Krimi-Klassiker - Band 8: Du lebst auf Zeit am Zuckerhut - Irene Rodrian - E-Book
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Krimi-Klassiker - Band 8: Du lebst auf Zeit am Zuckerhut E-Book

Irene Rodrian

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Beschreibung

Er legte seinen Paß vor. Der Blick des Beamten schien ihn zu röntgen. Es dauerte ewig. Bei den anderen vorher hatte es nicht so lange gedauert. Der Beamte blätterte in einer Liste, sah ihn wieder an. Arnold spürte, daß ihm der Schweiß ausbrach … Arnold Langthaler hat immer ganz große Pläne, und immer geht alles schief. Als er nach seinem letzten missglückten Coup nach Brasilien flieht, lernt er dort die schöne Barbara kennen und scheint endlich sein Glück gefunden zu haben. Doch dann zeigt sie ihr wahres Gesicht und Arnold wird plötzlich als Mörder gesucht. Er flieht erneut – diesmal nach München, wo alles begann … Als erste deutsche Autorin von Kriminalromanen hat Irene Rodrian Krimigeschichte geschrieben. Bei dotbooks erscheinen ihre Klassiker nun exklusiv im eBook.

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Über dieses Buch:

Arnold Langthaler hat immer ganz große Pläne, und immer geht alles schief. Als er nach seinem letzten missglückten Coup nach Brasilien flieht, lernt er dort die schöne Barbara kennen und scheint endlich sein Glück gefunden zu haben. Doch dann zeigt sie ihr wahres Gesicht und Arnold wird plötzlich als Mörder gesucht. Er flieht erneut – diesmal nach München, wo alles begann …

Als erste deutsche Autorin von Kriminalromanen hat Irene Rodrian Krimigeschichte geschrieben. Bei dotbooks erscheinen ihre Klassiker nun exklusiv im eBook.

Über die Autorin:

Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, erhielt für ihren Roman Tod in St. Pauli 1967 den begehrten Edgar-Wallace-Preis. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von mehreren Millionen und als Drehbuchautorin (Tatort, Ein Fall für Zwei) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München.

Bei dotbooks erschienen bereits Irene Rodrians Barcelona-Krimis über das Ermittlerinnen-Team Llimona 5 (Meines Bruders Mörderin, Im Bann des Tigers, Eisiges Schweigen und Ein letztes Lächeln) sowie die Reihe Krimi-Klassiker (Tod in St. Pauli, Wer barfuß über Scherben geht, Finderlohn, Die netten Mörder von Schwabing, Küsschen für den Totengräber und Ein bisschen Föhn und du bist tot, weitere Titel sind in Vorbereitung).

Die Autorin im Internet: www.irenerodrian.com und www.llimona5.com

***

Neuausgabe Januar 2014

Copyright © der Originalausgabe 1976 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: © l.weeber - Fotolia.com

ISBN 978-3-95520-469-3

***

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Irene Rodrian

Du lebst auf Zeit am Zuckerhut

Kriminalroman

dotbooks.

Die Hauptpersonen

ARNOLD LANGTHALER will das große Abenteuer – koste es, was es wolle. Es kostet dann ziemlich viel.

WERNER SCHADE ist strikt gegen abenteuerliche Situationen und gerät unversehens in eine.

BARBARA JAEGY überläßt die Abenteuer anderen Leuten und verdient gut dabei.

ANNE KIRMAIR läßt sich auf ein Abenteuer ein und muß dafür bezahlen.

KASTNER

Dies ist ein Roman. Die Handlung ist frei erfunden, ebenso die auftretenden Personen. Sollte die eine oder andere Ähnlichkeit mit realen Personen haben, wäre dies ein in jeder Hinsicht bedauerlicher Zufall.

iRo

EINEN AUGENBLICK LANG SCHIEN DIE MASCHINE völlig stillzustehen, dann heulten die Düsen plötzlich auf, die Landebahn begann vorbeizurasen und sackte plötzlich nach links weg. Er wurde von der Schubkraft in den Sessel zurückgedrückt und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, hing die Küste mit der Gouverneurs-Insel und dem Atlantik wie eine ausgebreitete Reliefkarte vor seinem Fenster. Ihm wurde schlecht. Der Mann neben ihm roch nach Schweiß und billiger Seife. Das Flugzeug tauchte in die Wolkendecke, und die Nicht-Rauchen-Zeichen gingen aus. Er steckte sich eine Zigarette an und merkte, daß seine Hände zitterten. Der Brechreiz wurde stärker. Er hustete. Die Durchsage des Kapitäns kam in englisch, portugiesisch und deutsch. Wir begrüßen Sie herzlich an Bord unserer DC 10, knarz-knarz, auf dem Flug von Rio nach Zürich, knarz-knarz-knarz, unsere Reisegeschwindigkeit beträgt 895 Stundenkilometer, die Entfernung bis Dakar 3127 Meilen oder 5032 Kilometer, das Wetter ist klar, wir hoffen, knarz-knarz-knarz. Irgend jemand sagte etwas zu ihm. Er sah auf. Die Stewardeß lächelte. Sie war nicht auffallend hübsch. Kurzes Haar, ein rundes Gesicht mit großen braunen Augen, ziemlich viel Busen und etwas zu breite Hüften. Aber ihr Lächeln war nicht professionell und unpersönlich. Es schien nur ihm zu gelten. So als wollte sie ihm unausgesprochen mitteilen, daß sie alles wußte, aber daß es ihr nichts ausmachte, daß er sich auf sie verlassen könnte, daß sie ihm helfen würde. Wie zum Beweis dafür hielt sie ihm den kleinen Korb mit den Schokoladentäfelchen hin, LUFTHANSA, rot, grün, gelb und blau, er schüttelte den Kopf, der Mann neben ihm nahm zwei Tafeln, die Stewardeß ging zur nächsten Reihe. Im Augenwinkel sah er dicke Finger mit gerade geschnittenen Nägeln, die fast gierig das Papier von einem Täfelchen rissen, hörte die Kaugeräusche und das zufriedene Schmatzen. Hastig drückte er seine Zigarette aus und drängte sich an dem Mann vorbei auf den Gang. Das Flugzeug stieg immer noch, der Weg zur Toilette ging bergauf. Er riegelte sich ein und stützte sich auf das kleine Waschbecken. Sein Gesicht war schweißbedeckt, in dem Licht wirkte es nicht braun, sondern grün. Er ließ Wasser über seine Handgelenke laufen und wusch sich auch das Gesicht. Das Papierhandtuch kratzte auf der Haut, er fühlte sich etwas besser. Es wäre ihm lächerlich vorgekommen, sich in einem Flugzeug zu übergeben. Als er zu seinem Platz zurückging, sah er, daß die Stewardessen schon die Drinks auf den Trolley packten. Er war froh, daß er in der ersten Reihe saß. Er war der erste, den sie fragten. Die Kollegin war hellblond. Auch sie lächelte, als würde sie nur ihn meinen. Er bestellte sich einen Campari auf Eis und genoß die Kälte und den bitteren Geschmack, die die Übelkeit in seinem Magen verdrängten.

Sie flogen jetzt über den Wolken. Dicke gelbe Watteberge unter einem kobaltblauen Himmel. Er brauchte nur die Tür aufzumachen, um hinauszugehen und sich in Gold zu baden. Er nahm noch einen Schluck und zündete sich eine neue Zigarette an. In München war es jetzt schon Nacht. Vermutlich würde es regnen, vielleicht sogar schneien. Er dachte an das Haus in der Rumfordstraße, die graue Fassade, die Toreinfahrt mit Bockisch, dem Pförtner, und den Geruch von Leinöl und Farben. Und an Künzler, dieses Schwein. Doktor Künzler. Dürr und kahlköpfig hinter seinem Mahagonischreibtisch. Ganz der große Boß. KÜNZLER GMBH. Von der Baracke zum Konzern. Umsatzsteigerung von 23 %, und das mitten in der Rezession. Er trank den Campari aus und hielt der Stewardeß das leere Glas hin. Der kleinen braunhaarigen. Er grinste, und als sie ihm das gefüllte Glas zurückgab, bedankte er sich.

Vielleicht war er ja nach dem einen Glas schon besoffen, vielleicht lag es auch nur daran, daß er den ganzen Tag über nichts gegessen hatte. Aber allein der Gedanke daran, daß er so bald nicht wieder ins Büro zurückgehen würde, gab ihm ein Gefühl der Befriedigung.

1

Das leise Knacken, mit dem der Wecker das Radio einschaltete, hörte er nicht, und die Musik paßte perfekt in seinen Traum. Irgend etwas mit Sonne, Strand und braungebrannten Mädchen. Die Stimmen irritierten ihn, hell und aufgeregt, gekrönt von dem kindischen Werbespruch ‹Ich bin der X-tra Jumbo …›. Die Zeitansage weckte ihn endgültig auf. Sieben Uhr zehn. Er gähnte, mußte husten und drehte sich auf den Rücken. Ein weißer Arm rutschte von seiner Schulter und blieb auf seinem Bauch liegen. Verwirrt starrte er auf die rundlichen Finger mit den abgeknabberten rosarot lackierten Nägeln. Sie schlief noch. Das Haar zerzaust, der Mund halboffen und die Wimperntusche in dunklen Halbmonden unter den Augen. Er zog ihr die Decke weg und musterte ihren noch nicht ganz ausgewachsenen Teenagerkörper. Vermutlich hatte sie gestern drei Pfund zugenommen, so, wie sie reingehauen hatte. Was für eine Verschwendung, sich für sie mit Hirschsteak und Elsässer Muskat zu ruinieren, wo es ein Hamburger mit Pommes frites und Ketchup genauso getan hätte. Er setzte sich auf, sie seufzte. «Arnie?» Auf dem Teppich lagen Plattenhüllen herum, Kleidungsstücke, eine leere Weinflasche, der Aschenbecher neben dem Bett war übervoll, eines der Gläser umgekippt, die Teppichfasern drum herum zusammengeklebt. Durch die blau-roten Vorhänge schimmerte das Licht einer Straßenlaterne und ließ das Zimmer seltsam kalt und ungemütlich erscheinen, trotz des roten Lämpchens, das immer noch neben dem Kopfende brannte.

«Liebst du mich noch?»

Er tätschelte ihren Arm, stand auf und ging zum Fenster. Die Straßen waren noch weiß, aber der Schnee war naß, und die ersten Autos hatten schon ihre schmutziggrauen Spuren hinterlassen. Er drehte sich um und ging zum Bad. Ihre piepsige Kleinmädchenstimme folgte ihm.

«Komm doch her!»

«Es ist gleich halb acht!» Er schloß die Tür hinter sich und stellte sich unter die Dusche.

Als er zurückkam, knipste er das Deckenlicht an. Mit einem leisen Schrei kroch sie halb unter die Decke. Er nahm frische Wäsche aus dem Schrank und zog sich an. Den dunkelbraunen Kordanzug und den weißen Rollkragenpullover. Sie sah ihm dabei zu.

«Ist richtig schick bei dir! Kann ich noch ein bißchen hierbleiben?»

Er räumte den Inhalt seiner Taschen um.

Sie bettelte: «Bitte, ja? Ich mach auch sauber …»

Er nahm den Lammfellmantel und kontrollierte, ob die Autoschlüssel in der Tasche waren; dann zögerte er kurz, konnte sich aber nicht dazu überwinden, sie noch einmal zu küssen. «Okay, aber mach die Tür hinter dir zu.» Er ging hinaus.

Der Alfa sprang nicht gleich an, und er sah, daß die Nadel der Benzinuhr auf leer stand. Er fuhr die Garagenrampe hinauf und tankte am Automaten für fünf Mark. Es war feucht, die Scheiben beschlugen, und er fröstelte. Als er auf die Straße hinausfuhr, rutschte ihm ein blind vermummter Mopedfahrer vor die Kühlerhaube. Es war nichts weiter passiert, aber seine Nerven waren sowieso überreizt. Alles war scheußlich und grauenhaft.

In seinem Pförtnerhäuschen packte Bockisch gerade die Thermosflasche und das Brotzeitpaket aus und grüßte, ohne aufzuschauen. Es war zehn nach halb acht, und in allen Büros brannte schon Licht. Er ging über den Parkplatz. Obwohl in dem Gebäude hier nur die Verwaltung und das Musterlager waren, lag sogar jetzt, im Winter, über dem ganzen Gelände ein leichter Geruch von Öl und Farben. Er hing in den Vorhängen, in den Böden, in den Türen, und abends, wenn er heimfuhr, auch in seinem Anzug. Er würde sich nie daran gewöhnen können. Im Gang traf er Fischlein, Künzlers Sekretärin, und bekam ein kühles Nicken als Begrüßung. Dafür strahlte Gerti um so mehr, als sie ihn sah. Er beugte sich zu ihr hinunter. «Wissen Sie, weshalb ich Sie liebe?» Sie kicherte, er senkte die Stimme geheimnisvoll. «Weil Sie den besten Kaffee in dieser ganzen Bruchbude kochen!» Sie kicherte stärker. Im Büro nebenan ertönte Papiergeraschel. Er richtete sich auf und ging hinüber.

Schade war natürlich schon da. Dick und rund und frisch rasiert hockte er hinter seinem Schreibtisch und wütete in einem Stoß Akten. Als er hereinkam, blinzelte er kurzsichtig durch seine Brille.

«Morgen, Arnold!»

«Morgen.» Er hängte seinen Mantel in den Schrank und ließ sich auf seinen Drehstuhl sinken. Vor drei Jahren hatte er noch gedacht, er würde sich daran gewöhnen, aber es wurde immer schlimmer. Jeden Morgen, jeden Tag dasselbe, dasselbe graue Gebäude, dieselben Gesichter darin, der abgewetzte Schreibtisch mit den grauen und hellgelben Akten darauf, die graulackierte Lampe und der überdimensionale Kalender, der ihn jeden Monat mit einem neuen Farbfoto wahnsinnig machte. Jetzt, im Januar, war es die Karibik. Dunkelblaues Wasser, ein weißer Sandstrand und grüne Palmen. Widerlich. Und dazu noch Werner. Dumm und häßlich und von einem geradezu besessenen Eifer erfüllt. Ihm schien das alles auch noch Spaß zu machen. My table is my castle. Und in zwanzig Jahren würde er immer noch hier hocken und Zahlenkolonnen addieren. Gerti brachte ihm seinen Kaffee und zwinkerte ihm zu. Auch wie jeden Tag. Die einzige Hoffnung war Petersen. Wenn er ging, wurde die Assistentenstelle frei. Mit eigenem Büro und Helga im Vorzimmer, und vor allem mit Auslandsreisen. Er zündete sich eine Zigarette an, wippte in seinem Stuhl zurück und stellte sich vor, wie sich alles dann ändern würde. Dann würde morgen nicht Petersen, sondern er selbst nach Rio fliegen. Der Nescafé in seiner Tasse war kalt geworden, aber vor seinen Augen stiegen die Bilder von sonnendurchglühten Tabakfarmen in Brasilien auf, braune, halbnackte Männer, weißzahnige Mädchen, die ihren flachen Bauch im Sambarhythmus wiegten, das Kalenderblatt vom Februar mit dem Zuckerhut und dem weiten Strand der Copacabana. Er saß in einem schattigen Terrassenlokal mit dem brasilianischen Geschäftspartner zusammen, sie aßen frischen Hummer und tranken eisgekühlten Rosé dazu, und mit seinem Charme und seiner Gewandtheit gelang es ihm, das größte Auslandsgeschäft abzuschließen, das die Künzler GmbH je an Land gezogen hatte. Das war ein Job für ihn. Er konnte mit Leuten umgehen, und er sprach Englisch, Französisch und Spanisch. Er war intelligent, gewandt und clever, er würde es denen schon zeigen. Gehalt und Provision, damit konnte er endlich etwas anfangen.

Er stellte die Tasse so heftig ab, daß der Löffel klirrte. Der Gedanke an das Geld hatte seinen Tagtraum brutal unterbrochen. Die achtzehnhundert. Lumpige 1800! Verdammt, er hatte wirklich vorgehabt, sie bis Januar zusammenzubekommen. Oder waren es schon 1900? So eine Scheiße, das hatte sich so zusammengeläppert, ohne daß er es richtig gemerkt hatte. Hier mal ein Hunderter, oder mal zwei. Diese kleinen Kleckerläden oder Malermeister wollten eben oft lieber bar bezahlen. Mein Gott, das war doch nicht seine Schuld, wenn sein albernes Gehalt nicht reichte. Mist. Er hatte den ganzen Dezember über nicht daran gedacht, wozu auch, über Weihnachten war man sicher vor diesen Finanzgeiern und Steuerschnüfflern. Er sah zu Schade hinüber. Der war auffallend still an dem Morgen. Und noch emsiger als sonst. «Sag mal», begann er, «hast du irgendwas von der Buchprüfung gehört?»

Schade zuckte die Schultern. «Nur Gerüchte. Kein fester Termin bis jetzt. Aber nach Adam Riese sind wir bald dran. Warum?»

«Nur so, die halten einen doch immer von der Arbeit ab.» Schade gab ein komisches Schnauben von sich. Es konnte einen nahenden Schnupfen anzeigen, aber auch seine Art zu lachen. Arnold schlug die oberste Mappe auf und tat so, als würde er sich in die Zahlenreihen vertiefen.

Der Apparat auf seinem Tisch schnurrte. Er nahm ab. Der Chef persönlich. «Morgen, Langthaler. Waren Sie schon bei Kissel & Co.?»

«Nein, ich wollte gerade los.» Das hatte er völlig vergessen, aber Künzler schien fast erfreut darüber.

«Dann fahren Sie doch vorher in der Druckerei vorbei. Die neuen Farbbögen sind fertig, die können Sie dann gleich mitnehmen.»

«Okay.» Er legte auf. Wie der sich mal wieder aufführte. Wer hatte schließlich die Idee mit den Werbebögen gehabt? Er. Und überhaupt die Idee mit dem ganzen Do-it-yourself-Geschäft, als der Bauboom nachließ? Er und kein anderer. Und was hatte sich dadurch für ihn geändert? Kein Furz. Er packte die Unterlagen in den Aktenkoffer und stand auf, um seinen Mantel anzuziehen. Schade sah nicht auf, als er hinausging.

Die Straßen waren geräumt, und er kam gut vorwärts. Ein Gutes hatte es ja, er kam raus aus dem Miefladen. Und in den meisten Firmen, die er besuchte, war zumindest ein hübsches Mädchen beschäftigt. Er sah gut aus, das wußte er. Groß, schlank, interessantes Gesicht, welliges Haar; mit Weibern hatte er noch nie Probleme gehabt. Nur die Klasse, verdammt, die Klasse. Solche Pipimädchen wie heute nacht waren die Mühe ja weiß Gott nicht wert. Wenn er da an die PR-Tante von Kissel dachte … Er pfiff vor sich hin. Bißchen alt vielleicht, über 30. Aber sonst … Stil, Mann, einfach Stil. Doch mit dem sicheren Instinkt des erfolggewohnten Vorzimmercasanovas erkannte er das übergroße Risiko einer Niederlage, und als er ihr in der Empfangshalle begegnete, machte er nur eine knappe und förmliche Verbeugung. Die Sekretärin des Verkaufsleiters war eines von diesen brillentragenden, supertüchtigen Schlachtrössern, an die jede Aufwendung von Charme sowieso verschwendet gewesen wäre, so blieb er nur an ihrem Tisch stehen und fragte, ob Wohlfahrt Zeit für ihn habe. Sie reichte ihm einen Zettel. «Da ist ein Anruf gekommen, von Ihrer Firma.»

Er las: Bitte bei KUONI, Maximiliansplatz, vorbeifahren. Rio-Ticket abholen. Schluß, aus. Ein Befehl für den Botenjungen. Er wurde wütend, und nicht einmal die Tatsache, daß Wohlfahrt sich ausgesprochen verhandlungsbereit zeigte, konnte seine Wut mildern.

Auf dem Rückweg raste er wie ein Irrer und parkte im Halteverbot. Auch das ausgesprochen schöne Mädchen im Reisebüro interessierte ihn nicht. Mürrisch teilte er ihr mit, daß er von der Künzler GmbH käme und das Rio-Flugticket für Herrn Petersen abholen solle. Dann starrte er haßerfüllt auf die Plakate, mit denen die Wände gespickt waren. Südsee, Bahamas, Florida. Sie mußte den Satz dreimal wiederholen, bis er merkte, daß sie mit ihm sprach.

«Bitte?»

«Es dauert noch einen Moment, weil das Ticket geändert werden muß.»

«Bitte?» Er verstand noch immer nicht.

«Der Name. Wir müssen ein neues Ticket ausstellen.»

«Hm?» Er begriff überhaupt nicht, wovon sie sprach. Sie lächelte. Schrieb, kontrollierte und schrieb weiter. Dann faltete sie das lange Heftchen zusammen und schob es in eine schwarze KUONI-Hülle aus Kunstleder.

«Dr. Künzler rief vorhin bei uns an, daß das Ticket auf Herrn Werner Schade umgeändert werden soll. Sind Sie das selbst?» Sie hielt ihm einen Stapel bunter Prospekte und Broschüren hin, er nahm sie automatisch. Der Schock machte ihn unfähig, zu denken oder auch nur normal zu reagieren. Er nickte. Sie lächelte wieder und wünschte ihm einen guten Flug.

Er wußte nicht, wie er auf die Straße hinausgekommen war. An der Windschutzscheibe seines Alfas klemmte ein Strafzettel. Er kümmerte sich nicht darum, sondern ging zu Fuß weiter. Er fror. Das Luitpold hatte schon offen. Er ging hinein, ließ sich auf eine Eckbank fallen und bestellte einen Kaffee und einen doppelten Cognac. Vor ihm auf dem Tisch lag das Ticket. Mr. W. Schade.SWISSAIR From Munich to Zurich. LUFTHANSA From Zurich to Rio. Okay. Er bestellte noch einen Cognac. Sein Kopf begann wieder zu arbeiten. Petersen war nicht sehr gesund. Irgend etwas war passiert, er konnte nicht fliegen. Aber der Termin mit den Typen in Rio war fest, Künzler brauchte einen Ersatzmann. Und bloß, weil er gerade unterwegs war, hatte er Schade genommen. Werner Schade, diese traurige Null, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Dann schlich sich ein anderer Gedanke dazu. Es lag gar nicht daran, daß er zufällig außer Haus gewesen war. Künzler hatte nie vorgehabt, ihn zu Petersens Nachfolger zu machen … Künzler war ein Idiot. Irgendwann nach dem Krieg hatte er seine Klitsche aufgemacht, und damit war für ihn die Zeit stehengeblieben. Er glaubte immer noch an Fleiß und Emsigkeit. Und an solche Arschkriecher wie Schade, der sich allein noch nicht mal die Hose aufknöpfen konnte. Enttäuschung und Haß schnürten ihm die Luft ab; als er zahlen wollte, verwechselte er ein Fünf-Mark-Stück mit einem Zweier und ließ einen Zehner fallen, ohne es zu bemerken. Die Bedienung hob ihn für ihn auf; er nahm ihn, ohne zu danken, und stolperte hinaus.

Mit klammen Fingern nahm er den Strafzettel von seinem Auto und zerriß ihn in kleine Fetzen.

Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann ihm der Gedanke gekommen war. Wann er zum erstenmal bewußt angefangen hatte, daran zu denken … Als er in die Firma zurückkam, hatte er sich äußerlich einigermaßen gefangen. Er gab Schade das Ticket, grinste sogar und gratulierte ihm. Er erfuhr, daß Petersen mit einem Kreislaufkollaps in die Klinik gebracht worden war und daß Schade sich jetzt in aller Eile mit seinen Unterlagen beschäftigen mußte. Schades fettes Gesicht glühte vor Aufregung.

Arnold schaffte es bis kurz vor vier Uhr, dann ging er zu Künzler und stotterte irgend etwas von einer Grippe. Künzler war sauer, daß er ausgerechnet jetzt damit ankam, aber er schien wirklich schlecht auszusehen, denn nach einem kurzen Blick winkte er ihn hinaus.

Das Mädchen war weg, sein Apartment aufgeräumt. Auf dem Couchtisch lag ein Zettel mit einer ungeschickt gemalten Blümchengirlande und dem Wort Love. Er zerknüllte ihn und warf ihn in den Papierkorb. Dann legte er eine Platte auf, goß sich ein Wasserglas halb voll Cognac und legte sich in den Fernsehsessel. Er rauchte und trank abwechselnd mit geschlossenen Augen, und auf seinem inneren Bildschirm zeigten sich zwei Kontospalten. Soll und Haben. Auf der einen Seite die 1800 Mark – oder waren es 1900? Und der Buchprüfer, die Kälte, die Nässe, Künzler und der graue, nach Farben stinkende Firmenkomplex, sein überzogenes Bankkonto und die ganze endlose Beschissenheit des Lebens, das vor ihm lag. Auf der anderen Seite das Flugzeug, das Abenteuer, Sonne, Sommer, Meer, tropischer Himmel. Ein neuer Anfang. Die Welt gehörte ihm.

Um halb zehn rief er Schade zu Hause an.

«Werner, du, mir ist da was eingefallen …»

«Arnold! Wie geht’s denn?»

«Geht schon. Paß mal auf, ich hab ein paar Adressen in Rio, wirklich gute Leute, du kannst sie anrufen, wenn du Zeit hast, die werden dir alles zeigen …»

«Das ist nett, aber ich weiß gar nicht, ob ich …»

«Aber klar, du wirst ja wohl nicht Tag und Nacht arbeiten … Hör zu, was hältst du davon, wenn ich dich morgen abend zum Flugplatz fahre?»

«Das ist freundlich, aber ich …»

«Kein Problem, ich mach das gern. Wann mußt du dort sein?»

«Um sechs. Ich kann aber gut ein Taxi …»

«Kommt doch gar nicht in Frage. Ich bring dich hin, und wir heben noch einen zusammen. Okay?»

«Ja, wenn du meinst …»

Arnold hängte ein. Dann zog er sich langsam aus, legte sich ins Bett und schlief sofort ein.

2

Am nächsten Tag ging Arnold nicht ins Büro. Er wachte kurz nach elf auf, und seine Stimme war durch Zigaretten und den Cognac so heiser, daß sie sich am Telefon durchaus krank anhörte, als er Künzler anrief und ihm mitteilte, daß er wohl noch ein, zwei Tage im Bett bleiben müßte. Künzler schien nicht sonderlich interessiert. Er sagte nur «Ja, ja, gute Besserung!» und legte wieder auf.

Arnold ließ sich in die Kissen zurückfallen und genoß das schöne Gefühl, Schule zu schwänzen. Auf der Straße hupten die Autos und zogen zischend Matschfontänen hinter sich her. Das war vorbei. Für ihn war das endgültig vorbei. Gestern abend beim Ausziehen hatte er noch kurz überlegt, ob die Hochstimmung anhalten würde, ob sie auf den Alkohol zurückzuführen war, oder ob sie standhielt. Aber sie war echt. Durch und durch echt. Er hatte seine Situation durchschaut und analysiert, und er wußte, was er wollte: leben. Verdammt noch mal, einfach nur LEBEN. Er war noch jung. Aber in fünf Jahren war er dreißig. Mein Gott, dann konnte er sich immer noch überlegen, ob er als dickbäuchiger Glatzkopf in einem nach Öl und Farben stinkenden Büro enden wollte. Aber sich in dieser Zeit und in diesem Augenblick Sorgen um seinen Rentenanspruch zu machen, das war doch absurd. Es ging um JETZT. Und sein Plan war ganz bewußt nur auf JETZT abgestimmt. Brasilien war weit; hier kam sein break, sein Abenteuer; er würde es bis zuletzt auskosten, und wer weiß, was da noch alles passieren konnte. Die Welt war bunt und voller Überraschungen … Er grinste und stand auf. Fast genußvoll zog er die Vorhänge zurück und schaute auf die graue, nasse und kalte Straße hinunter, auf der sich die Fußgänger gegen den Schneeregen zusammenkrümmten. Er ging ins Bad und stellte die Dusche auf lauwarm. Schäumte sich mit Seife ein. Bewunderte seinen Körper im Spiegel: schlank, muskulös, kräftige Schenkel. Man konnte immer noch sehen, wo im Sommer die Badehose aufgehört hatte. Er wurde schnell braun; eine Woche, und er würde noch besser aussehen. Er grinste sein Spiegelbild an, und obwohl seine Augen noch klein vom Kater und vom Schlafen waren, fand er sein Gesicht männlich und attraktiv. Er war happy. Er war so happy wie seit Jahren nicht mehr. Eigentlich konnte er sich überhaupt nicht erinnern, jemals so happy gewesen zu sein. Wenn sie ihn wirklich irgendwann erwischen sollten – was konnten sie ihm schon groß anhaben? Er war nicht vorbestraft, und er war ein guter Schauspieler. Bewährung und Vorstrafe. Na und? Er hatte nie vorgehabt, Beamter zu werden.

Er lief nackt ins Zimmer zurück, legte eine Beatplatte auf und tanzte in die Küche. Er braute sich eine Kanne schwarzen Kaffee, briet sich vier Spiegeleier dazu und frühstückte mit Appetit. Dann kroch er mit der Zeitung, den Zigaretten und einem Aschenbecher wieder ins Bett zurück.

Das einzige Problem war der Ort. Das WO. Er hatte gestern schon darüber nachgedacht, aber ihm war nichts Bombensicheres eingefallen. Jetzt dachte er nicht darüber nach. Er kannte sich. Wenn er sich nur lange genug entspannte, würde der Genieblitz schon kommen.

Er kam um halb drei.

Der alte Lagerkeller der Finke KG. Ideal. Ein altes Abbruchhaus in Haidhausen, in dem niemand mehr wohnte und das niemand mehr betrat außer ein paar Gammlern, und das war ja auch ganz gut so, denn schließlich wollte er Schade ja nicht umbringen. Alles, was er brauchte, waren ein paar Stunden, bis er in Zürich sicher in dem Vogel saß.

Er sprang wieder aus dem Bett und begann, seinen Koffer zu packen. Karneval in Rio … Dort war jetzt Hochsommer. Dort war immer Sommer. Er packte seine hellen Jeans ein, ein paar indische Leinenhemden, Badeklamotten und noch so ein bißchen Krimskrams, von dem er sich nicht trennen wollte. Der Koffer war nicht schwer. Er stellte ihn neben die Tür und überlegte, was er anziehen sollte.

Auf keinen Fall durfte Schade vor der Zeit mißtrauisch werden. Er entschied sich für den aufgerauhten Jeansanzug und ein kariertes Baumwollhemd; Clogs dazu. So lief er auch im Winter herum, aber im Sommer war das genausogut. Und den Lammfellmantel würde er im Auto lassen … Der Alfa. Okay, die Karre hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, aber er hing an ihr … Was soll’s? Man muß Prioritäten setzen.

Dann holte er sich den Atlas und das Lexikon aus dem Regal und setzte sich auf den Boden. Rio. Die Stadt der Träume. Das Foto war nur schwarzweiß und etwas unscharf, aber für ihn war es farbig und dreidimensional. Der Zuckerhut, die Copacabana, die weißen Apartmenthäuser; braune Menschen, Musik, Vitalität, Leben … Hptst. des brasilianischen Staates Guanabara, 4,39 Mill. E. – eine Großstadt. Das war es doch überhaupt. In einer echten, quirligen Großstadt zu leben, vor sich einen kilometerlangen Sandstrand, hinter sich Berge und Wald und über sich den ewig blauen Tropenhimmel … Er las nicht mehr weiter. Er hatte genug Filme gesehen. Er stellte die Bücher zurück und räumte die Bude auf.

Um zehn nach vier läutete das Telefon. Es war Schade. «Tag, Arnold; wie geht es dir?»

«Prima, danke.»

«Es ist nur … Weil ich im Büro gehört habe, daß du Grippe hast …»

«Halb so wild!»

«Fein.» Verlegenes Räuspern. «Es ist nur, weil du dann sicher nicht …»

«Blödsinn, Werner. Abgemacht ist abgemacht. Mir geht’s gold!»

«Arnold …» Hüsteln. «Versteh mich bitte nicht falsch, aber die Sache in Rio ist ja ziemlich wichtig. Ich meine, wenn du, äh … Wenn du echt Grippe hast, dann … ich würde mich ungern …»

«Mann, Werner!» Er merkte, daß ihm der Schweiß ausbrach, und senkte die Stimme. «Hör mal, ganz unter uns: Ich hab nur einen Kater; da war gestern … Na, du verstehst doch! Sie war einfach spitze, und heute bin ich eben ein bißchen, na ja … Ansteckend ist da gar nichts. Kapiert?»

Schade kicherte auf eine Art, die Arnold klarmachte, daß der andere mangels einschlägiger Erfahrungen nicht kapieren konnte; aber er hörte noch etwas anderes heraus: eine gewisse Schadenfreude, die ihn an seine Schulzeit erinnerte. Sie hatten da so einen Streber in der Klasse gehabt, und dessen Kommentare zu Arnolds schlechten Noten waren auch immer mit so einem Kichern verziert gewesen.

«Also, um halb sechs läute ich bei dir, okay?»

«Lieber etwas früher …» Schade räusperte sich noch einmal. «Und vielen Dank auch.»

Arnold hängte ein. Er mochte ihn nicht. Er hatte ihn noch nie ausstehen können, diesen Fettsack. Diesen Streber. Diesen erbärmlich traurigen Trockenfurz … Was er vorhatte, tat er nur, um die größte Ungerechtigkeit der Welt zu verhindern.

Als er schon mit dem Koffer an der Tür stand, läutete das Telefon wieder. Zuerst wollte er nicht abnehmen, aber dann dachte er, daß es noch einmal Schade sein könnte, und meldete sich.

Die Stimme klang fremd, hoch und piepsig und wie mit Gewalt auf Klein-Mädchen getrimmt. «Hallo, Arnie, ich bin’s – Lissy … Du wolltest mich doch anrufen!» Vorwurf, nicht zu überhören.