Heimat-Roman Treueband 3 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 3 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.

Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 161: Der Hof braucht dich
Bergkristall 242: Tausend Rosen blühen für Katrin
Der Bergdoktor 1679: Der Vertrauensbruch
Der Bergdoktor 1680: Nie mehr einsam und allein
Das Berghotel 98: Willkommen in der Heimat!

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 605

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © iStockphoto: RolandStollner ISBN 978-3-7325-8227-3

Martina Linden, Christian Seiler, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 3 - Sammelband

Inhalt

Martina LindenAlpengold - Folge 161Eine junge Bauerntochter und ihr wildes ungezähmtes Herz Die Sonne schickt ihren letzten rotgoldenen Schein über die schroffen Karen des Rabenkopfs, als der junge Nadler-Thorsten seine Silvia stürmisch an sich zieht. Für ihn werden die kühnsten Hoffnungen wahr, denn endlich, endlich erwidert die hübsche Bauerntochter seine Gefühle! Nie und nimmer hat er geglaubt, dass dieser Tag einmal kommen würde - doch nun ist Thorsten fest entschlossen, das geliebte Madel nie mehr loszulassen. Als er Silvia allerdings einen romantischen Heiratsantrag macht, sieht sie ihn nur voller Entsetzen an...Jetzt lesen
Christian SeilerBergkristall - Folge 242"Früher habe ich mir oft was vorgestellt", sagt die schöne Katrin und blickt verträumt zu den Berggipfeln hinauf. "Ich hab mich von Rosen umgeben gesehen, tausend Rosen, die nur für mich blühen. Aber das ist verrückt und unsinnig!" Neben Katrin sitzt Ferdl Reitmeier und hört ihr andächtig zu. Was Besseres als den Ferdl kann man gar nicht finden. Er ist ein stattlicher Bursch, schaut blitzsauber aus, interessiert sich fürs Wandern und die Natur - und ganz besonders für Katrin. Aber reicht das aus, um deren lang gehegten Traum von den tausend Rosen zu erfüllen? Zunächst scheint es, als ob dem jungen Glück der beiden nichts mehr im Wege steht. Doch dann nimmt ein Widersacher seine Gelegenheit wahr, um die zarte Verbindung auseinanderzureißen ...Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1679Erst nach der Hochzeit erfuhr Lisa die Wahrheit. Für Lisa und Christian Grindhammer hängt der Himmel voller Geigen. Sie sind seit zwei Jahren verheiratet und immer noch bis über beide Ohren verliebt ineinander. Sie bewirtschaften einen herrlich gelegenen Bauernhof in den Bergen und treten abends sehr erfolgreich als Gesangsduo auf. Wenn sie dann von der einzig wahren Liebe singen, die auf Vertrauen und Ehrlichkeit beruht, glaubt man ihnen jedes Wort. Weder das Publikum noch Lisa ahnen, dass Christians Leben schon lange von einer Lüge überschattet wird ...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1680Clara hat das Glück verdient Seit frühester Kindheit ist Clara Weidinger Diabetikerin. Doch da sie von Dr. Burger gut eingestellt ist, macht die Krankheit ihr keine Probleme. Die täglichen Insulinspritzen und die Bestimmung des Blutzuckerspiegels gehören für sie zum Alltag. Clara blickt voller Optimismus in die Zukunft - vor allem, seit sie bei einem Spaziergang in den Bergen einen Mann kennengelernt hat, zu dem sie sich sehr hingezogen fühlt. Stefan Wenz könnte die Lücke in ihrem Herzen füllen, die der Tod ihres Verlobten vor über einem Jahr gerissen hat. Es gibt niemanden, der Clara ihr neues Glück nicht gönnen würde - bis die junge Frau von einem Rendezvous nicht nach Hause zurückkehrt. Wo ist sie nur? Die Angst wächst. Schließlich braucht Clara rechtzeitig ihre Insulinspritze ...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 098Um den Erbhof seiner Familie zu retten, soll Paul Hofer die vermögende Nachbarstochter heiraten. Der junge Bauer zögert noch, denn sein Herz gehört längst einer anderen Frau. Sie ist jedoch unerreichbar für ihn, und seine Familie setzt ihn unter Druck, endlich zu heiraten. Die Dorfbewohner glauben, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis seine Verlobung mit Angelika bekanntgegeben wird. Von alledem ahnt Maria nichts. Paul war ihre erste große Liebe, ihr Glück zerbrach jedoch an einem alten Streit und an der Ablehnung seiner Familie. Maria ist in die Stadt gezogen, um ein neues Leben anzufangen, doch sie hat seine starken Arme und sein großes Herz nie vergessen. Unerwartet steht Paul an einem lauen Sommerabend wieder vor ihr. Eine Geschäftsreise hat ihn in ihre neue Heimatstadt geführt. Ist es Zufall, dass sie sich wiedersehen? Oder womöglich ein Wink des Schicksals?Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Der Hof braucht dich

Vorschau

Der Hof braucht dich

Eine junge Bauerntochter und ihr wildes ungezähmtes Herz

Von Martina Linden

Die Sonne schickt ihren letzten rotgoldenen Schein über die schroffen Karen des Rabenkopfs, als der junge Nadler-Thorsten seine Silvia stürmisch an sich zieht. Für ihn werden die kühnsten Hoffnungen wahr, denn endlich, endlich erwidert die hübsche Bauerntochter seine Gefühle! Nie und nimmer hat er geglaubt, dass dieser Tag einmal kommen würde – doch nun ist Thorsten fest entschlossen, das geliebte Madel nie mehr loszulassen.

Als er Silvia allerdings einen romantischen Heiratsantrag macht, sieht sie ihn nur voller Entsetzen an …

»Bist du fertig, Silvia?« Petra, die jüngere Tochter des Schäfer-Josef, steckte den Kopf durch die offene Tür der Backstube, in der ihre Freundin gerade ein leeres Blech in das oberste Fach eines fahrbaren Regals schob.

»Höchstens zehn Minuten, Petra«, antwortete Silvia Neuberger. »Ich muss mich noch umziehen und mir ein bisserl die Haare richten.« Sie verschwand im Nebenraum.

Mit einem Seufzen kehrte Petra zu ihrem Wagen zurück, in dem bereits ihre andere Freundin saß.

»Es dauert noch ein bisserl«, sagte sie zu Andrea Meinhardt und verdrehte die Augen. »Wir hätten ja damit rechnen müssen, dass es die Silvia net schafft, pünktlich zu sein.«

»Das kannst du ihr gewiss net anrechnen, Petra«, verteidigte Andrea die Freundin. Scherzend fügte sie hinzu: »Warum musst du deinen Geburtstag auch ausgerechnet an einem Tag feiern, an dem die Silvia in der Bäckerei arbeitet?«

»Weil sich der Freitagabend nun mal zum Feiern anbietet«, konterte Petra gut gelaunt. »Am Wochenende hätte ich keine Zeit gehabt. Ich hab meinem Vater versprochen, ihm mit der Gudrun beim Streichen unserer alten Scheune zu helfen, und am Sonntag besuchen wir meine Großtante in Nürnberg.«

Silvia beeilte sich. »Da bin ich schon«, verkündete sie und öffnete die Fondtür des Wagens. »Zwei Minuten vor Ladenschluss ist der alten Frau Säger noch eingefallen, dass ihr Sohn heute Abend zum Essen kommt und sie vergessen hat, sein geliebtes Kürbiskernbrot zu kaufen. Und wär das net genug, hat sie der Frau Gutbrodt und mir noch den neuesten Klatsch erzählen müssen und dabei kein Ende gefunden.«

»Und was hat sie so erzählt?«, fragte Petra und ließ den Wagen an. »Ich denke, wenn du uns schon wegen der Sägerin warten lässt, haben wir auch ein Anrecht darauf, den neuesten Klatsch zu erfahren.«

»Es ist nix Besonders. Ihr wisst ja, die Frau Säger macht aus jeder Mücke einen Elefanten.« Silvia zog einen Spiegel aus ihrer Handtasche und warf einen Blick hinein. »Es ging um den Nadler-Thorsten und dass er von der Tochter des Bürgermeisters angeblich einen Korb bekommen hat, nachdem sie wochenlang mit ihm ausgegangen ist. Um ihn vorläufig net mehr sehen zu müssen, wäre sie sogar zu ihrer Tante nach Füssen gezogen.«

»Was mich net wundert. Der Thorsten ist mehr oder weniger ein Habenichts. Sein Onkel hat ihn ja nur aufgenommen, weil ihm nach dem Tod seiner Eltern und der Zwangsversteigerung des Anwesens so gut wie nix geblieben ist«, sagte Petra und bog in die Straße nach Füssen ein. »Außerdem ist die Lisa ja tatsächlich vor einer Woche nach Füssen gezogen.«

»Armut wäre für mich kein Grund, einen Burschen abzulehnen«, meinte Andrea.

»Genauso denk ich auch«, sagte Silvia. »Auch wenn ich den Thorsten kaum kenne, er scheint mir ein anständiger Bursche zu sein, was man von seinem jüngeren Vetter Paul net behaupten kann. Der bandelt mit jedem Madel an, geht ein paar Mal mit ihm aus und wendet sich dann einer anderen zu.«

»Das haben nun mal viele Burschen so an sich.« Petra hob die Schultern. »Jedenfalls wird er mal den Hof erben. Sein Bruder wird ja noch dieses Jahr die Pfisterer-Monika heiraten und hat damit ausgesorgt. Da der alte Pfisterer froh sein wird, die Monika überhaupt an den Mann zu bringen, wird er dem Toni einen roten Teppich ausrollen.«

»Du solltest dich mal hören, Petra«, erwiderte Silvia missbilligend. »Was kann die Monika für die Narbe in ihrem Gesicht? Der Toni wird sie aufrichtig lieben und net nur wegen ihres Besitzes heiraten wollen.«

»Träum weiter, Silvia!«, bemerkte Petra. »Du liest zu viele Liebesromane. Das Leben ist nun mal net so, wie du es dir erträumst. Meine Eltern haben auch net aus Liebe geheiratet, sondern um zwei kleine Höfe zusammenzulegen. Ihre Ehe hat dennoch Bestand.«

»So muss es net sein, Petra«, mischte sich Andrea ein. »Ich denke jedenfalls net daran, mir meinen zukünftigen Mann nach dessen Bankkonto auszusuchen.«

Petra verdrehte die Augen. »Ihr beide seid zwei hoffnungslose Romantikerinnen«, meinte sie. »Zum Glück steh ich mit beiden Beinen fest im Leben.«

Das Lokal, in dem Petra ihren Geburtstag feiern wollte, lag am Ufer des Forggensees und war besonders bei Jugendlichen beliebt, weil man hier nicht nur essen, sondern auch tanzen konnte. Alle vierzehn Tage bot der Wirt seinen Gästen am Freitagabend Livemusik. An diesem Abend sollte eine Band aus München spielen.

Sie wählten einen Tisch an einem der großen Panoramafenster, die einen guten Blick über den See zu den umliegenden Ortschaften und auf die Berge boten. Am Tisch ihnen gegenüber saßen ein paar Geschäftsleute. Ab und zu wehte ein Fetzen ihres Gesprächs zu den Madeln herüber.

So weit Silvia mitbekam, ging es um irgendwelche Versicherungsabschlüsse. Das große Wort führte ein junger, hellblonder Mann mit stahlblauen Augen. Ihr gefiel, wie es ihm gelang, die Aufmerksamkeit der anderen zu fesseln. Als sich flüchtig ihre Blicke trafen, zwinkerte er ihr zu. Verlegen wandte sie den Kopf.

»Na, na«, bemerkte Petra und verzog spöttisch die Lippen.

»Was du immer hast!« Silvia vermied es, erneut zu dem anderen Tisch zu sehen.

»Es gibt net nur meinen Geburtstag zu feiern«, sagte Petra während der Essens, »sondern auch die Erfüllung eines langen Traumes.« Sie sah die Freundinnen bedeutungsvoll an. »Ich hab am Morgen die Zusage für Neuseeland bekommen.« Ihre Augen strahlten vor Glück.

»Das freut mich für dich.« Andrea drückte ihre Hand. »Und wann soll’s losgehen?«

»Im September«, antwortete Petra. »Ich werde ein Jahr auf einer Farm bei Hamilton arbeiten.« Sie zwinkerte ihren Freundinnen zu. »Wer weiß, ob ich während dieser Zeit net einen reichen Neuseeländer kennenlerne. Vielleicht hat der Besitzer der Farm einen Sohn …«

Silvia seufzte auf. »Sosehr ich mich für dich freue, Petra, ein klein bisserl beneid ich dich auch. Du kannst hinaus in die Welt, kannst mal was anderes sehen als unser Dorf und dessen Umgebung. Als ich meinen Eltern vorgeschlagen hab, mal für ein paar Monate im Ausland zu arbeiten, haben sie abgewinkt. ›Der Hof braucht dich‹, hat mein Vater gesagt. ›Deine Mutter und ich sind niemals weiter als nach München und einmal in die Schweiz gekommen. Geschadet hat’s uns net.‹»

Sie hob die Schultern. »Meine Eltern werden nie verstehen, dass ich mehr vom Leben möchte, als den Hof und ab und zu auf einem Gemeindefest zu tanzen.«

»Verbieten können sie es dir net«, sagte Petra. »Du bist längst volljährig und hast das Recht, über dein Leben selbst zu entscheiden.«

»Die Theorie schaut stets anders aus als die Praxis«, meinte Silvia. »Ich hab meine Eltern von Herzen lieb, und ich kann sie verstehen, dennoch erscheint mir manchmal unser Dorf so klein, so eng … Ich werde wohl mein ganzes Leben in Geroldskirchen verbringen, nie die Chance haben, auch mal was anderes zu sehen, denn der Hof muss ja immer an erster Stelle kommen.«

»Gott sei’s gedankt, meine Eltern sehen das alles net so eng.«

»Du hast ja auch noch eine Schwester, die den Hof erben wird«, warf Andrea ein. »Da ist es net so schwer für deine Eltern, großzügig zu sein.«

»Stoßen wir erst mal auf deinen Geburtstag an, Petra!«, schlug Silvia vor und hob ihr Colaglas. Sie wollte ihrer Freundin schon zuprosten, als sie einen heftigen Stoß gegen den rechten Arm bekam und sich die Cola in einem breiten Bach über ihre Bluse und ihren Rock ergoss. Erschrocken sprang sie auf und prallte gegen den hellblonden Mann vom Nebentisch, der sie zerknirscht ansah.

»Verzeihen Sie, das hab ich net gewollt«, sagte er. »Ich war auf dem Weg zum Tresen und bin ausgerutscht. Ich konnte mich grad noch halten. Dabei ist es passiert.«

»Wohl zu viel getrunken«, bemerkte Andrea.

»Es braucht schon mehr als ein Glas Wein, um mich betrunken zu machen«, erklärte er arrogant und wandte sich an Silvia. »Ich komme natürlich für den Schaden auf.« Er zog ein Kärtchen aus seiner Jacketttasche und reichte es ihr. »Schicken Sie mir bitte die Rechnung!«

»Das nützt mir im Moment wenig.« Silvia legte das Kärtchen auf den Tisch. Sie blickte an sich hinunter. »Entschuldigt mich bitte! Ich muss mich erst mal trockenlegen.«

»Ihren Humor haben Sie zum Glück net verloren«, sagte der junge Mann grinsend. »Darf ich meine Hilfe anbieten? Ich meine, beim Trockenlegen.«

»Das könnte Ihnen so passen.« Silvia konnte ihm nicht böse sein. Eilig ging sie durch das Lokal zu den Waschräumen. Als sie dort einen Blick in den Spiegel warf, glaubte sie für einen Moment, die stahlblauen Augen des jungen Mannes zu sehen.

Es dauerte einige Zeit, bis sie zu ihren Freundinnen zurückkehrte. Sie vermied es, zum Nebentisch hinüberzusehen.

»Hübsch seh ich aus, net wahr?«, scherzte sie. »Ich bin gespannt, ob die Colaflecken völlig rausgehen.«

»Und wenn net, schick ihm die Rechnung! Angeboten hat er es dir ja«, meinte Andrea. Sie schob Silvia das Kärtchen zu. »Rainer Möhle heißt er.«

»Und Versicherungsvertreter ist er«, fügte Petra hinzu. »So, wie er vorhin das große Wort geführt hat, gewiss net in der untersten Gehaltsklasse.« Sie senkte die Stimme. »Er starrt dich übrigens schon die ganze Zeit über an.«

»Dann lass ihn starren!«, flüsterte Silvia errötend. Es fiel ihr schwer, sich ihm nicht zuzudrehen. Sie spürte förmlich, wie seine Augen auf ihr ruhten.

Sie hatten kaum gegessen, als die ersten Paare auf die Tanzfläche traten. Silvia, die mit dem Rücken zu ihnen saß, drehte sich so, dass sie ihnen beim Tanzen zuschauen konnte. Unbewusst bewegte sie ihren rechten Fuß im Takt der Musik.

Rainer Möhle stand auf und trat zu ihr.

»Würden Sie mit mir tanzen?«, fragte er. »Das heißt, falls Sie mir inzwischen verziehen haben.«

»Das muss ich mir noch gründlich überlegen.« Silvia stand auf. »Ich meine, das mit dem Verzeihen.«

»Oh, oh«, bemerkte Andrea leise.

»Das wird den alten Neubergers gar net gefallen«, meinte Petra genüsslich. »Stell dir vor, dieser Rainer Möhle steht irgendwann auf dem Hof und will Silvia abholen. Die Gesichter ihrer Eltern möchte ich sehen.«

»Sei net immer so boshaft, Petra!« Andrea blickte zu Silvia und Rainer Möhle, die sich beim Tanzen köstlich zu amüsieren schienen.

Ihr fiel auf, wie die braunen Augen ihrer Freundin strahlten. Sie wird sich doch net in ihn verlieben?, dachte sie. Rainer Möhle machte auf sie keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Sie hielt ihn für einen Mann, der zwar gern das große Wort führte, alles in allem jedoch zum größten Teil aus Fassade bestand.

***

Jakob Neuberger brachte seinen Traktor auf dem Feldweg zum Stehen, der an der Wiese vorbeiführte, auf der an diesem Vormittag das Heu gewendet wurde. Missbilligend sah er zu seiner Tochter, die neben dem Heuwender stand und in ihr Handy tippte.

»Was telefonierst du denn schon wieder, Silvia?«, rief er zu ihr hinüber. »Das Heu wendet sich net von allein.«

Silvia tippte noch zwei Buchstaben ein und sandte die SMS ab.

»Ich hab net telefoniert, Vater.« Sie steckte das Handy in die Brusttasche ihrer abgeschabten Latzhose. »Ich hab nur eine SMS geschrieben.«

»Was auch nix anderes ist«, erklärte der Bauer grimmig. »Was gibt’s denn so Wichtiges? Hatte jemand einen Unfall? Ist jemand gestorben? Alles andere hat wohl Zeit bis nach der Arbeit.«

»Auf die paar Minuten kommt es gewiss net an, Vater.« Silvia stieg auf ihren Traktor. »Und nun lass mich meine Arbeit machen!« Sie ließ den Traktor an.

»Bis heut Mittag!« Der Neuberger-Jakob kehrte zu seinem eigenen Traktor zurück. Als er sich noch einmal nach seiner Tochter umwandte, bevor er aufstieg, sah er gerade noch, wie sie die Wiese hinauffuhr.

Silvia hatte ihren Eltern nur ganz allgemein von ihrem Abend in Füssen erzählt und dabei Rainer Möhle mit keinem Wort erwähnt. Nach dem Tanzen hatte er sie für den kommenden Samstag zum Essen und ins Kino eingeladen. In den letzten Tagen hatten sie oft miteinander telefoniert und SMS ausgetauscht. Mehr als einmal hatte er ihr versichert, wie sehr er sich auf das Wiedersehen mit ihr freute.

Und sie freute sich ebenfalls darauf. Einen Burschen wie Rainer Möhle hatte sie bisher noch nie kennengelernt. Er hatte schon so viel erlebt, so viele Länder bereist und er war sehr erfolgreich in einem Beruf, der nichts mit der Landwirtschaft zu tun hatte. Gewiss kannte er nicht einmal den Unterschied zwischen einem Heuwender und einem Mähdrescher. Er musste das ja auch nicht! Und sportlich war er auch noch! Bisher hatte sie noch keinen Mann kennengelernt, der in Karate den Schwarzen Gürtel besaß. Sie wollte ihn unbedingt einmal kämpfen sehen.

Irgendwann muss ich den Eltern von Rainer erzählen, dachte sie, als sie vom Heuwenden kam. Sie wechselte ihre Latzhose und das T-Shirt gegen einen Rock und eine karierte Bluse, bevor sie in die Küche trat. Ihr Vater und der Hansel, ein älterer Mann, der jeden Tag für ein paar Stunden auf dem Hof half, saßen bereits am Tisch.

»Schön, dann können wir ja anfangen«, meinte ihre Mutter und stellte eine Schüssel mit Knödeln und eine weitere mit gekochten Möhren auf den Tisch, bevor sie jedem ein Stück Schweinebraten auf den Teller legte.

»Wo ist denn die Rosi?«, erkundigte sich Silvia. Bisher war es noch nicht vorgekommen, dass Rosi Wernhuber, die seit vielen Jahren bei ihnen arbeitete, eine Mahlzeit versäumte.

»Ihre Mutter liegt im Krankenhaus. Ein Schlaganfall. Ich hab die Rosi nach Füssen gefahren«, erwiderte Kathi Neuberger. »Wir haben ihr ein paar Tage freigegeben, damit sie sich um ihre Mutter kümmern kann.«

»Wie geht’s ihr?«, fragte Silvia besorgt.

»Der Arzt konnte noch nix Genaues sagen«, antwortete ihre Mutter. »Und da die Rosi ausfällt, brauch ich am Samstag deine Hilfe auf dem Markt.«

»Ich wollte am Samstagvormittag bügeln«, sagte Silvia.

»Das kannst du auch noch am Nachmittag tun.«

»Da hab ich net viel Zeit. Ich … Nun, ich hab mich für den Samstagabend mit jemanden verabredet.«

Die Augen ihrer Mutter leuchten auf. »Mit einem Burschen aus dem Dorf? Kennen wir ihn? Wer sind seine Eltern?«, fragte Jakob Neuberger.

Silvia schluckte. Sie holte tief Luft. »Er lebt net im Dorf, und ihr kennt ihn auch net«, antwortete sie bedächtig langsam. »Ich hab ihn letzten Freitag kennengelernt, als ich mit Petra und Andrea in Füssen war.«

»Und was macht dieser Jemand aus Füssen?« Die Bäuerin betonte jedes ihrer Worte. »Hat der Mann einen Namen, einen Beruf?«

»Er heißt Rainer Möhle und ist Versicherungsvertreter.«

Hansel, der einen Kloß nach dem anderen in sich hineinstopfte und dennoch mit weit aufgesperrten Ohren lauschte, verschluckte sich fast. Immerhin wusste er, was für einen Schwiegersohn sich die Neubergers wünschten.

»Versicherungsvertreter?« Der Bauer sah seine Tochter kopfschüttelnd an. »Was willst du mit einem Versicherungsvertreter, Madel? So ein Vertreter kommt höchstens mal auf den Hof, um eine Versicherung abzuschließen, net um den Kuhstall auszumisten oder Kartoffeln zu stecken.«

»Schlag dir den am besten gleich aus den Kopf!«, erklärte die Neuberger-Kathi resolut. »Der passt net zu uns!«

»Woher wollt ihr das so genau wissen? Ihr kennt den Rainer überhaupt net«, protestierte Silvia.

»Und wir haben auch net vor, diesen Herrn kennenzulernen«, erklärte ihr Vater. »Und nun lasst mich endlich essen!« Mit einer herrischen Bewegung griff er nach seiner Gabel, die er neben seinem Teller abgelegt hatte.

»Ich bin kein kleines Madel mehr, Vater«, sagte Silvia. »Ich bin alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen. Und ich werde am Samstag mit dem Rainer ausgehen, ob’s euch gefällt oder net.«

Die Neuberger-Kathi bedachte ihre Tochter mit einem Blick, aus dem Mitleid und Nachsicht gleichermaßen sprachen.

»Tu, was du net lassen kannst, Madel! Du wirst schon sehen, was du davon hast. Manchmal tut’s ganz gut, erst mal auf die Nase zu fallen, dabei lernt man, was man hat, besonders zu schätzen.« Sie griff ebenfalls nach ihrem Besteck. »Meinetwegen kannst du auch am Sonntag nach dem Mittagsmahl bügeln. Die Wäsche läuft net davon. Ich brauche jedenfalls deine Hilfe am Marktstand.«

Silvia ging nicht gern mit auf den Markt. Schon als Kind hatte ihr das keine Freude gemacht.

»Wie du meinst, Mutter«, gab sie nach, weil an ihrer Arbeit auf dem Markt ohnehin kein Weg vorbeiführte und sie froh war, dass ihre Eltern wegen Rainer kein großes Theater machten.

Gleich nach dem Essen machte sie sich auf den Weg zur Bäckerei, wo sie schon sehnsüchtig von der Chefin erwartet wurde, weil eine Kollegin abgesagt hatte. Während sie die Kunden bediente und ab und zu neue Ware aus der Backstube holte, dachte sie über das Gespräch mit ihren Eltern nach. Sie nahm es ihnen nicht übel, dass sie Rainer von vornherein ablehnten. Ihnen ging es um den Hof, und das konnte sie verstehen.

Aber hatte sie nicht das Recht auf ein eigenes Leben?

An diesem Abend hatte sie um sechs Uhr Feierabend. Sie eilte heim und half bei der Stallarbeit mit, bevor sie sich mit ihren Eltern und dem Hansel an den Abendbrottisch setzte. Die Zeit reichte gerade noch, um eilig ein Brot zu essen und eine Tasse Tee zu trinken, als es auch schon an der Haustür läutete. Durch das Küchenfenster sah sie Andreas Wagen im Hof stehen.

»Pünktlich ist die Andrea, das muss man ihr lassen«, bemerkte der Bauer. »Viel Spaß, Silvia!«

»Den wird sie gewiss haben«, meinte seine Frau. »So eine Chorprobe bietet jede Gelegenheit für ein bisserl Klatsch und Spaß.«

»Tschüss!« Silvia winkte allen zu und eilte nach draußen zu ihrer Freundin. »Ich hab’s ihnen endlich gesagt, dass ich mich am Samstag mit dem Rainer treffe«, raunte sie ihr zu.

»Und?«

»Nun, begeistert sind sie net grad«, gab Silvia zu. »Sie denken, ich würde mit ihm voll auf der Nase landen.« Das Madel lachte leise auf. »Sie hoffen’s sogar.«

»Was man ihnen kaum verdenken kann«, erwiderte Andrea. »Ich weiß auch net, ob es richtig ist, was du tust. Ich trau dem Kerl net über den Weg.«

»Andrea, ich hab net vor, ihn von der Stelle weg zu heiraten. Wir gehen am Samstag nur miteinander aus, mehr ist da net. Alles andere bleibt abzuwarten.« Silvia schnallte sich an. »Jetzt lass uns erst mal zur Chorprobe fahren! Mal sehen, was der Abend für Überraschungen bereithält!«

***

Silvia und Andrea gehörten seit ihrer Kindheit dem Gemeindechor an.

Anfangs war der Chor eine fest verschworene Gemeinschaft gewesen, in die kein Außenstehender so leicht eindringen konnte, dann hatte er sich öffnen müssen, weil es kaum Nachwuchs gab. Die meisten der jungen Leute in Geroldskirchen hatten keine Lust mehr gehabt, ein- bis zweimal in der Woche ihre Abende im Gemeindehaus zu verbringen.

Selbst in den konservativsten Familien des Dorfes saßen die Söhne und Töchter abends lieber vor dem Fernseher oder dem Computer, statt zu Chorproben, Gemeindeveranstaltungen und Bibelabenden zu gehen, wie es früher üblich gewesen war. Zudem war es nicht weit nach Füssen, wo es Kinos, Restaurants und Tanzlokale gab.

So kam es, dass im Gemeindechor nun viele Leute mitsangen, die von außerhalb zugezogen waren, und so hatte sich auch das Repertoire der Lieder geändert. An diesem Abend wollten sie ›Draußen ist Freiheit‹ aus dem Musical ›Tanz der Vampire‹ einstudieren.

Die Mitglieder des Chors hatten sich schon fast alle im Gemeindehaus versammelt, als ein neuer Bewerber eintraf. Er wirkte etwas schüchtern, als er durch die Tür trat, obwohl er die meisten Leute inzwischen kannte, da er seit einem Jahr in Geroldskirchen lebte.

Die Chorleiterin, eine pensionierte Lehrerin, legte resolut den Arm um den jungen Burschen und führte ihn zu den anderen. »Den Nadler-Thorsten kennt ihr ja alle«, sagte sie. »Er hat sich entschlossen, uns in Zukunft zu unterstützen.«

Die anderen hießen Thorsten mehr oder weniger neugierig willkommen. Obwohl er seit einem Jahr im Dorf lebte, hatte er nur selten am Dorfleben teilgenommen. Man wusste kaum mehr von ihm, als dass er von seinem Onkel nach dem Tod der Eltern aufgenommen worden war und dass er der Tochter des Bürgermeisters den Hof gemacht hatte.

Die Noten und den Text des neuen Stückes hatten die Chormitglieder bei der letzten Probe erhalten. Wie sich herausstellte, hatte Thorsten nicht die geringste Mühe mit dem Text, obwohl er ihn erst an diesem Abend bekam.

»Wie kommt es, dass du den Text schon beherrschst?«, fragte ihn Silvia in der Pause. »Bei mir dauert’s eine Weile, bis ich was auswendig kann, besonders, wenn es auf Englisch ist. Dieses Stück ist es zum Glück net.«

Thorsten hatte gerade einen Schluck Mineralwasser trinken wollen. Er stellte sein Glas ab.

»Ich muss etwas nur ein paar Mal lesen, und schon ist der Text in meinem Kopf.«

»Da hattest du es gewiss net so schwer in der Schule wie manche andere Leute«, sagte Silvia bewundernd.

»Wie man’s nimmt«, antwortete er. »Leute wie ich, die etwas nur ein paar Mal lesen müssen, ruhen sich gern darauf aus. Ich gehörte leider auch dazu.« Er lachte und dabei blitzten seine blauen Augen auf. »Ich hab mir während der Schulzeit manche Standpauke von meinen Eltern eingehandelt, weil ich lieber draußen herumgestrolcht bin, statt meine Hausaufgaben zu machen. Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich eingesehen hab, dass ich mehr tun muss.«

Sein Gesicht verdüsterte sich. »Mein Vater hatte große Pläne mit unserem Hof. Aus diesem Grund hatte er mich auf die Landwirtschaftsschule geschickt, doch dann …« Er schüttelte den Kopf. »Lassen wir das, Silvia!« Er griff nach seinem Glas. »Es gefällt mir, dass ihr auch moderne Stücke singt.«

»Mir auch«, sagte sie. »Schön, dass du dabei bist, Thorsten.« Sie kehrte zu Andrea zurück, die sich mit der Chorleiterin unterhielt. Was für ein netter Bursch!, dachte sie und schaute sich verstohlen nach ihm um. Er beachtete sie nicht, sondern blickte aus dem Fenster in die Nacht.

Aus dem Augenwinkel hatte Andrea das Gespräch ihrer Freundin mit dem Nadler-Thorsten beobachtet.

»Ein feiner Bursche, der Thorsten, net wahr?«, meinte sie eine Stunde später auf dem Heimweg. »Der könnt mir auch gefallen. Leider hat er nur Augen für dich gehabt.«

»Unsinn«, wehrte Silvia ab.

»Du hast es nur net bemerkt, wie er im zweiten Teil der Probe ständig zu dir gespäht hat, weil du dich so auf den Liedtext konzentriert hast.«

»Er ist auch net so einfach zu singen«, gestand Silvia. »Ja, ich find den Thorsten ganz nett. Es tut ihm bestimmt gut, im Chor mitzusingen. Leicht wird er es auf dem Nadler-Hof net haben. Davon abgesehen hat er einen tollen Bass. Mit dieser Stimme sollte er an einer Talentshow teilnehmen.«

»So was interessiert ihn gewiss net«, meinte Andrea. »Kann ich mir jedenfalls net vorstellen. Oder du?«

Silvia schüttelte den Kopf. Bis zu diesem Abend hatte sie Thorsten keine besondere Beachtung geschenkt. Sie waren einander auch nur selten begegnet.

»Er scheint mit beiden Beinen fest im Leben zu stehen«, sagte sie und erzählte, was sie von ihm erfahren hatte. »Mich würde interessieren, was für Pläne sein Vater hatte.«

»Frag ihn bei der nächsten Probe danach«, schlug Andrea vor.

»Ich glaub net, dass er darüber sprechen möchte.« Silvia befreite sich von ihrem Gurt, bevor ihre Freundin noch vor ihrem Elternhaus gehalten hatte. »Schlaf gut!«, wünschte sie ihr und stieg aus.

»Du auch«, antwortete Andrea und fügte zwinkernd hinzu: »Nun gibt’s zwei Männer, von denen du träumen kannst.«

»Das glaubst auch nur du«, meinte Silvia. »So nett ich den Thorsten finde, ich hab net vor, was mit ihm anzufangen.« Sie schlug die Wagentür zu.

Andrea wendete und fuhr vom Hof.

Die junge Frau wartete, bis sie die Rücklichter des Wagens nicht mehr sehen konnte, bevor sie ins Haus ging. In der Küche nahm sie sich noch ein Glas Wasser. Während sie es an die Anrichte gelehnt trank, dachte sie über Thorsten nach. Hatte er sie während des Singens wirklich beobachtet, oder hatte sich Andrea das nur eingebildet? Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, ihr schmeichelte die Beachtung, die er ihr schenkte.

Silvia wusch das Glas aus und stellte es umgekehrt auf die Ablage über dem Spülstein. Höchste Zeit, dass sie ins Bett kam. Um fünf war für sie wie für alle anderen auf dem Hof die Nacht vorbei.

Sie warf noch einen raschen Blick auf den Schreibtisch ihrer Mutter, der in der Wohnstube stand. Vielleicht hatte Rosi angerufen, um ihnen zu sagen, wie es der alten Berta ging, aber auf dem Schreibtisch lag keine Notiz für sie.

Mit den Gedanken an Rosi stieg sie die Treppe zu ihrer Schlafstube hinauf. Als sie noch ein kleines Madel gewesen war, hatte Rosis Mutter ebenfalls auf dem Neuberger-Hof gearbeitet und ihr manche Süßigkeit zugesteckt. Hoffentlich überlebte sie ihren Schlaganfall! Silvia hoffte es von ganzem Herzen.

***

Rainer Möhle hatte Silvia am Samstag vom elterlichen Hof abholen wollen. Sie war dagegen gewesen.

»Wir kennen uns gerade mal ein paar Tage, da kannst du net einfach auf unserem Hof auftauchen«, hatte sie gemeint. »Meine Eltern würden das net verstehen.«

»Wie du willst«, hatte er geantwortet. »Ich kann dich auch vom Bus abholen.«

Silvias Herz schlug bis zum Hals, als sie Rainer Möhle an der Busstation stehen sah. Er hatte ihr sein Alter nicht verraten. Sie schätzte ihn auf etwa fünfundzwanzig. Trotz seiner legeren Kleidung wirkte er auf sie wie ein Mann, der etwas darstellte und auf den andere hörten. Ein wenig hatte sie Angst, seinen Ansprüchen nicht zu genügen.

Der Bus hatte kaum gehalten, als sie auch schon ausstieg. Rainer eilte auf sie zu, legte den Arm um sie und küsste sie leicht auf die Wange.

»Ich freue mich, dich zu sehen«, sagte er und schaute ihr dabei in die Augen.

»Ich konnte unser Wiedersehen kaum noch abwarten«, gestand sie glücklich. »Die ganze Woche hab ich mich darauf gefreut.«

»Genau wie ich.« Er führte sie zum Parkplatz, auf dem sein nagelneuer Maserati stand. Dem Wagen waren die hohen Kreditraten nicht anzusehen, die Rainer Monat für Monat für ihn begleichen musste.

»Das ist dein Wagen?«, fragte Silvia ungläubig.

»Ja.« Stolz berührte er die Motorhaube. »Mit dem kann ich gut und gern zweihundertsechzig Kilometer in der Stunde fahren.«

»Und wo willst du zweihundertsechzig Kilometer fahren?«

»Irgendwann wird sich eine Gelegenheit dazu ergeben«, meinte er und öffnete für sie den Wagenschlag. »Bitte, Mademoiselle!« Er neigte den Kopf.

»Du sprichst Französisch?« Silvia ließ sich in das weiche Polster ihres Sitzes fallen.

»Leider net perfekt«, erwiderte er, als er sich neben sie setzte. »Nun, für die Verständigung reicht es.« Er ließ den Wagen an. »Ich bin jedes Jahr für ein paar Wochen in Frankreich, meistens in Nizza oder in der Bretagne.«

»Warst du auch schon in Paris?«

»Schon mehrmals! Eine traumhafte Stadt.« Rainer begann, von Paris zu schwärmen, als würde er es tatsächlich wie seine Westentasche kennen, dabei war er erst ein einziges Mal dort gewesen.

»Ich würde auch gern reisen«, bekannte Silvia. »Wie gern würde ich mal nach New York fliegen oder nach London!« Sie seufzte auf. »Leider haben meine Eltern kein Verständnis dafür. Mein Vater hat mir schon als Kind ständig gesagt: Bleibe im Land und nähre dich redlich!« Sie hob die Schultern. »Weder meine Mutter noch mein Vater wurden jemals von Fernweh gepackt.«

»Ich würde dir gern all die Orte zeigen, an denen ich schon gewesen bin«, sagte Rainer Möhle. »Auch wenn ich in Deutschland geboren bin, daheim bin ich auf der ganzen Welt.« In seiner Stimme lag nur eine winzige Spur von Überheblichkeit, als er hinzufügte: »Ich kann es mir zum Glück leisten, mal hier, mal dort ein paar Wochen zu verbringen.«

»Du musst mir davon erzählen«, bat sie beeindruckt.

Er fuhr auf den Parkplatz eines teuren Restaurants. »Vor dem Kino sollten wir noch eine Kleinigkeit essen, Silvia.« Zärtlich legte er die Hand auf ihr Knie. Obwohl der jungen Frau die Berührung nicht unangenehm war, hätte sie seine Hand gern abgeschüttelt, was sie selbst nicht verstehen konnte.

Rainer hatte einen Tisch bestellt. Galant rückte er für Silvia den Stuhl, bevor er die Kerze auf dem Tisch anzündete. Als der Ober mit der Weinkarte kam, fragte Rainer sie, was sie gern für einen Wein trinken würde. Silvia wagte noch nicht, ihm zu sagen, dass sie sich weder aus Wein noch aus Bier etwas machte, und so stand schon kurz darauf ein Glas Weißwein vor ihr auf dem Tisch.

»Mögen diesem schönen Abend noch viele folgen!«, wünschte Rainer, als sie einander zuprosteten.

Silvia nippte an dem Wein. Er schmeckte ihr sogar, was sie überraschte.

»Und?« Rainer sah sie erwartungsvoll an.

»Er ist gut.«

»Das will ich bei diesem Preis auch meinen«, sagte er.

Sie wählten gedämpften Lachs mit Kartoffelgratin und Blattspinat. Als Nachtisch schlug Rainer einen flambierten Obstsalat vor.

Silvia war mit allem einverstanden. Sie kam sich in diesem Restaurant, so sehr sie auch sein Ambiente genoss, ein wenig deplatziert vor und befürchtete, sich nicht richtig zu benehmen.

Rainer spürte ihre Unsicherheit, die ihm sehr entgegenkam. Selten konnte er ein Madel so leicht beeindrucken. Er erzählte von seinen Erfolgen im Beruf, seinen Aufstiegschancen und sprach von Reisen und den Plänen, die er noch hatte.

Nach dem Essen gingen sie ins Kino. Der Film interessierte Silvia nicht sonderlich, aber es genügte ihr, neben Rainer zu sitzen und zu wissen, dass er sich diesen Abend für sie freigehalten hatte, statt sich mit seinen Freunden zu treffen.

»Wetten, dass mich alle Welt um das schöne Madel an meiner Seite beneidet?«, flüsterte er ihr zu und hauchte ihr einen Kuss in den Nacken.

»Die Leute«, mahnte Silvia verlegen.

»Um die müssen wir uns net kümmern«, meinte er und strich sanft über die Innenfläche ihrer Hand. »Nur wir beiden zählen, du und ich.« Seine Hand glitt über ihren Schenkel.

Silvia hielt den Atem an. Bis zu diesem Abend hatte sie keinen Burschen derartige Freiheiten zugestanden. Rainer und sie kannten sich kaum, auch wenn sie in den letzten Tagen oft miteinander telefoniert oder SMS getauscht hatten. Es fiel ihr schwer, ruhig sitzen zu bleiben.

Es ging auf elf zu, als sie aus dem Kino kamen. Arm in Arm gingen sie ein Stück am Ufer des Forggensees spazieren. Hier fühlte sich Silvia wohler als im Kino. Als Rainer stehen blieb, um sie zu küssen, hatte sie nichts dagegen.

»Nicht auszudenken, wenn wir uns net kennengelernt hätten«, meinte Rainer und hielt sie so fest im Arm, als befürchtete er, sie könnte sich von ihm losreißen. Erneut küsste er sie. Dieses Mal erwiderte sie seinen Kuss, doch als er seine Hand in ihren Ausschnitt gleiten ließ, erstarrte sie.

Rainer gab sie frei. »Ich wollte dich net bedrängen, Silvia«, sagte er und ließ zwei Finger liebevoll über ihre Wange wandern.

»Du darfst mir net böse sein«, bat sie. »Bisher hat mich noch keiner so berührt. Net, dass es mir net gefallen würde …«

»Wir haben Zeit«, versprach er. »Mach dir darum keine Gedanken!« Er küsste sie auf die Wange. »Genießen wir unser Zusammensein. Ich hab schon lange net mehr so einen schönen Abend verbracht.«

Silvia schmiegte den Kopf an seine Schulter. »Hast du … hast du eine Freundin?«, fragte sie zaghaft.

Er blieb erneut stehen. »Silvia, meinst du wirklich, ich würde mich dann mit einer anderen treffen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Entschuldige.«

»Du musst dich net entschuldigen.« Er legte den Arm um ihre Taille. »Bis vor ein paar Wochen hatte ich tatsächlich eine Freundin. Das heißt, sie war für mich weit mehr als eine Freundin. Ich wäre für Tina durchs Feuer gegangen. Insgeheim plante ich längst unsere Zukunft. Woher hätte ich wissen sollen, dass sie mich die ganze Zeit hintergeht?« Sein Gesicht spiegelte eine Trauer wider, die er nicht empfand. Doch das ahnte Silvia nicht. »Eines Abends kam ich früher als erwartet von einem Kundenbesuch heim und fand sie in den Armen meines besten Freundes.«

»So bist du doppelt betrogen worden«, meinte Silvia mitfühlend. »Es muss schrecklich für dich gewesen sein.«

»Ich hab lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen«, behauptete er. »Du bist das erste Madel, mit dem ich seit damals wieder zusammen bin. Während der letzten Wochen hab ich viel zu viel gearbeitet. Nun, das wird sich ändern. Wir sollten uns so oft wie möglich sehen.«

»An mir soll’s net liegen«, versprach Silvia. Sie fragte sich, wie man einen Mann wie Rainer Möhle betrügen konnte. Manche Frauen wussten ihr Glück wirklich nicht zu schätzen. Und anstatt dieses Glück festzuhalten … Nein, sie konnte diese Tina nicht verstehen.

Kurz nach Mitternacht brachte Rainer sie nach Geroldskirchen zurück. Da um diese Zeit kein Bus mehr fuhr, war Silvia damit einverstanden gewesen. Zudem gingen ihre Eltern meist früh ins Bett und schliefen vermutlich längst.

»Danke für den wunderbaren Abend, Rainer«, sagte sie, als sie vor der Haustür voneinander Abschied nahmen. Sie spürte nicht die geringste Müdigkeit in sich. Nie zuvor hatte sie sich so leicht und unbeschwert gefühlt.

»Ich muss dir danken, Silvia.« Er nahm sie in die Arme, und sie küssten sich ein letztes Mal. »Und nun solltest du hineingehen, sonst stehen wir noch morgen früh hier.« Er zwinkerte ihr zu. »Das würde deinen Eltern gewiss net gefallen.«

»Schlaf gut!« Silvia ließ ihre Hand leicht über seinen Arm gleiten, drehte sich um, öffnete die Haustür und trat eilig in die Diele. Mit einem wehmütigen Lächeln warf sie ihm noch einen Luftkuss zu, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Statt jedoch sofort nach oben zu gehen, blieb sie stehen und lauschte auf das Geräusch seines Wagens.

»Auch schon da?« Die Neuberger-Kathi kam im Morgenrock aus der Wohnstube.

Silvia zuckte heftig zusammen. »Ich bin gerade heimgekommen. Der Rainer hat mich gebracht, weil es um diese Zeit keinen Bus nach Geroldskirchen gibt.«

Die Bäuerin blickte ihre Tochter nachdenklich an. Ihre leicht geröteten Wangen und der Glanz in Silvias Augen entgingen ihr nicht. »Werdet ihr euch wiedersehen?«, fragte sie.

»Nächsten Samstag.« Silvia wandte sich der Treppe zu. »Hast du etwas von Rosi gehört?«, erkundigte sie sich, bevor sie die Stufen hinaufstieg.

»Ja, sie hat vor drei Stunden angerufen. Ihrer Mutter geht’s ein bisserl besser. Mit ein wenig Glück wird ihr Schlaganfall auch ohne schwerwiegende Folgen bleiben.«

»Ich hab vor, Rosis Mutter morgen zu besuchen«, sagte Silvia.

»Ich werde mitkommen«, versprach Kathi Neuberger. Sie gähnte. »Höchste Zeit fürs Bett.« Hinter ihrer Tochter stieg sie die Treppe hinauf.

Silvia konnte lange nicht einschlafen. Mit hinter dem Kopf verschränkten Händen blickte sie zur Decke hinauf, wo das durch das Fenster fallende Mondlicht bizarre Schatten zauberte. Konnte es Liebe sein, was sie für Rainer empfand? Sie war sich nicht sicher. Sie wusste nur, dass es sie glücklich machte, mit ihm zusammen zu sein.

***

Am Montag fuhr Silvia mit Traktor und Anhänger zum Lagerhaus, um Saatgut abzuholen. Während der Anhänger beladen wurde, ging sie zu dem Imbiss, der sich gleich neben dem Lagerhaus befand, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Zu ihrer Überraschung sah sie dort auch den Nadler-Thorsten sitzen. Er starrte düster in ein Glas Mineralwasser.

»Hallo, Thorsten«, grüßte sie den jungen Burschen.

Er drehte sich ihr zu. Sein schmales Gesicht erhellte ein flüchtiges Lächeln. »Wie schön, dich zu sehen!«, meinte er. »Wenn du ein bisserl Zeit hast, setz dich zu mir!«

»Ich hol Saatgut ab. Der Anhänger wird gerade beladen.« Silvia holte sich eine Tasse Kaffee am Tresen und setzte sich Thorsten gegenüber. »Ist mit dir alles in Ordnung? Du schaust aus, als könntest du etwas Aufmunterung gebrauchen.«

»Das könnte ich in der Tat«, gab er unumwunden zu. »Manchmal könnte ich mit dem Teufel raufen. Dabei hab ich eigentlich keinen Grund dazu. Ich sollte froh und dankbar sein, auf dem Hof meines Onkels zu leben, ein Dach über den Kopf zu haben und eine Arbeit.«

»Manchmal ist das net alles«, meinte Silvia und dachte daran, wie gern sie mal alles hinter sich lassen würde, um ein völlig anderes Leben zu führen.

»Es ist auch net alles«, sagte Thorsten. Er leerte sein Glas, stand auf und holte sich ebenfalls eine Tasse Kaffee. »Ich hab dir ja erzählt, wie viele Pläne mein Vater und ich hatten. Unter anderem wollten wir uns ein Hühnermobil anschaffen.«

»Hühnermobil?« Silvia hob die Augenbraunen.

»Das ist ein beweglicher Hühnerstall«, erklärte er, und während er weitersprach, röteten sich seine Wangen vor Eifer. »Diese Hühnermobile gibt’s seit einigen Jahren. Wer sie erfunden hat, weiß ich net, jedenfalls muss er ein großer Tierfreund gewesen sein. In einem Hühnermobil leben zweihundertzwanzig Hühner in Freilandhaltung. Das Mobil kann alle vierzehn Tage umgesetzt werden. Das heißt, du brauchst etwa sechs eigene oder gepachtete Wiesen, die mit ebenfalls transportablen Zäunen eingezäunt werden. Wenn sich das Mobil frühmorgens öffnet, strömen die Hühner auf die Wiese und kehren zur Schlafenszeit zurück.

Innen ist es so eingerichtet, dass es einen Schlafbereich gibt und einen Bereich, in dem die Eier gelegt werden. Man muss sie nur noch einsammeln.«

»Klingt interessant«, meinte Silvia. »Du solltest dich unbedingt mal mit meinem Vater darüber unterhalten, der ist an allem interessiert, was den Tierschutz in der Landwirtschaft verbessert.«

»Anders als mein Onkel und meine Vettern«, bemerkte Thorsten düster. »Neuerungen kommen für sie net infrage, schon gar net Neuerungen, die ich vorschlage. Mein Wort gilt auf dem Nadler-Hof nix.«

»Irgendwann wirst du vielleicht deinen eigenen Hof haben, Thorsten.«

»Da müsste schon ein Wunder geschehen.« Er rührte in seiner Tasse. »Wir hatten einen sehr schönen Hof. Meine Eltern haben jeden Cent, den sie erübrigen konnten, in seinen Ausbau gesteckt. Und … Zuerst ist Brandstiftung vermutet worden. Später kam heraus, dass der Brand durch einen Kurzschluss ausgebrochen ist, an dem mein Vater die Schuld trug. Meine Eltern sind von ihm im Schlaf überrascht worden. Sie sind erstickt … Ich war bei einem Freund in München und hab erst am nächsten Morgen davon erfahren.«

»Wo immer deine Eltern nun sein mögen, sie werden froh darüber sein, dass dir nix passiert ist«, versuchte Silvia, ihn zu trösten.

»Danke, Silvia.« Er drückte ihre Hand.

Sie fühlte ein tiefes Gefühl der Zuneigung. Es überraschte und erschreckte sie zugleich. »Ich sollte gehen. Mein Vater wird sich schon fragen, wo ich bleib.« Sie stand auf. »Wir sehen uns morgen bei der Chorprobe.«

»Ich freue mich drauf«, sagte er und stand ebenfalls auf. »Höchste Zeit, auf den Hof zurückzukehren.« Bitter fügte er hinzu: »Es gehört sich net für einen Knecht, seine Zeit mit Kaffeetrinken zu vertrödeln.«

Silvia kehrte zu ihrem Traktor zurück. Auf dem Anhänger standen die Säcke mit dem Saatgut. Sie ging zum Büro, um die nötigen Papiere zu unterschreiben. Durch das Fenster sah sie, wie Thorsten vom Hof fuhr.

Auf dem Neuberger-Hof wurde sie bereits von ihrem Vater und dem Knecht erwartet. Gemeinsam luden sie das Saatgut ab. »Ich hab den Nadler-Thorsten getroffen«, erzählte sie. »Er kann einem wirklich leidtun.«

»Nun, ich denke, er hatte großes Glück, von seinem Onkel aufgenommen zu werden«, erwiderte der Bauer bedächtig. »Immerhin hat der Nadler noch zwei eigene Söhne.«

»Er wird auch mehr einen Knecht als einen Ziehsohn in dem Thorsten sehen«, meinte Silvia.

»Der Nadler soll seinen Neffen ganz schön rannehmen«, mischte sich Hansel ein. »Alle Arbeiten, für die sich die Nadler-Söhne zu fein sein, werden dem Thorsten aufgehalst.«

»Ich bin mit dem Nadler stets gut ausgekommen, und ich denk net daran, mich in seine Familienangelegenheiten zu mischen«, sagte Jakob Neuberger. »Außerdem ist der Thorsten alt genug, selbst mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.«

Silvia lachte auf. »Keiner verlangt von dir, dass du dich einmischst, Vater«, erwiderte sie. »Was dem Thorsten auch gewiss net recht wäre.« Sie hob mit dem Hansel den letzten Futtersack vom Anhänger. »Nein, er hat mir von den Plänen erzählt, die er hatte und gewiss auch noch hat.« Das Madel berichtete von dem Hühnermobil, von dem ihm Thorsten erzählt hatte. »Ich denk, so was ist eine feine Sache.«

»Ja, das ist net abzustreiten«, stimmte ihr Vater zu. »Bisher hab ich net mal gewusst, dass es so was gibt. Das wird auch deine Mutter interessieren.«

»Du denkst, ein Hühnermobil käme auch für uns infrage?«

»Es würde uns einige zusätzliche Einnahmen verschaffen.« Silvias Vater kratzte sich am Kinn. »Abnehmer für die Eier hätten wir gewiss genügend. Denk nur an die umliegenden Hotels! Sie könnten ihren Gästen Eier aus Freilandhaltung bieten, die vor Ort produziert werden, also absolut frisch sind.«

»Vielleicht solltest du mal mit dem Thorsten sprechen?«

»Nur net so schnell mit den jungen Pferden!« Der Bauer legte eine Hand auf Silvias Schulter. »Ich werde mich mal ein bisserl kundig machen. Gewiss werde ich im Internet was über diese Hühnermobile finden.« Er ließ die Hand sinken. »Und nun sollten wir ins Haus gehen. Die Mutter wird schon mit dem Essen warten.«

»Darf ich dem Thorsten sagen, dass du dich für die Hühnermobile interessierst?«, fragte Silvia.

»Was sollte ich dagegen haben?« Der Neuberger-Jakob sah seine Tochter nachdenklich an. »Dir scheint was an dem jungen Burschen zu liegen?«

»Ich finde ihn halt nett«, sagte Silvia und verließ vor ihrem Vater die Scheune. Der Hansel war bereits im Haus verschwunden. Nein, ich finde den Thorsten net nur nett, ich hab ihn sogar von Herzen gern, ging es ihr durch den Kopf. Sie freute sich darauf, ihn bei der nächsten Chorprobe wiederzusehen.

***

Die Chorprobe verlief besser als alle erwartet hatten, was besonders am Nadler-Thorsten lag, der mit seiner Begeisterung fürs Singen alle mitriss. Beim Singen verlor er seine Zurückhaltung und ging so richtig aus sich heraus. Man musste ihn einfach gernhaben und so fiel es nicht weiter auf, als sich er und Silvia während der Pause miteinander unterhielten.

Nachdem sie erst über das Stück, das sie probten, gesprochen hatten, sagte Thorsten: »Ich hab am Samstag Geburtstag. Meine Tante wird Kuchen backen, und es gibt Kaffee. Sie hat mir gesagt, dass ich jemanden einladen könnte und … Nun, da dachte ich an dich.«

»Du lädst mich zu deinem Geburtstag ein?« Silvia schenkte ihm ein Lächeln. »Danke, das ist lieb von dir. Leider hab ich am Samstag schon etwas vor. Ich bin in Füssen mit meinem Freund verabredet.«

Er blickte zu Boden. »Schade«, meinte er.

»Ja, das ist wirklich schade, denn ich wäre gern gekommen.« Das entsprach durchaus der Wahrheit. Nach wie vor fühlte sich Silvia in Thorstens Gesellschaft wohl. Er strahlte Ruhe und Verlässlichkeit aus. Mit ihm zusammen musste man nicht mal in finsterster Nacht um sein Leben bangen.

»Ich könnte meine Tante bitten, meine Geburtstagsfeier auf den Sonntag zu verlegen.«

»Hoffentlich ist sie damit einverstanden! Sonntag hab ich Zeit, und wie gesagt, ich komme gern, Thorsten.«

»Danke.« Seine Augen strahlten auf.

»Ich hab übrigens meinem Vater von dem Hühnermobil erzählt«, sagte Silvia, um das Thema zu wechseln. Seine offensichtliche Freude über ihre Zusage machte sie verlegen. »Er wird sich bestimmt mal mit dir darüber unterhalten wollen.«

»Lehnt er denn net Neuerungen von vornherein ab?«

»Das hat er noch nie getan.«

»Haltet ihr Hühner?«

»Ja, etwa zwanzig. Sie sind die Domäne meiner Mutter.«

»Sag deinem Vater, dass es mir eine Ehre wäre, mich mit ihm zu unterhalten«, bat Thorsten. »Es ist schön, Menschen kennenzulernen, die auch mal die eingefahrenen Gleise verlassen.«

»Und sich ins Abenteuer stürzen?«

»Alles Neue ist erst mal mehr oder weniger ein Abenteuer«, sagte der junge Bursche, »und es kostet Mut, den ersten Schritt zu tun.« Er drückte ihre Hand.

»Wir machen weiter!«, rief die Chorleiterin.

Thorsten kehrte auf seinen Platz zurück, und Silvia ging zu Andrea, die sich unterdessen mit dem Sohn des »Lamm«-Wirtes unterhalten hatte.

»Spinnt sich da was zwischen euch an?«, fragte sie leise und sah Silvia amüsiert an. »Er passt besser zu dir als dein Rainer Möhle.«

»Unsinn«, wehrte Silvia ab. »Ich unterhalt mich halt gern mit dem Thorsten. Warum sollten wir net miteinander befreundet sein? Petra würde zwar sagen, dass es zwischen Frauen und Männern keine richtige Freundschaft geben kann, aber das ist nix als ein Vorurteil.«

»Wollen wir hoffen, dass sich dein Thorsten net mehr von eurer Freundschaft verspricht«, meinte die Freundin. »Sei vorsichtig, Silvia!«

Da muss ich net vorsichtig sein, wollte sie antworten, doch die Musik setzte ein. Für eine weitere Unterhaltung blieb keine Zeit, und sie musste sich voll auf ihren Text und die Melodie konzentrieren. Trotzdem bemerkte sie, wie Thorsten ihr ab und zu einen Blick zuwarf. Möglicherweise war Andreas Warnung nicht so aus der Luft gegriffen. Vielleicht sollte sie Thorsten gegenüber etwas zurückhaltender sein. Wollte sie das überhaupt? Sie war sich da gar nicht so sicher, und sie gestand sich ein, dass sie sich auf den Sonntag freute.

Kurz vor zehn Uhr endete die Probe. Lachend und scherzend verließen die Chormitglieder das Gemeindehaus. Thorsten verabschiedete sich von Silvia. »Tschüss, bis zum Sonntag«, sagte er.

»Ja, bis zum Sonntag«, antwortete Silvia.

Er winkte ihr zu und ging zu seinem Fahrrad, das auf der anderen Seite des Parkplatzes stand.

»So, so, bis zum Sonntag«, bemerkte Andrea, als sie sich in den Wagen setzten.

»Thorsten hat mich zu seinem Geburtstag eingeladen.«

»Ich höre schon die Hochzeitsglocken«, scherzte Andrea. »Warum net? Er …«

»Nix Hochzeitsglocken«, wehrte sich Silvia. »Meine Zukunft heißt Rainer Möhle.«

»Der Himmel bewahr dich davor!« Andrea fuhr auf die Straße hinaus.

Silvia antwortete ihr nicht. Sie dachte an ein Paar stahlblauer Augen und eine einschmeichelnde Stimme, die ihr Koseworte zuflüsterte. Selbst bei ihren Telefonaten und wenn sie SMS miteinander tauschten, versicherte ihr Rainer ein ums andere Mal, wie sehr er sie begehrte. Es konnte nur Liebe sein. So unwahrscheinlich es ihr manchmal auch erschien, denn sie waren ja erst ein einziges Mal miteinander ausgegangen. Rainer erschien ihr als der beste Beweis dafür, dass es tatsächlich Liebe auf den ersten Blick gab.

Und was empfinde ich für Rainer?, dachte sie. Es schmeichelte ihr, wenn er sie mit Koseworten bedachte, wenn er ihr sagte, wie sehr er sie begehrte. Aber wo blieben diese berühmten Schmetterlinge, von denen sie schon so oft in Liebesromanen gelesen hatte? Wenn sie sich berührten, wenn sie sich küssten, empfand sie zwar ein angenehmes Kribbeln, doch das verging genauso schnell, wie es gekommen war. Sie sehnte sich nicht danach, Tag und Nacht mit ihm zusammen zu sein.

Andererseits, wenn er von all den Reisen sprach, die er schon gemacht hatte, von den berühmten Leuten, die er kannte, von seinen Aufstiegschancen, dann spürte sie das heftige Verlangen, daran teilzuhaben. Sie wollte mit ihm durch die Welt reisen, wollte Premieren besuchen und Leuten vorgestellt werden, die sie bisher allenfalls aus dem Fernsehen kannte.

»Schläfst du, Silvia?«, fragte Andrea.

Das Madel schreckte auf. »Nein, ich hab nur nachgedacht.«

»Das tut manchmal ganz gut«, bemerkte Andrea. Sie hielt im Hof der Neubergers.

Silvia stieg aus. »Komm gut heim!«, wünschte sie. »Und schlaf gut!«

»Du auch!« Andrea winkte ihr zu und fuhr auf die Straße zurück.

Silvia betrat das Haus. Leise stieg sie die Treppe hinauf. Statt jedoch gleich zu Bett zu gehen, setzte sie sich auf den Balkon ihres Zimmers und starrte in die mondhelle Nacht.

***

»Ich hab mir gedacht, dass wir den heutigen Abend bei mir daheim verbringen«, sagte Rainer Möhle, nachdem er Silvia mit einem zärtlichen Kuss in die Arme geschlossen hatte. »Ich hab für uns gekocht und erwarte zitternd dein fachmännisches oder vielmehr fachfrauliches Urteil.« Erwartungsvoll sah er sie an. »Oder ist’s dir net recht, mein bescheidenes Heim kennenzulernen? Wir können natürlich auch in ein Restaurant gehen.«

Es war Silvia alles andere als recht, schon beim zweiten Treffen mit in Rainers Wohnung zu gehen. Immerhin lebte er völlig allein. Sein Angebot, in einem Restaurant zu essen, ehrte ihn, aber nachdem er sich so viel Mühe mit dem Essen gegeben hatte, konnte sie es nicht annehmen.

»Ich probier gern aus, was du für uns gekocht hast«, sagte sie. »Davon abgesehen überrascht es mich, dass du kochen kannst. Das hätte ich net erwartet.«

»So wird es für mich allerhöchste Zeit, dich von all meinen Qualitäten zu überzeugen«, erwiderte er.

Rainers Wohnung lag in einem Mehrfamilienhaus in der Nähe eines Parks. Er fuhr in die Tiefgarage und nahm aus dem Kofferraum zwei in rotes Papier verpackte Weinflaschen. »Ich hatte net den richtigen Wein für unser Essen«, erklärte er. »Deshalb hab ich noch schnell zwei Flaschen eines ausgezeichneten Weißburgunders besorgt.«

»Du hast sicher net vergessen, dass ich kaum was trinke«, erwiderte Silvia. Sie nahm ihm eine der Weinflaschen ab. »Und für dich allein sind zwei Flaschen wohl etwas viel.«

»Eine Flasche kommt in mein Weinregal. Da ich öfters Gäste hab, wird sie dort gewiss net alt.« Er drückte auf den Rufknopf des Aufzugs.

Gemeinsam fuhren sie in den vierten Stock hinauf. Rainer hatte ihr schon vor einer Woche so viel von seiner Wohnung erzählt, dass Silvia gespannt darauf war, ob er tatsächlich so luxuriös lebte, wie er vorgab.

Er hatte ihr nichts vorgemacht. Nie zuvor hatte sie so eine elegant eingerichtete Wohnung gesehen. Es fiel ihr schwer, ihm nicht zu zeigen, wie sie die teure Einrichtung beeindruckte und gleichzeitig erschreckte. Woher nahm Rainer das Geld, sich ein derartiges Leben leisten zu können? Verdiente man als Versicherungsvertreter wirklich so viel?

»Na, wie gefällt dir mein Reich?«, fragte er, nachdem er sie durch die Wohnung geführt hatte. Die Dachterrasse zeigte er ihr noch nicht. Ein Blick nach draußen blieb ihr durch die Vorhänge vor den bodenlangen Fenstern verwehrt.

»Ich bin mir net sicher«, gab sie ehrlich zu. »Deine Wohnung gefällt mir, allerdings weiß ich net, ob ich so leben wollte. Bei dir muss man ja Tag und Nacht Angst davor haben, etwas schmutzig zu machen oder versehentlich einen Stuhl zu verrücken.«

»Das wirkt nur so auf dich, weil du auf einem Bauernhof groß geworden bist, wo man ein ganz anderes Lebensgefühl kennt als in meiner Welt.« Er legte den Arm um ihre Schultern. »Du wirst sehen, wie schnell man sich an ein bisserl Luxus gewöhnen kann.« Er nahm ihre Hände. »Ich würde gern der Mann sein, der dir zeigt, wie schön das Leben außerhalb von Schweinen- und Kuhställen sein kann.«

Seine Worte wirkten auf sie wie eine Ohrfeige, obwohl sie ahnte, dass er sie nicht kränken wollte. Sie entzog ihm ihre Hände. »Wenn du meinst, meine Familie und ich würden im Dreck leben, so irrst du dich gewaltig«, sagte sie zornig.

»Silvia, es tut mir leid.« Rainer machte ein zerknirschtes Gesicht. »Glaub mir, ich hab net für eine Sekunde angenommen, ihr würdet im Dreck leben. Ich meine nur, auf einem Bauernhof kann es nie so sauber sein wie in einer Stadtwohnung. Das liegt in der Natur der Sache und …«

Silvia legte einen Finger auf seine Lippen. »Mach’s net noch schlimmer«, warnte sie. »Meine Familie hat keinen Grund, sich zu verstecken. Wir sind stolz darauf, seit Generationen den Neuberger-Hof zu bewirtschaften und im Gegensatz zu vielen Stadtfamilien völlig unabhängig zu sein. Bis auf wenige Dinge könnten wir alles, was wir zum Leben brauchen, selbst produzieren.«

Sie hob das Kinn und tippte mit dem Finger gegen seine Brust. »Kannst du das auch von dir behaupten?« Ihre Lippen umspielte ein ironisches Lächeln, als sie hinzufügte: »Selbst dein Frühstücksei musst du kaufen.«

Rainer ließ die Schultern hängen. Er wirkte noch immer zerknirscht. »Was soll ich tun, um meinen Fehler gutzumachen? Soll ich bei Vollmond einen schwarzen Kater opfern?«

»Untersteh dich!« Sie wies zu dem übergroßen, gerahmten Foto seines Maserati, das an der Wohnzimmerwand hing. »Statt des Katers kannst du ja deinen Wagen opfern.«

Er riss in spielerischem Entsetzen die Augen auf. »Das ist, als würdest du mein Leben fordern.«

Silvia musste lachen. »Wenn dir dein Leben so wenig wert ist …« Sie konnte ihm nicht böse sein. »Streiten wir uns net!«, meinte sie.

»Das ist ein Wort.« Er schloss sie in die Arme.

Silvia gab sich seinem Kuss hin, wenngleich in ihrem Herzen Zweifel aufkamen, ob Rainer wirklich der Mann war, mit dem sie glücklich werden konnte. Schätzte er Bauern wirklich so gering, wie seine Worte vermuten ließen? Wie sollte er da jemals ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern finden?

Rainer ging zur Fensterfront. Er drückte auf einen verborgenen Schalter. Wie von Geisterhand glitten die Vorhänge zurück und gaben den Blick auf die Dachterrasse der Wohnung frei. »Nun, was sagst du?« Erwartungsvoll drehte er sich zu ihr um.

Silvia trat schweigend an die offene Terrassentür. Ihr Zorn verflog. Wie in Trance setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie die Terrassenbrüstung erreicht hatte. »Von hier schaut’s aus, als wäre Neuschwanstein in greifbarer Nähe«, sagte sie andächtig und blickte zum Schloss hinauf.

»Genau das empfand ich auch, als ich die Wohnung gekauft hab«, erwiderte er und legte von hinten die Hand auf ihre Schulter.

»Du hast sie net nur gemietet?« Sie drehte ihm ihr Gesicht zu.

»Eine Wohnung mieten ist nix Halbes und nix Ganzes«, behauptete er. »Jeder, der es sich leisten kann, sollte lieber etwas mehr investieren und eine Wohnung kaufen.«

Und wie hast du sie finanziert?, hätte sie gern gefragt, doch die Höflichkeit gebot ihr zu schweigen. »Deine Eltern müssen sehr stolz auf dich sein«, meinte sie.

»Ich hab schon lange keinen Kontakt mehr zu ihnen«, gestand Rainer. »Mein Vater ist Lehrer an einem Münchener Gymnasium, meine Mutter leitet eine Musikschule. Sie konnten nie verstehen, dass ich mehr wollte als ein Leben, wie sie es führen.« Er wies zu dem gedeckten Tisch auf der anderen Seite der Terrasse. Silvia war so von dem Ausblick auf Neuschwanstein gefangen gewesen, dass sie ihn nicht bemerkt hatte.

»Du verstehst es, einen Tisch zu decken«, meinte sie und bewunderte, wie sich das Kerzenlicht in den Gläsern und auf dem feinen elfenbeinfarbenen Geschirr spielte.

»Ich hab öfters Geschäftsfreunde und Kunden zu Gast«, erwiderte Rainer Möhle. »Wenn du in meinem Job etwas erreichen willst, musst du auch ein perfekter Gastgeber sein.« Er schenkte Sekt ein. »Trinken wir auf uns beide! Danach verschwinde ich in der Küche. Da ich alles vorbereitet hab, dauert’s net lange, bis wir essen können.«

»Ich würde dir gern helfen«, bot Silvia an.

»Nein, du bist mein Gast.« Er drückte ihr ein Sektglas in die Hand. »Danke, dass du gekommen bist.«

Silvia nippte an dem Sekt. Er schmeckte ausgezeichnet. Wenn das so weitergeht, finde ich noch Gefallen daran, ab und zu einen Schluck zu trinken, dachte sie. Nur wollte sie das überhaupt?

Rainer verwöhnte sie mit einem ausgezeichneten Essen. Silvia vermutete allerdings, dass er es nicht selbst gekocht hatte, obwohl er es behauptete, sondern es aus einem Restaurant hatte kommen lassen. Sie nahm ihm das nicht übel, auch wenn sie sich fragte, weshalb er sie da anlügen musste. Aber nach einem Glas Weißburgunder stellte sie sich auch derartige Fragen nicht mehr. Eng umschlungen tanzten sie unter dem Sternenhimmel nach Musik von Vangelis. Ihre Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Von einer unsichtbaren Macht getragen, schwebte sie durch Zeit und Raum.

Rainer führte sie an den Tisch zurück. »Trinken wir noch einen Schluck!« Er schenkte ein.

»Nein, ich mag nix mehr trinken«, sagte Silvia. »Mir ist schon jetzt ganz anders. Ich hab Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich vertrage keinen Alkohol.«

»Das ist net so schlimm. Du musst ja net fahren. Ich bringe dich später heim.«

»Mir ist schwindlig.« Silvia hielt sich an ihrem Stuhl fest.

»Du solltest dich ein bisserl hinlegen.« Rainer legte den Arm um ihre Taille. »Komm, ich zeig dir, wo du dich ausruhen kannst! Wenn du magst, mach ich dir einen Kaffee.«

»Kaffee wäre net schlecht.«

Silvia ließ sich von ihm durch das Wohnzimmer führen. Sie überquerten den Gang und betraten einen ganz in Schwarz und Elfenbein gehaltenen Raum. Er brachte sie zu dem großen Bett, das einen Großteil des Zimmers einnahm.

»Ich will net schlafen«, wehrte Silvia ab. »Nach einem Kaffee wird’s mir schon bald besser gehen.« Sie setzte sich aufs Bett. Wieso war ihr so schwindlig? Es fiel ihr schwer, die Augen offen zu halten.

»Ich helf dir, mein Schatz.« Behutsam begann Rainer, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Seine Finger umfassten ihre Brust. Er beugte sich ihr zu und fing an, sie zu liebkosen, während er mit der rechten Hand unter ihren Rock griff.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich Silvia bewusst wurde, was er wollte. Schlagartig wurde sie nüchtern. »Lass das!«, stieß sie hervor und schob ihn zur Seite. Sie sprang auf und versuchte eilig, die Knöpfe ihrer Bluse zu schließen.

Rainer packte sie bei der Schulter. »Du willst es doch auch!«

»Nix will ich!« Sie trat einen Schritt zurück. »Ruf mir ein Taxi!« Ihre Augen blitzten vor Wut. »War das dein Plan?«, fragte sie. »Wolltest du mich betrunken machen, um leichtes Spiel zu haben?«

»Von einem Glas Sekt und einem Glas Wein kann man unmöglich betrunken sein«, konterte er und ließ sie los. »Hätte ich gewusst, was für eine Zicke du bist, ich hätte einen weiten Bogen um dich gemacht. Willst du mir wirklich erzählen, dass du es net längst mit einigen der Burschen in deinem Dorf getrieben hast?«