Mercy, die Straßenritze – Buch 2 – Die Gläubige und die Hure - Sabine Benda - E-Book

Mercy, die Straßenritze – Buch 2 – Die Gläubige und die Hure E-Book

Sabine Benda

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Beschreibung

Meine lieben begrenzt Denkenden! Mercy wird mächtig Mumm beweisen müssen, wenn es darauf ankommt. Auch Estelle wird nicht ohne sein – das liegt den beiden im auserwählten Blut und in den himmlisch fantastischen Genen. Ja, die höllisch-heiße Hölle wird blutig über das himmlisch-hübsche Palastanwesen Hidsanias hereinbrechen. Und wieder werden sich am Ende Ansgar Gradeners weise Worte bewahrheiten: Alles wird gut! Euer Samuel, der Erste Gärtner Gottes

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Seitenzahl: 280

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sabine und Thomas Benda

Mercy, die Straßenritze – Buch 2 – Die Gläubige und die Hure

Ein 25-teiliges Serien-Genre-Crossover – ein himmlisch-höllisches Epos – eine unvergessliche Geschichte

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Wenn Böses auf Böses trifft

2. Mercy spricht

3. Karls verzweifelte Suche

4. Der Test bei Sonnenlicht

5. Menschenhändler unter sich

6. Der sündige Sunners

7. Mercys Geburtstag

8. Wie ich mich manchmal hasse

9. A, B und C

10. Ein ernstes Männergespräch

11. Eine Fachfrau wird benötigt

12. Die Signora

13. Purple Shark

14. Bruder Marc spricht

15. Gut Ding

16. Verkotzt und zugenäht!

17. Völlig anders

18. Im Dialog mit der Countrysängerin

19. Das Blutbad

20. Das Gekeife der Lustdamen

21. Der Aufbruch nach Hidsania

22. Die Ankunft in Hidsania

23. Tick, Tick, Tick …

24. Der Tod des alten Mannes

25. Prinz Hidsaa bittet zu Tisch

26. Wegen dieser ersten Begegnung

27. Wenn die Vergangenheit klingelt

28. Ein Grund zur Sorge

29. Über die zickige Jungfrau

30. Selbstbefriedigung

31. Limhaa, Yamina und ein Problem

32. Wiedergeburt?

33. Plopp – und Sie sind fort!

34. Traummann

35. Kükengelb

36. Bis in alle Ewigkeit

37. Wenn der Vater mit dem Sohne

38. Gnade ihr Gott!

39. Die Hölle im Paradies

40. Kein erholsamer Flug für Lydia

41. Am Ende steht ein neuer Tag

Über die Autoren:

Impressum neobooks

1. Wenn Böses auf Böses trifft

New York City

Sein auf Passform geschneiderter Anzug aus London, sein sündhaft teures Eau de Toilette aus Paris und seine auf Hochglanz polierten Schuhe, eine feine Handarbeit aus Mailand, konnten Unwissende optisch täuschen. Denn: Der gutaussehende Gentleman mit seinen gütig wirkenden Augen im freundlichen Gesicht war in Wirklichkeit ein menschenverachtender Rassist und ein wahres Arschloch vor dem Herrn.

Reginald Claimsborn, ein Multimillionär und ein angesehenes Mitglied der New Yorker Highsociety, war ein Mann, der in seinem bisherigen Leben alles erreicht hatte.

Wenn er etwas haben wollte, das ihm lukrativ erschien, setzte er alle legalen und illegalen Mittel ein, um es zu erhalten. Wer sich ihm in den Weg stellte, musste mit allem rechnen. Dass seine Seele in den letzten sechs Jahrzehnten dauerhaft und ohne Unterlass dem Einfluss von teuflischen Dunkelflüsterern aus der Hölle ausgesetzt war, hatte Claimsborn zu einem wahren Feind der Hellen werden lassen. So ersann man einen Plan, der verschiedene Ziele beinhaltete: Zum einen wollte man Claimsborn aus der Welt schaffen und zum anderen wollte man bis dahin sein teuflisches Potenzial nutzen, um andere Seelen ihrer wahren guten Bestimmung zuzuführen.

Dass dabei Menschen sterben würden, auch Unschuldige, war gnadenlos einkalkuliert worden. Man bezeichnete diese als Kollateralschaden für eine letztendlich gute himmlische Sache.

Doch Reginald Claimsborn war auch in die rätselhaften Pläne der Dunklen involviert. Eine Tatsache, die man zu keiner Sekunde ignorieren durfte, wenn man das Spiel für sich entscheiden wollte.

An einem regnerischen Montagmorgen im Herzen von Manhattan, im 32. Stockwerk des Claimsborn-Towers, einem gigantischen Geschäfts- und Bürokomplex, der nahe der Wall Street gebaut worden war, klopfte es an die schwere Mahagoni-Tür seines Büros.

Reginald Claimsborn, der die aktuellen Börsennachrichten studierte, sah missbilligend hoch.

Hatte er Suzy Loomis, seiner adretten Vorzimmerdame, nicht verboten, ihn in der nächsten halben Stunde zu stören? War die großtittige Fickmaus, wie er sie innerlich bezeichnete, nicht in ihrer Frühstückspause, also, in oberflächlicher Tratsch-Laune mit Gleichgesinnten?

Wieder klopfte es.

Militärisch knapp, wie er es von seinem toten Vater ein Leben lang zu hören bekommen hatte, schnauzte er zur Tür hin: »Ja, verdammt!«

Es wurde geöffnet. Ein aristokratisch wirkender Mann mit fahlem, hart geschnittenem Gesicht kam herein. Er war ganz in Schwarz gekleidet und musste einen exzellenten Schneider haben, wie Reginald Claimsborn sofort feststellte. Sein Blick fiel auf die Westentasche des Hereingekommenen, denn dort hing ein goldenes Kettchen heraus, das mit einem Verschluss an einem Knopfloch der Weste befestigt war. Claimsborn dachte an eine Taschenuhr, doch er wurde enttäuscht. Wortlos griff der Besucher in die Westentasche und holte ein goldenes Monokel hervor, das er sich ins rechte Auge klemmte.

»Wer sind Sie? Ohne Termin können Sie nicht einfach bei mir hereinplatzen!«

»Mein Name ist Benston … Jeff Benston«, antwortete der Mann.

Reginald Claimsborn erstarrte innerlich, als er diese heisere Grabesstimme hörte, die mehr als nur bedrohlich klang. Er musste schlucken, dann hatte er sich wieder gefangen. »Und weiter? Muss ich Sie kennen? Was wollen Sie von mir?«

Jeff Benston grinste mit seinen bläulichen Lippen, die in seinem wächsern aussehenden Gesicht besonders zur Geltung kamen. »Ich möchte, dass wir beide ins Geschäft kommen. Sie, mein lieber Claimsborn, sind nun reif genug, um mit mir zusammenzuarbeiten. Man könnte auch sagen: Bös' Ding hat genug Weile gehabt!«

»Sie sagen mir sofort, was Sie wollen! Oder ich lasse den Sicherheitsdienst rufen!«

Benston meinte betont lässig: »Sicherheitsdienst? Ach, Sie meinen, ich ließe mich durch Stanley Kingston und seiner Bande von niveaulosen Resozialisierten beeindrucken?«

Verwunderung fraß sich in Reginald Claimsborns Augen: »Woher kennen Sie meinen Sicherheitschef?«

»Wir hegen und pflegen seine fruchtbare Seele seit seiner Geburt.« Jeff Benston blickte Claimsborn wissend an. »Wie Ihre Seele ebenfalls – und natürlich auch die Ihres verstorbenen Vaters! Was war der doch für ein ekelhafter Bastard!« Er korrigierte sich: »Nein … er ist es immer noch!«

»Was … was reden Sie da für einen Stuss? Mein Vater ist seit zehn Jahren tot!«

»Gewiss«, bestätigte der Monokel-Mann. »Sie haben Ihren Daddy mit einem nicht nachweisbaren Gift umgebracht, weil er Ihnen geschäftlich in die Quere kam. Nun arbeitet er für uns … und wartet auf Sie!« Jeff Benston strahlte und entblößte seine makellos blendenden Zahnreihen. »Wir haben Ihrem Senior eine leichte Arbeit in einer unserer Leichenfabriken zugeteilt. Er schneidet die Penisse von schweren Todsündern ab. Das Transportieren der Leichen setzte seinem Rücken doch zu sehr zu. Aber er ist sehr gut im Tranchieren und Filetieren geworden. Ein richtig fleißiger Schlachter!«

Reginald Claimsborn zog die obere Schublade seines Schreibtisches auf, fasste hinein und holte einen Revolver heraus, mit dem er auf Jeff Benston zielte. »Wer sind Sie? Gottverdammt!«

Benston nahm das Monokel und putzte es ausgiebig mit einem schwarzen Tüchlein, das er zuvor aus der Hosentasche geholt hatte. »Gottverdammt«, wiederholte er ärgerlich. »Vermeiden Sie es bitte in meiner Gegenwart, das Wort Gott in Ihr menschliches Maul zu nehmen! Es schmerzt sonst mein schwarzes Herz zu sehr!«

Reginald Claimsborn spannte den Abzugshahn seines Revolvers. »Sagen Sie mir nur ein einziges Wort, das mich abhalten sollte, Sie einfach über den Haufen zu knallen und der Polizei zu erzählen, Sie seien hier gewaltsam eingedrungen und hätten mich bedroht? Sagen Sie mir nur ein einziges Wort?«

»Hidsania«, antwortete Jeff Benston und klemmte sich das Monokel wieder ins Auge.

Sekunden vergingen, ohne dass einer der beiden Männer sprach. Sie musterten sich nur.

Mit einem Klicken entspannte Reginald Claimsborn den Abzugshahn seiner Waffe und legte den Revolver auf den Schreibtisch. »Was wissen Sie über das Königreich Hidsania und meine Geschäfte dort?«, fragte er misstrauisch, aber interessiert.

»Ich weiß«, antwortete der Monokel-Mann, »dass Sie mit dem alten König Illegales betrieben haben. Doch seit sich der Alte schwächelnd zurückgezogen hat, sitzt nun sein Sohn, der Prinz, auf dem Thron. Und dieser Hidsaa ist Ihnen nicht wohlgesonnen.« Jeff Benston grinste breit, ehe er erklärte: »Und ich bin hier, um Ihnen Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen … sehr radikale Lösungsmöglichkeiten.«

2. Mercy spricht

Bendermann-Palast, irgendwo

Es war einmal … die blonde Heldin in ihrem eigenen Märchen … eine ehemalige Kunststudentin, die auf den Gehsteigen der Bronx ein Zweitleben geführt hatte … als Mercy, die Straßenritze. Seitdem ist viel geschehen, doch lassen wir sie selbst erzählen und lauschen gebannt und fassungslos Mercys Worten:

Oooh, ich freue mich, Sie wiederzusehen!

Richtig! Heute ist mein Geburtstag! Vielen Dank für die lieben Glückwünsche!

Ich habe ein wenig Zeit für Sie, da meine Therapiestunde bei Doktor Sunners erst in einer halben Stunde beginnt. Möchten Sie ein wenig Tee mit Minze zur Begrüßung? Tee ist hier eine sehr schöne Sitte. Dabei habe ich mir glatt den Kaffee abgewöhnt, ehrlich! Sie müssen allerdings sehr viel Zucker einrühren, um ihn wirklich genießen zu können.

Mein Leben im Bendermann-Palast an dieser malerischen Oase ist wahrlich nicht übel! Luxus in Hülle und Fülle! Eine Dienerin – Yamina heißt die Gute – ist den ganzen Tag für mein Wohlergehen zuständig.

Thomas Bendermann hat dem Personal erklärt, dass ich während seiner Abwesenheit die Herrin im Hause bin. Ist das nicht der Wahnsinn? Ich bekomme fast jeden Wunsch erfüllt und werde mit dem entsprechenden Respekt behandelt! Eine Bitte bleibt mir jedoch nach wie vor verwehrt: den Palast zu verlassen!

Thomas versprach mir ein komfortables Leben – allerdings ohne Reisepass! Er hat sein Versprechen gehalten – und ich bin seine gefangene Gespielin in einem goldenen Käfig! Doch ich muss zugeben: Es gibt bestimmt miesere Umstände, eine Entführte und Gefangene zu sein! Natürlich gammle ich nicht den ganzen Tag herum, sondern habe meine Aufgaben zu erfüllen. Doch davon erzähle ich Ihnen vielleicht später.

Sechs Monate sind seit dem brutalen Überfall und der Vergewaltigung vergangen. Ich träume jede Nacht von Benjamin Micker, wie er mich misshandelt und töten will! Dieses elende Psycho-Schwein! Die beiden Schüsse, mit denen Ansgar Gradener mich damals gerettet hat, beenden jedes Mal meinen Alptraum. Und ich schrecke schweißgebadet auf; oftmals schreie ich dabei und schlage panisch um mich!

Doktor Sunners, mein Psychotherapeut, meint, dass die Zeit alle Wunden heilen kann, manchmal auch die krassesten. Ich hoffe, dass er damit recht behält! Glücklicherweise wurde ich nicht schwanger. Und AIDS hat mir Micker, der Bastard, auch nicht angehängt! Die Hölle soll ihn grausam quälen, diesen Benjamin … bis in alle Ewigkeit!

Körperlich bin ich vollständig auf der Höhe. Ein kubanisches Ärzteteam hat mich quasi runderneuert. Mein wunderhübsches Gesicht sieht nun genauso wunderhübsch aus wie vor der Scheiße, die mir in dieser Bronxer Hinterhofgasse geschehen ist.

Mit der Lust auf Sex hat es einige Zeit gedauert. Ich war mindestens fünf Monate lang innerlich völlig blockiert. Thomas war während der gesamten Zeit sehr rücksichtsvoll und zeigte mir gegenüber viel Verständnis. Er ist eben ein Gentleman – vom Scheitel bis zum Schwanz! Seit vier Wochen darf er mich wieder nackt anfassen. Auch ich verspüre wieder dieses sehnsüchtige Prickeln! Ich hoffe, dass die wilde Sex-Begeisterte in mir wieder komplett zurückkehren wird! Hin und wieder steht er noch auf diese brühwarmen Pinkel-Nummern! Doch ich habe ihn weitgehend von seiner nassen Neigung zur Urophagie abgebracht! Er genießt mein unverwechselbares Talent zum Oralverkehr. Mehr ist für mich nicht drin: Ich warte noch auf den richtigen Moment. Der Augenblick, wenn die Lust stärker wird als alle Alpträume in mir! Ich bin sehr zuversichtlich – ich kenne mich!

Seit zwei Wochen gestatte ich Thomas, mich ausgiebig zu lecken. Und ich muss sagen, er verwöhnt mich ziemlich gut mit seiner flinken Zunge. Ja, ich empfinde etwas für ihn! Der enorme Altersunterschied stört mich nicht. Das verwirrt mich manchmal sehr, denn alles zwischen ihm und mir fühlt sich so vertraut an. Manchmal vergesse ich, dass ich seine gefangene Gespielin bin. Besonders dann, wenn wir in seinem Nachmittagssalon sitzen und über Kunst und Kultur fachsimpeln. Er hat eine wunderschöne Erzählstimme und seine grünen Hingucker-Augen sind lebendig wie Smaragde im Sonnenlicht.

Huch … Sie haben mich beim Schwärmen ertappt!

Und bevor Sie danach fragen: Ja, ich habe Karl Wisemeyer nicht vergessen! Doch New York City ist für mich unerreichbar! Thomas hat meine Identität gänzlich ausgelöscht. Man vergisst mich oder hat dies bereits getan.

Was wohl meine Eltern machen? Und Marc? Was wohl mein Bruderherz gerade tut? Sind sie alle verzweifelt, weil ich verschwunden und nicht mehr aufgetaucht bin? Halten Sie mich für tot? Ich verschwand ja zu der Zeit, als New York von den Hurenmorden erschüttert wurde. Es liegt dabei sehr nahe, dass mich alle Welt für ein noch nicht entdecktes Mordopfer hält, oder? Allerdings hat Thomas meinen Fortgang so perfekt inszeniert, dass es eher nach einem Ausstieg aussieht. Nach einem Ausstieg aus meinem alten Leben, um irgendwo unerkannt neu anzufangen. Ja, er ist ein Meister darin, Menschen verschwinden zu lassen!

Hin und wieder zeigt er mir aktuelle Fotos von meiner Familie, um mir zu zeigen, dass alle am Leben sind. Ich vertraue darauf, dass es keine Fake-Bilder sind.

Karl Wisemeyer? Ob er mich damals verzweifelt gesucht hat? Vielleicht hat er mich schon vergessen?

Ach, Sie fragen sich sicherlich, warum ich so unbekümmert erscheine, obwohl man mich entführt und mir alles genommen hat, nicht wahr? Dabei vergessen Sie, wer ich bin!

Ich bin eine erstklassige Hure, und ich mache jedem etwas vor, wenn es sein muss!

Manchmal sogar mir selbst!

Zum Schluss erzähle ich Ihnen noch etwas, das ziemlich unheimlich ist. Darüber habe ich noch nicht mal mit meinem Psycho-Doc gesprochen. Ich habe ab und zu eine Frauenstimme in meinem Kopf, die mich beruhigt und mir Ratschläge gibt. Sie ist nach meinem Todeskampf aufgetaucht. Ohne diese Stimme hätte ich vieles nicht geschafft. Ja, ich weiß, dass das ziemlich seltsam klingt! Doch es ist die Wahrheit! Punkt – Schluss!

Jetzt muss ich leider los! Doktor Sunners wartet schon. Danke dafür, dass Sie vorbeigeschaut haben! Wir sehen uns hoffentlich sehr bald wieder!« 

3. Karls verzweifelte Suche

Vor sechs Monaten in New York

»Hör zu, Süßer, wir haben die Blonde ewig nicht gesehen!«, stellte die üppige Brünette barsch klar. »Hier auf dem Strich kommen und gehen die Mädels, verstehst du?«

»Rote Wanda kommen auch nicht mehr auf Strich!«, mischte sich eine Hure mit einem osteuropäischen Akzent ein. »Bleiben fort … wie Mercy nicht mehr kommen!«

Karl Wisemeyer war verzweifelt. Niemand schien sich an Mercy, die hier an dieser Ecke der Bronx als Straßenritze gearbeitet hatte, zu erinnern. Auch die rothaarige Prostituierte, die einige der Frauen vage als Wanda kannten, war seit einiger Zeit verschwunden und nicht mehr aufgetaucht.

»Vielleicht hat der Hurenmörder beide erwischt und kaltgemacht?«, spekulierte eine Blondhaarige, die ihren prallen Hintern in einen engen Lederrock gequetscht hatte. »Wäre 'ne Möglichkeit, oder?«

Der Hurenmörder? Karl wurde es schlecht bei dem Gedanken, dass die Frau recht haben könnte.

Karl Wisemeyer suchte das Apartmenthaus erneut auf, in dem Mercy unter ihrem Realnamen Marcy Bowlers ihre Wohnung gemietet hatte. Das Gebäude hatte einen neuen Doorman bekommen. Der junge Kerl mit den unzähligen Sommersprossen hatte den ehemaligen Kollegen ersetzt. Dieser war bei einem tragischen Unfall, einem Sturz vor einen fahrenden Bus, ums Leben gekommen. Dave, so hieß der Neue, versicherte glaubhaft, dass das besagte Apartment, nämlich Mercys Wohnung, vollkommen geräumt sei.

Karl wartete, bis andere Mieter das Apartmenthaus verließen, passte diese auf der Straße ab und fragte sie nach Mercy.

Ein Ehepaar, das einen nervigen, kläffenden Mops ausführte, erinnerte sich an die blonde Frau. Die Chinesin und ihr Mann waren sich beide sicher, dass die Wohnung von heute auf morgen leergeräumt worden war.

»Ein professionelles Umzugsteam war hier vor Ort«, erzählte der Mopsbesitzer. »Alles ging sehr schnell – und sehr gründlich!«

Seine pummelige Frau fügte laut hinzu: »Die Kleine hat sich nicht mal von uns verabschiedet! Plötzlich war sie weg – einfach so! Unmögliches Verhalten!«

»Kunststudentin? Und die Frau soll Marcy Bowlers heißen?« Die Sekretärin mit dem Pagenschnitt rückte ihre Lesebrille zurecht und kontrollierte eine Liste auf dem Bildschirm ihres Computers. Nach einer kurzen Recherche erhielt Karl ein Ergebnis, das ihn nicht zufriedenstellte. »Ja, sie hatte tatsächlich an unserer Universität ein Kunststudium belegt … jedoch nicht weitergeführt. Sie wurde ausgetragen. Viele brechen heutzutage einfach ab.«

»Können Sie mir sagen, wann Sie ihr Studium abgebrochen hat, Miss?«, fragte Karl, und er bemühte sich äußerst freundlich dabei zu klingen.

Jedoch rannte er mit dieser vertraulichen Frage bei der korrekt arbeitenden Angestellten keine offenen Türen ein. »Tut mir leid, Mr. Wisemeyer, das fällt unter die Datenschutzbestimmungen unserer Einrichtung. Da Sie kein Verwandter sind, kann ich leider nicht mehr für Sie tun!«

Karl bedankte sich und verließ das Büro.

Mercy hatte ihr Studium abgebrochen, das war klar.

Hatte sie ihm nur etwas vorgemacht?

Ihren Erzählungen nach hatte sie nicht wie eine Studienabbrecherin geklungen.

Seltsam.

Auf dem Campusgelände kam Karl Wisemeyer ein neuer Einfall.

Eine Gruppe Studentinnen schlenderte lachend an ihm vorüber. Der schwarzhaarige Mann überlegte nicht lange, sondern sprach sie an. »Entschuldigen Sie, ich bin auf der Suche nach einem Professor, der Vorlesungen zum Thema Kunst abhält … ein gewisser Mr. Warner … oder so ähnlich. Können Sie mir weiterhelfen?« Karl erinnerte sich daran, dass Mercy den Namen erwähnt hatte.

»Sie sprechen sicherlich von Professor Walkner«, informierte ihn eine schwarz gelockte junge Frau.

Richtig Walkner, dachte der Mann erleichtert. Karl hatte endlich eine Spur.

Professor Walkner, ein Mittfünfziger mit einer roten Hornbrille, schlürfte gerade seinen heißen Schwarztee mit Milch, als es an seine Bürozimmertür klopfte.

Peter Angus Walkner hasste es, wenn ihn irgendwer ohne Termin in seiner ihm absolut heiligen Mittagspause störte. Meist waren die Störenfriede nervende Studenten, die unreife, geistlose Fragen über vergangene Klausuren stellten. Es überraschte ihn sehr, als sich die Tür öffnete und Karl Wisemeyer eintrat.

Nachdem Karl sein Anliegen vorgebracht hatte, holte der grauhaarige Walkner ein Putzläppchen hervor und begann, seine Brille zu putzen. »Natürlich kenne ich Marcy Bowlers«, erklärte der Professor mit unaufgeregter Stimme. »Sie war eine der besten und zielstrebigsten Studentinnen in meinen Kursen.«

Karl schöpfte Hoffnung. »Die Sekretärin der Uni-Leitung sagte mir, dass Marcy das Studium abgebrochen hat. Kennen Sie die Gründe?«

Professor Walkner schwieg und musterte Karl sehr eindringlich von Kopf bis Fuß. »In welcher Beziehung stehen Sie doch gleich zu Miss Bowlers?«

Karl bemühte sich, vertrauenerweckend auszusehen, und lächelte den Grauhaarigen nett an. »Ich bin Marcys Freund.«

»Eigenartig … wenn Sie der Freund sind, warum fragen Sie Marcy nicht selbst und kommen zu mir?«

Karl hielt dies ebenfalls für eine berechtigte Frage und setzte auf Ehrlichkeit. »Marcy ist verschwunden, Professor! Keiner weiß, wo sie sich befindet!«

»Verschwunden?« Walkners Gesicht verwandelte sich in eine Maske des Erstaunens. »Kunststudentinnen verschwinden nicht so einfach, Mr. Wisemeyer! Haben Sie es schon bei Marcys Familie versucht?«

»Nein, ich kenne die Familie nicht … noch nicht.«

Erstaunen wurde von Misstrauen abgelöst, als Walkner von Karl wissen wollte: »Sie kennen Marcys Familie nicht? Sie sagten doch, Sie sind Marcys Freund, oder?«

»Ich bin es erst seit kurzer Zeit«, erwiderte Karl und empfand sogleich, dass sich das ziemlich bescheuert anhörte.

Das dachte der Professor sicherlich ebenso, da er ziemlich entrüstet weitersprach: »Junger Mann, Sie dürfen mir mein Misstrauen nicht übelnehmen, aber es ist schon eigenartig, wie sie vorgehen. Falls Marcy wirklich verschwunden sein sollte, ist doch ein Nachfragen bei den Eltern unumgänglich und sehr vernünftig, oder?«

»Ja, Sie haben recht!«, pflichtete Karl sofort bei.

»Haben Sie eine Vermisstenanzeige aufgegeben, Mr. Wisemeyer? Falls Sie wirklich glauben, dass Marcy ernsthaft vermisst ist?« Das Wort ernsthaft hatte Walkner absichtlich betont.

»Ich wollte noch keine Wellen schlagen, Sir«, antwortete Karl.

Walkner kniff seine Augen kurz zusammen. »Hören Sie, bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Ich kann Ihre Sorge wirklich verstehen, doch aus bestehenden Datenschutzgründen …«

»Ja, ich weiß, Professor Walkner! Ich bin kein Verwandter und eigentlich dürfen Sie gar nicht mit mir über geschützte Details privater Natur sprechen! Doch ich bin sehr verzweifelt! Marcys Apartment wurde ebenfalls aufgelöst! Und keiner kann mir helfen!«

Professor Walkner bekam sehr misstrauische Gesichtszüge und wirkte durch seine fahle Haut sehr hart und streng. »Es klingt alles sehr wirr und seltsam, was Sie mir da erzählen! Ich denke auch, dass Sie mir ein wenig meine Zeit rauben!«

»Das ist keine Absicht, aber …«

»Mr. Wisemeyer, ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass Marcy das Studium freiwillig abgebrochen hat! Warum Sie aus ihrer Wohnung ausgezogen ist, sollten Sie als Marcys Freund besser wissen als ich, oder sehe ich das falsch?«

Karl wurde bewusst, dass er in einer Sackgasse steckte, und irgendwie wurde das Gespräch auf eine gewisse Art peinlich für ihn. Ein Freund, der nichts vom Wohnungsauszug seiner Freundin wusste. Das wirkte sehr lächerlich – und war es auch. »Nun, ich danke Ihnen, Professor Walkner für Ihre Zeit! Vielleicht sollte ich wirklich bei den Bowlers nachfragen! Können Sie mir mit der Adresse der Eltern weiterhelfen?«

Professor Walkner wirkte hinter seiner Hornbrille wie ein Habicht, der sich auf eine fette Maus stürzen wollte. Plötzlich erweichte sein steinerner Blick. Er tippte auf der Tastatur herum und öffnete eine Liste. Wenige Augenblicke später sagte er zu Karl: »Wegen des Datenschutzes kann ich Ihnen keine Auskünfte geben. Aber da ich noch ein wenig Zucker für meinen Tee aus dem Nebenraum holen möchte, habe ich keinerlei Einfluss darauf, ob Sie die Größe meines PC-Bildschirms bewundern wollen. Es ist ein japanisches Gerät.« Ohne eine Reaktion abzuwarten, schritt der Professor aus seinem Büro und ließ Karl unbeaufsichtigt zurück. Dieser zückte sein Smartphone und schoss eine Aufnahme von der PC-Übersicht. Er hatte nun die Anschrift von Marcy Bowlers‘ Eltern.

Als Professor Walkner mit seiner Teetasse zurückkam, war Karl Wisemeyer verschwunden. Der grauhaarige Mann setzte sich an seinen Schreibtisch und holte sein Handy aus der Innentasche seines Jacketts. Über eine Kurzwahltaste aktivierte er den Wählvorgang einer abgespeicherten Telefonnummer.

Es läutete einige Male, dann meldete sich eine Männerstimme: »Hier spricht Ansgar Gradener.«

Walkner atmete durch, dann redete er mit aufgeregter Stimme: »Hier ist Walkner. Der junge Mann war eben hier – dieser Karl Wisemeyer!«

»Wie ist es gelaufen, Professor?«

»Ich habe seine Suche auf die Eltern gelenkt – wie besprochen!«

Ansgar Gradener, der Assistent von Thomas Bendermann, klang zufrieden. »Sehr gut, Professor! Dann läuft ja alles nach Plan!«

Walkner rieb sich nervös die Nasenspitze. »Bleibt es bei der Summe?«, wollte er schließlich wissen.

»Gewiss. Sie bleiben jedem gegenüber bei Ihrer Geschichte, und wir überweisen Ihnen in Kürze die erste Hälfte der vereinbarten Summe. Falls die Polizei Ihnen einen Besuch abstatten sollte und Sie sich weiterhin kooperativ zeigen, erhalten Sie den Rest. Haben Sie verstanden?«

Professor Walkner bestätigte dies, und das Telefonat wurde beendet. Bald sollte er über 100.000 US-Dollar verfügen und sein Häuschen von der bedrückenden Hypothek befreien können. Seine Frau Elvira würde überglücklich sein – und keine Fragen stellen.

Und Marcy Bowlers?

Der Professor nahm sich vor, die Blondhaarige zu vergessen. Studenten sind Menschen, die kommen – und wieder gehen, dachte er zynisch und genoss seinen Tee.

Karl Wisemeyer zögerte, als er den Klingelknopf berühren wollte. Er wusste, dass sein Auftauchen alles verändern würde. Ob zum Guten? Das konnte niemand voraussagen. Doch der schwarzhaarige Mann war am Ende seiner Möglichkeiten angelangt. Er ahnte allerdings, dass ein Besuch bei Mercys Eltern Risiken beinhaltete, die niemand absehen konnte. Er war sich dessen bewusst, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach Mercys Doppelleben als Prostituierte bloßlegen musste. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dennoch drückte er den Klingelknopf an dem freistehenden Haus mit dem hübsch angelegten Vorgarten und den roten Sonnenblumen.

Die Eingangstür wurde geöffnet, und ein lockenköpfiger Mann, vielleicht Mitte 20, erschien im Türrahmen. Er sah Karl fragend an. Karl erkannte sofort die Ähnlichkeit zu Mercy. Der gutaussehende Lockenkopf war Marc Bowlers, Mercys kleiner Bruder. Von ihr hatte Karl erfahren, dass der junge Mann schwul war und als Gitarrist einer Gay-Band erste Erfolge feierte.

»Guten Tag, Marc!«, sagte Karl. »Mein Name ist Karl Wisemeyer. Ich kenne Ihre Schwester.«

Marc sah verdutzt aus. »Meine Schwester? Woher? Und woher kennen Sie meinen Vornamen?« Der lockenköpfige Mann in dem sportlichen blauen Kapuzenshirt und der passenden Sporthose war mehr als überrascht.

Karl verhaspelte sich erstmal, als er weitersprach. »Mercy … äh … Marcy hat mir von Ihnen erzählt und mir ein Bild von Ihnen gezeigt. Das Bild hing in ihrem Apartment.«

»Ihr Apartment ist leergeräumt«, unterbrach ihn Marc schroff. »Keiner weiß, wo meine Schwester steckt! Welches Bild meinen Sie?«

»Die Fotoaufnahme zeigt Sie … Ihre ganze Familie … bei einem Besuch auf Liberty Island … bei der Freiheitsstatue!«, erklärte Karl.

»Ja, ich erinnere mich.« Marc überlegte kurz und hatte sofort eine falsche Vermutung. »Haben Sie eine Spur von Marcy?« Die Hoffnung, die in seiner aufgeregten Stimme mitschwang, wurde von Karl schnell zerstört.

»Nein, Marc, leider nicht«, enttäuschte ihn Karl. »Ich kenne Ihre Schwester privat. Ich bin ihr Freund!«

Der lockenköpfige Mann kniff seine braunen Augen zu Schlitzen, dann runzelte er nachdenklich die sonst glatte Stirn. »Ihr Freund? Ich wusste zwar von einem Freund, doch nicht, dass er Karl heißt. Woher kennen Sie meine Schwester genau?«

»Wir sind uns vor ein paar Wochen zufällig begegnet und haben uns ineinander verliebt.«

»Aha … und waren Sie ebenfalls bei der Polizei und haben dort eine Aussage gemacht?«

»Ja, Marc! Dort sagte man mir, dass Ihre Eltern Marcy als vermisst angezeigt haben. Und, dass alles den üblichen Weg ginge. Was immer das bedeutet?«

»Warum sind Sie wirklich hier, Karl?« Marcs ansehnliches Gesicht hatte sich in eine Maske der Skepsis verwandelt. Der junge Mann hatte ein ungutes Gefühl, als er Karl Wisemeyer erneut betrachtete. Es war geradezu offensichtlich: Ungeahnte Probleme lagen in der Luft.

»Wer ist das?«, hörten die beiden Männer eine energische Frauenstimme näherkommen. »Gibt es etwas Neues?« Madeleine Bowlers, eine blonde Frau in einem blauen Leinenkleid, drängte sich neben Marc. Die blauen Augen der Mutter waren gerötet, dunkle Schatten hatten sich darunter gebildet.

»Mom, das ist Karl, angeblich Marcys Freund!«, erklärte der Lockenkopf.

»Sie sind ihr Freund?« Die Frage kam hektisch schnell, wie aus der Pistole geschossen. »Wissen Sie, wo sie ist?«

Karl schüttelte leicht seinen Kopf. »Nein, aber ich habe noch einige Informationen für Sie. Darf ich hereinkommen?«

Karl Wisemeyers Kaffeetasse war leer getrunken. Er hatte sieben Minuten am Stück geredet. Dabei war er kein einziges Mal unterbrochen worden. Die Gesichter der Bowlers sahen bleich aus und spiegelten Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit wider.

Vater Mathew Bowlers, ein eisern schauender Mann mit braunem Kurzhaar, der in seinem weißen Hemd und der beigefarbenen Weste wesentlich jünger wirkte, als er war, fand zuerst Worte, die er unverblümt an Karl richtete. »Und das sollen wir Ihnen glauben, Mr. Wisemeyer?« Mr. Bowlers wartete nicht einmal auf eine Reaktion Karls. »Unsere Tochter soll eine Prostituierte sein? In der Bronx? Was reden Sie da eigentlich, junger Mann?«

Mutter Madeleine Bowlers hatte nur Verachtung in ihrem Blick. »Unsere Tochter hat so etwas Widerliches nicht nötig! Was fällt Ihnen ein?«

»Bitte«, begann Karl. »Es ist natürlich sehr schwer für Sie, aber …«

»Verlassen Sie das Haus meiner Eltern!«, forderte Marc Bowlers Karl in einem sehr unbeugsamen Tonfall auf. In seinen Augen loderte pure Wut. »Oder ich rufe die Polizei! Gehen Sie jetzt besser!«

Karl startete einen weiteren Versuch. »Hören Sie, es ist alles wahr! Marcy hat ein Doppelleben geführt … und hat es Ihnen verschwiegen! Zudem könnte es sein, dass sie ein Opfer wurde …«

Die Bowlers erstarrten in ihrem Schrecken.

»Ein Opfer?«, zischte Mutter Bowlers und schnellte an Karl Wisemeyer heran. »Ein Opfer von wem? Reden Sie!«

Jetzt, da Sie so dicht vor ihm stand, konnte Karl Mercys Gesichtszüge an Madeleine Bowlers erkennen. Sie war unverkennbar ihre Mutter. Karls Antwort war jedoch der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. »Ein Opfer des Hurenmörders. Und ich habe die Befürchtung, dass Marcy …«

»Halt deine dreckige Schnauze!«, schrie Marc Bowlers wutentbrannt los und schlug Karl mit der Faust ins Gesicht.

Karl Wisemeyer taumelte nach hinten, stürzte über einen Hocker und fand sich auf dem Teppichboden wieder. Der kupferartige Geschmack von Blut machte sich in seinem Mund breit.

»Hau ab, du Arschloch!«, raste Marc Bowlers, der breitbeinig über ihm stand, beide Fäuste zornig geballt, bereit zum nächsten Schlag.

»Mathew, ruf die Polizei!«, forderte Madeleine ihren Mann auf, der sogleich zum Telefonapparat ging.

Noch am selben Abend wurde Karls Aussage bei der Polizei aufgenommen, und er beantwortete den Beamten alle Fragen, die sie an ihn richteten.

In den folgenden Wochen ermittelte man erneut in allen möglichen Richtungen, doch Mercys Verbleib wurde nicht geklärt.

Zeitgleich mit Mercy Bowlers‘ Verschwinden hatte der Hurenmörder Benjamin Micker sein blutiges Handwerk eingestellt. Von Äxten zerlegt, in Mülltüten verpackt, ruhten seine Überreste in den dunklen Tiefen des Bronx Rivers. Ansgar Gradener, der Assistent von Thomas Bendermann, hatte hierfür gesorgt.

Schließlich trat das ein, was völlig natürlich war: Das Leben ging einfach weiter.

Menschen kamen und gingen.

Menschen verschwanden jeden Tag.

Einige fanden zurück – manche niemals mehr.

Doch: Über allen Lebewesen und Dingen drehte sich das Rad der Zeit, und es bewegte sich stetig und tickte unablässig bis ans Ende aller Tage, bis ans Ende der Unendlichkeit.

Sechs Monate waren seit Mercys Verschwinden und Karls unrühmlichen Besuch bei den Bowlers vergangen. Die Familie versuchte, mit dem persönlichen Verlust der Tochter und der Schwester klarzukommen und ihr Leben weiterzuführen. Die Trauer in ihren Herzen würde wohl ewig bleiben.

Karl Wisemeyer hatte irgendwann die Hoffnung aufgegeben, Mercy noch einmal wiederzusehen. Es war für ihn eine schwere Phase gewesen, doch seine verantwortungsvolle Arbeit als Bodyguard und Assistent von Lydia van Bush, der prominenten Rocklady, hatte ihm täglich andauernden Rückhalt gegeben.

Und dann traten schließlich die Ereignisse ein, die vor langer Zeit geplant worden waren … für jeden einzelnen Menschen dieser Geschichte geplant worden waren.

4. Der Test bei Sonnenlicht

Sei einfach du selbst, flüsterte die Frauenstimme in ihrem Kopf. Und alles wird gut!

Das war jedoch gar nicht so einfach für die aufgeregte Frau.

Helles Sonnenlicht flutete in die geräumige Hotelsuite. Es war so intensiv, dass nichts im Verborgenen blieb. Jede verschmutzte Pore, jedes Fältchen, jeder Ansatz von beginnender Cellulitis und jedes unschöne Äderchen in den Kniekehlen wurde gnadenlos von der Sonne ausgeleuchtet.

Die Frau war 45 Jahre alt, hatte noch immer einen schlanken, attraktiven Körper zu bieten, doch sie war sich dessen bewusst, dass sie mit dem Body einer Mittzwanzigerin nicht mehr mithalten konnte. Die zahllosen Tattoos und Piercings konnten die Tatsache nicht kaschieren, dass sie so langsam in die Jahre gekommen war. Dennoch wollte sie sich diesem brutalen Test bei gleißendem Sonnenlicht stellen. Sie wollte sich nicht mehr hinter ihrer großen Klappe und einer riesigen Show verstecken. Seit kurzer Zeit galt es, mit offenen Karten zu spielen. Deshalb hatte sie sich ungeschützt nackt auf das geräumige Bett gelegt und sich nicht unter das Deckbett verkrümelt. Sie wollte sich pur und ungeschminkt im grellsten Sonnenschein präsentieren.

Lydia van Bush war sehr nervös. Immer wieder lugte sie zu dem beleuchteten Türspalt hin. Drinnen im Badezimmer ging die Toilettenspülung, schließlich war das Rauschen der Dusche zu hören. Eine Männerstimme sang fröhlich vor sich hin. Wenn der Sänger im Bad die Frau in ihrer Natürlichkeit akzeptierte, dann war alles möglich. Sie beschloss, eine Zigarette zu rauchen, um ihrer Nervosität entgegenzuwirken. Das silberne Feuerzeug flammte kurz auf. Sekunden später sog sie Nikotin in ihre Lunge. Das beruhigte sie ein wenig, und ihre Gedanken kreisten um vergangene Bilder und um jüngste Erinnerungen.

Lydia war ein gefeierter Rockstar. Ihre Fans verehrten sie fast kultisch. Zwei Platin-Schallplatten hatte sie wegen ihrer immensen Erfolge schon erhalten. Ihre Alben verkauften sich großartig. Die Konzertsäle waren restlos ausverkauft, wenn sie auf der Bühne ihre Show durchzog.

Das war nicht immer so gewesen.

Sie erinnerte sich noch gut an ihre Anfänge, als sie unbekannt und unbedeutend als Countrysängerin durch diverse texanische Bars getingelt war. Bodenständig war sie damals gewesen – vielleicht ein wenig naiv, aber liebenswert und nett. Damals hatte sie immerzu von einer kleinen Karriere geträumt. Ihr sehnlichster Herzenswunsch war gewesen, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen.

Später hatte sich dann schlagartig der Ruhm eingestellt, und Lydia wurde von der schäumenden Erfolgswelle mitgerissen. Irgendwann hatte sie die Countrysängerin in ihrem Inneren begraben und den Rausch in vollen Zügen genossen.

Ehemänner und Liebhaber waren gekommen und wieder gegangen – der Erfolg auf der Bühne war geblieben. Mit dem grandiosen Ruhm waren die oberflächlichen Reize in ihr Leben eingedrungen und hatten sie oftmals zu Dummheiten hingerissen, die sie jetzt bitter bereute. Drogen, Alkohol und wechselnde Bettpartner hatten ihr Leben bestimmt. Nur nachts, wenn sie sich einsam gefühlt und an die Decke ihres Hotelzimmers gestarrt hatte, hatte sie der Countrysängerin erlaubt, aus ihrem wehmütigen Frauenherzen zu kommen, um mit ihr gemeinsam traurige Tränen der verpassten Gelegenheiten zu weinen.

Im Laufe der Zeit hatte Lydia van Bush ihr Image als vulgäre Rockröhre aufgebaut – und dieses Image hatte sie im Griff. Sie wurde laut und verletzend, weil es sich gut verkaufte. Ihr rüder Tonfall ließ die Kassen klingeln. Die Vertriebsmaschinerie hatte sie zur Rock-rotzenden Schlampe stilisiert, die bedenkenlos mit ihren Fans ins Bett stieg und sich haltlosen Exzessen hingab.

In ihren einsamen Momenten war sie häufig mit einer Rasierklinge dagesessen. In diesen düsteren Augenblicken hatte die aufrichtige und unbedeutende Countrysängerin zu ihr gesprochen. Stundenlang gesprochen. Sie so lange beruhigt, bis ihre depressive Phase abgeklungen war. Diese Countrysängerin, die sie einmal gewesen war, hatte seitdem ihr Herz nie mehr verlassen. Sie war nicht nur zu ihrem guten Gewissen geworden, sie wurde zu ihrem inneren Schutzwesen, einer fürsorglichen Ratgeberin, wenn sie sich alleine fühlte und keinen Ausweg mehr für sich sah. Lydia hatte der Countrysängerin viel zu verdanken – auch dieses heutige Date.

Dieses Date der Wahrheit war ihr sehr wichtig – wichtiger als alles andere in ihrem Leben. Ja, wichtiger als ihr Leben selbst.

Die Badezimmertür ging auf, und er trat heraus. Der gutaussehende Mann hatte ein weißes Handtuch locker um die Hüften gewickelt. Als er vor dem Bett stand, kreuzten sich ihre Blicke. Lydias Anspannung wich eine Spur, als sie ihn lächeln sah.

Jetzt nicht reden, sonst sage ich etwas Falsches oder zerrede alles, dachte sie, die in der Vergangenheit oft genug Lehrgeld für ihr schnoddriges Mundwerk bezahlt hatte. Stattdessen verschränkte sie ihre Arme hinter ihrem Kopf, um ihre volle Weiblichkeit besser ins rechte Licht zu rücken. Dann schenkte sie dem Mann ein wundervolles Lydia-Lächeln, das er strahlend annahm und sein Handtuch zu Boden gleiten ließ.

Nackt sieht er hammergeil aus, durchfuhr es die langmähnige Frau, und ihre Aufregung war wie weggeblasen, da sie seiner beginnenden Erektion entgegenblickte. Wow, so schnell? Und ich habe ihn noch nicht mal angefasst!

Ja, Lydia hatte den gnadenlosen Sonnenlicht-Test bestanden.