Lass los, was dich alt macht - Sigrid Engelbrecht - E-Book

Lass los, was dich alt macht E-Book

Sigrid Engelbrecht

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Beschreibung

Dass Menschen Ü60 schon zum alten Eisen zählen, ist dank der gestiegenen Lebenserwartung passé. Und das wirkt sich auf unsere persönlichen Ziele aus: Wir möchten den Übergang in die kommenden Lebensjahrzehnte gut meistern und unser Leben so gestalten, dass die Lebensfreude weiter wächst – trotz mancher Einschränkung. Sigrid Engelbrecht zeigt konkret und unterhaltsam, wie es möglich ist, sich auch in den späteren Lebensjahren weiterzuentwickeln, sodass Lebensfreude und Zufriedenheit gestärkt werden. Denn - mit entsprechender Lebensweise meistern wir das Alter mit Würde – ganz ohne teures Anti-Aging – und erhalten uns ein Maximum an Lebensfreude. Wie das funktioniert, zeigt die Autorin in diesem Buch.

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Seitenzahl: 274

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Sigrid Engelbrecht

Lass los, was dich alt macht

Impulse für Gesundheit, Resilienz und Lebensfreude

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © mozZz / AdobeStock

E-Book Konvertierung: Zero Soft, Timisoara

ISBN Print 978-3-451-60128-6

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83234-5

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Was heißt hier alt?

Wie alt können wir werden?

Lebenserwartung und Lebensqualität

Wie wir uns das Alter vorstellen

Abwertende Altersstereotype – noch immer wirksam

Zwischen Jugendkult, Anti-Aging und Resignation: Ist das schon alles?

Was sind typische Alterungserscheinungen – und was nicht?

Biografisches Alter, biologisches Alter, psychologisches Alter

Wie beeinflussen Körper, Geist und Seele sich gegenseitig?

Wie uns der „Glücks-Atlas“ inspirieren kann

Kapitel 2: Ist Umbruch gleich Krise?

Das sechste Lebensjahrzehnt – eine typische Umbruchszeit

Was ändert sich im Ruhestand?

Persönliche Bestandsaufnahme

Loslassen, was nicht mehr aktuell ist

Der „La-Dolce-Vita-Effekt“ und was er bewirkt

Wünsche – Träume – Ziele neu definieren

Kapitel 3: Ent-Bitterung

Was uns wirklich alt macht

Groll ist Stress von innen

Der Zusammenhang zwischen Selbstakzeptanz, Versöhnung und Selbstsorge

Sich selbst ein guter Coach sein: Eigene Veränderungsprozesse achtsam begleiten

Ressourcen, auf die wir bauen können

Perlen im Alltag entdecken: das Freu-Tagebuch!

Kapitel 4: Denkvermögen und Kreativität

Ein wenig „Gehirnkunde“: Das Alter aus der Sicht der Hirnforschung

Angriffe auf das Denkvermögen: Ungute Einflüsse und deren Folgen

Lebenslanges Lernen: Öde Pflichtübung? Oder ein effektiver Weg zur Lebenszufriedenheit?

Basis für Kreativität: Achtsamkeit, Neugier und Konzentration

Wofür wir Kreativität brauchen

Kapitel 5: Fitness und Wellness: Ihr Körper als der beste Freund

Das richtige Maß für sich selbst finden: Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer

Gesundes Essen hält Seele, Kopf und Körper fit

Wenn der Schlaf nicht kommen will: Was hilft, gut zur Ruhe zu kommen

Fitness für Sinne und Seele: Wohnerleben, Wohlfühlplatz und Waldspaziergang

Die eigene Schönheit neu entdecken

Kapitel 6: Die Liebe und die Freundschaft

Nähe und Berührung

Späte Beziehungs-Chancen oder selbstbestimmtes Single-Leben?

„Selbstbestimmungstheorie“ und die „Sozioemotionale Selektivitätstheorie“

Alte Freunde – neue Freunde

Neue Ex-Freunde

Gute Nachbarschaften

Neue Lebensgemeinschaften

Wissen und Erfahrung weitergeben

Die Umgebung mitgestalten: Formen des Engagements im Alter

Autobiografisch Schreiben: nicht nur ein Booster für die Erinnerung

Kapitel 7: Vom Leben und Tod

Abschied nehmen (müssen)

Vorsorge treffen

Demenz: Wenn die Identität sich zurückzieht

Die Angst vor dem Sterben

Die Kunst, in Frieden Abschied zu nehmen

Verzeichnis der 33 Reflexionen

Anmerkungen

Über die Autorin

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Das Thema „Älter werden“ beschäftigt mich schon seit langer Zeit. „Schuld“ daran ist die Erinnerung an drei für mich sehr wichtige Menschen, die ich als Kind und als Jugendliche kennengelernt habe. So verschieden diese drei Alterns-Vorbilder waren, hatten sie mich doch in der Art, wie sie jeweils mit der wachsenden Zahl ihrer Lebensjahre umgingen, beeindruckt.

Das erste meiner Vorbilder war eine ehemalige Steuerberaterin, die von der Stadt aufs Land zog und ein altes Haus komplett renovierte. Als ich sie kennenlernte, war sie 63 und ich fünf Jahre alt. Dann eine Graphologin, die Yoga übte, was in den 1960er Jahren noch als etwas sehr Exotisches galt, und die als Urlauberin allein lange Wanderungen im Fichtelgebirge unternahm, sie damals 82, ich dreizehn Jahre alt. Der Dritte im Bunde war ein Neurologe im Ruhestand, der sich intensiv mit ostasiatischer Philosophie beschäftigte, er damals, als ich ihn kennenlernte, 72, ich sechzehn Jahre alt. Alle Bücher über Yoga, Zen und Taoismus, die er mir damals geschenkt hatte, habe ich immer noch im Regal stehen.

Meine drei Vorbilder waren und sind für mich auch noch heute Beispiele für ein aktives, erfülltes Alter, für Klugheit, Weisheit und Gelassenheit. An „Anti-Aging“ hätte wohl keiner von ihnen auch nur eine Minute Lebenszeit verschwendet. Sie waren sich ihres Alters bewusst und standen dazu. Alle drei haben mein eigenes Leben über Jahre hinweg begleitet und ich habe viel von ihnen gelernt.

So hatte ich schon 2004 vor, ein Buch über „angenehmes Älterwerden“ zu schreiben. Als Arbeitstitel wählte ich „Well-Aging“ als Kontrapunkt zu „Anti-Aging“. Nur: Es interessierte sich niemand dafür. Älterwerden als Thema war unpopulär. Das hat sich seither stark verändert, kein Wunder, da sich ja die Bevölkerungspyramide in den zurückliegenden zwanzig Jahren ebenfalls stark verändert hat: 2004 war das Jahr der vierzigsten Geburtstage: Nie zuvor feierten so viele Frauen und Männer hierzulande innerhalb eines Jahres diesen runden Geburtstag – und dies wird wohl auch nie mehr danach der Fall sein.

Nun, 2024, feiert dieser geburtenstärkste Jahrgang den sechzigsten Geburtstag. Es wird also künftig wesentlich mehr Menschen jenseits der Sechzig geben, als das noch zur Jahrtausendwende der Fall war. Dementsprechend ist auch für Wissenschaft, Forschung, Medizin und Psychologie das Alter in den Fokus des Interesses gerückt. Ich habe mich durch wahre Berge von Berichten über Forschungsergebnisse und Studien gelesen und mit „Lass los, was dich alt macht – Impulse für Gesundheit, Resilienz und Lebensfreude“ einen neuen Anlauf genommen, Erkenntnisse zum angenehmen Älterwerden weiterzugeben.

Dabei widmet sich das erste Kapitel den Veränderungen, die das Älterwerden mit sich bringt – im Körper, im allgemeinen Befinden, im Selbstverständnis – und was davon tatsächlich mit dem Alter zu tun hat und was nur Zuschreibungen sind. Weiter geht’s im Kapitel zwei mit einer Bestandsaufnahme, die sich im Wesentlichen um Fragen dreht wie „Wo stehe ich jetzt?“, „Was ändert sich?“, „Wo will ich hin?“, „Wie stelle ich mir die vor mir liegende neue Lebensphase vor?“. Im dritten Kapitel geht es darum, abzuschließen mit schwierigen Lebensereignissen, Versäumnissen, Kränkungen, Fehlentscheidungen – und inneren Frieden zu finden, eine der Hauptvoraussetzungen dafür, im Einklang mit sich selbst älter zu werden. Das vierte Kapitel beschäftigt sich damit, welchen Einfluss das vorrückende Alter auf unser Denken und das kreative Schaffen hat – was sich verändert und was bleibt. Weiter geht’s im Kapitel fünf mit den Grundlagen einer guten Selbstsorge: Bewegung, Ernährung, Erholung, Gemütspflege und Schlaf. Hier gibt’s auch konkrete Anregungen dafür, die Lebensfreude zu stärken, um lange fit und aktiv zu bleiben. Im sechsten Kapitel geht es um unsere Beziehungen zu den Menschen in unserem Umfeld, um Liebe, Freundschaft, Engagement und die Frage, was wir an diejenigen weitergeben, die nach uns kommen. Last, not least gibt es auch das Kapitel sieben, das sich mit den „letzten Dingen“ beschäftigt: den Umgang mit Trauer und Verlusten und dem Wissen, dass auch das eigene Leben enden wird. Sie finden in diesem Kapitel sowohl Vorschläge dazu, was gut und sinnvoll ist, im Vorfeld des Lebensendes in die Hand zu nehmen, als auch Impulse, mit der Ungewissheit des „danach“ gut umzugehen.

Ich wünsche mir, dass die Inhalte Sie ansprechen und das Buch Ihnen gefällt – aber sehen Sie selbst…

Ihre

Sigrid Engelbrecht

Kapitel 1: Was heißt hier alt?

Älter werden – diese Erfahrung teilen wir mit allen Lebewesen, von der Eintagsfliege bis zum Grönlandhai: Leben heißt altern. Die einzige Möglichkeit zu leben ist, älter zu werden. Wie die Geburt, die Pubertät, das Erwachsenwerden und die Wechseljahre stellt auch das Älterwerden jenseits der Sechzig einen Lebensübergang in eine neue Phase dar. Diese Phase umfasst heute viel mehr Jahre, als es in vergangenen Jahrhunderten der Fall war. Heute werden in Deutschland Menschen zwischen sechzig und 75 oft als „ältere“ Menschen bezeichnet, 75- bis Neunzigjährige als „alte“ Menschen und Neunzig- bis Hundertjährige als „sehr alt“. Wer das 100. Lebensjahr überschritten hat, gilt als „langlebig“.

Wie alt können wir werden?

Aus vielerlei Gründen werden wir heute im Durchschnitt viel älter als unsere Vorfahren in vergangenen Jahrhunderten. Wachsender Wohlstand, moderatere Arbeitsformen, vielfältige wissenschaftliche Fortschritte, umfassendere medizinische Versorgung und verbesserte Hygienebedingungen haben da viel Gutes bewirkt. Tatsächlich: Noch nie zuvor sind so viele Menschen so alt geworden wie heute. Zwar gab es auch in vergangenen Jahrhunderten immer schon Einzelne, die sehr alt geworden sind, doch die meisten hatten bis in die jüngere Vergangenheit hinein aufgrund von Kriegen, Krankheiten, Seuchen und hoher Säuglings- und Kindersterblichkeit keine Möglichkeit, das Greisenalter zu erreichen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war der Tod ein ständiger Begleiter, und das in allen Altersgruppen. Fast jedes dritte Kind starb schon vor dem fünften Lebensjahr, junge Frauen verloren ihr Leben im Kindbett. Heute sind viele der damaligen Schrecken Vergangenheit. Medikamente gegen Tuberkulose und Lungenentzündungen wurden entwickelt. Hoher Blutdruck, Altersdiabetes, Rheuma und Gicht können in Schach gehalten werden. Zudem sind die Wohnverhältnisse wesentlich komfortabler als noch im 18. oder 19. Jahrhundert. Maschinen haben viele der Arbeiten übernommen, die dem menschlichen Körper im Zuge seines Arbeitslebens einiges abverlangt hatten und zum frühen Verschleiß führten. Geregelter Jahresurlaub und die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit machten Zeit zur Erholung und Entspannung frei. Solche Veränderungen der Lebensbedingungen hatten positive Auswirkungen auf die Lebensqualität und auch auf die Lebensfreude. Auch werden Krankheiten und Gebrechen heute nicht einfach mehr so hingenommen, sondern es werden Wege gesucht, die Gesundheit wieder zu erlangen. Lag noch vor 150 Jahren die Lebenserwartung eines Menschen in Deutschland im Durchschnitt bei 40 Jahren, ist sie heute mehr als doppelt so hoch. Allein im 20. Jahrhundert stieg die Lebensspanne in vielen Ländern Westeuropas und auch in den USA, in Kanada, Australien und Japan um rund drei Jahrzehnte an, und man zeigte sich optimistisch, dass auch künftig in jedem weiteren Jahrzehnt die Lebenserwartung im Mittel um dreieinhalb Jahre ansteigen würde. Aktuell erreichen immer mehr Menschen ein Alter, das noch vor wenigen Generationen als absolut außergewöhnlich galt, ein Trend, der schätzungsweise anhalten wird, denn es sind derzeit ja die geburtenstarken Jahrgänge, die den dritten Lebensabschnitt erreichen, was heißt, dass der prozentuale Anteil der Älteren mehr ins Gewicht fällt als in der Vergangenheit. Während heute jeder Fünfte sechzig Jahre oder älter ist, wird Mitte des 21. Jahrhunderts gut ein Drittel der Bevölkerung dieser Altersgruppe angehören. Auch der Bildungsstand trägt zur gestiegenen Lebenserwartung bei. Untersuchungen belegen, dass gebildete Menschen mehr auf ihre Gesundheit achten als Menschen mit niedrigem Bildungsniveau. Sie ernähren sich meist ausgewogener, sind sportlich aktiver, engagieren sich stärker für die Allgemeinheit und achten darauf, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen – alles Verhaltensweisen, die ihre Lebenserwartung positiv beeinflussen.

Dank besserer Lebens-, Bildungs- und Arbeitsbedingungen sowie den Fortschritten in Forschung, Medizin und Therapie sind wir als Sechzigjährige und weit darüber hinaus heute im Durchschnitt tatsächlich deutlich gesünder als unsere Eltern und Großeltern und sehen zumeist auch jünger aus als diese im gleichen Alter.

Umfragen zeigen, dass wir Älteren uns im Durchschnitt auch zehn Jahre jünger fühlen, als wir tatsächlich sind. Die Mehrheit der Generation der jetzt Sechzigjährigen hat, statistisch gesehen, noch eine Lebenserwartung von zwanzig bis 25 Jahren. Und die heute Geborenen haben beste Chancen, ein noch deutlich höheres Lebensalter zu erreichen. Wie alt können wir werden? Die Französin Jeanne Calment, die 1997 starb, wurde 122 Jahre und fünf Monate alt. Sie gilt bis heute als weltweit ältester Mensch, der jemals gelebt hat. Im Alter von 85 Jahren erlernte sie das Fechten, und noch mit hundert Jahren war sie mit dem Fahrrad unterwegs. Daran gemessen können wir als Sechzigjährige ja fast noch als „Heranwachsende“ durchgehen … Und, wer weiß, vielleicht wird ja jemand von uns diesen Altersrekord eines Tages toppen.

Lebenserwartung und Lebensqualität

Die Frage, ob sich das Leben beliebig verlängern lässt, war und ist immer wieder Gegenstand reger Diskussionen. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass ein Zuwachs an Jahren ausschließlich auf Kosten der Lebensqualität gehen würde. Ergo käme eine Verlängerung automatisch einer längeren Leidenszeit gleich. Dem scheint jedoch nicht so zu sein, zumindest nicht in den Industrieländern. Hier ist die Mehrheit der Menschen über sechzig, siebzig oder achtzig wesentlich gesünder und auch mobiler, als es noch Gleichaltrige in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Vier Fünftel der Seniorinnen und Senioren über achtzig wohnen heute so wie all die Jahre zuvor in den eigenen vier Wänden – allerdings meist unterstützt durch Familienangehörige, Nachbarn, Beratungsstellen und ambulante Dienste.

So ist das Ziel der Altersforschung nicht vorrangig eine weitere Steigerung der Lebenserwartung, sondern die Verbesserung der Art und Weise, wie das Alter gestaltet werden kann, um Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten. Etliche Fachleute sind der Ansicht, dass sich die Lebensspanne des heutigen Menschen einer natürlichen Obergrenze nähert. Im Gegensatz dazu gehen andere davon aus, dass es keine Anhaltspunkte für eine Begrenzung gebe. Dementsprechend suchen auch Forschende schon seit Jahrzehnten nach Mitteln, die unser Leben verlängern und uns ewig jung halten sollen. Stammzelltherapien, die Kryokonservierung und diverse Arzneimittel sind nur einige der vielen Ansätze, die es dazu mittlerweile gibt. Auch ist ein wissenschaftlicher Trend in der Diskussion, der sich das völlige Überwinden der Sterblichkeit zum Ziel gesetzt hat. Die entsprechenden Forschungen in den Bereichen Biotechnologie, Cyborg-Technologie und Künstlicher Intelligenz beruhen auf der Annahme, Sterben sei so etwas wie eine heilbare Krankheit. Mittels einer fortschreitenden Optimierung des Menschen will man am Ende Nicht-Sterblichkeit erreichen.

Utopisch? Kann sein, kann nicht sein. Doch wer will tatsächlich 200 Jahre leben? Oder 500? Oder 1000? Kann es nicht andererseits so sein, dass wir den Zenit schon erreicht haben?

Derzeit sieht es laut aktueller Sterbetafel des Statistischen Bundesamts so aus: Männliche Babys haben ab ihrer Geburt eine Lebenserwartung von durchschnittlich 78,5 Jahren, bei weiblichen Babys liegt sie bei durchschnittlich 83,4 Jahren. Nach den einige Jahre zurückliegenden Prognosen könnte dann die Lebenserwartung der Männer im Jahr 2060 bei über 86 Jahren liegen, bei Frauen sogar bei knapp neunzig Jahren.[1] Schon dies hätte natürlich gravierende Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – nicht nur auf den Arbeitsmarkt, auf das Gesundheitswesen oder das Rentensystem, sondern auch auf das persönliche und gesellschaftliche Selbstverständnis, das Konsumverhalten und die kulturellen Gepflogenheiten.

Doch es gibt auch einen gegenläufigen Trend: Die Lebenserwartung hierzulande ist 2023 im dritten Jahr in Folge zurückgegangen. Seit Beginn der Coronapandemie verringerte sie sich nach den Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) um mehr als ein halbes Jahr. Dieser Trend zeigt sich nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas und – noch gravierender – auch in den USA. Nicht nur das Geschehen während der Corona-Zeit und die Folgen der Pandemie spielen hier eine Rolle, sondern beispielsweise auch Phänomene wie die massive Zunahme von Adipositas, in deren Schlepptau meist lebensverkürzende Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und verschiedene Formen von Krebs auftreten.

Wie wir uns das Alter vorstellen

Die medizinischen und lebensgestalterischen Rahmenbedingungen beeinflussen also unser Älterwerden gravierend. Doch das ist nicht das Einzige. Nicht zu unterschätzen sind die Vorstellungen, die wir in unseren Köpfen mit uns herumtragen: was wir mit dem Alter persönlich verbinden, was wir im Zuge des Älterwerdens erwarten, erhoffen oder auch befürchten. Doch was hat es mit diesen Vorstellungen, den sogenannten „Altersbildern“ auf sich?

Sie bezeichnen „individuelle und gesellschaftliche Vorstellungen vom Alter (Zustand des Altseins), vom Altern (Prozess des Älterwerdens) oder von älteren Menschen (die soziale Gruppe älterer Personen).“[2]

Solche Bilder, die wir uns vom Alter machen, werden von der Kultur geprägt, in der wir leben, von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und natürlich auch davon, welche persönlichen Überzeugungen wir uns im Laufe unseres Lebens zu eigen gemacht haben. Dabei spielt es darüber hinaus eine Rolle, ob wir generell eher optimistisch oder eher pessimistisch eingestellt sind. Je optimistischer und zuversichtlicher jemand dem Älterwerden gegenüber eingestellt ist, desto jünger fühlt er sich. Wer dem Altern hingegen ängstlich entgegensieht und es automatisch mit faltiger Haut, nachlassender Fitness, Krankheit, Schmerzen, Vergesslichkeit, Haarausfall oder Glatze, Einsamkeit, Gebrechlichkeit oder Pflegebedürftigkeit verbindet, fühlt sich – verglichen mit anderen Gleichaltrigen – auch tatsächlich älter. Die Bilder im Kopf wirken dann im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Bereits 2002 wurde dieser Effekt von Wissenschaftlern um die Professorin für Epidemiologie Becca Levy von der Yale University belegt: Wie die Studie ergab, leben Menschen mit einer positiven Sicht auf das Älterwerden durchschnittlich siebeneinhalb Jahre länger als Menschen mit einer eher negativen Haltung. Die Wissenschaftlerin erforscht schon seit den 1990er Jahren die Einstellung zum Älterwerden und zum Alter. (Siehe dazu auch S. 58 f.)

Klar, dass wir das Altern nicht einfach abstellen können, und was bei den diversen Bestrebungen herauskommen wird, es „aufhalten“ oder gar „umkehren“ zu wollen, weiß niemand. Warum also das Altern nicht einfach akzeptieren und das Beste daraus machen? Fragen wir uns doch einfach einmal selbst:

Verbinde ich mit dem Leben jenseits der sechzig eher das Bild einer aktiven, selbstbestimmten Person, die unternehmungslustig ist und nun Zeit dafür findet, zu tun, was sie immer schon mal tun wollte? Oder verbinde ich Älterwerden und Altsein vorrangig mit gesundheitlichen Einschränkungen, nachlassenden Fähigkeiten und Einsamkeit?

Gesellschaftliche Altersbilder

… nehmen Einfluss auf unsere Vorstellungen vom Altern und vom Altsein und darauf, wie wir mit alternsbedingten Veränderungen umgehen.

… bestimmen mit, welches persönliche Altersbild jeder Einzelne entwickelt, und dies beeinflusst, was wir uns als alte Menschen zutrauen und was nicht mehr – jenseits unserer tatsächlichen Talente und Fähigkeiten.

… beeinflussen, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir als Alternde mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und schlechten Gedächtnisleistungen konfrontiert werden.[3]

… prägen die Art und Weise mit, wie jüngere Menschen sich gegenüber älteren verhalten.

Die Grundlage für unsere Vorstellungen entsteht sehr früh. Schon als Kinder verinnerlichen wir die in unserer Umgebung vorherrschenden Vorstellungen vom Älterwerden und Altsein, die uns durch unsere Herkunftsfamilie und alte Menschen in unserer Umgebung vermittelt werden, aber beispielsweise auch durch Bücher, Filme oder die Werbung. Diese frühe Prägung haben auch Studien der Gerontologin Prof. Corinna Loeckenhoff (Weill Cornell Medical College) belegt, die sich kulturübergreifend mit Altersstereotypen beschäftigt hat. So entwickeln wir von Kindesbeinen an oft recht klischeehafte Vorstellungen davon, was Lebensstil, Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen, Werte und Überzeugungen angeht. Unbewusst orientieren wir uns im Lauf des Lebens immer wieder an den Vorgaben, die uns übermittelt werden, zumindest so lange, bis wir bereit sind, dazuzulernen, Klischees in Frage zu stellen und neue Erfahrungen zu machen.

Doch entwickeln wir uns auch sehr individuell weiter, was Selbstverständnis, Lebensstil und soziales Verhalten angeht. Unser Selbstbild wird beeinflusst von Interessen, Vorlieben und Abneigungen, beruflichen, sozialen und ganz allgemeinen Erfahrungen. All dies formt auch unseren Blick in die Zukunft und auch, wie wir uns unser Leben im Alter vorstellen.

Altersbilder üben also einen großen Einfluss auf den Prozess des Alterns selbst aus und darauf, was wir uns, stetig älter werdend, (noch) zutrauen. Dabei spielt immer wieder eine Rolle, wie ältere Menschen dargestellt und wie diese Bilder von uns wahrgenommen werden. Die Vorstellungen vom Leben im Alter variieren von Kultur zu Kultur, von Land zu Land, von Epoche zu Epoche. Dementsprechend können Altersbilder also stets nur die in der jeweiligen Kultur geteilten Verallgemeinerungen darstellen – gängige Vorstellungen der Gesellschaft über ältere Menschen, unabhängig davon, inwiefern sie überhaupt auf einzelne Personen zutreffen. Dazu kommt, dass es in einer modernen Gesellschaft wie der unsrigen heute nicht nur ein einziges Altersbild gibt, sondern unterschiedliche Vorstellungen nebeneinander existieren. Dementsprechend hat auch jeder von uns meist mehrere Vorstellungen vom Alter im Kopf, die teilweise recht widersprüchlich sind. wie zum Beispiel das folgende Dilemma: Einerseits wird dem Alter ein deutliches Plus an Lebenserfahrung, Gelassenheit und Weisheit zugeschrieben – Fähigkeiten, über die wohl jeder gerne verfügen würde. Andererseits erleben wir einen Abbau gewohnter Fähigkeiten wie die Tatsache, dass die Leistung unserer Sinne nachlässt und unser Gedächtnis anfängt, hier und da zu schwächeln.

Nichtsdestotrotz ist es wahr, dass das Älterwerden viele positive Aspekte mit sich bringt, die wir oft gar nicht entsprechend würdigen. Was uns als junge Erwachsene noch die Ruhe geraubt hat, lässt uns im Alter nur milde lächeln. Und wir können es auch leichter hinnehmen, Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und stattdessen lieber unsere eigenen Ziele verfolgen. Wir haben gelernt, stimmige Prioritäten zu setzen, statt „alles auf einmal“ zu wollen. Dank unserer vielfältigen Lebenserfahrung verfügen wir auch über gute Voraussetzungen dafür, tatsächlich so etwas wie Weisheit zu erlangen, eine Qualität, die nicht automatisch mit den Jahren entsteht. Sie setzt die Fähigkeit voraus, die Vielfalt des bisher Erlebten für das Beurteilen einer gegenwärtigen Situation kombinieren zu können – dabei aber gleichzeitig offen zu bleiben für neue Aspekte, neue Umstände und neue Gegebenheiten. Und: Bei alledem beinhaltet Weisheit nicht nur Erfahrungswissen und Offenheit, sondern es gehören auch Emotionen dazu wie Empathie und Einfühlungsvermögen hinsichtlich der Motive und Absichten von Mitmenschen, die die Welt aus ihrem eigenen Blickwinkel heraus sehen, und die Stärke, diese andere Sichtweise nachzuvollziehen. So gehört last, not least auch das Wissen um die Begrenztheit der eigenen Wahrnehmung zur Weisheit. Das lässt uns bescheiden werden. Man kann eben nicht alles wissen und manche Dinge im Leben bleiben unerklärlich. (Siehe dazu auch Seite 76 f.) Spannend dabei ist, dass diejenigen Regionen des Gehirns, die Wissen und Gefühle verarbeiten, sich erst in reifen Jahren stärker miteinander vernetzen.

Ein Zuwachs an Weisheit ist das eine, fortschreitender Abbau von bislang selbstverständlich genutzten Fähigkeiten das andere. Mit steigendem Lebensalter nehmen früher oder später körperliche Verschleißerscheinungen zu, und auch die Sinne wollen nicht mehr so recht mitmachen. Vor allem die Seh- und die Hörfähigkeit lassen nach, aber auch der Geruchs- und Geschmackssinn. Ab und an wird man vielleicht auch von Vergesslichkeit geplagt, sodass einem partout nicht einfallen will, wie die Nachbarin vom Haus gegenüber heißt, obwohl man schon mit ihr zusammen Kaffee im Garten getrunken hat. Das lässt Ängste aufkeimen. Die Möglichkeit, dass aufgrund körperlicher Einschränkungen vielleicht künftig Hilfe und Unterstützung erforderlich sein können, ist für viele von uns nicht leicht zu akzeptieren.

Die Diskrepanz zwischen den sichtbaren und spürbaren Veränderungen, die wir an uns selbst wahrnehmen, und den Erzählungen von „ewiger Jugend“, die uns die Werbung vorgaukelt, um alle möglichen Anti-Aging-Produkte an den Mann und vor allem auch an die Frau zu bringen, ist deutlich. Wir leben in einer Gesellschaft, die Jugendlichkeit, makelloses Aussehen und Schnelligkeit mit einer hohen Leistungsfähigkeit gleichsetzt und dies als Voraussetzung für Glück, Erfolg und ein erfülltes Leben betrachtet. Wer diesen „Idealen“ über Jahrzehnte hinweg gehuldigt hat, für den gestaltet es sich schwierig, zu Falten und einer geruhsameren Lebensweise zu stehen. Zwar wird viel vom „Altern“ im Allgemeinen räsoniert, aber relativ wenig ist darüber zu erfahren, dass jedes Altern einen individuellen Prozess darstellt, und kaum wird verständlich gemacht, was bei den einzelnen Alterungsprozessen eigentlich geschieht und weshalb das so ist.

Es lassen sich deutliche Unterschiede erkennen, wie jemand das voranschreitende Alter erlebt. Die eine meistert mit Leichtigkeit eine Fünfzehn-Kilomenter-Wanderung oder noch längere Strecken, der andere wird von Gehstörungen geplagt und ist froh, wenn er den Weg zum Kiosk vor dem Haus hin und zurück bewältigen kann. Der eine kommt auch im siebten Lebensjahrzehnt noch ohne Sehhilfe aus, während sich bei der anderen vielleicht schon früh ein Grauer Star eingenistet hat.

Ob das Leben jenseits der sechzig bis ins hohe Alter hinein weiter Freude macht, hängt neben den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch vom eigenen Selbstverständnis und von der körperlichen, seelischen und mentalen Gesundheit ab. Und auch da wirken die Bilder, die wir vom Alter haben, stark mit hinein.

Abwertende Altersstereotype – noch immer wirksam

Bis über die Jahrtausendwende hinweg waren hierzulande eher Altersstereotype verbreitet, die körperliche Einbußen, Vergesslichkeit und den Verlust von sozialen Kontakten beinhalteten, während sich danach eine Kehrtwende um 180 Grad vollzog, Stichwort „Anti-Aging“.

Nachfolgend einige Beispiele für die lange Zeit gängigen und inzwischen zumeist überholten – aber nichtsdestotrotz noch unterschwellig wirksamen – Altersstereotype:

„Die Alten nehmen den nachfolgenden Generationen Arbeitsplätze weg.“

„Ältere Beschäftigte sind unproduktiver.“

„Alte Menschen sind nicht mehr in der Lage, Neues zu lernen.“

„Mit 65 fängt das Alter an.“

„Alte Menschen sind angesichts der technischen Entwicklung überfordert.“

„Alternde Gesellschaften erstarren und lassen sich nicht mehr reformieren.“

„Prävention und Rehabilitation bringen im Alter nichts mehr.“

„Alte Menschen fallen ihren Angehörigen zur Last.“

„Die steigende Lebenserwartung zieht nur mehr Krankheit und Pflege nach sich.“

Auch heute spielen Stereotype wie diese in den Köpfen vieler Menschen noch eine Rolle, obwohl sie, so pauschal, wie sie formuliert sind, unseren heutigen vielfältigen Lebensentwürfen und Stärken als älter werdenden Menschen nicht entsprechen – und dies in ihrer Absolutheit wohl auch in früheren Zeiten nie getan haben. Nichtsdestotrotz können sie unser Selbstverständnis als Menschen jenseits der sechzig unterschwellig stärker beeinflussen, als uns dies lieb ist. Erklären lässt sich dies mit der sogenannten Stereotype-Threat-Theorie: „In der Stereotype-Threat-Theorie wird die Annahme vertreten, dass Personen ein Gefühl der Bedrohung erleben, wenn sie sich in einer Situation befinden, in der sie befürchten, (a) auf Basis von negativen Stereotypen beurteilt zu werden bzw. (b) durch ihr eigenes Verhalten negative Stereotype bezüglich ihrer Gruppe unbeabsichtigterweise zu bestätigen. Dieses Gefühl der Bedrohung durch negative Stereotype wird als ‚Stereotype Threat‘ bezeichnet und mit wichtigen Konsequenzen in Verbindung gebracht.“[4]

Dies meint, dass sich Angehörige einer gesellschaftlich abgewerteten sozialen Gruppe wie beispielsweise „alte Menschen“ von gängigen Stereotypen diskriminiert fühlen und dann bei der Konfrontation mit negativen Altersstereotypen wie „Alte Menschen sind nicht mehr in der Lage, Neues zu lernen“ oder „Prävention und Rehabilitation bringen im Alter nichts mehr“ dieses Stereotyp im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung auch tatsächlich in ihrem Denken und Verhalten bestätigen. Ein Automatismus, der sich dem bewussten Reflektieren entzieht und damit die Betroffenen auch der Möglichkeit beraubt, die Zuschreibung gezielt infrage zu stellen und gegenzusteuern. Da hilft nur eines: Sich kritisch mit Alternsbildern auseinandersetzen und Stereotype sofort in Zweifel ziehen.

Eine weitere Theorie, die „Stereotype-Embodyment-Theorie“, postuliert, dass sich Altersstereotype und Einstellungen zum persönlichen Älterwerden auf drei verschiedene Weisen in uns ihre Wirksamkeit entfalten: psychologisch, aktional und physiologisch.

Psychologisch: Die persönlichen Erfahrungen mit dem Älterwerden färben beispielsweise unser Selbstverständnis mehr oder weniger negativ ein. Je stärker wir daran glauben, dass Altern einen unkontrollierbaren Abbau und Kontrollverlust bedeutet, desto weniger werden wir es für möglich halten, den eigenen Alterungsprozess aktiv mitgestalten zu können – und schon sitzen wir wieder in der Falle der sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Was wir befürchten, wird auch tatsächlich so sein.

Verhalten: negative Einstellungen zum Älterwerden korrelieren mit einem weniger aktiven und weniger gesunden Lebensstil, was dann wiederum die Wahrscheinlichkeit zu erkranken vergrößert und den Organismus schneller altern lässt.

Physiologisch: Negative Einstellungen zum Älterwerden sind mit Stress und Ängsten verbunden. Auch dies bringt auf längere Sicht Gesundheitsrisiken mit sich, führt zu einer geringeren Lebenszufriedenheit und dazu, dass kognitive Funktionen beeinträchtigt werden.

Treten diese Auswirkungen dann tatsächlich ein, bestätigen sie wiederum die negativen Überzeugungen dem eigenen Altern gegenüber. Ein Teufelskreis.

Aber auch etliche der neuen „Dogmen“, die an die Stelle der alten Defizitklischees getreten sind, werden den Bedürfnissen und Fähigkeiten von Menschen jenseits der sechzig nicht gerecht. Aktiv bleiben, aktiv bleiben, aktiv bleiben, das Alter „bekämpfen“ scheint vielfach zum Leitwert geworden zu sein, der sich nicht nur darin spiegelt, dass das Rentenalter Schritt für Schritt in Richtung der siebzig verlagert wird und dass viele Rentnerinnen und Rentner auch dann weiter dazuverdienen müssen, wenn sie bereits ihre reguläre Altersrente beziehen – einfach, weil diese in vielen Fällen nicht ausreicht, um ein halbwegs (geld-)sorgenarmes Leben zu führen. Doch da ist dann nichts mit ausruhen, durchatmen, alles etwas ruhiger angehen zu können oder die Energie darauf zu verwenden, den Alltag so zu gestalten, dass es Freude macht. Stattdessen: Aktiv bleiben, aktiv bleiben, aktiv bleiben, damit im letzten Monatsdrittel nicht die Sorgen überhandnehmen.

Wie im Dickicht der Altersstereotype den eigenen Weg finden? Jenseits aller Annahmen und Verallgemeinerungen, die sich auf das Älterwerden beziehen, gilt es zum einen, den eigenen verinnerlichten Bildern auf die Spur zu kommen und sie – wo erforderlich – auch infrage zu stellen. Zum anderen geht es darum, Zeit und Energie freizusetzen für diejenigen Aktivitäten, die uns nun, in der Nach-Erwerbs-Phase, wichtig sind.

Reflexion 1: Meine Vorstellungen vom Alter

Bitte gönnen Sie sich ca. eine Viertelstunde Zeit und sorgen Sie dafür, ungestört zu sein. Nehmen Sie Schreibzeug zur Hand oder erstellen Sie im Computer eine neue Datei und beantworten Sie für sich die folgenden Fragen:

Welche Vorstellungen verband ich als Kind und Heranwachsende/r mit dem Alter, und wo meine ich, dass diese Vorstellungen ihren Ursprung hatten?

Wie und wodurch hat sich mein inneres Bild vom Alter im Lauf der Jahre und Jahrzehnte verändert?

Was denke ich heute über das Älterwerden und das Alter?

Wie fühle ich mich angesichts der verstrichenen Zeit und der vor mir liegenden Jahre?

Etliche von uns Älteren verinnerlichen für sich selbst aufgrund der Lebenserfahrung eine Haltung, die den Schwerpunkt darauf legt, sich möglichst intensiv auf die Dinge im Leben zu konzentrieren, die Freude und Befriedigung bringen, und Ungutem kaum Aufmerksamkeit zu widmen. Dies fällt umso leichter, da für uns jenseits der sechzig oder 65 der oft stressreiche und kräftebindende Bereich der Berufstätigkeit sich zeitlich vermindert hat oder ganz weggefallen ist. Mit manchen Dingen muss man sich nicht mehr beschäftigen und kann die freiwerdende Zeit anders nutzen als bisher. Auch gelingt es uns als Älteren – wieder aufgrund unserer reichhaltigen Lebenserfahrung – recht gut, Alltagsverrichtungen zu vereinfachen und manches davon einfach wegzulassen. So ist auch bei nachlassenden körperlichen Kräften genug Energie vorhanden, um etwa neue kulturelle Erfahrungen in Form von Filmen, Ausstellungen, Theater- oder Konzertbesuchen häufig zu genießen, den Kontakt mit den Enkeln ausgiebig zu gestalten oder uns, wenn wir mögen, ehrenamtlichen Aktivitäten zu widmen. Vielleicht wagen wir es auch, neue soziale Erfahrungen zu machen, etwa einer Wander-, Sport- oder Bastelgruppe beizutreten oder sogar eine neue Liebesbeziehung einzugehen. Die Vielfalt dessen, was wir erlebt, gelernt, erlitten und ausprobiert haben, befähigt uns mehr als in jüngeren Jahren dazu, zuverlässig zu erkennen, was uns guttut, was das Erleben von positiven Gefühlen unterstützt und was negative Gefühle vermeiden hilft.

Zwischen Jugendkult, Anti-Aging und Resignation: Ist das schon alles?

Als Ältere erleben wir einen Zuwachs an individuell nutzbarer Zeit, das ist ein großes Plus. Zeit zu haben und über Zeit nach eigenen Vorstellungen bestimmen zu können macht zufrieden. Tja, es ist schon paradox: dass wir zwar insgesamt nurmehr über ein ordentlich geschrumpftes Maß an „Restlebenszeit“, gleichzeitig aber über viel frei gestaltbare Zeit im Alltag verfügen.

Glücklicherweise ist Älterwerden ein relativ langsam voranschreitender Vorgang. Wir sind ja nicht von heute auf morgen alt. Auch die mit dem Älterwerden im Zusammenhang stehenden Veränderungen – wie etwa die verminderte Leistungsfähigkeit der Sinne oder das Nachlassen einiger Gedächtnisfunktionen – geschehen nicht von jetzt auf gleich, sondern entwickeln sich über längere Zeiträume, oft über viele Jahre hinweg. Das gibt uns als Älterwerdenden die Chance, uns bewusst auf neue Gegebenheiten einzustellen.

Wenn wir mit Anfang sechzig vielleicht noch ein Drittel unseres Lebens vor uns haben, fragen wir uns angesichts der alten und neuen Stereotype, gepaart mit einer überbordenden Informationsflut, wohl manchmal auch, woran wir uns nun eigentlich orientieren können, was erstrebenswert ist und was nicht, was uns wirklich guttut und was nur Mogelpackungen sind. Wir fragen uns, wofür wir gehalten werden wollen und wofür nicht, was wir anstreben und wovon wir uns lösen wollen.

Geht es darum, das reale Alter einfach zu ignorieren? Mit Haarfarbe und Cremetiegel zu zaubern und uns in jugendliche Outfits zu kleiden? Oder geht es darum, zu grauen Haaren zu stehen und uns bequeme Kleidung zu gönnen? Verjüngungskuren und Hautstraffungsmittel auszuprobieren? Oder zu den natürlichen Alterungsprozessen zu stehen und Falten als Begleiterscheinung einfach augenzwinkernd zu akzeptieren?

Der Jugendkult scheint gerade jetzt im Zeitalter des demografischen Wandels deutlich an Macht gewonnen zu haben. In der auf Leistung und ästhetische Perfektion ausgerichteten Gesellschaft sind jugendliche, makellose Körper als Schönheitsideal der Maßstab. Die Körper alternder Menschen rufen vielfach Unbehagen und Ablehnung hervor. Die sichtbaren Zeichen der (Lebens-)Zeit sollen nicht öffentlich präsentiert, sondern kaschiert oder korrigiert werden. Es gilt, dem Vergleich mit der Jugend und deren Erscheinungsbildern so lange als möglich standzuhalten. Insbesondere Frauen werden nach wie vor in erster Linie über ihren Körper definiert und sollten dem gängigen Schönheitsideal zufolge schlank, wohlproportioniert und anmutig sein – Merkmale, die natürlich vornehmlich bei jungen Frauen zu finden sind. Wenn wir dann in die Jahre kommen, wächst die Befürchtung, die Anziehungskraft als Frau zu verlieren, was durchaus nicht unbegründet ist und sich im Laufe langer Jahrzehnte und Jahrhunderte tief als ein Makel im kollektiven Bewusstsein verankert hat. Jede Falte eine Katastrophe, um es mal überspitzt auszudrücken. Da liegt es nahe, das gewohnte Selbstverständnis zu konservieren, sich die gewohnte Anerkennung und Bestätigung, vielleicht auch Bewunderung zu erhalten – und dabei vielleicht auch über das Ziel hinauszuschießen.

Das Unbehagen am alternden Menschen im Spiegel erfasst zunehmend mehr und immer öfter auch jüngere Menschen, sobald die Spannkraft der Haut nachlässt und sich erstes Weiß zwischen der ursprünglichen Haarfarbe zeigt – umso mehr die Älteren, vor allem wenn sie es gewohnt waren, mit einem als attraktiv geltenden Erscheinungsbild zu punkten. Dies wird durch Untersuchungen bestätigt, wonach attraktive, jung und dynamisch wirkende Menschen es überall im Leben leichter hätten und mehr Privilegien innehätten als Menschen, die anderen als unscheinbar, müde und kraftlos erscheinen, die – buchstäblich – alt aussehen. Die Anti-Aging-Botschaft trifft da auf viel Resonanz: Mit den richtigen Methoden lasse sich das Altern aufschieben, wenn nicht sogar verhindern. Also: Wer jung aussehen will, hat dies selbst in der Hand. Der Umkehrschluss: Wer es nicht schafft, „jung“ zu wirken, ist selbst daran schuld. Jeder ist seines Alters Schmied.