Küss die Froschkönigin - Michelle Zerwas - E-Book

Küss die Froschkönigin E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Die erste Begegnung zwischen Martina und Zera verläuft nicht gerade erfreulich. Zera beschädigt aus Versehen Martinas Auto beim Zurücksetzen des Umzugswagens. Da trifft es sich gar nicht gut, dass Zera ins Nachbarhaus einzieht und sie von da an Nachbarinnen sind. Noch dazu bringen Zera und ihr Hund Kendo Chaos und Unruhe in die bis dahin ruhige Wohngegend. Innerhalb kürzester Zeit hat Zera ungewollt die gesamte Nachbarschaft gegen sich aufgebracht. Einzig Martina ist auf ihrer Seite und bekommt dadurch ebenfalls den Unmut der Nachbarn zu spüren. Während Martina sich immer mehr in Zera verliebt, schrecken die Nachbarn vor nichts mehr zurück und spinnen eine Intrige nach der anderen, um Zera zu vertreiben.

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Michelle Zerwas

Küss die Froschkönigin

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1. Kapitel

Martina genoss die Ruhe im Auto. Der heutige Tag hatte ihr wieder alles abverlangt. Als sie an einer roten Ampel halten musste, schloss sie für einen Moment die Augen und rieb sich die Schläfe. Die verdammten Kopfschmerzen quälten sie heute wieder besonders übel. Bereits am frühen Morgen hatten sie sich hinterhältig angeschlichen, waren ihren Nacken hinauf gewandert, um es sich danach in ihrem Kopf gemütlich zu machen. Nun pochten sie unangenehm über ihrem rechten Auge. Verantwortlich dafür waren die zahlreichen verzogenen Kinder, mit denen sie sich tagtäglich herum ärgern musste und die einen Lärm verursachten, der sie mitunter schier in den Wahnsinn trieb.

Seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie davon geträumt, Lehrerin zu werden und beharrlich ihren Weg dorthin verfolgt. Da hatte sie aber auch noch nicht gewusst, wie furchtbar Kinder und Jugendliche sein konnten. Leicht war der Job nie gewesen, aber seit einiger Zeit wurde es immer schlimmer. Martina hatte immer mehr den Eindruck, dass den Jugendlichen vieles im Elternhaus heutzutage nicht mehr vermittelt wurde, was früher selbstverständlich gewesen war. Umso mehr kam sie als Lehrerin an ihre Grenzen. Es war ein täglicher Kampf um alles, ums Gehör finden, um Ordnung, Frieden, Ruhe… und wenn es mal nicht die Schüler und Schülerinnen waren, die sie zur Verzweiflung brachten, waren es deren Eltern, die oft keine Einsicht zeigten, wenn Martina sich über deren Sprösslinge beschwerte. Sie hatte ja schließlich keine Ahnung, den Job verfehlt oder wollte ihren Schülern und Schülerinnen bloß eins rein würgen. Das waren noch die harmlosesten Unterstellungen, die sie sich von den Erziehungsberechtigten anhören musste.

Doch daran wollte sie jetzt nicht denken. Der Unterricht war für heute beendet, sie musste sich nicht mehr mit Schülern, Eltern und Kollegen rum ärgern, lediglich 30 Klassenarbeiten warteten an diesem Tag noch auf sie, die bis morgen korrigiert sein mussten. Das war das Schönste an ihrer Arbeit, weil währenddessen absolute Ruhe herrschte. Doch bevor sie sich an die Korrekturen setzte, wollte sie sich ein Stündchen hinlegen, damit die Kopfschmerzen Zeit hatten aus ihrem Kopf zu verschwinden.

Als sie in ihre Straße einbog und sich ihrem Haus näherte, lösten sich ihre gemachten Pläne in Luft auf, denn ein gewaltiger LKW versperrte ihr den Weg, machte ein Vorbeifahren unmöglich und blockierte noch dazu ihre Einfahrt.

„Das darf ja wohl nicht wahr sein“, fluchte Martina. „Was soll das denn?“ Sie war versucht die Hupe zu betätigen, doch gegen den gigantischen LKW konnte sie vermutlich sowieso nichts ausrichten. Bevor sie noch darüber nachdenken konnte, was sie nun tun sollte, setzte sich der LKW in Bewegung, rollte langsam rückwärts und kam ihrem Wagen immer näher. Martina sah das Ungetüm auf sich zurollen, es kam näher und näher, machte keine Anstalten anzuhalten. Martinas Herz begann zu rasen, der LKW war nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Sie wollte zurücksetzen, um einem Zusammenstoß zu entgehen, doch ihre Hand war schweißnass und rutschte vom Schaltknüppel ab. Als letzten Ausweg blieb ihr die Hupe, die sie verzweifelt betätigte, aber da knallte es auch schon. Durch ihr Auto fuhr ein Ruck. Sie fingerte mit zitternden Händen am Gurt herum und schaffte es, sich abzuschnallen, riss die Autotür auf und stieg stolpernd aus. Ihr erster Blick fiel auf die Front ihres Autos. Der linke Scheinwerfer war zerstört und lag in bunten Scherben am Boden. Martina sog die Luft ein und versuchte sich zu beruhigen, was nicht sehr erfolgreich war.

Sie wollte losstürmen, am LKW vorbei, Richtung Führerhaus, prallte jedoch gegen ein Hindernis, das sich als Mensch herausstellte.

„Hoppla“, hörte sie eine Stimme. Vor ihr stand eine Frau, schätzungsweise zehn Jahre jünger als sie selbst. Sie sah zerknirscht drein, ihre blauen Augen sahen sie entschuldigend an und sie strich sich verlegen eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Es tut mir leid. Das wollte ich nicht.“

„Sie sind die Fahrerin dieses Ungetüms?“, fragte Martina. Eine LKW Fahrerin hatte sie sich immer ganz anders vorgestellt, irgendwie burschikoser, kräftig gebaut, mit kurzen Haaren. Martina wurde bewusst, wie sehr man sich täuschen konnte und wie oft man in Schubladen dachte.

„Ja, die bin ich.“

„Schauen Sie, was Sie angerichtet haben“, schimpfte Martina drauflos und deutete auf ihr demoliertes Auto.

„Es tut mir wirklich leid. Es war keine Absicht. Normalerweise fahre ich so große Autos nicht.“

Martina wollte weiter schimpfen, stutzte allerdings nach den Worten ihres Gegenübers. „Moment mal, wollen Sie mir damit sagen, dass Sie keinen LKW Führerschein besitzen?“

„Na ja, … nein, ehrlich gesagt nicht.“

Das wurde ja immer besser. „Und was in Dreiteufelsnamen machen Sie dann hier? Sie können doch nicht einfach drauflos fahren ohne gültige Fahrerlaubnis.“

„Ich wollte ja nur einen Meter zurücksetzen“, verteidigte sich die Unfallverursacherin.

„Das war aber mehr als ein Meter“, belehrte Martina sie altklug.

„Kann sein. Ich habe die Strecke vorher nicht ausgemessen.“

„Das wäre besser gewesen, denn dann wäre das hier vielleicht nicht passiert.“ Abermals deutete Martina auf ihren Wagen.

„Ich hab mich doch schon entschuldigt“, reagierte die Unfallverursacherin ungehalten. „Hinten habe ich nun mal keine Augen. Woher sollte ich wissen, dass Sie hinter mir sind?“

„Möglicherweise lernt man das, wenn man den LKW Führerschein macht. Nur so als kleinen Tipp, bevor Sie sich wieder ans Steuer setzen.“

„Keine Sorge, ich hatte nicht vor das beruflich zu machen.“

„Ist vielleicht auch besser so“, erwiderte Martina. „Können Sie jetzt wenigstens den Weg frei machen? Sie blockieren gerade meine Einfahrt.“ Um ihre Absicht zu verdeutlichen, deutete Martina auf das Haus, in dem sie wohnte.

„Sie wohnen hier?“, fragte Martinas Gegenüber.

„Ja, stellen Sie sich vor, ich wohne hier und deshalb bestehe ich darauf, dass Sie dieses Ungetüm von einem LKW wieder ein wenig vor fahren, damit ich in meiner Einfahrt parken kann. Vorwärts fahren kann ja nicht so schwer sein. Wenn Sie nicht komplett blind sind, müssten Ihnen Hindernisse auffallen, die vor Ihnen liegen.“

Obwohl ihre Worte nicht gerade freundlich waren, ging die LKW Fahrerin nicht darauf ein, denn ein anderes Detail schien sie wesentlich mehr zu beschäftigen.

„Wie cool ist das denn, dann sind wir in Zukunft Nachbarn.“

Martina klappte vor Überraschung der Mund auf und es dauerte einen Moment, bis sie etwas erwidern konnte.

„Nachbarn, warum?“

„Ich habe das Haus neben Ihrem gekauft und ziehe heute ein, deshalb auch der riesen LKW. Damit lassen sich meine Habseligkeiten alle auf einmal transportieren.“

Martina war fassungslos und musste sich von dem soeben Gehörten erstmal erholen. Das war zu viel. Zuerst wurde ihr Auto beschädigt und nun erfuhr sie, dass das kein Geringerer gewesen war als ihre neue Nachbarin. Das ging ja gut los. Bereits in dem Moment spürte sie, dass die neue Nachbarin nichts als Unheil und Chaos bringen würde. Wenn es schon so anfing, konnte das doch nur ein übles Vorzeichen sein.

„Hi, ich bin Zera.“ Sie streckte Martina ihre Hand entgegen.

Martina zögerte einen Moment sie anzunehmen. Schließlich wusste sie nicht was geschah. Vielleicht brach Zera ihr aus Versehen ein paar Finger oder gleich die ganze Hand und glaubte dann mit einer einfachen Entschuldigung sei alles getan, so wie bei ihrem Auto. Schließlich nahm sie die dargebotene Hand.

„Martina“, stellte sie sich knapp vor.

„Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Martina“, sagte Zera, setzte ein Lächeln auf und schüttelte kurz Martinas Hand.

„Wenn ich jetzt sage, die Freude ist ganz meinerseits, entspricht das nicht ganz der Wahrheit“, erwiderte Martina sehr direkt aber ehrlich.

Zeras Lächeln verflüchtigte sich auf der Stelle.

„Bist du immer noch sauer wegen deines Wagens?“

Martina wusste nicht, was sie mehr verärgerte, die unverschämte Frage oder, dass Zera ungefragt zum Du übergegangen war.

„Ich hab doch schon zweimal gesagt, dass es mir Leid tut.“

„Das ist überaus freundlich, aber davon repariert sich mein Wagen nicht.“

Bevor Zera zu einer Entgegnung ansetzen konnte, trat ein Mann zu den beiden Streitenden.

„Ist jemand verletzt?“, fragte er besorgt.

„Nein, alles in Ordnung, Papa“, versicherte Zera schnell, was ihr einen bösen Blick von Martina einbrachte. „Mir ist da ein kleines Missgeschick passiert“, gestand sie.

„Kleines Missgeschick ist gut“, ereiferte sich Martina. „Da kommt einiges zusammen, fahren ohne Führerschein, Sachbeschädigung…“, zählte sie auf.

„Wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Es ist ja nichts passiert“, beschwichtigte Zeras Vater.

„Nichts passiert?“, entfuhr es Martina. In der Familie war anscheinend einer uneinsichtiger als der andere. „Sehen Sie sich mein Auto an und da behaupten Sie, es ist nichts passiert.“

„Es ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Und das da“, er deutete auf Martinas Auto, „ist nur ein Blechschaden. Ich werde den Unfall heute noch meiner Versicherung melden.“ Nach diesen Worten reichte er ihr ebenfalls die Hand. „Meyerling, mein Name. Bernd Meyerling. Mir gehört die Spedition Meyerling.“

„Martina Münster“, stellte sie sich vor.

„Sie ist meine neue Nachbarin“, informierte Zera ihren Vater. „Stell dir vor, sie wohnt gleich nebenan.“

„Da hast du dich ja gleich von deiner besten Seite präsentiert“, wandte er sich in gespieltem Tadel an seine Tochter. „Nicht wirklich ein gelungener Start für eine gute Nachbarschaft.“ Er wandte sich wieder an Martina. „Bitte, entschuldigen Sie. Zera ist manchmal etwas ungeduldig. Ich wollte den LKW gleich weg fahren, aber sie konnte wieder einmal nicht warten.“

Noch so ein verzogenes Töchterchen, vermutlich Einzelkind, sinnierte Martina gedanklich. Unter ihren Schülern gab es unzählige von dieser Sorte und nun konnte sie sich in Zukunft auch noch in der Nachbarschaft damit herumschlagen. Auch wenn Zera erwachsen war, blieb sie Papas Liebling. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den LKW ein Stückchen vorfahren könnten, damit ich in meine Einfahrt fahren kann.“

„Wird sofort erledigt“, sagte Bernd Meyerling. Er machte sich auf den Weg zum Führerhaus des LKWs, drehte sich aber auf halbem Wege nochmal zu Martina um. „Ich melde mich dann bei Ihnen wegen der Schadensregulierung.“

Martina nahm die Info nickend zur Kenntnis.

„Ähm, wir sehen uns“, verabschiedete sich Zera und machte sich ebenfalls aus dem Staub.

Martina blieb allein zurück, mit einem kaputten Auto, schlechter Laune und Fassungslosigkeit.

„Was für ein beschissener Tag“, murmelte sie vor sich hin. „Wäre ich doch bloß heute Morgen im Bett geblieben.“

2. Kapitel

Als Martinas Auto endlich in der Einfahrt stand, begann sie, ihre Schulsachen aus dem Auto zu räumen. An manchen Tagen konnte der Eindruck entstehen sie war nicht in der Schule gewesen, sondern hatte einen Kurztrip unternommen, weil sie mit mehreren Taschen behangen nach Hause zurückkehrte. In Wahrheit waren es nur Klassenarbeiten.

Während sie in ihrem Auto herum kramte, tat sie so, als ob im Haus nebenan kein neues Leben einzog, sondern es immer noch still, leer und schweigend da stand und ihr großes Bedürfnis nach Ruhe befriedigte. Die Vorbesitzer waren schon älter gewesen und immer sehr ruhig. Martina hatte es genossen sie als Nachbarn zu haben. Nun waren sie im Altenheim und um den Aufenthalt dort finanzieren zu können, hatten sie sich schweren Herzens dazu entschieden ihr Haus zu verkaufen. Nun zog neues Leben ein und es versprach turbulent zu werden. Mit der Ruhe war es vorbei. Das spürte sie gleich, als sie endlich wieder in ihren vier Wänden war. Immer wieder drang lautes Rufen an ihr Ohr, die von den Möbelpackern her rührten, Hubwagen ratterten die Einfahrt nebenan rauf und runter und transportierten die zahlreichen Umzugskartons. An ein kurzes entspanntes Schläfchen, wie sie es eigentlich geplant hatte, war an diesem Nachmittag nicht zu denken. Bei dem Lärm konnte man unmöglich Ruhe finden. Es musste also doch die gute alte Schmerztablette her halten. Danach gönnte sie sich eine Tasse Kaffee, die sie gemütlich auf dem Sofa sitzend in kleinen Schlucken trank, während sie darauf wartete, dass ihre Kopfschmerzen weniger wurden. Dabei versuchte sie die Geräusche, die von draußen zu ihr herein drangen, weitgehend auszublenden. Danach widmete sie sich den Klassenarbeiten ihrer Schüler. Sie nahm einen Packen Schulhefte aus einem Stoffbeutel und platzierte sie auf dem Esszimmertisch, auf dem mehrere rote Stifte bereit lagen. Sie lagen eigentlich immer dort, weil sie, bis auf wenige Ausnahmen, dort saß und korrigierte. Es war eine dieser zahllosen Gewohnheiten, die sich allmählich ins Leben einschlichen und irgendwann einfach blieben.

Sie schlug eines der Hefte auf und besah sich die erste Matheaufgabe. Bereits der Rechenweg war meilenweit davon entfernt, wie sie es im Unterricht erklärt hatte, absolut verworren und nicht nachvollziehbar und das Ergebnis war natürlich falsch. Sie malte ein rotes f an die Aufgabe und notierte am Rand eine 0. Das Elend zog sich durch die gesamte Klassenarbeit und am Ende konnte sie mit Mühe und Not drei Punkte finden, die jedoch nicht ausreichten. Seufzend schrieb sie ein ungenügend unten auf die letzte Seite, versehen mit dem Datum und ihrer Unterschrift. Sie konnte es nicht verstehen. Tag für Tag gab sie sich die größte Mühe den Lernstoff in die Köpfe ihrer Schüler zu bekommen, aber es schien nicht zu funktionieren. Lag es an ihr, an mangelndem Interesse der Jugend oder war schlicht Faulheit dafür verantwortlich. Bisher hatte sie keine Antwort darauf gefunden. Natürlich wusste sie, dass über 90 Prozent der Schüler mit Mathematik auf Kriegsfuß standen, was sie nicht verstand, weil es eine faszinierende Wissenschaft war.

Das zweite Heft versprach vielversprechender zu sein, bereits die erste Aufgabe war richtig gelöst und auch bei der zweiten Aufgabe stand das richtige Ergebnis. Martina lächelte glücklich. Es war eine Freude, ordentlich Punkte zu vergeben, denn entgegen der Meinung vieler Eltern war sie nicht darauf aus den Schülern eins rein zu würgen. Sie verteilte lieber gute Noten als schlechte.

Es folgten einige Flüchtigkeitsfehler und noch zwei weitere korrekt gelöste Aufgaben. Am Ende unterschrieb sie die Klassenarbeit mit einem „Gut“. Damit war sie zufrieden. Ein „Sehr gut“ war selten in diesem Fach. Nur wenige ihrer Schüler erreichten diese begehrte Note.

Sie arbeitete sich Heft für Heft voran und war nach einer Weile so vertieft darin, dass es ihr sogar gelang die störenden Geräusche von nebenan ein wenig auszublenden.

Die Türklingel ließ sie erschrocken zusammen zucken. Mit wild klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg zur Haustür.

„Hi, ich schon wieder“, sagte Zera.

Nicht die schon wieder, dachte Martina. Sie waren gerade mal einen Nachmittag lang Nachbarn und schon war Martina genervt von ihr.

„Ähm, ich wollte fragen, ob du rüber kommen willst? Wir haben einen kleinen Umtrunk vorbereitet für die Nachbarschaft.“

„Das ist sehr nett, aber ich muss noch arbeiten. Ein anderes Mal vielleicht.“

„Schade.“ Zera sah bedauernd drein. „Ich hätte dich echt gerne dabei.“

„Wie gesagt, ich muss arbeiten.“

„Kannst du nicht mal eine kleine Pause machen? Nur kurz.“ Ein beinahe schon flehender Blick traf sie. War es Zera wirklich wichtig sie dabei zu haben oder legte sie sich aus schlechtem Gewissen so ins Zeug?

Martina fiel es schwer hart zu bleiben. „Also gut, aber nur kurz“, hörte sie sich sagen und ärgerte sich im selben Moment darüber.

Zera strahlte. „Okay, cool. Kommst du sofort mit oder kommst du nach?“

„Ich komme gleich rüber.“

„Toll, bis gleich.“ Mit beschwingten Schritten ging Zera wieder rüber.

Martina sah ihr kurz nach, bevor sie die Haustür schloss und sich von innen dagegen lehnte.

Was passiert hier gerade? , fragte sie sich. Zera brachte ihren Alltag völlig durcheinander. Das konnte ja in Zukunft noch heiter werden.

Sie ließ sich noch ein paar Minuten Zeit und machte sich anschließend auf den Weg zum Nachbarhaus. Lust hatte sie nicht auf Geselligkeit, sie hielt sich lieber für sich, aber manchmal musste man im Leben über seinen Schatten springen.

Sie wurde mit großem Hallo empfangen, Zera lächelte ihr zu, drängelte sich neben sie und drückte ihr ein Glas Sekt in die Hand.

„Ist Sekt okay? Du kannst auch was anderes haben.“

„Ich trinke nur selten Alkohol.“

Zera nahm ihr das Sektglas aus der Hand. „Was magst du haben? Es gibt Cola, Limo, Wasser, Saft…“

„Cola, bitte.“

Zera rauschte davon, war schneller wieder da, als Martina gucken konnte und reichte ihr ein Glas Cola.

„Danke.“

„Schön, dass du gekommen bist.“

„Danke, für die Einladung.“

Kurz darauf ergriff Bernd Meyerling das Wort. „Vielen Dank, dass Sie alle gekommen sind. Heute vertraue ich Ihnen allen meine Tochter an und ich hoffe sehr, Sie nehmen sie in Ihrer Nachbarschaft auf. Besonders Frau Münster bitte ich, den heutigen Zwischenfall zu verzeihen.“

Sofort waren alle Augen auf Martina gerichtet, was ihr sehr unangenehm war und ein wildes Getuschel unter den Nachbarn setzte ein.

„Ich möchte Sie auch nicht lange mit meinem Gebrabbel nerven. Trinkt, habt Spaß und stärkt euch mit Frikadellen und Kartoffelsalat.“

Ein kurzer Applaus setzte ein.

„Magst du was essen?“, wandte sich Zera an Martina.

„Nein, danke. Ich muss auch gleich wieder rüber.“ Sie nippte an ihrer Cola.

Bevor Zera etwas erwidern konnte, trat jemand aus der Nachbarschaft zu ihnen, der am anderen Ende der Straße wohnte. Er reichte Zera die Hand. „Hi, ich bin Jochen.“

„Zera. Schön, dass du kommen konntest.“

„Danke, für die Einladung.“ Er nickte Martina kurz zu. „Welchen Zwischenfall meinte dein Vater?“

Martina rollte mit den Augen. Nachbarn konnten so furchtbar neugierig sein, nichts blieb ihnen verborgen.

Zera schien mit Jochens Neugier jedoch kein Problem zu haben und gab ihm bereitwillig Auskunft.

„Ich habe Zeras Auto versehentlich mit dem LKW beschädigt.“

„Ups, da müssen wir wohl in Zukunft gut auf unsere Autos achten“, bemerkte Jochen scherzhaft.

„Normalerweise bin ich nicht mit dem LKW unterwegs und mit meinem PKW kann ich ganz gut umgehen“, erklärte Zera. „Euren Autos passiert nichts.“

„Da hat mein Auto wohl einfach Pech gehabt“, konnte sich Martina nicht verkneifen zu sagen. Sie war immer noch sauer deswegen. Zwar hatte Bernd Meyerling ihr zugesichert sich darum zu kümmern, dennoch bedeutete es nichts als Scherereien.

„Da bekommt der Ausdruck auf gute Nachbarschaft eine ganz neue Bedeutung“, bemerkte Jochen. „Wenn das mal kein schlechtes Vorzeichen ist.“ Er sah zwischen Zera und Martina hin und her.

„Für solche Fälle gibt es ja glücklicherweise Versicherungen“, meinte Zera und lächelte Martina kurz zu. „Magst du was essen, Jochen? Greif zu, bevor alles weg ist.“

Jochen zockelte von dannen und Zera und Martina waren wieder allein.

„Ich glaube, hier werde ich mich wohlfühlen“, stellte Zera fest. „Ich hätte schlechtere Nachbarn erwischen können.“

„Das kannst du jetzt schon beurteilen, nach so kurzer Zeit?“

„Ja, bis jetzt sind doch alle nett. Besonders du.“

Martina reagierte überrascht. „Danke, für das Kompliment.“

Eine kleine Gruppe näherte sich Zera, um sie näher kennenzulernen. Martina wurde es zu viel und sie machte Anstalten zu gehen.

„Ich muss wieder rüber. Die Arbeit wartet.“

„Jetzt schon? Bleib doch noch.“ Zera wollte sie mit aller Macht dazu bringen zu bleiben.

„Nein, ich muss wirklich weiter machen.“

„Na gut, wir sehen uns.“ Ein weiteres Lächeln traf Martina.

„Ganz bestimmt“, sagte Martina und erwiderte kurz Zeras Lächeln. Sie drückte Zera ihr halbleeres Glas in die Hand und machte sich aus dem Staub. Innerlich fühlte sie sich sehr angespannt und sie konnte nicht mal wirklich sagen warum. Diese Anspannung löste sich erst, als sie wieder allein in ihrem Haus war. Zera brachte Chaos in ihr Leben, was ihr gar nicht gefiel. Um nicht darüber nachdenken zu müssen, setzte sie sich wieder an ihre Arbeit und versuchte konzentriert weiter zu machen. Es fiel ihr sehr schwer bei der Sache zu bleiben, weil ihre Gedanken immer wieder abschweiften. Sie musste sich immer wieder selbst ermahnen und sich zu Selbstdisziplin aufrufen, um ihre Arbeit ordentlich erledigen zu können. Zahlreiche Aufgaben musste sie mehrfach durchgehen, um keinen Fehler zu übersehen, deshalb saß sie viel länger als sonst über den Korrekturen und das ärgerte sie.

 

3. Kapitel

Am nächsten Morgen verließ Zera gerade das Haus, als Martina sich auf den Weg zur Schule machte. Sie winkten sich kurz zu.

Was sie wohl beruflich macht? , fragte sich Martina. Eigentlich war es nicht wichtig und sie wusste nicht, warum es sie interessierte. Normalerweise interessierte es sie nicht, was die Nachbarn so trieben. Warum war es bei Zera anders? Sie wischte die Gedanken zur Seite und konzentrierte sich auf den Verkehr. Einen weiteren Unfall wollte sie nicht riskieren, obwohl sich dann die Reparatur richtig gelohnt hätte.

An diesem Morgen fühlte sie sich wieder sehr lustlos. Sie hatte keine Lust sich mit den Schülern herum zu ärgern und auf die blöden Sprüche ihrer Kollegen hätte sie auch nur allzu gerne verzichtet. Dass diese kommen würden, davon ging sie aus, sobald ihnen der Schaden an ihrem Auto ins Auge fiel. Sie würden sich die Schadenfreude zwar nicht anmerken lassen, innerlich jedoch triumphieren.

Kaum hatte sie geparkt und war gerade dabei ihre Sachen aus dem Kofferraum zu kramen, ging es auch schon los.

„Guten Morgen, Frau Kollegin. Was ist denn mit deinem Wagen passiert?“

Herbert Krunkel hatte sich neben ihr aufgebaut und machte sich nicht die Mühe Bedauern zu heucheln.

„Ein kleiner Unfall, nichts Schlimmes. Ich war nicht schuld.“ Letzteres war ihr sehr wichtig zu betonen, schließlich ließen Männer gerne heraushängen, was sie von Frauen am Steuer hielten.

„Ärgerliche Sache sowas“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. „Papierkrieg mit der Versicherung, Termine in der Werkstatt usw.“

„Es gibt schlimmeres“, meinte Martina. Auf keinen Fall wollte sie ihren Kollegen spüren lassen, dass sie deswegen verärgert war.

„Du nimmst das ja locker“, bemerkte er.

Martina zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wozu soll ich mich darüber aufregen, es ändert ja nichts.“

„Auch wieder wahr, Frau Kollegin.“

„Sollen wir uns gemeinsam in die Höhle des Löwen begeben?“

„Geh ruhig schon vor. Ich brauche hier noch eine Weile.“

„Gut, bis später dann.“

„Ja, man sieht sich.“

Martina atmete erleichtert auf, als er sich von ihr entfernte. Sie hatte keine Lust am frühen Morgen schon Smalltalk zu betreiben, kam aber meistens nicht darum herum.

Die Nachricht von ihrem Unfall verbreitete sich im Laufe des Vormittags in der ganzen Schule. Gefühlt jeder sprach sie darauf an, sodass Martina sich irgendwann fragte, ob sie alle nicht genug eigene Probleme hatten, um die sie sich kümmern konnten. Es fiel ihr immer schwerer nicht genervt zu reagieren, wenn sie auf ihr Auto angesprochen wurde. Auch einige Schüler konnten es nicht lassen ihren Senf dazu zu geben, beleidigende Sprüche inklusive. Sie versuchte, sie so gut es ging zu ignorieren, denn alles andere machte es nur schlimmer. Sie sehnte das Ende des Schultages herbei, der ihr heute ungewöhnlich lang vorkam. Die letzte Stunde gab sie im Biologiesaal und letzte Stunden waren grundsätzlich immer die Schlimmsten. Die Aufmerksamkeit der Schüler war schon deutlich mehr auf die nachmittägliche Freizeitbeschäftigung gerichtet als auf den Unterricht. Lärm und Unruhe empfingen sie, als sie den Raum betrat. Es herrschte ein einziges Chaos, die meisten Schüler saßen nicht auf ihren Plätzen sondern waren wild im Raum verstreut, Papierbälle flogen durch die Luft, die Tafel war bunt bemalt, einige tippten wild auf ihren Handys herum, letzte Butterbrote wurden gegessen und der Geruch im Raum war kaum zu ertragen. Nach fünf Unterrichtsstunden, in denen die Fenster maximal kurz zum Lüften geöffnet worden waren, wenn überhaupt, war der Frischluftgehalt im Raum sehr niedrig. Es schien schlimmer zu werden, als sie angenommen hatte, doch da musste sie durch. Sie sorgte für Ruhe und dass die Schüler zu ihren Plätzen zurückkehrten und verlangte, dass die Fenster geöffnet wurden. Letzteres sorgte für Unmut bei den Schülern.

„Ihr sitzt in eurem eigenen Mief. Wie wollt ihr da anständig denken?“, argumentierte Martina.

„Frische Luft wird überbewertet“, bemerkte einer ihrer Schüler.

„Da bin ich anderer Meinung, aber vermutlich seid ihr es nicht mehr gewohnt, wenn ihr den ganzen Nachmittag im Haus vor euren PCs und Handys hockt.“

„Die vielen Hausaufgaben sind schuld“, meldete sich eine Schülerin zu Wort. „Wir sind chronisch überarbeitet, zum Rausgehen fehlt uns die Kraft.“

„Oh, wie tragisch. Wenn ich mal genug Zeit habe, bedauere ich euch alle. Zum Glück habt ihr ja noch genug Kraft für eure Handys, Spielekonsolen und womit ihr euch sonst so beschäftigt.“

Für einige Schüler reichte das Wort „Handy“ bereits wieder aus, um das Gerät aus der Tasche zu ziehen und auf neue Nachrichten zu überprüfen.

„Handys weg!“, befahl Martina. „Wir haben Unterricht. Wenn ich in drei Sekunden noch ein einziges Handy sehe, kassiere ich sie alle ein.“

„Buh!“, johlten die Schüler. „Unfair.“

Manchmal war es schwer nicht zu verzweifeln und gerade war so ein Moment, doch Martina riss sich zusammen und fuhr unbeirrt fort. „Wir fangen heute ein neues Thema an“, kündigte sie an. Danach nahm sie ein Stück Kreide, wischte eine Seite der Tafel sauber und schrieb das neue Thema auf. SPINNEN

Die Mädchen stießen laute Entsetzensschreie aus, was die Jungs nutzten, um ebenfalls wieder unruhig zu werden. Martina hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, aber das wäre fatal gewesen, denn wenn die Schüler erstmal eine Schwäche bei einer Lehrperson entdeckt hatten, nutzten sie das gnadenlos aus.

„Leute, es gibt keinen Grund solch einen Lärm zu machen“, bemühte sich Martina um Ruhe, was die Schüler zunächst nicht beeindruckte. Erst als sie mit Strafarbeiten und Einträgen ins Klassenbuch drohte, wurde es merklich ruhiger.

„Bitte schlagt euer Biologiebuch auf Seite 34 auf.“

Fast alle kamen leise murrend der Aufforderung nach.

„Alice, warum schlägst du dein Buch nicht auf?“, richtete Martina die Frage an ihre Schülerin. „Brauchst du eine Extraeinladung?“

„Auf Seite 34 sind Spinnen abgebildet und wenn ich sie sehe, muss ich gleich wieder schreien.“

„Das ist doch albern.“ Martina hatte kein Verständnis für die Ängste ihrer Schülerin.

„Kann ich mich so lange vom Unterricht befreien lassen, bis das Thema durch ist?“, fragte Alice.

„Nein, ganz sicher nicht“, antwortete Martina.

„Angsthase, Angsthase…!“, rief einer der Jungen und sofort fielen die anderen in seinen Sprechgesang ein.

„Keine Beleidigungen, bitte! Sonst verteile ich gleich Strafarbeiten.

„Es gibt so viele Tiere auf der Welt, warum müssen wir ausgerechnet das Thema Spinnen durchnehmen?“, rief Melanie in den Raum hinein.

„Weil es im Lehrplan steht“, erklärte Martina.

„Das ergibt keinen Sinn“, meldete sich Sebastian zu Wort. „Wozu müssen wir das wissen?“

„Unser Bildungssystem ist sowieso für ‘n Arsch“, erwiderte Jonas, bevor Martina etwas sagen konnte.

„Ich verbitte mir solche Ausdrücke“, rügte Martina ihn.

„Das kommt nicht von mir, mein Vater sagt das immer.“

„Das heißt nicht, dass du es nachplappern musst.“

„Warum sind Sie heute so mies drauf?“, fragte Jens.

„Ist doch ganz klar“, beantwortete Daniel ihm die Frage. „Sie hatte zu lange keinen Sex mehr und ist frustriert.“

„Wenn’s weiter nichts ist“, winkte Jason lapidar ab. „Sex bekommt man doch heute an jeder Ecke.“

Martina war schockiert und fühlte sich für einen Moment unfähig etwas zu sagen, bemühte sich aber einen kühlen Kopf zu bewahren.

„Das geht jetzt entschieden zu weit“, sagte Martina wütend. „Daniel, du schreibst bis morgen 1 DIN A4 Seite zum Thema: „Warum dich das Privatleben deiner Lehrerin nichts angeht“, dasselbe gilt auch für dich Jason und nun beginnen wir mit dem Unterricht. Ich möchte kein Wort mehr hören.“

Für einen Moment schien ihre Strenge Wirkung zu zeigen. Doch dann sprang Anton mit einem Satz auf und deutete mit ausgestrecktem Arm zur Wand. „Da, eine fette Spinne!“, rief er.

Seine Mitschülerinnen sprangen kreischend auf. Einige hüpften auf ihre Stühle oder den Tisch, liefen zur Tür und in Richtung Fensterfront. Anton kringelte sich vor Lachen und seine Mitschüler fielen in sein Gelächter ein.

Martina platzte nun vollends der Kragen. Das war zu viel. Sie war keine Spaßbremse, aber in dieser Stunde hatten es die Schüler übertrieben. Sie sorgte für Ruhe und atmete dann kurz durch, bevor sie die Strafen verteilte.

„Da ein normaler Unterricht mit euch heute nicht möglich ist, bearbeitet ihr nun eigenständig und vor allem leise die Aufgaben auf Seite 34.“

„Aber“, meldete sich Alice zu Wort.

„Kein Aber. Die Aufgabe gilt auch für dich. Die Spinnen auf den Fotos werden dir ganz sicher nicht ins Gesicht springen.“

„Ich mag sie mir aber nicht ansehen“, widersprach Alice erneut.

„Dann lässt du es bleiben. Für mich musst du die Aufgaben nicht machen. Lass es bleiben, aber dann musst du die Konsequenzen tragen. Ich werde eure Arbeit benoten. Wer bis zum Ende der Stunde nicht fertig ist, erledigt den Rest bitte zu Hause. Alice, du wirst morgen die Aufgaben einsammeln und in mein Fach legen lassen.“

„Warum ich?“

„Weil ich es sage. Punkt. Außerdem schreibt jeder von euch bis morgen die Hausordnung ab. Jens, du bist dafür zuständig, dass die Hausordnungen morgen in mein Fach wandern.“

„Muss ich die Strafarbeit trotzdem schreiben?“, fragte Daniel.

„Natürlich, ich wüsste nicht, dass ich sie zurückgenommen habe. Das gilt auch für dich, Jason.“

„Aber ich wollte heute Nachmittag zum Fußballtraining“, sagte Jason.

„Das ist nicht mein Problem.“

„Immer beschweren sich die Erwachsenen, dass wir nur noch vor dem Fernseher oder Handy sitzen und nun verbieten Sie mir das Fußballtraining.“

„Ich habe dir gar nichts verboten“, verteidigte sich Martina. „Wenn du dich beeilst, schaffst du beides und nun möchte ich nichts mehr hören. Noch ein Ton und jeder von euch schreibt die Hausordnung bis morgen dreimal.“

Endlich zeigten ihre Worte Wirkung. Bis zum Ende der Stunde herrschte beinahe schon gespenstische Stille und die Klasse bearbeitete konzentriert die Aufgaben. Martina genoss die Ruhe und war stolz auf sich, weil sie sich durchgesetzt hatte.

 

4. Kapitel

Als sie endlich im Auto saß und auf dem Weg nach Hause war, atmete sie erleichtert auf. Ein weiterer Tag war geschafft. Die Biologiestunde steckte ihr allerdings immer noch in den Knochen. Unfassbar, wie unverschämt die Schüler heutzutage waren. Daniels Aussage machte ihr besonders zu schaffen, vielleicht auch deshalb, weil er Recht hatte. Ihr letzter Sex lag lange zurück, aber ihre Schüler hatte das gefälligst nicht zu interessieren. Ihr Liebesleben ging niemanden etwas an. Sie versuchte, sich dadurch den Tag nicht verderben zu lassen. Es war ein herrlicher Sommertag, die Sonne strahlte vom Himmel und ausnahmsweise warteten an diesem Nachmittag mal keine Klassenarbeiten darauf korrigiert zu werden. Lediglich den Unterricht für den nächsten Tag musste sie noch vorbereiten, aber das konnte sie am Abend auch noch machen.

Als sie in ihre Einfahrt fuhr, wanderte ihr Blick automatisch zum Nachbarhaus. Zera schien nicht zu Hause zu sein, jedenfalls parkte ihr Auto nicht in der Einfahrt. Sie konnte sich nicht erklären, warum es sie interessierte, denn eigentlich war sie nicht übermäßig neugierig.

Beim Aussteigen erinnerte der Anblick ihres kaputten Autos sie daran einen Termin in der Werkstatt zu machen. Das wollte sie gleich in Angriff nehmen, bevor sie zum erholsamen Teil des Nachmittags überging.

Auf der Kommode im Flur griff sie gleich nach dem Festnetz Telefon und suchte im Telefonverzeichnis die Nummer ihrer Werkstatt. Bereits nach dem ersten Klingeln nahm jemand ab. Sie trug den Grund ihres Anrufes vor und bekam gleich für den nächsten Nachmittag einen Termin.

„Das wäre geschafft“, sprach sie mit sich selbst, nachdem sie den Anruf beendet hatte. Erleichtert ging sie weiter in die Küche, nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit selbstgemachtem Eistee aus dem Kühlschrank. Mit dem Glas in der Hand schlenderte sie hinüber ins Wohnzimmer und griff nach einem Buch auf dem Couchtisch, das sie am Abend vorher begonnen hatte zu lesen. Sie hatte es nur ungern weg gelegt, aber es war Zeit fürs Bett gewesen. Umso mehr freute sie sich nun auf einen entspannten Nachmittag im Liegestuhl.

Durch die Terrassentür trat sie ins Freie, sie streifte die Sandalen von den Füßen und betrat den Rasen. Sie liebte das kitzelnde Gras unter den Füßen und fühlte sich eins mit der Natur, wenn sie darüber lief. Wann immer es ging lief sie barfuß in Haus und Garten.

Es waren nur wenige Meter bis zum Liegestuhl, den sie gleich neben dem Gartenteich platziert hatte. Daneben stand ein Sonnenschirm, der aber geschlossen war und das sollte heute auch so bleiben. Sie wollte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spüren.

Genüsslich streckte sie sich auf dem Liegestuhl aus, zu ihrer rechten Seite ein kühles Getränk und zur linken der Gartenteich. Die Verdunstung des Wassers sorgte ebenfalls für ein wenig Abkühlung. Sie schloss kurz die Augen, um zu genießen. Die Sonnenstrahlen wärmten ihre Haut auf angenehme Weise, das Zwitschern der Vögel klang wie eine wunderschöne Melodie, die sich mit dem Plätschern des Wassers im Teich vermischte. Von Zeit zu Zeit wehte ein schwacher Wind, der ihren Körper sanft streichelte. Die Ruhe war eine Wohltat nach dem stressigen und lauten Vormittag. Als sie kurz davor war einzudösen, startete in der Nähe jemand seinen Rasenmäher.

„Muss das jetzt sein?“, murmelte Martina vor sich hin.

Seufzend öffnete sie ihre Augen wieder. Ein kleines Mittagsschläfchen konnte sie bei dem Lärm vergessen, aber ändern konnte sie es nicht, denn jeder hatte das Recht seinen Rasen zu mähen. Na ja, es konnte nicht ewig dauern, sagte sie sich. Obwohl es meistens so war, dass sich gleich mehrere Nachbarn anschlossen, wenn erstmal einer anfing den Rasen zu mähen.

Sie schlug ihr Buch auf und ließ sich in eine andere Welt entführen. Das Brummen des Rasenmähers wurde zu einem monotonen Hintergrundgeräusch, das sie anfangs noch sehr störte, mit der Zeit aber erträglicher wurde.

Stunden später klappte sie das Buch zu. Das Ende war überraschend gekommen und es hatte kein Happy End gegeben. Bis zum Schluss hatte sie mit den Protagonistinnen mitgefiebert und es hatte alles auf ein glückliches Ende hingedeutet. Kurz vor Schluss dann die Wende. Das Ende des Buches war so überraschend gewesen wie das Leben selbst. Sie schloss wieder die Augen und ließ die Geschichte noch einmal Revue passieren. Inzwischen herrschte eine angenehme Ruhe, nachdem ihr Gehör fast zwei Stunden mit dem röhrenden Rasenmäher malträtiert worden war.

Nach einer Weile spürte sie, dass das ausgiebige Sonnenbad Spuren auf ihrer Haut hinterlassen hatte. Sie schmerzte und spannte. Kein Wunder, sie hatte wieder mal vergessen sich einzucremen. Womöglich hatte sie es auch mit Absicht vergessen, denn sie hasste das klebrige Gefühl auf der Haut, das die Sonnencreme verursachte. Höchste Zeit ins Haus zu gehen, ihr Magen hatte sich auch schon lautstark gemeldet und verlangte nach Nahrung. Seit dem späten Vormittag hatte sie nichts mehr gegessen.

Als sie gemächlich über den Rasen in Richtung Haus zurückschlenderte, winkte ihr Zera vom Nachbargrundstück zu. Ihr war nicht wirklich nach plaudern zumute, aber sie konnte Zera auch nicht einfach stehen lassen. Sie war bereits auf dem Weg zum Zaun, der die beiden Grundstücke voneinander trennte.

„Hi, da war wohl jemand etwas zu lange in der Sonne“, begrüßte Zera Martina.

„Hi, ja, das Buch war so spannend, dass ich das gar nicht gemerkt habe.“ Zum Beweis hob Martina leicht die Hand, in der sie ihre Lektüre hielt.

„Lass mal sehen. Ich bin auch eine totale Leseratte.“

Martina wurde heiß und das lag nicht an der sommerlichen Temperatur, sondern an dem Lesbenroman in ihrer Hand. Sie wollte sich Zera gegenüber nicht outen. Eigentlich war es keine große Sache, aber sie kannten sich nicht und Martina band es ungern jedem gleich auf die Nase. Zum Glück sprang in dem Moment neben Zera ein großer schwarzer Hund mit den Vorderpfoten auf den Zaun. Sein Fell war lang und glänzte gepflegt. Martina tat er ein wenig Leid mit dem dicken Pelz bei der Hitze. Er hatte das Maul geöffnet, die rosa Zunge hing heraus und er hechelte stark.

„Wer bist du denn?“, richtete Martina das Wort an den Hund, froh über die Ablenkung von ihrer Lektüre.

„Das ist Kendo.“

„Gehört er dir?“

„Ja. Ich hoffe, du magst Hunde.“

„Ich würde mir nicht unbedingt selbst einen anschaffen, aber ich mag Hunde.“

„Gute Antwort“, sagte Zera anerkennend. „Kendo und ich wollten ein wenig Frisbee spielen. Hast du Lust rüber zu kommen?“

„Ein anderes Mal. Ich muss dringend aus der Sonne und mein Magen meldet Bedürfnisse an.“ Sie machte Anstalten zu gehen, froh darüber, dass sie sich so schnell aus dem Gespräch herausgewunden hatte.

„Also dann, wir sehen uns.“

Nach ein paar Schritten, vernahm sie Zeras Stimme. „Hey, warte mal! Du wolltest mir noch verraten wie das Buch heißt.“

„Wollte ich das?“

„Ja. Komm schon, raus damit! Ist es eines von diesen Erotikbüchern a la Fifty Shades of grey? Das muss dir echt nicht peinlich sein. Ich hab sowas auch schon gelesen. Ist nicht ganz so meins, aber eine Erfahrung wert.“

„Du hast Recht. Es ist eines dieser Bücher“, log Martina und hoffte überzeugend zu wirken. Es war immer noch besser, Zera glaubte, dass ihre Nachbarin heimlich erotische Literatur las, als zu wissen, dass eine Lesbe nebenan wohnte. Sie wusste zwar nicht, ob Zera damit ein Problem hatte, wollte aber lieber kein Risiko eingehen.

„Ich wünsche dir noch einen schönen Abend“, sagte Zera.

„Danke, ich dir auch.“

Wieder war Martina einige Schritte gegangen, als Zera erneut nach ihr rief.

„Sorry, ich hab noch was vergessen“, entschuldigte sie sich, sobald sie Martinas Aufmerksamkeit hatte.

„Kein Problem. Was gibt’s?“

„Ich soll dich von meinem Vater fragen, ob du schon einen Termin in der Werkstatt hast?“

„Ja, habe ich. Morgen bringe ich mein Auto hin.“

„Sehr gut. Die Rechnung sollst du mir geben und ich gebe sie an meinen Vater weiter. Er klärt das dann mit der Versicherung.“

„Danke.“

„Das ist ja wohl das Mindeste, schließlich habe ich den Schaden verursacht.“

„In ein paar Tagen sind alle Spuren beseitigt und niemand spricht mehr darüber“, meinte Martina.

„Dann bist du nicht mehr sauer auf mich?“

„Nein.“

Ein strahlendes Lächeln war Zeras Antwort und sie schaffte es Martina mit ihrem Lächeln anzustecken.

„Ich geh dann mal“, sagte Martina.

„Okay, bis bald.“ Zera winkte ihr zum Abschied kurz zu.

Diesmal schaffte Martina es bis zu ihrer Terrasse, ohne von Zera ein weiteres Mal aufgehalten zu werden. An der Terrassentür wandte sie sich nochmal um. In dem Moment flog auf dem Nachbargrundstück ein bunter Frisbee durch die Luft. Kendo schoss wie ein Blitz hinterher, sprang vom Boden, segelte kurz durch die Luft und fing den Frisbee geschickt mit dem Maul, um ihn Zera zurückzubringen.