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Meine lieben begrenzt Denkenden! Was steht am Ende des brutalen Anschlags, des gewalttätigen Gemetzels auf Hidsania? Richtig, ein neuer Tag, ein nagelneuer ... und was für einer, denn schließlich treffen alle durchgerüttelten und durchgeschüttelten Seelen unter teilweise blutbespritzten wunderschönen Palmen und an durchschossenen Palastmauern zusammen, die zusammentreffen müssen. Grundgütiger, was für ein kunterbunter Haufen wilder begrenzt Denkender! Und die sollen den Finaltag zwischen Himmel und Hölle entscheiden – ernsthaft jetzt? Und bitte erwartet keine langweilige Geschichte. Diese Serie wird noch vieles sein, aber zu keiner Sekunde langweilig. Euer Samuel, der Erste Gärtner Gottes
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2025
Sabine und Thomas Benda
Mercy, die Straßenritze – Buch 3 – Die Auserwählten und die Hure
Ein 25-teiliges Serien-Genre-Crossover – ein himmlisch-höllisches Epos – eine unvergessliche Geschichte
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1. Schuldig
2. Pornos lügen
3. Eine äußerst heiße Angelegenheit
4. Diplomatie vor Rache
5. Kann es sein, dass …?
6. Am Gepäckband
7. Bendermann und die Signora
8. Der Zwerg
9. Talk in der Lobby
10. Der Tag der Beerdigungen
11. Die italienische Zahnfee
12. Blowjob der Erkenntnis
13. Ein Zwerg namens Perkeo
14. Kino, Pizza und das Heidelberger Schloss
15. Genussmenschen
16. Wer kommt als Nächster dran?
17. Liebesbeweis
18. Eingelocht
19. So klar, so ruhig, so wahr
20. Sprengkapsel
21. Praxis Dr. Sunners
22. Das Schandmal
23. Wer Böses sät
24. Die etwas andere Sprechstunde
25. Der Kontakt
26. Bendermann und der Prinz
27. Bendermann und der Bodyguard
28. Bendermann und die Straßenritze
29. Endgültig
30. Die Zusammenkunft
31. Seien Sie froh!
32. Die Madame und ihre Dienerin
33. Kippen in der Nacht
34. Überraschung in der Nacht
35. Eine Liebesgeschichte
Über die Autoren:
Impressum neobooks
Woodruf Church, Manhattan, in der Vergangenheit
An einem sonnigen Sonntag, an dem Marcy Barbara Bowlers, die heutige Straßenritze Mercy, zwölf Jahre jung gewesen war.
Den Gottesdienst hatte die Familie gemeinsam besucht – wie an jedem Sonntagvormittag.
Nach dem Läuten der Kirchenglocken war Vater Mathew Bowlers mit dem kleinen Marc, Marcys Bruder, in den Kirchhof gegangen, um mit ihm in der hübsch angelegten Parkanlage zu spielen. Mutter Madeleine zündete zwischenzeitlich am Altar einige Kerzen an, während die zwölfjährige Marcy unruhig auf der glatten Kirchenbank hin und her rutschte.
Sie beobachtete ihre Mutter, wie sie vor den Kerzen betete.
Madeleine war eine attraktive Frau, karriereorientiert als Kunstdesignerin und sehr gläubig. Eine beinharte Katholikin ohne Wenn und Aber, wie sie sich selbst gerne bezeichnete.
Marcy liebte ihre Mutter sehr, auch wenn diese hin und wieder ein wenig unnahbar und respekteinflößend auf ihre eigenen Kinder wirkte. Doch das blondhaarige Mädchen kannte ihre Mom auch anders.
Seit einigen Monaten beobachtete Marcy ihre Eltern – und zwar von einem Baumhaus aus, das gegenüber dem elterlichen Schlafzimmer auf einem knorrigen Ahornbaum thronte.
Das Baumhaus – für die beiden Bowlers-Kinder eine imaginäre Raumstation namens Centauri 11-6 – war der ideale Beobachtungsposten, wenn die Eltern ein eheliches Schäferstündchen abhielten.
Im Lauf der Zeit hatte die Zwölfjährige mit dem Fernglas alle gängigen Sex-Stellungen bei ihnen beobachten können. Bruder Marc durfte natürlich nicht durch den Feldstecher schauen. Während sie das sexuelle Treiben studierte, sondierte der kleine Lockenkopf den Garten nach feindlichen Aliens und wurde dabei fast immer fündig.
Marcy hatte bei den heimlichen Beobachtungen ihre Mutter gut kennengelernt und wusste, dass hinter der disziplinierten Fassade eine sehr leidenschaftliche Frau verborgen war, die sich zu ausufernden Orgasmen hinreißen ließ.
Madeleine Bowlers kam in die Kirchenbank zurück, setzte sich neben Marcy und betete wiederholt ein stilles Gebet. Marcy betrachtete sie dabei und fand, dass ihre Mutter beim Beten ziemlich anmutig aussah.
In der Zwölfjährigen nagte seit einigen Tagen eine brennende Frage, die nur ihre Mutter zufriedenstellend beantworten konnte. Bei religiösen oder christlichen Themen vertraute das Mädchen ganz und gar auf sie. Madeleine war hierzu die »Fachfrau« im Hause der Familie Bowlers.
»Mom, darf ich dich etwas fragen?«
Madeleine Bowlers, eine gepflegte Mittdreißigerin mit blauen Augen, schaute ihre Tochter an. »Was hast du auf dem Herzen, Liebes?«
Marcy runzelte nachdenklich die Stirn. »Wir besprechen im Schulunterricht gerade die Zehn Gebote«, begann das blondhaarige Mädchen und sah dabei ziemlich besorgt aus. »Es geht mir um das Fünfte.«
»Du sollst nicht töten«, sagte ihre Mutter.
»Genau das«, bestätigte Marcy sie. »Ich habe eben im Gottesdienst die Predigt von Pater Michael gehört, als er vom Verrat an Jesus gesprochen hat. Petrus hat doch mit einem Schwert das rechte Ohr von diesem Malchus abgeschlagen.«
Madeleine nickte wissend und unterbrach sie voreilig. »Es geht dir um die Gewalt, nicht wahr? Ja, die war falsch! Petrus war erzürnt wegen des Verrats. Aber Jesus hat die Situation wieder unter Kontrolle gebracht und das Ohr von Malchus geheilt.«
»Es geht mir doch nicht um das doofe Ohr, Mom!«, warf Marcy trotzig ein. »Es geht mir ums Töten!«
Madeleine sah ihrer Tochter in die blauen Augen. »Erklär es mir, Marcy! Was willst du wissen?«
»Wenn ich die Nachrichten sehe und höre, wird mir richtig schlecht! Christen töten weltweit, obwohl es gegen Gottes Gebot ist! Ist das Töten nicht grundsätzlich falsch?«
Mutter Bowlers überlegte einen kurzen Moment, dann entgegnete sie: »Töten ist immer der falsche Weg, Marcy! Priorität hat immer, das Leben zu bewahren und die Gewalt abzuwenden. Leider gibt es Situationen, da muss auch ein Christ entscheiden, mit wie viel Gegenwehr er sich oder andere schützen muss!« Schließlich fügte sie weitere Gedanken an: »Das Leben, das eigene Leben oder von anderen zu schützen, hat immer Vorrang! Selbstschutz ist vertretbar, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, Marcy!«
Ihre Tochter blickte sie zweifelnd an. »Auch dann, wenn ich anderen Menschen dadurch ihr eigenes Leben nehme?«
Madeleine legte behutsam ihre flache Hand auf Marcys zierliche Schulter. »Hör zu, Marcy! Die Liebe zu sich selbst bleibt ein Grundprinzip der Sittenlehre. Somit darf man sein eigenes Recht auf das Leben geltend machen. Wer sein Leben oder das eines anderen verteidigt, macht sich keines Mordes schuldig, selbst wenn er gezwungen ist, den Angreifer deshalb abwehrend zu töten.«
Das Mädchen spitzte die Lippen. »Ich nehme dann eine vertretbare Schuld auf mich, Mom? Eine Schuld, die Gott dann irgendwann richten wird?«
»Ja, so sehe ich es! Hoffentlich kommen wir niemals in solch eine schlimme Situation, um so etwas für uns oder andere entscheiden zu müssen.«
Marcy legte ihre junge Stirn in Falten. »Also … würde Pater Michael auch jemanden töten, wenn sein Leben in Gefahr wäre und wirklich nichts anderes mehr ginge?«
Madeleine lächelte bitter. »Das ist anzunehmen. Sicherlich, Marcy. Jeder würde sein Leben verteidigen – unabhängig vom jeweiligen Glauben. Jeder würde das in solch einer Notlage tun!« Die Mutter zeigte auf sich und meinte in sachlichem Tonfall. »Selbst ich, eine gutbezahlte Kunstdesignerin aus New York, die normalerweise mit Waffen nichts am Hut hat.«
Marcy Barbara Bowlers, zwölf Jahre jung, glaubte ihrer Mom. Sie wusste nicht, wie andere Christen darüber dachten. Es war der Zwölfjährigen auch egal, denn in einer halben Stunde würde sie mit dem Rest der Familie leckere Hamburger essen, schön durchgegrillt von Vater Mathew.
Heute war doch so ein herrlicher Sonnensonntag … und die Gedanken an Mord und Totschlag verschwanden … einfach so.
Hidsania, im Palast von Prinz Hidsaa, heute
Wissen Sie was? – Der Tod ist echt ein Scheißdreck!
Während des Angriffs auf Hidsania und auch danach bei den Aufräumarbeiten habe ich Dinge gesehen, die ich niemals mehr vergessen werde.
Zorn und unbändiger Hass stiegen da in mir hoch – mit voller Wucht!
Automatisch wurde ich an das Grauen und die Gewalt erinnert, mit denen ich in der Bronxer Hinterhofgasse konfrontiert gewesen war. Damals, als dieser irre Nuttenmörder, Benjamin Micker, mich missbrauchte und mich töten wollte!
Doch hier, in dem paradiesischen Palastgarten von Prinz Hidsaa, war der bittere Auftritt des Todes geradezu niederschmetternd und von unvergesslicher Qual durchdrungen.
Dutzende Leichname, aufgereiht, erschossen, von Explosionen zerfetzt!
Blut, überall Blut, teilweise getrocknet, oft noch schmierig frisch – dann dazwischen, wild verstreut, lagen abgerissene Arme, Beine und Köpfe!
Haben Sie jemals in die starren, toten Augen eines Pferdes gesehen? – Wenn das Tier den Menschen noch im Tode scheinbar anklagt für das Leid, für das unsagbare Leid, das man ihm angetan hat!
So was verändert Sie, sage ich Ihnen! – Glauben Sie mir!
Ja, wir haben den brutalen Angriff überlebt!
Und ja … wir werden weiterleben, werden weitermachen!
Vergessen werden wir das hier niemals!
Niemals … nie!
Das dürfen wir gar nicht!
Das können wir gar nicht!
Das sind wir den Toten schuldig!
Mom hatte recht – damals in der Kirche. Jeder verteidigt sein Leben und das anderer … unabhängig vom Glauben! Jeder macht das instinktiv in solch einer grausamen Notlage!
Mit der vertretbaren Schuld, die man damit auf sich nimmt, muss jeder selbst fertig werden!
Jeder selbst … irgendwie!
Wir, Estelle und ich, haben an diesem Morgen lange für die vielen Toten gebetet und uns beim Herrn bedankt, dass wir das Entsetzliche überleben durften. Fast alle Frauen aus Hidsaas Lustgarten, Fay Fraser und die anderen, haben sich uns wie selbstverständlich angeschlossen und knieten an unserer Seite.
Yamina, meine treue Dienerin, betete mit uns auf ihre Weise.
Danach hielten wir uns alle an den Händen fest, bildeten einen Kreis der Frauen, fühlten uns, spürten uns und gaben uns einander Kraft und Nähe.
Auch diese Gemeinsamkeit nach dem Gebet werden wir niemals mehr vergessen.
Niemals … nie!
Das dürfen wir gar nicht!
Das sind wir uns schuldig … und Gott!
Und nun? Nun machen wir weiter!
Es gibt viel zu tun!
Oder wie Estelle mir immer wieder zu verstehen gibt: Gott hat seine Pläne!
Für jeden von uns – für uns alle! Ob uns das passt … oder nicht!
Über den Wolken
Lydia van Bush kam aus der Toilettenkabine heraus und schlängelte sich vorsichtig durch den Mittelgang, ging vorbei an der adretten Flugbegleiterin, die Softdrinks servierte.
Die Maschine würde bald in den Landeanflug übergehen – Zeit für ein letztes Mineralwasser.
Nachdem sie es bestellt hatte, setzte sie sich und legte den Bauchgurt an. Die Anschnallzeichen leuchteten bereits auf.
Ihr Freund Karl Wisemeyer war eingeschlafen und atmete hörbar. Sein Kopf ruhte auf einem kleinen Kissen, das er an die Kabinenwand gedrückt hatte.
Marc Bowlers studierte einen Fremdenführer mit dem Titel Dubai für Amerikaner.
»Ich bin jedes Mal überrascht, wie lange sich diese Geschichten von der Flugzeugtoilette schon am Leben halten«, meinte die braunmähnige Frau in dem Jeans-Outfit nüchtern.
Der lockenköpfige Mann in dem grauen Kapuzenshirt sah fragend auf. »Was meinst du genau?«
Lydia bedankte sich bei der Flugbegleiterin für das gereichte Mineralwasser. Schnell trank sie einen Schluck. »Sex auf der Flugzeugtoilette! Tausende von Pornos lügen! Kein normaler Mensch macht es unter diesen Umständen in einer mickrigen Schuhschachtel!«
Marc grinste. »Kommt aber in Filmen oft genug prickelnd rüber«, entgegnete er mit humorvoller Betonung.
»Unrealistische Männerfantasien!«, kommentierte die Rocksängerin knapp. »Sorry!«, schob sie flott nach. »Heterosexuelle Männerfantasien, meine ich natürlich!«
»Ach«, witzelte der Lockenkopf. »Du glaubst, es gäbe keine unrealistischen Gay-Geschichten, die im Flugzeug spielen?«
Lydia zog eine Schnute. »Ich möchte mir weder die eine noch die andere Möglichkeit vorstellen, Marc! Der Vorgänger auf der Toilette hier hatte die Spültaste nicht betätigt. Großes Geschäft – furchtbare Schweinerei!«
Marc schürzte angewidert seine Lippen. »Igitt, wie übel!«
Die Frau lächelte schräg. »Jetzt wechsle noch schnell die Perspektive und sei frisch schwanger und geruchsempfindlich dazu. Verstehst du?«
Der junge Mann nickte mitfühlend, konnte sich jedoch ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Lydia bemerkte dies und knuffte ihn in die Seite.
Eine Durchsage informierte die Fluggäste darüber, dass die Maschine planmäßig in 45 Minuten auf dem Airport von Dubai landen würde. Danach folgten die Informationen ein weiteres Mal auf Arabisch.
»Ich bin immer wieder davon angetan, wie interessant diese Sprache doch klingt. Du solltest dir mal arabische Popmusik reinziehen, Marc. Die ist echt cool!«
Marc Bowlers sah sie erstaunt an. »Was heißt … immer wieder? Du warst schon mal hier?«
Lydia trank einen weiteren Schluck. Das Mineralwasser perlte köstlich, wie sie fand. »Schon zweimal«, antwortete sie. »Allerdings in der Hauptstadt, in Abu Dhabi. Mein erster Ehemann hatte dort geschäftlich zu tun.«
Marc strahlte über sein ganzes Gesicht. »Abu Dhabi? Wow, wie krass ist das denn?«
Lydia lächelte. »Mega krass, ohne Frage!« Erinnerungen von damals rauschten durch ihren Kopf. »Du kannst den Reichtum überall sehen. Ein Märchen für Erwachsene! Allerdings kein Düsteres wie von den Brüdern Grimm«, ergänzte sie das Gesagte und zielte damit auf Marcs Interesse an alten europäischen Hausmärchen. Ein Interesse, das Marc mit Lydias erstem Freund teilte – mit Tim.
Dem früh verstorbenen Tim Schmitt.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, wollte Marc Bowlers plötzlich wissen: »Du bist fest von der Sache überzeugt? Von deiner Theorie, meine ich, nicht wahr?«
Die Rocklady sah ihn bewusst direkt an. Sie wusste sogleich, worauf der junge Bowlers abzielte: die Reinkarnation. »Sonst wäre ich nicht hier bei dir und würde dich begleiten«, sagte sie gelassen.
Marc legte den Reiseführer zur Seite. »Ich muss zugeben«, räumte er ein. »Es gibt da Übereinstimmungen, die richtig unheimlich sind.«
»Hast du noch vor der Reise ein Screening machen lassen?«, wollte die Frau brennend wissen. Sie hatte Marc von Tims Leberfleck erzählt. Dieser herzförmige Leberfleck, die Quelle des Todes für Tim. Bösartiger Hautkrebs. Tim war letztendlich daran gestorben. Vor über 25 Jahren. Marc Bowlers besaß einen ähnlichen Fleck. Für Lydia war diese Tatsache mehr als nur erschreckend.
»Natürlich«, beantwortete Marc Lydias Frage, ohne zu zögern, um sie zu beruhigen. »Ich war bei Doktor Willis. Das ist mein langjähriger Hautarzt. Glücklicherweise … negativ! Alles ist in Ordnung, Lydia! Alles bestens! Ich lasse mich von nun an regelmäßig abchecken.« Schließlich fügte er an: »Deine Geschichte … und Tims tragischer Tod haben mir zu denken gegeben.«
Lydia war sehr erleichtert über Marcs Worte. Ich darf ihn kein zweites Mal verlieren, dachte sie und tätschelte zufrieden seinen Handrücken. »Danke dir, Marc!«, sagte die Frau und lächelte den Lockenkopf liebevoll an. Eine Spur zu liebevoll vielleicht … vielleicht aber auch nicht.
Marc Bowlers erwiderte ihr Lächeln, dann hakte er noch einmal nach. »War ’ne große Nummer zwischen dir und Tim, oder?«
Lydia lächelte bitter, fast schmerzlich. Der Verlust war unauslöschlich in ihrem Herzen für alle Zeiten eingebrannt. »Das junge Mädchen von damals weint noch immer um ihn.« Ihre Stimme versagte, ihre Augen wurden glasig, und Marc wechselte rasch das Thema, da er sah, dass es sie zu sehr belastete.
»Hast du eigentlich … Geschwister, Lydia?«
Die Frau blickte ihn an und schüttelte leicht den Kopf. »Nein. Aber ich hätte gerne welche gehabt. Daraus wurde leider nichts.« Lydia nippte an ihrem Wasser. »Und du, Marc? Wie ist es, eine große Schwester zu haben?« Bei dieser Frage begann sich Marc Bowlers' Blick zu verändern, als würden sich Freude und Stolz zu etwas Einzigartigem vermengen, zu etwas Besonderem. Schließlich erzählte er von Marcy, seiner Schwester, die einige auch als Mercy, die Straßenritze kannten. Für ihn war sie immer noch die beste große Schwester auf der ganzen Welt.
Und Lydia hörte ihm zu.
Allerdings interessierte sie sich nicht dafür, was er erzählte, sondern, wie er es erzählte.
Genau wie er, dachte die Frau immerzu. Wie Tim!
Hidsania, im Schafgemach von Mercy Bowlers
Draußen im Garten von Hidsaas Palast kreischten einige Äffchen, hier drinnen herrschte eine fast erdrückende Schwüle. Ein leichter Schweißgeruch durchzog den wunderschön eingerichteten Schlafraum. Leises weibliches Wohlfühlwimmern vermischte sich mit drängendem Männerstöhnen, geriet in Gleichklang mit dem rhythmischen Klatschen, wenn Leiber einander begehrten.
Es hatte sich einfach ergeben – ohne große Worte, ohne große Gesten. Wie eine Selbstverständlichkeit. Mercy und Ansgar fickten miteinander – tief, innig und leidenschaftlich.
Seit über 30 Minuten taten sie das, und keiner hatte seitdem ein Wort gesprochen. Fühlen, Begehren, Geben und wirkliches Wollen standen im Vordergrund. Verblasst waren Thomas Bendermann und Karl Wisemeyer.
Anfänglich hatte Ansgar Gradener gezögert, obwohl er Mercy insgeheim sehr begehrte und unzählige erotische Fantasien von ihr in den letzten Monaten gehabt hatte. Denn da war – trotz seiner sexuellen Begierde – die Loyalität zu seinem Chef Bendermann.
Thomas Bendermann liebte Mercy und sie ihn, wenn auch auf eine ganz eigenwillige Art und Weise.
Es lag Ansgar fern, sich in eine bestehende Beziehung zu drängen, doch er hatte Mercys Reizen und ihren Gelüsten nicht widerstehen können.
Jetzt, in diesem Moment.
Jetzt, nach diesem entsetzlichen Töten.
Jetzt, nach dieser unsagbaren Gewalt.
Nach all dem Blut und dem Geruch des Todes.
»Ich will spüren … dass ich lebe«, hatte sie ihm zugeflüstert. »Ich will für einen Augenblick vergessen, was war. Das Schlimme verdrängen! Und ich will dir danken … wieder einmal … auf meine Weise!«
Danach hatte sie das Gewand abgelegt und sich ihm völlig nackt gezeigt. Ihr blondes Haar hatte zärtlich ihre Schultern bedeckt. Engelsgleich war sie im Raum gestanden, hatte regelrecht gestrahlt. Ihre natürliche Schönheit hatte ihm den Atem genommen.
»Du musst das nicht tun, Mercy«, hatte er ihr versichert. Und es war ihm ernst dabei gewesen – sehr ernst.
Als sie sich vor ihm hingekniet hatte und an seinem Gürtel zu nesteln begann, war Ansgar bewusst geworden, dass er Mercy nicht aufhalten konnte. Er fühlte, dass er es in seinem tiefsten Inneren nicht wollte.
Es war der Moment, in dem sie sich einfach mitreißen ließen. Sie hatten den Tod überwunden, das Grauen überstanden – waren am Leben geblieben.
Ansgar hatte nicht alle Frauen des Lustgartens retten können – die Deutsche Hannah und auch Olga, eine Frau aus Russland, waren unter den Getöteten im Palastgarten.
Während Ansgar Gradener seine harte Männlichkeit immer und immer wieder in die feuchte Ritze stieß und der blondhaarigen Frau erregendes Stöhnen und Wimmern entlockte, schossen die Bilder des Erlebten durch Mercys Verstand. Sie sah Ansgar, wie er brutal gegen die Widersacher kämpfte und sie tötete, um die Frauen zu retten, um Mercy zu retten. Wie er heldenhaft alles versucht hatte, um das Böse zu vernichten, welches das paradiesische Hidsania hinterhältig heimgesucht hatte.
Als der erste Höhepunkt den schweißnassen Leib der Frau erbeben ließ, war dies von solch einer Intensität, dass sie haltlos schreien musste und ihre spitzen Fingernägel in seine bloßen Flanken trieb. Männerhaut wurde aufgerissen, Blut floss. Ansgar wurde drängender und trieb Mercy über eine weitere Welle der schäumenden Lust hinauf. Seine Hände griffen schroff in ihre vollen Brüste. Der Mund des Mannes neckte begierig fordernd ihre kernigen Warzen – war nicht bereit aufzuhören, nein, forderte mehr, immer mehr.
Sie riss ihre blauen Augen auf und sah ihn ganz dicht vor sich. Ihren Helden, ihren Retter – Ansgar. Mit ehrlichen Augen himmelte sie ihn an. Schließlich fanden sich ihre wilden Zungen, tanzten miteinander, erforschten sich in einem schier endlos dauernden Kuss.
Mercy spürte, dass sie ein weiteres Mal kommen würde, drehte seufzend ihren Kopf zur Seite, legte ihren Hals frei, bot sich ihm an. Als er sie biss und sich leidenschaftlich an ihrer Haut festsaugte, durchschoss es sie gnadenlos. Die kreischende Frau glaubte, besinnungslos zu werden. Wieder und wieder bäumte sie ihm ihren Oberkörper entgegen, verfallen in purer Lust, mitgetragen von schäumender Raserei. Als sie seine Zähne zwischen ihren Brüsten spürte, war es ihr, vor Begierde sterben zu müssen … sterben zu wollen.
Niemals zuvor hatte sich Mercy bei einem Akt so gewaltvoll lebendig gefühlt wie in dieser drückenden Nachmittagsschwüle, hier in ihrem Zimmer, im Palast von Prinz Hidsaa.
Es gab in diesem tosenden Augenblick niemand anderen in ihrer Gefühlswelt als Ansgar Gradener. Ansgar, ihr Held, Ansgar, ihr Retter. Ansgar, der Mann, der sie immer schützen würde, damals in der Bronxer Hinterhofgasse, heute in Hidsania. Er sollte sie haben, sie besitzen, sie benutzen und brennend heiß lieben.
Jetzt, in diesen zweisamen Moment.
Später dann, als beide gekommen waren, kippte Ansgar Gradener japsend zur Seite und keuchte in das weiche Kissen. Mercy blickte mit glühendem Gesicht zur Zimmerdecke hinauf und atmete nun gleichmäßiger, beruhigte sich langsam. Mit den Fingerspitzen befühlte sie ihren Hals. Dort, wo Ansgar sie lustvoll gebissen hatte, sickerte ein wenig Blut durch die verletzte Haut hindurch. Mit den Handflächen wischte sie sich das klebrige Sperma vom Bauch und den Brüsten. Dann knuffte sie Ansgar kichernd in die Flanke. »Du hast eine Viertelstunde!«, forderte sie ihn spielerisch streng auf.
Ansgar rappelte sich auf und sah sie ein wenig schuldbewusst an. »Um zu duschen … und zu verschwinden?«, fragte er hastig und wollte schon aufstehen.
»Nein«, flüsterte Mercy mit funkelnden Augen. »Bis zur nächsten Runde, mein geiler Retter!«
Schließlich zog sie ihn forsch heran und schenkte ihm ihre feuchte, spielerische Zunge.
Ja, Mercy Bowlers war Ansgar Gradener dankbar – sehr dankbar für alles.
Und diese Dankbarkeit reichte noch bis in die späten Abendstunden hinein und darüber hinaus.
Hidsania, im Arbeitszimmer des Prinzen
»War Reginald Claimsborn unter den Toten?«
Die nüchterne Frage kam von Prinz Hidsaa und war an seinen Assistenten Limhaa gerichtet. Der Mann mit dem gepflegten Oberlippenbärtchen schüttelte leicht seinen Kopf und erklärte sogleich:
»Nein, mein Prinz. Es waren nur bezahlte Handlanger, fremde Söldner und einige widerwärtige Abtrünnige aus den nördlichen und südlichen Regionen.« Schließlich fügte er hinzu: »Großteils europäische Ausländer oder Amerikaner. Claimsborn war nicht aufzufinden. Scheinbar hat er sich in die Vereinigten Staaten abgesetzt, um nicht mit dem Massaker in Hidsania in Verbindung gebracht zu werden.«
»Feige ist er auch noch!« Hidsaas Stimme war mit starker Verachtung und Abscheu durchtränkt. Unehrenhaftes Verhalten war ihm ein Gräuel.
»Wir werden ihn in den Vereinigten Staaten nicht zur Verantwortung ziehen können …«, begann Limhaa vorsichtig.