen ein schwacher Abglanz jener Freude erschien, die sie immer beim Anblick ihrer Kinder empfunden hatte.

»Markus, mein Bub!«, stammelte sie, und er war bei ihr, nahm sie in die Arme und küsste sie auf die Wangen.

Auch sein Vater umarmte ihn kurz, er schien sich aber der Bedeutung dieses Augenblicks sehr bewusst zu sein. Auch Anton Pranner war stark gealtert, doch ungebeugt. Der Tod seines ältesten Sohns hatte ihn ins Wanken gebracht, ihn aber nicht völlig seiner Lebenskraft beraubt.

Sie setzten sich zu Tisch, gleich darauf wehte der Duft von frisch gekochtem Kaffee durch das Haus, und seine Mutter schnitt einen Obstkuchen an.

»Das hab ich sehr entbehrt, Mutterl. Und du hast mir auch gleich meinen Lieblingskuchen gebacken«, sagte er und nahm sich ein großes Stück.

»Wie hätt ich das vergessen können?«, meinte Ruth und ging in die Küche, um die Kanne mit dem Kaffee zu holen.

Bald war ein angeregtes Gespräch im Gange. Markus berichtete von den Prüfungen und der Erleichterung, die er danach verspürt hatte, und dem wehmütigen Abschied von den Studienfreunden und der schönen Stadt Passau.

»Sogar die Wirtin, sonst nicht gerade die Freundlichkeit in Person, hat bedauert, dass ich weggegangen bin. Sie hat sogar insgeheim gehofft, dass ich ganz in Passau bleiben tät«, sagte er und lachte.

Zum ersten Mal seit Sebastians Tod gab es wieder Geplauder und Gelächter in dem Haus, und er bemerkte, dass seine Mutter unwillkürlich zusammenzuckte.

»Es tut mir leid«, murmelte er.

»Das muss dir net leidtun, Markus«, sagte sein Vater entschieden, und seine Mutter zwang sich zu einem gequälten Lächeln.

Die Unterhaltung war zu einem Stillstand gekommen, und Markus erinnerte sich an den Blumenschmuck, den ganzen Stolz seiner Mutter.

»Deine Geranien blühen wieder wunderbar dieses Jahr«, sagte er, um die Gesprächspause zu überbrücken.

»Das hat die Sina dieses Jahr übernommen«, erklärte seiner Mutter kurz angebunden.

Sina – die Verlobte seines Bruders, wie hatte er sie nur vergessen können!

Irgendwie war sie völlig aus seiner Erinnerung entschwunden, Sebis Tod überlagerte alles Übrige. Sina, die Gespielin aus Kindheitstagen, die schon damals den Sebi geliebt hatte …

Sie war ein wildes Madel gewesen, das nicht mit Puppen spielte, sondern sich ihnen angeschlossen hatte. Am Gebirgsbach hatten sie Dämme gebaut, kein Baum war ihr zu hoch gewesen, und sie war mit ihnen um die Wette geklettert. Und er erinnerte sich auch noch daran, dass sie wie ein Junge hatte Fußball spielen können.

Dann aber hatte sie sich unmerklich von ihnen zurückgezogen, und aus ihr war ein schönes junges Mädchen geworden. Anscheinend aber war die Verbindung zwischen ihr und Sebi nie abgerissen, denn es ergab sich wie von selbst, dass sie sich verlobten. Denn das war seit ihrer Kindheit ihr sehnlichster Wunsch gewesen – dass sie Sebastians Frau wurde.

Von Markus hatte sie sich völlig entfernt, und auch er hatte die alte Freundschaft nicht mehr aufleben lassen. Er war froh gewesen, dass sie und keine andere seine Schwägerin wurde, sie passte zur Familie. Sonst hatte es keine Berührungspunkte mehr gegeben, wahrscheinlich auch, weil er in ihr nur noch die zukünftige Frau seines Bruders gesehen hatte.

»Wie geht es denn der Sina?«

Seine Eltern schwiegen, und ihm wurde bewusst, wie unbedacht und töricht diese Frage gewesen war.

»Sie ist mir eine große Hilfe gewesen«, sagte seine Mutter schließlich.

Sein Vater nickte bestätigend, lenkte dann aber das Gespräch auf die bevorstehenden Erntearbeiten, wofür Markus ihm dankbar war. In den Semesterferien war er immer nach Hause gekommen, um auf dem Feld mitzuhelfen, und im Grunde genommen freute er sich darauf, wieder körperlich arbeiten zu können. Diese tiefe Zufriedenheit, die er am Ende des Tages empfunden hatte, war etwas, was er bei seinem Studium sehr vermisst hatte.

»Ich geh jetzt noch auf die Gemeinderatssitzung«, kündigte Anton Pranner danach an und erhob sich.

»Und bleib net so lang beim Lindenwirt«, ermahnte ihn seine Frau wie jedes Mal, und er versprach ihr wie immer, nicht zu spät nach Hause zu kommen.

Es war wie ein vertrautes Ritual zwischen den beiden Eheleuten, das die beiden Söhne oft belächelt hatten. Doch Markus fand es jetzt anrührend, es war ein Beweis tiefer Vertrautheit und Sorge umeinander.

Würde ihm jemals das Glück beschieden sein, eine so innige Beziehung zu einem anderen Menschen eingehen zu können?

»Worüber denkst du denn nach, Markus?«, fragte seine Mutter, als er gedankenverloren vor sich hin sah.

»Ich bin nur ein bisserl müd von der Fahrt«, redete sich Markus heraus und begann, den Tisch abzuräumen.

Mutter und Sohn saßen noch eine Weile in der Stube, bis es dunkelte. Er erzählte ihr von Passau und dem Studentenleben, und sie ließ sich kein Wort entgehen. Er hatte den Eindruck, dass sie es als Wohltat empfand, in eine andere Welt Eingang zu finden, eine Welt, in der es kein Leid zu geben schien.

»Hast einen Schatz in Passau zurückgelassen?«, fragte sie unvermittelt.

Markus errötete und senkte verlegen den Kopf.

»Nein, Mutterl. Du weißt doch, dass ich mich schon immer etwas schwergetan hab mit den Madeln«, gestand er ein.

Der eigentliche Grund dafür bestand darin, dass die Mädchen stets für den Sebastian und seine charmante Art geschwärmt hatten. Markus hatte sich immer mehr zurückgezogen, und auch als er in Passau gelebt hatte, weit weg von der manchmal erdrückenden Gegenwart seines älteren Bruders, musste er feststellen, dass er einfach sein Selbstvertrauen verloren hatte.

Wenn eine junge Frau ihm zeigte – und das war mehr als einmal geschehen –, dass er ihr gefiel, wich er zurück und verhielt sich so ablehnend, dass auch die Verständnisvolleren unter ihnen schließlich die Geduld verloren. Er wusste, dass er sein Verhalten ändern musste, doch immer wieder versagte er, obwohl er sich verzehrend nach der Liebe einer Frau sehnte.

Seine Mutter drang nicht weiter in ihn, vielleicht ahnte sie auch, was in ihm die letzten Jahre vorgegangen war. Sie wirkte plötzlich erschöpft, und Markus half ihr auf und brachte sie fürsorglich die Treppe hoch. Auch er wollte schon zu Bett gehen, denn morgen musste er früher aufstehen als zu Studentenzeiten.

Als er zu seiner Kammer hochstieg, kam er an Sebastians Tür vorbei. Er hielt einen Augenblick inne, verspürte den jähen Impuls, die Tür zu öffnen. Er sah seinen Bruder vor sich, stellte sich vor, wie er ihm entgegengelacht und einen frivolen Scherz gemacht hätte. Es war etwas um ihn gewesen, als hätte ihm nichts auf der Welt etwas anhaben können.

Markus verharrte regungslos, eine seltsame Kälte umschloss ihn. Dann bekreuzigte er sich langsam.

»Wenn du doch noch da wärst, Sebi!«, flüsterte er.

***

Die nächste Zeit verging für Markus wie im Flug, denn die Erntearbeiten nahmen ihn voll in Beschlag. Da sich die Bauern untereinander einen Mähdrescher teilten, mussten Absprachen getroffen werden.

Die Maschine befand sich zwar im Besitz der Pranners, doch sie hatten einen zeitlichen Rahmen vereinbart, damit auch ihre Nachbarn zu ihrem Recht kamen. Und so gab es nur eine kurze Mittagspause, denn es war eine Schönwetterperiode angesagt, die alle ausnutzen wollten.

Markus liebte die Feldarbeit, aber die ungewohnte körperliche Arbeit nach der Examensvorbereitung und der zeitliche Druck machten ihm zu schaffen. Seine Arme und Schultern begannen zu schmerzen, und er bekam einen heftigen Sonnenbrand im Nacken, den seine Mutter abends mit Quarkumschlägen lindern musste.

»Ich bin schon ein bisserl aus der Übung«, gab er zu.

»Du gewöhnst dich schon wieder an alles«, beschwichtigte ihn der Vater, der mehr als dankbar für die Mithilfe seines Sohnes war. Denn Markus war unermüdlich und arbeitete trotz seiner Schmerzen weiter. Er versuchte auch nicht, sich unter irgendeinem Vorwand eine Pause zu erschleichen oder sogar zu verschwinden, so wie es Sebi manchmal getan hatte.

Aber davon sagte Anton Pranner nichts.

An einem der Tage hatte Markus aus Versehen die Getränke zu Hause stehen lassen, was seinen Vater ziemlich verärgerte.

»Ich kann nur hoffen, dass deine Mutter es bemerkt hat und die Sina uns etwas zu trinken aufs Feld bringt«, meinte er unwillig.

Als das Mittagsläuten vom Dorf herüberklang, stellte Pranner den Motor aus und sprang gelenkig auf die Erde.

»Dort scheint jemand zu kommen«, sagte Markus erleichtert, als eine dunkle, schmale Gestalt in der Ferne auftauchte.

»Die Sina. Auf die ist Verlass.«

Markus kniff zweifelnd die Augen zusammen, in dieser mageren Gestalt glaubte er die schöne Sina nicht zu erkennen.

»Das soll die Sina sein?«

»An ihr ist auch nicht alles spurlos vorbeigegangen«, sagte sein Vater schroff, und Markus nahm einen gewissen Vorwurf in seiner Stimme wahr.

Das Mädchen war inzwischen etwas außer Atem bei ihnen angelangt und überreichte ihnen einen Korb mit Getränken.

»Ist zu Hause alles in Ordnung?«, fragte Anton Pranner, der in steter Sorge um seine Frau war, obwohl es Ruth besser ging.

»Die Hitze macht ihr halt zu schaffen. Ich hab für heut Abend etwas vorgekocht«, fügte Sina dann hinzu.

»Danke. Bist ein gutes Madel.«

Sina errötete, und mit einem Mal glich sie wieder dem strahlenden Mädchen von einst in der Zeit ihrer Liebe zu Sebi.

Die Pranners hatten sich im Schatten eines breit gefächerten Baumes niedergelassen und stillten zuerst ihren Durst.

»Komm, Sina, bleib doch noch da und halt mit uns Mittag!«, forderte Markus sie freundlich auf.

»Ich hab noch genug zu tun«, fiel das Mädchen ihm ziemlich unwirsch ins Wort und sah ihn dabei nicht an.

Mit einem kurzen Gruß in Anton Pranners Richtung wandte sie sich zum Gehen und verschwand bald darauf hinter einer Wegbiegung. Markus brannte es auf der Zunge, sich über Sinas Verhalten auszulassen, aber er fürchtete, seinen Vater erneut zu verärgern. Sina Inthaler war offensichtlich für seine Eltern unentbehrlich geworden.

So arbeitete er stumm und verbissen weiter, fiel abends todmüde ins Bett, um am nächsten Tag wieder im Morgengrauen aufzustehen. Doch er spürte, wie er sich langsam wieder an diesen Rhythmus gewöhnte, und schließlich hatte er das Empfinden, als wäre er nie von zu Hause weg gewesen. Markus Pranner hatte endgültig zu seiner Bestimmung gefunden.

Tiefe Befriedigung erfüllte ihn, als die Ernte sicher unter Dach und Fach war, dieses Jahr konnten sich die Bauern über besonders gute Erträge freuen. Doch auf dem Pranner-Hof fand zum ersten Mal seit Gedenken kein Hoffest anlässlich Erntedank statt, und die Familie blieb auch der Kirche fern.

***

»Bist lange nimmer bei uns gewesen, Sina«, sagte Ruth Pranner zu dem jungen Mädchen, das sich erst am Geburtstag der Bäuerin wieder einmal blicken ließ und den Eindruck erweckte, dass sie sich nicht lange bei den Pranners aufhalten wollte …

In Ruths spröder Stimme klang kein Vorwurf mit, vielleicht auch, weil ihr klar war, wie viel Zeit das junge Mädchen ihr geopfert hatte. Nun wollte sie sicher eigene Wege gehen und den Hof meiden, wo alles sie an Sebi erinnerte.

»Zu Haus gibt’s auch viel zu tun«, erwiderte Sina kurz angebunden, doch Ruth spürte, dass das nicht der wahre Grund war.

Sina überreichte der Bäuerin das Geburtstagsgeschenk, eine wunderbare Tischdecke mit Hohlsaumstickerei.

»Du bist eine richtige Künstlerin, Sina, weißt das? Du hast mir eine große Freude gemacht«, sagte Ruth und bewunderte die Stickerei.

Markus kam dazu, und Sina machte unwillkürlich eine Bewegung, als wollte sie die Flucht ergreifen. Auch er fand anerkennende Worte für die Tischdecke und lud Sina ein, zum Kaffee dazubleiben.

»Ich hab keine Zeit«, sagte sie ausweichend. »Der Vater kommt aber noch.«

Dann küsste sie die Bäuerin auf die Wange und verabschiedete sich.

»Kannst du mir sagen, was die Sina gegen mich hat? Wir sind doch immer gut miteinander ausgekommen, haben als Kinder schon miteinander gespielt. Und jetzt behandelt sie mich, als hätt ich ein Verbrechen begangen«, brach es aus ihm hervor.

Erregt lief er in der Stube auf und ab.

Ruth wusste nicht, wie sie es in Worte fassen sollte. Auch ihr war aufgefallen, dass Sina dem Pranner-Hof möglichst fernblieb, seitdem Markus zurückgekehrt war.

»Vielleicht weil du sie an den Sebi erinnerst«, sagte sie leise.

Markus hielt inne und sah seine Mutter erschrocken an.

»Das glaubst du? Aber so sehr sind wir uns doch nicht ähnlich, vom Wesen her schon gar net.«

Das stimmte nur zum Teil. Markus hatte das gleiche üppige dunkelblonde gelockte Haar wie sein Bruder und war ebenso hochgewachsen, wenn auch von weniger kräftiger Statur. Seine Züge waren feiner, und seine Augen waren von dunklerem Blau, hatten nicht diesen eisblauen Blick Sebis, der immer in die Ferne gerichtet zu sein schien.

»Vielleicht hat sie sich hier schon als Jungbäuerin gesehen, und jetzt bin halt ich da«, sagte er, ohne über seine Worte nachzudenken.

Seine Mutter warf ihm einen tadelnden Blick zu. »So ist die Sina net, das weißt ganz genau. Ihr ist es immer um den Sebi gegangen, fast ihr ganzes Leben lang.«

»Ich weiß einfach net, wie ich mit ihr umgehen soll. Ihre Ablehnung kränkt mich sehr«, gestand er ein.

»Das ist auch net leicht.«

Das Gespräch wurde davon unterbrochen, dass die wenigen Gäste eintrafen, die zu der Geburtstagsfeier eingeladen waren. Hochwürden kam erhitzt an, denn seine Körperfülle machte ihm bei der Sommerglut zu schaffen. Inthaler und die drei Freundinnen der Bäuerin, mit denen sie zusammen im Landfrauenverein war, bildeten die Nachhut.

Man unterhielt sich lebhaft, der Kuchen der Bäuerin wurde gelobt, die Männer ließen sich über die Milchpreise aus. Aber alle achteten peinlich darauf, dass Sebis Name nicht genannt wurde oder etwas erwähnt wurde, das die Erinnerung der Pranners auf ihren so tragisch verunglückten Sohn lenkte.

Manchmal flogen prüfende Blicke zu Markus hinüber, der neben seiner Mutter saß, doch er tat, als bemerkte er es nicht. Inzwischen folgte er den Gesprächen kaum noch, denn immer wieder schweiften seine Gedanken zu Sina.

Sie wirkte so streng und unnahbar. Und doch hatte sie etwas an sich, das ihn anzog.

Wie sie sich wohl gegenüber Sebi verhalten hatte? Ob sie dann auch so spröde und abweisend gewesen war?

Sein Gesicht rötete sich bei den Vorstellungen, die ihn plötzlich überfielen, und beschämt versuchte er, sie zu verdrängen.

»Jesses, Bub, ist der Kaffee zu stark?«, rief Ruth Pranner aus, die das veränderte Aussehen ihres Sohnes bemerkte.

»Ein richtiger Mann muss auch einen starken Kaffee vertragen«, ließ sich Josef Inthaler vernehmen und lachte dröhnend.

Markus stand auf. »Ich geh einen Augenblick an die frische Luft.«

Noch ehe er den Raum verlassen hatte, meinte Inthaler: »Ein bisserl empfindlich, der junge Mann, wie? Ich sag ja immer, das viele Studieren verdirbt das Gemüt.«

»Der Markus kann ordentlich zupacken. Ohne seine Hilfe wär ich mit der Ernte net rechtzeitig fertig geworden«, nahm Pranner seinen Sohn in Schutz.

»Aha?«, meinte Inthaler nur, aber man sah ihm an, dass sich hinter seiner breiten Stirn etwas in Gang gesetzt hatte.

Markus kam wenig später wieder zurück, beteuerte seiner besorgten Mutter, dass er sich wohlfühle. Danach ließ er sich über die rechtlichen Konsequenzen einer neuen Verordnung aus, die auf wenig Verständnis stieß.

»Nur damit einer der Großkopferten sich wieder ein rotes Röckel verdient«, stieß Inthaler erbost aus. »Anton, darauf brauch ich einen selbst gebrannten.«

Den brauchte Pranner nun auch, und er ging an die Kredenz und goss sich und Inthaler großzügig ein.

»Für mich net, Vater. Auch wenn ein richtiger Mann einen selbst gebrannten vertragen muss«, sagte Markus spöttisch in Richtung Inthaler.

»Da war der Sebi aber anders«, entfuhr es dem Nachbarn unbedacht, und im selben Augenblick hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen, denn alle am Tisch erstarrten.

Die sonst immer so sanftmütige Ruth Pranner warf ihm einen Blick zu, dass er zusammenzuckte, dann stand sie auf und stürzte aus dem Raum.

»Es tut mir leid, so leid«, stammelte er.

»Du bist doch ein …« Anton Pranner bedachte seinen Freund mit einem derartig derben Schimpfwort, dass die drei handfesten Landfrauen zu Boden blickten.

Auch Markus hatte sich erhoben. »Ich schau nach der Mutter.«

Danach löste sich der Geburtstagskaffee auf, die Landfrauen standen noch auf dem Hofplatz und schwatzten, und Josef Inthaler bat seinen Freund noch einmal um Verzeihung, ehe er sich mit hängenden Schultern auf die Heimfahrt machte.

Ruth hatte sich schon wieder gefangen, als ihr Mann das Schlafzimmer betrat. Markus saß auf der Bettkante und hielt ihre Hand, verließ aber sofort den Raum, als sein Vater auf der Schwelle erschien.

»Der Josef lässt ausrichten, dass es ihm leidtut. Er ist halt ziemlich gedankenlos«, sagte Anton und setzte sich zu ihr.

Zu seiner Überraschung richtete sie sich auf und rückte an ihn heran.

»Ich weiß schon, wie er ist. Aber ich kann es halt immer noch net ertragen, wenn jemand …«

Sie stockte, und Anton zog sie enger an sich. Zum ersten Mal nach dem Unglück schmiegte sie sich wieder an ihn, und so saßen sie schweigend da, während in Anton die Hoffnung aufkeimte, dass sich doch langsam alles zum Besseren wenden würde.

***

Im Herbst erkrankte Ruth Pranner schwer. Sie war abends zu lange im Garten gewesen und hatte sich erkältet. Ihr von Kummer geschwächter Körper besaß nur wenig Widerstandskraft, und es bestand die Gefahr einer Lungenentzündung. Dass sie niemand außer dem Dorfarzt und Sina in ihre Nähe ließ, übersiedelte Sina vorübergehend auf den Pranner-Hof, um Ruth zu pflegen.

Sie bewachte den unruhigen Schlaf der Bäuerin und maß das Fieber, das immer wieder in besorgniserregende Höhen schnellte. Bald war sie selbst am Rande der Erschöpfung, und Markus erschrak, als er eines Morgens unvorbereitet in der Küche auf sie traf.

Sie schien noch mehr abgenommen zu haben, und um ihre schönen Augen lagen tiefe bläuliche Schatten. Sorgfältig zählte sie eine Tropfenlösung auf einen Löffel, aber Markus entdeckte, dass ihre Hände unmerklich zitterten.

»Sina, du reibst dich ja völlig auf. Du brauchst mehr Schlaf. Ich übernehme die Morgenwache, dann kannst du bis Mittag schlafen. Es hat ja keinen Sinn, wenn du auch noch krank wirst«, sagte er in ungewohnt strengem Tonfall.

Sie wollte sich ihm zuerst widersetzen, doch dann überkam sie ein plötzlicher Schwindel, und sie sank auf einen der Küchenstühle.

»Da siehst du’s! Du legst dich jetzt sofort hin, ich bring die Medizin zur Mutter.«

Er duldete keinen Widerspruch, sondern half ihr auf und führte sie die Treppe hoch.

Sina war zu übermüdet, um sich zur Wehr zu setzen, und als sie sich auf ihr Bett legte, sank sie sofort in einen tiefen Schlaf.

Kaum hatte sich Sina erholt, verfiel sie wieder in die alte Feindseligkeit gegenüber Markus. Es war, als könnte sie es nicht ertragen, mit ihm unter einem Dach zu leben. Markus jedoch behandelte sie mit unbeirrbarer Freundlichkeit, hinter der sie jedoch nur Falschheit oder Schlimmeres zu vermuten schien.

Als Markus abends an der Kammer seines Bruders vorbeiging, folgte er einem plötzlichen Impuls. Er betrat den Raum, ließ seine Blicke über das behagliche Bett unter der Dachschräge, den Tisch am Fenster und den Schrank mit dem eingelassenen ovalen Spiegel schweifen. Seine Mutter musste wohl aufgeräumt haben, denn in Sebis Zimmer hatte immer Unordnung geherrscht, Kleider, Schuhe und Bücher waren überall verteilt gewesen, und am Schrank hatte immer einer seiner Janker gehangen. Sonst war alles unverändert geblieben.

Er trat näher, und sein Blick fiel auf die Charivari- Kette, die Sebi nach Art der jüngeren Leute immer links an seiner Hirschledernen getragen hatte. Sie war ein Erbstück, und eigentlich sollte sie im Besitz Anton Pranners sein, doch der hatte sie seinem Ältesten zur Volljährigkeit geschenkt.

Gedankenverloren nahm Markus sie zur Hand.

Die Anhänger, die dem Brauch gemäß immer aus einer ungeraden Anzahl von mindestens fünf bestehen mussten, waren aus Horn, Klauen oder Haaren erlegter Tiere gefertigt, die auf der Jagd erlegt worden waren. Nach altem Aberglauben sollte die Kraft dieser Beutetiere auf den Besitzer übergehen.

Sebi hatte zu diesen Berlocken noch welche aus Bergkristall hinzugefügt, an deren silberne Fassung kunstvolle Galerien gelötet waren. Ein sehr aufwendiger Schmuck, aber Sebi hatte schon immer eine Schwäche für derlei Kostbarkeiten gehabt.

Markus strich darüber und hob die Kette auf, denn er fand es tröstlich, etwas zu berühren, das sich im Besitz Sebis befunden hatte. Da bemerkte er, dass jemand in der Tür stand, und wandte sich rasch herum.

Es war Sina, ihr Gesicht war blass, und lodernde Wut stand in ihren Augen.

»Willst das auch noch an dich reißen? Alles, was dem Sebi gehört und sein Leben ausgemacht hat, soll wohl nur dir gehören«, schrie sie ihn an.

Markus ließ erschrocken die Kette aus den Händen fallen, und sie landete mit einem unschönen Geräusch auf dem Tisch.

»Ich versteh net, was du meinst, Sina …«, stammelte er.

»Doch, das weißt du ganz genau. Kaum ist der Sebi tot, schon bist hierhergekommen und nimmst alles in Besitz, was ihm zugestanden hätt. Schließlich war er dir die ganze Zeit immer nur im Weg.«

Nun verspürte auch Markus, wie heftiger Zorn in ihm emporwallte.

»Es war der Wunsch vom Vater, dass ich nach Hause komme. Niemals wollt ich die Stelle vom Sebi einnehmen, und ich hab ihm auch nie das Erbe geneidet. Du weißt net, wie froh ich wäre, wenn der Sebi noch bei uns wär, er war doch mein Bruder, und wir haben uns immer gut verstanden.«

Etwas wie Unsicherheit huschte über das Gesicht Sinas.

»Und warum schleichst hier herum?«

»Weil ich ihm nah sein wollt, und es war schön für mich, die Kette in den Händen zu halten, die er so gern getragen hat. Nicht nur du trauerst, Sina.«

Sie empfand die letzten Worte als Vorwurf, und ihre Miene verdüsterte sich wieder. Dann wandte sie sich wortlos um.

Markus ordnete die Einzelteile der Charivari-Kette wieder sorgfältig an, sodass sie wie zuvor auf dem Tisch lag. Dann verharrte er noch eine Weile, ehe er die Tür von Sebastians Kammer behutsam hinter sich schloss.

Von da an schien sich Sinas Groll gegen ihn gemildert zu haben, auch wenn es ihnen nicht gelang, zu einem freundschaftlichen Umgang zurückzufinden. Es blieb ihr auch nicht verborgen, wie liebevoll Markus sich um seine Mutter kümmerte, dass er jeden Tag an ihrem Bett saß und ihre Hand hielt. Auch das blieb nicht ohne Eindruck auf sie.

Und dank der guten Pflege erholte sich Ruth und konnte auch schneller als erhofft das Bett wieder verlassen. Auf ihre Bitte hin blieb Sina noch länger und half ihr bei der Hauswirtschaft, denn ihr Vater kam ganz gut alleine zurecht. Er verbrachte die meisten Abende in der Kreisstadt, wo er anscheinend Anschluss gefunden hatte. Und so kam es, dass die junge Frau Markus nicht mehr aus dem Weg gehen konnte und widerwillig zugeben musste, dass er nicht nur ein tüchtiger Jungbauer, sondern auch ein guter Sohn war.

Seine besonnene, ruhige Art half seinen Eltern über ihren Verlust hinweg, gerade weil er so völlig anders war als ihr ältester Sohn. Er schien sich in diese Rolle hineingefunden zu haben, doch immer, wenn er versuchte, ein tröstendes Wort an Sina zu richten, wich sie vor ihm zurück und funkelte ihn an.

Markus Pranners Gedanken drehten sich inzwischen völlig um Sina, was durch die räumliche Nähe noch gesteigert wurde. Wenn sie ihn ansah, glaubte er, in ihren goldbraunen Augen zu versinken, und obwohl sie äußerlich wenig auf sich hielt, konnte er sich keine begehrenswertere Frau als sie mehr vorstellen.

Doch er wollte sich nicht eingestehen, dass er in sie verliebt war, das wäre ihm seinem Bruder gegenüber falsch vorgekommen.

Als sie wieder auf den Inthaler-Hof zurückkehrte, fühlte er sich beraubt und elend. Nachts schlief er schlecht und verzehrte sich vor Sehnsucht. Doch angesichts ihrer abwehrenden Haltung wagte er es nicht, sie auf dem Inthaler-Hof zu besuchen, geschweige denn, sie um eine Verabredung zu bitten.

***

In der Adventszeit war es bei den Pranners der Brauch, dass Ruth Freunde und Nachbarn zu einem Treffen auf dem Hof einlud, denn das Weihnachtsfest selbst sollte nur der Familie vorbehalten sein. Zuerst hatte sie in diesem Jahr der Trauer wenig Neigung dazu verspürt, dann aber hatte sie den Entschluss gefasst, doch einige wenige Freunde einzuladen.

Markus hatte sie darin bestärkt, und auch ihr Mann nickte beifällig, als sie die Einladung mit ihm besprach.

»Der Sebi hätte gewollt, dass wir unsere Familienbräuche aufrechterhalten. Du weißt, wie viel ihm daran lag.«

Und so halfen die beiden Männer tatkräftig mit, das Haus zu schmücken, und als die Gäste anlangten, standen Kerzen in den Fenstern und ein üppiger Kranz hing an der Haustür. Auch der Kaffeetisch in der Stube war adventlich geschmückt, der Duft nach weihnachtlicher Bäckerei durchzog die Luft, und alle genossen die festliche Atmosphäre.

Ruths Freundinnen aus dem Landfrauenverein schwatzten durcheinander, die Bürgermeistersfrau saß behäbig da und hatte Ruths unvergleichlichen Mandelzopf ins Auge gefasst. Schon jahrelang versuchte sie, Ruth das Rezept zu entlocken. Auch Inthaler war gekommen, der Friede war inzwischen wiederhergestellt, an seiner Seite Sina.

Sie hatte sich etwas sorgfältiger hergerichtet, wohl Ruth zuliebe. Ihre schwarzen Haare waren etwas gefälliger aufgesteckt, allerdings hätte es ihr viel besser gestanden, wenn sie diese glänzende Pracht wie früher offen getragen hätte. So wirkten ihre regelmäßigen Züge etwas zu streng für ihr jugendliches Alter. Wie immer seit Sebastians Tod war sie dunkel gekleidet, doch das hoch geschlossene Seidendirndl in warmem Dunkelbraun hob die auffallende Farbe ihrer Augen hervor.