Jeder Kuss ein Volltreffer - Katie MacAlister - E-Book

Jeder Kuss ein Volltreffer E-Book

Katie MacAlister

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Beschreibung

PRINZESSIN IN GLÄNZENDER RÜSTUNG

Allein, pleite und völlig planlos bleibt Mercy Sterling nichts anderes übrig, als sich einer mittelalterlichen Schwertschaukampftruppe anzuschließen. Und nach den ersten Tagen findet sie heraus, dass es tatsächlich Schlimmeres gibt, als Rüstungen zu tragen oder mit Pfeil und Bogen zu hantieren. Der beste Teil ihres Sommerjobs ist allerdings das Anwesen Bestwood Hall - beziehungsweise der neue Besitzer Alden Ainslie. Dieser ist von den Festspielen rund um seinen Sommersitz zunächst gar nicht begeistert ... von der holden Mercy allerdings umso mehr!

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Seitenzahl: 408

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmung123456789101112131415161718EpilogDanksagungDie AutorinDie Romane von Katie MacAlister bei LYXImpressum

KATIE MACALISTER

JEDER KUSS EIN VOLLTREFFER

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Theda Krohm-Linke

Zu diesem Buch

Alden Ainslie ist auf der Flucht … vor seiner von Schwangerschaftshormonen geplagten Schwägerin, die ihn um jeden Preis verkuppeln will. Dabei ist Alden verflucht schüchtern und ziemlich schlecht darin, Mädels an Land zu ziehen. Umso glücklicher ist er, als er sich zu seinem neu erworbenen Tudor-Herrenhaus Bestwood Hall in Cornwall aufmachen kann. Dort hat er sich für den Sommer einen strikten Renovierungsplan vorgenommen. Doch noch bevor er ankommt, scheint alles schiefzugehen, was nur schiefgehen kann: Die alte, aber umso standhaftere Untermieterin seines Anwesens weigert sich vehement, auszuziehen und hat obendrein auch noch eine mittelalterliche Schwertschaukampfgruppe auf sein Grundstück eingeladen, die für einige Wochen dort kampieren soll. Doch was Alden tatsächlich aus der Fassung bringt, ist nicht sein ruinierter Zeitplan, sondern Mercy Starling. Die temperamentvolle Art der jungen Schaustellerin bringt sein Herz zum Rasen. Während er Mercy langsam näherkommt, gibt es immer wieder Anschläge auf Alden. Offenbar will ihn jemand von Bestwood Hall fernhalten. Aber Aufgeben ist für Alden keine Option – das gilt für dieses Anwesen und auch für Mercy …

Teri Robinson ist eine wundervolle Frau, die Tiere rettet, ihre Familie liebt und Sinn für Humor hat. Ich schätze ihr Lama-Zartgefühl, ihr Macher-Talent und ihre Liebe zu Schnurrbärten. Deshalb widme ich ihr dieses Buch.

1

»Wenn es irgendetwas gibt, was schlimmer ist als eine Schwägerin, die in den Klauen von Schwangerschaftshormonen steckt«, sagte Emanuel Alden Ainslie zu seinem Bruder, »dann ist es eine Schwägerin, die zusätzlich noch fest entschlossen ist, jeden verfügbaren Mann im Umkreis von fünf Kilometern zu verheiraten.«

»Mach dich nicht lächerlich«, schnaubte Elliott Ainslie, achter Baron Ainslie. Lächelnd beobachtete er Alice, die auf der neu erbauten Steinterrasse saß und mit der verwitweten Baronin plauderte.

Alden war ein wenig eifersüchtig auf die Zuneigung hinter diesem Lächeln, obwohl er das natürlich nie zugeben würde. Vor allem jetzt nicht, wo Alice es zu ihrem neuen Hobby erklärt hatte, Leute zu verkuppeln.

»Sie versucht noch lange nicht, jeden ungebundenen Mann zu verkuppeln«, fuhr Elliott fort. »Nur euch. Sie sagte, wenn ich mich recht erinnere, dass es doch sinnlos wäre, dass Mum und Dad zehn Kinder adoptiert haben, wenn sie – Alice – für ihre zahlreichen Schwäger nicht Frauen finden könnte, damit sie genauso glücklich werden wie Gunner und ich.«

Alden blickte von seinem ältesten Bruder Elliott zum zweitältesten, Gunner. Die drei Männer waren auf die Spitze des restaurierten Turms gestiegen, um zu überprüfen, ob alle Reparaturarbeiten nach Elliotts Erwartungen ausgeführt worden waren. »Den Teil, wo Alice Lorina für dich gefunden hat, muss ich verpasst haben, Gun. War sie nicht wegen der Dreharbeiten für die archäologische Fernsehsendung letztes Jahr hier?«

»Ja, das stimmt«, antwortete Gunner und lächelte, als seine Frau, mit der er seit einem halben Jahr verheiratet war, zu den beiden anderen Damen auf die Terrasse trat, um mit ihnen Limonade zu trinken, beträchtliche Mengen Mohnkuchen zu essen – auf den Alice aktuell gerade Heißhunger hatte – und Pläne für alles Mögliche zu machen. »Alice streckt die Wahrheit ein bisschen, indem sie behauptet, unser Zusammentreffen sei ebenfalls ihr Triumph, aber Lorina kennt sie schon seit Jahren, deshalb macht es uns nichts aus, wenn sie uns zu ihren Kuppelerfolgen hinzuzählt.«

Alden blickte auf die drei Frauen auf der Terrasse. Obwohl Alice schon seit mehr als einem Jahr Schlossherrin war, war er ihr bisher erst ein halbes Dutzend Mal begegnet. Sie war sehr nett, wie Gunners Frau auch, aber in der letzten Zeit … Er seufzte. »Es wäre mir wirklich lieber, wenn sie mich in Ruhe lassen würde.«

»Wer? Alice?« Elliott richtete seine Aufmerksamkeit auf seinen Bruder. »Ich dachte, du magst sie.«

Alden spürte den warnenden Unterton in Elliotts Stimme. »Natürlich mag ich sie. Sie ist lustig, und Sinn für Humor finde ich bei Frauen gut. Aber … es ist … du kennst mich doch. Ich fühle mich in der Nähe von Frauen nicht so wohl.«

»Du bist schüchtern, das ist alles«, sagte Gunner und blickte auf sein Handy. »Das kannst du überwinden, wenn du dir ein bisschen Mühe gibst. Versuch es mal mit Speed-Dating. Das zwingt dich dazu, viele Frauen auf einmal kennenzulernen. Da wirst du schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb extrovertiert.«

Alden verzog das Gesicht. Etwas Schlimmeres als Speed-Dating konnte er sich kaum vorstellen, abgesehen vielleicht von einem globalen Atomkrieg, und selbst da würde er sich noch fragen, ob die Begegnung mit einem Haufen fremder Frauen nicht doch schlimmer war. »Kann sich Alice nicht einen unserer anderen Brüder vornehmen? Da gibt es doch sicher auch welche, die keine Freundin haben.«

»Das wird sie bestimmt irgendwann auch tun, aber im Moment besteht sie darauf, dass du langsam eine feste Beziehung eingehen solltest.«

»Du bist über dreißig, Alden«, sagte Gunner und nickte. »Jünger wirst du auch nicht mehr.«

»Genau. Und vor allem ist Alice schwanger«, sagte Elliott, als ob das nicht schon alle wüssten. »Sie hat … Launen. Und wenn eine dieser Launen darin besteht, eine Frau für den nächsten Bruder zu finden, dann müssen wir sie dabei unterstützen.«

»Josiah ist älter als ich«, protestierte Alden. »Sie sollte sich auf ihn konzentrieren und mich in Ruhe lassen.«

»Er ist nur ein paar Tage älter als du, und da er im Moment außer Landes ist, fand Alice eben, dass es an der Zeit ist, dich wahnsinnig glücklich zu machen.«

Erneut verzog Alden das Gesicht. »Aber ich will nicht wahnsinnig glücklich sein! Ich will in Ruhe gelassen werden.«

»Und was willst du machen?«, fragte Gunner ihn, als die drei Männer langsam die steinerne Wendeltreppe herunterstiegen. »Wieder zur Universität gehen? Du hast doch schon mehr akademische Grade als wir anderen alle zusammen.«

»Mir gefällt es eben, Neues zu lernen«, erwiderte Alden eigensinnig. »Es ist doch nichts Falsches daran, neugierig zu sein und mehr über das Leben erfahren zu wollen.«

»Ist es doch, wenn du damit das bereits überstrapazierte Familieneinkommen verbrauchst«, sagte Elliott mit fester Stimme. »Wir haben schon darüber geredet, Alden – ich kann dich einfach nicht mehr unterstützen.«

»Deshalb will ich ja Bestwood Hall verkaufen. Daran werde ich ein Vermögen verdienen.«

»Bestwood«, sagte Gunner und verdrehte die Augen. »Dieses Ungetüm. Was hat dich bloß bewogen, dein letztes Geld in ein verfallenes altes Haus irgendwo in der Pampa zu investieren?«

»Und wie kommst du überhaupt darauf, dass du es mit Profit verkaufen kannst?«, fragte Elliott, der praktischere der Brüder, als sie in den Sonnenschein des Frühsommertages traten. »Außer dir hat es schon damals keiner kaufen wollen. Warum glaubst du, es erhöht den Wert, wenn du ein bisschen Farbe investierst?«

»Der Notar hat gesagt, Lady Sybilla hat mir das Haus verkauft, weil ihr mein Name gefiel«, erwiderte Alden würdevoll. »Ich bin sicher, dass es einige Interessenten gab. Ich weiß es sogar – der Makler, der sich um den Verkauf gekümmert hat, hat mich gefragt, ob ich bereit sei, das Haus wieder zu verkaufen. Und das war knapp eine Woche, nachdem ich es gekauft hatte. Ihr seht also, meine lieben Brüder, ich bin nicht der Narr, für den ihr mich haltet.«

»Ach ja?« Elliott blieb stehen und legte den Kopf schief. »Wie hoch war das Angebot?«

»Nun … was das angeht …« Alden hüstelte.

»Wie ich mir schon dachte. Weniger als du dafür bezahlt hast?«, fragte Elliott.

»Vielleicht.« Alden versuchte, seinem Bruder einen hochmütigen Blick zuzuwerfen, aber leider waren sie genau in diesem Moment auf der Terrasse angekommen, und sowohl Elliott als auch Gunner hatten all ihre Aufmerksamkeit ihren jeweiligen Frauen zugewandt.

Wieder einmal verspürte Alden einen leichten eifersüchtigen Stich. Nein, nicht Eifersucht, dachte er, als er an den Tisch trat und ein Glas Limonade entgegennahm. Neid. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn Alice eine Frau für ihn fände. Vielleicht wäre dieser höllische Albtraum, jemand Neuen kennenzulernen, gar nicht so schrecklich, wenn Alice alles für ihn vorbereiten würde. Vielleicht …

»Alden!«, sagte Alice fröhlich und schob ihm einen weißen Metallstuhl zu. »Genau dich wollte ich sehen. Ich habe dir doch versprochen, eine Frau für dich zu finden, und es ist mir tatsächlich gelungen.«

Vielleicht hatte er seinen Verstand verloren.

Bei dem Gedanken daran, dass eine Frau von ihm Romantik erwarten könnte, stieg Panik in ihm auf. Er müsste ihr den Hof machen. Zum Teufel, allein schon beim Gedanken an ein Dinner mit einer Frau wurden seine Handflächen feucht. Hastig trank er die Limonade aus, stellte das Glas auf den Tisch und sagte: »Ich habe keine Zeit zu plaudern. Ich muss mich beeilen. Ich muss morgen früh in Bestwood sein und muss noch packen.«

»Aber, du hast ja noch gar nicht gehört, was für eine Frau ich für dich gefunden habe«, sagte Alice stirnrunzelnd.

»Später«, rief er ihr über die Schulter zu und stürzte zur nächstgelegenen Tür.

»Ich schicke sie nach Bestwood Hall, damit sie dich kennenlernt«, rief Alice ihm nach. »Sie würde wahrscheinlich gerne helfen …«

Die Tür zur Bibliothek schlug hinter ihm zu, und den Rest ihres Kommentars hörte er zum Glück nicht mehr. Alden eilte die Treppe zu dem kleinen Zimmer im hinteren Teil des Schlosses hinauf, das traditionell seines war, wenn er sich hier aufhielt.

»Blöd, blöd, blöd«, sagte er laut und warf hastig Kleidungsstücke in zwei Koffer. »Du bist ein erwachsener Mann. Es ist einfach dumm, dass der Gedanke daran, Frauen kennenlernen zu müssen, dich in solche Panik versetzt. Gunner hat recht – du musst dich zusammenreißen, in eine Bar gehen und einfach mit irgendeiner Frau ein Gespräch anfangen.«

Ein Schaudern überlief ihn bei dem Gedanken. Er ging durchs Zimmer, warf Bücher, Familienfotos und seine Sammlung antiker astronomischer Geräte in seine zwei Koffer, während er sich selbst die ganze Zeit über erzählte, was für ein Idiot er war. Der Vortrag nützte wenig – dazu hatte er ihn sich schon zu oft gehalten –, aber er war in seiner Vertrautheit seltsam tröstend. Als er sein Gepäck in den Mini Cooper lud, den er von einem früheren Zimmergenossen auf der Universität gekauft hatte, raste sein Herz nicht mehr, und auch seine Hände waren wieder ruhig.

»Du fährst doch nicht jetzt schon, oder?«, fragte Elliott ein paar Minuten später, als Alden zu ihm in das Zimmer kam, das Elliott als Büro diente. Er saß an einem Laptop und schrieb zweifellos an seinem neuesten Roman. »Ich dachte, du wolltest morgen früh aufbrechen. Du hast doch sicher noch Zeit, um zum Essen zu bleiben.«

»Es ist besser, wenn ich jetzt schon fahre. Ich brauche fast acht Stunden bis nach Bestwood, und wenn ich in der Nacht ankomme, kann ich morgen gleich mit der Renovierung beginnen.«

Elliott erhob sich und kam um seinen Schreibtisch herum. Er umarmte seinen Bruder. »Du musst mit dieser Frau nicht ausgehen.«

»Mit welcher Frau?« Erneut schoss Panik durch Alden. Du lieber Himmel, hatte Alice die Frau etwa nach Ainslie Castle geholt, während er gepackt hatte?

»Es ist eine alte College-Freundin von Alice, und sie fand, sie sei perfekt für dich. Ich weiß, dass du im Moment absolut keine Lust hast, dich mit Frauen zu treffen, aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du höflich zu ihr wärst, falls sie dir unter die Augen kommt.«

Alden verzog das Gesicht. »Das hat mir gerade noch gefehlt. Eine Frau, die herumhängt und erwartet, dass ich sie unterhalte, wenn ich einen Berg von Arbeit vor mir habe. Könnte Alice nicht …«

»Nein. Glaub mir, es ist das Beste so. Wenn du sie nicht magst – und so sehr ich Alice auch liebe, ich muss zugeben, dass sie als Kupplerin nicht unbedingt die Beste ist –, dann sagst du der Frau eben einfach, dass du zu tun hast. Zeig ihr einfach nur das Haus – das ist alles, um was ich dich bitte. Das kannst du doch für uns tun, oder?«

»Ja, vermutlich«, erwiderte Alden. Ihm war klar, dass er ungnädig klang. »Ich habe ja nichts gegen deine Frau. Es ist nur …«

Elliott umarmte ihn noch einmal, dann schlug er ihm auf die Schulter und begleitete ihn zur hinteren Einfahrt. »Ich weiß. Es ist nicht einfach für dich. Du brauchst dich auch gar nicht so zu bemühen, ein faszinierender Gesprächspartner zu sein.«

Alden lachte. »Ich wäre schon zufrieden, wenn ich mit ihr reden könnte, ohne dass ich einen Knoten in der Zunge bekomme.«

»Du bist ein kluger Mann. Und du hast den Charme der Ainslies, wenn du willst. Hör auf, so viel über andere nachzudenken, und sei einfach du selbst.«

»Ich werde es versuchen, El«, sagte Alden ein wenig mutlos. »Aber es fällt mir einfach nicht so leicht wie euch anderen.«

»Betrachte es als Spiel«, sagte Elliott und blieb an der Autotür stehen. »Und, Alden?«

Alden öffnete die Fahrertür und warf einen kleinen Rucksack hinein. »Ja?«

Elliott lächelte. »Gerate nicht in Schwierigkeiten, hörst du? Ich habe mit dem Buch zu tun, und in ein paar Monaten kommt das Baby. Ich habe wirklich keine Lust, dich wie Gunner retten zu müssen.«

»Ich habe absolut nicht die Absicht, mich in den Kellergewölben von Bestwood Hall einzusperren«, erwiderte Alden würdevoll.

»Dann tu es auch nicht.«

Alden winkte, als er das Auto anließ, und fuhr so rasant, dass der Kies aufspritzte, die Einfahrt hinunter, seinem neuen Leben entgegen. Und obwohl die Bedrohung durch Alices Freundin wie eine dunkle Wolke über seinem Kopf hing, freute er sich auf das, was vor ihm lag.

»Bestwood«, sagte er laut und genoss den Klang des Wortes. »Bestwood Hall. Ein richtiges Schloss! Hallo, wie geht es Ihnen? Das hier? Ja, das ist Bestwood Hall. Es gehört mir. Ich bin der Herr von Bestwood Hall. Hey, das klingt wie ein viktorianisches Schauerdrama: Das Geheimnis von Bestwood Hall. Das Gespenst von Bestwood Hall.«

Er amüsierte sich eine Zeit lang damit, Titel zu erfinden, dann schweiften seine Gedanken zu der Arbeit, die vor ihm lag. Das Haus zu kaufen war nicht schwierig gewesen – er hatte über Toby, einen seiner früheren Zimmergenossen auf der Universität, davon gehört. Toby war Notar geworden und hatte mit komplexen Testamenten und Besitzverhältnissen zu tun.

»Du suchst doch ein Haus, oder?«, hatte Toby vor drei Monaten gesagt, als Alden pleite war und sich schwarz bei einem skrupellosen Bauunternehmer verdingen musste. »Etwas, das du restaurieren und mit Gewinn wieder verkaufen kannst, oder?«

»Ja«, sagte Alden hoffnungsvoll. »Aber ich habe nicht viel Kapital. Einer meiner biologischen Verwandten hat mir eine kleine Summe in einem vorsintflutlichen Trust hinterlassen, und mein Bruder Elliott hat die Trustverwalter überredet, die Summe freizugeben, wenn ich Grundbesitz erwerbe.«

»Dein biologischer Ver … oh ja, du bist ja adoptiert. Ich habe ganz vergessen, dass deine Familie …«

»Multikulturell ist«, ergänzte Alden hilfreich. »Das ist der politisch korrekte Ausdruck dafür, dass meine Eltern Kinder aus allen möglichen Ländern adoptiert haben. Ein paar meiner Brüder kommen aus Afrika, einige aus dem früheren Ostblock und der Rest von überallher. Meine biologische Familie stammt aus Schottland, und Mum hat wegen mir Kontakt mit ihnen gehalten, bis ich alt genug war, um zu entscheiden, ob ich sie kennenlernen wollte oder nicht.«

»Und?«, fragte Toby neugierig.

»Ich hätte sie gerne kennengelernt, wenn sie nicht alle vorher gestorben wären.« Alden zuckte mit den Schultern. »Also habe ich sie leider nicht kennengelernt, aber das hat einen entfernten Cousin nicht davon abgehalten, mir einen kleinen Trust zu hinterlassen-«

»Ich hasse solche Trusts«, erklärte Toby bitter. »Sie enthalten solche Klauseln, dass du im Grunde nichts damit anfangen kannst. Erst letzte Woche hat unser Seniorpartner mir einen grässlichen Fall zugeschoben, der nicht nur eine, sondern sogar zwei Umwandlungen beinhaltet … aber ich schweife vom Thema ab.«

»Hast du denn ein Haus, das ich mir ansehen kann?«, fragte Alden, wobei er wider besseres Wissen hoffte, dass der Besitz seinen Mitteln entsprach – sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Renovierung. »Wo ist es? Und vor allem, wie viel kostet es?«

»Es ist ein altes Haus – Tudor, glaube ich –, aber ich weiß nicht, ob du es überhaupt haben willst. Es ist so gut wie unbewohnbar. Der alte Mann, dem es gehörte, war nicht nur ein Geizkragen, sondern auch ein Eremit. Er hat achtzig Jahre lang dort gelebt, zusammen mit seiner Frau und ein paar verknöcherten Dienstboten, und er hat einen Berg Schulden hinterlassen, die seine Witwe in ihrem Leben nicht mehr bezahlen kann. Eine Bank am Ort hat das Haus letztes Jahr aufgrund der Schulden übernommen, und ich habe gerade von einem alten Freund bei dieser Bank gehört, dass sie einen Käufer suchen.«

»Aber es gibt bestimmt eine Menge Leute, die sich für einen historischen Besitz interessieren«, wandte Alden ein. Ihm gefiel die Vorstellung, ein Tudor-Haus zu restaurieren. Geschichte faszinierte ihn.

»Normalerweise würde ich dir zustimmen. Aber laut Tom Scott, meinem Freund bei der Bank, versuchen sie, den Verkauf möglichst diskret abzuwickeln, um Lady Sybilla nicht zu beunruhigen.«

»Das kommt mir ein bisschen seltsam vor. Eine Bank, die sich um jemanden sorgt, der sein Haus verloren hat?«

»Ah, du musst bedenken, dass es dort alte Familienbeziehungen gibt. Deshalb besteht die Bank darauf, die Angelegenheit so diskret wie möglich zu behandeln, nehme ich an. Statt also das Haus auf den Markt zu werfen und den höchsten Preis zu erzielen, suchen sie lieber nach jemandem, der ihren Bedingungen zustimmt, um die Öffentlichkeit zu vermeiden, die ein offizieller Verkauf nach sich ziehen würde.«

»Die Bankmanager müssen die alte Dame wirklich gern haben«, sagte Alden nachdenklich und fragte sich, ob er wohl darauf hoffen könne, dass sein magerer Trust für den Kauf eines historischen Hauses mit Land ausreichen würde.

»Nun, der Verkauf geht mit bestimmten Bedingungen einher«, sagte Toby.

Alden nickte, obwohl sein Freund ihn nicht sehen konnte. »Daran hatte ich keinen Zweifel. Irgendeine Einschränkung vermutlich.«

»Ja, aber nichts Schreckliches. Tom hat es mir erzählt … ich habe es mir aufgeschrieben, falls du interessiert sein solltest … Ah, hier ist es ja. Der Käufer muss Lady Sybilla Wohnrecht im Torhaus auf Lebenszeit gewähren. Und das Haus darf nicht abgerissen und neu gebaut werden, sondern muss dem Stil der Zeit gemäß restauriert werden. Alles harmlose Einschränkungen, würde ich sagen.«

»Und wie viel wollen sie für das Haus haben?«

Aldens Augen weiteten sich, als Toby ihm die Summe nannte. Wenn er das Haus kaufte, würden nicht nur sein gesamter Trust, sondern auch seine sämtlichen Ersparnisse der letzten achtzehn Jahre aufgebraucht werden. Dann blieben ihm keine Mittel mehr, um Leute für die Restaurierungsarbeiten einzustellen, was bedeutete, dass er alles selber machen musste.

»Das ist schrecklich viel Geld«, sagte er schließlich.

»Zu viel für dich?«

»Nein.« Er überlegte einen Moment lang. »Gibt es … das klingt jetzt krass, aber darf ich das Haus verkaufen, wenn es erst einmal mir gehört?«

»Ja«, sagte Toby langsam. Das Rascheln von Papieren war zu hören. »Es gibt keine Einschränkungen in dieser Hinsicht. Lady Sybilla hat natürlich Wohnrecht auf Lebenszeit im Torhaus, aber ansonsten sehe ich keinen Grund, es nicht wieder zu verkaufen. Hast du denn vor, es schnell wieder zu verkaufen?«

»Nein, nicht sofort natürlich. Ich dachte, ich renoviere das Haus, erneuere Rohre und Leitungen, und dann verkaufe ich es wieder.«

»Ah. So machen es die Amerikaner gerne. Sehr klug, muss ich sagen. Allerdings musst du dabei natürlich berücksichtigen, dass Lady Sybilla auf dem Besitz lebt.«

»Ja, na ja, ich will ja nicht herzlos oder krass klingen, aber es wird schon ein oder zwei Jahre dauern, das Haus zu renovieren, wenn ich alles alleine machen muss, und bis dahin …«

»Bis dahin wird Lady Sybilla nicht mehr unter den Lebenden weilen«, beendete Toby den Satz für ihn. »Ein äußerst berechtigter Punkt, Alden. Äußerst berechtigt. Also, ich kann keinen Grund sehen, warum jemand etwas dagegen haben sollte, dass du das Haus verkaufst, wenn sie erst einmal nicht mehr ist.«

Und so war es gekommen, dass die Bank ihn eingeladen hatte, Haus und Grundstück zu besichtigen, und nachdem diese Besichtigung erfolgt war – ohne, dass er auf Lady Sybilla getroffen war, die anscheinend nachmittags immer ruhte –, wurde sein Angebot angenommen.

»Und heute gehört alles mir«, sagte er, als er nach Westen fuhr. Die Sonne sank, und der Himmel war von einem samtigen Dunkelblau. »Ich bin Hausbesitzer. Schloss-Eigentümer. Ich bin Alden Ainslie von Bestwood Hall … Zumindest jetzt. Wo ich stehen werde, wenn ich das Haus erst einmal renoviert habe, weiß ich nicht. Schließlich könnte dies der Beginn einer brandneuen Karriere sein. Es gibt Leute, die mit dieser Art von Arbeit Millionen verdienen – und ich vielleicht auch. Man muss schließlich nur alles ein bisschen schöner machen und es dann gewinnbringend verkaufen. Ja, das wird gut werden. Das wird sogar sehr gut werden.«

Sein Optimismus hielt drei Stunden an, dann gab sein Getriebe den Geist auf, und er strandete in einer Kleinstadt. Er hinterließ eine Nachricht in der Anwaltskanzlei, wo er die Schlüssel für Bestwood Hall abholen sollte, und richtete sich für die Nacht in einem heruntergekommenen kleinen Hotel gegenüber der Autowerkstatt ein.

»Kein besonders verheißungsvoller Start«, sagte er sich, als er das durchgelegene Bett inspizierte. »Aber das ist nicht schlimm. Von jetzt an kann es nur noch besser werden.«

Manchmal erstaunte es ihn selbst, wie wenig Voraussicht er besaß.

2

»Halleluja, du fährst endlich! Oh, meine Liebe, so habe ich es nicht gemeint. Du liebe Güte, nein. Ich meinte halleluja, also ein schwächeres Halleluja. Ein Halleluja ohne Ausrufezeichen, wenn du so willst. Äh. Also, so.«

Ich lächelte und stopfte den Rest meiner Kleidung in die Reisetasche, die mich schon seit vielen Jahren begleitete. Sie war an manchen Stellen abgetragen, an den Außenklappen zerrissen und wies zahlreiche Flecken auf, die daher rührten, dass man auf beengtem Raum mit vielen Leuten zusammen war. Mit anderen Worten, sie war eine gute visuelle Repräsentation meiner selbst: ein bisschen abgeschabt, hatte viel vom Leben gesehen und war definitiv nicht stylisch und attraktiv. »Ist schon okay, Kim. Ich weiß, was du meinst. Es war sehr nett von dir, mich bei dir und Rafe wohnen zu lassen. Ich weiß doch, dass ihr lieber allein gewesen wärt.«

»Es ist ja nicht, dass wir dich nicht schrecklich gern hierhaben – du liebe Güte, du hast die meiste Hausarbeit gemacht, und es wird ein Albtraum werden, das alles wieder alleine machen zu müssen –, aber ich denke auch an dich. Wirklich. Du musst dich selbst finden. Herausfinden, was dich glücklich macht, und was du mit deinem Leben anfangen willst.«

»Na ja, das ist die große Frage, oder?« Ich lächelte meine Freundin an. Ich kannte sie erst seit einem Jahr. Wir hatten uns bei einem Strafrechtsseminar an einer Londoner Universität kennengelernt.

Sie verzog das Gesicht. »Du warst auf so vielen Universitäten … Kannst du dich nicht zu irgendeinem Abschluss entschließen und damit einen Job finden?«

»Was denn zum Beispiel?«

»Was weiß ich. Irgendeiner.« Sie seufzte und machte eine frustrierte Geste. »Irgendein Job, der zu dem Abschluss passt, den du zwar noch nicht hast, aber dann machen müsstest.«

»So einfach ist es nie«, sagte ich und stopfte die wenigen kostbaren Bücher, die ich noch besaß, in die Tasche. Dann machte ich mich grunzend vor Anstrengung daran, den Reißverschluss zu schließen. »Theoretisch kann ich zu vielen Themen etwas beisteuern, alles Mögliche von Englisch über mittelalterliche Geschichte, Sport und natürlich Strafrecht. Aber das bedeutet leider nicht, dass ich damit einen Job bekomme, von dem ich leben kann.«

Kim zog eine Augenbraue hoch und blickte mich zweifelnd an.

»Okay, okay, einen Job könnte ich wahrscheinlich schon bekommen, aber keinen, der mir gefällt«, sagte ich. Ich hasste die Tatsache, dass niemand mein Bedürfnis, zu lernen, was es zu lernen gab, verstand. »Wenn ich eure Universitäten dazu bringen könnte, mich finanziell besser zu unterstützen, dann wäre alles in Butter.«

»In Butter?«, schnaubte Kim. »Was stellst du dir vor? Denkst du, du brauchst wirklich noch mehr Zeit auf der Uni? Dieser zeitweilige Tutorenjob, den du gefunden hast, ist nicht gerade das Gelbe vom Ei.«

»Ich habe ihn eigentlich nicht gefunden – das war eine alte Freundin«, unterbrach ich Kim. »Sie wusste, dass ich einen Job brauchte, und die andere Option, die sie mir vorschlug, gefiel mir nicht.«

»Du könntest Lehrerin werden, eine richtige Lehrerin, nicht nur eine Sommertutorin.«

Ich schauderte. »Diese Kinder … oh, Kim, diese Kinder! Ihre Mutter war schon schlimm genug mit ihrem gewollt spöttischen Gesichtsausdruck! Die ganze Zeit über hat sie versucht, mich mit dem Geld ihres Gatten zu beeindrucken. Aber ihre Kinder! Die Kinder waren die reinste Höllenbrut!«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie gar nicht so schlimm sind«, schalt Kim mich sanft.

»Du hast sie nicht gesehen. Natalia, die Siebenjährige, raste die ganze Zeit, als ihre Mutter und ich uns unterhalten haben, auf ihren Rollerblades herum und schrie jeden im Park an. Und sie schrie nicht vor Lachen – dieses Kind kennt schlimmere Schimpfwörter als mein Vater. Und der neunjährige Jocelyn war sogar noch schlimmer. Er bekam einen heftigen Wutanfall, als ein anderes Kind es wagte, irgendeinen tollen Skateboard-Sprung zu machen, den er nicht beherrschte. Das Kind gehört wirklich in Therapie. Beide gehören sie dahin, und diese kleinen Monster soll ich drei Monate lang unterrichten. Und weißt du, warum sie unterrichtet werden sollen? Weil sie so außer Rand und Band sind, dass sie noch nicht einmal auf ihren teuren Privatschulen etwas in ihre vernagelten Köpfe hineinbekommen.«

»Autsch«, sagte Kim und zuckte zusammen, aber ich war mir nicht sicher, ob das die Reaktion auf meine Tirade über die Kinder, die ich unterrichten sollte, war, oder ob es sich auf meine Lage bezog. Ich hoffte, dass Letzteres der Fall war. »Es ist doch nur ein Job, und du weißt nie, was für Türen er dir öffnet. Wenn die Eltern so reich sind, wie du sagst …«

»Sie hatten zumindest einen eigenen Fahrer.«

»… wenn sie wohlhabend sind, können sie dir vielleicht dabei helfen, einen Job zu finden, der dir besser gefällt. Ich gebe ja zu, dass die Kinder nicht besonders angenehm klingen, aber möglicherweise brauchen sie nur eine feste Hand. Sie brauchen eine Art Mary Poppins, die in ihr Leben kommt und sie in angenehme kleine Menschen verwandelt.«

»Ich bin nicht Mary Poppins, aber danke, dass du mich aufmuntern willst.« Ich blickte mich in dem kleinen Gästezimmer um, das ich in den letzten drei Monaten bewohnt hatte – Kims Freund Rafe war alles andere als glücklich darüber gewesen –, und ergriff meine Tasche. »Und danke, dass ich hier wohnen durfte, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Es war ein Albtraum, dass dieser Betrüger mein Bankkonto leer geräumt hat. Wenn ich dich nicht gehabt hätte …«

Kim warf mir einen wissenden Blick zu. »Fall bitte beim nächsten Mal nicht auf die Geschichte mit der Pechsträhne herein und gib niemandem deine Bankinformationen preis, damit er dein Konto leer räumen kann.«

»Nein, ich habe meine Lektion gelernt, das kannst du mir glauben.« Ich umarmte sie, was mühsam war, da ich die schwere Reisetasche bereits über die Schulter geschlungen hatte.

»Obwohl es für dich sicher einfacher gewesen wäre, nach Hause zu telefonieren …«

Ich hob grüßend die Hand und stolperte aus dem Zimmer, die Treppe herunter zur Haustür. Kim begleitete mich bis zur Straße. »Das ist keine Option. Eine schöne Zeit für euch zu zweit, Kim. Und sag Rafe noch einmal Danke von mir – ich bin euch wirklich dankbar, dass ihr mich ausgehalten habt.«

»Das haben wir doch gern getan. Und jetzt geh und stell das Leben dieser armen Kinder auf den Kopf. Genieß es, dass du nicht noch mehr lernen musst.« Lächelnd winkte sie mir nach, als ich mich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station machte. »Und unterhalte dich mit deinen neuen Chefs. Vielleicht können sie dir ja dabei helfen, den perfekten Job zu finden. Du musst etwas mehr mit deinem Leben anfangen, als nur zur Schule zu gehen!«

Ihre Worte begleiteten mich die nächste Stunde, als ich im Zug zur Küste nach Cornwall saß, wo mich mein gefürchteter Sommerjob erwartete.

»Das Problem ist«, sagte ich laut und blickte aus dem Fenster des Zuges, der am belebten Bahnsteig stand. Der Lärm unzähliger Menschen im Bahnhof drang gedämpft durch die Scheiben. »Ich lerne gerne.«

»Oh, Entschuldigung, ist hier besetzt?« Eine Frau blieb an der offenen Tür des Abteils stehen, in dem ich saß.

Ich blickte auf die braunen Plüschsitze und sagte: »Nein, keineswegs, ich habe nur gerade mit mir selbst geredet.«

»Das mache ich auch oft«, sagte die Frau und wuchtete zwei Koffer auf die weißen Metallablagen über den Sitzen. Sie blickte sich im Abteil um und fügte hinzu: »Einen solchen Zug habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.«

»Der Mann am Fahrkartenschalter hat gesagt, es habe mechanische Probleme gegeben, und deshalb mussten sie ein paar alte Waggons wieder einsetzen. Ich finde es eigentlich lustig. Es ist sehr Agatha Christie, finden Sie nicht auch? Ich habe halbwegs erwartet, eine Leiche unter dem Sitz zu finden oder eine Schachtel mit gestohlenem Schmuck in der Gepäckablage.«

Sie schenkte mir ein kurzes Lächeln und setzte sich mir gegenüber. Dann zog sie ihr Handy heraus, betrachtete es missmutig und legte es auf den Platz neben sich. Von Ferne war eine total unverständliche metallische Stimme zu hören, die Anweisungen oder Informationen von sich gab. »Diese alten Abteile sind ganz anders, oder? Wahrscheinlich haben die Leute viel mehr miteinander geredet, weil die Sitzreihen sich gegenüberliegen und nicht hintereinander wie heutzutage.«

»Genau. Ich bin übrigens Mercy. Eigentlich Mercedes, aber alle nennen mich Mercy.« Ich reichte ihr nicht die Hand, nicht weil ich das Gefühl hatte, sie würde sie ablehnen, sondern weil sie schon wieder mit ihrem Handy beschäftigt war.

»Janna«, sagte sie abrupt. Dann blickte sie auf und runzelte die Stirn. »Entschuldigung, das ist mein Name. Sind Sie Kanadierin oder Amerikanerin?«

»Eigentlich beides. Meine Mutter war aus British Columbia, aber mein Dad kommt aus Kalifornien. Ich habe in London Rechtsgeschichte studiert, aber mir ist das Geld ausgegangen, und deshalb fahre ich jetzt nach Cornwall, um eine Stelle anzutreten.« Ich hielt inne, da mir klar wurde, dass ich mich zur Zielscheibe der üblichen Witze über Amerikaner machte, die Fremden gerne viel zu bereitwillig ihr gesamtes Leben anvertrauen.

»Oh?« Sie blickte von ihrem Telefon auf. Ihre Miene wirkte angespannt. »Entschuldigung, ich bin heute ein wenig zerstreut. Geoff, mein Partner – nun ja, eigentlich mein Ex-Partner –, ist nach Ibiza gefahren, um dort in einem Resort zu arbeiten, und jetzt schreibt er mir, es sei ein Fehler gewesen, mich zu verlassen, und ich solle auch dorthin kommen.«

Ich lehnte mich auf meinem abgenutzten (aber immer noch seltsam bequemen) Sitz zurück und bereitete mich auf das menschliche Drama vor, das mich immer wieder faszinierte. »Ach, du liebe Güte! Ibiza klingt exotisch und sonnig.«

»Das ist es auch.« Sie blickte aus dem Fenster und presste die Lippen zusammen. Der Zug ruckte und fuhr an, vorbei an den Menschenmassen im Bahnhof. »Ich wünschte, ich wüsste, was ich tun soll. Wir waren vier Jahre lang zusammen, und eines Tages war alles aus …« Sie brach ab und schaute mich bekümmert an. »Entschuldigung, ich erzähle dummes Zeug.«

»Nein, nein, keineswegs. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie reden wollen. Man hat mir gesagt, ich sei eine mitfühlende Zuhörerin, wahrscheinlich weil ich zwei Jahre auf der Universität von Calgary Psychologie studiert habe.«

Sie schaute mich ein wenig zweifelnd an, aber offensichtlich reizte es sie, eine mitfühlende Zuhörerin gefunden zu haben, denn innerhalb von fünf Minuten erzählte sie mir alles von ihrem Leben, ihren Hoffnungen und vor allem von ihren Plänen, mit Geoff zusammenzuleben, der aber aus Angst vor Bindung davongelaufen war. »Und jetzt«, schloss sie etwa zwanzig Minuten später, »jetzt sagt er auf einmal, er kann nicht ohne mich leben, und ich soll alles andere stehen und liegen lassen und mit ihm nach Ibiza kommen.«

»Das ist eine schwierige Situation«, sagte ich langsam, da ich keinen Rat geben wollte, der nicht erwünscht war. »Es gibt vermutlich einige Pros und Kontras zu berücksichtigen.«

»Nicht allzu viele Kontras, das ist das Problem«, sagte sie kläglich und blickte auf ihr Handy. »Mich hält eigentlich nichts hier. Meine Mitbewohnerinnen werden mich ohne Probleme ersetzen können. Ich habe den Job, zu dem ich unterwegs bin, noch nicht einmal angefangen, und er ist sowieso nur für den Sommer. Und das Resort, in dem Geoff arbeitet, klingt himmlisch. Er sagte, ich würde dort ohne Probleme sofort einen Job bekommen.«

»Klingt so, als stünde ihre Meinung schon fest«, sagte ich.

Sie biss sich auf die Lippe. »Ich hasse den Gedanken, Vandal im Stich zu lassen. Das ist das einzig Schlimme daran.«

»Vandal?«

»Der Mann, der mich für den Sommer engagiert hat. Er ist nett, wenn auch ein bisschen leichtlebig, und ich möchte ihn einfach ungern ohne die Hilfe lassen, die er benötigt.« Sie musterte mich. »Haben Sie nicht gesagt, dass Sie auch wegen eines Jobs nach Cornwall fahren?«

Ich verzog das Gesicht. »Leider ja. Eine Freundin hat mir einen Job als Lehrerin für zwei völlig verwöhnte Kinder mit einer unmöglichen Mutter vermittelt. Denken Sie etwa das Gleiche, was ich denke? Ich bin glatt in der Lage, Sie beim Wort zu nehmen.«

Sie lachte. »Das müssen ja echt verwöhnte Kinder sein.«

»Sie haben ja keine Ahnung. Wie sieht denn der Job aus, von dem Sie reden?«

»Allgemeine Hilfskraft eigentlich. Eintrittskarten kontrollieren bei einer Sommer-Attraktion, Hilfe bei den Kostümen, Kurierdienste, so etwas. Man verdient zwar nicht besonders viel, aber es ist mit Kost und Logis, und es kommt sicher auch einiges an Trinkgeldern zusammen.«

»Wie viel ist denn ›nicht besonders viel‹, wenn ich fragen darf?«

Ihr Telefon brummte erneut, und sofort wandte sie ihm ihre Aufmerksamkeit zu. Sie las den eingegangenen Text und lächelte. »Seit ihm klar geworden ist, wie dumm es von ihm war, mich zu verlassen, ist er so süß.«

Ich lächelte sie freundlich an. »Klingt so, als habe er seine Irrtümer eingesehen.«

»Ja.« Sie blickte mich entschlossen an. »Ich kann diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er hat absolut recht, wenn er schreibt, dass wir nur ein Leben haben, und es ist vergeudete Zeit, darüber nachzudenken, was hätte sein können. Hier, ich gebe Ihnen Vandals Handynummer. Ich texte ihm, dass ich meine Pläne geändert, aber einen Ersatz für ihn gefunden habe.«

»Warten Sie«, sagte ich panisch, als sie begann, in ihr Handy zu tippen. »Ich möchte zwar meinen Job schrecklich gerne hinwerfen, aber ich muss meine Arbeitgeberin zumindest vorwarnen. Sie mag ja total nervig sein, aber wenn ich den Job einfach nicht antreten würde, dann käme ich mir vor wie ein Schuft.«

Janna verzog das Gesicht. »Das ist aber edel von Ihnen.«

»Eigentlich nicht. Ich glaube nur an Karma. Man sollte die Menschen immer so behandeln, wie man selber behandelt werden möchte.«

Sie dachte einen Augenblick lang nach, dann kritzelte sie eine Telefonnummer auf ein Stück Papier, das sie von einem Umschlag, den sie in der Tasche hatte, abriss. »Ich gebe Ihnen Vandals Nummer aber auf jeden Fall, falls sie die Familie nicht ertragen können.« Sie blickte auf. »Wohin fahren sie überhaupt?«

»Nach Treacher«, nannte ich ihr den kleinen Ort an der Küste.

»Das ist ganz nahe bei Bestford, nur einen oder zwei Kilometer entfernt.« Sie reichte mir den Zettel. »Vandal & Company sind in einem großen alten Haus. Es soll sehr prächtig sein, auch wenn es schon bessere Tage gesehen hat.«

Ich steckte den Zettel kopfschüttelnd weg. »Es ist sicher alles ganz reizend, aber wie gesagt, ich muss den Job antreten, weil die Frau, die mich engagiert hat, mich erwartet. Aber ich behalte ihn mal, für den Fall, dass alles schiefläuft.«

»Ja, machen Sie das.« Sie blickte auf, als der Zug langsamer wurde und in einen Vorort-Bahnhof einfuhr. Rasch tippte sie etwas in ihr Handy. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, schicke ich Vandal gerade eine Nachricht über Sie. Wie ist Ihre Handynummer?«

»Ich habe keins.«

»Ah. Und wie kann man Sie kontaktieren?«

Ich überlegte einen Moment lang. »Ich nehme an, über meine Arbeitgeberin.« Ich gab ihr Namen und Telefonnummer.

»Hervorragend. Sie sprang auf, ergriff ihre Tasche und die Zeitschrift, die sie dabeihatte. »Ich texte Vandal, dass Sie möglicherweise mein Ersatz sind, sich aber zuerst um Ihren Job kümmern müssen.«

»Sie fahren wirklich nach Ibiza?«, fragte ich und folgte ihr in den Gang.

»Ja.« Sie eilte den Gang entlang, drehte sich aber noch einmal zu mir um. »Manchmal muss man einfach das tun, was einem richtig erscheint. Viel Glück, Mercy.«

»Ich wünsche Ihnen ein glückliches Leben mit Geoff«, antwortete ich und winkte ihr hinterher, als sie die Stufen zum Bahnsteig hinunterstieg.

Ich nahm wieder meinen Platz ein und lächelte, als eine ganze Horde von Schulmädchen, die über irgendeinen Popstar schnatterten, in mein Abteil einfiel. Während der Zug auf Cornwall zufuhr, biss ich mir auf die Lippe und fragte mich, ob ich nicht einfach Mrs Innes vom Bahnhof aus anrufen und ihr sagen sollte, ich hätte meine Meinung geändert.

Nein, sagte ich mir. So jemand willst du nicht sein. Gib dem Job eine Chance. Möglicherweise führt er ja zu anderen Dingen, besseren Dingen, und alles hat sich gelohnt.

Ich glaubte nicht wirklich daran, dass der Job irgendetwas anderes bewirken würde, als mich über den Sommer zu bringen und mir genügend Geld zu verschaffen, damit ich nach Kalifornien zurückfliegen konnte. Zwar wäre ich dort dann in genau der gleichen Lage wie in England, aber das lag in der Zukunft, und wenn ich eines beherrschte, dann, mir keine Gedanken über das zu machen, was sein könnte.

Mrs Innes wartete nicht am Bahnhof auf mich. Ich stand da und sah zu, wie die wenigen Leute, die ausgestiegen waren, sich auf den Heimweg machten, und fragte mich, ob das wohl ein Omen für die Dinge war, die kommen würden, oder ob Mrs Innes einfach nur unpünktlich war.

Nachdem ich eine halbe Stunde auf dem kleinen Bahnhof gewartet hatte, ging ich in den Ort und bat eine Dame in einem kleinen Lebensmittelladen, ob ich ihr Telefon benutzen dürfte, um meine Arbeitgeberin anzurufen und herauszubekommen, was ich tun sollte.

Eine Frau mit schwerem osteuropäischem Akzent nahm den Anruf entgegen. »Hallo?«

»Hi, hier spricht Mercy Starling. Eigentlich wollte Mrs Innes mich vor einer Weile am Bahnhof abholen, aber bis jetzt ist sie nicht erschienen. Können Sie mir sagen, ob sie unterwegs ist?«

»Mrs Ince nicht hier. Sie in Griechenland.«

»Sie ist was?« Ich schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein. Sie hat mich engagiert, um ihre Kinder zu unterrichten.«

»Mrs Ince in Griechenland«, beharrte die Frau.

»Aber … was ist mit den Kindern? Jocelyn und Natalia? Sind sie da?« Mich durchzuckte der wilde Gedanke, dass Mrs Innes einfach in Urlaub gefahren war und ihre Kinder zurückgelassen hatte – sie war durchaus so eine Person. »Ich soll sie diesen Sommer unterrichten.«

»Oh. Lehrer.« Papier raschelte. »Habe Nachricht für Lehrer. Nachricht sagt, nicht brauchen für drei Wochen. Dann zurück. Kinder in Griechenland mit Mama und Papa.«

Wut stieg in mir auf, Wut, weil Mrs Innes mich anscheinend so wenig wichtig nahm, während ich sie nicht im Stich lassen wollte. »Nun, das löst dieses kleine Dilemma«, sagte ich laut. »Ich habe bei Mrs Innes eine Nachricht hinterlassen, dass ich die Stelle gerne angetreten hätte, aber leider keine drei Wochen warten kann.«

»Hä?«, sagte die Frau im Lebensmittelladen und wandte sich von dem Kunden, den sie gerade bediente, zu mir.

»Entschuldigung, ich rede nur laut mit mir selbst.« Ich kramte in meiner Tasche und legte weitere Münzen auf die Theke. »Dürfte ich vielleicht noch einen Anruf machen?«

»Kein Problem, Liebes.« Sie sammelte die Münzen mit der linken Hand ein und wandte sich wieder der Dame zu, mit der sie gerade plauderte.

Es dauerte ein Weilchen, bis ich in den Tiefen meiner Tasche den Zettel gefunden hatte, den Janna mir hinterlassen hatte, aber dann wählte ich die Nummer, wobei ich nur leise vor mich hin grummelte.

»Wenn man bedenkt, dass ich all den Ärger und vor allem die Kosten auf mich genommen habe, um hier nach Cornwall zu kommen … oh, hallo, spreche ich mit Vandal?«

Die Stimme war nur schwer zu verstehen, er stand offenbar an einer belebten Straße. »Ja, in der Tat. Und Sie sind?«

»Mein Name ist Mercy Starling. Eine Frau namens Janna …«

»Ah, Sie sind Jannas Freundin, die ihren Platz einnehmen wird. Hervorragend. Können Sie nach Bestford kommen? Ich bin gerade mit der Ausrüstung aus Dover unterwegs, aber vor heute Abend bin ich nicht da.«

Ich dachte mir, es würde bestimmt einen Zug oder zumindest einen Bus in diese Richtung geben. Und wenn mir gar nichts anderes übrig blieb, konnte ich auch zu Fuß gehen. Janna hatte ja gesagt, es sei nicht weit. Es war zwar nicht ideal, meinen Koffer hinter mir her zu ziehen, aber es war zumindest besser, als hier zu bleiben und vor Wut zu kochen. »Ja, klar. Ich bin im Ort neben Bestford, und ich komme schon alleine dorthin.«

»Wunderbar. Fragen Sie die Einheimischen nach dem Weg nach Bestwood Hall. Eine Privatstraße führt zu dem Haus, aber wenn sie am unteren Ende aus dem Bus steigen müssen, kann ich sie sicher dort abholen.«

»Das klingt gut. Äh. Mir ist nicht ganz klar, wie der Job aussieht. Janna hat etwas von Mädchen für alles gesagt. Was genau machen Sie denn da überhaupt? Janna hat mir nur erzählt, dass es sich um eine Art Aufführung handelt.«

Vandals Stimme war kaum noch zu verstehen, aber ich hätte schwören können, dass er etwas über mittelalterliche Ritter sagte, bevor die Leitung endgültig tot war. Einen Moment lang starrte ich das Telefon an, dann drehte ich mich um und marschierte zum Schaufenster, in dem verschiedene Werbeplakate hingen. Und tatsächlich hing mitten in den Ankündigungen von Gemeindesitzungen, Pony-Club-Sommerfesten und Putzfrauen, die Jobs suchten, ein buntes Plakat mit einem Mann in Rüstung, der ein Mordsschwert schwang.

Kommen Sie zu den Hard Day’s-Rittern, hieß es in der Überschrift. Lernen Sie, auf mittelalterliche Weise zu kämpfen! Großbritanniens erste mittelalterliche Kampftruppe ist den ganzen Sommer über in Cornwall, um Schwertkampf, Bogenschießen und mittelalterliche Turniere durchzuführen. Kommen Sie für einen Tag oder eine ganze Woche nach Bestwood Hall! Kurse gibt es stündlich und wöchentlich, Privatunterricht möglich.

Es stand noch mehr da, aber ich las nicht weiter. Ich bedankte mich bei der Ladeninhaberin, ergriff meine Reisetasche, schlang sie mir wieder über die Schulter und eilte hinaus, um den Bus zu suchen, der mich zu diesem hervorragenden Sommerjob brachte.

Erst gegen vier gelang es mir, an meinem Zielort auszusteigen. Bis dahin war ich unerklärlicherweise in drei verschiedenen Orten gelandet. Bis zu Bestwood Hall musste ich etwa noch vier Kilometer laufen, und als ich von der gepflasterten Straße auf einen Kiesweg einbog, stieß ich auf ein Schild, das verkündete, Bestwood Hall sei nur noch anderthalb Kilometer entfernt. Ich schwitzte, meine Schulter, in die der Trageriemen der Reisetasche einschnitt, tat weh, und meine Beine fühlten sich an wie Marshmallows.

»Scheiß drauf!«, sagte ich, ließ die Tasche fallen und sank wenig anmutig darauf. Missmutig starrte ich auf die hohen, schwarzen schmiedeeisernen Tore, von denen eines schief in den Angeln hing, wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel. »Ich mache erst einmal eine Pause. Hoffentlich findet Vandal mich, bevor ich mich noch anderthalb Kilometer weiterschleppen muss.«

Um mich herum hörte ich die Geräusche der Natur. Wenn ich ganz still dasaß, konnte ich mindestens zehn verschiedene Vogelarten unterscheiden. Leises Muhen aus der Ferne erinnerte mich daran, dass ich mich hier auf dem Land befand, und die fluffigen weißen Flecken auf einem entfernten Hügel zeugten davon, dass hier nicht nur Kühe auf den üppig grünen Weiden standen. Die Gräser hinter mir rauschten geheimnisvoll, und einmal spähte ein scharfäugiges kleines braunes Gesicht daraus hervor.

»Frettchen?«, fragte ich das Gesicht. »Wiesel? Marder? Ich wünschte, ich würde den Unterschied kennen, aber ich habe keine Zoologie-Kurse belegt, deshalb kann ich dir leider nicht sagen, was du bist.«

Ein leises, ratterndes Geräusch wurde immer lauter, und dann tauchte ein Auto auf der Straße auf. Das Gesicht betrachtete mich noch ein paar Sekunden, dann zuckte es mit den Schnurrhaaren und war verschwunden. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf das Auto und fragte mich, ob es wohl Vandal war. Als das Auto an der Einfahrt langsamer wurde, sprang ich erleichtert auf. Ich ergriff meine Reisetasche und trat an den Straßenrand, und als das Auto vor mir anhielt, lächelte ich dankbar.

»Sie haben ein großartiges Timing«, sagte ich zu ihm. Ich ging zur Beifahrerseite und schob meine Tasche auf die Rückbank, bevor ich mich neben dem Fahrer niederließ. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, Sie zu sehen. Ich hätte es wirklich nicht sehr schön gefunden, auch noch die letzten anderthalb Kilometer zu Fuß zu gehen. Ich war schon so weit, dass ich einem Wiesel oder Marder von Zoologie-Kursen erzählt habe.«

Vandal starrte mich an. »Äh … sind Sie Zoologin?«

»Nein, aber ich wäre gerne eine.«

»Ah. Ein edles Ziel.«

»Auf jeden Fall ist es interessant. Aber wie gesagt, Ihr Timing ist hervorragend. Meine Füße tun so weh, ich hätte keine anderthalb Kilometer mehr laufen können.«

»Anderthalb Kilometer?«

Ich zeigte auf das Schild. »So schlimm wäre es ja gar nicht, aber meine Tasche wiegt eine Tonne.«

Er drehte sich zur Rückbank um und musterte meine Reisetasche. »Was ist darin?«

»Nur meine Sachen.« Wohlig seufzend lehnte ich mich zurück. »Die Sachen, die ich für den Sommer brauche.«

Er blickte mich aus zusammengekniffenen Augen an, und ich musste zugeben, dass ich ihn ausgiebiger musterte, als eine Angestellte normalerweise ihren Arbeitgeber in Augenschein nimmt. Er sah aus wie Anfang dreißig, hatte einen Dreitagebart, was meine Knie weich werden ließ, und auf seinen Wangen zeichneten sich Grübchen ab. Ich hatte schon eine Schwäche für Männer mit eckigem Kinn und Dreitagebart, aber wenn Vandal tatsächlich auch noch Grübchen hatte, dann würde es mir schwerfallen, meine Libido unter Kontrolle zu halten.

Zumal es zwei Jahre her war, seit ich einen Freund gehabt hatte.

Zwei lange Jahre.

»Sachen, die Sie für den Sommer brauchen?« Vandal blickte mich verwirrt an, als er wiederholte, was ich gesagt hatte. Dann hellte sich seine Miene plötzlich auf, und er nickte. »Ah. Sie sind hier, um … äh … mir zu helfen, nicht wahr?«

»Ja, genau.« Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu, als er den Gang einlegte und weiter den Kiesweg entlangfuhr. Hatte er unser Gespräch schon vergessen? »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich nur der Ersatz bin.«

»Hä?« Er warf mir einen Seitenblick zu. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Weg zu.

»Sie wissen schon, Janna. Sie sollte ja eigentlich hier sein, aber jetzt übernehme ich den Job an ihrer Stelle. Es ist nett von Ihnen, dass Sie mir das gestattet haben.«

»Ah, mir war gar nicht klar, dass es zwei waren. Sie ist wirklich sehr umsichtig.«

»Wer, Janna?«

»Nein, meine …« Er wedelte mit der Hand, der Wagen holperte durch ein Schlagloch, und sofort ergriff er wieder das Lenkrad mit beiden Händen. »Meine Schwägerin.«

»Ah. Das muss nett sein«, sagte ich unverbindlich und fragte mich, was das mit meinem Sommerjob zu tun hatte.

Vandal schwieg ein paar Sekunden, dann sagte er verlegen: »Wenn Sie vorhaben, eine Weile zu bleiben, sollte ich Sie vielleicht warnen, dass das Haus ziemlich unbequem sein wird. Es muss stark renoviert werden.«

»Das ist schon okay. Ich bin daran gewöhnt, unter schwierigen Umständen zu leben.« Ich warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu. Hatte ich ihn beleidigt? Er klang plötzlich so … abweisend. Als ob er mich nicht hierhaben wollte. »Ich bin früher jeden Sommer im Ferienlager gewesen, und dort lernt man, mit einem Feldbett und einem Zelt auszukommen.«

»Ich meine ja nur. Ich …« Er hustete, und das Auto geriet ein wenig aus der Spur, aber sofort trat er auf die Bremse und packte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Entschuldigung, aber ich habe Ihren Namen nicht verstanden«, sagte er.

»Mercedes Starling, aber außer meinem Dad nennen mich alle Mercy. Wow.« Ich beugte mich vor, als wir um eine Kurve fuhren und sich plötzlich der Blick auf das Haus öffnete, das inmitten von ungepflegten Rasenflächen und Hecken lag. »Das ist … das ist beeindruckend. Viel mehr, als ich erwartet habe.«

»Ja, es ist wirklich hübsch, nicht wahr?«, sagte Vandal. Seine Stimme wurde um ein paar Grade wärmer, und er hielt an, damit wir den Blick bewundern konnten. Er betrachtete das Haus aufmerksam, und ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er es so anstarrte. Wie ich erwartet hatte, war das Haus alt. Es war aus einem hübschen, hellgrauen Stein gebaut, mit zahlreichen tief liegenden, schmalen Bogenfenstern. Der Haupteingang lag unter einem Turm, der mit einer prachtvollen Reihe von Buntglasfenstern ausgestattet war. Rechts war ein Flügel angebaut worden – wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt, da die Fenster nicht zu denen des Haupthauses passten, aber der Stein war der gleiche. Hohe Schornsteine standen auf dem Dach, und ich zählte sechs Säulen, die dem Architekten (oder wahrscheinlich einem späteren Eigentümer) nachträglich noch eingefallen zu sein schienen.

»Es ist sehr, sehr hübsch«, stimmte ich zu. Ein paar Minuten lang saßen wir in einvernehmlichem Schweigen da. »Wie alt ist es?«

»Mitte sechzehntes Jahrhundert, zumindest das Haupthaus. Der Seitenflügel und der nördliche Block kamen ein Jahrhundert später hinzu. Angeblich gab es auch einen südlichen Block, in dem ein Stromgenerator stand, aber der flog vor mehr als dreißig Jahren in die Luft, deshalb ist das Haus jetzt architektonisch gesehen ein bisschen aus dem Gleichgewicht geraten. Aber trotzdem sehr hübsch, finden Sie nicht?« Vandal schien sich plötzlich zu besinnen, denn er warf mir einen undurchdringlichen Blick zu, räusperte sich und fuhr weiter. Ich hielt mich am Armaturenbrett fest, als er vor dem Hauseingang abrupt bremste. Er sah so aus, als wolle er etwas sagen, weil sein Adamsapfel auf und ab hüpfte, aber stattdessen stieg er mit einem frustrierten Laut aus dem Auto.

Na toll,