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Lexi hasst Schneestürme. Manchmal fügt ein Sturm zwei Menschen zusammen, die sich sonst niemals begegnet wären. Auf dem Flughafen von Vancouver trifft die junge Autorin Lexi den charismatischen Coray. Das Schicksal – oder eben jener Schneesturm – sorgt dafür, dass sie im Flugzeug nebeneinandersitzen. Coray ist kein x-beliebiger Reisender, sondern ein Megastar inkognito. Lexi erkennt hinter dem rauen Bad Boy Image einen feinfühligen Mann mit tiefen Narben auf der Seele. Gemeinsam erleben sie zwei wunderschöne Tage im weihnachtlichen New York, bevor Lexi nach Berlin abreisen muss. Die gegenseitige Anziehungskraft ist stark, doch beiden ist klar: Zwischen ihnen kann es kein WIR geben. Sie trennt nicht nur ein Ozean, sie leben auch in völlig verschiedenen Welten. Hollywood trifft auf Berlin, Superstar auf Nerd. Hat ihre Liebe unter diesen Umständen überhaupt eine Chance?
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Almost Famous - (K)ein Superstar zu Weihnachten
von Danara DeVries
Buchbeschreibung:
Lexi hasst Schneestürme.
Manchmal fügt ein Sturm zwei Menschen zusammen, die sich sonst niemals begegnet wären.
Auf dem Flughafen von Vancouver trifft die junge Autorin Lexi den charismatischen Coray. Das Schicksal – oder eben jener Schneesturm – sorgt dafür, dass sie im Flugzeug nebeneinandersitzen. Coray ist kein x-beliebiger Reisender, sondern ein Megastar inkognito. Lexi erkennt hinter dem rauen Bad Boy Image einen feinfühligen Mann mit tiefen Narben auf der Seele. Gemeinsam erleben sie zwei wunderschöne Tage im weihnachtlichen New York, bevor Lexi nach Berlin abreisen muss. Die gegenseitige Anziehungskraft ist stark, doch beiden ist klar: Zwischen ihnen kann es kein WIR geben. Sie trennt nicht nur ein Ozean, sie leben auch in völlig verschiedenen Welten.
Hollywood trifft auf Berlin, Superstar auf Nerd. Hat ihre Liebe unter diesen Umständen überhaupt eine Chance?
Über den Autor:
Danara DeVries ist das Pseudonym einer nerdigen Mutter von zwei Nachwuchs-Nerds. Das Schreiben eigener Texte ist ihr liebster Zeitvertreib und wenn sie nicht gerade durch virtuelle Welten hastet und mit Schwertern herumfuchtelt, versinkt sie in dem Kreieren romantischer Beziehungen mit Tragikfaktor.
1. Auflage, 2020
© 2020 Alle Rechte vorbehalten.
c/o easy-shop
K. Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig (Anhalt)
Email:[email protected]
Web: https://www.danara-devries.de
Korrektorat/ Lektorat: Bianca Karwatt, Lektorat Buchstabenpuzzle
Covergestaltung: Constanze Kramer, www.coverboutique.de
Bildnachweise: ©Subbotina Anna, ©Kara-Kotsya – stock.adobe.com
Verwendete Schriftarten: Linux Libertine, Times New Roman, Trajan 3 Pro, Arial, Gebrina Regular
Kapitel 1
Erfolgreichste Jungautorin des Jahres. So oder so ähnlich hatte ich mir die Schlagzeile im Tagebuch meines Lebens vorgestellt, als mich die Nachricht erreichte, einer meiner Thriller könnte die Vorlage für eine amerikanische Krimiserie werden. Was war ich aus dem Häuschen! Genau das hatte sich Mom immer für mich gewünscht. Echter, richtiger greifbarer Erfolg! Nein, ich hatte wochenlang auf Wolke sieben geschwebt und mir mächtig was eingebildet. Sie würde unglaublich stolz auf mich sein – wenn sie noch leben würde. Aber das war letztlich egal. Mom wäre glücklich gewesen, und nur das zählte.
Der Flug nach Vancouver, die Vertragsverhandlungen – meine Agentur hatte wirklich Großartiges geleistet. Ich sah mich schon als DEN aufstrebenden Stern am deutschen Autorenhimmel. Mit einem Fuß in der Hall of Fame sozusagen. Welcher fleißige, im Hinterzimmer tippende Schreiberling wünschte sich das nicht? Hä? Eben. Ich bildete da keine Ausnahme. Mom, Hollywood, ich komme!
Die Ernüchterung kam schnell. Aus der Krimiserie wurde eine Mini-Serie, aus den geplanten acht Staffeln – man muss sich ja hohe Ziele stecken – wurden nur sechs Episoden und ich würde lediglich als Co-Autor einer unbedeutenden dritten Folge auftreten. Mein Buch wurde für den amerikanischen Markt zurechtgestutzt und … alles nicht mehr so heiß gegessen, wie es gekocht worden war. Trotzdem war ich unglaublich stolz. Das Hochgefühl hielt an, bis ich vor dieser schicksalsträchtigen Tafel stand und auf den gestrichenen – MEINEN – Direktflug nach Berlin blickte. Canceled.
Ich hatte diesen aberwitzigen Verhandlungen vor Ort nur zugestimmt, weil es, erstens einen Direktflug gab, und mich zweitens meine Agentur unterstützte. Ich litt nämlich unter beachtlicher Flugangst. Auf dem Hinweg hatte mich sogar noch jemand begleitet, den Rückweg sollte ich allein schaffen. Ich war ja jetzt transatlantikflugerprobt. Oder so ähnlich. Nein, ich habe das Wort nicht im Wörterbuch nachgeschlagen. Ich plädiere einfach dafür, dass es in der neuen Ausgabe des Dudens aufgenommen wird. So. Ich weiß nämlich genau, was es bedeutet.
Ich war ganz und gar nicht flugerprobt, schon gar nicht flughafenerprobt. Ich verlief mich ja schon im heimischen Berlin und jetzt sollte ich es irgendwie auf die Reihe kriegen, eine Flugannulierung zu überstehen? Unmöglich. Die Ausrede, der Flieger sei am Gate festgefroren zählte nicht, und mein Agent – eher mein Kontakt in der Agentur – war auf wundersame Weise nicht erreichbar. Eigentlich Bartholomäus, aber niemand hieß so, also nannte ich ihn Barry. Weil er wie der Blitz arbeitete. Den Sarkasmus suchte ich später. Und ans Telefon ging er auch nicht. Aber seine Sekretärin. Ich lachte höhnisch auf. Lizzy war ein Glückspilz. Und was für einer.
»Besorg mir einen anderen Flug! Die Verhandlungen haben viel zu lange gedauert. Ich muss übermorgen in Berlin sein. Meine«, ich dachte kurz nach, welche Ausrede wohl am glaubhaftesten klingen würde. Eine Beerdigung wäre wohl übertrieben, oder? Nein. Vielleicht eine Geburtstagsfeier? Eine Hochzeit? Klar, wer heiratet denn im November? »… Meine Tante hat Geburtstag und ich muss da sein. Sie erwartet ein Ständchen, wie jedes Jahr. Du kennst doch diese schrullige Alte aus Dinner for one, ja?«
Lizzy seufzte. »Nein …«
»Stell sie dir einfach vor. Genau das ist meine Tante und wenn ich nicht spiele, kriegt sie hohen Blutdruck und muss ins Krankenhaus. Man hört doch all diese Horrorgeschichten von alten Leuten in Krankenhäusern. Die werden ans Bett gefesselt und ruhig gestellt und dann können sie nie wieder aufstehen. Du willst doch nicht dafür verantwortlich sein, dass Tante Greta stirbt, oder?« Okay, ich klang leicht hysterisch und trug eindeutig zu dick auf. Aber ich konnte unmöglich an diesem schrecklich großen Flughafen allein rumhängen und auf den Frühling warten. NEIN!
»Reg dich ab, Lexi, ich suche dir einen Flug. Besorg dir einen Kaffee, eine Zeitung, ein Buch, was weiß ich. Ich ruf wieder an.« Ein Klacken in der Leitung ließ mich irritiert zusammenzucken, das Smartphone vom Ohr nehmen und fassungslos auf das Display starren. Sie hatte einfach aufgelegt! Ist das zu fassen? Lizzy hätte ja wenigstens so lange am Telefon bleiben können, bis ich … ja was? Zu Hause wäre? Wie diese Telefonhotlines, die man als Frau anrufen konnte, wenn man Angst beim allein nach Hause gehen hat? Ich habe nie verstanden, warum Frauen so etwas tun. Bis heute.
Auf dem riesigen Flughafen von Vancouver fühlte ich mich wie ein ausgesetzter Welpe: Hilflos, überfordert und allein. Ich wollte nur noch nach Hause in mein Bett. Doch das stand wortwörtlich am anderen Ende der Welt und das Schicksal hatte sich eindeutig gegen mich verschworen.
Das Smartphone wie eine Waffe vor mich haltend, machte ich das, was Lizzy mir aufgetragen hatte. Erst mal einen Kaffee, dann erschien die Welt längst nicht mehr so bedrohlich und gemein. Wenige Minuten später stand ich mit dem dampfenden Getränk und einer Tafel Schokolade – das süße Glück half einfach in jeder Lebenslage – in der Abflughalle und schaute dabei zu, wie ein Flug nach dem anderen annulliert wurde. Man nannte ihn den Schneesturm des Jahrhunderts und er bewegte sich einmal quer über das ganze Land. Keine Chance, Tizian, oder wie auch immer sie dieses Ungetüm getauft hatten, zu entkommen.
»Hey, schauen Sie nicht so verängstigt«, raunte mir ein großer, dunkelhaariger Mann im Vorbeigehen zu. »Es ist nur ein Sturm. Und außerdem ist Weihnachten.« Mit einer allumfassenden Geste umfing er die festlich geschmückte Abflughalle, für deren Schönheit mir im Augenblick der Sinn fehlte. Weihnachten konnte mich mal. Ich wollte nur noch nach Hause. Ein freches Grinsen erschien unter einem dichten, schwarzen Dreitagebart. Seine Augen leuchteten amüsiert und mir blieb fast das Herz stehen.
»Sie sprechen Deutsch?«, war die einzige, geistreiche Antwort, die mir auf die Schnelle einfiel. Mit einem schweren amerikanischen Akzent, aber jemand, der meine Sprache sprach. Er erschien mir in einem fremden Land wie der Rettungsring auf stürmischer See. Ich musste einfach danach greifen, wenn ich nicht untergehen wollte. Nicht, dass ich Angst vor Flughäfen hätte, vor dem Fliegen schon eher. Nein, es waren die Menschenmassen im Allgemeinen. Große Ansammlungen machten mich nervös. Und dennoch war ich in die USA geflogen, für mein Buch, für meine Mom, für die Chance auf ein besseres Leben, um David eine Ausbildung finanzieren zu können. Mein Bruder war der absolut dämlichste Mensch auf dem Planeten, aber er hatte das Herz am rechten Fleck und wünschte sich so sehr eine Ausbildung zum Diätassistenten. Eine schulische Ausbildung konnte ich mir nicht leisten. Erst, wenn ich so richtig Geld verdiente. Ich seufzte. Aber natürlich tat ich das alles auch für meine Geschichten, für meine Krimis. Dass aus dieser Reise eine herbe Enttäuschung geworden war, änderte nichts an meiner Einstellung. Ich musste einfach noch härter arbeiten.
Der Mann grinste noch ein kleines Bisschen breiter und zeigte mir eine Reihe strahlend weißer Zähne. Mann, der könnte wirklich Werbung für Zahnpasta machen. Die Wollmütze tief in Stirn gezogen, die orangefarbene Sonnenbrille auf der Nase, beugte er sich zu mir herunter. Sein Atem streifte meine Wange. »Verraten Sie es keinem, aber ich übe für eine Rolle.«
Meine Augen wurden groß und ich starrte ihn verblüfft an, als er sich wieder aufgerichtet hatte. »Sie sind Schauspieler?«
Er zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen. »Manchmal. Entschuldigen Sie mich, war nett, Sie kennenzulernen. Aber ich muss los.« Sein Blick glitt über die Anzeigentafel. »Sonst verpasse ich meinen Flug.«
Ich folgte seinem Blick. »Welchen? Die werden doch alle der Reihe nach annulliert.«
»Wer weiß, vielleicht holt mich Santa …«, er überlegte kurz, »… wie heißt Santa bei Ihnen zu Hause?« Ich sprach deutsch, also lag die Vermutung nahe, dass ich auch von dort kam.
»Weihnachtsmann«, antwortete ich automatisch.
Er lachte. »Genau, vielleicht holt mich der Weihmachtsmann mit seinem Schlitten ab.«
»Wohl kaum. Es dauert noch ein wenig bis Weihnachten.«
Er hob die Hand zum Gruß und wandte sich zum Gehen. »Vielleicht fährt er seinen Schlitten schon mal ein!« Und damit war er verschwunden. Verwundert starrte ich diesem seltsamen großen, aber durchaus freundlichen Mann hinterher. Gemütlich schlenderte er mit seinem verschlissenen Rucksack, dem gelben Parka und den abgerissenen Jeans davon. Und so was wollte Schauspieler sein? Vielleicht in einer Laienspielgruppe, die sich immer Dienstag Abend traf und mehr soff als probte. Ich grinste und biss mir anschließend auf die Zunge. Für eine solche Rolle brauchte er doch nicht Deutsch lernen. Und woher wusste er eigentlich, dass ich Deutsche bin? Stand das etwa auf meiner Stirn? Meine Augen rollten automatisch nach oben und ich versuchte, mir selbst auf die Stirn zu blicken. Ja, klar, das geht ja auch so prima.
Bevor ich mich noch weiter über meine eigene Schrulligkeit ärgern konnte, vibrierte mein Handy. Hektisch sah ich mich um. In der einen Hand hielt ich den Kaffeebecher, in der anderen mein Buch. Ich runzelte die Stirn und erfasste den Titel. ›Der Witwenmacher‹ und plötzlich fiel mir ein, woher der Kerl wusste, dass ich Deutsche war. Natürlich! Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Mein Buch. Aber wohin damit? Hastig bückte ich mich und stellte den Kaffee auf den Boden zwischen meine Schuhe, um endlich eine Hand frei zu haben.
Ich klappte das Case auf und Lizzy lachte mich an. Nicht, dass sie häufig lachte oder wir gute Freundinnen waren. Da ich mir eher Gesichter als Namen merken konnte, hatte ich sie damals, bei meinem ersten Tag in der Agentur, gebeten, mal zu lachen, damit ich ein Foto von ihr für mein Adressbuch machen konnte. Die Situation war schon ziemlich seltsam gewesen, genauso wie das Lachen, mit dem sie mich anstrahlte. Dennoch fühlte ich, wie sich Erleichterung in mir ausbreitete. Oder eher Hoffnung. Eine vage. Bitte, bitte, lass sie einen Flug haben, flehte ich.
»Und, hast du den Flug?«, plapperte ich ohne lange Begrüßung direkt drauf los. Freundlichkeit gehörte im Augenblick nicht zu meinen Stärken. Der ausgefallene Flug, der rote und goldene Geglitzer überall und nicht zu vergessen: Jingle Bells, das mir aus jedem Geschäft, jedem Café, ja sogar aus Handys als Klingelton entgegenschallte. Ich war übersättigt. Weihnachten ging mir bereits so sehr auf die Nerven, dass ich dem Sheriff von Nottingham aus einer bekannten Robin Hood Verfilmung nur zustimmen konnte: Und sagt Weihnachten ab! Ja, bitte! All diese negativen Empfindungen konnten trotzdem nicht die Erleichterung zerstören, die ich bei Lizzys Worten verspürte.
Lizzy atmete lautstark ins Telefon. »Ja, es ist ein Flug. Aber es wird dir nicht gefallen.«
***
Zwischen Es wird dir nicht gefallen und das ist eine mittelschwere Katastrophe war nicht viel Spielraum. Wenn Lizzy gewusst hätte, was da vor mir stand, wäre sie weit weniger enthusiastisch gewesen. Okay, sie hatte ja auch nicht begeistert geklungen, als sie mir von der Propellermaschine erzählte, die der Filmgesellschaft gehörte, die die Miniserie mit meinem Krimi als Episodenvorlage produzieren wollte. Aber sie sagte, es wäre eine realistische Chance, bei diesen Wetterverhältnissen New York zu erreichen. Das oder ich müsse Zug fahren. Wobei die Chance, einen Zug zu ergattern, der auch fuhr, ziemlich gering war. Schließlich waren wir in den USA. Zug fuhr man in diesem Land nämlich selten bis gar nicht. Außerdem lockte die Aussicht, einen achtstündigen Flug mal eben mit einer Bahnreise zu ersetzen, mich nicht gerade. Dann hätte ich doch lieber auf den Frühling gewartet.
Trotz aller Schimpftiraden auf die Deutsche Bahn, die waren jedenfalls auf Temperaturen jenseits des Gefrierpunktes eingestellt und beheizten nicht nur Weichen, sondern auch ganze Schienenstrecken. Demzufolge erlag der Schienenverkehr meistens noch vor den Flughäfen. Im Übrigen lag Vancouver auf der anderen Seite des Kontinents. Um New York mit der Bahn zu erreichen, musste man schon wahnsinnig sein. Also doch lieber die Klapperkiste, die vor mir auf dem verschneiten Rollfeld stand.
Doch als ich die Maschine erblickte, in die ich steigen sollte, wünschte ich mir dringend ein funktionierendes Schienennetz. Das würde der reinste Albtraum. Wenn ich jedoch noch vor der Schneeschmelze New York erreichen wollte, musste ich in dieses Flugzeug steigen. An der Ostküste sollten die Temperaturen auch weniger frostig sein und von dort konnte ich problemlos über den Atlantik fliegen.
»Da das ein Privatflugzeug ist, unterliegt es weniger strengen Richtlinien«, hatte mir Lizzy erklärt. »Wenn du noch diese Woche in Europa sein willst, solltest du in das Flugzeug steigen.«
»Aber es ist eine Propellermaschine«, widersprach ich.
Lizzy stöhnte. »Hast du eine Ahnung, was ich für Hebel in Bewegung gesetzt habe, damit du diesen Flug nehmen kannst? Also entweder du steigst da jetzt ein oder du lässt es bleiben. Aber verlang von mir nicht, für dich eine andere Transportmöglichkeit ausfindig zu machen. Denn die gibt es nicht.« Sie schnaubte wütend. »Und ruf mich nicht wieder an, es sei denn, du bist in New York und ich soll deine Umbuchung arrangieren. Wegen des Wetters ist sowieso alles hinfällig.«
Ich seufzte ergeben. »Okay, danke. Du bist ein Schatz«, fügte ich wenig überzeugend hinzu, was auch ziemlich schwierig war. Lizzy würde es verstehen, wenn sie die Klapperkiste auf der Landebahn sah. Privatflugzeug hin oder her, aber hätten sie es nicht wenigstens instand halten können? Ich traute dieser Kiste nicht zu, überhaupt abzuheben. Geschweige denn die dreitausend Meilen bis New York zu schaffen.
Lizzy schien meine Laune nicht zu bemerken und wenn doch, dann überging sie es. Ich wusste, ich sollte dankbar sein, aber ich konnte nicht. Wenn sie das Ding da sah, würde sie es verstehen. »Alles klar, guten Flug. Melde dich, wenn du in New York bist. Ich seh dann zu, was ich für dich tun kann.« Und damit hängte sie auf. Schockiert blieb ich noch einige Sekunden in der beheizten Abfertigungshalle an der verglasten Front stehen und starrte aufs Rollfeld. Das überlebte ich nicht. Ich seufzte, nahm das Smartphone quer und schoss ein Foto von der Klapperkiste. Das sendete ich mit einer kurzen Notiz an Lizzy. Wenn du mein Grab findest, schick Blumen. Ich grinste und drückte auf Senden. Galgenhumor war meine geheime Superkraft.
Bevor ich noch länger über die Flugtauglichkeit der Maschine nachsinnen konnte, kratzte ich meinen Mut zusammen und ging zum Schalter. Die Dame erwartete mich bereits. Sie erklärte, dass ich der letzte Fluggast des Privatfliegers sei, und ließ mich durch die Absperrung. Super, sie hatte nur kurz nach meinem Namen gefragt, mir aber weder ein Ticket in die Hand gedrückt noch einen Sitzplatz genannt. Toll, wenn ich Pech hatte, musste ich stehen. Sie schob mich hektisch durch die Glastür und schloss hinter mir mit der Bemerkung ab, dass man bereits auf mich wartete und ich mich jetzt gefälligst beeilen sollte.
Wieder fühlte ich mich wie ein ausgesetzter Welpe, angebunden und vergessen. Verloren blickte ich mich auf dem Rollfeld um, fragte mich, ob ich einfach so zum Flugzeug laufen sollte? Als Deutsche war mir ein gewisses regelkonformes Verhalten quasi in die Wiege gelegt. Also suchte ich nach Linien auf dem Asphalt, die den Weg, den ich nehmen durfte, markierten. Aber da war nichts. Als ich wieder aufsah, winkte mir ein Mann, der den Kopf aus der Maschine steckte, hektisch zu.
»Hurry up, Lady!«, rief er und ich setzte mich in Bewegung. Die Propeller surrten bereits. Entweder jetzt oder ich würde wirklich in Vancouver bleiben müssen. Hastig drehte ich mich um, der Rückweg war mir allerdings auch bereits versperrt. Die Dame hatte sogar schon die Rollläden runtergelassen. Toll, damit gab es für mich nur noch eine Richtung. Vorwärts ins Verderben.
***
Die Flugzeugtür schloss sich mit einem saugenden Geräusch hinter mir und ich presste gleichzeitig die Lider aufeinander. Die Veränderung der Druckverhältnisse wirkte auf mein Trommelfell und ich musste mehrmals tief schlucken. Für einen winzigen Augenblick verlor ich die Orientierung, Schwindel ergriff mich und ich musste mich festhalten, da ich sonst umzufallen drohte. Jemand griff nach meinen Schultern und schob mich vorwärts, mein Koffer klapperte hinter mir.
»Sit!«, raunte mir der Mann zu und drückte mich in einen Sitz. Tasche und Koffer verstaute er in dem dafür vorgesehenen Bereich über meinem Kopf. Die Maschine hatte keinen separaten Ladebereich. Ich blickte nach oben, doch die Ablage erschien mir ziemlich gewagt. Nicht mal ein abschließbares Fach, nur ein Fangnetz, das im Ernstfall verhinderte, dass ich von meinem eigenen Gepäck erschlagen wurde. Prima, der Gedanke, nur durch den Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, war wirklich sehr tröstlich.
Noch in Gedanken versunken, sprang ich vor Schreck fast aus meinem Sitz, als die Maschine anfuhr. Die Propellergeräusche dröhnten mir in die Ohren und ich krallte die Hände in die Armstützen. Moment, meine linke Armstütze lag ziemlich niedrig. Das konnte unmöglich der Sitz sein. Verunsichert wagte ich einen Blick nach links und schloss augenblicklich die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein! In meiner Panik hatte ich nach dem Knie meines Sitznachbarn gegriffen und meine Nägel in sein Bein gebohrt. Peinlich berührt presste ich die Lider aufeinander und murmelte ein Sorry, aber meine Angst vor dem Start war so groß, dass ich unmöglich loslassen konnte.
Das Bein regte sich unter mir, jemand griff nach meinem Handgelenk und ersetzte das Knie durch eine warme Handfläche. »Kein Problem, aber ich würde es bevorzugen, wenn Sie stattdessen meine Hand zerquetschen.« Diese Stimme! Hastig riss ich die Augen auf und starrte in die gleichen amüsiert funkelnden Augen, die mich schon in der Flughafenhalle fasziniert hatten. Nur diesmal waren sie nicht von Brillengläsern verdeckt. Ohne den hässlichen Gelbton wirkten sie noch viel interessanter. Ein warmes Braun, das leicht traurig wirkte, so als hätten diese Augen schon viel zu viel erlebt. In seinem Blick lag eine deutlich spürbare Schwere, die nur durch das lausbubenhafte Funkeln abgeschwächt wurde. Als würde er sich hinter seinem Humor verschanzen. Ich schluckte, ergriffen von der Intensität dieses Gedankens.
»Sie!«, murmelte ich und sank in den Sitz, da das Flugzeug langsam Richtung Startbahn rollte.
»Ja, ich. Und Sie!« Er lachte leise. »Haben Sie etwa Flugangst?«
Ich schüttelte heftig den Kopf und bemerkte zu spät, dass ich damit indirekt seine Frage bejahte. »Nein!«, fügte ich energisch hinzu. »Nur ein bisschen. Aber dieses Flugzeug! Ich traue ihm nicht.«
»Wieso?«, fragte er und drehte meine Hand so, dass sein Handrücken auf seinem Oberschenkel lag, unsere Handflächen aneinander. Meine Finger verschränkten sich mit den seinen und ich starrte erschrocken auf unsere Hände. War das unpassend? Mit einem Fremden Händchenhalten? Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. Ich hatte nämlich nicht das Gefühl, als sei dieser Mann, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte, ein Fremder.
»Haben Sie sich das Ding mal angesehen? Es sieht fast so aus, als würde es gleich auseinanderfallen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Der Tod kommt so oder so, wir können es nicht verhindern. Also sollten wir das Beste daraus machen, solange wir am Leben sind, nicht wahr?«
»Das ist eine ziemlich bescheuerte Aussage, wenn man den Tod umgehen kann, indem man eben nicht in dieses Flugzeug steigt, oder?«
Er lachte leise. »Haben wir aber nicht. Wir sitzen in diesem Flieger, zusammen und Sie halten meine Hand, als würde Ihr Leben davon abhängen. Wenn Sie nicht eingestiegen wären, würden wir uns nicht kennenlernen.«
Etwas verblüfft starrte ich erst ihn, dann meine Hand an. »Aber … ich kenne doch noch nicht einmal Ihren Namen!«
Er legte den Kopf leicht schräg und musterte mich. »Stimmt, kennen Sie nicht. Aber ich den Ihren.« Er deutete auf das Buch auf meinem Schoß. Mein Foto prangte auf der Rückseite und darüber mein Pseudonym. »Bella.«
Als hätte ich auf eine Zitrone gebissen, verzog ich das Gesicht. »Das bin doch nicht ich!«
»Dann sehen Sie der Autorin einfach nur ähnlich?« Wieder schüttelte ich den Kopf.
»Ich bin das schon, aber ich heiße nicht Bella Bird. Wer heißt schon so?« Er runzelte nachdenklich die Stirn, sodass ich mich verpflichtet fühlte, weitere Erklärungen hinzuzufügen. »Bella Bird ist mein Pseudonym. Ich heiße Alexis …« Ich räusperte mich, weil mein bürgerlicher Nachname eher dafür sorgte, dass die Leute in amüsiertes Gelächter ausbrachen. Deshalb auch der Künstlername. Lieber Bella Bird als Alexis Klopfenstein. Dankbar nahm ich zur Kenntnis, dass er nicht weiter nachfragte. Stattdessen hob er unsere verschränkten Hände und bewegte sie leicht hin und her, so als würde er meine Hand schütteln.
»Coray«, sagte er einfach.
Ich runzelte fragend die Stirn. »Ihr Name?«
Er nickte amüsiert. »Fragen Sie jetzt bitte nicht nach, warum ich so heiße.«
»Doch«, entfuhr es mir. Ich biss mir unwillkürlich auf die Unterlippe. Vorlaut ist mein zweiter Vorname, gleich hinter frech und manchmal eine Spur zu ehrlich. »Weil es mich wirklich interessiert«, fügte ich etwas leiser hinzu. »Warum tragen Sie einen Frauennamen?«
Coray lachte leise. »Es ist eher umgekehrt. Warum fühlen sich Eltern heutzutage genötigt, ihren Töchtern einen Männernamen zu geben.« Ich sah ihn fragend an, wartete darauf, dass er eine entsprechende Erklärung hinzufügte. Coray sah seufzend aus dem Fenster. Erst jetzt merkte ich, dass das Flugzeug deutlich an Geschwindigkeit zulegte und der Propellerlärm eine ohrenbetäubende Lautstärke erreicht haben müsste, aber das Geräusch hatte sich, seit wir den Terminalbereich verlassen hatten, nicht merklich erhöht. »Der Name ist irischen Ursprungs, mein Vater stammt von der Grünen Insel«, erklärte er und folgte meinem Blick aus dem Fenster.
Ich versteifte mich, als ich merkte, wie die Maschine langsam vom Boden abhob. Es fühlte sich an, als würde mein Magen an der Startbahn kleben, während der Rest meines Körpers stetig an Höhe gewann. Coray drückte meine Hand und hob sie hoch, sodass ich automatisch in seine Richtung sah. Und plötzlich erstarrte ich. Sein Name, Coray, war mir nicht unbekannt. Doch ich hatte ihn nicht sofort erkannt. Das ungepflegte Aussehen, die Sonnenbrille, die Mütze, all das täuschte so wirkungsvoll einen gewöhnlichen Mann vor, dass ich das Offensichtliche schlichtweg übersah. Dabei hätte mir bereits zu dem Zeitpunkt, als er mir seinen Vornamen nannte, ein Licht aufgehen müssen. Doch mein Hirn arbeitete höchstwahrscheinlich noch daran, die Situation – ich in einer Propellermaschine – zu verarbeiten, dass da einfach kein Raum für mein Gegenüber war.
»Le Roux?«, schnappte ich fragend über den Motorenlärm hinweg. Seine Mundwinkel kräuselten sich wissend. »Oder nur verwandt?«
Er schüttelte den Kopf und mir blieb fast das Herz stehen. Nicht wegen des Starts, ah, nein, deswegen auch. Scheiße, Coray Le Roux, erste Liga Hollywoods, Actionsuperstar und einer der meistbegehrten Junggesellen dieses Planeten hielt meine Hand! Ah, und ich hatte meine Finger voller Panik in sein Knie gebohrt, wie peinlich! Als hätte ich mich verbrannt, ließ ich seine Hand los und griff hektisch nach der Armlehne, die unsere Sitze wirkungsvoll trennen würde, und klappte sie herunter.
»Entschuldigung«, keuchte ich und starrte stur geradeaus.
Der Superstar neben mir lachte leise, so leise, dass ich es über das Motorengeräusch hinweg fast nicht gehört hätte. »Hat aber lange gedauert«, murmelte er, löste seinen Gurt und rutschte etwas tiefer in die Polster. Seine langen Beine schob er unter den Sitz des Vordermannes. Ich saß wie angewurzelt neben ihm und versuchte, nicht zu atmen. Oder zu existieren. Warum konnte sich nicht einmal in meinem Leben ein Loch unter mir auftun und mich verschlucken, wenn ich mal wieder den Vogel abgeschossen hatte. In einem Flugzeug? Sicher. Ich schloss die Augen und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Natürlich wurde es nicht erhört. So was passierte nie, nicht mal mir.
Die Maschine hatte die Startphase beendet und ging in Horizontalflug, der Motorenlärm sank auf ein erträgliches Maß und ich atmete tief durch. »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich erneut.
»Was? Dass Sie mich nicht erkannt haben?« Er funkelte mich amüsiert an. Ich runzelte die Stirn.
»Nein.« Ich hielt inne. Erwarteten Superstars immer, dass sie erkannt wurden? Vermutlich. Keine Ahnung. Das wäre doch ziemlich vermessen, oder? Ich gehe zwar nicht häufig ins Kino und mein Fernseher ist meistens auch ausgeschaltet, aber ich kannte ihn. Wer denn nicht? Der Typ flimmerte quasi einmal im Jahr mit einem neuen Streifen über die Kinoleinwände. Erst letztens der finale Teil eines Actionfilms über einen Profikiller, der sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hatte und hinter dem jetzt alle her waren. Den ich übrigens noch nicht gesehen hatte. Den kurzen Handlungsabriss hatte ich aus dem Trailer. Ich sollte wirklich ins Kino gehen, jetzt, wo er morgen blaue Flecke haben würde, weil ich Flugangst habe. Ah, wie peinlich. »Das auch«, korrigierte ich mich. »Aber ich meine eigentlich das Knie.«
Coray lachte, ein tiefes, sinnliches Lachen, das mir sofort unter die Haut ging. Wie vom Blitz getroffen saß ich kerzengerade, während er mich sogar in lümmelnder Position noch überragte. »Das muss Ihnen nicht leidtun, ich gebe gerne mein Knie her, wenn es Ihnen hilft.« Er hob seine Hand und wackelte mit den Fingern. »Oder meine Hand, kein Problem.«
Durch die Bewegung seiner Finger angezogen starrte ich wieder zu ihm. »Es tut mir trotzdem leid«, stammelte ich, »hätte ich gewusst, wer Sie sind, hätte ich doch nicht …«
Er winkte lässig ab. »Ich bin nur der Typ neben Ihnen, der Ihnen dabei hilft, Ihre Flugangst zu vergessen. Übrigens finde ich dieses Sie lästig. Im Englischen gibt es das auch nicht.« Freundlich lächelnd streckte er mir die Hand hin und sah dabei so normal aus, dass ich sie einfach ergriff. »Ich bin Coray, und ich beiße nicht.«
Mein Herz machte einen aufgeregten Satz, ah, nein, das Flugzeug fiel in ein Luftloch und ich griff hektisch nach seiner Hand, klammerte mich haltsuchend an ihn und vergaß für einen Augenblick, wer neben mir saß. »Lexi«, keuchte ich angestrengt und atmete tief durch, als die Maschine sich wieder beruhigte.
»Schön, dich kennenzulernen, Lexi.«
Ich lächelte unsicher, nervös, mit einem Schwarm aufgeregter Schmetterlinge im Bauch, deren Existenz ich Luftlöchern, Propellermaschinen und Schneestürmen zuschrieb. Ganz eindeutig. »Find ich auch … Coray.«
Kapitel 2
Der Flug nach New York sollte mindestens acht Stunden dauern. Propellermaschinen erreichen bei Weitem nicht die Geschwindigkeit eines turbinenbetrieben Airbusses. Aber wir wollten nicht meckern. Coray unterhielt mich mit einer Reihe Anekdoten über diverse bekannte Schauspieler. Ich sollte sie zumindest kennen, aber meistens sagten mir die Namen nichts. Doch er hatte solch eine Freude daran, dass ich es mir nicht anmerken ließ. Und je länger der Flug dauerte, desto mehr vergaß ich, mit wem ich ihn verbrachte. Coray war so ein angenehmer Gesprächspartner, dass ich sogar die Zeit hinter mir lassen würde.
Des Öfteren brachte er mich mit seinen kleinen Geschichten zum Lachen und lenkte mich so von dem unruhigen Flug ab. Einmal, nachdem wir uns von einem erneuten Fall in ein Luftloch erholt hatten, fragte ich ihn, warum er sich abgeschnallt hatte, wo doch der Flug so unsicher war. Er zuckte nur mit den Schultern und deutete auf seine langen Beine.
»Ich mag es nicht, so gerade sitzen zu müssen. Das ist doch total unbequem. Diese Sitze und Maschinen sind einfach nicht für große Menschen gemacht«, murrte er und rutschte gleich noch ein wenig tiefer.
»Warum fliegst du dann nicht Businessclass oder hast ein eigenes Flugzeug?«, fragte ich, ohne groß darüber nachzudenken.
Coray zog die Augenbraue hoch. »Weil der Sturm alle Flüge lahmgelegt hat? Weil sonst nichts fliegt und das die Maschine dem Studio gehört, hast du wohl auch schon verdrängt?«
»Ach stimmt, ja, hatte ich fast vergessen.« Ich schob meine Gedächtnislücke auf seine Anwesenheit, ganz einfach. »Normalerweise bin ich nicht so vergesslich«, redete ich mich raus. »Ich merke mir sogar sehr viele Dinge. Schließlich bin ich Autorin und schreibe Krimis. Da sollte ich meine Gedanken beisammen haben, oder?«
Er blinzelte mich an, als würde er an meinem Verstand zweifeln. »Ach?«
»Ja, nur du bist daran schuld, dass ich völlig neben der Spur laufe!«
»Neben der Spur laufen? Was heißt das denn?« Ich vergaß, er war ja kein Muttersprachler. Nur seine wirklich hervorragenden Sprachkenntnisse täuschten darüber hinweg. Allerdings war ich jetzt in der Pflicht, ihm die Redewendung zu erklären.
»Das bedeutet, das man nicht alle beisammen hat.«
Coray runzelte die Stirn. »Alle beisammen hat? Was heißt das denn jetzt schon wieder?«
Super, eine Redewendung mit einer anderen erklären kann ich. War nur wenig hilfreich für ihn. »Na, das ich etwas neben mir stehe.« Hilflos warf ich die Arme in die Höhe. »Himmel, du hast mich irregemacht mit deiner Anwesenheit und ich hab halt nicht mehr alle beisammen. Zufrieden?!«
Seine Mundwinkel kräuselten sich amüsiert. »Ja, ziemlich. Ich habe gerade eine Menge neuer Wörter gelernt. Danke, Lexi.«
Verdattert starrte ich ihn an. Machte er sich etwa über mich lustig? »Du findest das witzig?«
»Ziemlich.«
Ich seufzte beschämt. »Na, da hat wenigstens einer seinen Spaß.« Gefrustet rutschte ich tiefer in den Sitz und ahmte seine Haltung nach. Ich muss nicht extra erwähnen, dass er es tausendmal besser drauf hatte als ich. Na ja, er ist ja auch ein Star und ich nur ein kleiner Schreiberling aus Berlin. Um das Gespräch wieder in Gang zu bringen, griff ich die Frage nach dem Flugzeug erneut auf. »Also, warum hast du kein Flugzeug?«
»Hast du eines?«, fragte er zurück.
»Man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage.«
»Ist das so?«
»Ja!«, fuhr ich ihn an und erntete erneut ein heiteres Lachen. Auf meinen zornigen Blick hin hob er entschuldigend die Hände.
»Sorry, aber die Frage drängt sich nicht gerade auf, oder? Nur weil mein Konto achtstellig ist, heißt das noch lange nicht, dass ich unbedingt ein Flugzeug brauche. Ich mag es, auf Flughäfen rumzuhängen, in Linienmaschinen zu fliegen oder die subway zu benutzen. Es kommt sogar vor, dass ich mir ein uber leiste«, fügte er auf meinen schockierten Blick hin zu.
»Achtstellig?«, schnappte ich und schämte mich sofort für diese Frage. Das tat man wirklich nicht, jemanden nach seinem Kontostand fragen. Aber er hatte angefangen.
Coray zuckte mit den Schultern. »War mehr als genug drauf, als ich das letzte Mal nachgesehen habe. Aber das tue ich nicht sehr häufig.«
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich hatte mir dich ganz anders vorgestellt.«
»Wie denn?«
»Nicht so … normal. Ich meine, man hört und liest ja so einiges. Ich habe gedacht, du wärst genauso. Mit Villa und Chauffeur und eigenem Flugzeug. Und Champagner zum Frühstück.«
»Ich mag keinen Champagner. Aber wenn du mit einem Bourbon kommst, sag ich nicht nein.«
Ich musste lachen.
»Bourbon, ein wenig harter Gitarrensound und Gespräche bis zum Morgengrauen, mehr brauche ich nicht.« Plötzlich wurde er ziemlich ruhig und sah eine Weile schweigend aus dem Fenster. Die Stille bekam eine bedrückende Schwere, sodass ich unruhig hin und her rutschte. Er dachte bestimmt an jemanden.
»Freundin?«, fragte ich unvermittelt. Coray seufzte und wandte sich mir wieder zu.
»Dünnes Eis«, murmelte er und nippte an seinem Wasser.
»Okay.« Ich musste ehrlich zugeben, dass ich praktisch nichts über ihn wusste. Weder über seinen Familienstand, noch ob er eine Freundin oder Ehefrau hatte oder was er sonst so tat. Filme machen und gerade an einer deutschen Rolle arbeiten. Also beschloss ich, das Gespräch in diese Richtung zu lenken. »Wieso deutsch?«
Coray wandte sich wieder mir zu und rutschte seufzend etwas höher. »Sorry, die Frage, ob ich eine Freundin habe oder nicht, spielt nur dann eine Rolle, wenn ich rein theoretisch vorhätte, eine Beziehung einzugehen.« Er strauchelte. »Mit dir. Oder irgendwem sonst«, fügte er stammelnd hinzu und wand sich unbehaglich in seinem Sitz. »Da das aber nicht vorkommen wird, werde ich sie nicht beantworten. Entschuldige, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
Auch wenn mich sein Privatleben absolut nichts anging, fühlte ich mich trotzdem vor den Kopf gestoßen. Irgendwie. Rational gesehen hatte er natürlich recht. Uns trennten Welten. Und damit meinte ich nicht den Atlantischen Ozean. Er in Amerika, ich in Deutschland. Er ein Superstar, ich ein kleiner Freizeit-Schreiberling, der zufällig die Aufmerksamkeit eines amerikanischen Studios erlangt hat, für das er rein zufällig arbeitete. Manchmal. »Okay«, murmelte ich, konnte aber nicht ganz verbergen, dass mich seine Worte doch irgendwie getroffen hatten.
»Sei mir nicht böse, bitte. Ich mag dich und ich finde dich ehrlich erfrischend normal, aber für solche Fragen kennen wir uns nicht gut genug.« Jetzt tat er mir plötzlich leid und ich kam mir ziemlich dumm vor, eine solche Frage überhaupt gestellt zu haben. Ich atmete tief durch und nickte.
»Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich wollte so eine Frage überhaupt nicht stellen. Es geht mich rein gar nichts an und … es ist okay«, rettete ich mich über den peinlichen Moment hinweg. »Also warum deutsch? Was für ein Film wird das?«
Coray nickte, lächelte und ging dankbar auf den Themenwechseln ein. »Ich spiele mich selbst«, sagte er verschwörerisch und beugte sich zu mir rüber. »Ich soll in einer deutsch-kanadischen Kooperation auftreten und eben mich spielen. In einer Nebenrolle, Genaueres weiß ich noch nicht. Das Drehbuch liegt noch bei meinem Agenten.«
Ich machte große Augen. »Ah, aber einen Agenten hast du. Ich auch!«
Coray lachte herzlich. »So, was macht denn dein Agent, wenn er dich nicht gerade an einem Flughafen vergisst?«
»Hey!« Ich boxte ihn in die Seite. »Er hat mich nicht vergessen. Seine Sekretärin hat mir diesen Flug organisiert.«
»Das muss eine ziemlich gute Sekretärin sein. Die Maschine ist nur für das Studio und wäre nicht zufällig die Produktion in Vancouver wegen des Sturms lahmgelegt gewesen, würde sie auch nicht fliegen. Du hast richtig großes Glück gehabt, sonst hättest du tagelang auf dem Flughafen festgesessen.« Er untermalte seine Erklärungen mit schwungvollen Handbewegungen, sodass ich seiner Stimme folgend fasziniert seinen Händen hinterher sah und seine feingliedrigen Finger bewunderte. Die Vorstellung, was diese Hände mit mir anstellen könnten, ließ mich abdriften und für einen winzigen Moment in dieser Wunschvorstellung versinken. Natürlich wusste ich, dass zwischen uns niemals etwas sein könnte. Aber ein Mädchen darf doch ab und zu träumen.
»Langweile ich dich?«, riss mich die Veränderung seiner Stimmlage aus den Gedanken. Ertappt fuhr ich zusammen.
»Ähm, nein, was hast du gerade noch gesagt?«
Coray lächelte, es war nicht einfach nur ein Lächeln, es war eine Geste, bei der ich das Gefühl hatte, die Sonne würde aufgehen, direkt in meinem Herzen und nur für mich scheinen. Verdammt, klingt das kitschig. Wenn ich Liebesromane schreiben würde, müsste ich jetzt einen Stift zücken. Unbedingt. Aber genauso fühlte es sich an. Als ob jemand die Heizung in mir eingeschaltet hätte und um mich herum war es kalt. Fröstelnd rieb ich mir die Arme.
»Ist dir kalt?«, fragte Coray sofort, richtete sich auf und griff nach seiner Jacke, die an einem Haken neben seinem Sitz hing.
Eigentlich nicht, wollte ich antworten, doch der Gedanke, in seine Jacke gehüllt hier zu sitzen und von seinem Geruch umgeben zu sein, ließ mich nicken. Mir war schrecklich kalt. Coray legte den gelben Parka um meine Schultern und zog ihn ordentlich fest.
»Diese alten Maschinen haben keine eingebaute Heizung. Die einzige Wärme kommt von den Motoren. Bei den Außentemperaturen reicht die leider nicht aus.«
»Jetzt ist mir ja warm. Danke«, murmelte ich und kuschelte mich in seinen Parka. Gähnend drehte ich mich auf die Seite und beobachtete ihn eine Weile.
»Bist du müde?«, fragte er und ich nickte. »Dann schlaf ein wenig. In ein paar Stunden sind wir in New York.« Und dann ist dieser Moment vorüber – für immer. Ich seufzte.
Coray hatte einen Stiefel – er trug schwere Wanderschuhe – auf eine kleine Stufe in der Außenverkleidung der Maschine gestellt, den Arm darauf abgelegt und tippte auf seinem Smartphone herum. Er sah so normal aus, wie man nur aussehen konnte. Keine Starallüren, kein zickiges Gehabe, weil er in einer alten, klapprigen Maschine hockte und einer Frau, die er noch nicht einmal einen ganzen Tag kannte, seine Jacke geliehen hatte. Nichts. Nur dieses seltsame Lächeln mit der herzerwärmenden Wirkung, dass er mir immer mal schenkte, wenn er kurz zu mir rüber sah. Ich blinzelte träge, denn ich war wirklich, wirklich müde. Ich wehrte mich dagegen, einfach einzuschlafen, weil das bedeuten würde, dass noch mehr von meiner kostbaren Zeit mit ihm dahin sein würde. Doch schließlich verlor ich den Kampf gegen die Wärme seiner Jacke und den unverkennbaren wohlig heimeligen Geruch und schlief einfach ein.
Kapitel 3
»Guten Morgen, Schlafmütze!«
Gähnend streckte ich mich und schob die Nase unter Corays Jacke hervor. Ich blinzelte träge. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, wo ich war. Das Dröhnen der Motoren, das leichte Zittern meines Sitzes und mein überaus amüsiert dreinblickender, aber ziemlich verfroren aussehende Sitznachbar riefen mir die letzten Stunden in Erinnerung. Die ich unter seiner Jacke verbracht hatte. Und er musste frieren. Mist.
»Hey!«, machte Coray und richtete sich gerade auf, um sich den Sicherheitsgurt anzulegen. »Gut geschlafen? Sorry, dass ich dich geweckt habe, aber wir befinden uns im Landeanflug und du solltest dich anschnallen.«
Als ich mich reckte, rutschte mir seine Jacke von der Schulter. »Eigentlich kann man in einem Flugzeug nicht wirklich schlafen«, murmelte ich und zog mir die Jacke wieder über die Schultern.
»Dafür hast du aber ganz schön geschnarcht.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich schnarche nicht«, entgegnete ich, doch er schüttelte vehement den Kopf.
»Ich kann das nicht bestätigen«, entgegnete er und lehnte sich zufrieden grinsend zurück.
»Na toll. Da hock ich mit einem Filmstar in einem Flieger und das Einzige, was ich zu hören kriege, ist Du schnarchst!« Coray lachte herzlich.
»Ich bin kein Filmstar«, wiegelte er vehement ab.
»Aber …«, setzte ich an, doch er unterbrach mich energisch.
»Ich bin ein ganz normaler Mensch. Über das, was ich tue, rede ich eigentlich nicht so viel.« Etwas versöhnlicher fügte er hinzu: »So schlimm war es auch nicht. Schnall dich an, das Signal leuchtet schon.«
Ich könnte mir auf die Zunge beißen. Er hasste es, auf seine Arbeit reduziert zu werden. Wer mochte es schon, nur daran gemessen zu werden, was man im Berufsleben leistete? Ich nicht. Denn dabei würde ich ziemlich schlecht abschneiden. Schlechter als er. Ich biss mir auf die Zunge und wandte mich, statt weiter darauf herumzureiten, prüfend meinem Sicherheitsgurt zu. Zum Glück hatte ich ihn nur gelockert, um mich gemütlicher hinsetzen zu können. Ein kräftiger Zug und er saß wieder stramm.
Coray streckte die Hand nach seiner Jacke aus. »Brauchst du die noch?«
Ach verdammt, ich sollte sie ihm wiedergeben. Er fror schließlich auch, doch ich schüttelte automatisch den Kopf. »Eigentlich nicht, aber wenn es dir nichts ausmacht oder du sie selbst brauchst«, murmelte ich schuldbewusst. »Ich würde sie gerne noch etwas behalten.« Coray nickte lächelnd.
»Kein Problem.«
Unter seiner Jacke fühlte ich mich sicher und geborgen, genau das Richtige für den Landeanflug. Das war total albern, aber was sollte ich machen? Ich fühlte mich in seiner Gegenwart wohl. Doch dann wurde ich wehmütig. Wir landeten bereits, was zwar bedeutete, dass ich bald nach Hause würde fliegen können, aber im Umkehrschluss hieß, dass die Zeit mit Coray unwiederbringlich vorüber wäre. Ich würde ihn nie wiedersehen. Ich schniefte ohne mein Zutun auf. Mein Sitznachbar missverstand die Reaktion und reichte mir aufmunternd seine Hand. Ich blickte verwirrt erst auf diese und suchte dann seinen Blick. Was genau wollte er von mir?
»Hand für die Landung?« Er wackelte provokant mit den Fingern.
Ich lachte kurz auf. Eigentlich hätte ich ihm sagen können, dass ich schon groß war und ja seine Jacke hatte, aber das war eine hervorragende Möglichkeit, ihn noch einmal berühren zu dürfen. So ganz unverfänglich. »Danke«, murmelte ich und legte meine Finger in seine Handfläche.
»Nicht dafür. Reiner Selbstschutz. Nicht dass du in einem Moment der Panik wieder nach meinem Knie … oder einem anderen …«, er hielt inne und schluckte die Worte, die er eigentlich sagen wollte, einfach hinunter. Würgte, wie an einem zu groß geratenen Bissen. Er machte dabei ein so unglückliches Gesicht, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte.
»Wolltest du etwa eine anzügliche Bemerkung machen?« Mr. IchwillkeineBeziehungeingehen. Das sagte ich natürlich nicht laut. Coray starrte mich auch ohne eine freche Bemerkung schon entsetzt genug an.
»Nein, vielleicht, ich … es ist mir einfach so rausgerutscht. Entschuldige«, stammelte er und zog seine Hand wieder weg. »Kommt nicht wieder vor.« Was zur Hölle war mit ihm los? Ich kann seinen Standpunkt, keine Beziehung mit irgendjemandem eingehen zu wollen, ja noch irgendwie nachvollziehen. Aber sich jetzt wegen eines winzigen Ausrutschers so zu benehmen, war absolut lächerlich.
»Kein Problem, wirklich.« Energisch wollte ich eigentlich nach seiner Hand greifen, beließ es dann aber doch dabei. Was, wenn er mich vielleicht nicht berühren wollte? Würde ich, wenn ich entschlossen auftrat, eine unsichtbare Grenze überschreiten? Nein, lieber nicht. Verunsichert zog ich meine Hand zurück und begnügte mich mit seiner Jacke. Mann, war dieser Mann kompliziert.
Die Maschine ging in den Sinkflug über, zum Glück, denn das ersparte uns den peinlichen Moment. Während ich mich in den Sitz krallte und aufs Atmen beschränkte, tippte Coray auf seinem Smartphone herum. Die Maschine machte einen Hüpfer und ich quiekte erschrocken auf, als sie auf der Landebahn aufsetzte. Erst da schien Coray zu bemerken, dass er meine Hand ja nicht hielt und ich sie vielleicht für die Landung hätte doch gebrauchen können.
Sachte legte er seine Finger auf meine Hand, eine hauchzarte, vorsichtige Berührung. »Entschuldige«, murmelte er, sah auf unsere Hände und verschränkte seine Finger mit den meinen. »Ich bin manchmal etwas schrullig. Aber das hat nichts mit dir zu tun«, fügte er hinzu. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Es ist nur …« Er hielt inne und lenkte mich geschickt ab, indem er seine Finger zwischen meine schob und sie eine ebene Fläche formten.
»Was?«, fragte ich heiser. Seine Berührung war so unschuldig und doch machte sie mich total kirre. Die Maschine hielt an und Coray ließ erschrocken meine Hand los.
»Nichts«, murmelte er. »Wir sind da. Aussteigen bitte.« Er versuchte zu lächeln, aber es erreichte seine Augen nicht. Hinter diesem warmen Braunton verbarg er eine unendliche Traurigkeit. Bedauerlicherweise wusste ich nicht, ob sie schon immer da gewesen war oder ob er traurig war, weil sich unsere Wege jetzt trennten.
»Ja, wir sind da.« Leider.
***
Coray gab den Gentleman, hievte meinen Koffer und seinen Rucksack aus dem Gepäcknetz und bahnte mir, mit meinen Sachen bepackt, einen Weg durch das Flugzeug. Die Blicke, die die anderen Passagiere ihm zuwarfen, entgingen mir nicht. Ihm auch nicht. Immer wieder nickte ihm jemand zu, lächelte ihn an oder wünschte ihm eine gute Heimreise. Er erwiderte die Grüße mit derselben Distanziertheit, mit der er auch mich behandelte. Freundlich, aber unnahbar. Irgendwie weit weg, aber doch nicht abgehoben. Mal wartete er geduldig, bis eine ältere Dame aufgestanden war, und holte ihr sogar ihre Koffer aus dem Gepäcknetz.
»Danke, Mr. Le Roux«, sagte sie freundlich und tätschelte seine Hand. Er schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln und ließ sie vorgehen. Erst als wir im Hangar waren, hielt er an und drehte sich zu mir um. Dass ich immer noch seine Jacke trug, bemerkte ich erst, als er abwartend vor mir stand und mich von oben bis unten musterte.
»Oh«, machte ich und schälte mich hastig aus dem gelben Parka. Coray lächelte.
»Ich würde ja sagen, du kannst ihn mir später wiedergeben, aber ich fürchte …«, er schluckte.
Ich faltete die Jacke und reichte sie ihm zögerlich. »Wir werden uns so schnell nicht wiedersehen«, sagte ich mit einem leichten Stich.
Coray nickte. »Europa, mh?«
»Berlin«, antwortete ich und sah zu Boden.
»Tja«, murmelte er und zog seine Jacke an. »Das heißt dann wohl Abschied nehmen.«
Zögerlich blickte ich auf und nickte. Was sagte man in so einem Moment? Wenn man festgestellt hatte, dass der Sitznachbar ein netter Kerl war, aber sich als eigentlich unerreichbar herausstellte? Kann ich deine Handynummer haben? Willst du meine Adresse? Wollen wir mal einen Kaffee trinken gehen? Wohl kaum. Immerhin war ich ich und er … ein Superstar. Was sollte er schon mit so jemandem wie mir anfangen? Meine Augen brannten. Wenn ich nicht wollte, dass er mich so sah, musste ich rennen, und zwar ganz schnell.
»Auf Wiedersehen. War nett, dich kennenzulernen. Ich seh mir bestimmt mal einen deiner Filme an«, presste ich zwischen den aufkommenden Tränen hervor, schwang mir meine Tasche über die Schulter und griff nach meinem Koffer. Bevor er noch etwas erwidern konnte, stürmte ich davon. Ich musste hier weg.
Ohne, dass ich etwas dagegen machen konnte, füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich wusste nicht einmal, warum ich weinte, nur, dass ich auf gar keinen Fall wollte, dass Coray es sah. Nein, der Gedanke, noch mehr Zeit mit ihm verbringen zu wollen, würde das Unausweichliche nur hinausschieben. Besser ich machte einen kalten, sauberen Schnitt. Er war Coray Le Roux, Actionfilmstar, Superstar und beliebtester Junggeselle Hollywoods. So jemand kann jede Frau haben. Jede! Warum sollte er sich für mich interessieren! Niemand interessierte sich für mich.
***
Erst als ich nicht mehr konnte und gefühlt zwei Terminals durchlaufen hatte, hielt ich an. Meine Lungen brannten, meine Nase lief und meine Augen standen ihr in nichts nach. Schniefend zog ich die Nase hoch und sah mich um. Ich hatte die Gepäckabfertigung und die riesige Mall durchquert. Eine Einreiseabfertigung gab es nicht, genauso wenig wie einen Duty-Free-Bereich. Ich musste in den Bereich für die Flüge außer Landes, aber zunächst brauchte ich ein Ticket.
Mit der Wucht eines Vorschlaghammers drängte sich ein massiver Gedanke in meinen Verstand. Meine Knie zitterten unkontrolliert und ich fror, als wäre ich am Nordpol und nicht mitten in einer Abfertigungshalle. Einsamkeit, das war es, was ich fühlte. Wie eine bleierne Leere lastete sie auf meinen Schultern und zwang mich nieder. Erschöpft hockte ich mich auf meinen Koffer und schloss zitternd die Augen. Was hatte ich getan? Was, wenn er tatsächlich noch etwas hatte sagen wollen? Und ich war einfach davon gestürmt. Ich Dummkopf!
Um mich herum pulsierte das Leben. Menschen hasteten an mir vorbei, niemand hatte ein Auge für mich. Niemand beachtete mich in meiner Einsamkeit. Mir war das ganz recht. Ich musste mich erst einmal sammeln, bevor ich mir meinen nächsten Schritt überlegen konnte. Doch das war gar nicht so einfach. Coray beherrschte meine Gedanken, drängte sich unaufgefordert in den Vordergrund, drehte in meinem Denken munter seine Runden, schenkte mir ein trauriges Lächeln nach dem anderen.
Meine Mundwinkel zuckten unwillkürlich. Nein, ihn würde ich nicht haben können. Aber die Erinnerung an diese schönen Stunden würde ich mit nach Hause nehmen. Himmel, ich hatte in Coray Le Rouxs Parka geschlafen! Das musste ich unbedingt Melanie erzählen! Wenn ich erst einmal zu Hause war.
Ich griff in meine Jackentasche und zog mein Smartphone heraus. Der Ladestand war niedrig, aber für ein paar Anrufe würde es noch reichen. Ich entsperrte das Gerät und wählte Lizzys Nummer. Erst das Wesentliche und dann würde ich mich bei Melanie ausheulen.
»Hey«, meldete sich eine verschlafene Stimme am anderen Ende der Welt.
»Hab ich dich geweckt?« Ich rechnete kurz nach, wie viel Uhr es jetzt in Deutschland war, aber mein Verstand weigerte sich noch vehement, Coray gehen zu lassen. Vermutlich war es sowieso tiefschwarze Nacht und ich hatte Lizzy gerade aus dem Bett geklingelt. In New York war es acht Uhr morgens, wie mir ein kurzer Blick zu einer Uhr, die am anderen Ende der weihnachtlich geschmückten Halle hing, zeigte.
»Ja«, murrte sie, unfreundlich wie immer. Allerdings konnte ich ihr die Reaktion nicht verübeln. Eine Autorin auf Irrwegen im Ausland zu begleiten stellte ich mir nicht gerade erheiternd vor. »Macht aber nichts. Ich habe auf deinen Anruf gewartet und bin darüber eingeschlafen. Also bist du in New York?«
Ich war etwas überrascht, da Lizzy längst nicht mehr so zickig wie gestern Abend klang. »Ja, bin ich. Der Flug war zwar nicht ganz so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, aber ich bin gelandet.«
»Sorry«, entschuldigte sich Lizzy, »ich hatte ja keine Ahnung, was für eine Maschine das ist. Ich bin heilfroh, dass du gut angekommen bist. Ich habe auch schon ein paar Möglichkeiten gefunden, wie es für dich weitergeht. Allerdings sind sie nicht gerade berauschend«, fügte Lizzy leise hinzu. Deshalb also die Freundlichkeit. Sie wollte mir die schlechten Neuigkeiten schonend beibringen. Im Moment war es mir ziemlich egal, was da auf mich wartete. Hauptsache, ich kam nach Hause.
»Alles, ich will nur endlich hier weg. Und hoffe, dass ich nicht rüberschwimmen muss.«
Lizzy lachte. »Nein, aber ginge denn das? Würdest du auch mit dem Schiff fahren? Ich glaube fast, dann könntest du schneller sein.«
»Lizzy! Du machst mir Angst!«
Sie lachte. »Keine Sorge, das war nur ein Scherz.«
Müde rieb ich mir die Nasenwurzel. »Bitte keine Scherze auf meine Kosten. Ich hatte eine harte Nacht.« Schlagartig stieg mir Hitze in die Wangen. Shit, nicht so eine harte Nacht. Zum Glück konnte Lizzy mich nicht sehen.
»Kann ich mir vorstellen. Die Sitze waren bestimmt nicht sehr bequem.«
»Überhaupt nicht«, fügte ich wenig überzeugend hinzu. Mein Sitznachbar dafür umso mehr. Mist. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, nicht das mein freches Mundwerk noch auf die Idee kam, den Gedanken laut auszuplaudern.
»Leider wird das noch nicht die letzte Unannehmlichkeit sein. Wegen des Sturms konnte ich dir erst einen Flug für Donnerstagabend besorgen.« Entsetzt öffnete ich den Mund und starrte mein Spiegelbild in der verglasten Schaufensterfront an. Leute liefen an meinem Spiegelbild vorbei, doch ich nahm sie kaum wahr. Übermorgen Nacht. Oh mein Gott. Ich war an einem Montagabend in Vancouver gestartet, hatte die ganze Nacht in einer wackeligen Propellermaschine zugebracht und sollte jetzt noch zwei Tage auf einem Flughafen verbringen?
»Um genau zu sein, Freitag früh um ein Uhr. Einen früheren Flieger habe ich nicht kriegen können. Der Sturm hat so ziemlich alles lahmgelegt. Es sei denn, du fährst mit dem Zug am späten Mittwochabend bis nach Washington. Dann könntest du schon Donnerstagfrüh im Flieger sitzen, würdest aber länger unterwegs sein, da der Flug über London und Amsterdam geht. Nimmst du allerdings den späteren Flug von New York aus, fliegst du direkt nach Berlin …« Lizzys Geplapper nahm ich kaum wahr. Nur die Abflugzeit schwebte wie ein Damoklesschwert über mir.
»Hast du gerade Donnerstagmorgen gesagt?«
»Äh«, machte Lizzy. »Ja«, fügte sie stockend hinzu.
»Sag mal, spinnst du?! Was zur Hölle soll ich zwei Tage und eine Nacht auf einem Flughafen anstellen.«
»Ähm, vielleicht könntest du dir ein Hotel besorgen?«, schlug sie vor. Stockend rutschte ich von meinem Koffer und blieb einfach auf dem Boden hocken. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
»Ein Hotel. Super Idee, wirklich klasse.« Ich konnte mich gerade mal so in Berlin zurechtfinden. Okay, das U-Bahn-Netz war für jeden Auswärtigen eine Zumutung, aber wenn man es einmal begriffen hatte, kriegte sogar ich es hin. Allerdings hatte ich jahrelange Übung vorzuweisen. In New York ein Hotelzimmer aufzutreiben, erschien mir gerade für mich unmöglich. Himmel, ich war so tot. Dabei brauchte ich dringend eine Dusche und eine Mütze voll Schlaf. Außerdem fror ich noch immer und ich fühlte mich entsetzlich. Vielleicht wurde ich ja krank. Prompt musste ich niesen.
»Gesundheit«, sagte Lizzy und ich bedankte mich automatisch. »Am besten du gehst zu einem Informationsschalter. Dort kann man dir bestimmt helfen.«
»Super Idee, am besten ich wende mich gleich an die Botschaft.«
»Das würde ich nicht machen, schließlich hast du ja nicht wirklich ein Problem. Du musst nur Zeit totschlagen.«
»Auf einem Flughafen, ganz große Klasse, Lizzy, wirklich. Danke.«
»Kein Problem. Sagst du mir noch, welchen Flieger du nehmen willst, damit ich für dich buchen kann? Washington am Donnerstagmorgen oder New York Freitagnacht?«
Ich seufzte. »Was solls. Buch Washington, dann bin ich wenigstens schon mal unterwegs und muss hier nicht sinnlos rumhängen.«
»Okay, super. Du schaffst das, Lexi! Tschakka.«
Noch ein Wort und ich schwor, ich würde durch die Leitung kriechen und ihr den Hals umdrehen. Siebenunddreißig Stunden allein in New York. Klang wie ein hervorragender Titel für einen neuen Roman. Nur nicht nach einem, in dem ich gern die Hauptrolle übernehmen würde.
Kapitel 4
Ich bin so ein verdammter Idiot. Bekloppt, bescheuert, und absolut beziehungsunfähig. Das Wort traf mitten ins Schwarze. Hätte ich nur ein bisschen Mumm in der Hose, hätte ich sie aufgehalten. Doch ich habe zu lange gezögert. Gerade als ich genug Selbstachtung zusammengekratzt hatte, um ihr hinterherzulaufen, hörte ich meinen Namen aus der Menge. Mist.
»Coray! Coray!«, rief eine mir absolut unbekannte Frau und hetzte auf mich zu. Ich tat, was ich in solchen Situationen immer tat. Setzte ein freundliches Lächeln auf, grinste in ihr Smartphone und fragte sie nach ihrem Namen. Fans sind ein Geschenk. Ich schätze wirklich jeden Einzelnen, denn sie sind es, die mir diese Karriere ermöglicht haben. Sie gehen scharenweise in die Kinos, zahlen Eintrittskarten, kaufen Merchandising und geben mir so viel zurück, dass es für mich nicht in Frage käme, einem Fan – und sei er noch so aufdringlich – abweisend gegenüberzutreten. Dass seit dem letzten Teil der Trilogie die Anzahl der Fans irgendwie explosionsartig in die Höhe geschossen ist, ändert an meiner Einstellung überhaupt nichts.
»Du warst großartig!«, schwärmte die Frau. »Allerdings fand ich, du könntest wieder mal eine romantische Komödie machen. Die Liebe kommt bei dir eindeutig zu kurz.« Sie zwinkerte mir zu. Ich lächelte ausweichend. Ja, ja, die Liebe.
»Vielleicht mache ich das wirklich. Vielen Dank für den Tipp.« Sie strahlte mich an und dieses Lächeln war es tatsächlich wert. Keine Ahnung, ob ich je einen gescheiten Liebesfilm zurechtbringen werde. Die, die ich bereits abgedreht habe, sind alle gefloppt. Die Leute mögen mich nicht in Liebesfilmen. Wahrscheinlich spüren sie, dass ich es nicht so mit großen Gefühlen habe.
»Danke!« Sie schüttelte mir zum Abschied die Hand, winkte noch einmal und verschwand in der Menge. Ihr folgten mindestens ein Dutzend weitere Fans. Mal ein junger Mann, der nur ein rasches Selfie wollte, mal eine ganze Horde junger Frauen. Keine Ahnung, wie die überhaupt in den Film gekommen sind. Meiner Meinung nach war der ab achtzehn und die Mädchen sahen eher so aus, als würden sie auf einem Klassenausflug zum Flughafen sein. Ich arbeitete mich geduldig durch die Menge, lächelte, unterschrieb hier, machte Selfies dort. Irgendwann war es mir dann doch etwas zu viel geworden und ich verabschiedete mich mit den Worten, dass ich ihnen unendlich dankbar für ihre Aufmerksamkeit wäre, ich aber leider noch etwas vorhätte.
Als mein Blick auf die große Digitalanzeige einer Uhr fiel, erschrak ich. Über die begeisterten Fans hinweg, hatte ich völlig die Zeit vergessen. Seit fast zwei Stunden hatte ich nichts anderes gemacht, als Autogramme zu geben und Selfies schießen zu lassen. Himmel. Meine Agentin hatte bereits mehrfach darauf plädiert, dass ich mir, wenn ich schon nicht darauf verzichten konnte, auf öffentlichen Flughäfen rumzuhängen, mir einen Bodyguard zulegen sollte. Aber wozu? Bisher hatte keiner der Fans versucht, mich anzuspringen. Und ich bezweifelte, dass sie es jemals versuchen würden. Denn genau deshalb machte ich ja Actionfilme. Man sah in mir mehr Jonas Bernstein, als wirklich in mir steckte. Okay, ich konnte Krav Manga und ein paar Martial Arts Handgriffe, wusste, wie ich jemanden entwaffnete oder aufs Kreuz legte, aber eine wirkliche Gefahr war ich eigentlich nicht. Die Fans sahen das allerdings ganz anders. Sie begegneten mir so respektvoll, als wäre ich ein leibhaftiger Profikiller. Ich grinste vor mich hin.
Meinem Problem, Lexi zu finden und ihr zumindest sagen zu können, dass sie eine wunderbare Frau ist und ich sie gern wiedersehen würde, brachte diese Einstellung aber keinen Zentimeter näher. Sie war verschwunden, und mit ihr auch das Gefühl, auf Augenhöhe mit jemandem reden zu können. Das Gefühl zu haben, verstanden zu werden und als Mensch anerkannt zu werden, nicht als Superstar, als jemanden, mit dem man ein Selfie knipste, es anschließend seinen Freunden zeigte und die Person dahinter verkannte.
Bei Lexi hatte ich – ganz im Gegenteil zu den vielen Fans – das Gefühl, dass sie mich als Mensch wahrgenommen hatte. Und noch etwas mehr. Dieses Mehr würde ich gern ergründen. Doch mir fehlte der Mut, es ihr zu sagen, und jetzt war sie weg. Verdammt. Wenigstens ein Kaffee hätte doch drin sein müssen, oder? Niemand konnte mir einen Kaffee verwehren.
Rastlos hastete ich durch den Flughafen. Mit der Sonnenbrille auf der Nase sank die Chance, dass mich jemand erkannte, und erneut aufhielt, erheblich. Dazu noch die Skimütze und ich ging praktisch als normaler Reisender durch. Fast. Immer wieder wurden mir verstohlene Blicke zugeworfen. Ich musste mich selbst maßregeln, nicht zurückzulächeln. Es ist ja nicht so, dass ich Menschen hasste, eigentlich mochte ich Menschen sehr gern. Nur gerade jetzt konnte ich sie nicht gebrauchen.
Man könnte meinen, in einer Stadt wie New York gäbe es tausende Hotels, unzählige kleine und größere Absteigen, wo man zumindest eine Nacht unterkäme. Aber ich fand keines. Okay, das war so nicht ganz richtig. Ich würde vermutlich sogar eines finden, wenn der verdammte Akku meines Smartphones nicht schlappgemacht hätte. Also hatte ich neben dem Unterkunftsproblem noch ein weiteres. Ich brauchte … Strom!
Immerhin war das ein Problem, mit dem ich mich auskannte. Also setzte ich mich in ein Café, bestellte ein Frühstück und bat darum, mein Handy aufladen zu dürfen.