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Zwei Brüder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, eine verlorene Generation von Drachenkindern und eine große Bestimmung.
Jahrelang strich die Magie der Geister durch die prachtvollen Wälder Erriadas und ließ die Herzen der jungen Menschen vor Furcht erstarren — bis der siebzehnjährige Joshi den Zweck des Zaubers erkannte. Gemeinsam mit seinem Bruder Marcin bricht er auf, um das Schicksal ihres Volkes in die Hände der fremdartigen Wesen zu legen. Beiden ist klar, dass sie eher den Tod als Vergebung finden werden.
Für Joshi ist es eine Entscheidung zwischen früher und später, denn wie seiner Heimat bleibt ihm nur wenig Zeit. Doch das dem Untergang geweihte Land verbirgt noch viele Geheimnisse und auch Joshis Schicksal ist längst nicht so klar, wie es zunächst scheint. Seine einzigartige Magie macht ihn alles andere als hilflos — und ist womöglich der Auslöser für den furchtbaren Konflikt, der in tiefster Vergangenheit an einem fernen Ort begann und Joshis Lebensweg mit der Zukunft des gesamten Weltengefüges verknüpft.
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Die Fantasy-Reihe Der Weg des Heilers erzählt ein Märchen für Erwachsene. Darin erwarten dich zauberhafte Welten mit Bäumen als Behausungen, vielschichtige Hauptpersonen und die liebenswert-nervigsten Haustiere des Weltengefüges.
Gemeinsam mit den jugendlichen Protagonisten träumst du dich in das Staunen und den Zauber deiner Kindheit zurück, folgst Joshi und Marcin auf ihrer gefährlichen Reise, die sie zu den tiefsten Geheimnissen des Weltengefüges führen wird, und erlebst dabei ein spannendes Abenteuer voller Magie und Drachen.
Eine Bemerkung zur Struktur der Reihe:
Bei In den Tiefen der Ewigkeit handelt es sich um Band 2 der Reihe.
Falls du handlungsgetriebene Spannung mit klaren Fronten bevorzugst, kannst du direkt mit diesem Band in die Reihe einsteigen. Er beginnt mit einer umfassenden, in die Geschichte eingeflochtenen Zusammenfassung, die dir die Protagonisten vorstellt und dich in die Zusammenhänge einführt.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Dancing Coons
Stürmische Verzauberung
Wintermärchen
Sommernachtsmagie
Urban-Fantasy-Serie «Sternenmagie»
Sternenstaubkind
Abschied
Verbannung
Wandelstern
Kollisionskurs
Isolation
Augenstern
Herzensband
Fantasyserie «Die Treppen der Ewigkeit»
Faya Namenlos (Prequel)
Wolf des Südens
Raghi der Schatten
Fantasyserie «Der Weg des Heilers»
Der verletzte Himmel
In den Tiefen der Ewigkeit
Bis das Eis bricht (Tantans Geschichte)
Die Nacht des Vergessens (Tantans Geschichte)
1. Auflage 2016
© 2016 Pongü Text & Design GmbH, Meilen, Schweiz
Kontakt: [email protected]
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Umschlaggestaltung: L1graphics
Bildquellen: Ficus777/Shutterstock.com
ISBN: 978-3-9524326-5-5 (eBook)
ISBN: 978-3-906868-04-2 (Print)
Personen- und Stichwortverzeichnis
1. Die Begegnung mit dem Drachen
2. Zur Burg der Geister
3. Neue Heilkräfte
4. Der erste Sonnenaufgang
5. Blutsmagie
6. Kriegsrat und Kriegserklärung
7. Das Land des Granatdrachens
8. Tjiarris Zauber
9. Mischas Kinder
10. Die Asche der Heimat
11. Fledermäuse und Höhenangst
12. Das Verstummen der Rufer
13. Heldengeschichten
14. Gegen die Zeit
15. In Gegenwart der Ewigkeit
16. Das verbrannte Land
17. Damions Geheimnis
18. Der Tod des Fremden
19. Erianns Schuld
20. Schöpfungsträume
21. Der Preis der Veränderung
22. Herrscher der Sijeridai
23. Der Schleier der Zukunft
24. Feuermale
25. Damions geheimer Epilog
Eine Bitte
Lizenzerklärung
Über Isa Day
Isas Bücher
Bisher erschienen
DIE KINDER DER ARRYA (nach Reihenfolge der Geburt)
Geborene des ersten Jahres
— Marcin Artum (Ratgeber)
— Sinjhar und Tantan Arreidas (Könige), Zwillinge
des zweiten Jahres
— (Shi)Joshi Artum (Ratgeber)
— Jenna Jinell (Heiler)
— Ilenia Barga (Weber), blind
— Sara Patri (Färber und Näher)
— Tara Inrelli (Lehrer)
— Xinea Laangaard (Bäcker/Verwalter der Vorräte)
des dritten Jahres
— Ora Ciiern (Gerber)
— Ruan Havgar (Astronomen)
— Sorel und Jorgu Enris'har (Baumeister), Zwillinge
des vierten Jahres
— Anjari Anyrai (Jäger und Fährtenleser)
— Ella Enris'har (Baumeister)
des fünften Jahres
— Lael Anyrai (Jäger und Fährtenleser)
des sechsten Jahres
— Kaya Rutyan (Fischer), das erste der «wilden Kinder»
des siebten Jahres
— Siro Sykar (Seidenspinner)
— Naje Enskrin (Glasbläser)
— Etalin Amson (Schreiner)
des achten Jahres
— Lona Tamskor (Sprachkundige)
— Naghor Aranay (Illustratoren)
— Inel Llym (Gold- und Silberschmiede)
— Lana Syrde (Handelsleute)
des neunten Jahres
— Talis Amson (Schreiner)
— Tamae Sykar (Seidenspinner)
— Estrel Rughi (Bauern)
— Myro Ta'tani (Schmiede)
— Nilo Ssorda (Seefahrer)
des zehnten Jahres
— Kitra Amson (Schreiner)
des elften Jahres
— Umo Takskjr (Erkunder)
des zwölften Jahres
— Selmina Shaintar (Töpfer)
— Riri Sionell (Hafenmeister)
— Tura Ar'huin (Mathematiker und Schatzmeister)
ERWACHSENE MENSCHEN
Artar Ar'huin (Mathematiker und Schatzmeister)—Zeitgenosse von Eriann, Großvater von Tura Ar'huin
Astor Arreidas (Könige) — Großvater von Sinjhar und Tantan, Vater von Sorar, König zur Zeit des Feuerregens
Elio Sovhar (Naturwissenschaftler und Philosophen) — historische Person; versuchte die Existenz höherer Mächte zu beweisen, was ihm nicht gelang
Elya Jinell (Heiler) — Großvater von Joshi und Marcin, Großonkel von Jenna, gestorben in der alten Heimat
Elyana Artum (Ratgeber) — Mutter von Joshi und Marcin, Tochter von Eriann, gestorben bei Joshis Geburt
Eriann Artum (Ratgeber) — Großmutter von Joshi und Marcin, Mutter von Elyana
Esrai Jinell (Heiler) — Großvater von Jenna, Großonkel von Joshi und Marcin
Harra Sovhar (Naturwissenschaftler und Philosophen) — Vater von Joshi und Marcin
Horvar Arreidas (Könige) — historische Person; erster König der Arrya, berief Inanna Artum zu seiner Ratgeberin
Ilen Shaintar (Töpfer) — bricht sich den Rücken; wird aufgrund der Gesetze der Arrya getötet
Inanna Artum (Ratgeber) — historische Person; Urmutter des Hauses Artum, erste Ratgeberin der Arrya
Iszra Leniard (ohne Berufung) — Schwester von Thel Leniard
Kira Leniard (ohne Berufung) — Mutter von Thel Leniard
Metar Inrelli (Lehrer) — Vater von Eriann Artum
Mutter Barga (Weber) — passt auf die kleinen Kinder der Arrya auf
Mutter Patri (Färber und Näher) — passt auf die kleinen Kinder der Arrya auf
Myro Inrelli (Lehrer) — Onkel von Tara Inrelli, von Baum erschlagen
Rohan Leniard (ohne Berufung) — Zeitgenosse von Eriann, Onkel von Thel Leniard
Roman Havgar (Astronomen) — Zeitgenosse von Eriann
Simaen Sionell (Hafenmeister) — bei der Flucht der Menschen vor dem Feuerregen einhundert Jahre alt, erinnert sich an die Gegebenheiten der alten Heimat
Sorar Arreidas (Könige) — Vater von Sinjhar und Tantan, gegenwärtiger König der Arrya
Sinta Ar'huin (Mathematiker und Schatzmeister) — Gefährtin von Thel Leniard, Mutter von Tura Ar'huin
Tatinka Artum (Ratgeber) — Mutter von Eriann Artum
Thar Ciiern (Gerber) — Vater von Ora Ciiern
Thel Leniard (ohne Berufung) — dem König abgeneigt
Vater Havgar (Astronomen) — Vater von Ruan Havgar, Getreuer von Sorar Arreidas
ASJADAI
Damion dia Asjadai — König der Asjadai
Isabel — Marschallin der Burg
Lukian — Ratgeber von König Damion
Mischa — einst bester Freund von Damion
Niniuk dja Asajadaia — Sohn von Damion, Prinz der Asjadai
Solrech — Wächter
Tess dje Asjadaia — Tochter von Damion, Prinzessin der Asjadai
Yonei — uralte Greisin
DRACHEN
Asjadura — Namensgeberin von Asjadu, Granatdrache, rote Schuppen, goldene Augen und Flügelspitzen
Tjiarri — Sohn von Asjadura, Saphirdrache, blaue Schuppen mit grüngoldenen Reflexen, goldene Augen
Tasjar — Gefährte von Asjadura, Smaragddrache
BEZEICHNUNGEN
Arriada —alte Heimat der Menschen, ging im Feuerregen unter
Arrya —das Volk der Menschen
Asjadai —die anderen Bewohner der neuen Heimat, von den Menschen auch Geister, weiße Schatten oder Weise genannt
Asjadu —Name der Asjadai für ihr Land, entspricht der menschlichen Bezeichnung Erriada
Baumwohnung —Behausung der Menschen, geschaffen in den Stämmen von Baumriesen mit der Zustimmung des Baums
Berufung —Aufgabe, die ein Mensch von seinen Eltern erbt; folgt im Volk der weiblichen, bei der Herrscherfamilie der männlichen Linie
Erriada —Name der Menschen für ihre neue Heimat zu Ehren von Ratgeberin Eriann Artum
Feuerregen — Naturkatastrophe, die Arriada zerstörte und die Menschen zur Flucht zwang
Frostzeit/Kaltzeit —das kalte Halbjahr, siehe auch Warmzeit
Heilerbaum —seltenerBaum, dessen Blätter und Früchte hohe Heilkraft besitzen; dienen Heilerbäume als Behausung der Menschen, interagieren sie auf liebevolle und unterstützende Weise mit ihren Bewohnern
Irrfitz — aufdringlichesHaustier, das sich seinen Besitzer selbst aussucht
Lichtschale —magisches, meist kalt brennendes Licht; von den Menschen als Beleuchtung verwendet
Lichtfeuer —magisches wärmendes Feuer; brennt lautlos und ohne Ruß
Nacht —Zeiteinheit, besteht aus einer Lichtzeit und einer Dunkelzeit/Schlafenszeit
Schwelle — das Portal zwischen zwei Welten
Sijerida — «Das Land der Liebenden», neuer Name von Erriada/Asjadu
Sijeridai — «Das Volk der Liebenden», gemeinsame Bezeichnung für Asjadai und Menschen
Verblendung —unerklärtes Ereignis in der Vergangenheit der Arrya; löste die Geschichtsschreibung der Arrya aus
Warmzeit —das warme Halbjahr, siehe auch Frostzeit/Kaltzeit
Weltengefüge —Universum, das alle verschiedenen Welten beinhaltet
Weltenwandern —aus einer Welt in eine andere wechseln
Das sterbende Land schien den Atem anzuhalten. Ein warmer toter Wind strich durch die zerzausten Wälder. Die Blüten der Bäume welkten. Ihre Blätter, die sonst violett, purpurn oder auch tiefblau leuchteten, waren von einer zähen Schicht Asche bedeckt.
Marcins Aufstieg zur Burg der Geister in den Ausläufern des Mondgebirges gestaltete sich beschwerlich. Die verbrannten Büsche verhielten sich wie stachelige Wächter. Jeder ihrer Äste schien darauf aus, seine Kleidung zu zerreißen oder ihn zu verletzen. Oft musste er einen Umweg gehen.
Marcin warf einen besorgten Blick zum Firmament, wo Millionen von Sternen um die Wette glitzerten, ganz so, als wäre nichts Schreckliches geschehen. Ihr Stand zeigte ihm, dass die Dunkelzeit bald zu Ende ging.
Rund um den Riss, der sich wie eine glühende Wunde über den Himmel zog, herrschte hektische Aktivität. Lichtgeister – Wesen, die wie Feuertropfen aussahen und Tod und Zerstörung brachten – huschten von einem Ende zum anderen. Mit jeder vergehenden Nacht wurden es mehr. Sie suchten nach einer Möglichkeit, wie sie den Riss öffnen und das Firmament endgültig aufbersten lassen konnten. Und dann würde das Land im Sonnenlicht verbrennen.
*Uns läuft die Zeit davon, Joshi*, sprach Marcin mit seinem Bruder über ihre Gedankenverbindung.
Joshi antwortete nicht. Sein Bewusstsein war dunkel und matt. Marcin fasste nach dem kleinen Körper, den er um seinen Hals gewickelt trug. Seine Hand traf auf weichen Pelz. Die Rippen hoben und senkten sich regelmäßig, wenn auch schwach.
Marcin blinzelte die drohenden Tränen weg und kämpfte sich weiter den Hang hinauf. Er erreichte die Sturzhalde einer Gerölllawine. Die große Wunde im verwüsteten Wald ermöglichte einen verhältnismäßig einfachen, aber sehr gefährlichen Aufstieg. Marcin suchte im trügerischen Gelände den direktesten Weg, während seine Muskeln bei jeder Bewegung protestierten. Überall steckten die Überreste zerborstener Bäume zwischen den großen und kleinen Steinbrocken, manche kaum länger als Dornen und somit eine stetige Gefahr für Marcins nackte Füße, andere so groß wie Speere, die jede falsche Bewegung zu seiner letzten machen konnten.
Fast hatte Marcin den Waldrand oberhalb der Abrissstelle erreicht, als ein Stolpern aus Unachtsamkeit ihn beinahe abstürzen ließ. Der Blick in die Tiefe brachte ihn zur Besinnung.
Joshi und er waren beide völlig erschöpft. Er musste einen Unterschlupf für sie finden und darauf hoffen, dass das verletzte Land eine weitere Lichtzeit überstand.
Achtsam kletterte er aus dem Steilhang in Sicherheit und prüfte seine Umgebung. Erriada war stets ein harsches und gefährliches Land gewesen, seinen Bewohnern jedoch durchaus wohlgesinnt. Ein guter Unterschlupf ließ sich immer finden, Nahrung für gewöhnlich auch. Und selbst nun, in der Zeit des Niedergangs, wurde Marcin nicht enttäuscht. Seine Sinne entdeckten nicht allzu weit entfernt eine unbewohnte Höhle.
Rasch eilte er den schroffen Hang weiter hinauf, die Äste des verbrannten Gestrüpps, die schmerzhaft an ihm und seiner Kleidung zerrten, ignorierend. Es war weiter, als er gedacht hatte. Über den Gipfeln des Mondgebirges ging der erste der Doppelmonde auf und die Sterne begannen im diffusen Dämmerlicht zu verblassen, als er den Eingang der Höhle erreichte.
Seine Sinne nahmen keine Gefahr wahr, so trat er wachsam in den schmalen Felsgang, der um mehrere Windungen in einen großzügigen Innenraum führte. Hier konnte kein Sonnenstrahl eindringen. Und er roch reines Quellwasser.
Marcin suchte den Höhlenboden ab. Seine empfindlichen Augen durchdrangen die Dunkelheit mühelos. Bei der linken Wand entdeckte er eine sandige Stelle, die Joshi und ihm ein weiches Lager bieten würde.
Als er sich setzen wollte, brachte er es nicht fertig. Zu frisch war das Erlebnis im anderen Höhlensystem, als schreckliche Dinge sie verfolgt und ihnen Todesangst eingejagt hatten. Und dem schwachen Luftzug nach zu urteilen, war diese Höhle auch Teil eines Systems, möglicherweise sogar des gleichen. Wer wusste das schon?
Marcin ließ eine Lichtflamme in seiner Hand entstehen – ein einfacher Zauber, den alle Angehörigen seines kleinen Volkes beherrschten – und platzierte sie in eine flache Senke im Felsboden. Dies wiederholte er, bis die sandige Fläche von einem Kreis aus Licht umgeben war. Als das seine Ängste nicht besänftigte, ging Marcin die Wände des Gewölbes ab und positionierte auch dort alle paar Schritte ein Licht.
Bald war die ganze Felskammer erleuchtet. Und tatsächlich gab es am hinteren Ende ein Becken mit Quellwasser und ein Gang führte weg in die Tiefen des Gebirges.
Marcin verweilte lange im Durchgang und witterte, horchte dann mit allen Sinnen. Das sterbende Land fühlte sich so fremd an, dass er nicht beurteilen konnte, ob Gefahr drohte. Er seufzte genervt. Am Wasserbecken wusch er sich die Asche vom Körper, soweit das unter den Umständen möglich war, und stillte seinen brennenden Durst.
Es tat unendlich gut sich zu setzen. Die Felswand in Marcins Rücken war glatt, bot eine angenehme Stütze und fühlte sich warm an.
Wie lange hielt er sich eigentlich schon auf den Beinen? Marcin versuchte nachzurechnen. Es mochten eineinhalb Nächte sein, vielleicht auch zwei. Auf jeden Fall viel zu lange ohne Schlaf.
Und was alles geschehen war!
Er löste sich Joshi vom Hals und bettete ihn in seine Arme. Um ihm nicht zur Last zu fallen, hatte sein Bruder sich in einen Irrfitz verwandelt: ein kleines Pelztier mit dem langen Körper einer zu mollig geratenen Schlange, einem altklugen Gesicht und Stummelbeinchen, das sich bevorzugt um den Hals oder die Extremitäten von Freund und Feind wickelte.
*Ausgerechnet die Gestalt des dämlichsten aller Viecher musstest du annehmen, nicht wahr, kleiner Bruder?* Marcin streichelte das weiche, fast weiße Fell.
Joshi reagierte nicht. Sein kleiner Körper fühlte sich völlig schlaff an, wie wenn er schon gestorben wäre.
Marcin konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. So viele Jahre lang war er Anführer der Kinder gewesen und hatte sich keine Blöße gegeben. Doch hier, in der Einsamkeit der Höhle, wo ihm nur die Felsen zuhörten, gab er den Kampf auf. Er schmiegte seine Wange an Joshis pelzigen Kopf und ließ den Tränen freien Lauf. Durch all das, was geschehen war, hatte er Wut und Verzweiflung längst hinter sich gelassen. Es gab nur noch die bittere Resignation der Niederlage.
Joshis Fell war schon ganz nass, als Marcin ein fragendes Gackern hörte. Er hob den Kopf. Neben ihm saßen Lotty und Sini, Joshis Irrfitzins, die ihn betreten anschauten. Rote Flecken zeigten sich in ihrem hellen Fell – beige bei Lotty und schneeweiß bei Sini – und es war mit Asche verschmiert.
Lotty stand an Marcin hoch, die Pfötchen auf seinem Oberarm, und schnupperte erst an seiner Wange, dann an Joshi, den er immer noch gegen seine Brust hielt. Sini, erst ein Baby und entsprechend klein, kletterte an ihrem Rückenfell hoch und versuchte es ihr gleichzutun.
Marcin untersuchte beide Tiere mit seiner freien Hand nach Verletzungen. Die roten Flecken hatten alle einen Grund, aber keine der Wunden schien ernst zu sein. Erleichtert atmete er auf und stutzte. «Wir haben euch außerhalb der anderen Höhlen verloren, wo uns die Schatten jagten», sprach er mit sich selbst. «Wie konntet ihr uns in diesem verbrannten, stinkenden Land wiederfinden?»
Ein Windhauch brachte die Lichter zum Flackern.
«Ich habe sie hergebracht.»
Marcin hatte Überraschungen noch nie gemocht und todmüde, wie er war, fühlte er sich auch nicht in der Lage, mit einer weiteren umzugehen. Doch er musste. Er war der älteste der Arrya, ihr Anführer. Es war seine Pflicht.
Marcin schaute auf. In der Mitte der Höhle saß ein blauer Drache. Wie müde er wirklich war, merkte er daran, dass sich nicht einmal mehr Überraschung einstellte. Er musterte das eher kleine Tier. Es war vielleicht so groß wie ein Pferd, wenn auch anders proportioniert, und kauerte raubtiergleich auf allen vieren, den langen Schwanz elegant um sich geschlungen. Seine Schuppen schillerten wie blaue Juwelen und zeigten grün-goldene Reflexe. Seine Augen waren golden.
«Bist du Tjiarri?», fragte Marcin schließlich.
«Ja.»
«Dann hast du schon mit Joshi und Tura, dem jüngsten von uns Kindern, gesprochen?»
«Nein.» Der Drache stieß eine kleine Flamme aus. «Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten geschlafen und bin in der letzten Lichtzeit aufgewacht, als dieses Land fast von … finsteren Mächten zerrissen wurde.»
«Und Jenna starb.»
«Ja. Es tut mir sehr leid, dass ich Joshis Gefährtin nicht retten konnte.» Der Drache neigte den Kopf.
Marcin begann zu verstehen. «Du warst die neutrale, alte Präsenz, die Joshi gespürt hat, nicht wahr?»
Der Drache schlug mit dem Schwanz, dabei löschte er mehrere von Marcins Lichtern. «Oh, entschuldige.» Er hauchte auf den Boden und ließ die Flammen wieder entstehen. «Ich war es, aber alt bin ich nur aus eurer Sicht. Aus Drachensicht bin ich nicht mehr als ein Kind. Solchen Kräften, wie sie dort am Werk waren, habe ich nichts entgegenzusetzen.»
«Weshalb bist du dann hier?» Marcin lehnte den Kopf gegen die Felswand zurück.
«Weil ich euch zumindest ein wenig helfen kann, wenn du erlaubst.»
«Wie?»
«Ich kann Joshi nicht heilen, aber ich kann ihm neue Kraft geben, so dass ihr die Burg der Asjadai erreicht.»
Die Müdigkeit machte Marcin langsam. «Die Burg der was?»
«Das Volk, das ihr Geister, weiße Schatten oder Weise nennt, bezeichnet sich selbst als Asjadai. Und ja, bevor du fragst, sie haben wirklich all die Jahre versucht, den Himmel zu heilen.»
«Wer sind dann unsere Feinde?»
«Das weiß ich nicht.»
Bisher hatte der Drache die Wahrheit gesagt. Nun wich er aus, doch war das relevant?
Marcin tat sich schwer damit, seine Gedanken in logische Bahnen zu zwingen. Er schaute zu den beiden Irrfitzins, die neben ihm saßen und den Drachen relativ entspannt beobachteten. Diese Plagegeister gehörten zu den größten Feiglingen des Weltengefüges. Wenn sie keine Angst zeigten, bedeutete das etwas. Andererseits gehörten sie auch zu den dümmsten Tieren, die Marcin je untergekommen waren. Egal.
«Würdest du Joshi bitte helfen?», wandte er sich an den Drachen. «Mir geht es gut.»
Der Drache schnaubte. «Lügner.» Ohne Vorwarnung tauchte er Marcin und die drei Irrfitzins in eine matte, fast weiße Flamme, die er durch seine Nüstern ausstieß.
Marcin atmete überrascht ein. Das Feuerbad fühlte sich an, als würde reinste Kraft durch seine Adern fließen, und die kühlen Flammen kitzelten auf der Haut. Auf den ersten folgte ein zweiter, längerer Stoß.
«Leg Joshi jetzt neben dich.»
Marcin gehorchte. Die kleine Irrfitzgestalt wurde undeutlich, so als würde sie an den Rändern ausfransen, dehnte sich dann langsam aus und wurde zu Joshi. Marcin hatte das Gesicht seines Bruders noch nie so abgezehrt gesehen.
Marcin fasste nach seiner Hand. Die schneeweißen Finger schlossen sich schwach um seine dunklen. Manchmal konnte er selbst kaum glauben, dass sie Brüder waren. Schon allein ihr Äußeres unterschied sich völlig, so wie wenn das gemeinsame Blut den größtmöglichen Kontrast gesucht hätte.
Marcins Haut war blaugrau, ganz ähnlich der von Tieren mit dunklem Fell, seine Augen gelb und sein Kopfhaar lang und schwarz. Joshi andererseits schien ein Kind des Schnees. Seine Haare, die Jenna ihm bei ihrer Verbindung kurz geschnitten hatte, schimmerten weiß wie Sternenlicht, seine Haut war hell wie Milch und in seinen Augen spiegelten sich alle Farben der Wälder ihrer Heimat.
Tjiarri sandte ihnen zwei weitere Flammenstöße. Marcins Erschöpfung verschwand. Joshis bisher unruhige Atemzüge wurden gleichmäßig.
Das Bewusstsein des Drachens tastete nach Joshi. Er schien zufrieden mit dem, was er fand, und wandte sich Marcin zu. «Erzählst du mir, was in diesem Land vorgeht und was ihr Menschen damit zu tun habt?»
Marcin wurde vorsichtig. «Du scheinst schon einiges zu wissen. Kannst du den Rest nicht einfach in meinem Geist lesen?»
«Möglicherweise. Aber der Geist ist in der Lage zu lügen. Wenn du hingegen das Gewesene für mich zusammenfasst, machen deine Gefühle die Erinnerungen wahr.» Die Worte mochten freundlich klingen. Sie enthielten auch eine Drohung. «Wie und wann seid ihr Menschen überhaupt hergekommen? Dieses Land war nie eure Heimat. Und fang am Anfang an, damit ich die Zusammenhänge verstehe.»
Marcin ignorierte den Drachen und hob Lotty in die Arme, damit sie sich nicht nach Irrfitzart um Joshis Hals wickelte. Anbetungsvoll schaute sie zu ihm auf und gackerte leise, während er ihre dichte Halskrause kraulte. Sini, das weit kleinere Tier, rollte sich auf seinen Beinen zusammen.
Die Stille in der Höhle wuchs.
«Du weißt schon, dass du längst an Altersschwäche gestorben sein wirst, bevor mir langweilig wird», sagte Tjiarri schließlich flapsig.
Marcin musste grinsen, wurde dann wieder ernst. «Wie weiß ich, ob ich dir trauen kann?»
Als Antwort öffnete der Drache sein Bewusstsein und bot es ihm dar.
«Ich bin nicht Joshi noch habe ich seine Fähigkeiten. Ich bin sicher, du kannst mich problemlos täuschen», wehrte Marcin ab. Tjiarri mochte sich selbst als Kind bezeichnen, aber für einen Menschen war die Altehrwürdigkeit seines Geistes furchterregend.
*Hör auf dich klein zu machen*, schalt ihn der Drache in Gedanken. *Als Anführer hast du gute Instinkte. Also versuch es.*
Marcin ließ sich darauf ein. Nachdem die erste Scheu überwunden war, erkannte er, dass Tjiarris Bewusstsein sich ähnlich anfühlte wie das der ältesten Bäume Erriadas. Es hatte seine Wurzeln tief in der Vergangenheit und setzte die Zukunft der Ewigkeit gleich. Sehr viele Bereiche davon waren abgesperrt, versteckt hinter undurchdringlichen Barrieren – die meisten vor Marcin, andere verbarg Tjiarri auch vor sich selbst. Der kleine Drache bewahrte viele Geheimnisse – und er hatte ein schlechtes Gewissen, doch ohne die Beimischung von Schuld. Die Angst vor Konsequenzen rang mit dem Entschluss, dass dieses Land nicht sterben durfte, und zu diesem Zweck war er bereit, sich auf die Menschen einzulassen.
*Weshalb brauchst du uns als Mittler? Du könntest selbst zu den Geistern gehen.*
*Das darf ich nicht. Die Vorsehung weist euch diese Rolle zu. Sie ist euer Schicksal.*
Marcin fasste einen Entschluss. Er trennte die Gedankenverbindung und besann sich auf das, was er über die Vergangenheit gelernt hatte, auch wenn es ihm sehr schwerfiel, die richtigen Worte zu finden. «All das Furchtbare, das letzte Nacht geschah, entstand in Auseinandersetzungen, die schon seit Generationen andauern. Und falls die Geister … die Asjadai wirklich versuchen den Himmel zu heilen, haben wir Menschen einen schrecklichen Fehler gemacht.»
Tjiarri sandte ihm einen beruhigenden Flammenstoß. «Erzähl einfach. Urteilen können wir später.»
Marcin gehorchte. «Soweit ich weiß, begann alles vor bald vier Jahrzehnten in Arriada, der alten Heimat von uns Menschen, als der Himmel aufbrach und das Land im tödlichen Sonnenlicht unterging. Ein Teil der Arrya – so nennen wir uns selbst – entkam der Vernichtung auf Schiffen, mit denen unser Volk durch das Weltengefüge irrte, immer auf der Suche nach einer neuen Heimat. Unter den Vertriebenen befand sich auch unsere Großmutter, Eriann Artum aus der Familie der Ratgeber. Wer aus unserer Familie berufen wird dient dem König der Arrya als Berater, Gewissen und Geschichtsschreiber. Entsprechend hat Eriann die Jahrzehnte dauernde Irrfahrt unseres Volkes ebenso verbittert wie detailliert in einer Chronik dokumentiert.»
Falls der Drache die Abneigung gegen seine Großmutter in Marcins Worten hörte, so ging er nicht darauf ein. «Und nur Joshi kann in dieser Chronik lesen, weil er von Eriann in den Traditionen der Ratgeber ausgebildet wurde, nicht aber du.»
«Das ist richtig. Berufungen wie die unsere sind hoch selektiv und überspringen manchmal Generationen.»
Der Drache wiegte den Kopf hin und her. «Das erscheint wenig sinnvoll.»
«Traditionen müssen nicht sinnvoll sein. Sie sind einfach», fauchte Marcin.
«Das musst du mir nicht erklären. Ich kenne das sehr gut.»
Marcin wunderte sich, was der kleine Drache erlebt hatte, und fuhr ruhiger fort. «Die Suche der Arrya dauerte fast genau zwanzig Jahre. In keinem Land konnten sie bleiben, denn überall herrschte das für sie tödliche Sonnenlicht.