Stille - Sigrid Engelbrecht - E-Book

Stille E-Book

Sigrid Engelbrecht

0,0

Beschreibung

Stille ist rar geworden, hat sich fast schon zu einem Luxus entwickelt. In einer lauten Welt, in der wir ständig kommunizieren, unzähligen Reizen ausgesetzt sind und Stress allgegenwärtig ist, bleibt oft nicht viel Zeit zum Innehalten. Dabei sind regelmäßige Auszeiten für unser Wohlbefinden essenziell. Stille hält uns gesund, fördert unsere Kreativität, bringt uns ins Gleichgewicht – und vieles mehr. Doch wie können wir Stille wieder mehr in unser Leben integrieren? Hier findet Sigrid Engelbrecht inspirierende Antworten. Auch stellt sie konkrete Übungen vor und lädt dazu ein, Orte der Stille und der Muße zu entdecken. Ein Buch, das dazu ermutigt, sich wieder mehr Raum für Ruhe zu gönnen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 175

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sigrid Engelbrecht

Stille

Das Geheimnis der inneren Kraft

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Standret/shutterstock

Illustrationen: Designed by rawpixel.com/Freepik

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN E-Book 978-3-451-82140-0

ISBN Print 978-3-451-65400-8

Inhalt

Vorwort

Einführung

Hören – Macht und Ohnmacht

Unser Hörvermögen

Willkommen im 21. Jahrhundert

Keine Wahrnehmung ohne Sinne

Der unerwünschte Schall

Chronischer Lärm macht krank

Gewöhnungseffekt? Jein

Lärm – Von außen und innen

FOMO und das Viel-Zuviel

Allgegenwärtig: die Reizüberflutung

Wie Schnell-schnell das Denken schwächt

Auch Druck macht Lärm

Dopamin-Loop – der berühmte »Kick«

FOMO – die Angst, etwas zu verpassen

Und ewig grüßt der Wettbewerb

Lärm von innen

Stille – Zeit für sich

Die vielen Gesichter der Stille

Stille kontra Geräuschlosigkeit

Definition: Was macht Stille aus?

Stille als Last

Introvertiert – extrovertiert

Jetzt umsteuern!

Heilsame Wirkungen

Stille stärkt die Gesundheit

Stille mildert Stresssymptome

Stille tut dem Denken gut

Stille unterstützt kreative Prozesse

Stille fördert produktives Arbeiten

Stille ins Leben integrieren

Corona-Lehren

Selbstsorge statt Selbstoptimierung

Pausen im eigenen Rhythmus

Zeit für sich

Freiheit für die Sinne

Mono-Tasking für konzentriertes Arbeiten

Entlasten Sie sich!

Inneren Frieden finden

Laaaangsam …

Ruhebilder – die Kraft der Imagination

Die Haltung der Achtsamkeit

Meditation

Schlaf – die allnächtliche Stille

Loslassen

Abstand gewinnen

Orte der Stille

Den Rhythmen der Natur folgen

Die Ruhe des Waldes

Kirchen und Klöster

Räume der Stille

Nachwort

Übungsverzeichnis

Weitere Bücher der Autorin im Verlag Herder

Über die Autorin

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

in Zeiten, wo alles immer schneller, lauter und schriller wird, ist da echte Stille nicht zum Luxusgut geworden? Sind die Momente, in denen wir ganz bei uns selbst und von Ruhe und Gelassenheit erfüllt sind, verloren gegangen? In ein fernes Traumland entschwunden? Sind die Momente, in denen statt Lärm, Stress und Hektik das bewusste Erleben des gegenwärtigen Augenblicks das Maß der Dinge ist, etwas, »was man sich nicht mehr leisten kann«?

Wo sind sie heute noch zu finden, diese Momente, die uns erfüllen und uns ein stilles Glück spüren lassen? Müssen wir warten, bis der Zufall uns mit Augenblicken des Innehaltens beglückt, oder können wir selbst etwas dafür tun, solche wertvollen Momente des Gewahrseins wieder häufiger zu erleben?

Diesen Fragen möchte ich nachgehen und Sie damit bei der Suche nach den Perlen des Alltags unterstützen, die Ihnen Entspannung und innere Ruhe schenken. Sie finden hier viele Impulse, um zu erkennen, was wirklich wichtig für Ihr Wohlbefinden ist und wie Sie das Unwesentliche leichtfüßiger als bisher loslassen können. Ermutigend dabei ist, dass es jenseits vieler Rahmenbedingungen, die unseren Alltag normalerweise prägen – also der Faktoren, auf die wir keinen oder nur ganz wenig Einfluss haben – Handlungsspielräume gibt, die wir nutzen können, um uns zu erholen und neue Kraft zu schöpfen.

Eingangs erhalten Sie einen Überblick darüber, wie die alltägliche und allgegenwärtige Reizüberflutung unser Leben, unser Wohlbefinden und unser Denken und Tun beeinflusst. Sie erfahren zum einen, was es mit dem »Lärm von innen« auf sich hat und warum sich manche von uns schwer damit tun, Stille zu genießen. Zum anderen erfahren Sie mehr über die Wirkungen von Stille auf Körper, Geist und Seele. Wenn das Ihre Neugierde weckt, fragen Sie sich wahrscheinlich unwillkürlich: Was kann ich tun, um die heilsame Wirkung von Stille häufiger zu erleben? Was lässt sich verändern und was nicht? Und wenn ich etwas ändern will, wie kann ich umsteuern?

Dazu finden Sie in den dann folgenden Kapiteln konkrete Anregungen. Eine Reihe von praktischen Übungen lädt dazu ein, neue Erfahrungen zu machen und das Erleben ganz unterschiedlicher Facetten von Stille mühelos Teil des persönlichen Alltags werden zu lassen. Neben den Impulsen zum konkreten Ausprobieren gibt es auch Zitate zum Thema Stille aus Literatur, Philosophie und Psychologie. Zudem bekommen Sie immer wieder die Gelegenheit, Ihre eigenen Gedanken niederzuschreiben. Ich möchte Sie dazu ermutigen, das Buch nicht nur durchzulesen, sondern sich tatsächlich auf die praktischen Übungen einzulassen und Ihre Erfahrungen damit zu beschreiben.

Tipp: Legen Sie sich ein Schreibheft zu oder richten Sie eine spezielle Datei in Ihrem Computer ein, wo Sie neben den Notizen im Buch Ihre persönlichen Eindrücke, Einsichten und Vorhaben ausführlicher festhalten und reflektieren können.

Ihre Sigrid Engelbrecht, Berlin im Dezember 2020

Anmerkung: Das Buch, das Sie in den Händen halten, ist während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr und Sommer 2020 entstanden und spiegelt Erfahrungen wider, die ich über die »stillen Monate« hinweg gemacht hatte.

Einführung

Erlebnisse mit Stille kennen wir alle – in unterschiedlichsten Umgebungen, in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Momente, in denen uns bewusst wird, dass um uns herum und in uns selbst alles ganz ruhig ist. Dass kein irritierendes Geräusch an unser Ohr dringt, kein rastloses Herumgrübeln unsere innere Ruhe stört. Und wir alle erinnern uns wohl auch an ein ganz besonders eindringliches Erlebnis, das noch lange in uns nachgewirkt hat.

Eine Erfahrung, die mir bis heute immer mal wieder in den Sinn kommt, machte ich Mitte der 1990er-Jahre. Damals erlebte ich eine kurze Zeitspanne »absoluter« Stille, ein Phänomen, das mich tief beeindruckte.

Ich befand mich mit einigen Kolleginnen und Kollegen auf einer Hütte im Rofangebirge in Tirol. Nach einer kräftigen Brotzeit hatten wir uns zu einer kleinen Wanderung entschlossen und trabten einen schmalen Pfad an einer Hangkante entlang. Es wurde viel geredet und gescherzt. Alle waren froh, mal fernab des Alltags zu sein, Zeit zu haben und keiner strikten Agenda folgen zu müssen.

Mir war aber gar nicht nach Reden, ich wollte die Berglandschaft auf mich wirken lassen und war neugierig auf alles, was des Weges kommen könnte. So setzte ich mich an die Spitze der kleinen Gruppe und schritt voraus. Bald schon hatte ich die Mitwandernden hinter mir gelassen und genoss den Wind, der mir durch die Haare fuhr. Die Luft roch frisch und ich meinte, einen schwachen Duft nach Kiefern und Erde darin wahrzunehmen. Der Himmel war bedeckt, irgendwo hinter den dicken Wolken musste natürlich die Sonne sein, doch wo genau, das war nicht auszumachen, so dicht verhüllt zeigte sich der Himmel.

Es war ein grauer Tag mit grauen Wolken über grauem Fels. Der Weg machte eine Biegung und vor mir tat sich ein kleines Tal auf, und auch hier dominierten die Grautöne. Der Wind war abgeflaut und dann ganz verschwunden, ohne dass ich es mitbekommen hätte. Nun bewegte sich gar nichts mehr. Kein Zweig und kein Grashalm. Spontan blieb ich stehen und ließ den Blick über all diese Grautöne wandern. Kein Mensch weit und breit und es war auch kein Tier unterwegs. Keine Gämse, kein Hase, kein Murmeltier. Es war, als würde ich auf eine Postkarte schauen. Eine Schwarz-Weiß-Postkarte. Plötzlich fiel mir auf, dass auch nichts zu hören war, kein einziger Laut. Kein Vogel, der piepste, kein Zweig, der knackte.

Ich weiß nicht, wie lange ich dastand und diesen Eindruck in mich aufnahm. Es war, als sei ich ebenfalls erstarrt und ein Teil dieses Bildes geworden. Eine Ewigkeit, so dachte ich später. Ja, es fühlte sich an wie ein endgültiges, unwandelbares Sein.

Da löste sich an der gegenüberliegenden Gebirgswand ein Stein und sprang den Fels hinunter: Pling, Pling, Pling – ein ganz heller Ton. Und es war, als würde durch diese Laute die Landschaft wieder zum Leben erweckt. Ein Murmeltier huschte vorbei, und die schrillen Schreie zweier Krähen, die nun hoch oben von einem Felsen zum anderen flogen, verscheuchten meine Benommenheit, die Stille und Reglosigkeit in mir hervorgerufen hatten. Als ich mich selbst wieder in Bewegung setzte, tat ich das unwillkürlich ganz langsam und bewusst, und ich blieb für den Rest des Tages in einer nachdenklichen, in mich gekehrten Stimmung. »Friedlich« und »zufrieden« sind wohl die Worte, die diese Gemütslage am besten beschreiben. Die Erfahrung hat mich sehr berührt, und ich denke immer wieder gerne daran zurück.

Hören – Macht und Ohnmacht

Unser Hörvermögen

Willkommen im 21. Jahrhundert

Unser heutiger Alltag ist von vielen Herausforderungen geprägt, die unseren Eltern und Großeltern noch fremd waren. Tagtäglich erreicht uns eine Überfülle an Informationen, die allesamt um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Dank Internet, Streamingdiensten, Fernsehen, Radio, Zeitschriften und Zeitungen und einer mehr oder weniger großen Anzahl beruflicher und privater Kontakte haben wir immer wieder die Qual der Wahl. Was zuerst tun? Was danach? Was kann unerledigt bleiben, was nicht?

In der Tat unterscheidet sich unser heutiger Lebensstil deutlich von dem der Generationen vor uns. Vieles ist komplexer, vieles aber auch bequemer und komfortabler geworden. Drei der Veränderungen sind besonders auffällig und sie üben großen Einfluss auf unseren Alltag und überhaupt auf unsere Lebensweise aus:

die gestiegene Geschwindigkeitdie angewachsene Informationsdichteder angeschwollene Geräuschpegel

Vielen von uns serviert schon nach dem Aufwachen das Radio die aktuellen Nachrichten, beim Frühstück ist dann die Zeitung dran, und bei der Arbeit gibt´s unzählige kleine und große Aufgaben, die alle schnell zu erledigen sind, damit wir sie von unserer To-do-Liste streichen können. Dazu kommt ein nur selten abflauender Strom an E-Mails, Kurznachrichten und Anrufen. In Zeiten des Internets sind wir oft den ganzen Tag ununterbrochen online – und damit auch ununterbrochen erreichbar. Nach Büroschluss stehen Erledigungen und Einkäufe auf der Agenda, also eine Vielzahl weiterer To-dos …

Dieser Strom unterschiedlichster Sinnesreize, Signale und Impulse setzt uns unter Druck. Wir sind gefordert, zügig darauf zu reagieren und ebenso zügig Entscheidungen zu treffen, um nichts zu vergessen und nicht ins Hintertreffen zu geraten. Worauf reagieren, welche Offerte annehmen, mit wem sich verabreden? Welches Schnäppchen ist wirklich ein Schnäppchen und kein getarnter Reinfall? Welchem Angebot nähertreten und welches ablehnen?

Es gilt, rasch zu entscheiden und möglichst viel in möglichst kurzer Zeit mental und auch psychisch zu verarbeiten. Und dabei stets die Orientierung zu behalten, egal, wie hoch der Pegel der Umgebungsgeräusche ist und wie viele Unterbrechungen unseren Tag und unsere Tatkraft in kleine und kleinste Stückchen zerhacken. Sicher, viele der technischen Errungenschaften erleichtern uns die Arbeit, sparen uns Wege, schaffen ein Plus an Bequemlichkeit. Ich bin sicher die Letzte, die das bestreitet.

Anfang der 1990er-Jahre musste ich meine grafischen Entwürfe auf eine riesige Diskette, genannt »Wechselplatte«, speichern und damit zum Belichtungsstudio fahren, wo die entsprechenden Filme für den Offsetdruck hergestellt wurden, die ich dann wiederum abholen und zur Druckerei bringen musste. Heute genügt ein Knopfdruck, um aus dem Entwurf eine PDF-Datei zu erzeugen, und ein weiterer, um diese per E-Mail direkt in den Druck zu geben. Als spezielle Belichtungsstudios nicht mehr nötig waren, freute es mich, dass die ganze Hin- und Herfahrerei entfiel. Und dass sich ein am Computer gestaltetes Layout viel zeitsparender anfertigen ließ als jede Handzeichnung, war auch eine Erleichterung. Die Arbeit wurde dadurch aber nicht weniger, da parallel dazu die Informationsdichte und -geschwindigkeit stetig anwuchsen.

Wir wollen wohl alle möglichst effektiv arbeiten und auf Anforderungen möglichst zeitnah reagieren, doch das ist manchmal alles andere als einfach. Weil es oft schlichtweg zu viel ist, was da auf unserem Tisch oder unserem Bildschirm landet – und nicht zuletzt auch aufgrund der geballten optischen und akustischen Unterbrechungen. So versuchen wir, Verschiedenes gleichzeitig zu erledigen, um alles bewältigen zu können. Meist vergebens: Pro erledigter E-Mail wachsen drei neue nach, sodass man sich vorkommt wie Sisyphos, der dazu verdammt war, einen Stein den Hang hinaufzuwuchten, nur um ihn dann, als er es geschafft hatte, wieder hinunterrollen zu sehen. Und vermutlich kennt auch jeder das Gefühl, das sich einstellt, wenn man nach drei Tagen Abwesenheit die Mailbox öffnet und einem eine wahre Monsterwelle an Nachrichten entgegenschwappt.

Auf diese Weise scheint das ganze Leben allmählich einer endlosen To-do-Liste zu gleichen, die nie wirklich abgearbeitet ist, da sich immer dann, wenn etwas erledigt ist, neue Aufgaben in die Warteschleife einreihen. Ständig erreichbar zu sein bedeutet auch, ständig Verantwortung zu tragen. Das kann heißen, dass man auch am Abend, wenn das vertraute Pling-Pling ertönt, noch die geschäftlichen E-Mails checkt und beantwortet, Termine vereinbart und Rückrufe tätigt. Richtig Feierabend hat man so eigentlich nie. Das Smartphone als unser ständiger Begleiter ist zu unserem Wächter und Überwacher geworden und nötigt uns eine ständige Verfügbarkeit auf – wenn wir dies zulassen. Oft denken wir nicht weiter darüber nach, sondern nehmen es unbewusst oder nur halb bewusst einfach hin. Eine Freundin von mir arbeitet in einem großen Berliner Krankenhaus, und sie sagt, das Erste, was die meisten Patienten nach einer überstandenen Operation erbitten, ist ihr Handy. Viele können sich ein Leben ohne Mobiltelefon überhaupt nicht mehr vorstellen. Obwohl es uns auf Dauer matt und schlapp macht, ständig auf die Flut der visuellen und akustischen Reize zu reagieren, fällt es uns schwer abzuschalten – sowohl mental als auch wortwörtlich – und die Ruhestörer zu bestimmten Zeiten konsequent zu verbannen.

Ist nicht ein abgesagter Termin eine der größten Wohltaten, die uns jemand erweisen kann? Betrachten wir nicht die so urplötzlich frei gewordene Zeit als ein Geschenk? Wenn wir uns weniger Stress, Lärm und Hektik und stattdessen mehr Ruhe und Gelassenheit in unserem Alltag wünschen, kommen wir nicht umhin, dafür ganz konkret etwas zu tun. Nicht zuletzt unsere Sinne, als unsere Tore zur Welt, werden es uns danken, wenn wir öfter als bisher die Qualität der Quantität vorziehen – und uns auch mal dem Nichtstun hingeben.

Keine Wahrnehmung ohne Sinne

Es hört doch jeder nur, was er versteht.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832),

deutscher Dichter und Naturforscher

Können Sie sich vorstellen, von Ihrer Umgebung etwas mitzubekommen, ohne zu sehen und zu hören, ohne etwas ertasten zu können und ohne zu riechen und zu schmecken? Wohl kaum. Unsere Wahrnehmung von der Welt wird entscheidend von den Informationen geprägt, die wir mit unseren fünf Sinnen erfassen: dem Sehsinn (visuell), dem Hörsinn (auditiv), dem Tastsinn (haptisch) sowie dem Geruchssinn (olfaktorisch) und dem Geschmackssinn (gustatorisch).

Von den Sinnesorganen gelangen die Informationen über Nervenbahnen direkt ins Gehirn, wo sie interpretiert und verarbeitet werden. Jedem Sinn ist im Gehirn ein eigenes Zentrum zugeordnet, sodass Eindrücke, die mit den verschiedenen Sinnesorganen erfasst werden, parallel in Bearbeitung sein können. Wir können gleichzeitig hören, sehen, fühlen, riechen und schmecken. Auch die elementare Fähigkeit zu genießen ist eng mit der Leistungsfähigkeit unserer Sinne verknüpft.

Man geht davon aus, dass wir während des Wahrnehmungsprozesses Informationen über die fünf weitgehend voneinander unabhängigen Sinneskanäle aufnehmen, um daraus ein ganzheitliches Bild zu komponieren. Sie ergänzen sich gegenseitig, damit wir uns in unserer Umgebung zurechtfinden. Daran sind zwei Sinne besonders stark beteiligt: Man schätzt, dass Sehen und Hören zusammen über 90 Prozent unseres Orientierungsvermögens ausmachen.

Der Sinn, der alle anderen dominiert, ist das Sehen. Unmittelbar auf die visuelle Wahrnehmung folgend interpretieren wir alle über die Augen aufgenommenen Informationen. Dadurch können wir dem, was wir sehen, eine Bedeutung zuordnen. Dies hilft vor allem dabei, blitzschnell wichtig von unwichtig, gefährlich von harmlos und angenehm von unangenehm zu unterscheiden.

Unser Hörsinn ist von allen fünf Sinnen der differenzierteste; so nehmen unsere Ohren Töne in vielfacher Weise wahr. Sie orten, in welcher Richtung sich die Geräuschquelle befindet, und unterscheiden sofort zwischen hohen und tiefen Tönen, zwischen lauten und leisen. Die Ohren sind sensibler und erfassen Reize exakter als die Augen. Auch können wir das Hören – im Gegensatz zum Sehen – nicht »abschalten«. Natürlich können wir uns die Ohren zuhalten, doch es wird trotzdem nicht so still, wie es dunkel wird, wenn wir die Augen schließen. Ob freiwillig oder unfreiwillig: Geräuschen sind wir stärker ausgesetzt als optischen Reizen.

Der gesunde Hörsinn kann zwischen zehn Oktaven unterscheiden und reagiert sensibel auf Schallwellen, also Veränderungen des Luftdrucks. Überall dort, wo Luft schwingt, entstehen Töne. Jede Bewegung, auch das minimale Rascheln eines Blattes, erzeugt eine Schallwelle. Lediglich in künstlich gedämmten Räumen existieren keine Schallwellen. Im Alltag hingegen gibt es immer, auch in den allerstillsten Umgebungen, etwas zu hören.

Wie funktioniert eigentlich unser Hörorgan?

Man unterscheidet drei Teilbereiche, die jeweils ihre speziellen Aufgaben haben: das äußere Ohr, das Mittelohr und das Innenohr. Zum äußeren Ohr zählt man die Ohrmuschel und den Gehörgang. Hier kommen die Schallwellen in der Ohrmuschel an, werden dann durch den Gehörgang zum Trommelfell, einer dünnen Membran, weitergeleitet und gelangen von dort ins Mittelohr. Im Hohlraum des Mittelohrs gibt es drei mit Gelenken verbundene Gehörknöchelchen mit den lustigen Namen Hammer, Amboss und Steigbügel. Zusammen mit dem Trommelfell verstärken sie alle ankommenden Schallwellen, dann übertragen sie die Schwingungen an das Innenohr, das aus der Hörschnecke, dem Hörnerv und dem Gleichgewichtsnerv besteht. Hier werden die Schallwellen in Nervenimpulse verwandelt und gelangen in das Hörzentrum des Gehirns, wo sie blitzschnell interpretiert werden.

Obgleich der Sehsinn derjenige ist, der die anderen Sinne in der Deutung der Welt bei Weitem dominiert, verarbeitet das Ohr tatsächlich etwa zweimal so viele Sinneseindrücke wie das Auge. Und es ist auch nachts »angeschaltet«, sodass wir bis in den Schlaf und in unsere Träume hinein Geräusche wahrnehmen können. Es kommt immer wieder vor, dass wir Töne, die während des Schlafes an unser Ohr dringen, ignorieren oder einfach in das, was wir gerade träumen, einbauen. Erst ab einer bestimmten Stärke und Dauer der Geräusche wachen wir auf. Im Laufe unserer Evolution hat sich dies als ein wirksamer Schutz gegen drohende Gefahren erwiesen.

Zu viele und zu laute Geräusche schädigen das feine Zusammenspiel zwischen Außenohr, Mittelohr und Innenohr. Das geschieht oft schon früh im Leben und ist leider nicht mehr umkehrbar. Ein Indiz dafür ist, dass in der heutigen, von vielfältigem Lärm durchdrungenen Zeit die Zahl schwerhöriger Kinder und Jugendlicher deutlich zugenommen hat.

Der Schall, den wir mit unseren Ohren wahrnehmen, kann in unterschiedlicher Weise beschrieben und eingeordnet werden. Die wesentlichsten Parameter sind die Lautstärke und die Tonhöhe, doch gibt es auch noch den Faktor der gefühlsmäßigen Interpretation, der mitentscheidet, wie wir auf Schallphänomene reagieren. Wenn ein Geräusch zu einer emotionalen Reaktion führt, wird es im Gehirn verstärkt und intensiver wahrgenommen als ein Geräusch, dem wir neutral gegenüberstehen.

Die Lautstärke

Die Lautstärke ist eine Größe, die unser subjektives Schallempfinden charakterisiert. Sie beschreibt, wie laut oder leise wir Schall empfinden. Solche Größen nennt man im Unterschied zu objektiv messbaren physikalischen Größen auch physiologische Größen.

Der Geräuschpegel wird in Dezibel (dB) gemessen. Bei dieser Maßeinheit handelt es sich nicht um einen festen Wert wie Volt oder Meter. Der Wert eines Dezibels hängt von dem jeweiligen Kontext ab.

Beispiele für die Intensität von GeräuschenLautstärkeGeräusch1 DezibelHörschwelle – der Mensch kann Geräusche wahrnehmen10 DezibelRaschelnde Blätter30 DezibelGeflüster60 DezibelNormale Unterhaltung80 DezibelLautes Radio85 DezibelDie Schallwellen können die Gehörzellen schwächen und bei dauernder Belastung zerstören90 DezibelStadtverkehr110 DezibelLauter Donner120 DezibelSchallwellen werden als Schmerz empfunden130 DezibelFlugzeuglärm (Verkehrsmaschinen)140 DezibelEin Düsenjet beim Starten180 DezibelEine abhebende Rakete

Quelle: www.gesundheit.de

Diese Dezibelskala ist logarithmisch angelegt: Immer dann, wenn sich die empfundene Lautstärke verdoppelt, geht der Pegel um jeweils 6 Dezibel nach oben.

Menschen empfinden hohe Dezibelraten unterschiedlich. Der eine ist sensibler, die andere weniger sensibel. Doch ganz gleich, wie Lärm mental und psychisch verarbeitet wird, ist er ab einer bestimmten Lautstärke gefährlich – und zwar nicht nur für das Hörorgan selbst, sondern für den gesamten Organismus. Ab einem Dauerschallpegel von 60 Dezibel treten Stressreaktionen im Schlaf auf, ab 80 Dezibel kann die Gesundheit leiden. Die Schmerzgrenze liegt bei 130 Dezibel, dann hält sich ein Mensch automatisch die Ohren zu. Lärmeinwirkung von 150 Dezibel verursacht in Sekunden irreparable Schäden.

Gesundheitliche Schäden, die bei häufigem oder auch dauerhaftem Lärm auftreten, sind vielfältig. Langzeitfolgen chronischer Lärmbelastung können neben Schäden am Hörvermögen auch negative Veränderungen biologischer Risikofaktoren sein wie beispielsweise Blutfette, Blutzucker oder Gerinnungsfaktoren. Ebenso kann Lärm (Mit-)Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein wie Arteriosklerose, Schlafstörungen, Bluthochdruck und verschiedene Erkrankungen des Herzens, einschließlich des Risikos für einen Herzinfarkt.

Die Tonhöhe

Neben der Dezibelzahl spielt bei der Wahrnehmung von Hörbarem auch die Frequenz eine große Rolle. Darunter versteht man die Höhe des wahrgenommenen Tons. Die Tonfrequenz bezeichnet die Anzahl der Schwingungen einer Schallwelle pro Sekunde. Die Maßeinheit lautet Hertz (Hz). Als Faustregel gilt: Je mehr Schwingungen, desto höher ist der Ton.

Töne von 50 oder 100 Hertz nehmen wir als tiefe Töne wahr, während wir Töne mit Frequenzen von 2.000 oder 5.000 Hertz als hoch empfinden. Die allertiefsten Töne, die wir wahrnehmen können, sind bei 16 Hertz angesiedelt, die höchsten Töne bei 20.000 Hertz. Schwingungen zwischen 16 Hertz und 20.000 Hertz werden von einem gesunden Menschen als Ton interpretiert.

Als sehr hohe Töne erleben wir zum Beispiel das Jubilieren einer Lerche, eine Sopranstimme oder das Spiel einer Piccoloflöte, als tiefe Töne empfinden wir die Schwingungen einer Bassgitarre oder auch ein Donnergrollen.

Die gefühlsmäßige Interpretation